Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 17, 1901, Sonntags-Blatt, Image 13

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    Im Sturm.
—-—.---.—
« Novellette von E. Ca y iet)
Tie Wogen des Meeres gingen hoch
und ein starker Wind hatte sich erhoben.
Mi t eiligen Schritten lief Ola am
Strande entlang, dem Winde entgegen.
Jhr träftiger Körper ermüdet nicht
leicht. Sie war nicht nur das schönste,
sondern auch das kräftigste Mädchen
auf der Jnsel und hätte es im Laufen
und Rudern mit jedem Manne aufneh
men tönnen. Ihre Schulhikdung hatte
sie von ihrem Vater, dem Pastor, erhal
ten. Die Mutter hatte sich wenig um
sie bekümmert und sie war inmitten de:
Dorfjugend aufgewachsen, frei und nn
gebiindigt wie die Möven, die über ih
rem Kopfe kreisten Heute vor den cr
fte n, schweren Konflikt ihres Lebens ge
stellt, flüchtete sie sich ganz instinktivj
an s Meer das ihr stets ein Freund und I
Nathgeher gewesen war. n der fri- z
schen Seeluft suchte sie K arbeit und -
Fisssisssg .. I
wir km toupfaytug llus ysllclllll
himmel war das Schreckliche in ihr
friedliches Dasein gefallen. Der Va
ter, den sie verehrte, hatte schlecht e
wirthschastet und Schulden gema t.
Auf allen Möbeln klebten Gerichtssie
gel — wenn das Konsistorium davon
ersiihre, würde der Vater seines Amtes
entsetzt und sie — sie allein konnte ret
kend eingreisen. hans Ohlsen, ihr alter
Spielgefiihrte, der reichste Fischer aus
der Jnsel, verlangte sie zum Weibe; er
würde den Vater seiner Braut vor sei- z
nen Gläubigern retten können, und :
Olas Mutter verlangte von ihr, das; I
sie ihr Jawort gebe. trotzdem sie ihn s
nicht liebte. - I
Hans Ohlsen, siir den sie nur Spott l
nnd Verachtung gehabt hatte, seitdem I
er sich von ihr schlecht behandeln ließ
—- seitdem er wie ein Mädchen errö- «
i""-ete, wenn sie ihn ansah und zitterte,
Denn sie zornig wurde! — — —
1lnter dem Leuchtthurm an der Nord
spitze war aus großen Steinblöeien eine ;
Art Male zum Schutz des Thurme-, I
in’s Meer hineingebaui. Hier blieb -
Ola stehen, strich sich die zerzausten;
braunen Locken aus dem Gesicht und i
suchte ihre Gedanken zu sammeln. «
Gerichts-siegel, Pfändung, Exniiss i
sion!
Die Schande, o dir Schande, und sie
allein war im Stande, sie abzuwehren
durch das Opfer ihrer selbst! Hatte sie
nicht das Recht zu wählen, wie andere
Mädchens- Hans Ohlsen? s-- sie sah
ihn vor sich, groß. blond und sonnen
verbrannt. mit den blauen Auan nnd
dem gewinnenden Lächeln, start, her
.risch und männlich Männern gegen
über, aber schüchtern wie ein junges
Mädchen an ihrer Seite.
Haßte sie ihn wirklich oder —- »- ?
Noch einige Zeit blieb sie am Leucht
thurm, dann lehrte sie,in’s Pfarrhaus
zurück, suchte ihre Mutter aus und sagte
ruhig, aber mit bleichen Lippen:
»Ich habe reiflich überlegt; Ihr
könnt Euch beruhigen, ich werde Hans
Ohlsen heirathen!«
Die Mutter lächelte und streichelte
Olas hand. ,,"5reue Dich, mein Kind,
Du brauchst uns das Opfer nicht zu
bringen. Mein Bruder-, an den ich
mich —- sreilich ohne Hoffnung auf Er
folg —— gewendet hatte, schickte uns so
eben die nöthige Summe. Wir sind
nun, Gott sei Dant, fiins Erste aus
der Verlegenheit heraus-. Vor einer
Viertelstunde war Hans Ohlsen hier,
um sich Deine Antwort zu holen. Da
Du ertliirtest, ihn nicht Zu lieben, habe
ich ihn in Deinem Namen abgewie
sen." — —- —
- « si
I
i
i
s
, Jm großen Saal- des Wirthshauses "
wurde getanzt. Ola saß mit ihren
Eltern am Honoratiorentisch Sie
tanzte nicht ; —-- sie wartete auf Hans,
sonst ihr eifrigster Tänzer, denn sie
hatte sich vorgenommen, ihm ein paar
freundliche Worte zu sagen und ihn
zu bitten, daß er ihr nicht zürnen
möge. Sein langes Ausbleiben bean
ruhigte sie —- sie mußte fortwährend
an ihn denken. Der Abend war schon
weit vorgerückt, als er endlich in der
Thür erschien. Ola athmete erleichtert
auf. Aber anstatt, wie sonst, sofort
auf sie zuzueilen, schritt er an ihr vor
über, als sähe er sie nicht und forderte
ihre Nachbarin, die Wirthsiochter zum
Tanze auf. Später setzte sich das Paar
dicht vor Ola hin und diese konnte se
hen und hören, wie der blonde Riese
seiner Dame in einer Weise den Hof
machte, wie er es Dla gegenüber nie
gewagt hatte. Der sonst so ruhige,
nüchterne Mensch hatte offenbar start
getrunken. Sein hiibsches Gesicht war
geröihet, die haare hingen ihm wirr in
die Stirn und in seinen Augen brannte
ein düsteres Feuer. Von Zeit zu Zeit
erhob er sich und ließ sich am Schaut
tisch Gliihwein geben. Dabei lärmtc
er und zantte mit den jungen Schif
sern, lachte überlaut, schlug auf den
Tisch, daß die Gläser klirrten und be
nahm sich so auffällig, daß die älteren
Leute ihn wiederholt zur Rede stellen
mußten und ihn ertnahnten, sich zu
mäßigen.
