Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 17, 1901, Sonntags-Blatt, Image 12

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Yas Bild im Fluge
Roman von F, Atuefeldt.
. FODTOJMO O
OJÆS - · HGB-s 90000000000
(1. Fortsetzung.)
»Und dann hatte er solche Eile,
konnte die Zeit nicht erwarten, bis
Alles fertig war, wie hier beim Musik
zimmer,« fügte Wilhelm hinzu.
»Was war damit?" erkundigte sich
der Commissar.
aDie Raume hier waren die zu der
Wohnung gehörende Küche und eine
We Stube,« erklärte Wilhelm Koh
Ie, »Den Mweiler sagte aber, er
Besuche sie nicht, fein Essen würde ihm
ja von meiner Mutter in unserer Kü
che gekocht, ein Musitzimnier müsse er
aber haben, und so baute er es sich.«
»War denn der Hauswirth damit
einverstandenlk erkundigte sich Dr.
Beutler.
»Warum nichts« entgegnete Frau
Köhnr. »Der-r Ahrweiler hat Alles
auf feine Kosten machen lassen, sich
verpflichten die Räume, wenn er sie
verlassen sollte, wieder in den vorigen
Zustand versetzen zu lassen, und einen
höheren Miethszins gezahlt, als alle
Anderen. Herr haberland, was der
Wirth ist, er wohnt in Berlin in der
Burgstraße, weiß schon, wo er bleibt.«
Die leyten Worte trugen ihr ein
warnendes Kopfschiitteln ihres Soh
nes ein.
»Da könnte er sich nun doch verrech
net haben," bemerkte der Arzt. »Die
Erben ——«
»Herr er Erden und rennen Die frei
unterbrach ihn der Polizeileutnant,
die legten Worte an Frau Köhne und
ihren Sohn richtend.
Erftere zögerte auffällig mit der
Antwort und versuchte mit den Augen
ihren Sohn zu befragen.
Wilhelm gab aber nicht Acht darauf
und sagte ganz unbefangen: »Es woh
nen Geschwister von ihm in Berlin;
ich kenne ste nicht, aber meine Mutter
weiß von ihnen und kann Jhnen ihre
Namen nennen.«
»Es sind ——« begann Frau Köhne
immer noch etwas widerwillig
Aber der Polizeileutnant unter
brach sie: »Lassen wir das jetzt; Sie
werden mir das später zu Protokoll
geben, denn ich muß Sie nebst Mann
und Kindern ordnungsmäßig verneh
men, sobald wir die Localbesichtigung
beendet haben. Auch Jhre Aussage
muß ich zu Protokoll nehmen« Herr
Doktor, und dann helfen Sie wohl,
daß die Leiche zur gerichtlichen Obhut
tion ins Schauhaus geschafft wird.«
»Jns Schauhaus!« schrie Frau
Köhne voll Entsetzen. »Warum denn
das-? Kann der arme Herr denn
nicht —-—«
Ein Händedruck Wilhelms ließ die
Mutter zwar im Satze verstummen,
die Vorstellung, die sie mit demSchau
haus verband, mußte aber so furchtbar
sein, daß sie dadurch ganz aus dem
Gleichgewicht gebracht wurde. Nur
mit Mühe waren ihr die Aufklärun
gen, deren die Beamten bedurften,noch
abzufragen.
Die Wohnung endete beim Musik
zimmer. Eine am Ende des hinteren
Corridors befindliche Thitr führte zu
einem Vorraum, von dort gelangte
obtain mittelst einiger Stufen aus den
·- o .
Frau Köhne erklärte, daß sie nur
am Morgen,wiihrend sie die Wohnung
reinigte, diese Thiir benutzte, wöhrent
des Tages ging sie stets die Vorder
treppe hinauf; und das Gleiche that
immer ihre Tochter, die gar keiner
s« Schlüssel zur Hinterthür besaß; dies
wnrde von der Frau verschlossen unt
außerdem durch eine Sicherheitslettt
verkehrt
Do war es auch Ietzt noch; man ot
leifeste Spur eines gewaltsamen Ein
beuchs war an der Thüre sichtbar, unt
ebenso waren die Fenster fest verschlos
sen und mit Läden verwahrt. Es
konnte Niemand ohne Wissen unl
Willen des Inhabers in die Wohnung
gedrungen sein.
