Image provided by: University of Nebraska-Lincoln Libraries, Lincoln, NE
About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (May 3, 1901)
Or.—j:. .«—... . J Ein Charfreitag unter-der Saftrukeuryrrrtchasi. v — Ei war im Jahre 1794, das zweite Jahr der einigen, unzeriheilbaren Re publit. Der Charfreitag fiel auf den 18. April, oder, wie man damals sagte, auf den 29ften Tag im Kleinmonat oder GerininaL Die Sonne war an die sem Tage leuchtend aufgegangen und hatte ganz Paris mit ihren Strahlen überfluthet. Ein strenger Winter hatte dieses Jahr geherrscht, als sei er ein Berbiindeter der Schreckensherrschaft gewesen. Durchdringende Kälte, eisi gen Regen, Schnee inUnrnassen hatte er gebracht, um die arme Bevölkerung noch elender zu machen. Nun hätten die Pa riser wohl freudig den Frühling be grüßt, der sich warm und sonnig mel dete, wenn ihre täglichen Sorgen ihnen nicht den Muth dazu geraubt hätten Aber wie konnten ihre armen Herzen sich wieder neuen Hoffnungen hinge ben, wenn von allen Theilen des Lan des täglich neue Ungliicksbotfchaften eintrafen? Der Himmel war blau, aber die Stadt war dem Elend und Schrecken preisgegeben. Jn den Champs-Elnsi«-rs, in den Tuillerien, im Luxemburg schmückten schon die ersten Blüthen und Blätter die kahlen Bäume. Aber dieses frühzeitige Blühen genügte durchaus nicht« um in den herzen der Menschen wieder Vertrauen zu erwecken. Ebenso zagend sahen sie der Zutunft entgegen, wie sie die schreckliche Vergangenheit duLchlebt hatten » Jou- urqrunene Juur War Zeuge ge wesen vom Dahinrnorden des Königs, der Königin, der Girondisten und tau sender von unglücklichen Opfern. Lhon war nach einer heldenmiithigen Verthei dtgung durch die Konvention gefallen. Jn dieser unseligen Stadt waren den stegreichen Generälen rächende Henter in Gestalt oon Foucher und Collot d’herbois gesol . Um die Schrecken herrschast in der endfse einzuführen, batte die Konvention Carrier nach Nantes entsandt. Nil-ert, Danton, La eroix, Camille Desmoulins, Hfsraut de Schelles, Chaumette, alle diese, welche ncch vor Kurzem die Eifersucht Rohr-J pierre’s erregt hatten,waren nicht mehr. Er hatte sich des Gesetzes, das sie sich selbst geschaffen, bedient, um sich ihrer zu entledigen. Jetzt war er der alleinige Herrscher. Zwei Scheusale standen ihm als Hel fershelser zur Seite. Es waren: Saint - Just und Couthon, sowie zwei mächtige Institutionen, das Tribunal der Republit und die Guillotine. Die Gefängnisse waren mit Gefangenen überfällt. Auf dem Place de Grdsoe war die Guillotine fast ununterbrochen in Tbätigteit. Die Straße gehörte dem Pöbel und besonders den entmenschten Weibern, den sogenannten Strickerin nen. Die öffentliche Macht, welche durch die Nationalgarde repräsentirt wurde, gehorchte nur dem Kommittee und die ses wurde seinerseits wieder von der Krmmune beherrscht. Die Paläste der ehemaligen Mitta lrcten (Les Ci-devants) waren verödet, Klöster lagen in Ruinen, die meisten Kirchen geschlossen, an den Mauern hingen AnschlagezetteL welche den Ver taus des Eigenthums der Geslohenen oder Geächteten anzeigten. Jn den Schaufenstern der Trädler sah man den Raub aus den verwüsteten Kirchen und Wohnungen; teine Equipage fuhr mehr aus den Verlehrsstraßem nur Drosch ten. Der Luxus war verbannt; die Soldaten suchten überall nach Verdach tigen und Verbannten; die Reihen der Verhungerten oor den Thüren der Bäcker und Fleischer wuchsen täglich: rer Kampf um's Dasein wogte nach ai len Seiten. Kurzun1, es war die Zeit der Schreckensherrschaft. Man befand sich in der Charwoche. Aber wer dachte wohl in dieser Zeit der seelischen und körperlichen Angst und Aufregung daran, Kirchenfeste und