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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (June 14, 1901)
leg-L - . Ein Porträt aus der Schule von Grete Lietzmanm O Es ist große Pause. Jch throne ein sam aus der Höhe meines Katheders. s Vor mir gähnt der leere Klassenraum. ! Jetzt kommt es »trapp, trapp« durch den langen, düstern Korridor, dröhnt . aus den Steinslieszen —- und herein stürmt die tleine Garbe. Zuletzt trabt ein ganz kleiner, dürftiger blonderBur sche herein: Riegel. Langsam, phleg· matisch schlürst er dem letzten Platze, seinem Stammsiy, zu Jetzt läutet’s. Ein Ruck geht durch die Klasse. »Taseln —- vor!« Bald schreibtAlles emsig. DieGris sel trahen und quietschen, daß mir ein Schauer nach dem anderen über den Rücken läuft. Sonst herrscht heiliges Schweigen. Da erhebt sich Lehmann, der sich stets zum Redner der Klasse ausschwingt, wozu ihn mehr sein trastoolles Organ alk- seine nicht gerade hervorragende Intelligenz befähigt· Heute interpel lirt er mich in einer durchaus persönli chen Angelegenheit und mit Stentor stimme donnert’s an mein Ohr: »Friiuletn, haben Sie nich meine Stullenbüchse jesehn?« . »Nein, mein Junge; ist sie denn fort?« »Jawoll,'« briillt Lehmann, »un — un —- Kietbusch hat se jenommen!« Kietbusch erhebt sich und schleudert ihm ein entrüstetes »Nee —- nicht!" ent gegen; »Riegel hat se ja!« Mein iorschender Blick wendet sich Riegel zu, der stumm, aber um so ener gischer sein semmelblondes Haupt schüt telt. Er wälzt alleVerantwort 03 sür den sraglichen Gegenstand auf Stiel busch zurück, der in ein empörtes Ge heul ausbricht. Die Sache wird tomplizirt, alleGris sel ruhen, siebenzig Augenpaare sehen erwartungsvoll aus mich. Jch besteige das Katheder. Die Angeklagten wer den vor den Richterstuhl beordert. Met busch’s Gebrüll verstummt, aber seine thriinennassen Augen erheben Protest gegen die schmähliche Anschuldigung. Dieser Kinderblick überzeugt mich von seiner moralischen Reinheit, und mein anuisitorenauge fällt aus Riegel, der sehr langsam die Stufe zum Katheder emportlimmt. Seine Blicke schweisen etwas unstiit durch die Klasse und versuchen dann trampshast mir Stand zu halten; seine educkte, klägliche haltreng spricht laut iir sein schlechtes Gewissen; aber mehr als das überzeugt mich von seiner Schuld ein untrügliches Zeichen: der kleine Finger seiner rechten band ist hoch erhoben, und dieser tleine bebt — bebt! »Nun, Riegel, warum hast Du Leh manns Stullenbüchse genommen?" .Jct hab' se überhaupt jarnich.« «Wo hastDu sie denn gelassen?« sea e ich unbeirrt weiter. »Wo hast Du sie zu Haus hingelegt? aus den Stuhl oder auf die Kommode?« Erst sieht er mich sprachlos an; dann kommt es stockend, widerwillig: «Uss de Kommode liest se.« Am nächsten Morgen erhielt Leh mann seine Stullenbüchse —- und Rie el eine Aussrischung des siebenten Ge otes, an das sich von jenem Tage an schmerzliche Erinnerunzen sür ihn knü psen dürsten. I — .Und der liebe Gott sprach zu Abra ham: Nimm Deinen Sohn Jsaat, den Du lieb hast und —--— —- — —Riegel, Du schläfst wohl? Was sprach der lie be Gott zu Adraham?« »Iräulein, ick fehle Montag. Vater sagt, wir jehn nach ’nierita.« · »Was. Jhr geht nach tzlinerita?!