Es ließ sich nur annehmen, das
Ahrweiler der Person, die den mörde
tischen Angriff auf ihn verübt, selbs
die Thür geöffnet und sie in feinZim
mer geführt hatte; es entsprach aber
seinen einsiedlerischen Gewohnheitei
so wenig, dies zu thun; es verginget
nach Versicherung der Portiersfrak
Wochen, ohne daß ein einziges Mal at
seiner Thüt geklin elt ward. Er gal
reichlich zu allen ammlungen, hatt
aber Sorge getragen, daß er durch kei
Inn Bitifieller behelligt ward. Rech
strengem deren et wenig machte, tout
den beim Portier abgegeben und dor
bezahlt, X auch der Steuerbote hatt
dort seine Roten in Empfang zu neh
men.
Wer war es, dem Den Ahtweile
ZU seinem Unglück die Thür geöffne
M? das war die Frage, die mai
« then .
W WANT-»Wi- »
« hatten der Potizei
Unmut und des commissat an des
in der Mitte stehenden Tische Platz
genommen, um die wenigenPersonem
die augenblicklich bei der räihselhaften
Angelegenheit in Frage kamen, zu ver
hören.
Dr. Beutler war der Erste, den
man um seine Aussage ersuchte.
Der Arzt konnte sich kurz fassen. Er
war durch Wilhelm Löhne, den Sohn
des Portiers in der Uhlandstraße Nr.
175, benachrichtigt worden« daß an
dem daselbst wohnenden Rentier Abr
weiler ein Mord veriibt war oder daß
er Selbsttnord begangen habe. Un
gefaumt hatte er sich dorthin begeben,
den ihm als Ahrweiler bezeichneten
Herrn in seinem Schlafzimmer auf
dem Teppich in einer Blutlache liegend
gefunden und conftatirt, daß dieses
lut aus einer durch ein spitzez schar
fes Instrument herbeigeführten Brust
wunde geflossen war.
»Sie fanden kein Lebenszeichen
mehr an dern Berwundeten?« fragte
der Leutnant.
Mit Nachdruck antwortete Beutler:
»Nein; der Tod muß beinahe augen
blicklich eingetreten sein, nachdem der
Stoß vollführt war, denn er ist gerade
ins Herz gedrungen. Jch bin geneigt,
die Person, durch die das geschehen,
für nicht ganz unbewandert in den«
Gesetzen der Anatomie zu halten.«
Der Commissar schaute interefsirt
auf und schrieb einige Worte in das
vor ihm auf dem Tische liegende Ta
schenbuch, machte indeß weiter ieine
Bemerkung.
·Der Leutnant fragte weiter: »Sie
sind der Ansicht, der Stoß sei mit dem
neben dem Todten aufgefundenen
Doth geführt?«
»Uyllc clucll öwclfcl," cleDcklc
Beutler lebhaft. .
»Komm das durch Herrn Abwei
ler selbst geschehen sein .’-"
»Nein, nein,« war die schnell er
theilte Antwort, »ich nehme diese Ver
sicherung auf meinen Berufgeid Ein
Selbstmord ist durch die Lage, in der
ich den Todten gefunden, sowie durch
die Lage, in der ich den Todten ge
funden, sowie durch die Beschaffenheit
der Wunde völlig ausgeschlossen.«
»Und wie lange konnte der Tod
schon eingetreten sein, als Sie dieLei
che besichtigten««
»Zwei bis drei Stunden. Der
Mord ift aller Wahrscheinlichkeit nach
zwischen 10 und 11 Uhr heute Bor
mittag geschehen.«
Auch Wilhelm Köhne, den der
Leutnant vernahm, nachdem Dr.Beut
ler abgetreten war und sich im Ein
verständniß mit dem Polizeileutnant
entfernt hatte, wußte verhältnismä
ßig wenig zu berichten· Er war wäh
rend des ganzen Tages vom Hause ab
wesend, besuchte am Abend gern noch
wissenschaftliche Vorträge oder saß le
send in seinem Kämmerchem wenn die
Mutter im Hause nicht noch seiner
Hülfe bedurfte; um die Lebensverhiilt
nisse der Miether hatte er sich nie ge
kümmert
Der junge Mann schilderte, wie er
heute um ein Uhr zum Mittagessen in
die elterliche Wohnung gekommen, sei
ne Schwefter ganz fassungslos gefun
den und erfahren habe, die Eltern
wären oben bei herrn Ahrweiler, dem
ein Ungliick zugestoßen sei. Er sei
hinausgegangen, habe Herrn Abwei
ler in seinem Blute schwimmend ge
funden und sogleich gesehen, daß er
todt sti. Er have die Eltern verhin
dert, die Leiche aus ihrer Lage zu
bringen oder irgend etwas in verunr
gebung des Todten zu verändern, und
sei dann fortgegangen, um einen Arzt
zu holen und die Polizei zu benachrich
tiaen. Er sei fast gleichzeitig mit den
Herren wieder nach der Uhlandstraße
gekommen.
