Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 17, 1901, Sonntags-Blatt, Image 18

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    is Dis-.
Jung-Fest
Imn fvon »Hant-Dochfeldt..
GMMUUU
»So sagte auch ich, alsich diese
Dinge hörte,« fuhr Bernhard ernst
fort. »Aber es gelang mir, untrügli
che Beweise zu erhalten. Gold machte
den Wucherer esprächig. er überließ
mir Briese des iirsten, wie seines On
kels, ans denen der Thatbestand klar
hervorging. — Und was das Falsch
spiel anbetrifst, so gelang es mir —«
»Genug! übergenug! — Jch mag
nichts mehr hören!·' rief der alte Graf
mitsstchtlichem Ekel die Hände abweh
rend bewegend, und rannte mit gro
ßen Schritten in tiefster Erregung aus
und ab. Dann trat er plötzlich auf den
Prinzen zu und ihm kräftig die Hand »
drückend, sagte er: »Ich danke Ihnen, ;
Prinz Bernhard, diese Mittheilung
hat Jhre Schuld mir gegenüber wieder
weit gemacht, Sie haben als wahrer
Freund meines auses gehandelt und
ihm eine neue chmach ferngehalten,
indem Sie diesen Schurken entlarv
ten, ehe es —- zu spät wars« —
,,Jch habe nur meine Schuldigleit
ethan, jeyt wie damals nach meinem
wissen, als ich Comtesse Hertha
Ihrem Befehle zum Trotz —«
»Bitte, rühren Sie daran nicht
mehr!« unterbrach ihn mit alter Hef
tigkeit der Gras
» ch füge michJhrem Wunsche,Herr
Gra ; wenn Sie aber glauben, daß
mein Handeln eines Dankes werth sei,
so bitte ich Sie, mir eine kurze Unter
redung mit der Conttesse gestatten zu
wollen« ..
«Mit Hertha?« Jetzt erst schien sich
der Graf ihrer wieder zu erinnern; er
wars einen finstern Blick auf sie, dann
sagte er kurz: »Meinetwegen! Aber ich
bitte, es kurz zu machen!«
Er reichte dem Prinzen die Hand
und wendete sich dern Schlosse zu. Der
Baronin befahl er: »Sie bleiben in der
Nähe und orgen dafür, daß heriha
sich gleich wieder in ihr Zimmer be
nicht«
»Aber wenn der Prinz wieder von s
jenem Menschen zu ihr spricht Z« wag
te sie leise zu erinnern. l
Der Graf zuckte die Achseln: »Ich
konnte ihm seine Bitte nicht abschla
gen, — ich bin ihm durch die Entlas
vung jenes Elenden zu tief verpflich
tet; im Uebrigen werde ich dafür schon
sorgen, daß diese Unterredung belang- (
los bleibt." Er ging jetzt rasch dem I
Schlosse zu.
Als der Reichsgraf das Schloß be
treten hatte, fragte er nach dein Für
sten Garri in; er erhielt die Meldung, s
daß dersel soeben zu Fuß durch eine E
Seitenpforte dasSchloß verlassen hät
te und zur nahen Bahnfiation gegan
gen wäre.
Prinz Bernhard war zu Hertha ge
tret-r
n. .
Die Entlarvung des Rassen und
das Erscheinen des Vaters waren fast
spurlos an der Eonrtesse vorüberge
gangen; ihre Seele wurde durch den
einzigen Gedanken beherrscht: »Aus-i
lebt; er ist genesen.« Jn dem hierdurch
verursachten Gliiäsgefühl ging jede
andere Empfindung unter. »Sie ha
ben Kurt gesprochen? Sie bringen mir
Grüße und Nachrichten von ihm?«
fragte sie mit hoffnungsvoll leuchten
den Augen.
Der Prinz blickte sie einen Augen
blick mit ernstem Prüer an, ehe er
antwortete; ollte und durfte er die
volleWahrheit geben? Er beantwortete
sich diese Fragen mit einem «Ja'«; er
kannte ja ihre Feuerseele und ihre
energische Willenstrast. Wer konnte
außerdem sagen, ob er soban wieder
eine Gelegenheit finden würde, sie un
stört zu sprechen. Er warf einen
feehnellen Blick aus die alte Baronin,
die vor dem Schloßportal auf und ab«
promenirte, und sagte dann leise: »Ich
habe den Herrn Assefsor vor ungefähr
vierzehn Tagen, gleich nach meiner
Rückkehr aus Paris, gesehen.«
zWas sagte er? Hat er hnen einen
BrtÆr mich gegeben?« hre Stim
me te und zitterte vor ern Ueber
mak ihrer Erregung
l
!