Kirchenseiern inne zu halten? Wer würde gewagt haben, den Todestag des Getreuzigten zu s»ei«ern·?a Es war höchs , , ts oft-· Ilclls clllc guuz uculc unqu wruuuts ger, die bereit waren, als Märtyrer da hinzuicheiden, welche dem Verbot trotz-— ten und im Geheimen ihren Gottes dienst abhielten. So sah es in Paris an jenem Char sreitagrnorgen aus« als die Sonne so herrlich auf die Stadt in dem jungen Grün und den frühzeitigen Blüthen niederschien Gegen neun Uhr sahen die Bittfteller oder Neugierigen, die sich vor dem Eingange des Justizgebäudes eingefunden hatten, um der Eröffnung der Verhandlungen beizuwohnen, eine Persönlichkeit in den großen Hof ein treten, deren Anlunft eine Bewegung respektvoller Furcht unter ihnen hervor ries. Die Gruppen zerstreuten sich. Diejenigen, die fürchten mußten, alg Urheber dieser Gruppenbildungen von dem Reuangekomnrenen angesehen zu werden, verschwanden schleunigst inr Gerichtsgebiiude. Andere wieder, die seine Blicke aus sich lenken wollten, stell ten sich breit aus die Stufen der Treppe und entblößten das haupt, da er vor heifchritt. Doch er schien sie gar nicht Zu sehen und schritt ohne zu grüßen an hnen vorüber, in das Gebäude hinein. Er war ein noch ziemlich junger Mann von mittelgroßer Figur, ganz in schwarz gekleidet. Unter dem großen ute, den er trug, wurde braunes haar cchtbar, das eine gerade, bleiche Stirn umrahnite. Die kleinen grauen Rasen augen verliehen dein-großem poekennar sen Gesicht einen grausamen und heuchlerischen Ausdruck. Irgend Je mand sprach seinen Namen ans, einen N . furchtbaren Namen, den Namen des öf ! fentlichen Antlägers. — Fouquier Tinvillr. So ging es jeden Morgen. Er kam, um sich während der langen l Stunden mit nichts anderem zu be I fchiiftigen, als dem Henker neue Arbeit Z zuzuführen ! Als er am Ende der Gallerie, wo sich ; fein Arbeitszirnmer befand, ankam, be « eilte sich ein Portier, ihm dienfteifria die Thiir zu öffnen. Er trat in das geräumige Gemach und wurde fofort von vier Setretären umringt, die fei ner Befehle harrten. ,,Zeigen Sie mir die für heute be ftimknten Atten,« befahl er, sich in einen Lehnstuhl vor dem Arbeitstifch sehend Ein umfangreiches Bündel wurde ihm überreicht. Er zählte. Es waren achtzehn. Ein Lächeln der Genug thuuna breitete sich über fein Gesicht. Achtzehn Angeklagte! Das gab ein schönes Schauspiel Unter ihnen be ! fanden sich fechs Frauen, eine davon ; nur einundzwanzig Jahre alt; sodann · zwölf Männer, von denen der älteste, Mesnard de Choufy, der früher bevoll mächtigter Minister gewesen, vier undsiebzig, während der jüngste, ein Banquier, Genefte mit Namen, nur siebenundzwanzig Jahre zählte. Jetzt durchblätterte er den dicken At tenfioß. Alle diese Unglücklichen sind des nämlichen Verbrechens angetlagt worden: Beftechlichkeit, Verrath nnd Verfchwörung, um den Bürgertrieg hervor-zurufen, das Volt auszuhun « gern, die öffentliche Wohlfahrt zu zer stören, die Patrioten zu ermorden und den Bund des Volkes aufzulösen. Nachdem er die Durchsicht beendet, legt er die Akten vor sich auf den Schreibtisch und sagt zu einem Sekte s tät: s »Alle diese Leute verdienen die To t desstrase. Sie sollen heute Morgen noch ; verurtheilt und heute Abend hingerich ; tet werden. Der schuldigste von allen s ist dieser Banquier Gen-ste, welcher set ' ner nach Brüssel verzogenen Frau un gemünztes Silber zuschickte. Beide wollten den Zahlungstverth erschöpfen und so die Staatspapiere in Mißtrenit t bringen. Schade, daß der Mann nur ! allein eingelertert wurde. Aber die I Frau wird auch noch an die Reihe kom t men. Man ist ihr auf der Spur. Dem I Schwert des Gesetzes wird sie nicht so I leicht entschlüper. Vor der Hand wol : len wir nur erst diese Elenden bestrafen, die wir in Gewahrfam haben.