« Vor grenzenlosern Erstaunen vergesse ich ganz, den Bengel für seine Unauf mertsamteit zur Rechenschaft zu ziehen. »Ja, Vater sagt, Sonntag machen wir hin·« Durch die Klasse geht ein Wigpern und Raunen, offenbar haben die kleinen Kerle schon eine Ahnung von Amerika, eine dunkle Vorstellung von etwas Gro ßun, Fernenr, Geheimnißvollem, Mär chenhaftem tzllleMienen spannen sich; Riegel steht im Brennpuntte des öf fentlichen Interesses. Jsaal ist verges sen, und da die Aufmerksamkeit, aus welche ich unter diesen Umständen für meine didlische Geschichte noch rechnen darf, sehr fragwiirdig ist, beschließe ich, der Sache gleich auf den Grund zu ge en. Ei entspinnt sich folgender Dialog ’ zwischen mir undRiegel, dessenAusfiih rungen die Klasse athemlos lauscht. »Alle nach Amerika geht Jhrl Wie wollt Jhr denn da hintommen-«' frage ich ganz erschrocken. « »Na,« erklärt Riegel, «erst mit de Ei senbahn —- un denn mit'n jroßes Schiff, dat ist hundert Meilen lang, wie Hi sanz sroszeö Saus-" « r fund was wollt Jhr da in Ameri a « »Jeld verdienen!« sagte er latonisch, und nach einer Pause fügte er erläu ternd hinzu: »Da lieg« Jeld usf de Sigaßz sagt Vater; un arbeeien —- is n .« Damit war sein Wissen aber auch er schöpft; meine weiteren Fragen über die Reisediipositionen der Familie Riegel beantwortete er mit einem hilflosen Lä cheln. Jch hatte auch genug gehört, um zu bemerken, daß der Junge orientirt war. augenscheinlich waren die Reise pläne im Schooße der Familie enug sam erörtert worden. Jchlieg also »Vatern« sagen, er solle seinenSpröß ling selber abmelden und ging dann zur Tagesordnung über-. Riegel’s blondes Köpfchen hatte sich aber in den Augen seiner Kameraden mit einem Nimbus geschmückt. Jn den Pausen bildeten sich Gruppen um ihn, und nach Schluß des Unterrichts wurde er von der halben Klasse escortirt. Als ich an dem Trupp vorbeikam, schwirrlen mir ,,’merila« und das ,,jro ße Schiff« um die Ohren. Am nächsten Morgen saßle ich den kühnen Amerilasahrer schon aus dem Schulwege ab. Als er mich sah, wurde er roth; scheu suchte er sich an den Häu sern entlang zu drücken. Osfenbar wollte er mir entschlüpfen. Jch holte ihn rasch ein. »Nun, Riegel, wann geht’s los?« »Was denn?'« fragte er möglichst harmlos. »Na, Eure Amerilareise." Er druckste eine ganze Weile an der Antwort herum. »Ach, Vater hat — ——— mir ja — — ; blos utzen wollen!« i i ! »Also geht’5 nicht nach Amerika?" »Nee, nach det jroße nich — — man bloß nach eene Budile in de Landsber ger Aller, die heeszt ooch ’merila!" —- —---«0.-— ---—--—— Erlebnisse tm Olymp. Von Margarethe Storm. -...-..4—— Jch bin Buchhaiterin mit einem erst in der Entwickelung begriffenen Gehalt, gehöre also nicht zu den Beneidenswer then, welche fiir Luxusausgaben stets ein gefüllte-s Partemonnaie besitzen; und doch habe ich auch das Verlangen nach Genüssen, die eigentlich für mich, meinem Geldbeutel nach, nicht da fein dürften, wenigstens nicht aft. Was soll ich thun? Jch habe einen Ausweg gefunden, wenigstens für die Besuche von Thea tern u. s. w., fiir welche ich eine gerade zu leidenschaftliche Vorliebe habe; ich gehe einfach — auf den »Olymp«! Das gieist die materiellen Kräfte nicht zu sehr an, und schän ist's auch für ein bescheidenes Gemüth, und Er lebnisse hat man ,,da oben« auch genug, heitere und ernste, und von beiden Ar ten will ich hier einiges- plaudernt Jch gehöre zur »Abonnementg-Gal lerie« des Berliner Theaters-. Großartig sieht und hört es sich dort-— wirklich! Und gemüthlich ist es — davon hat der Uneingeweihte gar tei nen Begriff! Sie kennen sich alle untereinander-, diese Abonnenten der ,,obersten fünfzig Sitzvliitze«, und man muß nicht etwa annehmen, daß, es ungebildete Leute sind, welche sich da zusammensinden. Da haben wir zuerst eine ganze An zahl· gleich mir im Erwerbsleben ste hender junger Mädchen der besseren Stände, dann junge Leute, aus den Komptoiren u. s. w., und endlich einige gute Bürgerfamilien, die mit