Ola ärger-te sich zwar über ihn, aber
tnerlwiirdigerwrise verlor er keines
wegs in ihren Augen durch sein Beneh
men. Seine gleichmäßige, lorrette Art
hatte sie oft gelangweilt und sie freute
sich darüber, daß er auch einmal aus
schweiien und wild werden konnte, wie
die anderen Männer. Daß er ihre Zu
rückweisung übel nahm und ihr zürnte,
imponirte ihr.
Als Ohlsen seine Tänzerin wieder
an ihren Plah zutiickfiihrie, begegnete
er Olas Blick. Er sah ihr einen Augen
blick starr in die Agen, dann beugte er
sich zu seiner Nachbarin nieder und
fliisierte ihr zu, so laui jedoch, daß Ola
seine Worte hören mußte :
»Sie wären die richtige Frau fiir
mich, Fräulein Marie ; Sie sind keine
herzlose Koketiel Was meinen Sie,
wollen Sie mich heirathen, sagen Sie
»ja« — dann machen wir in drei Wo
chen Hochzeit l"
Das war zu viel für Ola ; sie ent
fernte sich still aus dem Saale. Jn der
Hausthiit fand sie eine kleine Gruppe
aufgeregt gestikulirender Schiffer um
einen alten Lotsen versammelt, der das
Wasser von seinem triefenden Südwe
sier abschiiiielte.
»Verlaszt Euch darauf,« sagte er ein
dringlich, »es wird die ,,Marie Louife«
sein ; die mußte um 8 Uhr von Adven
hagen aus hier vorüber. Sie sihi nörd
lich vom Leuchtthurm auf der Drachen
klippe feft. Wenn dieser Wind an
hiili, ist sie in einer Stunde zerschelli.,
Jhr könnt immer das Reitungsbooi
klar machen."
»Bist wohl verrückt, Joost,« rief eine
Stimme, »bei dem Seegang fährt kei
ner hinaus ; das wäre der reine Selbst
mord !'«
Die Anderen stimmten ihm zu ; dar
auf zogen sie alle ihre Kragen in die
Höhe, drückten ihre Mützen auf die
Stirn und begaben sich an den Strand·
Der Südwestwind, der den ganzen
Tag geweht hatte, war zu einem Or
kan herangewachsen. Ola mußte sich
am Thürpseiler festhalten. Jm Haus
slur wurde es lebendig, die Tänzer
eilten in’s Freie. Alle die jungen
Leute, die da drinnen getanzt, gelacht
und gezecht hatten, waren bei der
Nachricht von dem Schiffbruch sofort
in ernste, thatträftige Männer ver
wandelt worden
Ohlsen’s mächtige Gestalt drängte
sich zwischen die Leute hindurch. Ola
stand ihm im Wege; —- er faßte sie an
den Schultern und schob sie bei Seite,
ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Dann war er in der Dunkelheit ver
schwunden.
