Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 18, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    Eine Blidnpeicer Geschichte von E v.
LIJiudcriisz.
Es war in desn Bade-site Tatrpi
siired, wo si: sich kennen lernten. Beta
war Maler, der mit seinem letzten
Bilder der schiffe-ei :;lle, das er in der
Akademie angnestellL großes Aussehen
erregt hatte und dadurch plötzlich in di
Mode gekommen war.
Alicc war die einzige Tochter eines
Großgntdbesitzerz auH der Bacsla, wo
man den schwarzen Erdboden mit Gold
aufwiegi. Auf der Bergpromenndc
zum »Kolbe:cit - Wasserfall« war es ge
wesen« wo sie sich zum ersten Male be
gegnete-L Sie schritt in einiger Ent
fernung Von ihm an der Seite ihrer
Mutter, von einer Schaar junger Leute
gefolgt, in lebhaftem Geplnuder den
Wer-; lsinain Er halte dagegen in tie
fem Sinnen Den thon gesenkt nnd grü
belte iiber seincxx neuesten Entwurf.
Ein iilberhclles Lachen schallte plötzlich
an sein Ohr. Er blickte um sich. —- —
Was an Alicc sein Interesse zuerst
erweckte. das waren ihr blondeö. in der
Morgensonne goldig schimmerndes
Haar und ihre graziöse, geschmeidige
Gestalt An wen ihn doch dieser ei
.genartig schautelnde Gang, nach Art
der Spanieriimen, nur erinnern moch
te? Plötzlich schlug er sich mit der
lHerni- vor die Stirn. Jetzt hatte er
es. — -—— —
zucara ! weine kleine Dchaferrm das-«
Driginal seines Bildes, deren lieblich
pitantem Gesichtchen er eigentlich seine
ganze Berühmtheit zu verdanken hatte.
Wie war es nur möglich, daß ihm dies
nicht sofort eingefallen war ? Ein lei
«ser Seufzer entfuhr seiner Brust.
»Arme, kleine. thärichte Maral Was
wohl ans ibr geworden fein mag ?
Besonders vor einigen Monaten
hatte noch ihr Bild oft in feinen Trän
men gespalt, und bei dem Gedanken
. an sie fühlte er immer etwas toie Ge
wissengbissr. Jetzt, bei der Aehnlich
leit des fremden Mädchens mit ihr,
war die ganze Erinnerung an das lik
vslebnifr mit der kleinen Mara in ilnn
wieder wach geworden.
Vor zwei Jahren, war ihm die Jdee
der »Schäferidhlle« gekommen. Er
" ar darauf worhenlang in den Stra
ten und Vorstädten Budapests herum
gejagt, um ein feiner Vorstellung ent
sprechende-:- Modell zu finden. Er
dachte sich das Gesicht feiner Schäferin
als etwas außerordentlich Aparteis,
aus den größten Kontrastcn Zusam
mengesetzte9. An jedem Modell hatte
-er etwas ausznsetzen
Da ging er eines Nachmittags-, nach
dem er schon stundenlang vergebens
umhergelanfen war, mißgestimmt die
Neredefcher Straße entlang. Jn Ges
danlen vertieft,- wäre er beinahe an ein
fiinfzehnjähriges Mädchen angeprallt,
das, ärmlich gekleidet, mit einem Bün
del Wäsche in der Hand, daherlam.
.Aergerlich über seine Ungefchicklichteit,
rief er »Pardon !« Da fiel fein Blick J
voll in das Gesicht des Mädchens, und ;
es hätte nicht viel gefehlt, daß er auf i
der Straße vor lauter Freude einen i
hellen Jubelruf aus-gestoßen hätte. l
Ja, das war das leibhaftige Modell, H
nach dem fein Sehnen ging. Dieses I
Ichalthafte, naive, piiante Gesichtchen l
mit den tiefblauen, von fchwärmeri
fcher Gluth durchleuchteten Augen.
