Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 14, 1901, Sonntags-Blatt, Image 17

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    leg-L
- .
Ein Porträt aus der Schule von Grete
Lietzmanm O
Es ist große Pause. Jch throne ein
sam aus der Höhe meines Katheders. s
Vor mir gähnt der leere Klassenraum. !
Jetzt kommt es »trapp, trapp« durch
den langen, düstern Korridor, dröhnt .
aus den Steinslieszen —- und herein
stürmt die tleine Garbe. Zuletzt trabt
ein ganz kleiner, dürftiger blonderBur
sche herein: Riegel. Langsam, phleg·
matisch schlürst er dem letzten Platze,
seinem Stammsiy, zu
Jetzt läutet’s. Ein Ruck geht durch
die Klasse.
»Taseln —- vor!«
Bald schreibtAlles emsig. DieGris
sel trahen und quietschen, daß mir ein
Schauer nach dem anderen über den
Rücken läuft. Sonst herrscht heiliges
Schweigen.
Da erhebt sich Lehmann, der sich stets
zum Redner der Klasse ausschwingt,
wozu ihn mehr sein trastoolles Organ
alk- seine nicht gerade hervorragende
Intelligenz befähigt· Heute interpel
lirt er mich in einer durchaus persönli
chen Angelegenheit und mit Stentor
stimme donnert’s an mein Ohr:
»Friiuletn, haben Sie nich meine
Stullenbüchse jesehn?«
. »Nein, mein Junge; ist sie denn
fort?«
»Jawoll,'« briillt Lehmann, »un —
un —- Kietbusch hat se jenommen!«
Kietbusch erhebt sich und schleudert
ihm ein entrüstetes »Nee —- nicht!" ent
gegen; »Riegel hat se ja!«
Mein iorschender Blick wendet sich
Riegel zu, der stumm, aber um so ener
gischer sein semmelblondes Haupt schüt
telt. Er wälzt alleVerantwort 03 sür
den sraglichen Gegenstand auf Stiel
busch zurück, der in ein empörtes Ge
heul ausbricht.
Die Sache wird tomplizirt, alleGris
sel ruhen, siebenzig Augenpaare sehen
erwartungsvoll aus mich. Jch besteige
das Katheder. Die Angeklagten wer
den vor den Richterstuhl beordert. Met
busch’s Gebrüll verstummt, aber seine
thriinennassen Augen erheben Protest
gegen die schmähliche Anschuldigung.
Dieser Kinderblick überzeugt mich von
seiner moralischen Reinheit, und mein
anuisitorenauge fällt aus Riegel, der
sehr langsam die Stufe zum Katheder
emportlimmt.
Seine Blicke schweisen etwas unstiit
durch die Klasse und versuchen dann
trampshast mir Stand zu halten; seine
educkte, klägliche haltreng spricht laut
iir sein schlechtes Gewissen; aber mehr
als das überzeugt mich von seiner
Schuld ein untrügliches Zeichen: der
kleine Finger seiner rechten band ist
hoch erhoben, und dieser tleine bebt —
bebt!
»Nun, Riegel, warum hast Du Leh
manns Stullenbüchse genommen?"
.Jct hab' se überhaupt jarnich.«
«Wo hastDu sie denn gelassen?« sea
e ich unbeirrt weiter. »Wo hast Du
sie zu Haus hingelegt? aus den Stuhl
oder auf die Kommode?«
Erst sieht er mich sprachlos an; dann
kommt es stockend, widerwillig:
«Uss de Kommode liest se.«
Am nächsten Morgen erhielt Leh
mann seine Stullenbüchse —- und Rie
el eine Aussrischung des siebenten Ge
otes, an das sich von jenem Tage an
schmerzliche Erinnerunzen sür ihn knü
psen dürsten.
I —
.Und der liebe Gott sprach zu Abra
ham: Nimm Deinen Sohn Jsaat, den
Du lieb hast und —--— —- — —Riegel,
Du schläfst wohl? Was sprach der lie
be Gott zu Adraham?«
»Iräulein, ick fehle Montag. Vater
sagt, wir jehn nach ’nierita.« ·
»Was. Jhr geht nach tzlinerita?!«
Vor grenzenlosern Erstaunen vergesse
ich ganz, den Bengel für seine Unauf
mertsamteit zur Rechenschaft zu ziehen.