« Nun zog er ein Blatt Papier hervor und schrieb unter das Datum des Ta l E ges i »Mitbiirger! f Jch theile Dir hierdurch mit. daß s heuteAbend um halb sechs Uhr einehiw ; richtung stattfinden wird, zu welcher eine größere Anzahl Militär als ge ! wöhncich nöthig sein wird. Jch him, l die nöthigen Vorkehrungen zu treffen. t Mit hkiidektichem Gruß A. Q. Fouauier. Nachdem der Brief gesaltet und ge siegelt, wurde er mit folgender Adresse I versehen: I »An den Bürger Hanriot, « Komrnandeur der Nationalgarde.« ) Sofort wurde das Schreiben an Ort und Stelle befördert. Obgleich die Angeklagten noch nicht s öffentlich verurtheilt waren, so konnte k er sie doch schon seht dem wartenden s Henker überliefern, ohne irgendwelche Gefahr dabei zu laufen, denn alle Ur E theile waren schon im Voraus bestimmt l und die eigentliche Gerichtsverhandluug ; nur eine leere Form· Um fünf Uhr fuhren zwei starren, worauf die am Morgen Verurtheilten saßen, nachder Place de Grc’-ve, wo selbst sieh-zehn von ihnen hingerichtet werden sollten· Zu beiden Seiten mac fchirten Schutzleute und Militär; ringsherum jedoch johlten und heult-n heteuntene Weiber, und ganze Truva roher Scheusale in Männergestalt he leiteten die Un lüctlichen aus ihier . ehten Fahrt. uf dem ersten Karten s saßen die Frauen, der alte Mesnard de ) Choush. sein Sohn, »Generaltommissar , der Capetinger«, und Geneste, der s junge Bankier, dessen Name einen Au genblict die Aufmerksamkeit von Fou auier - Tinville gefesselt, welcher ihn als den schlimmsten der Verbrecher hingestellt hatte. Die drei Männer saßen mit gebun denen Händen aus der vordersten Bant und zeigten dem Gebrüll und den Be leidigungen des Pöbel-H gegenüber ein ruhiges Gesicht. Mesnard de Chousy betete mit lauter Stimme und unter brach sich nur« um seine Kameraden aufzufordern, in seine Gebete mit ein l zustimmen, oder um sich gegen die Frauen zu wenden, die, obwohl in ihr Schicksal ergeben, doch zitternd und ganz gebrochen dasaßen »Muth, Schwestern. Heute ist Char freitag. Dentt daran, daß es vor acht zehnhundert Jahren einen gleichen Tag Lab, an welchem Jesus Christus für uns am Kreuze ftarb·" Und die Ungliietlichen begannen nun mit ihm aus tiefstem Herzen mit kla gender Stimme das Miserere zu sin gen, denn feine Worte hatten sie etwa-: aufgerichtet. Da plöhlich hörte man einen gelten den Schrei der Verzweiflung aus der Menge, die die Straßen besetzt hielt, um den traurigen Zug zu sehen. Bei diesem Schrei erhob sich Geneste. Er hatte jene Stimme wohl ertannt und suchte mit den Augen« in denen sich eine ohnmächti e Angst ausdrückte, siebrisch in den ruppen der Umstehen den« Endlich fand er, was er sucht-. Er Inh, wie man eine ohnmiichtige Frau davontrag. Es war die seinige. srie gekommen, um ihin ein letztes Lebe wohl zuzuwinken deren Kräfte jedoch . dem Muth nicht Stand gehalten hatten - Ganz überwältigt snnl er auf die - Banl zurück ! ,,Ungliickliche!« seufzte er »Wenn - ein Geheimpolizist sich in ihrer Nähe . befunden hat, so ist sie de rloren." Die Karren rollten dem Schassot zu 1 Zu später Abendstunde desselben Ta ges befanden sich etwa zwanzig Perso nen, Männer sowohl als Frauen, in dein Erdgeschosz eines in einem großen Garten abseits gelegenen Hauses des Faubourg de Charenton. Das ziemlich I große Gemach war in eine Art Kapelle " umgewandelt, wo die Andächtigen be-: stend niedertnieten Ein mit einem-. Altar. Ein Kruzifix stand darauf. an alter Priester, ein Verbannter, weil er messe. ; doch um so inbrüstiger waren die Ge s bete der Anwesenden. Sie hatten sich heute die Freude machen wollen, zusam