ihren Töchtern gleichsam inlognito diese »Hähen« besuchen, weil »man die Stücke doch gesehen haben muß« und die unte ren Plätze bei häufigern Besuch doch zu theuer werden würden. Zehn Minuten vor Beginn der Vor stellung sind die Olympier und Olym pierinnen so ziemlich vollständig ver sammelt, und ein lebhaftes Anstau schen von Begrüszungen beginnt, wäh reno allseitig die größte Fröhlichkeit und Gemüthlichteit herrscht. Befindet sich zufällig ein Fremder in der Runde, welcher von einem der Abonnenten das Billet übernommen hat, so wird er zwar zuerst ein wenig forschend gemusiert, dann aber freund lich zurecht gewiesen, wo sein Platz ist, wie er am Besten seine Garderobe un terbringt u. s. w.: denn die Ueberklei der geben diese Abonnenten grundsätz lich nicht ab, das wäre ia die unge heuerste Verschwendung Jst der Gast neit, so wird er, ob Dante oder Herr, bald ebenso lebhaft in die Unterhaltung gezogen wie die Stammgäste; ist er aber hochiniithig, so wird er so lange konsequent »ge schnitten«, bis er, was rneistek., rie schieht, sich besonnsr hat und reine-li thig bittet —— mitlachen zu dürfen — wenn es nämlich etwas zu lachen giebt. Aber, man kann auch sehr ernst und sehr ruhig sein aus dem Theater Olymp, und ich glaube, daß die Verfas set und vor allen Dingen die Darsteller manchmal mit der Aufmerksamkeit ih res ,,höher sitzenden« Publikums mehr zufrieden sein können, als mit der des im Leben »h"oher stehenden« im Par quet und in den Logenz denn wahre Kunftbegeifterung erfüllt zum größten Theile diese Besucher der Gallerie. sn den Pausen wird kritisirt, ton oer trt und —- auch ein wenig medisirt —- »tout comme chez nous« wiirde die elegante Dame des ersten Ranges er staunt sagen, wenn sie einmal Zeugin einer solchen Unterhaltung sein könnte. Und dann ist das Stiia zu Ende. Man hilft sich gegenseitig, die Sa chen anzulegen, drückt sich die Hand und freut sich schon auf das Wiedersehen zur nächsten Vorstellung; und sollte man verhindert sein« nun so schickt man eben einen guten Bekannten, und man weiß, daß er freundlich aufgenommen wird tn der Zahl der »Olympier«. Es war wieder ’mal sehr schön, denkt ein Jeder und kostet — Summa Summarum inklustve Jheaterzettel — 75 Pfennige. i i I i « Vorhang in die Höhe geht. I nen, griff ich in die Tasche, um einTuch » ; hervorzuziehen. " 7 Hand nicht recht in die Tasche hinein, « schlagend, meine neun Geldstücke in das Eine Vorstellung im Opernhaus von Wagners» TannhäuserC Jn höchster Eile rase ich zwei Minu- f ten vor Beginn des ersten Attes die I Treppen zum vierten Rang empor, zu l dem ich durch besonderen Glückszufall ein Billet ,,ergattert« habe —- sogar T erste Reihe! . Schnell sordere ich einen Theaterzet- . tel, zahle mit einem Martstüct (natür- I lich habe ich keine Zehnpfennigstücke) und lass- mir in größter Ungeduld von « dem Diener neun einzelne Groschen — i ausgerechnet denke ich — in die Hand ! zählen. I Gerade habe ich noch Zeit, mich auf l meinem Platz-.- niederzulasseu, als der Leise lasse ich die Geldstücke in meine Tasche gleiten. Jn der Pause werde ich sie ins Porternonnaie thun, überlege ich noch, dann lausche ich in höchster Andacht den Tönen, die von der Büh ne zu mir heraufschallen. Jn der Pause denke ich natürlich in - meiner Begeisterung mit keiner Silbe an den schnöden Mammon, und das hätte ja auch weiter nichts geschadet, wenn ich —--- o, mich schaudert jeyt noch, wenn ich daran denke! Der sündige Tannhäuser lag ver nichtet vor den Stufen des Thrones, Elisabeth sang ihre Bitte für den Be thörten innig und den Zuhörer bis ins