»Ja, Vater sagt, Sonntag machen
wir hin·«
Durch die Klasse geht ein Wigpern
und Raunen, offenbar haben die kleinen
Kerle schon eine Ahnung von Amerika,
eine dunkle Vorstellung von etwas Gro
ßun, Fernenr, Geheimnißvollem, Mär
chenhaftem tzllleMienen spannen sich;
Riegel steht im Brennpuntte des öf
fentlichen Interesses. Jsaal ist verges
sen, und da die Aufmerksamkeit, aus
welche ich unter diesen Umständen für
meine didlische Geschichte noch rechnen
darf, sehr fragwiirdig ist, beschließe ich,
der Sache gleich auf den Grund zu ge
en.
Ei entspinnt sich folgender Dialog
’ zwischen mir undRiegel, dessenAusfiih
rungen die Klasse athemlos lauscht.
»Alle nach Amerika geht Jhrl Wie
wollt Jhr denn da hintommen-«' frage
ich ganz erschrocken. «
»Na,« erklärt Riegel, «erst mit de Ei
senbahn —- un denn mit'n jroßes
Schiff, dat ist hundert Meilen lang, wie
Hi sanz sroszeö Saus-" «
r fund was wollt Jhr da in Ameri
a «
»Jeld verdienen!« sagte er latonisch,
und nach einer Pause fügte er erläu
ternd hinzu: »Da lieg« Jeld usf de
Sigaßz sagt Vater; un arbeeien —- is
n .«
Damit war sein Wissen aber auch er
schöpft; meine weiteren Fragen über die
Reisediipositionen der Familie Riegel
beantwortete er mit einem hilflosen Lä
cheln. Jch hatte auch genug gehört, um
zu bemerken, daß der Junge orientirt
war. augenscheinlich waren die Reise
pläne im Schooße der Familie enug
sam erörtert worden. Jchlieg also
»Vatern« sagen, er solle seinenSpröß
ling selber abmelden und ging dann zur
Tagesordnung über-.
Riegel’s blondes Köpfchen hatte sich
aber in den Augen seiner Kameraden
mit einem Nimbus geschmückt. Jn den
Pausen bildeten sich Gruppen um ihn,
und nach Schluß des Unterrichts wurde
er von der halben Klasse escortirt.
Als ich an dem Trupp vorbeikam,
schwirrlen mir ,,’merila« und das ,,jro
ße Schiff« um die Ohren.
Am nächsten Morgen saßle ich den
kühnen Amerilasahrer schon aus dem
Schulwege ab. Als er mich sah, wurde
er roth; scheu suchte er sich an den Häu
sern entlang zu drücken. Osfenbar
wollte er mir entschlüpfen.
Jch holte ihn rasch ein.
»Nun, Riegel, wann geht’s los?«
»Was denn?'« fragte er möglichst
harmlos.
»Na, Eure Amerilareise."
Er druckste eine ganze Weile an der
Antwort herum.
»Ach, Vater hat — ——— mir ja — —
; blos utzen wollen!«
i
i
!
»Also geht’5 nicht nach Amerika?"
»Nee, nach det jroße nich — — man
bloß nach eene Budile in de Landsber
ger Aller, die heeszt ooch ’merila!"
—- —---«0.-— ---—--——
Erlebnisse tm Olymp.
Von Margarethe Storm.
-...-..4——
Jch bin Buchhaiterin mit einem erst
in der Entwickelung begriffenen Gehalt,
gehöre also nicht zu den Beneidenswer
then, welche fiir Luxusausgaben stets
ein gefüllte-s Partemonnaie besitzen;
und doch habe ich auch das Verlangen
nach Genüssen, die eigentlich für mich,
meinem Geldbeutel nach, nicht da fein
dürften, wenigstens nicht aft.
Was soll ich thun?
Jch habe einen Ausweg gefunden,
wenigstens für die Besuche von Thea
tern u. s. w., fiir welche ich eine gerade
zu leidenschaftliche Vorliebe habe; ich
gehe einfach — auf den »Olymp«!
Das gieist die materiellen Kräfte
nicht zu sehr an, und schän ist's auch
für ein bescheidenes Gemüth, und Er
lebnisse hat man ,,da oben« auch genug,
heitere und ernste, und von beiden Ar
ten will ich hier einiges- plaudernt
Jch gehöre zur »Abonnementg-Gal
lerie« des Berliner Theaters-.
Großartig sieht und hört es sich dort-—
wirklich! Und gemüthlich ist es —
davon hat der Uneingeweihte gar tei
nen Begriff!
Sie kennen sich alle untereinander-,
diese Abonnenten der ,,obersten fünfzig
Sitzvliitze«, und man muß nicht etwa
annehmen, daß, es ungebildete Leute
sind, welche sich da zusammensinden.