«
Der Prtnz suchte nach Worten, um
sich seiner schweren Aufgabe zu entle
digen. »Er war noch zu schwach und
angegriffen, um schreiben zu lönnen,«
entgegnete er; »außerdem —, die
Aerzte hatten auf das Strengsie ange
ordnet, ihm jede Erregung ferne zu
halten, da er sich, wie es nach den vie
len seelischen Aufregungen während
seiner Leidenszeit Ia nur natürlich
war« in einem Zustande tiefer, geisti
ger Depression"befand, und —- und—'«
»Sie sagen mir nicht die volleWahr
heit, Prinzi« Mit zuckenden Lippen
nnd geisterhafi aufgerissenen Augen
Wand bei-they eben noch ein Bild voll
ket Hoffnung, jent wie zu Stein er
arrt, ds: ihm.
Mit iie em We in feinen Zügen
trat B ed di t an bettha heran,
und sanft ihre Hände ergreifend, schil
derte er ihr mit schonen-en aber den
noch rthsas Herz grausam treffen
den otten den lethatgifchen Zu
stand Quem er bat sie inständigst,
nicht zu ver age und ihren alten
Muth zu wa ten. »Weil-en Sie
7 . att nnd tapfer, Comte e, wie Sie es
Eis waren; es wird B etung einne
-; wie wollen die Hoffnung nicht
sufgeben,« schloß et unt tief bewegter
— M —
, «« weith» few sWorten
Huspse nzuammew
»aber W sinnend-illa
« « ·.;.ewsdie-gstM-W
MONEY I XII
gem Schweigen fragte sie plöhlich:
»Und in Lecarno ist er jetti«
Der Prinz nickte stumm.
Wieder entstand eine unheimlich
I lange Pause.
s ,,-Datte er keine Frage nach mir? —"
F brachte die Un liickliche hervor. -
« Der Prinz chtittelte leicht denKapsi
Ein Frauen ttingendes, wildes,
kurzes ufs dran plötzlich
aus hetthat sen ; wie nnios vor
Schmerz drehte- sie ihre Stirn gegen
die Mauer des Partei Minuten lang
lehnte sie sp, ein Bild nnsii licher Ver
weiflnn , an dem ein, dann
fchnellte Ssie plöylich in die höhe, aus
ihren Augen waren Schmerz undVer
zweiflung wie weggewischt, dafür lo
derte jetzt in ihnen eine stahlharie
Energie und unbeugsame Entschlossen
heit. Unvermittelt und rauh tönte «
ihre grage an den Prinzem »Haben ;
Sie eld bei sich?«
Der Prinz blickte sie erst erschreckt,
dann mit plötzlichem Verständnis an;
er hob abwehrend die Hände auf, dann
ließ er sie schnell wieder sinken, ein
tur er, aber heftigei Kampf malte sich
in feinem ehrlichen Gesicht, »und kurz
und be immt sagte er: »Ja wohl,
Comte e.«' Gleichzeitig faßte er in sei
ne Brusttasche, und nach vorsichtigem
Blick auf die Baronin, die den Beiden
zufällig den Rücken drehte, reichte er
Hertha stumm eine kleine Geldtasche.
»Ich danke Jhnen2« war Alles,waz
sie sagte und steckte hastig die Tasche
fort. »Sie werden sich von meiner
Tante noch verabschieden wollen, in
defz ich je t in dasSchloß zurückkehre,«
fuhr sie ort, den Prinzen mit einem
unbeschreiblichen Blick ansehend.
Dieser mußte den Blick verstanden
haben, denn er neigte sich tief aus die
Hand Herthas nieder und drückte einen
langen, warmen Kuß auf dieselbe.
»Gott mit Jhnen!" sprach er, richtete
sich schnell wieder aus und sprach mit
gelassener Stimme: »Mir fällt eben
ein, mein Kutscher muß schleunig nncd
der Stadt Raiden fahren. In einer
Stunde geht von dort der Schnellzug
nach Hannover, zu dem er einen Brief
von mir hinhringen soll; er fährt wohl
am besten den tleinen Feld-de der
von der hinteren Pforte Jhres artes
ahbiegt. Entschuldigen Sie mich eine
Augenblici, ComteßI Er wendete sich
schnell ab und rief den Kutscher her
bei, dem er hastig einige leise Befehl
gab.
Der Wagen rollte gleich daraus um
die Ecke des Partes und entschwand
den Blicken der Anwesenden
Heriha preßte die Hände auf ihr
wild tiopfendes Herz; ein Vkick tief
sten Dantgefiihles sagte de m Priizen
mehr, als es Worte zu thun ver: noch
ten
Die Beiden traten jetzt nr atten
Baronin, ohne ein weitere-H « ort mit
einander zu wechseln.