Ola war es gewöhnt, bei allem
Außergewöhnlichen, das sich zutrug,
dabei zu sein. So erschien es ihr auch
selbstverständlich, daß sie sich einer
kleinen Gruppe von Männern und
Frauen anschloß, die dem Strand zu
strebte. Jm Lichttreis des Leucht
thurms, hinter dem eine Viertelmeile
seewiirts das gesährdete Schiff auf
einem Felsen festsasz, hatten sich die Be
wohner der Insel versammelt, und be
obachteten angestrengt das kleine blaue
Licht, das dann und wann in der
Ferne auftauchte. Dort lämpsten an
gesichts des nahen Landes unglückliche
Menschen den verzweifelten Kampf mit
dem sicheren Tod. Jetzt stieg die Ra
kete auf und gleich daraus eine zweite;
—- die Funken zerstoben im Winde. Es
war ein lehtes sruchtloses Flehen um
hilfe, die nicht gewährt werden konnte.
Das Rettungsboot war dreimal aus
gesetzt und immer wieder zurückgewor
fen worden. Der Orkan stieg von Mi
nute zu Minute; man wagte den Ber
such nicht mehr.
Hans Ohlsen stand bewegungslos an
den Thurm gelehnt. Plötzlich wandte
er sich und rief mit schallender
Stille :
»Wir tönnen es machen, Leute.
Von der Spitze der Mole aus würde
das Boot sofort weggetrieben werden.
—- Jch wage es, wer kommt mit?«
»Nicht fünf Miinuten lebst Du auf
dieser See· —-— Sei nicht tollkiihn,
mein Junge, mahnten die alten Män
ner.
Aber Hans horie nicht auf sie;
schon eilte er hinunter, da erfaßte
Ola seinen Arm.
»Thu’s nicht« Hans-", slehte sie.
,,bleibe hier, ich bitte Dicht Hörst
Du Hans? —-— Um meinetwillen bleibe
hier!«
Ohlsen blickte nieder in die schönen
braunen Augen, die ihn so angstvoll
anschauten. Einen Augenblick zögerte
er. Er war ruhig und offenbar ganz
nüchtern geworden.
Dann schüttelte er die Hand des
Mädchens ab. »Ich gehe«, sagte er
barsch. »Mir liegt nichts am Leben
und die Leute haben vielleicht Frauen
und Kinder. Wer lommt mit?«
Niemand rührte sich.
»Warte noch eine halbe Stunde,«
nrahnte Einer-»urn elf Uhr flaut viel
leicht der Wind ab.«
Hans nicktez um das Mädchen be
lümmerte er sich nicht mehr.
Ola trat zurück und rang die Hände.
Sie kannte Hans genug, uin zu wissen,
daß er sich von seinem Vorhaben nicht
würde abhalten lassen. Er würde un
tergehen und sie. Ola, wäre an seinem
Tode schuld! Mit furchtbarer Gewiß
heit ertannte sie in diesem Augenblick,
rast sie sich selbst getäuscht, daß sie
Hans Ohlsen immer geliebt hatte und
seinen Tod nicht würde überleben tön
nent Einem plötzlichen Impulse sol
gcnd, wandte sie sich und lies, so schnell
sie konnte, zurück in’s Dorf. Jin ersten
hause desselben wohnte die junge Frau
eines unlängst ertruntenen Schiffers.
Diese sollte ihr behilflich sein, den Ent
schlusz den sie gefaßthatte auszuführen.
II II II
Der Wind slaute uni elf Uhr nicht ab,
spadern wurde immer heftiger. Noch
einmal forderte Hans die Leute auf,
ihm beizustehen, allein es wollte Nie
mand in den sicheren Untergang gehen,
kenn auf den Wellen ritt heute Nacht
der Tod. Da erfaßte der junge Mann
das Fahrzeug, holte es mit Hilfe eini
ger Burschen bis zur Spitze der Molc,
schob es in’s Meer und sprang hinein.
Sofort wurde das Boot wie ein Feder
ball in die Höhe gerissen und mit der
j Strömung weit fortgefchleudert. —
k hans preßte die Zähne zusammen
i
l
und ergriff die Ruder. Zu feiner Ueber
raschung wurde ihm das kleine aus der
Hand genommen. Er wendete sich jäh
um und erblickte einen jungen Bur
schen in Theerjacke undSiidwefter. Der
selbe mufzte ohne fein Wissen im letzten
E Augenblick in’s Boot gesprungen fein
« und faß nun, den Kopf gegen den Wind E
gesenkt und kräftig mit dem Ruder -
c.usholend, hinter ihm. Zu einer Er
klärung war keine Zeit. Hans nickte J
nur in Anerkennung der muthigenThat ;
und wandte dann feine ganze Aufmerk- :
famkeit feiner Aufgabe zu —- —— —
Fast wäre es gegliicki. Vor ihnen ragte «
eine dunkle Masse auf, an deren Seite ;
. hoch oben ein blaues Licht schimmerte
« —- das einzig Stabile in diefer wogen- J
. den Welt· Ein Dutzend Hände streckten I
E fich den Nettern entgegen ein Tau fiel
; dicht vor ihnen in’s Wasser. Da wurde
das kleine Fahrzeug wie vonRiefenfauft
, emporgehoben und gegen die Seite des
« KERFE-OR sskAksnhsvö Msn merks- 0·II- i
J
vqs II-- q- l-·»----s·«0 v --------- n-- .