Da haben wir zuerst eine ganze An
zahl· gleich mir im Erwerbsleben ste
hender junger Mädchen der besseren
Stände, dann junge Leute, aus den
Komptoiren u. s. w., und endlich einige
gute Bürgerfamilien, die mit ihren
Töchtern gleichsam inlognito diese
»Hähen« besuchen, weil »man die Stücke
doch gesehen haben muß« und die unte
ren Plätze bei häufigern Besuch doch zu
theuer werden würden.
Zehn Minuten vor Beginn der Vor
stellung sind die Olympier und Olym
pierinnen so ziemlich vollständig ver
sammelt, und ein lebhaftes Anstau
schen von Begrüszungen beginnt, wäh
reno allseitig die größte Fröhlichkeit
und Gemüthlichteit herrscht.
Befindet sich zufällig ein Fremder in
der Runde, welcher von einem der
Abonnenten das Billet übernommen
hat, so wird er zwar zuerst ein wenig
forschend gemusiert, dann aber freund
lich zurecht gewiesen, wo sein Platz ist,
wie er am Besten seine Garderobe un
terbringt u. s. w.: denn die Ueberklei
der geben diese Abonnenten grundsätz
lich nicht ab, das wäre ia die unge
heuerste Verschwendung
Jst der Gast neit, so wird er, ob
Dante oder Herr, bald ebenso lebhaft in
die Unterhaltung gezogen wie die
Stammgäste; ist er aber hochiniithig,
so wird er so lange konsequent »ge
schnitten«, bis er, was rneistek., rie
schieht, sich besonnsr hat und reine-li
thig bittet —— mitlachen zu dürfen —
wenn es nämlich etwas zu lachen giebt.
Aber, man kann auch sehr ernst und
sehr ruhig sein aus dem Theater
Olymp, und ich glaube, daß die Verfas
set und vor allen Dingen die Darsteller
manchmal mit der Aufmerksamkeit ih
res ,,höher sitzenden« Publikums mehr
zufrieden sein können, als mit der des
im Leben »h"oher stehenden« im Par
quet und in den Logenz denn wahre
Kunftbegeifterung erfüllt zum größten
Theile diese Besucher der Gallerie.
sn den Pausen wird kritisirt, ton
oer trt und —- auch ein wenig medisirt
—- »tout comme chez nous« wiirde die
elegante Dame des ersten Ranges er
staunt sagen, wenn sie einmal Zeugin
einer solchen Unterhaltung sein könnte.
Und dann ist das Stiia zu Ende.
Man hilft sich gegenseitig, die Sa
chen anzulegen, drückt sich die Hand und
freut sich schon auf das Wiedersehen
zur nächsten Vorstellung; und sollte
man verhindert sein« nun so schickt man
eben einen guten Bekannten, und man
weiß, daß er freundlich aufgenommen
wird tn der Zahl der »Olympier«.
Es war wieder ’mal sehr schön,
denkt ein Jeder und kostet — Summa
Summarum inklustve Jheaterzettel —
75 Pfennige.
i i I
i
« Vorhang in die Höhe geht.
I nen, griff ich in die Tasche, um einTuch »
; hervorzuziehen. "
7 Hand nicht recht in die Tasche hinein,
« schlagend, meine neun Geldstücke in das
Eine Vorstellung im Opernhaus von
Wagners» TannhäuserC
Jn höchster Eile rase ich zwei Minu- f
ten vor Beginn des ersten Attes die I
Treppen zum vierten Rang empor, zu l
dem ich durch besonderen Glückszufall
ein Billet ,,ergattert« habe —- sogar T
erste Reihe! .
Schnell sordere ich einen Theaterzet- .
tel, zahle mit einem Martstüct (natür- I
lich habe ich keine Zehnpfennigstücke)
und lass- mir in größter Ungeduld von «
dem Diener neun einzelne Groschen — i
ausgerechnet denke ich — in die Hand !
zählen. I
Gerade habe ich noch Zeit, mich auf l
meinem Platz-.- niederzulasseu, als der
Leise lasse ich die Geldstücke in meine
Tasche gleiten. Jn der Pause werde
ich sie ins Porternonnaie thun, überlege
ich noch, dann lausche ich in höchster
Andacht den Tönen, die von der Büh
ne zu mir heraufschallen.
Jn der Pause denke ich natürlich in -
meiner Begeisterung mit keiner Silbe
an den schnöden Mammon, und das
hätte ja auch weiter nichts geschadet,
wenn ich —--- o, mich schaudert jeyt noch,
wenn ich daran denke!
Der sündige Tannhäuser lag ver
nichtet vor den Stufen des Thrones,
Elisabeth sang ihre Bitte für den Be
thörten innig und den Zuhörer bis ins
innerfte Herz erschütternd. Alles
lauschte mit Rührung und in athemlo- "
set Stille.
