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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Jan. 11, 1901)
W · vZlnrnn —-.---· Von Freiherrn von Schlichi. Der Herr Major von Ernberg, der cis Veherricher aller ihm unterstellten Rcuizen — es waren ungefähr fünf hundert —- als selbstständiger Botenl lonskonnnandeur in der kleinen Gor nison-ein Leben führte, utn das selbst dir seligen Götter ihn beneiden konn ten. vefnnd sich heute in der denkbar schlechtesten Laune. - Wenn ein Vorgesenter sich ärgert, so sucht er dadurch wieder gesund zu wer den, daß er seinen Untergebenen grob wird — an dieses Wort hatte der Ma jor nicht nur gedacht, sondern demge mäß gehandelt. Er war seinen Un terthanen nicht nur grob, sondern so gar s-—--ehr grob geworden, aber es nützt-: Alles nichts, die schlechte Laune blieb stehen, und nicht ohne Grund. Tor Mai-er hatte einen Brief von den-· Herrn Oberst erhalten. Wes-n solch-e hohe Herren an ihre Un tergebenen schreiben, so pflegen die Schreier meist-Us- nuch etwas andere-S in enthalte-m als nur die üblichen Re benkzrthn »Hofsentlich geht es Jhnen gu:." Hier ist Alles beim Alten und ich bedanke. Jhncn keine interessanten Stadtnenigkeiten mittheilen zu kön nen.'« So etwa-J schreibt ein Oberst nicht, ach nein, der schreibt ganz andere Sa chen. Der Maxor hatte den Brier ieineg Kommandeurs schon so oft gelesen, daß er ibn nicht nur von vorne, sondern auch riicktoiirts austvendig wußte, trotzdem nahm er ihn, als er nun zu s haus sich der Länge und Breite nach aus seiner Chaiselongue ausgestreckt hatte noch einmal zur Hand und las : Aus den mir über-sandten Dienstm tein habe.ich zu meinem größten Leid toesen ersehen müssen, daß der Dienst bei dem Eurer Hochtoohlgeboren unter flellten Batailion in der letzten Zeit nicht in der Art und Weise abgehalten worden ist, wie ich das im Interesse ei ner triegsgemäszen Ausbildung der Truppe fiir unbedingt nöthig hatten muß. Nicht nur mit Erstaunen, son dern sogar mit Mißfallen habe ich er sehen, daß in den letzten drei Wochen nicht eine einzige Uebung inr geschlosse nen Bataillon stattgefunden hat, und trotz meines ausdrücklichen Wunsches-, um keinen stärkeren Ausdruck zu ge brauchen, ist das Bataiilon nicht ein einziges Mal nlaruiirt worden. Euer hochwohlgcboren mache ich erneut da rauf aufmerksam, dass unsere Vorge setzten auf die Aiarnibereitschaft der Truppe mit Recht einen großen Werth legen. Euer Hochwolxlgeboren ersuche ich demgemäß, an eine-n der allernäch sien Tage Ihr Bataillon zu alarmiren und im Anschluß daran eine Uebung abzuhalten. Einem Bericht Euer Hoch wohlgeboren, eine wie lange Zeit das Untreten des Bctaillons nach dem Alarmsignal in Anspruch nimmt, sehe ichuentge en.« nmuispig wars er den Brief in die Eckit »Wenn der Kuckuck den Oberst doch nur ein einziges Mal bolen woll te, aber leider gehen ja selbst die be scheidensten Wünsche der Untergebenen nicht in Erfüllung« Er zündete sich eine Eigarre, die ihm ausgegangen war, von Neuem an und dachte über sein Geschick nach: der Oberst hatte Recht mit dem, was er schrieb. ach, zu viel Dienst hatte er in der leyten Zeit nicht angesetzt, seine Kerls und seine Herren Kerls, die Os sizieee, liebten die Bequemlichkeit, das wußte er, nnd er selbst Liedie auch die Ruhe. Arbeit und leätigteit vor der Mahl zeit störten den Appetit und nach der Mahlzeit die Verdauung Gut essen und Viel trinken aber hält Leib und Seele zusammen. Dass war sein « Glaubensbekenntnis, nach dem er han seite. Ave-: jetzt hals es Alles nicht-J, er mußte in sich gehen, sich bessern und Vor allen Dingen sein Bataillvn alar miten. Der Herr Oberst wünschte, daß Die-J ai: einein der nächsten Tage gesenkt-e « wer Soldat ijt, weiß, daß , Dick- sv viel wir liente bedeutet. Der Masor stöhnte --— lieutc hatte er noch weniger Lust, als- e: nach mensch licher Voraussetzung morgen haben würde; er wußte nicht recht, warum, aber heute paßte es ihm aus Gründen, über die er sich selbst nicht