brach, das andere wurde weggespiilt, ·
nnd in der nächsten Setunde wurde das T
Boot fortgerissen und entschwand den i
Blicken der Todtgeweihten. —- — —- s
Hans wendete sich um. »Es ist »
aus«, sagte er, und suchte mit den Au- I
aen seinen heldenmiithigen Gefährten. i
Beim Schein der kleinen Bootslaterne ;
sah er diesen hinter sich am Boden des ;
Fahrzeuaes knieen. Er erblickte ein
weißes Gesicht mit großen. angstvollen !
Augen. Der Südwester war abgefal- ;
len, reiches, braunes Haar wehte im«
Winde .— zwei zitternde Mädchenhände
streckten sich ihm entgeaen. — :
Worte waren unmöatich. Hans zog
Ola zu sich empor, bettete ihren Kon an
seine Brust »und drückte seinen Mund
iest aus ihre kalten Lippen. Das Boot
tanzte und kreiste in einem schäumen
den Höllenschlund: vor ihnen thürmte
sich ein dunkler, zischender Berg in die
Höfe. — —- — ;
Aus dieser Welle ritt der Tod.
-.s.-—
Fie let-mische Alte.
Novellette von A. S ch o e b e l.
. , ..
Mitten in der Nacht war Edwina
Dallmer aus grauen, huschenden Träu
men ausgefahren. Hatte sie nicht ein
Pochen erweckt? Das Pochen einer
unbekannten Hand an ihre Thür?
Mit weit offenen Augen starrte sie
in’s Dunkel hinein. Sie kannte keine
Furcht vor Einbrechern und Dieben,
aber die Lebensangst, die kannte sie!
Wenn dasSchicksal selber an ihre Thür
A getlopst hätte?
Unruhig warf sie sich zwischen den
Kissen. Schließlich tastete sie nach den
Zündhölzern.
Auch vor dem Schein des Lichtes
wollte die stumme Qual nicht weichen.
Edwina griss nach dem Buch, in tue-l
chem sie vor dem Einschlasen geblättert
hatte. Ein neues Drama war’g, »Bei
denschast« betitelt. Sie würde darin
vermuthlich die Hauptrolle zu kreiren
haben. Eine Salonrolle. Sehr schwie
rig zu spielen. Eine Rolle, die Alles
vom Lampenlicht erwartete, von dem
Geist, der den todten Buchstaben leben
dig macht, von der pilanten lärmenden
Darstellung und — von der Requisite.
Von verblüfsenden Toiletten und einer
rothgoldenen Perücke.
Ghminn sont-i- Qn ssrifnnnnnnsm
reichte ihre Gage nicht hin. Die guten
Zeiten, da sie die idealen Schöpfungen
der Klassiter vertörpern gedurft und
die Klärchen und Luisen in hellen Kat
tunsähnchen gespielt, die waren längst
vorüber. Hatte sie nicht bereits die
Perlenschnur, die eine kunstsinnige Her
zogin ihr einst utn den Hals gelegt, so
wie den Opalring der Gräfin Bewi
dingen zum Juwelier getragen, um ge
gen den Erlös ein paar Krepp de
Chine-Kleider und einen Sammetpelz
zu erstehen, deren Anschafsung der Di
reltor für den Erfolg eines neuen Zug
stiicks als unumgönglich nöthig er
klärte? «
Verstimrnt tlappte Edwina das Buch
zu. Erst gegen den Morgen hin schlief
sie ein.
Um die neunte Stunde erhob sie sich
init mildem schleppenden Bewegungen,
nahm ihr Frühstück ein und sing da
nach an, in leichter Pinselfiihrung die
bedeutsamsten Szenen der neuen Rolle
anzulegen. Sie wuchs hinein, sie fand
interessante Nüancen, die starre, todte
Gestalt der Dora bekam Blut, Leben
Gegen Mittag wurde sie unterbro
chen durch das Eintreffen eines Brie
fes. Von der Theaterdirettion? Und
mit der Post gesendet? Das hatte Et
was zu bedeuten! Warum brachte nicht
der alte Bureaudiener die ausgeschrie
bene Rolle?
Eilig durchflog Edtvina das Schrei
ben. Dann ließ sie es fallen, als habe
sie unversehens in Feuer gegriffen. Sie
mußte sich setzen. Jhre Augen starr
ten.