Auch mich hatte die Szene und der
Gesang wunderbar ergriffen, und —
um eine Thräne der Rührung zu trock
Jch kam mit der behandschuhten
zerrte ein Weilchen leise hin und her und
zog endlich mit einem energischen .
Schwunge bei einem Zipfel das nütz
liche Reguisit aller weichmüthigen See
len hervor.
Aber — was war das?
Wie gelähmt saß ich auf meinem
Platze, entsetzt in die Tiefe starrend.
Jn weitem Bogen flogen klimpernd
und klappernd, auf jedem Absatz auf
Parquet und die unteren Nänge, so daß
alle Köpfe herumflogen und —- die
Blicke Aller, strafend, spottend und la
chend auf mich gerichtet waren.
Man denke nur meine Situation!
Jn diese nur durch die klare, schöne
Singstimme unterbrochene andachts
volle Stille das Geklingel von — —
ach — es war in die Erde zu sinken!
si· III Ist
«- « ·.. .. -.· - . «. . -
Kollegin und ich, mit freudig pochen
·’elucy Wort Amor Ideen ourchaug
nicht nur auf den Theaterplätzen eine »
Rolle, von denen wir in unserer Ber- I
mögenslosigteit leider sagen müssen:?
»Sie gefallen uns nicht!« O, neinJ
im Gegenthei!. (
Auch dieses Kapitel will ich daher in
meine Plauderei einfügen.
Eines Abends begaben wir uns, eine
dem Herzen zu Kroll in die Sommer
oper, um d’Andrade. den Sänger von
Gottes Gnaden, in seiner Glanzrolle
als »Don Juan« zu hören! Wir stie
gen heute nicht bis in die höchsten Hö
hen, Gott bewahre! Wir hatten Par
quet-Billetg — natürlich! wie wir in
unschuldiger Renommage erzählten.
Daß wir dabei ,,zufiillig« das Wört
chen »Sieh« vorher vergaßeu —-— wer
wollte uns deshalb verdammen!
Aber es war leider so, wir hatten
»Steh-Parquett«, und ich dente, wer
diese Situation einmal durchgekostet
hat, wird mir Recht geben, daß schon
ein gut Theil Begeisterung dazu gehört,
um darin auszuharren
Und wir harrten aus-, obgleich eQJ
uns furchtbar ichwer fiel. Eingeteilt
in drangvoll fiirchterlicher Enge stan
den wir und lauschten (sehen konnten «
wir fast gar Nichts-) und seufzten«
manchmal ein Bischem wenn wir daran
dachten, wie andere es- so gut hatten, im
wirklichen Parncet zu sitzen.
Besonders meine lleine Kollegin
schien es bald gar nicht mehr aushalten
zu können und machte ein gar tläglicheo
Gesicht.
Da wandte sich plötzlich ein seitwärts
von ihr stehender, außergewöhnlich
groß und stattlich aussehender Herr zu
ihr, dessen Blicke fie schon öfter forschend
gestreift hatten, und in höflichem und
zugleich gutmüthigem Tone bot er ihr
seinen Platz, der allerdings bedeutend
besser war, da er sich dicht bei den
Sitzreihen des Parguets befand, an.
Die Kleine wurde glühend roth,
nahm aber das Anerbieten dantend an
und schien sich von nun an ganz vorzüg
lich aus ihrem Platze zu gefallen, we
nigstens wandte sie ein paar-mal mit
ganz glücklichem Lächeln den Kon nach
mir um, wobei dann allerdings der
höfliche Ritter auch wohl stets einen
freundlichen Blick erhielt.
Jn der Pause fragte uns der Riese
in verbindlichster Weise, ob er uns nicht
ein wenig in den Garten führen dürfe,
»da die Damen ja doch die entsetzliche
Hitze jedenfalls gar nicht mehr aushal
ten tönnten«. D. h. er wandte sich ei
gentlich nur an meine Begleiterin und f
schien die Anwendung des Plurals als ;
ein sehr lästiges, aber nicht wegzuleug- j
nendes Uebel zu betrachten. Jch wollte :
eigentlich ganz turzweg »nein« sagen;
aber ein Blick in das flehende Gesicht- «
chen da vor mir ließ mich das Wort
unterdrücken, und ich machte daher nur
den Einwand: »Wir werden unsere
mühsam errungenen Pläne verlieren.«
Oh —- dafiir lassen Sie mich nur
sorgen, »lächelte der große Mann bei- »
nahe mit Protettormiene, die verschaf- s
« - L
se ich Jhnen schon wieder, und damit
schritt er schon mit meiner Kollegin
voran, und es blieb mir nun nichts
weiter übrig, als mich ihnen anzu
schließen.