innerfte Herz erschütternd. Alles lauschte mit Rührung und in athemlo- " set Stille. Auch mich hatte die Szene und der Gesang wunderbar ergriffen, und — um eine Thräne der Rührung zu trock Jch kam mit der behandschuhten zerrte ein Weilchen leise hin und her und zog endlich mit einem energischen . Schwunge bei einem Zipfel das nütz liche Reguisit aller weichmüthigen See len hervor. Aber — was war das? Wie gelähmt saß ich auf meinem Platze, entsetzt in die Tiefe starrend. Jn weitem Bogen flogen klimpernd und klappernd, auf jedem Absatz auf Parquet und die unteren Nänge, so daß alle Köpfe herumflogen und —- die Blicke Aller, strafend, spottend und la chend auf mich gerichtet waren. Man denke nur meine Situation! Jn diese nur durch die klare, schöne Singstimme unterbrochene andachts volle Stille das Geklingel von — — ach — es war in die Erde zu sinken! si· III Ist «- « ·.. .. -.· - . «. . - Kollegin und ich, mit freudig pochen ·’elucy Wort Amor Ideen ourchaug nicht nur auf den Theaterplätzen eine » Rolle, von denen wir in unserer Ber- I mögenslosigteit leider sagen müssen:? »Sie gefallen uns nicht!« O, neinJ im Gegenthei!. ( Auch dieses Kapitel will ich daher in meine Plauderei einfügen. Eines Abends begaben wir uns, eine dem Herzen zu Kroll in die Sommer oper, um d’Andrade. den Sänger von Gottes Gnaden, in seiner Glanzrolle als »Don Juan« zu hören! Wir stie gen heute nicht bis in die höchsten Hö hen, Gott bewahre! Wir hatten Par quet-Billetg — natürlich! wie wir in unschuldiger Renommage erzählten. Daß wir dabei ,,zufiillig« das Wört chen »Sieh« vorher vergaßeu —-— wer wollte uns deshalb verdammen! Aber es war leider so, wir hatten »Steh-Parquett«, und ich dente, wer diese Situation einmal durchgekostet hat, wird mir Recht geben, daß schon ein gut Theil Begeisterung dazu gehört, um darin auszuharren Und wir harrten aus-, obgleich eQJ uns furchtbar ichwer fiel. Eingeteilt in drangvoll fiirchterlicher Enge stan den wir und lauschten (sehen konnten « wir fast gar Nichts-) und seufzten« manchmal ein Bischem wenn wir daran dachten, wie andere es- so gut hatten, im wirklichen Parncet zu sitzen. Besonders meine lleine Kollegin schien es bald gar nicht mehr aushalten zu können und machte ein gar tläglicheo Gesicht. Da wandte sich plötzlich ein seitwärts von ihr stehender, außergewöhnlich groß und stattlich aussehender Herr zu ihr, dessen Blicke fie schon öfter forschend gestreift hatten, und in höflichem und zugleich gutmüthigem Tone bot er ihr seinen Platz, der allerdings bedeutend besser war, da er sich dicht bei den Sitzreihen des Parguets befand, an. Die Kleine wurde glühend roth, nahm aber das Anerbieten dantend an und schien sich von nun an ganz vorzüg lich aus ihrem Platze zu gefallen, we nigstens wandte sie ein paar-mal mit ganz glücklichem Lächeln den Kon nach mir um, wobei dann allerdings der höfliche Ritter auch wohl stets einen freundlichen Blick erhielt. Jn der Pause fragte uns der Riese in verbindlichster Weise, ob er uns nicht ein wenig in den Garten führen dürfe, »da die Damen ja doch die entsetzliche Hitze jedenfalls gar nicht mehr aushal ten tönnten«. D. h. er wandte sich ei gentlich nur an meine Begleiterin und f schien die Anwendung des Plurals als ; ein sehr lästiges, aber nicht wegzuleug- j nendes Uebel zu betrachten. Jch wollte : eigentlich ganz turzweg »nein« sagen; aber ein Blick in das flehende Gesicht- « chen da vor mir ließ mich das Wort unterdrücken, und ich machte daher nur den Einwand: »Wir werden unsere mühsam errungenen Pläne verlieren.