Jn schonenden, von leichtem Be
dauern tiberflogenen Worten forderte
die Direktion Fräulein Dallmer aus,
v,om nächsten Quartalsersten an gütigst
die Rollen der in den Ruhestand treten- j
den »komischen Alten« übernehmen zu
wollen. Ein ihren Leistungen anhaf
tender schalthaster umor prädestinirc
sie geradezu siir die es dankbare Fach
das im Uebrigen auch für ihre Jahre
geeigneter erscheine als das einer ersten
Liebhaberin. Jn Folge der neuen Be
stimmung müsse die Rolle der Dora
aus dem neu einzustudirenden Stück in
die Hände von Fräulein Lilli Mertens
übergehen, die der Gestalt die erfor
derliche Frische, vor Allem aber einen
verblüffenden Haarteichthum entgegen
bringe. Die Direktion halte sich ver
sichert, den eigenen Wünschen eines ge
schätzten und beliebten Mitglieds durch
ihre Verfügung entgegengetommen zu
sein, und verbleibe mit ausgezeichneter
Hochtung etc. etc.
Edwina stöhnte. Das dunkle Et
was, das sie mit Fledermausflügelm
umschwirrt hatte, nun sah sie es vor
sich, entschleiert.
Dahin also war es- mit der Kunst ;
gekommen! Von einem Wust rother T
Haare, von der Dreistigkeit einer 7
Schauspielerin im Leben und auf der
Bühne hing ein Erfolg ab! Und von
blendendem Toilettenglanzl Fräulein
Lilli Mertens, die Freundin eines rei
chen Kaufmanns, trat an die Stelle ei
ner Künstlerim die nur dem Jdeal ge
lebt, die mit delikatestem Verständniß
den Absichten der Dichter nachgegangen
war, die den Schein dem Jnhalt ge- i
opfert hatte! i
Langsam erhob sich Edwina, trat i
vor ihren großen, dreitheiligen Toilet-F
tenspiegel hin. Mit grausamer, uner- f
bittlicher Aufrichtigkeit betrachtete sief
sich
Ia: Sie war alt geworden! Graue s,
Fäden zogen sich durch ihr gelichtetes I
Haar, die dunklen Wimpern, die sonst ;
die vollen Wangen so reizend beschatte- s
ten, erschienen spärlich fahl. Aus den I
Augen leuchtete nur mehr ein mattes l
Feuer, die Mundpartie zeigte sich er- Z
schlafft, das Kinn zu voll, der Hals mit
Runzeln bedeckt. Und die einst so ge- i
schmeivige Gestalt hatte die fein-u Li- (
dien verloren, die Grazie, die ihr die I
Erdenschwere genommen. !
Edwina’s Augen füllten sich mitl
Thränen. Ja, sie war alt geworden!
Aber mußte sie deshalb komisch wir
ken? Den Spott, die Lachlust rei
zenZ
Sie wendete und drehte sich nach al
len Seiten. Nein! Einen komischen
Eindruck brachte ihre Erscheinung nicht
hervor! Was sie da im Spiegel er- i
blickte, war eine gealterte Schönheit,
die der Zeit den Tribut gezollt hat ——— «
das Spaßhafteste, das Grotestr. das
würde erst künstliche Nachhilfe, !
Schminie, absonderliche Tracht und
Perücken ihr anhaften müssen
Sie richtete sich auf. Komische Al
te! Niemals würde sie einweiligen, das
zu werden. Lieber sterben! Wozu leb
te sie iiberhaupt, wenn man ihr den «
Boden entzog, in dem sie Wurzel ge
schlagen, auf dem sie gebliiht hatte ?
Verwirrt von ihrer Begeifterung
für die Kunst, überspannt, romantisch,
war sie als achtzehnjiihriges Mädchen
aus dem Elternhause entflohen. Jhren
Stolz hatte sie nicht zugleich mit ihrem
Namen abgelegt, als sie die Bretter be- :
trat. Unter den erdriickendsten Ver
hältnissen war sie vornehm, adlig ge
blieben, nie hatte sie dem Bühnenleben
eine unwiirdige Konzession gemacht.