Wie schnell im Denken, fo war er auch
rasch im handeln. Er hatte sie sofort
angefprochen und gefragt, ob sie ihm
nicht zu einem Bilde Modell sitzen
wolle. Zuerst hatte sie ihn nicht ver
standen. Nachdem er ihr aber die Sa
che tlargelegt, hatte sie ihm ganz fchlicht
geantwortet, daß da doch vor allen
Dingen erst die Mutter befragt wer
den miisse. Darauf hatte er sie in ihre
ärmliche Wohnung in der Vorstadt be
gleitet. Auf dem Wege dorthin er
zählte sie ihm ihre ganze Lebensge
schichte. Sie war die Tochter einer ar
men Wittwe, die früher bessere Tage
gesehen, jetzt aber sich und ihre Toch
ter durch Wäschenähen ernähren muß
te, das sie für ein Geschäft übernom
men hatte. »Das wäre schon alles
recht," setzte die Kleine lebengmuthig
hinzu, »wenn die Mutter nicht plötzlich
irant geworden. Der Arzt sagte, es
wäre mit der Lunge nicht richtig, aber
gewiß wird das bald wieder vorüber
geben«
Bela hatte das Geschäft mit der
Mutter sehr bald abgeschlossen Von
nun ab saß ihm die tleine Mara täg
seh einige Stunden Modell und dafür
vers-rate er die kleine Familie mit dem
Nöthigftem
Die Kollegen beneideten den Maler
um sein schiines Modell und boten alles
auf. ihm dasselbe abspensiig zu machen,
doch ließ sich Mara nicht dazu bewegen,
einem Anderen zu si en. Eines Tages-,
als sie auf dem Sie nbloct mit dem ihr
anbefohlenen träumerischen Blick so
regungslos dasaß, muß sie zu verfüh
rerisch ausgeiehen haben. Ein Kollege
Belas hatte sich hinter sie geschlichen
nnd drückte auf ihren üppigen Mund
einen Kuß. Wie eine Tigertatre sprang
die Kleine auf und hatte sich mit ihren
Nägeln in das Gesicht des jungen Man
nes förmlich eingegraben, so daß Bela
dazwischen treten mußte· Nun ließ sie
von ihm ab und barg den Kon be
schämt in die Spihenschiirze der Schö- i
ferin. Sie war nicht dazu zu bewegen,
das glühende Gesichtchen zum Vorschein
u bringen« ehe der Uebelthciter das
- telier geräumt.
—s—-—-«—.-.- — -.-—-»7»
Von diesem Tage an ließen die
Freunde Oelas das Mädchen in Ruhe.
aber man fing an, den Maler mit sei
nem Modell zu stecken. Letzterer wäre
tein Mann gewesen, wenn er aegeniiber
dein Liebreiz des- Mädchens kalt geblie
ben, aber ihre Jugend und Unschuld
rührten ihn und außerdem war er zu
sehr Ehrenmann, um seinen aufwallen
den Leidenschaften nicht Einhalt gebie
ten zu können.
Da starb plötzlich die Mutter Moras.
Bela nahm die Beerdigung in die Hand
und kaufte dem Mädchen ein Trauer
tle1d. Zwei Tage nach der Bestattung
erwartete er die kleine Mara zum ersten
Male vergebens und da er um die
Vollendung seines Bildes besorgt war,
so machte er sieh schließlich selbst auf
den Weg. sie zu holen. Er fand das
junge Mädchen in tiefen Gram versun
len und heftig schluchzend vor. Als er
aber, von großem Mitleid bewegt, ihr
Trost zusprechen wollte, sprang sie von
der Sophaecke, in der sie zusammenge
iauert dasaß, plötzlich auf und warf
sieh ihm an die Brust-, sein Gesicht mit
leidenschaftlichen Küssen bedeckend.
Das warf auch all seine guten Vor
sätze iiber den Haufen. ——- ——— —
Mara behielt fernerhin die kleine
Wohnung, die sie bisher mit ihrer
Mutter innegehabt, und arbeitete weis
ter fijr ihr Geschäft. So war es ihr
eigener Wille. Nichtsdestoweniger be
trachtete sie sich aber jetzt als Herrin im
Atelier des Malers, wo sie daher nach
ihrer Laune waltete und ein- und aus
ging, und Vela konnte es nicht über das
Herz bringen, ihr in dieser Hinsicht ir
gend welche Schranken zu setzen. Wohl
beunruhigte ihn mitunter das eigen
thiimliche Berhältnisz, in dem sie zu ein
ander standen. Auch kam ihm der Ge
danke an eine Heirath mit ihr. Da er
faszte ihn aber doch ein gewisses Ban
gen, denn so sehr er dem kleinen Modell
auch zugethan war, hatte er sich seine
zukünftige Gattin doch etwas anders
träumen lassen. Jnimerhin setzte er sich
iiber diese Frage mit dem Leichtsinn des
Künstlers hinweg, indem er den Ver
lauf der Dinge der Fügung des Schick
sals iiberlief3.