»Der Prinz möchte sich oon Dir ver
adfchieden Tante,« sagte Her-ihn mit
vollkommen ruhigem Ton; ,,ich gehe
indeß auf mein Zimmer, zisn ein toeni g
uhkuhem da ich mich seh-· tngegriiien
u e
Mit schnellen Schritten verschwand
ssie im nnern des Schlosses; sie begab
Isich au ihr Zimmer, warf ein Paar
Zeilen hin, welche ianteten:
»Ich kann dies Leben hier in der -
Gefangenschaft nicht länger ertragen 4
Lebt wohl! Gott verzeihe Euch, was
Jhr mir angethan habt. Kettha
Hieran warf sie ihren ntel nn
setzte sich einen Hut auf und schlie! sich
durch eine Seitenthiir in den Pat. ·.
Als die Baronin egen Abend in die
Zimmer der Comt e trat. warhertha
nicht mehr da. Als sie bestürzt nnd er- »
schreckt umherfuchte, fand sie auf dem 4
Schreibtisch ein an sie adressirtes
Couvert, das den Zettel mit Herthas ’
’?ihschiedstvorten enthielt. okanunernd
inlitd zitternd war sie zum Uraer ge- .
et .
Dem ersten tosenden Wuthanfalle
des altn rn war eine wilde Un
ruhe und iße Angst efolgt. Glauhte
er zuerst, sein Kind ei nach Berlin
entslohen zu der Mutter Kurts, den
er noch fiir dort anwesend hielt so »
lUUx cc UUUUU Zuluuscluilllllclh Auw
dem sein Kammerdiener von dem
Bahnhof Kartzow die Nachricht zu
rückgebracht hatte, daß dort Niemand
die Comtesse gesehen habe. Herthas
Abschiedszeilen konnten demnach nur
die grauenvolle Bedeutung eines be
absichtigten Selbstmordes haben. Sein
letztes Kind hatte feinem Leben ein
freiwilliges Ende gemacht, weil der
eigene Vater ihm kein milder und ge
rechter-, sondern ein.mitleidslofer und
grausamer Richter gewesen war.
Eine flüchtige Untersuchung der
Garderobe hatte ergeben, daß nur ein
Mantel und ein einfacher Hut von
Hertha fehlten; alles Andere fand sich
unberührt vor. So wurde denn die
gesammte Dieneeschaft aufgeht-tm
nach der Verfchwnndenen zu fachen.
Der Reichsgtaf irrte allein in Bart
und Wald umher, mit zitternder
Stimme fortwährend laut den Namen
seines Kindes rufend! —- Jedt wv tt
furchten mngäh die Tochter ftir ewig
verloren zu ben, brach plötzlich wie
deeJnit voller Hefti teit die so lange
zuruckgediimmte atetliebe hervor,
und wilde Reue erfaßte sein Herz. —
Und mit der Reue kam die Eintehr.
Ek, er allein hatte die ganze Schuld,
feinem Starrsinn und feinem Hoch
muthe mußte erall das Fürchtetliche
zuschreiben, was ihn in deefem lesten
Jahre getroffen hatte. Um dieses
muthes willen hatte er zwei lie
de Hei-M von einander seit en
»3vez edle um in Leid und » » -
zweifl-me gestützt: feiaöochmuth Im
die indirette Veranlassung u seines
Sohnes Tod, und dieser ochmnth
hatte fest sein leites Kind zu seinem
dunkeln Wege getrieben.
Wäre denn, so fragte der alte Herr
sich jetzt, die Welt ans ihren Ding-la
gewichen, wenn ein Reichsgraf m
herzen seiner TochterFretheit gewährt
und sie die Gattin eines braven Man
nes hiitie werden lassen, wenn diesem
auch die mehrziniige Krone im Wap
pen fehlte? Hatten sich nicht schon-»Für
fteniinder mit gesellschaftlich weit un
ter ihnen Stehenden verbunden« und
die Erde war doch ihren ruhigen Weg
weitergegangen? Waren denn das
; Glück und das Leben seines Kindes
» nicht mehr werth gewesen« als ein lee
rer Name? —
Unter solchen Gedanken irrte der
Graf, von verzweifeltem Jammer und
bitterster Reue gequält, bis tief in die
Nacht hinein durch die Wälder, alle
Augenblicke lauschend, ob er nicht ei
nen Hilferuf vernähme oder ob nicht
von irgend woher ein Ruf der suchen
den Diener erfolge, der ihm anzei ie,
daß sie sein todteö Kind gefunden hat
ten. Erst gegen Morgen kehrte er
todtmiide und gebrochen in dazSchlosz
zurück. Stundenlang saß er dann in
einem Lehnsessel vor seinem Schreib
ttsch, ein Bild Herihas vor sich, das er
mit starren, thriinenleeten Augen an
schaute.