fis-L Kä- I-I- I-:-- Ic-....- h....-r.
su- Va- Hut-ou unu- UVIUCIIVHIUSW
wen der Mord verübt sein könntes«
fragte der.Polizeileutnant, ein junger
Mann, den sein Eifer ein wenig zu
weit führte. Er mußte sich einen war
nenden Fußtritt des Commissärs un
ter dem Tisch gefallen lassen.
Wilhelm Löhne tief anz erschrocken
aus: »Wie sollte ich? eh sagte den
Herren schon, ich habe Herrn Abwei
ler kaum gekannt, geschweige Jemand«
der zu ihm gekommen ist. Während
dex drei Jahre, die er hier gewohnt
hat, bin ich vieseicht zwei- oder drei
mal in seiner Abwesenheit heraufge
iommen, wenn meine Mutter hier rein
gemacht hat«
»Was haben Sie da in der Woh
nung gethan?« fragte der Leutnant
lebhaft. .
Aus dem länglichen, faltenreichen
Gesicht des Commissärs erschien eir
humoristischez Lächeln, das sich noch
verstärkte, als der junge Mann jetzt
stehe gelassen weiter Rede und Antwort
and.
»Ich halt die Teppiche zum Klopfen
nach dem haft-nnd wieder heran-stra
gen nnd sah mir bei der Gelegenheit
auck die vielen schönen Sachen an, be
M
londers die Waffen, file die ich großes
Znæesse habe," erklärte der junge
o e.
.So tannten Sie auch den Dolch,
mit dem der Mord deriibt worde
istk sra te der Leutnant.
»Gewigß, er gehört zu Herrn Aho
weiler’s Sammlung und muß durch
den Mörder herabgerifsen sein. Mit
fiel die leere Stelle aus dekn rothen
Teppich aus, noch ehe ich ihn neben dem
Todten liegen gesehen hatte,« entgeg
nete Wilhelm, und der eutnant dachte
mit einer Art von Bes iirnung, daß
der einfache Maschinenbauer da mehr
gesehen hatte, als er selbst.
So klar und bestimmt Wilhelm
Köhne’s Aussagen gewesen waren, so
confus waren die seines Vaters
Der Portier schilderte, bei jedem
Saß von einem pfeifenden Husten un
terbrochen, breit und umständlich,
wann er heute Morgen ausgestanden,
was er getrunken und gegessen, was er
zu seiner Frau gesitgt und wie er sich
geärgert hatte, daß sie wieder so lange
oben bei Herrn Ahrweiler geblieben sei,
nachdem sie ihm um sieben Uhr den
Thee gebracht hatte. »Er stand im
mer so friih auf und brachte das ganze
haus in Alarm7 seine Geschäfte wa
ren auch noch besorgt worden, wenn er
bis neun Uhr im Bette gelegen hätte.«
seßte er hinzu, und sein Ton verrieth
Gehässigleit gegen den Todten.
Der Polizeileutnant wollte ihn be
deuten, daß all dies nicht zur Sache
gehöre
Aber jetzt bemächtigte sich der Com
missiir des Verhörsz er wat der Mei
nung, daß aus dem Uebelwollsi, Zer
sahrenen doch vielleicht Brauchbares
herauszubringen sei.
Der Portier fuhr denn auch fort,
weit mehr von sich als von Ahrweiler
zu erzählen und zu schildern, wie
schwer er darunter habe leiden müssen,
daß der Miether gar zu anspruchsvoll
gewesen sei. Keine halbe Stunde habe
er Ruhe gegeben, den ganzen Tag sei
das Gebimmel gegangen, Frau und
Tochter hätten beständig aus derTrep
— pe gelegen.
L
»Er hat sich doch aber heute mehrere
Stunden nicht hören lassen, so daß
Jhre Frau besorgt geworden ist und
die Tochter hinaufgeschiclt hat,« sagte
der Leutnant.