Mittlerweile war die ,,Schäferidylle«
ausgestellt und hatte das Glück des Ma
lerg gemacht. Es liefen mannigfache
Bestellungen ein. Eine interessante
junge Dame aus der Gesellschaft hatte
sich in den Kopf gesetzt, sich von dem
»schönen Maler« (wie man ihn allge
mein nannte) ebenfalls als Schäferm
verewigen zu lassen. Bei der letzten
Sitzung sprach die junge Dame ihren
Dank und Entzücken iider das Gelin
gen des Bildeg dem Maler geaeniiber
aus-, worauf er ihre Hand galant an
seine Lippen zog. In diesem Armen-:
blicke öffnete Mara leise, wie es ihre
Art war, die Thür. Man hatte ihr
Kommen nicht bemalt
Eine Selunde lang starrte sie auf
die Szene, der sie in ihrer Eifersucht
eine andere Deutung gab, dann aber
sprang sie mit einem Satze zur Staf
selei und zerrte das Genrälde herunter,
um allem Anscheine nach mit den Fü
fzen daraus zu stampfen. Bela hatte
Noth, sein Wert zu retten. Empört
und zornerglüht iiber das Gebahren
des Mädchen-J schrie er sie fast rauh an
und fragte, mit welchem Recht sie es
denn eigentlich wage, sich auf diese Art
in seinem Hause zu geberden· Er «l)e
fahl ihr sofort, sich zu entfernen. Schon
bei seinen ersten Worten fielen Maras
Arme wie gelähmt herunter, dann aber
war sie mit aschfahlem Gesicht und ver
störtem Blick, ohne ein Wort der Er
widerung, davongestürmt.
Die junge Dame, die sich- da ihr
Bild ja unversehrt geblieben, tiber den
kleinen Vorfall mehr belustigte als iirs
gerte, suchte den in arge Verlegenheit
gerathenen Maler zu trösten. Nach ih
rer Entfernung war auch Belas Zorn
baldigst verflogen. Er sah sich nach
gjtara um, tonnte sie aber nirgends fin
en.
-« --.-« - i «
zags Darauf suchte er ne in inrer
Wohnung auf, mußte aber hier zu sei
ner nicht geringen Bestiirznng erfahren,
daß sie schon in aller Frühe mit ihren
wenigen Habseligteiten ausgezogen sei.
Wohin, ließ sich nicht ermitteln, und
trotz aller Nachforschungen, die er nach
jeglicher Richtung hin anstellte, blieb sie
seit diesem Tage siir ihn berschollen.
Einige Wochen darauf machte Bela
eine Studienreise, die mehrere Monate
dauerte und mit dem Ausfluge in die
»hohe Tatra« geendet hatte. »
Das toar die Geschichte der kleinen »
Mara, die bei der Aehnlichkeit des
fremden Mädchens mit ihr in seinem
Geiste wieder lebendig wurde.
Nun hatte er die voranschreitende
Gesellschaft, die bereits am Wasserfälle
stand, eingeholt. Er kam hinter Alire
v. Vegh zu stehen. Ob die junge Dame,
so fragte er sich, wohl auch im Gesicht
der tleinen Mara ähnlich sehen mag?
Er wurde den Damen von einem Be
kannten vorgestellt.
Die Züge des jungen Mädchens hat-.
ten mit denen seines Modelles nichts
gemein und doch toar ihr Gesicht mit
den tiesduntelen, seucbtschimmernden
Augen das lieblichste und geistvollste,
das der Maler in seinem Leben je ge
sehen. Jhre Blicke begegneten sich und
tauchten ein paar Setunden lang in
einander. Bela lkühlte, wie ihm eine
mächtige Bluttve r nach dem Kopfe
stieg, und eine leichte Röthe färbte die
Wangen des jungen Mädchens. Von
dieser Stunde an war er nicht von ihrer
Seite gewichen, zum nicht geringen
Angernisz sämmtlicher heirathstandi
Bat-en und Partienjäger, die sich unt T
den lieblichen Goldsisch geschaart.
I Ebenso schien die Mutter Alicens gar .
l nicht damit einverstanden, die, selbst
eine gebotene Griifin, mit ihrer Tochter
sehr hoch hinaus wollte.
I Bei einem der nächsten Ausfliige der
Badegesellschaft fügte der Zufall, daß ;
sich die beiden jungen Leute bei einer
Biegung des Weges selbst überlassen
waren. Keiner von Beiden hätte spä
ter darüber eine richtige Auskunft ge
ben können, wie es gekommen, daß sie,
deren Seelen sich vielleicht schon bei ih
rem ersten Begegnen gefunden hatten,
sich so plötzlich in den Armen lagen.
Und so kam es, daß man nach Verlauf
von vier Wochen auf dem Beghschen —
Gute in der Bacsla die Hochzeit der .
Tochter des Hauses mit dem Maler
Bela Hallasz feierte·
Alice hatte sehr zu kämpfen gehabt,
ehe ihre Eltern die Zustimmung zu die
ser Verbindung gegeben, besonders da
gerade zur selben Zeit ein Fürst Jani
schewsly um ihre Hand angehalten.