Neuntes Kapitel.
Locarno, liebliches Kleinod an dem
Ufer des schönsten aller oder-italieni
schen Seen, des blauenLago maggioee.
Wer, der dich iennt, hört deinen Na
men nennen ,ohne daß ihn unendliches
Wohlgefiihl durchrieselt und Bilder
von unendlichem, landschaftlichemReiz
und von sonniger, lachender Schönheit
sich sofort vor sein geistiges Auge
drängen? Schön bist du im Herbst,
wenn die Kastanienwälder im vollen
Schmuck ihres Landes die Felsenberge
mit saftige-n Gran bedecken, wean die
blauen Trauben an allen Hängen un
ter den Weinblättern hervorlugen und
Rosen und Chrysanthernum duften.
Schön bist du auch im Winter, wenn
wochenlang ein tiefblauer Himmel
über dir leuchtet und eine südliche
Sonne die mit Schnee bedeckten hoch
alpen mit ihren Strahlen vergoldet
und mit fornmerlicher Wärme die
Menschen beschenkt. Aber am schön
iten bift du doch zur Zeit des Früh
jahreg, wenn in allen Gärten die
mächtigen Kamelienbäurne in voller
Blüthen-Pracht stehen, es überall
sprießt und sproßt, die gewaltigen Al
pen dir gegenüber, bis weit herunter
mit gliyerndem Schnee bedeckt, in den
Strahlen der Sonne märchenhaft
leuchten, der See in allen Farben
funkelt, und eine reine. ’ balfarnifche
Luft den Glücklichen, die sie hier alb
men dürfen, neue Lebenskraft und
wonniges Behagen giebt.
Einer der fchiinften Punkte in, der
unmittelbaren Umgebung von Locar
no ist die auf einem steilen, von wil
den Schluchten umschlossenen Felsen
erbaute Wallfahrtsiirche »Madonna
del Sasso«, zu der ein wenig anstren
gender Spaziergang in einer kleinen
halben Stunde herauffiihrt. Hier,
von der Loggia der Kirche aus, ge
nießt man den weitesten und herrlich
sten Blick auf Locarno und den Lago
maggiore, auf die Alpen mit ihren
wildgezackten Häuptern und eine statt
liche Reihe von Wäldern, Dörfern
und Städtchen, die sich theils dicht an
den Ufern desv Sees entlang iehen,
theils auf der halben Höhe der schroff
in den Lage hinabstürzenden Alpen
wie angetlebt «ngen. Man findet
nicht leicht nu der Erde einen schö
neren Rundblick und deshalb gehört
der Besuch der »Weil-onna del Sasso
- zu den Lieblingsfpaziergiinåen der
zahlreichen Fremden, die a jährlich
hierher bilgern« um in Locarnos schö
. ner Luft und herrlicher Umgebung
j neue Stärkung zu finden.
; Auch für Kurt Thal und feine
E Mutter bildete die Kirche der Madam
J na del Saffo den Zielpunkt der mei
ften Spazier ange. JeDie Ruhe und
traumhafte «tille dort oben schien
dem Kranken wohl zu thun; stunden
lang faß er hier« den matten, aut
druetilofen Blick auf das Naturpanos
rastna vor fich gerichtet. gleichgilttg
und stumpf gegen alle Versuche der
Mutter, irgend ein Intere e oder eines
knnere Bewegung ber ihm vorzum
en.
A«
Dteteg tethargische Hintmnmern
ihres Sohnes mitanfehen zu müssen,
ohne helfen zu können, nagte schwer
am hetzen der alten Dame. linke-ill
liitlich begann sich der bittere Groll
iiber das grausame, unIreckie Schick
sal auf die unschuldige rsache dessel
ben, die Comtefse hertha, zu übertra
gen. Dadurch, daß diese in das Le
ben ihres Sohnes getreten war, hatte
sie ihm das Unglück gebracht.
Wieder einmal saßen an einem
Nachmittage Mutter und Sohn auf
ihren kleinen, mitgebrachten Feldstiih
len in der Säulenloggia der Kirche«
Kurt schien heute noch theilnahms
loser, wie sonst. Den Kopf auf die
Brust geneigt, starrte er mit halbge
schlossenen Augen vor sich nieder und
erhob denselben auch nicht, ·als ein
plöhlichej Rauschen von Damenkleis
dern in seiner Nähe den Besuch einer
Fremden anzeigte, die jedenfalls auch
den himmlischen Rundblick genießen
,wollte.