tlar war, absolut nicht, aber es nützte alle-— nichts, es ging nicht anders-. Er nahm die Generalstabstarte, die stets aus dem Rauchtisch neben der Chaiselongue liegen mußte, zur Hand und dachte sich eine Uebung aus sDer Bursche machte ein sehe erstaun tes Gesicht, als er. am Nachmittag unt fünf Uhr Befehl erhielt, beide Pferde zu satteln. Daß sein Here um diese Zeit spazieren retten wollte, war noch nicht dagewesen, so lan e er deuten tonntc. und er zerbrach si ) den Kops darüber, was wolkl seinem Gebieter passiert sein mischte-. Aber sein Erstaunen wach-, als der etr Major nicht in Ueberrock nnd l Bild-, sondern in« Wassenroek Und elm auf der Bildsläche erschien und . ch in den Sattel schwankt. »Um Gottes-willen es w rd doch nicht Krieg erklärt sein,« dachte ver Bursche, dann sente er sich schnell ebensalls set nen Delm aus und ritt drei Samtt hin ter seinem Deren her. Wenig später hielt der Majot tm der Aaserne and kaum hatte der n vor Web-. der wie ein Löwe in einem W Käfig vor seinem tlderhaus au - H und ablief, den VoFssbten geseherfn als er mit der ganzen Kraft seiner ju I UJVMW Lungen »Dann-aus t« rullte. ! i Sein Schrei· weckte die Leute, die Idrinnen in der Wachtstube auf der» l Pritsche lagen und »dösten«, und gleich ; darauf trat die Wache in's Gewehr. l »Stillgeftanden! — Nicht’t Euch! — lAugen geradeausi —- Das Gewehr , tiber ! —- Achtung, präsentirt das Ge- s fwehr !«' tommandirte der Unteroffi ; zier und erwartungsvoll sahen Alle den . s Vorgesetzten an. »Wo ist der Spielmann ?« fragte - der Major. ! »Er holt den Kasfee aus der Küche, » Herr Major!« lautete die Antwort. » »Der Teufel soll Sie holen!« fuhr der Major den Unteroffizier an, »wir » kommen Sie dazu, den Svielmann " « fortzuschicken? Haben Sie denn teine E anderen Leute? Lassen Sie die Wache forttreten nnd lassen Sie sofort den Spielmann kommen Das Weitere findet sich.« T Wenige Minuten später stand- der ? Hornist dem Vorgesetzten gegenüber. ! ,,Hornift, blasen Sie Alarm!« be- H fahl der Major. l Der Untergebene sab seinen Vorge- z setzten an, als habe er ihn nicht richtig k verstanden. s i i ,,.Haben Sie, krumm gebo»eneMond sichel, nicht gehört, was ich gesagt habe?« donnerte der Herr Major. »Sie sollen Alarm blasen. Begriffen?« ,,Zu Befehl, herr Majori« »Blasen Sie gefälligft Alarm!« Aber der Mann blies nicht. Drei Tage Arrest, wenn Sie nicht sofort blasen-" l Aber der Mann blies noch immer nicht - .«.. I »Der Uckl III Uckkllccc L loose Dcc Major, »total verrückt oder obstinat und widerspenstig. Warum blasen Sie nicht? Jch will Antwort haben oder ich lasse Sie vor ein Kriegsgericht stellen, warum blasen Sie nicht?« »Ich kann nicht« Herr Major!« Der Major hielt sich, um nicht vom Pferd zu fallen, mit beiden banden an dein Sattelinopf fest. Mit starren Augen fah er den Unteraebenen an: »Was können Sie nicht? Sie können nicht blasen?« ,,Zu Befehl, Herr Major, ich kann blasen, aber nicht Alles. »Es bin Re servespielmanm da kann icb man blos die Kompagniesianale, Zapfenstreich nnd Reveille, das Alarmsianal habe ich noch nicht gelernt.« - Der Maior war sum-blos einfach sprachlos, so Etwas war ihm denn doch noch nicht vorgekommen. Er winkte schließlich den Unteroffi zier zu sich heran: »Schickeu Sie einen Mann in die Kaserne, es soll sofort ein gelernter Spielmann zn mir koinmen.« ,,Zu Befehl, Herr Maior,« aab der Unterosfizier zur Antwort, er selbst lief davon, aber schon nach weniaen Minu -ten kam er mit der Meldun» zurück, daß die Spielleute noch auf dem Uebungspla wären. »So soll ofort einer geholt werden,« befahl er, aber gleich darauf änderte cr feinen Entschluß. Der Uebungsplatz war weit entfernt; ehe ein Soielmann zur Stelle war, konnten immerhin gut zwanzig Minuten, wenn nicht noch mehr vergehen, in der Zwischenzeit aber würden die Feldwebel ihre Leute be reits antreten lassen, und der Zweck des Alarms wäre vollständig verfehlt. Daß er vor der Kaserne hielt, um zu alar miren, hatte sich mit