Mit einer an ihm befremdenden
scharfen Logik ries Köhnet »Daran
sehen Sie ja am besten, wie er es ge
trieben hat; erberhielt sich ein paar
Stunden ruhig, da gerieth meine
Frau schon in Angst, und er toiirde es
auch gewiß nicht gethan haben, wenn
er am Leben geblieben wäre.«
Wieder zeigte sich dag humoristische
und dabei doch so zurückhaltende Lä
cheln in den Mienen des Commissars.
Der Polizeileutnant vermochte nur
schwer seine Verlegenheit über die ihm
zu Theil gewordene Absertigung zu
verbergen. Um der Sache eine andere
Wendung zu geben, machte et die nicht
eben glückliche Bemerkung: »Der Ver
storbene scheint nicht gerade Jhr
Freund gewesen zu sein."
Löhne lachte wegwerfend. »Wüszte
nicht, weshalb. Habe nur Verdruß
und Scherereien durch ihn gehabt. Da
bei roar er so hochmüthig, daß er sich
für zu gut hielt, jemals ein übriges
Wort an Unsereinen zu richten. Der
Herr Oberst aus der ersten und die
Frau Wirkliche Geheimriithin aus der
zweiten Etage gehen nie vorüber, ohne
daß· sie sich ertundigen, wie es mit
meinem Hasten steht.« Er wars sich
bei diesen Worten in die Brust.
»Sie scheinen es ungern esehen zu
haben, daß hre Frau die edienung
des herrn hrtoeiler besorgte,« nahm
der Criminalcommissat das Wort und
ließ seine dunkelgrauen Augen so
durchdringend aus dem Portier ruhen,
daß diesem siedendheiß ward.
Hastiger als bisher antwortete
Köhnet »Das lönnen Sie einem tran
terk Mann, der setber seine Abmar
tung braucht, doch nicht verdenlen,
here Commissan Nicht eine halbe
Stunde war ich sicher, daß Frau und
Tochter mir von dem hochniisigen Pa
tron, der mir kaum die Tageszeit bot,
nicht sortgerusen worden«
»Warum erlaubten Sie es denn’i«
sra te Müseler und fügte, da Löhne
ni t sogleich antwortete, hinzu: »Dort
weil J en die Be ahlung, die Jhre
Trau für die-geht ete·n Dienste er
" chlh lllll ZU VIUUM Ism·
Löhne schnitt eine Grimasse. »Ach,
das war nicht so viel und hätte sich
anderweitig auch verdienen lassen. Er
schenkte nie etwas nnd gab nur genau,
was ausbedungen war. Wären nicht
die Einnahmen von den Verwandten
gewesen —'·
»Von welchen Verwandten?«
»Was sitt Einnahmen?« sragten
hier gleichzeitig der Commissar und
der Leutnant.
Köhne merkte, daß er eine Dumm
heit gemacht habe. Er mußte irgend
wo gehört haben, daß« Niemand ge
zwungen sei, etwas aus usagen, wo
durch er sich selbst bezi tigte, und so
war aus ihm nichts mehr herauszu
bringen. Er hustete, "coinselte, er sei
ein kranker Mann, ein armer Krüp
pel, der von nichts wisse, und es blieb
nichts übrig, als ihn zu entlassen nnd
die Frau vorzurusen.
Frau Löhne hatte die Art und
Weise, wie man Ahrtveiler gesunden
schon wiederholt erzählt und auch ge
schildert, wie ste und die Tochter ihn
bedient hatten, daß darüber lurz hin
stoeg egangen werden konnte, und ei
war hr nun die Frage vorgelegt,
welche Entlohnung sie sür ihre Dienst
M
letitungen erhalten habe. Zigernd
nannte sie die Summe, die ihr monot
lich gezahlt worden war.
Kopfschiittelnd bemerkte der Leut
nant: »Das ift eine recht anfe liche
Bezahlung, und Ihr Mann prach
noch von Einnahmen, die Sie außer
dem gehabt hatten.«
Frau We erschrak fo, daß die
bereits auf ihrem Antlitz zurückgekehr
ten blühenden Farben erblichen und
einer fahlen Blässe Platz machten.
Was hatte ihr Mann denn da für
Dinge ausgefchwahtZ Da tonnte sie
ja in eine arge Bedrängniß kommen.