« Oh —- dafiir lassen Sie mich nur sorgen, »lächelte der große Mann bei- » nahe mit Protettormiene, die verschaf- s « - L se ich Jhnen schon wieder, und damit schritt er schon mit meiner Kollegin voran, und es blieb mir nun nichts weiter übrig, als mich ihnen anzu schließen. Ich ärgerte mich ganz tüchtig über die Kleine, denn ich liebe derartige An knüpfungen durchaus nicht, und nahm mir vor, ihr beim Nachhausegehen or dentlich die Leviten zu ..--lesen; aber — Fräulein Anstand denkt ,——· und Gott Amor lenlt! Denn nachdem unser neuer Kavalier uns kurz vor Beginn des letz ten Attes in der That ein Paar ganz passable Plätze wieder verschafft hatte, auch nach Schluß der Oper gar eifrig für unsere Garderobe sich besorgt ge zeigt hatte, bat er in der höflichsten Weise, indem er zugleich seinen Namen, Otto Bordersen, nannte, die Damen nach Hause begleiten zu dürfen. Jch dankte kurz mit der Begründung, - daß ich sofort hier den Omnibus be stiege; aber meine sonst so schüchterne . Kleine schien heute ganz ausgewechselt zu sein. Sie sagte, sogar mit einem kleinen Anflug Von Trotz in der Stim me, obgleich sie dabei scheu meinen Blick vermied: »Für mich ist der Weg zu kurz zum Fuhren —- ich laufe.« « »Nun, dann wünsche ich Jhnen einen guten Heimweg«, sagte ich nicht ohne Spott, nickte ihr ziemlich kurz zu, neigte den Kopf ein ganz tlein wenig gegen Herrn Otto Bordersen und —- stieg stolz wie eine Königin in meinen Om nibus, der mich bald dem Pärchen aus den Augen brachte. Ob dasselbe mir wohl nachweinte? Am andern Morgen kam Ella Riehl, meine Begleiterin vom vorigen Abend, mit dunkelgeröthetem Antlitz und Thränen in den Augen an mein Pult gefchlichten. »Ach, liebes Fräulein,« begann sie schüchtern, ,,bitte, bitte, bitte, denken Sie nicht schlecht von mir; aber —— aber —— (und nun liefen die Thränen nur so die Wangen herunter) ich konnte doch nicht anders — und —- er sah doch so —- gut aus und sprach so treu und ehr lich! Er ist Jngenieur, wie er mir er zählt hat —— und Sonntag will er sich den Eltern vorstellen -— ach, Fräulein, liebes Fräulein, ist es denn gar so schrecklich, was ich gethan habe?« Jch hatte der Erzählung der Aufge regten mit gemischten Empfindungen gelauscht, sagte aber jetzt, ihr freundlich über das heiße Gesicht streichend: »Ich denke ganz gewiß nicht schlecht von Ihnen, Kleine, und wenn dieser Herr Borderfen wirklich ein so braver Mann ist, wie Sie ihn schildern, und er seinem Aussehen nach auch zu sein scheint, so tann ich Jhnen nur von Her zen gratuliren, und Sie werden gewiß einmal recht glücklich werden« Und damit küßte ich sie herzlich. Jhre Hoffnungen haben sich alle er füllt· Der Jngenieur und Ella Riehl sind ein strahlend glückliches Brautpaar ge worden, und jetzt gerade vor einem Jahre habe ich aus ihrer Hochzeit ge tanzt, zu welcher ich ihnen ein schwang hastes Poem über ihr erstes Bekannt werden i- mciner Gesellschaft im ,,Steh-Parquet« gesliftet habe. If sit di Auch mir wäre es einmal wahr scheinlich wohl ebenso gut geworden, wenn es nicht schließlich au meinem Stolz und meiner abweisenden Kälte doch wieder gescheitert wäre. Es war in der ,,Urania« und natür lich auch wieder auf dem höchsten Olymp. Da saß ich neben einem gut und treu aussehenden Mann, der, wenn auch nicht von bestechlichem Aeußeren, so doch in seiner ganzen Persönlichteit et was ungemein Sympathisches hatte. Jch sah es nicht und fiihlte doch, daß sein Blick während des Vortrages wie der und immer wieder über mich hin streifte, und daß sein Auge suchte, dem meinigen zu begegnen. Mir wurde heiß und verwirrt bei seinem An schauen, und doch empfand ich es nicht als etwas Unangenelimes, Aufdringli ches, sondern es zuckte beinahe wie ein Glücksgefiihl durch mein Jnneres. Und doch wandte ich ihm nicht ein einziges Mal das Gesicht zu — ich hätte es nicht gekonnt, und wenn mein Leben davon abgehangen hätte. Und in der Pause redete er mich an. Schlicht und mit ruhigem Ernst sprach er von dem Theater, dem Vor trag und dem Interesse, welches er ge rade diesem Institut entgegenbringe, und endlich stellte er sich auch vor: »Ernst Rüdiger, Architekt.