Ich ärgerte mich ganz tüchtig über
die Kleine, denn ich liebe derartige An
knüpfungen durchaus nicht, und nahm
mir vor, ihr beim Nachhausegehen or
dentlich die Leviten zu ..--lesen; aber —
Fräulein Anstand denkt ,——· und Gott
Amor lenlt! Denn nachdem unser neuer
Kavalier uns kurz vor Beginn des letz
ten Attes in der That ein Paar ganz
passable Plätze wieder verschafft hatte,
auch nach Schluß der Oper gar eifrig
für unsere Garderobe sich besorgt ge
zeigt hatte, bat er in der höflichsten
Weise, indem er zugleich seinen Namen,
Otto Bordersen, nannte, die Damen
nach Hause begleiten zu dürfen.
Jch dankte kurz mit der Begründung, -
daß ich sofort hier den Omnibus be
stiege; aber meine sonst so schüchterne .
Kleine schien heute ganz ausgewechselt
zu sein. Sie sagte, sogar mit einem
kleinen Anflug Von Trotz in der Stim
me, obgleich sie dabei scheu meinen Blick
vermied: »Für mich ist der Weg zu
kurz zum Fuhren —- ich laufe.«
« »Nun, dann wünsche ich Jhnen einen
guten Heimweg«, sagte ich nicht ohne
Spott, nickte ihr ziemlich kurz zu, neigte
den Kopf ein ganz tlein wenig gegen
Herrn Otto Bordersen und —- stieg
stolz wie eine Königin in meinen Om
nibus, der mich bald dem Pärchen aus
den Augen brachte.
Ob dasselbe mir wohl nachweinte?
Am andern Morgen kam Ella Riehl,
meine Begleiterin vom vorigen Abend,
mit dunkelgeröthetem Antlitz und
Thränen in den Augen an mein Pult
gefchlichten.
»Ach, liebes Fräulein,« begann sie
schüchtern, ,,bitte, bitte, bitte, denken
Sie nicht schlecht von mir; aber —— aber
—— (und nun liefen die Thränen nur so
die Wangen herunter) ich konnte doch
nicht anders — und —- er sah doch so
—- gut aus und sprach so treu und ehr
lich! Er ist Jngenieur, wie er mir er
zählt hat —— und Sonntag will er sich
den Eltern vorstellen -— ach, Fräulein,
liebes Fräulein, ist es denn gar so
schrecklich, was ich gethan habe?«
Jch hatte der Erzählung der Aufge
regten mit gemischten Empfindungen
gelauscht, sagte aber jetzt, ihr freundlich
über das heiße Gesicht streichend:
»Ich denke ganz gewiß nicht schlecht
von Ihnen, Kleine, und wenn dieser
Herr Borderfen wirklich ein so braver
Mann ist, wie Sie ihn schildern, und er
seinem Aussehen nach auch zu sein
scheint, so tann ich Jhnen nur von Her
zen gratuliren, und Sie werden gewiß
einmal recht glücklich werden«
Und damit küßte ich sie herzlich.
Jhre Hoffnungen haben sich alle er
füllt·
Der Jngenieur und Ella Riehl sind
ein strahlend glückliches Brautpaar ge
worden, und jetzt gerade vor einem
Jahre habe ich aus ihrer Hochzeit ge
tanzt, zu welcher ich ihnen ein schwang
hastes Poem über ihr erstes Bekannt
werden i- mciner Gesellschaft im
,,Steh-Parquet« gesliftet habe.
If sit di
Auch mir wäre es einmal wahr
scheinlich wohl ebenso gut geworden,
wenn es nicht schließlich au meinem
Stolz und meiner abweisenden Kälte
doch wieder gescheitert wäre.
Es war in der ,,Urania« und natür
lich auch wieder auf dem höchsten
Olymp.
Da saß ich neben einem gut und treu
aussehenden Mann, der, wenn auch
nicht von bestechlichem Aeußeren, so
doch in seiner ganzen Persönlichteit et
was ungemein Sympathisches hatte.
Jch sah es nicht und fiihlte doch, daß
sein Blick während des Vortrages wie
der und immer wieder über mich hin
streifte, und daß sein Auge suchte, dem
meinigen zu begegnen. Mir wurde
heiß und verwirrt bei seinem An
schauen, und doch empfand ich es nicht
als etwas Unangenelimes, Aufdringli
ches, sondern es zuckte beinahe wie ein
Glücksgefiihl durch mein Jnneres. Und
doch wandte ich ihm nicht ein einziges
Mal das Gesicht zu — ich hätte es nicht
gekonnt, und wenn mein Leben davon
abgehangen hätte.