»Einnahmen, die ich außerdem noch
gehabt haben soll? Jch weiß gar
nicht, was mein Mann damit meinen (
kann!« stammelte sie. (
Der Commissar lam ihr zu Hülfe; i
er glaubte. die Frau gedenke der vie- !
len Schtvtinzelgrofchem die sie bei
den Einkäufen für Herrn Ahrweiler
ohne Zweifel gemacht hatte, fürchtete,
ihr Mann habe davon geplaudert und
man werde fie ob diefer Unehrlichkeit
zur Rechenschaft ziehen. Es lag aber
gar keine Veranlassun vor, sie nach
träglich wegen dieser «« chiidigung der ;
Kasse des Verstorbenen noch in An
spruch zu nehmen; dagegen konnte es ;
von großer Wichtigkeit fein, etwas
iiber die Beziehungen der Portierfrau -
zu den Verwandten des Ermordeten T
zu erfahren und so fogte er: »Ihr f
Mann sprach von Verwandten des
Verstorbenen, durch die Sie Einnah
men gehabt hätten.« «
Ein neuer Schreck durchzuckte Frau i
Köhne und doch athrnete sie erleichtert
auf. Daß Ahrweiler Verwandte ge
habt, konnte ja fo wie so nicht ver
schwiegen bleiben. »Ach, die paar
Mark,« fagte sie, schon wieder gefaßt,
»die ich von der Frau Majorin Depv- !
ner und der Frau Räthin Kunze be- F
kommen habe! Er ftellt fich da viel
mehr-vor; als es ist« Hm
o-..
»Wer slllo olc Ukclu UCOIUIIIlLJcpsF I
ner und die Frau Räthin Kunzei«
fragte der Leutnant, während der
Commissar eifrig in sein Buch schrieb.
«Schwestern von Herrn Ahrweiler.«
»Schwestern!« riefen beide Herren.
»Herr Ahrweiler hatte Schivestern?«
.Drei!« erzählte Frau Köbne, »aber
eine ist todt; die war an den Kaus
mann Jl ener verheirathen-der in der l
Leipziger trasze das große Colonial
waarengeschiist hat«
»Aber Sie sagten doch, es sei Nie- i
mand zu Herrn Ahrweiler getommen.« i
»So gut wie Niemand. Jm ersten I
Jahre kamen die Schwestern und die »
Schwestertinder noch zu seinem Ge- I
burtstage am 16. September und zu
Neujahr; sie haben ihm aber zu viel
Ausbeben von seinen schönen Sachen
gemacht und sich zu sehr merten las
len, daß sie davon etwas haben möch
ten, da wollte er sie nicht mehr hier
haben. Er ist aber zu ihnen gegangen
und sie haben auch von ihm bekom
men.«
«Woher wissen Sie basi«
»Von Herrn Ahrweiler nicht, das
stimmil« lachte die Frau. »Der schwieg
sich über Alles aus, aber die Damen
haben es mir erzählt, wenn ich zu ih
nen tam."
»Sie gingen zu den Damen? Was
thaten Sie da-«
Frau Löhne spielte mit dem Schär
zenband, schlug die Augen nieder und
antwortete: »Je nun, wenn man einen
einzigen Bruder hat« der ein schwer
reicher Mann ist und hält einen so
fern, da weiß man doch gern —« Sie
hielt inne, osenbar in Verlegenheit,wie
sie iich ausdrücken sollte.
Der Polizeileutnant lachte. «Ob
er noch lebt, ob er gesund oder krank
ist, wer bei ihm ein- und ausgeht u. s.