« Jch antwortete ihm, höflich zwar, aber sehr zurückhaltend, und wollte mich nach Schluß der Vorstellung mit kurzem Gruße schnell entfernen, als er, das männliche Gesicht von einer schnel len Röthe bedeckt, mit leiser Stimme bat, ob er mich nicht begleiten dürfe. Jch hätte ein tiefes Jnteresse in ihm erweckt, fügte er schnell hinzu, als ich eine abwehrende Bewegung mit der Hand machte, und er hätte mich schon unten am Billetschalter bemerkt und deshalb denselben Platz wie ich genom men. Ob ich ihn deshalb ziirne? Selunvenlang wogte ein schwerer Kampf in mir. Jch hätte ihm herzlich die Hand entgegenstrecken mögen und sagen: »Auch ich fühle mich zu Jhnen hingezogen-« Aber mein Stolz und das felsenfest in mir wurzelnde Prin zip, keinem Unbekannten irgend eine Annäherung zu gestatten, gewannen die Oberhand. und mit einer kurzen und herben Abweisung entfernte ich mich. Ich sah noch den traurigen Blick sei ner Augen hörte noch sein schmerzli ches: »So leben Sie wohl, mein gnädi ges Fräulein und verzeihen Sie mir«, und dann stand ich in der Garderobe und legte mit zitternden Händen meine Kleider an Fast mechanisch lenkte ich meine Schritte dem Ausgange zu I Den dunklen Männetkops, mit den l klugen Augen sah ich nicht mehr, er mochte wohl warten bis ich mich ent fernt haben würde. Jch habe ihn auch nie wieder gesehen! I Und doch verläßt mich die Erinne- « rung an jene Stunde nicht. Stets sehe ich den traurigen Blick, mit dem er mich E beim Abschied ansah, vor mir, immer i höre ich den schmerzlichen Klang seiner ; letzten Worte in meinen Ohren. ... ..- -——.--...— « Tag Eltelsind kais-. I «—— I l Eine Geschichte von Peter RoseggerJ ; weilen sie sich daheim natürlich als »ge mischte Waarenhandlung« auf den Die Dorfleute schelten sich bei guter Laune selbst gerne ,,Krämer«. Das ver- ; tragen sie ganz gut. Wenn sie aber ge legentlich ein anderer so nennt, das ver- i tragen sie nicht. Und sie haben recht. i Sie zahlen Steuer als Kaufmann und gehören wohl auch zur Handelskammer. I Also —— wenn sie sich selber ,,Krämer« I nennen, so ist das Bescheidenheit, und E wenn sie andere so nennen, so ist das Unverschämtheit. Manche von ihnen I reisen jährlich mehrmals in die Stadt, l um Großeinkäufe zu machen. Hier neh- ! men sie einen Sack Reis, dort ein Kistel « Zibeben, da ein Fäßlein Kaffee, hier drei Zuckerhiite, dort eine ganze Schach tel mit Zwirn und Bändchen, da etliche Buch Kanzleipapier u. s. w. Jawohll Da sind sie ganz Großkaufmann, die I c I l l «. Kleinverschleiß verlegen müssen. Aber das macht nichts. So hatten sie alle an gefangen, auch jene Handelsherrn, die später in Großstädten ihre riesigen Waarenhäuser, in den Häer ihre Docks und auf den Meeren ihre Schiffe haben. « Der Gustel von Oberbach will’s ja auch noch so weit bringen, das heißt, er selber ist mit der Krämerei zu Ober- ; bach vollauf zufrieden, aber sein Sohn einmal, wenn er Glück hat —! Der Gustel sitzt mit seinem Oberbach in ei nem Landwinkel, in welchen bisher noch keine Eisenbahn hingefunden hat. Und : sc« ist der Gustel noch einer von denen, die