Und als später ihr Künstlername
gleich einem Stern über ihrem Haupte
strahlte, da hatte sie die Bescheidenheit
und edle Einfachheit bewahrt. Alles
drängte und stieß und suchte sich Raum
zu schaffen auf Kosten Anderer sie
vermochte das nicht. Sie blieb eine
der letzten Jdealistinnen in der Welt
des Scheins, der Jntrigue.
i
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Der Liebe, oer Leidenschaft harre sie
ihr Herz nicht geöffnet. Jn diesem
glühenden Herzen wohnten die Eg
mont, die Ferdinand, die Posa —- eine
Schaar Unsterblicher. Und neben ihnen
mußten alle irdischen Gestalten in den
Staub sinken. Eine ganze Reihe von
Männern war ihr genaht mit jenem
aus Eitelkeit und IHerablassung zusam
mengemischten Gefühl, das Bühnen
tünstlerinnen entgegengebracht zu wer
den pflegt. Glänzende Versorgungen
hatte sie ausgeschlagen und selber nur
an die Treue und Echtheit eines einzi
gen Mannes zu glauben vermocht. Der
kurze Traum war noch unter dem Dach
ihres Vaterhauses geträumt worden.
Ein blutjunger Offizier hatte ihr sein
heißes Herz zu Füßen gelegt, und sie,
"sie hatte es verschmäht, trotzdem in
ihrem eigenen Jnnern eine warnende
Stimme sprach und tönte. Sie war
der Kunst, dem Ruhme entgegengele- ;
gen!
der-gesehm nur durch die Zeitungen je
und je von seiner Beförderung Kennt
niß erhalten, und vor zehn Jahren et
wa auf demselben Wege von seiner
Vermählung Jn glänzenden Verhält
nissen mochte er leben, und sie —- sie
sollte zur komischen Alten degradirt
werden!
Es wurde leer in ihr, öde, kalt.
Sie hatte es gelernt, Entschlusse zu
fassen, gelernt bei ihren Heiligen, bei
der Thekla, bei dem Märchen des gro
ßen Egmont — — —- Nur teinen
Kompromiß machen mit dem Leben,
nur nicht den Staub berühren mit der
Stirn! Sie würde zu sterben wissen
als eine Heldin, wie sie so est aus der
Bühne gestorben war!
Sie schrieb keine Antwort an die Di
Nie hatte sie den Verschmähten wie- »
reltion. Der Brief, der ihr Leben ver
nichtet hatte, blieb auf dem Fußboden
liegen.
- Den Tag über beschäftigte sie sich mit
dem Ordnen ihrer Habseligleiten. Jhre
geringen Ersparnisse bestimmte sie für
ein paar blutarme alte Kolleginnen;
alles Schristliche, Briefe, Krititen ver
brannte sie, nachdem sie diese noch ein
mal durchgelesen. Hicxbei war ihr ein
kleines, rührend unbeholfenes Gedicht
in die Hände gelommen. Von dem jun
gen heißen Menschen stammte er, der sie
geliebt in ferner Jugendzeit. Sie
konnte es nicht verbrennen, ihr war’s,
als sollte sie etwas Lebendiges den
Flammen auslieferm als müßten die
treuen Worte Qual empfinden .....
sie legte das Blättchen in eine kleine
Tasche, deren Jnhalt zu ihrer Relog
noszirung dienen sollte, wenn man sie
morgen fand .....
Dann machte sie sich aus, noch ehe die
Dämmerung sank, um im Stadtpark
die Nacht abzuwarten. Jn dem stillen
Weiher mit denSeerosen wolle sie schla
fen gehen. So lonnt wenigstens Nie
mand sagen oder schreiben, daß Edwi
PRDallmer als lomische Alte gestorben
et.
Das Wort rrteo ne aus der Weit,
das schreckliche Wort! . . .
Zu ihrem Befremden fand sie die
einsame Bank neben dem melancholi
schen Teich nicht unbesetzt. Sonst wur
de der Platz von fröhlichen Menschen
gemieden, heute hatte sich ein Kleeblatt
dort angesiedelt. Drei Kinder und eine
junge Hütetin Die Kinder tollten
übermüthig am Ufer umher, zwei Kna
ben und ein Mädchen, alle weiß geklei
det-, mit dunklen Haaren und leuchten
den Blauaugen.
Der ältere Knabe schien sich mit dem
Mädchen in hundert Uebermiithigkeiten
und Wildheiten zu verstehen. Der
zweite Knabe hielt sich mehr abgeson
dert und wurde von den anderen geneckt
und verspottet.
Edwina hatte neben der jungen Hü
terin Platz genommen. Gegen ihren
Willen zog das Treiben der Kinder sie
an. Die Verstoßung des Kleinen weckte
ein Echo in ihrer Brust. Sie lauschte,
horchte, beobachtete. Und die junge Hü
terin wurde plötziich plauderhaft.
,,Jsmmer steht er daneben, der Ernst!
Niemals erwischt er Etwas! Die bei
den Großen werden ihn noch todt le
ben!«
Edwina horchte aus. Todt leben!
War sie nicht auch nieder-gelebt worden
von einer frischen, muthigen Kraft-!
Und dieser Knab war so jung noch, so
klein, so schwach! Und schon unglück
lich wie sie!