w. Aengstigen Sie sich nicht, derglei
chen Berichte sallen nicht unter das
Strafgesetz. haben Sie denn viel
zu erzählen gehabt?«
»Ach nein!« gestand die Frau. »Es
kam ja fast Niemand zu ihm, er schrieb
keine Briefe, oder wenn er welche
schrieb, brachte er sie selbst zur Post
und holte sie sich auch von dort ab;
ein Priestriiger kam nie in? Haus
und ein Coubert oder sonst etwas
Schristliches hab ich nie im Papier
iorb oder sonst wo gesunden.«
Der Leuinant und der Commissar
sahen sich belustigt an; die Neugierde
der Frau mußte bei Herrn Ahrweiler
arge Qualen erduldet haben. »Sie
sagten vorher, es sei fast Niemand zu
Herrn Ahrweiler etommen, also hat
er doch zuweilen esuch gehabt.«
»Ein Herr? Wie heißt er? Wie sah
er aus?«
»Seinen Namen hab ich nie gehört
und beschreiben kann ich ihn auch
nicht. Er war wohl ein Jugendfreund
vom Herrn und stand ungefähr mit
ihm im gleichen Alter. Jch glaube, er
wohnt nicht in Berlin.«
»Wer-us schließen Sie das-P
»Ich denke, er würde öfter gekom
men sein, wenn er in Berlin gewohnt
hätte, denn der Herr freute sich, wenn
er kam und hatte auch großes Ver
trauen zu ihm. Vor vierzehn Tagen
als er zuletzt hier war, hab’ ich Beide
noch an dem eisernen Schrank sißen
sehen. Alle Fächer standen offen und
es lagen Gelt-rollen und Scheine auf
dem Tisch-«
Das haben Sie gesehen?«
«Getvitz; der here schickte mich zwar
sogleich hinaus, aber gesehen half ichs
doch und es nachher meinem Wilhelm
erzählt.«
Frau Löhne hatte mit dieser Erzäh
lung Alles gesagt, was sie zu berich
ten vermochte, und es wurde ihr nun
-.s--..——..---.-.-.——-.....-.--.
fusgetragem ihre Tochter herbeizan
en
Da Marie den Ermordeten zuerst
aufgefunden, hätte sie eigentlich fdie
Erste in der Reihe der u vernehmen
denPersoth sein mit m, ihr Vater
hatte jedoch gebeten, sie noch zu ver
chonen, da sie sich gar nicht fassen
könne, und so hatte man ihr Verhör
bis zuletzt aufgespart.
Die Mutter hatte auch jeßt noch
Mühe, sie hinauszubringen. Sie
sträubte sich, behauptete, sie tönne nicht
wieder in die Wohnung des Ermorde
ten gehen und sie wisse auch gar nichts.
Bei diesen Betheuerungen blieb sie,
als sie endlich den Beamten gegenüber
stand. Man mußte ihr jedes Wort
förmlich abzwingen, Und man erfuhr
von ihr nichts, als was bereits durch
die Eltern und den Bruder ausgesagt
worden war.
Dem gewiegten Eriminalcommissa
rius wollte es jedoch scheinen, als hol-«
te das Mädchen mit irgend etwas zu
rück. und ihre Angst und Verstörtheit
rühre zumeist davon her, daß sie fürch
te, es könne ihr trotz aller Vorsicht ein
Geständniß entrissen werden, das sie
nicht machen wollte. Er ließ sich indeß
von dieser Wahrnehmung nichts mer
len, sprach auch zu dem Polizeileut
nant nichts davon, nahm sich aber vor«
Marie Löhne im Auge zu behalten.
Inzwischen waren die zum Trans
port der Leiche nach dem Schauhause
» telephonisch beorderten Beamten ange
lommen und walteten ihres Amtes.
»Der Todte wurde hinuntergetragen
»unter dem Zulan einer Menge von
Gassern, die die Kunde von dem
schauerlichen Ereigniß bereits herbei
gelockt hatte, in den Tragelorb gelegt,
von sechs Männern auf die Schultern
genommen und fortgeschafft
Der Polizeileutnant schloß dasBer
hör und ließ die Familie Köhne das»
Instituan esntsksrbkoibon Dis Nin-dok- i
und Hinterthiir der Ahrwetler schen
Wohnung wurden verschlossen und je
ein Siegel davor gelegt, dann entfern
ten sich die Beamten.
Der erste Art des Dramas hatte sein
Ende erreicht.
s.