mit ihrer Kraxe über Berg und Thal gehen, um in der Stadt die Groß emtäufe zu machen. Dort wußte er gute Quellen. Jm Denken und Reden war er sonst etwas schwerfällig und nicht de: ; Geschickteste, aber was das Geschäft be- « traf, da stellte er seinen Mann, und . sein Handel breitete sich aus über un terschiedliche ,,Bkanschen«. So pflegte i er auch die ,,Bransch« der Sämereien. I Jn einer Vorstadt war ein Gärtner —- f der, wenn man auf dem Schloßberge l l t stand — ganz gewaltig hereinfunkelte. Das heißt, der Gärtner selber funkelte i:icht, auch die Augen seines Töchter leins konnte man ganz so weit nicht funkeln sehen, aber die Glashäuser funkelten, in denen der Gärtner seineI Tropenwelt hatte. Also dort fand sih j der Gustel öfter ein mit seiner Kraxe, um Samen zu kaufen für die fruchtbare Gartenerde zu Oberbach. Und wenn der Gärtner manchmal nicht zu wege ; war, so ging er mit der Mitze so zwi- s schen den Beeten hin, und bewunderte s I l die üppigen Kohlkäpfe und die leuchten den Theerosen und die Kakteen hinter » den Glaswänden und die —. Es kann s nicht mehr länger verschwiegen werden« ! daß der Gustel ein hübscher jung-Ort Mann war und daß die Mitze bisweilen j eine rothe Nelke pflückte, um sie ihm H in’s Knopfloch zu stecken. Sehen Sie, j liebe Leserin, und auch diese Nelken be- « wunderte er. Und wenn erSalatsamen, I Kleesamen, Riibsamen gekauft hatte, i gab ihm vie Mitze ais Draufgabe noch Z ein volles Dütchen mit, da war der j ,.Allerlei : Blümel - Samen« drin. Er E möchte ihn nur einmal säen in seinem ; Garten zu Oberbach dann würde er « schon sehen, was oa hervorkäme! I Und hernach im Frühsommer, als al- ; les im wilden Prangen war im Gebirge, ; was kam hervor aus dem Samen, den I der Guftel in einer Ecke feines kleinen . Hausgartens eingehegt hatte? Lauteri blaue Vergißmeinnichte und brennend s rothe Herzlieberln! —- Na, das hat den » Gustel nicht schlecht nachdenklich ge- i macht. —- Und als er dann wieder in J der Stadt war und wieder in der fun- l kelnden Gärtnerei, da kam ihm die Mitze noch viel liebenswürdiger entge gen und fragte, was denn aus ihremf Samen gewachsen wäre? —- Ob die E Mitze hübsch war? Jch bitte Sie! Ein » Gärtnerstöchterlein, das immer mit Blumen und Rosen zu thun hat, und nicht hübsch sein! Die beiden gingen I Arm in Arm und saßen in der Laube, und der Gustel fragte sie, was sie meine, ob nicht das Wetter-Umschlagen würde. Seine Meinung wäre, daß es regnen solle, auf der Straße habe es schon ei nen abscheulichen Staub. Ob es in Oberbach auch ftaubig wäre ? Es wäre auch in Oberbach staubig· Sie gedenke einmal nach Obekbach zu kommen, um zu sehen, wie er lebe. Das wäre schön. Sie wollte ihm schon auf den Garten schauen. Ja, man glaube nicht, was selbst ein Kohlgarten für Arbeit brauche. So eine eigene Wirthschaft zu haben, das wäre ihre größte Freude. Sie mache sich schon auch Sorgen. Wenn’s halt wieder einmal regnen . thätr. —- ’ W Weiter kamen sie nicht. » Jm darauffolgenden Herbste erhie:t der Gustel in Oberbach einen Korb Pfirsiche »von einer guten Freundin«, wie es auf beiliegendem Zettel hieß.« Zu Neujahr kam ein Brief, in welchem sich ein nacktes Kindlein befand. Das Chrifttind konnte mit diesem Bild kaum gemeint sein, weil das Kindlein einen Bogen und einen Pfeil hatte. Der Gustel wußte nicht recht, was er sich davon denken sollte, versteckte aber den Brief, daß ihn Niemand sehen konnte. « Jm selbigen Nachwinter kam der Gustel wieder einmal in die Stadt. Der Gefchäftsfreund, bei dem erZwirn, Bänder und rathe Strickwolle einkaufte, hieß ihn niedersitzem und dieweilen er ihm fiir den Korb das Paket zusammen machte, legte er gelinde die Frage hin : »Brauchen Sie heuer nicht wieder Gar tensamen ?