de jeder Glaubenstultus als ein Ver men zu beten, denn in dieser Zeit wur- ; brechen betrachtet. Aehnliche Szenen « trugen sich zur selben Stunde in allen E weißen Tuche bedeckter Tisch diente als : jeder Seite eine brennende Kerze. Ein Z nicht in der vorgeschriebenen Weise ge- T predigt hatte, celebritte die Todten Artnselig war der Tempel des Herrn, I EStadttheilen zu. Das Kommitteef Strenge vermochte nicht den Glauben fand Gelegenheit zn heimlichen Zu sammenliinften. n» -- « s s » zu unterdrücken, und man suchte und : konnte nichts dagegen ausrichten Die ; ; Jll VIII Ulllllccsccll chlcjcll Ulcscl Uc i treuen, die sich in diesem abgelegenen l Hause eingefunden, wo die Spione so leicht nicht eindringen konnten, befand sich eine junge Frau in tiefer Trauer. s Es war die Wittwe des Bankiers Ge - neste, dessen Kon einige Stunden vor her unter dem Henkersbeil gefallen war. Nachdem sie nutzlose Anstrengungen gemacht, um ihren Gatten zu retten, zufammengebrochen, als sie ihres Gat ten auf dem Karten ansichtig wurde. Einige Freundinnen waren bei ihr, hat ten sie emporgehoben und in dieses sichere Ashl gebracht. Sie waren gera tagmesse begehen wollte. « Nun, da man ihr mitleidige Sorg falt hatte angedeihen lassen, kniete sie nieder, und weinend betete sie fiir die Seelenruhe ihres geliebten Todten. Sie war auch bereit, zu sterben und hoffte, in einem besseren Leben wieder mit ihm vereint zu werden· Jn der Stille der Kapelle war nur die Stimme des Geistlichen vernehm bar, welcher Psalmen sang. Als er ge » Anwesenden, um ihnen von der Lei: densgeschichte Jesu Christi zu predigen. Gerade im Begriff, den Mund zum Sprechen zu öffnen, bemerkte er, wie ein Mann, der ihm unbekannt war, durch die angelehnte Thiir schlüpste und sich geräuschlos niederließ. nach dem er das Zeichen des Kreuzes ge schlagen. Diese Bewegung beruhigte den Priester, denn er glaubte, es sei ein Andachtiger, der nur durch den Wunsch, mit seinen Glaubensbriidern zu beteu, hierher gekommen sei. Indessen tonnte man in dieser Zeit des Schreckens nicht vorsichtig genug sein« und er fragte daher den Neuangeg totnmenen: »Wer sind Sie, mein Herr Z« »Ein guter Katholih der sich glücklich schätzt, seine Gebete mit den Eurigen zu vereinen.« W . - war sie bewußtlos in dem Gedränge , de angekommen als nian die Charfrei- « endet hatte, wendete er sich gegen die : Oel chscll Wuclcll Iplllclg Pllllzlcclst ein robuster Mensch, der an der Seite i des Sprecherg gesessen, ans und rief" mit slammenden Blicken: . »Dieser Mann lügt. Er befand sich . noch vor Kurzem im Gedränge, wo die f Verurtheilten vorüberfuhren. Wenn : er uns bis hierher gefolgt ist, sa geschah ; es nur, Um Madame Geneste im Auge zu behalten, über die, wie Sie wissen, i ein Verhastsbesehl erlassen ist. Auch : uns wird er dann anzeigen. Er ist « ein Geheimpolizist des Comitcss.« ; Die Anschuldigung war so plötzlich · und so bestimmt, daß der Beamte, an-- l statt zu verneinen, die Sache bejahtez und in Zorn gerieth. s ,,Allerdings bin ich das, ries er. ; »Der Aristotrat, der mich da anklagt, s hat die Wahrheit gesagt. Jch wollte « selbst sehen nnd mich überzeugen. Jch ; weiß jetzt genug. Jhr werdet baldi weitere Nachrichten hören.« i Ganz stolz ob seiner Kühnheit, war l er im Begriff, fortzugehen. Er lam I aber nicht dazu. Sein Antlaiiger hatte « einen unter dem Mantel verborgenen Dolch hervorgezogen, wars sich auf ihn . und bohrte ihm die Waffe in die Brust, während die Anwesenden laute Schreckens-rufe ausstießem . Der Mann sanl todt nieder. s »Was hast Du gethan, mein Sohn!