»Hast Du heute schon die Zeitung
gelesen, Karl?«
Die Gattin des Spinnereibesitzers
(
(
Dornedden in Landeghut in Schlesienx
richtete dise Frage an ihren Mann, «
als sie ihm den Kaiser brachte, den er «
nach dem Mittagsschläschen zu trinken »
pflegte
Noch etwas schlastrunlen, hob der
Gesragte noch aus dem-S opha liegend
» den Kopf in die Höhe, rieb sich die Au
j gen, strich mit der hand über die hohe
Stirn, von der das Haar schon start
zurückgewichen war, nd wiederholte
sich besinnend: »Die Zeitung gelesen?'«
Nach einer kleinen Pause fügte er hin
u. »Nein, dazu bin ich heute wirklich
noch nicht gekommen; ich habe bei mei
ner Deimtehr am Morgen eine solche
Menge von Geschäften und meistens
inicht gerade angenehmer Art vorge
, sunden, daß mir teine Zeit zum Zei
»,tunglesen geblieben ist« Wir mußten
« ja auch das Mittagsessen um länger
als eine Stunde hinausschieben.«
»Und dann hast Du so gut wie
nichts gegessen!« bemerkte die schlanke,
blonde, noch sehr hübsche Frau und
liesz das seelenvolle, hellt-laue Au e
mit nur mühsam verhehlter Vesorgniß
aus ihrem Manne ruhen, dessen start
durchsurchtes, glatt rasirtes Gesicht
schmal und lang war und durch den
spitz zulausenden Bart am Kinn noch
länger erschien. Es lam ihr vor, als
sei et über Nacht umJ ahre iilter ge
worden Schweigend goß sie den start
dustenden Kassee in die Tasse, siigte
Zucker und Sahne hinzu und reichte
sie ihrem Manne.
Dornedden richtete sich auf, nahm
die Tasse, hob die breiten, schweren
Augenlider-, durch welche die etwas
müde blicktenden grauen Augen mei
nens haio verschleiert wurden und
fragte, sie forschend anbiickend: »Wie
kommst Du auf die Frage, ob ich die
Zeitung heute schon gelesen habe?«
»Ach, wie man so fragt, es hat tei
nen besonderen Grund,« erwiderte sie
ausweichend und verzog den seinge
schnittenen blossen Mund zu einem
Lächeln, das ihr aber snicht vorn her
zen kam. Wie um dem Gespräch eine
andere Wendung zu geben, erkundigte
sie sich dann: »Du hast Ahrweiler ge
stern nicht gesehen?«
Dornedden fuhr zusammen, die
Frage schien ihn unangenehm zu be
rühren, und mit einer ihm sonst nicht
eigenen hast antwortete er: »Nein, ich
würde Dir sonst bei Tische schon da
von erzählt hat-ein«
»Du warst bei Tische so in Dich ge
lehrt, sprachst gar nicht, da wollte ich
Dich nicht mit Fragen belästigen,«
sagte sie mit einem Seufzer.
»Wie hätte ich zu ihm nach Char
lottenburg gelangen sollen?" erwiderte
Dornedden. »Ich traf gestern Morgen
in Berlin ein. mußte am Abend wie
der abreisen, und Du weißt, was mir
zu thun oblag!'« Auch er seufzte tief
auf, und die Linien in seinem Gesicht
schienen sich noch mehr zu vertiefen.
Dieser Anblick schnitt der besorgten
Frau in's Herz, und sie sagte leise:
»Er hätte Dir doch vielleicht rathen,
beispringen tönnent Er ist doch Dein
Ireund.«
Dornedden streckte wie abwehrend
beide hände aus. »Er nennt sich so
nnd sagt sogar, ich sei sein einziger
reund; das wtirde aber sogleich vor
i sein, wenn ich ihm mit einem An
liegen käme." ·
»Sonderbare Freundschast,« mur
melte die Frau. und ihre Stirn zog
sich usammen.
»Du kennst ihn nicht so wie ich,
Elisabet Du weißt nicht, durch we -
che Schi ale er mißtrauisch, ja bei
nahe menschenseindlich gemacht wor
den ist,'« entgegnete er.
Frau Dornedden nahm an, ihr
Gotte wolle durch diese Worte den
Freund bei ihr vertheidigen und sagte
einlentend: »Es würde Dir auch
schwerlich etwas geholfen haben, wenn
Du zu ihm gegangen wärest.«
»Wieso? Was weißt Du von Ahr
weiler2« fragte Dornedden.
»Ruhig, ruhig, Karl!« bat die saus
te Frau, ihre schmale, kühle Hand aus
die des erregten Mannes legend.
Aber et schob sie hinweg und wie
derholte heftiger: »Du weißt etwas
von Ahrweiler! Es hat etwas über ihn
in der Zeitung gestanden! Deshalb
fragtest Du vorhin, ob ich sie gelesen;
hole sie mir, sie steckt in meinem Ue
berroct.«
»Es steht etwas über ihn in der
Zeitung, Du kannst es aber noch aus
sijhrlicher in einem Briese von Milli
bald iesen," gab sie zu. -
« illibald hat geschrieben-X Wann
den-ji«
»Du hattest Dich soeben zum
Schlummer niedergelegt. Es war ein
an mich gerichteter Eilbries.«
Jhr Mann ließ sie nicht weiter re
den; er wars die Decke, die er über sich
gebteitet hatte, von sich und sprang
mit beiden Füßen zugleich vom So
pha empor. »Es —- es rst Ahrweiler
etwas zugestoßen!« leuchte er.