Erst ein lauter, erschreckter Ausruf
der Geheimräthin und ihr heftiges
Rufst-ringen liefz ihn langsam « den
Kon heben. Matt schlug er die Au
Jl
c—
gen aus, da —- verschiirfte sich plöhlich
sein Blick; sein Athern schien zu stocken,
ein leichtes · ittern übersiel ihn, eine
geisterhafti Lisse überk- seineWan
gen, um gleich daraus ern-.- tiefen Ris
the Pia zu machen. Er versuchte
aufzuste n, sant jedoch wieder zurück
und streckte zitternd die Arme aus,
während sich bebend das eine Wort
aus seinen Lippen hervordriingte:
»Herths!«
Ja, sie war es, die da vor ihm
stand, ebenso zitternd und behend wie
er, mit hesien Thriinen in den Augen!
aKurt!'· stieß sie hervor. Ausschiuch
zend lag Sie neben ihm aus den-knieen,
; mit ihren Armen ihn umschlingend,
! ihr Haupt an seiner Brust bergend.——
! »Herth.«.— meine Hertha!—« stam
melte Kurt, Init seinen Händen vor
sichtig, nur tastend über ihre Wangen
fahrend, als ob ihre Erscheinung nicht
Fleisch und Blut, sondern nur ein
schönes Traumbild wäre. das bei der
Berührung sich in nichts auflösen
müßte. Aber nein, es blieb, es war
wirklich seine Hei-tha! Ein turzeä
Ausschluchzenx dann strömten seine
Thriinen hervor und mischten sich mit
denen der Geliebten.
Wie lange die beiden glücklichen
Menschen dort oben geweilt hatten,
waren es Minuten, waren es Stunden
gewesen, sie wußten es nicht zu sagen.
Die Zeit war fiir sie verschwunden.
Das Herannahen der Mutter, die
sich leise, und unbemerkt sortgeschlichen
hatte und thräneniiberströmten Ge
sichtes in die Capelle gegangen und
dort zum Weltenlenier ihre heißen
Dantgebete hinaufgeschickt hatte, störte
die Liebenden aus ihrer Versunienheit
auf. Heriha stürzte sich in ihre Ar
me. Und da stand auch schon ihrSohn
neben ihr, frische Thattrast und un- I
endliches Glück aus den Augen strah
iend, und erheischte auch seinen An
theil an den Zärtlichkeiten der Mut
ter.
Lyiuarrmerezucentchen hatte vie Log- "
zia dort oben wohl noch nie in sich ge
vorgen
Die Mutter drängte zum Abstieg.
Ueber den Pilgerpsad, der mit den
Bildern aus der Leidensgeschichte
Christi besetzt ist, kehrten sie langsam
nach Locarno in das direlt am See
gelegene und um seiner Ruhe willen
aus Anrathen der Aerzte von Kurts
Mutter als Pension gewählte Hotel
Reber zurück, in dem auch Hertha ab
gestiegen war.
So gern die beiden Liebenden auch
noch stundenlang zusammengeblieben
wären, hatten sie sich doch so uner
meßlich viel zu sagen, so fügten sie sich
doch dem Gebote der Mutter, die siir
Rurt nach der großen Erschiitterung
des heutigen Tages Ruhe wünschte.
«Morgen ist ja auch noch ein Tagt«
sprach sie lächelnd.
»Und übermorgen und die ganze
Woche und noch viel —- viel Wochen
sind auch noch Tage!« jubelte Hertha.
»Ein ganzes Leben lang liegt jeht
vor uns voll gemeinsamer Tage,« sag
te Kurt, »denn nie, nie mehr lassen
wir uns von einander trennen; nicht
wahr, mein Lieb?«
«Rie mehr!« Mit der Feierlichteit
eines Eides erklang es von Herthas
Lippen, indem sie sich sest in Kurts
Arme drückte. —
Für Kurt und Hertha solgten jetzt
eine Reihe traumhast schöner Tage.
Jn dem vollen Bewußtsein ihres
schwer ertiimpsten Glückes genossen sie
den ganzen Reiz, den dieses selige Ge
siihl jeden Tag neu in ihnen erweckte.
Zusammen mit der Mutter machten
sie täglich Aussliige zu Wagen und
mit den Salondampsern in der para
diesischen Umgegend von Loearno
und aus dem einzig schönen Lago
maggiore. »
Kur-PS Gesundheit kräftigte sich
unter der Sonne des Südenj, die ihn
beschien, schnell, und bald war er wie
der geistig und körperlich der Alte.
- Auch Dertha erholte sich wieder zu
voller Kraft und Schönheit; nur in
ihren Augen schien häufig ein leichter
Schatten zu ruhen« der jedoch stets
verziehn-and sobald der Geliebte sich
na .