Hauptsächlich aber war es Alicens
Mutter gewesen« die sehr viel gegen eine
Ehe mit einem simpelen Anstreicher,
wie sie ihn oft zu nennen pflegte, der
nicht einmal ein »von« vor seinem Na
men aufweisen konnte, einzuwenden
igehabt hatte. Nur dem energischen
Dazwischentreten ihres Vaters, den sie
endlich nach vielen Bitten dazu bewog,
siir sie Partei zu nehmen, hatte sie es
zu verdanken, dasz sie sich jetzt das Weib
des geliebten Mannes nennen durfte.
Das überglückliche junge Paar trat
die übliche Hochzeitsreise nach Italien
an, auf der es sich nach einigen Wochen
in Nizza befand. Eines Morgens, als
die Ncuvermählten eben am Strande
auf der Promenade des Anglais saßen,
kam der Hoteldiener an Beln herange
schritten. um ihm eine soeben einge
ztroffene Depesche nebst einem Briese
- zu überreichen, dessen mannigfache
Poststempel ertennen ließen, daß er be
reits seit Monaten unterwegs war.
Die Depesche brachte eine freudige
sNachricht über ein soeben vertaustes
, Bild des Male-IT
Die junge Frau jubelte über diesen
neuen Triumle ihres Gatten, doch
wurde ihre Aufmerksamkeit plötzlich
von einem gleichzeitig in den Hafen ein
laufenden Schiffe abgelenlt. Bei ei
nem Blick auf die Adresse des Briefes
« wurde Bela von bangen Ahnungen er
. griffen, denn dieselbe trug die unsiche
ren und lindlicheu Schriftziiqe Moras.
Er öffnete ihn nit Hast nnd las Fol
" g« ldcö .
l
»Lieber Bela !
Als Du mir einmal die Tlsiir ge
wiesen, da schwor ich mir, Dir nie mehr
; im Leben begegnen zu wollen. Doch
J muß es anders kommen, denn wir ge
E hören zu einander. Ich habe ein An
l
recht an Dich, verstehst Du, ein An
recht, das mir weder Gott noch die
Menschen streitig machen dürfen.
Doch nein, ich will nicht auf meine
I Rechte pochen, will meinen Stolz vor
; Dir beugen, tniefällig will ich Dich an
; flehen : Habe Erbarmen mit mit und
rette vor dem Elend, vor der Schande
Deine unglückselige Marct.«
Jn diesem Augenblick hatte sich Alice «
, umgewandt und blickte in das gänzlich
T ver-störte Gesicht ihres Gatten.
»Was hast Du, Bela ?« rief sie ent
setzt, und rnit einem Blick ans den Brief
fügte sie hinzu : »Hast Du etwa
schlechte Nachrichten erhalten ?«
Der Maler stammelte heiser : »Wir
miissen fort, müssen sofort nach Buda
vest reisen l« Und allen weiteren Nach
fragen ihrerseits beugte er mit der Er
klärung vor : »Sp«citer sollst Du alles
erfahren.« «
Noch an demselben Tage verließen
sie Nizza·
Nach der Ankunft in ihrer Buda
pester Wohnung nahm sich Bela kaum
die Zeit, seinen Reiseanzug abzustrei
sen, und verließ sodann unter dernVor
wande unaufschiebbarer Geschäfte so
fort das Haus. Die junge Frau warf
sich, noch in Hut und Mantel, erschöpft
in einen FauteuiL Da fiel ihr Blick
auf den verhängniszvollen Brief mit
den vielen Poststempeln, der zu ihren
Füßen zertnittert auf dem Boden lag«
und den ihr Gatte in seiner Eile wohl
hage fallen lassen. Hastig griff sie da
na . —- —— —
l
Da hielt sie also in ihren Händen
den Schlüssel des Räthsels zu dem
mehr als sonderbaren Benehmen Be
las, das ihr seit einigen Tagen so viele
Sorgen bereitet. Sie zögerte einen
Augenblick, ehe sie ihn entfallete. Nach
dem sie den Brief gelesen, glaubte sie
einen Moment lang, die Besinnung
verlieren zu müssen, doch raffte sie sich
sofort wieder auf. Was nun thun?
—- — —- Den Mann, der sie um ihr
Lebensglück so schändlich betrogen, so
fort ohne ein Abschiedswort verlassen ?
Doch nein, sie wollte den Kelch der Lei
den bis zum letzten Rest austrinlen,
wollte alles wissen.