Und in der Pause redete er mich an.
Schlicht und mit ruhigem Ernst
sprach er von dem Theater, dem Vor
trag und dem Interesse, welches er ge
rade diesem Institut entgegenbringe,
und endlich stellte er sich auch vor:
»Ernst Rüdiger, Architekt.«
Jch antwortete ihm, höflich zwar,
aber sehr zurückhaltend, und wollte
mich nach Schluß der Vorstellung mit
kurzem Gruße schnell entfernen, als er,
das männliche Gesicht von einer schnel
len Röthe bedeckt, mit leiser Stimme
bat, ob er mich nicht begleiten dürfe.
Jch hätte ein tiefes Jnteresse in ihm
erweckt, fügte er schnell hinzu, als ich
eine abwehrende Bewegung mit der
Hand machte, und er hätte mich schon
unten am Billetschalter bemerkt und
deshalb denselben Platz wie ich genom
men. Ob ich ihn deshalb ziirne?
Selunvenlang wogte ein schwerer
Kampf in mir. Jch hätte ihm herzlich
die Hand entgegenstrecken mögen und
sagen: »Auch ich fühle mich zu Jhnen
hingezogen-« Aber mein Stolz und
das felsenfest in mir wurzelnde Prin
zip, keinem Unbekannten irgend eine
Annäherung zu gestatten, gewannen
die Oberhand. und mit einer kurzen
und herben Abweisung entfernte ich
mich.
Ich sah noch den traurigen Blick sei
ner Augen hörte noch sein schmerzli
ches: »So leben Sie wohl, mein gnädi
ges Fräulein und verzeihen Sie mir«,
und dann stand ich in der Garderobe
und legte mit zitternden Händen meine
Kleider an Fast mechanisch lenkte ich
meine Schritte dem Ausgange zu I
Den dunklen Männetkops, mit den l
klugen Augen sah ich nicht mehr, er
mochte wohl warten bis ich mich ent
fernt haben würde. Jch habe ihn auch
nie wieder gesehen! I
Und doch verläßt mich die Erinne- «
rung an jene Stunde nicht. Stets sehe
ich den traurigen Blick, mit dem er mich E
beim Abschied ansah, vor mir, immer i
höre ich den schmerzlichen Klang seiner ;
letzten Worte in meinen Ohren.
... ..- -——.--...— «
Tag Eltelsind kais-. I
«—— I
l
Eine Geschichte von Peter RoseggerJ
; weilen sie sich daheim natürlich als »ge
mischte Waarenhandlung« auf den
Die Dorfleute schelten sich bei guter
Laune selbst gerne ,,Krämer«. Das ver- ;
tragen sie ganz gut. Wenn sie aber ge
legentlich ein anderer so nennt, das ver- i
tragen sie nicht. Und sie haben recht. i
Sie zahlen Steuer als Kaufmann und
gehören wohl auch zur Handelskammer. I
Also —— wenn sie sich selber ,,Krämer« I
nennen, so ist das Bescheidenheit, und E
wenn sie andere so nennen, so ist das
Unverschämtheit. Manche von ihnen I
reisen jährlich mehrmals in die Stadt, l
um Großeinkäufe zu machen. Hier neh- !
men sie einen Sack Reis, dort ein Kistel «
Zibeben, da ein Fäßlein Kaffee, hier
drei Zuckerhiite, dort eine ganze Schach
tel mit Zwirn und Bändchen, da etliche
Buch Kanzleipapier u. s. w. Jawohll
Da sind sie ganz Großkaufmann, die
I
c
I
l
l
«.
Kleinverschleiß verlegen müssen. Aber
das macht nichts. So hatten sie alle an
gefangen, auch jene Handelsherrn, die
später in Großstädten ihre riesigen
Waarenhäuser, in den Häer ihre Docks
und auf den Meeren ihre Schiffe haben. «
Der Gustel von Oberbach will’s ja
auch noch so weit bringen, das heißt,
er selber ist mit der Krämerei zu Ober- ;
bach vollauf zufrieden, aber sein Sohn
einmal, wenn er Glück hat —! Der
Gustel sitzt mit seinem Oberbach in ei
nem Landwinkel, in welchen bisher noch
keine Eisenbahn hingefunden hat. Und :
sc« ist der Gustel noch einer von denen,
die mit ihrer Kraxe über Berg und
Thal gehen, um in der Stadt die Groß
emtäufe zu machen. Dort wußte er gute
Quellen. Jm Denken und Reden war
er sonst etwas schwerfällig und nicht de: ;
Geschickteste, aber was das Geschäft be- «
traf, da stellte er seinen Mann, und .
sein Handel breitete sich aus über un
terschiedliche ,,Bkanschen«. So pflegte i
er auch die ,,Bransch« der Sämereien. I
Jn einer Vorstadt war ein Gärtner —- f
der, wenn man auf dem Schloßberge l
l
t
stand — ganz gewaltig hereinfunkelte.