In den ersten Tagen nach dem
Wiedersinden hatten sie Beide nur der
. herrlichen Gegenwart gelebt und den
löstlichen Augenblick genossen, dann
aber trat die Frage über die nächsten
; Schritte, die zur ewigen Vereinigung
führen sollten, in den Vordergrund ih
rer Erwägungen
geriha war majorenn; sie bedurfte
da r der vöterlichen Zustimmun zu l
ihrer Vermählung in der Scsweiz 1
nicht. Es war jedoch nöthig, daß sie «
sich die betreffenden Papiere aus ?
Deutschland verschasste; und wie J
lonnte das leichter und besser gesche- «
hen, als durch den treuen Freund da- I
heim, welcher der Gründer ihres Glü
ckes gewesen war und dem fee Beide
dafür tiefsten Dank schuldetens
Jn einem langen Briefe berichtete
hertha dem Prinzen die letzten Ereig
nisse und theilte ihm ihre utunfts
pläne mit. Kurt hatte hesch offen, sich
seine Entlassung aus dem preußischen
Dienste zu erhitten und seinen festen
Wohnsitz sortan in der Schweiz zu
nehmen, da ihn nichts mehr nach dem
Norden zurückzog, und die Nähe von
Herihcks Vater und ihrer sämmtlichen
Verwandten nur peinliche Consliete
oder wenigstens doch Teilbungen ihres
Glückes hervorrufen konnte. Auch
mußte er anne men, daß der grosse
Einfluß des eiehsgrasen siir seine
weitere Staatslausbahn hemmend
und lähmend wirken würde. Er wollte
zur Lehrthiitigteit übergehen und sich
W
an der Universität Zittich als Privat
docent habtlitireru Und Alles berich
tete Hertha ausführlich dem fernen
Freunde.
Der Brief war abgegangen, und
Hertha berechnete im Voraus, wann
er ankommen und wann Antwort ein
treffen könnte. Aber die Antwort
tam nicht und die leichten Schatten in
Herihcks Augen wurden wieder tiefer;
selbst die Nähe Kurt’s vermochte diefe
nicht immer zu dannen
War es beginnende Reue, die Her
tha peinigte? Sicher nicht; sie war sich
bewußt, recht gehandelt zu haben; ihr
Gewissen sprach sie von jedem Zweifel
frei. Was war es denn? Sie konnte
sich selbst teine tlare Antwort darauf
gehen: sie nannte es innere Ungeduld
und fühlte doch, daß es nicht die rich
tige Bezeichnung war. Vielleicht war
es Heimweh? Oh, nein, hier bei dem
Manne ihrer Liebe war ja ihr Heim.
Sie tramte gerade, während sie diesen
Gedanken nachgab, unter den weni
gen Kleinigkeiten herum, die sie bei
ihrer eiligen Flucht in die Taschen ih
res Mantels gesteckt hatte, die spärli
chen Briefe von Kurt aus dem Anfang
ihrer Verlohun szeit, ein kleines No
tisbuch, getro nete Blumen aus
Monte Carlo, ihr Ta ebuch und eine
Visitentartentafchet echanisch schlug
sie die lehtere auf; es wat ein elegan
tes Täfchchen mit mafsiv silbernen
Deckeln, ein Gehurtstagsgefchenl ihres
Vaters. Da fiel ihr Blick erschreckt
auf die Jnnenfeite des einen Deckels.
Das Bild ihres Vaters schaute sie
an. Und nun mit einem Male wußte
fie, was sie fo unruhig machte, was
ihr troh allem Glücksgefiihl fehlte
und wonach ihrherz sich heimlich sehn
te; sie zog heftig das Bild an ihre
Lippen und tiißte es heiß.
»Ja, Vater, Du und Deine Ver
zeihung fehlen mitt« flüsterte sie leise
..Unb das ich sie entbehren muß ims
ich ohne Deinen Segen in das neue
Leben treten soll, das — das bildet
eine schwere Bürde in meinem Glück."
Sie starrte lange auf das Bild des
Vaters nieder.·-—— Plötzlich richtete sie
sich mit schnellem Entschtuffe auf.
Habe ich denn um seine Verzeihung ge
beten fragte sie sich; ist es denn nicht
meine Pflicht, um seine Liebe zu rin
gen? Jst es denn recht, daß ich dem
ringen als meinem Stellvertreter
überlasse, siir mich bei dem Vater zu
sprechen?
Hertha eilte zum Schreibtisch und
mit fliegenderEile ging die Feder über
das Papier. Mit rührenden Worten
sprach sie ihrem Vater noch einmal
von ihrer Liebe; sie legte ihm tlar,
warum sie fo, wie sie gehandelt hatte,
hätte handeln müssen und bat in be
wegten, aus dem nnerften ihres Her
zens kommenden, irhevollen und zärt
Iichen Worten um feine Vergebung!-—
Nachdem Hertha den Brief conver
tirt und zur Post befördert hatte, ath
mete sie wie von einer schweren Last
befreit auf. Mit hellen Blicken trat
sie zu Kurt und erzählte ihm, daß sie
ihrem Vater geschrieben habe.