Blitzesschnelle ver breitet ——- er fah, wie in den Stuben die Mannschaften hin- und herliefen, um ihre Sachen zusammen zu suchen. Ein Alarrn aber soll und mufz völ lig überraschend kommen, nnd das war ihm ,,vorbei gelungen«. , Lanasam wandte er iem Pferd und ritt von dannen, nicht in der rosiasten Laune. Was sollte er nun dein Regi tnent meiden ? Sollte er dem Herrn Oberst mittheiten, daß sein Versuch, zu alartniren, gescheitert sei ? Es war fiir ihn nicht teicht, eine passende Aus-rede zu finden, er wollte morgen mit seinem Adsutanten sprechen, der würde schon einen stichhaltigen Grund, mit dein er den Herrn Oberst beruhian konnte, fin den. Fiir die nächste Zeit konnte er an einen neuen Alarni nicht denken. Dass die Leute, in Sonderheit die Feldtvebel, auf dem »Qui dive« sein würden. war sicher. eineUeberraschung war ganz aus geschlossen, und doch gerade darauf kam es an. Der Herr Maer raste. Er batte sich nnnöthigerweise seine Nachmittagsruise rauben lassen. Ohne daß die Sache ei nen tieferen, praktischen Nusen gehabt hätte, hatte er sich den unbequemen Dienstanzug angezogen, seine Pferde waren umsonst gesattelt worden, na, der Herr Hauptmann, dessen Kompagnie auf Wache war, und der Herr Botenl lonstambour konnten sich aus morgen freuen. Aber unbegreiflicherweise freuten sie sich gar nicht, sie hatten Mittbeilung be kommen von Dem, was vorgesallen war, und sahen dem ,,Lendemain« voller Schrecken entgegen : nicht nur die Kniee, sondern auch ibre Haare und Zähne zitterten vor Angst. Die wenigsten Menschen haben das Gliich daß ihre Erwartungen in Er füllung geben« die Erwartungen der Soldateska aber werden sogar übertrof en. f Aus eine gewisse Dosts Grobheit hat ten sich die Schuldigen siir den nächsten Tag präpartet, aus einen so starken Ta bak, wie er ihnen verabsolgt wurde, aber nicht. Wert hauptnnmn t« tobte der Ma W sor, »wie können Sie es wagen, einen Spielmann aus Wache zu schicken, der nicht Alarm blasen kann ? Es kann Feuer ausbrechen, sei es in der Kaserne oder in der Stadi, Seine Maiestät der Kaiser kann plötzlich eintreffen, wir können Hochwasser bekommen, eine Re volie kann ausbrechen; was weiß ich Alles, und dann hat der Wachihabende einen Spielmann bei sich, der nicht ein mal Alarm blasen kann ! Bitte, Herr Hauptmann, wollen Sie die große Giite nnd die unendliche Liebenswiirdigkeit haben, mir unter dein Siegel der tief sten Verschwiegenhseit anzuvertrauen, was Sie sich dabei gedacht haben ?Wol len Sie, bitte, so freundlich sein, mir das mitzutbeilen ? Jch bin wirklich nicht neugierig, aber das möchte ich denn doch gerne wissen !« »Mein Gott, wie soll ich Dir denn antworten wenn Du mir dazu keine Zeit läßt, sondern beständig weiter re dest,« dachte der Hauptmann, »halte nur einmal siir eine einzige Minute den Athem an, dann will ich mich schon ver iheidigen.« Aber der Vorgesetzte dachte gar nicht daran, seinem Untergebenen den Gesal len zu thun und den Mund zu halten.· Er redete ruhig weiter, bis er nichts mehr zu sagen wußte. und dann fing er wieder von vorne an.. Wenn er dennoch endlich »Schlusz machte«, so lag das lediglich daran, daß in einer stillen Ecke des Kasernenhofes auch noch der Bataillonstambour stand, der nur darauf wartete, ebenfalls noch j abgelanzelt zuwerden « Und auch er bekam sein Theil zu hö ren, es waren keine lieblichen Laute, die an sein Ohr schlugen. Jm Vergleich mit den Tönen, die der Major von sich gab, war das falsche Tuten, Blasen nnd Trommeln seiner Spielleute, die Men schen rasend machen konnten, die schön ste Himmelsmusit »Zum zweiten Mal soll mir das nicht wieder passiren,« schloß der Herr Ma jor, »daß ich einen Hornisten finde, der das Alarmftgnal nicht kann, und des halb befehle ich hiermit, daß Sie von heute ab jeden Nachmittag von fünf bis sechs Uhr eine geschlagene Stunde mit Jhren Leuten das Alarmblasen iiben.