« jammerte der Geistliche »Ich mußte uns retten«« antwortete der Mörder. »Wenn es ein Verbrechen . ist, Vater, to werden Sie mir Absolu tion geben." Am folgenden Morgen las man in den Polizeiberichten, welche dem Co mitss zugingen : Jn dieser Nacht wurde an der Seine in Charenton die Leiche des Geheim polizisten Joleaud gesunden. Er war durch einen Dolchstoß getödtet. Jo leaud war ein guter Patriot und mit leidölos gegen die Aristotraten. Man vermuthet, daß er das Opfer eines fol chen geworden.« i f Zwei Drüben Von Svend Leopold. —.—.—.— Sie kam aus dem Krankenzimmer und ging in die Laube hinüber; dort setzte sie sich nieder, um in Einsamkeit zu weinen. Ganz in eine Ecke kauerte sie sich, denn nun mußte sie sich einmal auf-weinen. Der alte Garten draußen lag in schimmernder Nachmittagssonne, die Blüthen auf den Terrassen waren so seltsam roth in dem starken Licht, ein heißer Hauch kam von der Rosenhecte herüber; und dann der Bogelgesang!—— Gerade jetzt wollte sie weinen, da alles so schön Und fröhlich war. Sie drückte den feinen Kopf ganz in das Geißblatt hinein, verbarg ihn in seinen Blättern und Blüthen. Die unablässigeSpannung, die stän dige Ungewißheit eines langen halben Jahres, und nun, hoffnungslos-, keine Rettung mehr! Sie hatte es beim er sten Blicke gestern früh gesehen, als er ankam. Wie er da langsam aus der Reiselalesche herausfchwankte, sah sie, wie in einem Lichtschein, der Wahrheit in’s Auge: ihr Bräutigam, der da auf sie zukam, war ein dem Tode geweihter. Eine fo weite und theuere Reife, und dann so heimkehren. Sie hatten ja alle auf Besserung gehofft. und er selbst auch. Warum sonst so heitere Reise briefe schreiben? Oder hatte er sie da durch täuschen wollen? Die Bergblu men, von denen ganze Schachteln anta men, Edelweiß und wie sie alle hießen, und was die Aerzte an den Kurorten dort unten alles gesagt und versprochen hatten. Es war gar nicht hübsch, seine Oraur zum Narren zu haben, 1re, ore in Angst und Bangen tagaus, tagein umhergegangen war, auf Hochzeit itn Frühling gehofst und an der Aussteuer genäht hatte, als gelte es ihr Leben. Na, Maja«und Ernestine würden recht schadenfroh aussehen, wenn sie von all der Hoffnungslosigkeit hier im Hause hörten. Sie saß da und dachte sich ganz in Wirth und Grimm hinein, und dann konnte sie nicht weinen. Die Nachmittagssonne war so warm und mild, so bezaubernd schön, wenn das Leben so diister war; und dann all’ die Laute« die Hähne, die dort nebenan trähten, und die weißen Kühe von Kotisistorialraths, die unten auf der Strandwiese brüllten. Niemals wur den die Thieres zur rechten Zeit gewol ien. Und die Mücken. hu, die einen in den Nacken stachen. Nein, weinen konnte sie nicht. Nun begannen alle Reseden zu daf ten; was fiir ein wehmütbiger Duft, dachte sie, so recht zum Traurigsein, und da waren mit einem Mal die Thränen da« sie lamen so behaglich sacht, eine und dann wieder eine, nun zwei; sie rannen an der Wange herab, so lind und mild und still. Sie hörte nicht, wie draußen in dein sonnenhellen Gang Jemand kam. Ein langer, dunkler Schlagschatten fiel über das Gebüsch, dann fühlte sie eine große, weiche Hand über ihr Haar streichen. Sie wußte sogleich, daß es Henning war. der aus derKanzlei kam-, aber sie wollte nicht aufblicten. Sie waren beide ganz still, dachten beide an dasselbe. Er drückte sein Ta schentuch wortlog auf ihre bethränten Augen und setzte sich neben sie auf die Bank. »Weinst Du iiber Gerhard, Bolette?« fragte er nach einem Weilchen ernst. »Bist Du eg, Henning?« murmelte sie, ohne aufzublicken ,,Du wirst sehen, er erholt sich doch noch, die Reise hat ihn nur sehr ange griffen; aber er ist ja start — -——— —-—— Nu seht In »I« Schnitt-«- « Ins-Is- fis « sanft und ergriff seine Hand, »so gut bist Du, denn Du willst mich trösten; aber Du solltest mir lieber die Wahr heit sagen, gerade heraus-. Sage mir nun, glaubst Du das, glaubst Du es selbst-s« »Was denn, Bolette?