Dieser freute sich um hertha’s wil
len darüber, weil sie dadurch ihr Ge
wissen entlastet hatte, bezweifelte aber
innerlich, daß dieser Schritt den ge
ringsten Erfolg haben würde, da er
den Starrsins des Reichsgrafen hin
länglich kannte. Hatte er doch gleich
in den ersten Ta en nach Hertha’sAn
tunft, selbst in ewegten Worten an
den Grafen geschrieben und fiir her
tha gebeten. Er fühlte, was sie aus
Liebe zu ihm aufgegeben hatte, und
wiinschte sehnlichft, ihr als schönstes
Hochsttsangebinde die Verzeihung ih
res aters überreichen zu können.
Aber es war keine Antwort auf die
sen Brief eingetroffen Das Vater
haus war fiir hertha verloren.
In das Schloß Kartzow war wie
der Ruhe eingekehrt, aber es war eine
unheimliche Ruhe, wie sie in einem
Hause rrscht, wo eben der Tod Ein
tehr ge lten hat. Der Reichsgraf
hatte sich an dem Morgen nach jener
schrecklichen Nacht von seinem Lehn
stuhl-— rthplken und stand tm Begriff,
verde) Vienerschoft neue Jnitructionen
zu weiteren Nachforschungen noch dem
Verbleib seiner Tochter zu geben, als-«
Prinz Bernhard sich meiden ließ; er
trat ihm heftig entgegen. Sie wis
fen schon —-—-?'« fragte er mit vor
Schmerz halb ersiickter Stimme,
dJDaß Comteß Hertha heimlich das
Schloß verlassen hat? Zuwahl, herr
Gros, dies weiß ich, un daß es ge
schehen würde, wußte ich schon ge
stern!« erwiderte der Prinz ernst.
Der Graf blickte ihn verständniß
los an. »Sie wußten es schon gestern?
Wie durften Sie es zulassen, daß sie
in den Tod ing?«
»Nicht in n Tod, Herr Graf! Um
Sie von diesem schrecklichen Gefühl zu
erlösen, bin ich hierher geeilt!« Meine
Leute meldeten mir heute früh, daß
man noch der Eomtefse suche, die sich
in einem Ansalle von geistiger Stö
rung gestern Abend aus dem Schloß
l entfernt habe; man fürchte, sie habe
; ich das Leben genommen. Jch wußte
I es besser —- Jhre Tochter lebt, Herr
Satz«
re lebt?! — hertha lebt?!«
Angst, Freude, Unglauben tönte in der
I Stimme des Grasen wieder. Zitternd
- hieit er sich an der Lehne eines Sessels
z »Ja, sie lebt!« entgegnete der Prinz
und erzählte nun die Ereisnifsn wie
sie sich zugetro en halten bis zu dem
Moment, too rtha den Wogen des
Prinzen bei der Cisenbahnstation ver
(
W
lassen hatte. Er gab ehrlich und of
fen seiner Antheil an der Flucht zu,
a er lud die Vanptschuld auf sich, in
dern er behauptete, daß sein Zureden
Hertba zu ihrem Entschlusse bewogen
habe. »Sie mußte so handeln, wenn
ihre Liebe eine echte war. —- Blieb sie,
so ging derMann ihrer Liebe rettungs
los zu Grunde, und, wie ich dieEom
tefse kenne, hätte sie den Tod des Ge
liebten nicht überlebt! — Was heute
glücklicherwei e nicht geschehen ist, das
wäre um so icheter dann erfolgt, und
Jhr Suchen nach dern todten Kinde,
Herr Graf, wäre dann nicht erfolglos
geblieben.« Er blickte dem Grafen
mit tiefem Ernste in’s Antlitz, eines
heftigen Zornesausbruches gewärtig.
Doch —- wns war das? Das ehrliche
Gesicht des Prinzen zeigte eine voll
ständige Verbliifftheit, die sich dann
plöhlich in freudigfte Erregung ver
wandelte.
Der Graf war in einen Sessel ge
sunlen und hatte beide hände vor das
Gesicht geschlagen; ein ltampfhaftes
Zacken durchbebte den mächtigen Kör
per; dann, der Prrnz glaubte erst
nicht recht zu sehen, guollen einzelne
schwere Tropfen durch die Finger der
hände des alten Herrn.
»Thränen? Dieser eiserne, harte
Mann, weint?« sagte sich der Prinz
verwundert. «Gelten diese Thränen
dem Verschwinden oder dem Leben
seines Kindes; sind ed Thriinen des
Schmerzes oder der Freude?«
Die ersten Worte des Grafen sollten
dem Prinzen Aufklärung geben.