Das heißt, der Gärtner selber funkelte
i:icht, auch die Augen seines Töchter
leins konnte man ganz so weit nicht
funkeln sehen, aber die Glashäuser
funkelten, in denen der Gärtner seineI
Tropenwelt hatte. Also dort fand sih j
der Gustel öfter ein mit seiner Kraxe,
um Samen zu kaufen für die fruchtbare
Gartenerde zu Oberbach. Und wenn
der Gärtner manchmal nicht zu wege ;
war, so ging er mit der Mitze so zwi- s
schen den Beeten hin, und bewunderte s
I
l
die üppigen Kohlkäpfe und die leuchten
den Theerosen und die Kakteen hinter »
den Glaswänden und die —. Es kann s
nicht mehr länger verschwiegen werden« !
daß der Gustel ein hübscher jung-Ort
Mann war und daß die Mitze bisweilen j
eine rothe Nelke pflückte, um sie ihm H
in’s Knopfloch zu stecken. Sehen Sie, j
liebe Leserin, und auch diese Nelken be- «
wunderte er. Und wenn erSalatsamen, I
Kleesamen, Riibsamen gekauft hatte, i
gab ihm vie Mitze ais Draufgabe noch Z
ein volles Dütchen mit, da war der j
,.Allerlei : Blümel - Samen« drin. Er E
möchte ihn nur einmal säen in seinem ;
Garten zu Oberbach dann würde er «
schon sehen, was oa hervorkäme! I
Und hernach im Frühsommer, als al- ;
les im wilden Prangen war im Gebirge, ;
was kam hervor aus dem Samen, den I
der Guftel in einer Ecke feines kleinen .
Hausgartens eingehegt hatte? Lauteri
blaue Vergißmeinnichte und brennend s
rothe Herzlieberln! —- Na, das hat den »
Gustel nicht schlecht nachdenklich ge- i
macht. —- Und als er dann wieder in J
der Stadt war und wieder in der fun- l
kelnden Gärtnerei, da kam ihm die
Mitze noch viel liebenswürdiger entge
gen und fragte, was denn aus ihremf
Samen gewachsen wäre? —- Ob die E
Mitze hübsch war? Jch bitte Sie! Ein »
Gärtnerstöchterlein, das immer mit
Blumen und Rosen zu thun hat, und
nicht hübsch sein! Die beiden gingen I
Arm in Arm und saßen in der Laube,
und der Gustel fragte sie, was sie meine,
ob nicht das Wetter-Umschlagen würde.
Seine Meinung wäre, daß es regnen
solle, auf der Straße habe es schon ei
nen abscheulichen Staub.
Ob es in Oberbach auch ftaubig
wäre ?
Es wäre auch in Oberbach staubig·
Sie gedenke einmal nach Obekbach
zu kommen, um zu sehen, wie er lebe.
Das wäre schön.
Sie wollte ihm schon auf den Garten
schauen.
Ja, man glaube nicht, was selbst ein
Kohlgarten für Arbeit brauche.
So eine eigene Wirthschaft zu haben,
das wäre ihre größte Freude.
Sie mache sich schon auch Sorgen.
Wenn’s halt wieder einmal regnen
. thätr. —- ’
W
Weiter kamen sie nicht. »
Jm darauffolgenden Herbste erhie:t
der Gustel in Oberbach einen Korb
Pfirsiche »von einer guten Freundin«,
wie es auf beiliegendem Zettel hieß.« Zu
Neujahr kam ein Brief, in welchem sich
ein nacktes Kindlein befand. Das
Chrifttind konnte mit diesem Bild
kaum gemeint sein, weil das Kindlein
einen Bogen und einen Pfeil hatte.
Der Gustel wußte nicht recht, was er
sich davon denken sollte, versteckte aber
den Brief, daß ihn Niemand sehen
konnte. «
Jm selbigen Nachwinter kam der
Gustel wieder einmal in die Stadt.