Jn dem Briese stand deutlich die
Adresse der Schreiberin und nach einer
halben Stunde befand sich die junge
Frau mit hochllopfendem Herzen vor
dem Eingange einer kleinen Dachwoh
nung in der Luitpoldgasse. Sie öffnete
leise die nur angelehnte Thür, blieb
aber vor dem Bilde, das sich idr im Jn
neren des Raumes darbot, wie erstarrt
auf der Schwelle gebannt. Jn der
mehr als ärmlich ausgestatteten Stube
saß ein etwa neun Monate alter Knabe
ans dem Fußboden, mit einem zerbro
chenen Holzpferdchen spielend. Jn dem
dürftigen Bette jedoch lag ein junges
Wesen fast noch ein Kind, auf dessen
Gesichrchen sich bereits das Nahen des
W
Todes abspiegelte. Sie hatte den
Kopf an die Brust Belas gelehnt und
sprach mit röchelnder, monotoner
Stimme :
»Siehst Du, wie ich zum ersten Male
von Deiner Heirath erfuhr, da kam
mir der Gedanke, Dich zu tödten.
Dann aber hat mich das Leiden Besse
res gelehrt. Jch habe eingesehen, daß
ich eigentlich nur für meine eigene
Schuld büße. —- —— Laß nur, ich weiß
schon, was ich spreche! Jch habe Dir
meine Liebe fast mit Gewalt aufge
drängt. Jch hätte wissen müssen, daß
ich Dir in meiner Einfachheit nicht ge
nügen konnte, daß sich Deine Künstler
seele nach etwas Besserem sehnte. — —
Aber ich hatte Dich so grenzenlos ge
liebt! — —— Doch schau, das Kind ist
an allem unschuldig und es ist doch
Dein Blut, und wenn ich wüßte, daß
es namen- und vaterloss aus der Erde
umherirren sollte, so könnte ich im
Grabe keine Ruhe sinden.«
Der Maler strich sanft über ihr fah
les, abgezehrtes Gesichtchen.
,,Beruhige Dich, Liebling, ich schwöre
Dir bei meiner Ehre, daß das Kind alle
Rechte genießen soll, wie sie ihm als
meinem rechtmäßigen Spröszling zu
gekommen wären, und wenn es mein
Lebensglück kosten sollte!«
Jetzt erst gewahrte er seine aus der
Thürschwelle stehende Frau. Er warf
ihr einen entsetzt verzweifelten Blick zu.
Ein nerviises Zittern durchlief seinen
Körper. Ja, es mußte wirklich sein
Lebensglück kosten! Das konvulsivisch
zuckende Gesichtchen Maras war bei
Belas Gelöbnisz ruhiger geworden.
Jetzt fing das Kind zu wimmern an.
»Mama, Mamat« brachte es in kläg
lichem Tone hervor. Ein grenzenloser
Schmerz spiegelte sich auf dem Gesichte
der Sterbenden und sie stammelte mit
trauriger Stimme: »Das arme Kleine
wird teine Mutter mehr haben!«
Da kam plötzlich Leben in den bis
dahin so starren Körper Alicens. Mit
festen, zielbewußten Schritten ging sie
auf das Kind zu und hob es in ihre
Arme. Der Junge, der sie wohl fiir
seine Mutter hielt, legte vertrauensvoll
seine Qlermchen um ihren Nacken. Ali
cens Gesicht war wie verklärt, als sie
sich zu der Sterbenden niederbeugte.
»Armes Weib,« sagte sie sanft, »be
ruhige Dich, denn Dein Kind soll we
der den Vater noch die Mutter entbeh
ren!«
Mara rif3 die Augen weit auf, die
schon sast entschwundene Seele lehrte
aus einen Moment noch einmal zurück,
den blassen Mund umspielte ein seliges
Lächeln. Sie hob den Arm und
hauchte :
»Sei gesegnet !«
Dann fiel die Hand schlaff herunter
und die miiden Augen hatten sieh zum
ewigen Schlafe geschlossen. Eine
schwere Thriine entrollte den Augen
Belas und blieb aus« dem blonden Haar
der Verschieden-In haften. Er bettete
Maras Köpfchen zart auf das Betttis
sen, dann jedoch warf er sich vor seinem
Weibe auf die Ftnie und berührte den
Saum ihres Kleides mit seinen Lippen.
.-..————.»-«4-——- ——- —
P s Ilosz der Tttkduse.
....-...——
Jn der Galerie des Louvre befindet
sich ein Gemälde Von Gärirault das
bei seinem Erscheinen im Anfang die
ses Jahrhunderts in der ganzen kunst
verständigen Welt ein ungeheures Auf
sehen ertegte, sowohl durch die ganz
neue Art der Farbengebung und Pin
selführung, als besonders durch den
furchtbaren Gegenstand, den es dar
stellte. Die Mitte des Bildes, welches
der Künstler das Flon der Meduse
nannte, nimmt ein schmutzig - gelbes,
zerfetztes Segel ein. Auf dem nach
links vorn gestreckten Floß spielen sich
die letzten Szenen der Verzweiflung
ab, die dem Untergange der Fregatte
»La Bis4d11se«' folgten.