»Mein Kind lebt-. es lebt! Allmäch
tiger Gott« Du hast es gnädig mit
mir gemeint!·' rief der besorgte Vater
aug.
Wie ern Leuchten ging es über die
Züge des Prinzen; unwillkiirlich fal
tete er wie zu einem stummen Dankge
bete die Bande-—
Die Todesangst, die der Graf in
den lehten Stunden durchlebt, hatte
sein Herz jäh wachgeriittelt und das
Eis, mit dem er dasselbe künftlich
umpanzert hatte, durchbrochen. Jn
jenen furchtbaren Stunden hatte er
erkannt, wie tief die Vaterliebe zu
Heriha in feinem Innern wurzelte
und wie dieser Liebe gegenüber ihre
Schuld federleicht wog. Sein Kind
lebte! Nun follte es aber auch em
pfinden, dafz das Vaterherz ihr wie
der geöffnet war. Was sie Böses er
litten hatte, das sollte ihr reichlich wie
der gut gemacht werden· Sie lebte!
Noch war es alfo nicht zu spät, Alles
wieder zum Guten zu kehren.
Mit fast jugendlicher Kraft erhob
der Grhf sich aus dem Sessel und
streckte dem Prinzen die Hand zu
kräftigem Drucke entgegen. »Ich habe
Ihnen gestern schon einmal danten
müssen, weil Sie mein Haus vor tie
fer Schmach bewahrten; heute danke
ich hnen wieder, denn Sie haben
due Jhr mannhaftes, opferfreudiges
und treues Handeln an meiner Toch
ter, meinem hause die Sonne wieder
ge eben. Erft die Angst um mein
Kind hat mich erkennen lassen, was
sie mir ift und was ich in engherzigem
Hochmuth an ihr gefehlt habe.
tiefster Erregung erwiderte
Prinz Bernhard: «Jhre Worte, herr
Gras, machen mich wahrhaft glücklich;
ich habe bei meinem handeln nur an
das Wohl und das Beste fiir Comteß
Hertha gedacht; ihr so viel an Lebens
glück zu retten, wie es möglich war,
ohne das Sie ihr vergaben, hatte ich
mir zur Aus abe meines Lebens ge
stellt; seht er t wird ihr Glück ein voll
tommenes sein.«
Der Graf hatte den Prinzen mit
feuchten Augen angeblickt. »Wie viel
besser und edeler sind Sie doch, lieber
Prinz, als ich,« sagte er mit leicht
zuckendem Munde; »Sie, der Sie einft
gehofft hatten, hertha für sich zu ge
winnen.«
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»He-eh spukt-»Ist Wir tun-» uuu mu,
unterbrach ihn hastig der Prinz und
fuhr mit etwas schmerzlichem Lächeln
sort: »Ich habe restgnirt und mich aus
das Altentheil des Freundes zurück
gezogen; lassen wir daher das Ver
gangene.« Und schnell, um den Gra
sen von diesem Thema abzuziehen,
sagte er: »Ich lasse Sie jetzt allein.
Die Adresse der Comtesse ist Locarno
Poste Restante; wenn Sie heute schrei
ben, hat sie in zwei Tagen Jhre Ver
zeihung.«
Der Gras nickte zustimmend; doch
plöhlich stieg ein beunruhigender Ge
danke in ihm aus. »Aber wie?« rief
er auf-; »wenn ihr meine Verzeihung
gleichgültig, wenn ihre Liebe zu mir
geschwunden ist? Wenn sie in ihrem
Glücke meiner nicht mehr bedars?«
Der Prinz schüttelte lächelnd den
Kons. Rennen Sie Jhr Kind so we
nig? —- Aber gut, lassen Sie es» aus
die Probe ankommen; warten Sie
mit dem Schreiben bis sie selbst um
Ihre Verzeihuna bittet.«
»Und wenn sie es nicht thut?" Die
ganze Seelenanast welche der Gras
seit dem gesiri en Abend durchlebt
hatte, tiinte in m Ton seiner Stim
me wieder. Der Gedanke, seine Her
tha könne, wenn auch lebend, sür ihn"
todt bleiben wollen, machte seinherz
von Neuem erzittern.
»Sie wird es thun!« sprach der
Prinz. -
Wie sicher das klang.
Und der Gras wartete, Tag siir
Tag, ebenso wie Dertha in Loearno
aus einen Bries des Prinzen wartete.
Von Ta zu Tag sant seine Hoffnung
mehr; sein aupt beugte sich in
irauerndem S merz immer tiefer.
« (Schlusz solgt.)