»Ja —— ja,« gab die Frau zu.
sc- ZU t-h«l sc- äkt ----- L«4I«
»So s.0 III-o VI lls ssIIIUDUIOO
schrie Dorneddenz fein Athem tam
ftoßwetse aus der Brust, tlappernd
schlugen die Zähne aufeinander, große
Schweißperlen standen auf seiner
Stirn.
Der Anblick entsetzte Frau Elisabeth
und bebend fragte sie: »Wiefo weißt
Du das-Z«
Der Anruf schien ihn etwas zu sich
selbst zu bringen. Sich mit der Hand
über das Gesicht streichend, antwortete
er: »Weil — weil ich immer —- der- »
gleichen gefürchtet habe bei seinem.
einsamen Leben ohne Diener —'·
»Er hatte doch die Portiersleute,«
wandte seine Frau ein.
Dornedden antwortete darauf nicht
i und fuhr wie im Selbstgespräch fort:
s »Und bei seiner Marotte, all sein Geld
sund seine Werthpapiere im Hause zu
; behalten. Jn seinem eisernen Schrank
! liegen Millionen.«
s »Aber das wußte doch Niemand,«
s sagte Frau Dornedden.
, Jhr Mann rief heftig mit dem
) Fuße stampfend: »Wie kannst Du das
sagen! Zu diesen Portiersleuten hatte
er ein blindes Vertrauen. Jch warnte
ihn noch, als ich das letzte Mal bei
ihm war. Die Frau tam dazu, als er
den eisernen Schrank aufgeschlossen
s und Geld und Papiere herausgenom
I men hatte. Der Schrank wird ausge
s räumt sein.'«
»Nein. Willibald schreibt, er sei
fest verschlossen gewesen; der Mörder
habe allem Anschein nach ihn nicht zu
öffnen verstanden und keine Beute ge
macht.«
»und —- und — hat man den Mör
der —- gefaßt?'« stieß Dornedden abge
brochen hervor. Wieder schlugen seine
Zähne aufeinander; er wantte.
Frau Elisabeth umfaßte den Gat
ten und zog ihn zum Sopha; hier ließ
sie sich neben ihm nieder, seine Hand
in der ihrigen haltend. »Ich wußte
es, daß die Nachricht Dich furchtbar
erschüttern würde; Willibald hat das
auch vorausgesehem er hat den Brief
deshalb an mich und nicht an Dich ge
richtet," sagte sie mit ihrer lieblichen«
ein wenig verschleierten Stimme. »Ich
sollte Dich vorbereiten, das ist mir
nun doch schlecht gelungen.«
»Wie Du es auch gemacht hättest·
Du hättest den Stoß nicht abzuschwii
chen dermocht.« entgegnete er und
fügte ungeduldig hinzu: »Wo ist der
Brief?«
»Ich werde ihn Dir vorlesen«« sagte
sie und zog aus der Tasche ein ziem
lich umfangreiches Schreiben, das
Willibald, der einzige Sohn des Ehe
paares, der in einein großen Berliner
Bantgeschäft eine Stelle bekleidete, arn
Abend des vergangenen Tages an sie
geschrieben hatte. " e
Der Sohn bedauerte zunächst, daß
er den Vater während dessen kurzen
Aufenthaltei in Berlin nur flüchtig
sprechen und ihn auch am Abend nicht
zur Bahn begleiten gekannt. Die Ar
beiten für den herannahenden Ultiino
wären gar zu dringend gewesen.
»Und ich hatte auch keine Zeit
übrig!« seufzte Dornedden, «tröftete
mich mit dem Gedanken, daß er ja
nächste Woche zum Weihnachtsfeste
nach Hause kommen würde.«
Ein Freudenschimmer flog bei die
sen Worten ihres Mannes über das
Gesicht der Frau, verschwand jedoch
sogleich wieder, als er hinzufügte:
»Lies weiter.«
(Iortseßung folgt.)
—--.
Zwischen Ja und Nein schlängelt
ach dieLieblinngtomenade der Muth
en.