Jhr Herz begann sich mit Mitleid zu
füllen, eine geheimeZärtlichkeit erwachte
in ihr.
Die Hüterin schwatzte weiter.
»Die Ellen ist furchtbar schwer zu er
ziehen, ein boghaftes, snchippisches
Ding! — Es ist ein wahres Kreuz,
daß die Mutter von den Kindern weg
gestorben ist! Was soll nun aus dem
armen Ernst werden!«
Edwina durchfuhr’s. Eine Mutter
hatte von diesen drei reisenden Ge
schöpfen scheiden müssen! Und dieser
zarte Knabe stand verlassen, hungernd
nach Liebe neben den Geschwistern!
»Der Herr Major hat schon den Ab
schied genommen. Er will sieh gänzlich
den Kindern widmen. Hoffentlich giebt
er ihnen bald eine gute Stiefmutter.«
Mitleidig rief Edwina den kleinen
Ernst zu sich, ein paar liebevolle Fragen
an ihn richtend.
»Ich soll nicht mehr mitspielen,«
stammelte er betrübt. »Ich soll nach
Haus gehen, haben sie gesagt.«
»Willst Du Dich auf meinen Schooß
setzen? Soll ich Dir ein Märchen er
zählen?« fragte Edwina leise.
Die blauenAugen leuchteten aus. Der
Knabe lauschte —- beinahe andächtig
1ausch1e er, uno ais Die Crzaylerin ge
endet, da schlang er seine Aermchen um
ihren Hals und flüsterte: »Du bist wie
die Mutter war —«
Edwina erbebte. Durstige Sehn
sucht regte sich in ihr. Eine einzige
Welle aus dem großen Meer der Liebe,
durch einen Zufall herangetrieben, hatte
genügt, die trüben Todesgedanten aus
ihrem Jnnern sortzuspülen
Die Wärterin erhob sich, um die äl
teren Kinder aufzusuchen, die plötzlich
unter lautem Gelächter davongerannt
waren. —- Edwina zog den Knaben an
ihre Brust, sein blasses Gesichtchen mit
Küssen bedeckend.
Da knirschte der Kies hinter der
Bank unter festen Schritten.
,,Ernst!« rief eine tiefe Stimme.
Der Knabe schmiegte sich enaer an
seine Beschützerin
,,Vater!« Er jauchzte es beinahe.
»Ich hab’ eine Mutter gefunden!«
Jn Edtvina’s verblühtem Gesicht
sammelte sich das Blut zu einem flam
menden Erröthen. Noch suchte sie nach
einer passenden Wendung, um damit
das holde, unbedachte Kinderwort aus
znlöschen, da stand bereits eine hohe
Männergestalt vor ihr, ein leicht er
grauter Kopf neigte sich über sie hin —
sie blickte in ein Paar Augen, die sie
nicht gesehen, seit sie ihr Vaterhaus ver
lassen — —
Vom Roth der Abendsonne und der
Scham verklärt, saß sie da. Die
Schönheit ihrer Jugend schimmerte
über ihre Züge hin . . .
Der Mann vor ihr griff sich an die
Schläfe. z·
»Ellen!« Dcr Name, den Edwina
einst getragen, ehe das Licht der Lam
pen sie bestrahlt, lam von seinen Lip
I pen. »Ellen!«
,,Wolfgang!« erwidektesieszleise pet
halten, zaghaft
,,Ellen! Du! Meinen Knaben im
Arm und der Knabe nennt Dich
i Mutterl«
I Dascmr ihr das-Haupt um siehet
« wurde Alles grau, Schatten schlichen
. aus den Büschen und langten nach ih
rem Herzen
»Ich war hierhergelommen, um zu
sterben,« murmelte sie. »Man hatte
mich aus dem Geleise geworfen, mich
gedemiithigt —- da streckte dies süße
Kind die Hand nach mir aus —- —
Dein Kind, Wolfgang!«
»Und der Vater thut es ihm nach!
Ellen, ich weiß, wie rein Du Dich stets
gehalten hast in Deiner gefährlichen
Karriere. Bin ich doch jedem Deiner
Schritte gefolgt. Aber ich wagte der
gefeierten Bühnenkünstlerin nicht zu
nahen als bürgerlicher Ofsizier. Jch
nahm mir endlich ein Weib für mein
Haus. Das Haus steht nun Verwaist
— meine Kinder sind verlassen. El
len —— ! wenn der Traum meiner Ju
gend so spät noch zur Wirklichkeit wer
hon fnnnip --
Geriihrt, bestürzt, die Augen voll
Thränen, blickte sie ihn an. »Man hat
mich erniedrigt,« stammelte sie. »Ich
kann Dir nicht zumuthen ——"
Er unterbrach sie. »Und wenn die
; ganze Welt gegen Dich aufsteht. Jch
glaube an Dich. Jch schütze Dich. El
len von Kottwitz — willst Du zum
Zweizten Male vor meiner Liebe flie
enc«
Da glitten ihre Blicke fort von dem
Weiher, der dalag, schwarz, binsenum
slort, von den Seerosen wie von Tod
tenblumen über-schimmert — sie lä
chelte.