Mitten unter den Kämpfenden und
Sterbenden nimmt besonders eine Ge
stalt unser ganzes Interesse in An
sprach, ein Weib, das zwischen Balken
und Trümmern lauert. Die großen,
dunklen Augen, unnatiirlich weit ge
öffnet, starren in die Ferne, als ob sie
dort ein furchtbares Schicksal sähe.
Neben ihr liegt ein Mann hingestreckt,
wie leblos, den Blick unverwandt auf
das Weib neben ihm gerichtet.
.·M· Savigny, einer der wenigen
Ueberlebenden, hat über die furchtba
ren Ereignisse einen ergreifenden Be
richt hinterlassen, aus dem folgende
Schilderung beruht.
Die sranzijsifche Fregatte ,,M·«-duse«,
mit 44 Kanonen und 400 Mann, war
im Begriff, im Hafen von Rochefort
die Anter zu lichten. Sie war nach
dem Senegal bestimmt, dessen Gebiet
im zweiten Pariser Frieden Frankreich
wieder zugesprochen war. Unter dem
Donner der Kanonen und dem jubeln- !
den Zuruf einer tausendköpfigenMenae
am Ufer setzte sich das stolze Schiff in :
Bewegung. Die Matrosen, zum gro
ßen Theil Jtalienet und Regen sowie
für die Kolonie bestimmten französi- ]
schen Vesotzmannschaften, winkten die »
letzten Abschiedsgriiße nach dem Lande I
hinüber. s
Zwischen den lebhaften Gruppen auf
dem Verdect gina eine weibliche Per
son geschäftig hin und her. Sie trug
ein kurze5, buntfarbiges Kleid, zier
liche Lnckstiefel mit halblangen Schäf
ten und auf dem Kopfe eine totett zur »
Seite geschobene Soldatenmützr. Um
ihre Schultern hing an einem breiten
Bandelier ein Fäßchen, aus dem sie den «
—W- .
I Leuten Etsrischungen einschenlte.—
Es war eine Martetenderin. —- Sie
mochte die Mitte der Dreißiger längst
riberschritten haben, machte aber mit
Ihrem frischrothen, lächelnden Gesicht
und lebhaften Bewegungen einen übe-:
aus anmuthigen Eindruck. Manch-es
Auge ruhte mit Wohlgefallen auf der
hübschen Martetenderin, deren Gestalt
durch die Romantit von sechs Feldzii
- gen unter Napoleon I. wie mit einer
Art von Verklärung umstrahlt war.
Auf dem Hintertheile des Schifer
saß abseits von den Kameraden ein
» Soldat. Das starre, fast leblose Auge,
» das vollständig ergraute Haar, die ei
j genthümlich gestrassten Gesichtsmus
; keln deuteten auf eine lange Reihe von
! Kämpfen und Entbehrungen unter den
I verschiedensten Himmelsstrichen An
diesem fleischlosen, aber sehnigen Kör
per hatte die glühende Sonne Egyptens
I und der Eishauch der russischenSchnee
felder genagt.
I Einen Augenblick blieb die Marte
I tenderin vor dem Soldaten stehen, der
; sie nicht zu bemerken schien. Sie suchte
E in dem verwitterten Antlitze
I »Delpit. i« entsuhr es ihr wie un
absichtlich.
! Der Soldat schlug die Augen auf.
,,Louise !« sagte er einfach.
Nach einer Weile setzte sie sich neben
» ihn.
»Also siihrt uns das Schicksal doch
noch einmal zusammen«, sagte sie.
»Wer hätte es gedacht ! Es sind nun
gegen achtzehn Jahre her. Weißt Du
noch, Delpit, wo wir uns zum letzten
Male gesehen haben ?« —
Er durchstöberte sein Gedächtniß
Er fand nicht gleich. Seine Erinne
rungen schienen in dem Eise Rußlands
eingefroren zu sein.
,,Jn Alexandria, « fuhr sie fort, »auf
dem eghptischen Feldzuge,1798 Weißt
Du noch? Wir waren m der arabischen
Kneipe im Matrosenviertel. Jch sehe
heute noch alles deutlich vor mir. Da
tam daf- Nubieriveib. Erinnerster Du
Dich ? Sie hatte ein grellrothes Tuch
um den Kon geschlungen. Wir lie
ßen uns wahrsagen· Weißt Du nocl;,
was sie mir sagte ? Der da wird Dich
111nbringen, sagte sie, indem sie auf
Dich wies-· Hast Du vergessen,
Delpit ?«
.--.