« fragte er et wag unsicher. Sie saß lange, ohne »etwas hervor bringen zu können. »Ach,« stöhnte sie dann, »das-Schreck lichste, das Schrecklichste, wag mir im Leben tssiderfahren lann » Du glaubst eg, denn Du antwortest mir ja nicht, und nun sehe ich es Dir an, ganz deut lich, versuche nicht, mich zu belügen, das ist böse und häßlich von Dir, dafz Du mich trösten willst, wenn ich hier sitze und nicht aus noch ein weißt« »Aber ich habe ja nichts gesagt; tönt me doch zu Dir!« Sie fuhr mit einem Ruck in dieHöhe, trachtete eilig ihre Augen ab und wollte gehen. Er ergriff ihre Hand, hielt sie lange fest, küßte sie sogar, und sie zog sie nicht zurück, sondern seufzte nur tief! »,,Henning —-— Henning,« es tlang wie ein Vorwurf. Die ganze Laube strahlte jetzt ini goldenen Licht, das durch den schmalen Eingang hineinströmte; das Spinnge webe tviegte sich wie ein dünner Silber schleier davor, hie und da schwebte plötzlich eine ganz kleine, gelbe Spinne durch die leuchtende Luft hernieder, ihr langer Faden blinkte und schimmerte, bis er auf der tupserrothen Mahagoni platte des Tisches haften blieb. «Bin ich Dir denn in all’ dieser Zeit gar nichts gewesen, da wir beide hier herumgegangen sind und aus ihn ge wartet haben?« D,,.Henning, ja, aber nicht jetzt, hörst u.« bange bist — Du weißt doch . . .« ,,Henning, Henning, er ist doch Dein Bruder,« unterbrach sie ihn heftig. ,, . . . Du weißt doch . . . daß Du ; mich has ,« sliistette er heiser vor Er ; regung. » »Ja, aber nicht jetzt, nur nicht jetzt!« I jammerte sie. I ,,Liebst Du mich, Bolette, liebst Du , mich noch?« ; »Nein, nun muß ich wirklich gehen!« l ,,Gehen! So gehst Du von mir?« »Wenn das geschähe, vor dem Du so ,,Henning, er ist doch Dein Bruder, . « Henning«, schrie sie fast, »und erholt er sich, sündigen wir an ihm -—— er ist T doch so gut, und wir haben ihn so lieb, ’ nicht wahr? Er hat uns doch nichts j Böses gethan, nicht . . . .« Er stand auf und ergriff ihre beiden Hände; sein Gesicht war bleich. « »Ach, sag mir nichts-, Du mußt nicht«, bat sie schmerzlich. ,,Doch, ich muß, Bolette, und nun mußt Du es auch hören, Du bist weder E schwach noch überspannt Dr. iAhrens sagte uns heute früh Alles, Mama weiß Alles, Du bist die einzige, der wir nicht gewagt haben, es zu sa ; gen. Gerhard erholt sich niemals mehr E ; . . . . wir müssen in diesem Herbst auf ? Alles vorbereitet sein aber meinst Du etwa, das schmerzt mich nicht auch?« Seine Augen standen voll Thränen, - und seine Stimme versagte. über Bolettes Gesicht hin, sie stand da gerade im Eingang und sah ihn for schend mit ihren großen, blauen Kin deraugen an, die durch die Thränen unnatürlich klar geworden waren. Sjnninn « fis-»h- Tm non-) bis- ifk EH war, als glitte ein Schimmer : s sah es gleich heute Morgen, als er an s kam. Jch wagte nur nicht daran zu i glauben.« . Dann ging sie langsam fort, hinaus i in den alten Garten, wo die farbigen H Blumen des Spätsommers auf den lauen Terrassen glühten. Er ging ihr langsam nach. Ein Weilchen später standen sie auf der obersten Terrasse. Sie dachten beide an dasselbe, und als sie ihr Selbstgespräch abgeschlos - sen hatten, ergriffen sie fast unwill kürlich ihre Hände und drückten sie leicht. Hier oben konnte man so weit um herblicken, und gerade heute Abend war der schönste Sonnenuntergang Die stillen Strandwiesen mit den braunen Rohrpflanzen, die Bündel weißer i Schornsteine mit dem schläfrig treiben I den Rauch, der blaue Sund mit den « breit ausgespannten Segeln der Schif