Und aus einein schmalen Täschchen
zog sie ein vergilbtes Blatt. »Von Al
lem, was ich besessen im Leben, war es
das einzige, das mir würdig erschien,
mich in den Tod zu begleiten —- —«
Der Mann las. Dann deckte er die
Hand über die Augen«
Und von ferne jauchzten zwei süße,
verwilderte Stimmchen: »Vater! Va
! ter!«
Der Goldontel in Ame
1 i k a Aus Rom schreibt man: Seit
zwei Jahren war ein junger Fischer
i von Ancona mit einer Fischerin aus
s derselben Seestadt verlobt. Da beide
blutarm waren, hatten sie wenig Aus
sicht aus Erfüllung ihrer Sehnsucht
! nach einem trauten Eheheirn. Da er
? innerte sich eines Tages das Mädchen,
nachdem sie wieder einmal inbrünstig
die Madonna um Hilfe angefleht hatte,
daß sie einen Onkel in Amerika besiiße,
der reich sei. Sie wandte sich also in
ihrer Herzensangst an diesen und er
hielt eines Tages in der That einen
Brief, in welchem sich der gute Onkel
gern bereit erklärte, etwas zu ihrem
Glücke beizutragen —- vorläufig siige er
beisolaenden Eheck aus 837,000 bei.
Das Glück der Liebenden war vollstän
dig und die Legende vom Goldonkel in
Amerika hat wieder in ganz Italien
Gläubige gesunden.
Eine interessante Szene
aus dem Thierleben konnte
kürzlich von Ersurter Ausslüglern be
obachtet werden, die eine Waaensahrt
nach dem benachbarten Dorfe Schmira
machten. Jn ziemlicher Höhe schwebte
über einein scheinbar ahnunaslosen
Staar ein Habicht. Plötzlich stieß der
Räuber auf den laut aufschreienden
Staar und suchte ihn sortzutragen. Der
Kutscher knallte wiederholt laut mit der
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chen, und wirklich ließ dieser auch sein
Opfer fahren. Nun geschah etwas. was
alle überraschte. Der blutende, zer-·
rupfte Staat flog auf das Handpferd.
duckte sieh nieder und stierte unverwandt
auf den Habicht, der das Gefährt, den
Blick auf sein Opfer gefesselt, von
Baum zu Baum begleitete. Trotz der
lauten Unterhaltung der Jnfassen blieb
der Staat geduckt auf demPferde sitzen,
bis das Dorf erreicht und der Habicht
aus dem Gesichtskreis verschwunden
war. Da hob er fich, schüttelte das Ge
fieder und flog davon. Dieser Bor
gang ist wieder ein Beweis dafür, daß
kleinere Thiere in Stunden der Gefahr
Schutz bei größeren zu suchen pflegen.
Jtalienische Hirten im
Kampfe mit einem Wolfe.
Jn Cerchiara lCalabrien) wurde ein
Hirt des Fürsten Strongoli-Pignatelli,
der mit einem großen Hunde eine
Schafherde hütete, von einem Wolf
überfallen. Der Hirt schoß auf die Be
stie, traf sie aber nur an der Pfote.
Wild aufheulend in furchtbarer Wuth
zerfleischte jetzt der Wolf den Arm des
Hirten und ließ erst von seinem Opfer
ab, als der Schäferhund ihm in den
Nacken fuhr. Ein Kampf zwischen dem
Wolf und dem Hunde war die Folge —
doch der treue Helfer seines Herrn un
terlag. Inzwischen waren auf das
verzweifelte Geschrei des Berwundeten
hin drei andere Hirten herbeigeeilt.
Unbewaffnet, wie sie waren, nahmen
nun sie den Kampf mit dem blutgieri
aen Thiere auf. Der eine hatte den
Wolf mit eisernem Griff an der Gur
gel gepackt, die anderen hieben mit
Stöcken auf das Vieh ein, das endlich,
nicht ohne dem ersten Angreifer norh
einen schweren Biß in die Brust beige
bracht z haben, verendete. Zwei von
den tapkren Hirten schweben in Le
bensgefa r, die anderen haben im
Kampfe mit der Bestie mehr oder weni
ger schwere Verletzungen davongetra
gen.