»Da ocktchcfl VII llllah UllllUUUclc
der Soldat, ,,jetzt erinnere ich mich.« —
»Ja. meintest Du, ich hatte Lust,
mich von Dir todtschlagen zu lassen ?« »
Sie lachte bei diesen Worten;
»Ich? Todtschlagen ?« antwortete «
I Delpil mit einem Blick tiefer Kümmer
- nis;.
f »Ja, wer weis-, !« sagte Louise, sich
lzu einem scherzenden Tone zwingend.
k »Ihr Männer seid oft so wunderlich.
f Wer kann Euch trauen ?« —
f Dann sprachen sie noch eine lange
f Zeit von ihren Erlebnissen in der Zwi
? schenzeit, von den Feldzijgen in Spa
» nien, in Tirol, in Preußen, in Nuß
» land. Er lebte wieder auf bei diesen
- Erinnerungen. So trafen sie sich fast
; alle Tage während der langen Ueber
i fahrt.
f Inzwischen hatte sich das Schiff der
Küste Afrikas genähert. Man unter
schied in der Ferne ganz deutlich die
Sandhügel der Küste. Eines Nach
mittags herrschte unter den Offizieren
eine große Erregung. Soeben hatte
die Lothung nur fünf Meter Wasser
tiese ergeben. Man stürzte zu dem
Kommandanten, der ruhig auf seinem
Verdeck saß. Man zeigte ihm die furcht
bare Gefahr« in der das Schiff schweb
te. Man forderte ihn auf, den Kurs
sofort zu ändern. Er lächelte überle
gen. Er gehörte zu einer der vor
nehmsten Einigrantenfamilien Frank
reichg, zu jenen traurigen Gestalten,
die in der Verbannung während zweier
Jahrzehnte nichts gelernt und nichts
vergessen hatten. Eine Viertelstunde
später hörte man ein lautes Knirschen
und Krachen. Ein langes Zittern flog
durch den hölzernen Leib des Kolosse3. I
Die Fregatte war auf die stlippen aus-« ;
gefahren.
l
l
Alle Versuche abzutmnmeu waren ;
vergeblich Als die Ebbe eintrat, sah i
man, daß das Schiff unrettbar verla i
ren war Eine ungeheure Aufregung ;
bemächtigte sich der ganzen Vesatzuna (
Alles stürzte in dieBoote die mit Mühe
ins Wasser gelassen wurden Es fan- l
den etwas mehr als zweihundert darin
Platz. Die übrigen schienen dem siche- i
ren Tode preisgegeben. Unter ihnen «
befand sich Delpit und die Marletende
rin. Sie blieben ruhig in dem rings
um sie tobenden Entsetzen. Sie hatten i
kein Wort gesagt. Aber jeder von bei- s
den wußte instinktmäßig, daß sie bei
einander bleiben würden.
Da das Schiff nur langsam Wasser
zog, so machte man sich daran, aus
Balken undPlanten ein Floß zu bauen
Nun stürzte alles an die Taue, um sich
herunterzulassen. Auch Delpit und
Louise fanden dort Platz.
Jn der allgemeinen Bestiirzung hatte
man nur ganz unzureichend fiir Le
bensmittel gesorgt. Einige Fässer
Wein, etwas Trinkwasser und ein paar
Tonnen Mehl —- wie lange konnten
145 Menschen damit reichen ? Jedoch
waren die meisten guten Muth-L Die
Küste war ja nicht weit.
Jn der Nacht aber erhob sich ein
furchtbares Unwetter. Hohe Wellen
berge rollten heran und versetzten das
Fahrzeug in eine schaukelnde Bewe
gung. Während das Vordertheil sich
aus dem Wogengebraus haushoch aus- »
richtete, tauchte das Hintertheil in ein »
unergriindlicheg Wellenthal ein, und
bei jeder neuen Bewegunn durchschnitt
l ein vietstimiiiiges« Angstgeschrei die
» Luft, das Gebraus der Wogen und des
s Sturmes its-ertönend «
; Als es Tag-geworden war, sah man.
T daß sich die Schaar der Unglücklichen
um etwa 60 vermindert hatte. Aber
auch der grösste Theil de5.Proviants
war fortgespiilt worden! Und was
; das Schlimmste mar, die beiden Boote.
die das Flofz srl)leppte:i., waren sammt
den Führern derselben verschwunden.
Wehrlocz war das elende Fahrzeug mit
seiner lebenden Last der Wirth der Ele
mente preisgegeben Im Laufe des
Tages begannen sich die menschlichen
Leidenschaften zu entfesseln. Eine
wilde Schaar von Matrosen und Sol
daten schlug einige Weinfässer eiu und
betrank sich bis zur Sinnlosigkeit. Jn —
der folgenden Nacht erhob sich unter
den Trunkenrn ein furchtbarer Kampf.
Mit Aexten, Säbeln, Vajonetten und
Messern gina man aufeinander los.
Dampfe Schläge, heisere Fliiche, wildes
Geschrei, wirre. Knäuel von Ringen
den.