Der Gefchäftsfreund, bei dem erZwirn,
Bänder und rathe Strickwolle einkaufte,
hieß ihn niedersitzem und dieweilen er
ihm fiir den Korb das Paket zusammen
machte, legte er gelinde die Frage hin :
»Brauchen Sie heuer nicht wieder Gar
tensamen ?«
,,Wird eh sein, daß ich wieder einen
brauche,« antwortete der GusteL
»Ich glaube —« sagte der Kauf
mann« dann hielt er ein und guckte den
sLandkrämer fchalkhaft an. »Mich
diiucht, Sie werden ohnehin schon wie
der erwartet draußen in der Gärtne
re1.«
»So ! Hat er heuer besonders guten
Samen ?«
»Ich denk’ schon. — Gut ist’s, da
haben Sie Jhre Sachen.« Damit warf
er das Paket in den Korb und setzte sich
zu seinem Kunden, zu dem mittlerweile
auch eine Flasche Wein gekommen war.
Er schenkte zwei Gläser voll·
,,Leben sollen’s, Herr Guftel !«
,,Ebensoviel l«
Sie stießen an und tranken.
»Ah, der Wein ist aber gut,« sagte
der Gustel. -
»Wollten Sie mich nicht einmal mit
gehen lassen hinaus zum Gärtner ?«
»Warum denn nicht,« sagte der Gu
stel.· »Der Weg ist breit genug für all
zwe1.«
»Vielleicht könnt’ ich mir einen
Pelz verdienen. Wär’ mir nicht zu
wider, jetzt im Winter.«
»Einen Pelz kann man recht gut
vertragen,« antwortete der Guftel.
»Herr Guftel«, sagte der Kauf
mann und legte ihm die Hand recht
freundlich auf die Achsel: »Vor mir
brauchen Sie sich nicht zu verstellen.
Jch weiß ja schon Von der Sache. « Ich
sage Jhnen das Eine, Sie haben bloß
zuzuqrecsenj
»Ich? Wo?«
»Das Mädcl gefällt Jhnen doch!«
»Die Mitzr. Ein liebes Mädel
ist’s. ich sag’s gleich, wie ich mir’s
denke.«
,,Also machen Sie Ernst.«
»Mit der Mitze, meinen Sie ?"
fragte der Gustel, nicht wenig ver
wirrt. »Das wird halt doch nicht
gehen-« «
»Wieso nicht gehen? Bis über die
Ohren verliebt ist das Mädel in Sie.
Und die Alten sagen·: Jn Gottes
namen. Verlassen Sie sich auf mich.
Und kriegen ein vaar Tausend Gul
den mit auf die Hand. Nicht zu ver
achten — was?«
,,Wohl wahr, nicht zu verachten,«
gab der Gustel bei.
»Nun sehen Sie. Und fleißig ist
das Mädel auch. Den ganzen Tag
auf den Füßen und laufen wie ein
Wiesel, im Haus, im Garten, überall,
wo’s noth thut; Das wird eine Mu
ster-Hausfrau Sie können keine bes
sere kriegen.«
Der Gustel kratzt sich hinter den
Ohren, im aschfalben Haar, und
meinte: »Es ist halt so eine Sach’!
Es wird nicht gehen. Es wird nicht
gehen.«
»Sie glauben, daß sich das Mädel
nicht aus das Land wird schicken kön
nen. Ob. ich saae Ihnen, die schickt
sich in Alles. Die wird Ihnen das
Haus und das Geschäft gerade so
gut versorgen, wie den Ga rten.«
Der Gustel trank einmal, wischte
sich mit dem Aermel die Lippen ab
und sagte: »Ich glaub’s ja, ich
glaub’s ja. Aber — es ist halt ein
Ehehinderiiifz.«
»Ja --— ist sie Ihnen etwa Muts
verwandt?«
»Na, das glaub’ ich nicht. Aber,
wissen Sie, Herr Grammel«, er unter
brach sich und trank, und stellte das
Glas wieder hin Und wischte sich die
Lippen diesmal mit der Rückseite der
Hand ab, ,,wissen Sie, ich bin halt
schon seit drei Jahren verheirathet «
—-.0.
G u t I g e T a g e.
(Von Franz Evers.)
Die Wasser quellen am Grunde,
Der Thauwind weht so weich
Und singt mit leisem Munde
Vom brausenden Frühlinggreich,
Und die alten Bäume regen
Sich in der feuchten Luft,
Sie träumen vom Sonnenregen
Und jungem Bliithendust
Helle Kinderstiiiunen steigen
Aus den Gärten so sangesfrohx
Die Stare in den Zweigen
Pseifen jubilo —-—
Und du kannst irn Abendgrauen,
Wenn die Tage still vergehn
An den Wegen und aus den Auen
Leise Engel wandeln seh’n.
Ein kleines Mißverständ
n t ß.
»Mir scheint, Jhrem Hunde ist nicht
zu trauen?«
»O, dem können Sie ruhig eine
Briestasche mit dem Jnhalte von zehn
tausend Dollars anvertrauen —- nicht
ein Dollar wird Ihnen fehlen.n