fe, die grüne Wildniß der Glacis und . l Gärten, es war, alH strahlte das alles E und flammte in Licht. Ueber alle i Scheiben am Giebel und Dach strömten j rothgoldige Wogen, und da waren gro s ße, stumme Vögel, die in der rothen s Luft stiegen und stiegen, bis sie ganz j in flammenden Höhen verschwanden. ! Sie standen da noch nebeneinander, ; dem Sunde zugewandt, und fühlten I sich schmerzhaft glücklich. I Und sie schwiegen noch immer. l Wie in einem Traumgesicht sahen sie ! in weiter Ferne die uralten Pappeln I drüben auf dem Friedhof; diese star ren Bäume standen da wie eine I schwarze Mauer mit einigen allzu frü Z hen Sternen darüber, die in den hohen I Kronen flimmerten. · Die strenge Grabeswacht der Bäu i me zeichnete sich düster gegen den lich-— l ten Himmelsrand ab, und ein großer « Strandvogel verschwand, in unruhi gem Bogen der Stadt zusliegend, im dunklen Laub. »Sahst Du, wie der Vogel sich dort niedersetzte?« slüsterte sie ergriffen. »Glaubst Du an Wahrzeichen, Bolet te?« fragte er ärgerlich »Komm, ge hen wirt« Dann gingen sie zu dem weißen Hause hinauf, das still und verschlos sen mit seinen vielen schläfrigen Fen stern der sinkenden Sonne zugewandt stand. ———————————— Der Kranke lag auf einem Lehnstuhl am Fenster; er wollte auch den Son nenuntergang sehen. Die hellen Fenstervorhänge waren seitwärts aufgesteckt, damit das Licht ordentlich hineinfallen könnte. Die nnd dumpf, das Feuer im Kamin brannte-· Briefe, Blumen, Kästen und Papiere lagen durcheinander auf al len Tischen, dazwischen standen Medi zinflaschen. Eine Uhr in der Ecke tickte mit dem lustigsten Glockenspiel bei jedem Vier-— telstundenschlag, und in einem Bauer pfiff ein Vogel. »Na, da seid Jhr ja!« sagte er lä « chelnd, ohne sein Gesicht vom Fenster « sortzuwenden l Es waren Henning und Bolette, die ? sich aus den Zehen hineinschlichen. Sie kamen jeder durch eine Thür, einer ein paar Minuten nach dem andern i »Nein, wie strahlend Du aussiehst, i mein langer Junge,« sagte Bolette; sie s flog zum Lehnstuhl hin und küßte ihn j auf die eingefallene Wange; aber sie ; zog sogleich den Mund zurück, denn die ; Wange war so kalt und feucht, als hät k te sie einen Todten geküßt. I »Aber Du sihest da auch recht im Sonnenschein«, fügte sie ein Weilchen später mit ihrer hellen Stimme in ihrem alten heiteren Ton hinzu. »Es ist so seltsam mit der Abend röthe,« sagte der Kranke —- »genau dieselben rothen Farben in langen Streifen sah ich dort unten bei Como, Luft im Zimmer war drückend warm. l— . . .. .. W. —..I im Serbelloni-Garten. Die Wolken lagen, gerade wie jetzt hier, so langge streckt, ich sehnte mich so schrecklich nach Dir, Bolette.« »Ach —- Du Armer!« Henning stand am Fenster und be schrieb mit nervösen Fingern Figuren aus der Scheibe. »Nun sollt Jhr hören,« sagte der Kranke munter und richtete sich in den Kissen aus; aber er konnte nicht zu Ende erzählen, der Husten war wieder da und knickte ihn zusammen. »Es ist schlimm mit dem Huften,« fuhr er hernach gleichsam entschuldigcnd fort, »die Reise hat mich angegriffen; es werden sicher ein bis zwei Wochen vergehen, bis ich mich wieder ganz er hole; aber sehe ich nicht weit besser aus, als bei meiner Abreise?« Und er hielt einen großen Handwe gel in die Höhe und betrachtete sich mit großer Freude. »Ja, Du strahlst förmlich,« sagte Bo lette lebhaft. Sie meinte wirklich einen Augenblick, er sähe in dem rothen Abendscheine ganz gut aug, und sie fühlte sich fast ein wenig verlegen und bedrückt, weil Henning nun da so dicht bei seinem tranken Bruder stand und sie mit verzehrenden Blicken ansah »Ja, ich bin gewiß dick und rothwans gig geworden. Aber warum seht Jhr beiden so ernst aus? Jst denn etwas vorgefallen? Setzt Euch doch!