Alls die Sonne des nächsten Tages
das grauenvolleSchlachtfeld beleuchtete«
sat) man, daß nur sechzig diese furcht
bare Nacht überlebt hatten. Dazu wa
ren alle Wasserwnnem sowie der ngte
Theil der Weinfiisser ins Meer ge
schleudert worden. Einige Verzwei
felte, denen schon der Wahnsinn aus
den Augen leuchtete, machten Miene,
auch das letzte Faß Wein in die Wogen
zu werfen. So sollten alle miteinan
der sterben. Keiner sollte davon kom
men. Besonders waren es Delpit und
die Marketenderin, die sich den Wahn
sinnigen widersetzten. Sie waren ver
hältnißmäßig gut bei Kräften, da die
Martetenderin etwas Schiffszwieback
gerettet hatte, von dem sie jede Nacht
heimlich einige Stücke knabberten.
Noch mehrere Tage dieser furchtba
ren Fahrt «- und keine Rettung ! Jn
einer Nacht drang von einem Feuer,
das zwei Neger angezündet hatten, ein
eigenthiimlich brenzlicher Geruch zu
Delpit und Louise hinüber. Ein
Schauer des Ekels ging durch ihren
Körper Sie wußten, was die Schwar
zen brieten Stumm drückten sie sich
die Hände-. Trotz des nagenden Hun
gers konnten sie keinen Bissen essen.
Erst als- es Tag geworden war, schoben
sie sich verstohlen einen Brocken Zwie
bark in den Mund. Ein unbemerkt in
der Nähe stehender Matrose hatte dies
gesehen. Sdsfort stürzte er sich mit wil
dem Geschrei auf die Beiden los.
»Diebe! Verräther !« schrie er. An
dere folgten. Es begann eine neue
Schlacht, furchtbarer als alle vorherge
henden. Jn dem allgemeinen Getüm
mel wurden zehn erschlagen uns ins
Meer geworfen. Louise war schwer
verletzt, Delpit zum Tode ermattet.
Die kärglichen Reste ihres Vorraths
waren verschlungen. Sie hatten nichts
mehr.
Eine-J Morgens hielten die zehn
Männer, die allein noch unverwundet
waren, einen Rath ab. Delpit war "
unter ihnen Sie beschlossen, sich der
zehn anderen zu entledigen. Dann
konnte der Wein noch drei Tage länger
reichen. Es war, als ob es sich um eine
ganz gewöhnliche Sache handelte. Alle
waren einverstanden. Zwei Jtaliener
traf das Loos, die dem Tode Geweih
ten über Bord zu werfen. Sofert
machten sie sich an die Arbeit. Neun
Ungliiekliche waren lautlos in den
schäuruenden Wellen verschwunden.
Nur einer war noch übrig. Es war
die Marketenderin. Die Henker näher
ten fich ihr.
Da hörte Delpit Plötzlich einen
Schrei. Zwei weit aufgerissene Augen
starrten ihn sntsetzt an. Zwei Arme
reckten sich verzweifelt nach ihm hin
über. Da sprang er mit mächtigen
Schritten zu der Geliebten. Er hob sie
mit einein kräftigen Ruck in die Höhe.
Einen Augenblick sah er in ihr Gesicht.
Seine Lippen berührten die ihrigen.
Sie lächelte-. Dann taumelte er an den
Rand des Floh-Ia Langsam glitt die
leichte Last aus seinen Armen in die
Fiuthen ! -- ——— —
Zwei Tage später wurden die Ueber
lebenden von einer französischen Brigg
ausgefunden Als man den bewußt
losen Delpit aufhob, uiu ihn an Bord
zu bringen, schlug er plötzlich die
Augen auf nnd blickte um sich. Dann
riß er sich aus den Armen seiner Be
freier. Einen Augenblick später schlu
gen die Wogen tauschend über ihm zu
sammen.
——..-—-- —---- .
Matschall - Sappe. —- Ein
Pfund mageres in Stückchen getheiltes
Ochsensleisch und zertleinerte Kale
tnochen setzt man mit Salz und SUP
pengriin mit kaltem Wasser zu; ein
Stück Rinderinarl kocht man eine
Stunde mit. Von einigen hartgesot
jenen Eiern thut man das herausge
nommene Gelbe und das tleingeschnit
tene Mark in die Tertine, iviirzt mit
etwas YJiuStatnusk, seiht die Brühe
darüber, nachdem man sie noch mit ei
ner Messerspitze von Liebig’,s3 Fleisch
extratt Verstärtt hat.
Unverbliimt.
Bekannten »Nun, ich habe Jshnen
meine Tochter vorgestellt, wie gefällt sie
Ihnen?«
Herr: »Hm, schwer zu sagen! Sage
ich, daß sie hübsch ist, glauben Sie es
nicht, und wenn ich das Gegentheil sa
ge —- glaub’ ich’ö nicht«