« ,,Wird eh sein, daß ich wieder einen brauche,« antwortete der GusteL »Ich glaube —« sagte der Kauf mann« dann hielt er ein und guckte den sLandkrämer fchalkhaft an. »Mich diiucht, Sie werden ohnehin schon wie der erwartet draußen in der Gärtne re1.« »So ! Hat er heuer besonders guten Samen ?« »Ich denk’ schon. — Gut ist’s, da haben Sie Jhre Sachen.« Damit warf er das Paket in den Korb und setzte sich zu seinem Kunden, zu dem mittlerweile auch eine Flasche Wein gekommen war. Er schenkte zwei Gläser voll· ,,Leben sollen’s, Herr Guftel !« ,,Ebensoviel l« Sie stießen an und tranken. »Ah, der Wein ist aber gut,« sagte der Gustel. - »Wollten Sie mich nicht einmal mit gehen lassen hinaus zum Gärtner ?« »Warum denn nicht,« sagte der Gu stel.· »Der Weg ist breit genug für all zwe1.« »Vielleicht könnt’ ich mir einen Pelz verdienen. Wär’ mir nicht zu wider, jetzt im Winter.« »Einen Pelz kann man recht gut vertragen,« antwortete der Guftel. »Herr Guftel«, sagte der Kauf mann und legte ihm die Hand recht freundlich auf die Achsel: »Vor mir brauchen Sie sich nicht zu verstellen. Jch weiß ja schon Von der Sache. « Ich sage Jhnen das Eine, Sie haben bloß zuzuqrecsenj »Ich? Wo?« »Das Mädcl gefällt Jhnen doch!« »Die Mitzr. Ein liebes Mädel ist’s. ich sag’s gleich, wie ich mir’s denke.« ,,Also machen Sie Ernst.« »Mit der Mitze, meinen Sie ?" fragte der Gustel, nicht wenig ver wirrt. »Das wird halt doch nicht gehen-« « »Wieso nicht gehen? Bis über die Ohren verliebt ist das Mädel in Sie. Und die Alten sagen·: Jn Gottes namen. Verlassen Sie sich auf mich. Und kriegen ein vaar Tausend Gul den mit auf die Hand. Nicht zu ver achten — was?« ,,Wohl wahr, nicht zu verachten,« gab der Gustel bei. »Nun sehen Sie. Und fleißig ist das Mädel auch. Den ganzen Tag auf den Füßen und laufen wie ein Wiesel, im Haus, im Garten, überall, wo’s noth thut; Das wird eine Mu ster-Hausfrau Sie können keine bes sere kriegen.« Der Gustel kratzt sich hinter den Ohren, im aschfalben Haar, und meinte: »Es ist halt so eine Sach’! Es wird nicht gehen. Es wird nicht gehen.« »Sie glauben, daß sich das Mädel nicht aus das Land wird schicken kön nen. Ob. ich saae Ihnen, die schickt sich in Alles. Die wird Ihnen das Haus und das Geschäft gerade so gut versorgen, wie den Ga rten.« Der Gustel trank einmal, wischte sich mit dem Aermel die Lippen ab und sagte: »Ich glaub’s ja, ich glaub’s ja. Aber — es ist halt ein Ehehinderiiifz.« »Ja --— ist sie Ihnen etwa Muts verwandt?« »Na, das glaub’ ich nicht. Aber, wissen Sie, Herr Grammel«, er unter brach sich und trank, und stellte das Glas wieder hin Und wischte sich die Lippen diesmal mit der Rückseite der Hand ab, ,,wissen Sie, ich bin halt schon seit drei Jahren verheirathet « —-.0. G u t I g e T a g e. (Von Franz Evers.) Die Wasser quellen am Grunde, Der Thauwind weht so weich Und singt mit leisem Munde Vom brausenden Frühlinggreich, Und die alten Bäume regen Sich in der feuchten Luft, Sie träumen vom Sonnenregen Und jungem Bliithendust Helle Kinderstiiiunen steigen Aus den Gärten so sangesfrohx Die Stare in den Zweigen Pseifen jubilo —-— Und du kannst irn Abendgrauen, Wenn die Tage still vergehn An den Wegen und aus den Auen Leise Engel wandeln seh’n. Ein kleines Mißverständ n t ß. »Mir scheint, Jhrem Hunde ist nicht zu trauen?« »O, dem können Sie ruhig eine Briestasche mit dem Jnhalte von zehn tausend Dollars anvertrauen —- nicht ein Dollar wird Ihnen fehlen.n