« Sie setzten sich still, jeder auf einer Seite des Lehnstul)les, und sie began nen beide mit fast denselben matten und gewundenen Worten das Aussehen des Kranken zu rühmen. »Ich nicht wahr?« sagte er aam be friedigt; er war ihren Worten mit leichtem, ermunterndem Nicken gefolgt, das sie gleichsam bat, fortzusahren, das mit er selbst in seinem Glauben an diese gründliche Heilung bestärkt werden könnte. Und plötzlich wurde er ganz übermü thig. Er schlang seine langen, mageren Arme um Bolettes Leib, als wollte er sie niemals mehr von sich lassen, lachte mit seinem kurzen, schwerathmigen La chen und sah sie mit seinen großen, fie bersirahlenden Augen an, die schon so tief drinnen lagen und von dunklen Schatten umrahmt waren »Zu Weihnachten, Bolette . . .« »Zu Weihnachten, Gerhard, was dann?« fragte sie schnell nnd versuchte zu lächeln. ,,Küsse mich,« sagte er, ,,dante, Du Liebe, noch einmal, halt meine Hand, so auch DU, Henuing —-— ja Du, es wird natürlich nur eine kleine, gemiith liche Haushochzeit, hier oben im Saal, ohne große Feier, und dann reisen wir sogleich wieder dort hinunter! Na, was sagst Du dazu?« Er legte sich ganz in die Kissen zu rück. ersah blaß und ermüdet aus. . Draußen am Himmel erloschen alle Farben —--- eine nach der andern. Nur ein einziger, großer, mattgelber Streifen war noch da, mit einem gro ßen Stern darüber. ,,Sollen wir nicht gehen, Gerhard,« fragte Henning liebevoll. »bedarfst Du nicht der Ruhe?« Er beugte sich ganz iiber den Bruder hinab, der völlig in sich zusammensank und gleichsam immer kleiner wurde. »Nein, nein, bleibt,« kam es ganz un geduldig oon seinen Lippen, ,,legt Eure Arme unter meinen Rücken, das stützt so schön, danke, ach, das ist gut! So, haltet mich nun so, Jhr könnt Euch bei den Händen fassen, dann weiß ich, daß Jhr beide hier seid Jch bin nur so ein Lä-»c«k» »J- ZM kohlsc- Opt- -«»- c- » » Jst vsdpq usw-, is- they wus, I» usuDs Jhr auch hier bleiben! Hörst Du, Bo lette?« Es war lange ganz still in dem Ge inache, das Feuer im Kamin flammte. Prasselnd um das trockene Holz empor, das war der einzige Laut. »Ach, wie schön ist es, heim zu kom men,« sagte er ganz leise, der Ton kam gleichsam von weit her —-- »wir drei werden es nun so gemiithlich miteinan der haben, nicht wahr, es tann eine ge miithliche Zeit werden fiir uns alle?« Und dann wurde es wieder ganz still. »So, nun schläft er schon.« flüsterte Henning. Jhm standen Thränen in den Augen; er war wirklich gerührt denn er hatte seinen Bruder sehr lieb. Welt und ganz erschöpft sank der Kranke in all seinen Kissen und Decken völlig zusammen. Es- tam einer nach dem andern von der Familie in’S Krankenzimmer ge schlichen, und sie waren ganz erschrocken, ihn auf zu sehen; dann setzten sie sich still ringsum an den Fenstern und sahen in die beginnende Sternennacht hinaus-. Der Mond stand im Aufgehen ge rade draußen über dein Sunde wie ein rothes Horn. Drüben in den Gärten leuchteten bunte Lichter zwischen den Bäumen hindurch. Schiffslaternew die angezün det wurden. Die Dämmerung senkte sich mehr und mehr herab, wuchs m der stillen Stube und Niemand sprach. Die beiden, die da saßen, wachten Stunde um Stunde. Als die Dunkelheit sich mehr und mehr herabsenkte, beugten sie sich lang sam zu einander hinüber, Wange lag nun sest an Wange, ihre Blicke irrten nach dem Himmel hinaus, wo stille Sterne blintten. Hinter den weißen Kissen trafen sich ihre Hände wie in stillem Einverständ niß —» sitt’s Leben. Sie trugen fast den Schlafenden, der sich schwer aus ihre Arme stünte, denn sie brachten es nicht übe-As Herz, ihn zu wecken. ——— —- — ,