« Und das Alarniblasen begann. Je den Nachmittag, den der Himmel in sei ner Gnade werden ließ, standen die Spielleute auf dem Kasernenhof und übten und bliesen und trommelten int mer nur das eine Signal : Alarni. Es war zum Wahnsinnigwerden, so wohl für Die, die da bliesen, wie für Die, die das Geiute und Getrommel anhören mußten, aber das war dem Herrn Major ganz egal, er wollte, daß allen Leuten seines Bataillons das Alarmsignal in Fleisch und Blut über gehen sollte. Nach vierzehn Tagen, während-deren fein Adjutant immer neue Ausflüchte für einen hohen Herrn Oberst hatte er finden müssen, glaubte der Herr Majorj daß nun des grausamen Spiel-s genug sei, und kraft seines Amtes und der ihm innewohnenden Weisheit erließ er den Befehl : »Von heute Mittag ab findet kein Alarmblasen mehr statt.« Darüber freuten sich Alle, die diesen Befehl lasen, aber der Herr Major dach te: ,,Kinder, freut Euch nur nicht zu früh, denn heute Mittag alarmire ich Euch wirklich« Nachmittags um fünf Uhr machte sich der Herr Major auf den Weg zur Ka serne, er zu Fuß. denn er wollte sich möglichst wenig bemerkbar machen — seinen Burschen mit den fetden be stellte er für eine Wettean später Der Alarm sollte ganz« überraschend kommen ; deshalb ging er auch nicht durch das Hauptportal bei der Wache vorbei, sondern durch ein Nebenthor auf den Kaiernenhos und rief sich den ersten besten Soldaten heran. »Mein Sohn,« fagte er zu diesem mit möglichst gelassener Stimme, ,,gehen Sie doch einmal in Jhr Kompagniere vier und schicken Sie mir einen Domi sten, der Mann soll sein Instrument mitbringen.« Einige Minuten später stand der Spielinann dem Vorgesetzten gegenüber. »So, mein Sohn,« befahl der Herr Major, «nun blasen Sie einmal Alarm —— warten Sie noch einen Augenblick, ich will niich hier hinter diese Thiir stel len, um unbemerkt die Wirkung Jhres Signals beobachten zu können. Sci, nun blasen Sie i« Der Mann blies, und von seinem Versteck aus beobachtete der Herr Major die Wirkung. Aber die Wirkung blieb aus-, nichts rührte und regte sich; die Leute, oie über den Kaiernenhos gingen, ließen sich in ihrer Ruhe absolut nicht stören. Jn der Kaserne blieb Alles still. ,,Blasen Sie noch einmal !« befahl der Major, »blasen Sie lauter l« Der Mann stieß in sein Horn, daß ihm die Augen aus dem Kon traten und das Messing seines Instrumentes sich verbog. Nichts rührte sich, nichts-, gar nichts ! Und der Hornist blies noch einmal — bie Erde zitterte, aber in der Kaserne blieb Alles still, lein Mesnch lümmerte sich um das Signal. Noch einmal stieß der Mann in fein Horn, und dieses Mal wurde es gehört — ein Fenster wurde geöffnet, und die Stimme eines Feldwebels schrie den Spielmann an : »Mein-, Sie krummer Teufel, sind Sie denn ganz verrückt ge worden ? Was tuten Sie da immer ? Laut Bataillonsbesehl ist heute gar kein Alarmblasen !·' Das Fenster wurde zugeschlagen, und heimlich schlich der Ma«or nach aus s er gab den Versuch, llein Bata llon In slatmiren, definitiv auf. M Ein großer Tag. VonE. vonZeloitz. Ein trüber Wintervormittag sah durch die kahlen Fenster in die schmuck lofe Fähnrichsstubr. Die wenigen spar tanifchen Möbel wurden durch das graugräuliche Licht nicht eben ver schönt, und die wahllos zerstreuten Kleidungsftiicke gaben dem Zimmer das Ansehen eine-J Schlachtfeldeg. Jch lag in dem eisernen Feldbett, wie es- fich fiir einen braven Soldaten ge ziemt, und versuchte mich vergeblich zu dem Entschluß aufzuraffen, mich zu er heben.—— Heute hatte ich einen dienftfreien Tag vor mir, da sich die Mannschaften meiner Kompagnie im Wachdienft be fanden, und ich erfreute mit daher des ebenso stolzen wie seltenen Rechtes, ganz allein über mich verfügen zu kön nen. Jm gemüthlichen Dahinduseln hielt ich über meine Gedanken Heer schau, und es waren angenehme Bilder und wonnige Zs.ilnnft«glräuine, die mich uingautelten. Seit fcchis Wochen von der Kriegsfchule zurückgekehrt, stand ich nunmehr dicht vor der Beförderung zum Offizier. Jeder Tag konnte mir dies einzig wichtige Ereigniß bringen. Das Scharren nägelbeschlagener Stiefel vor meiner Schwelle unterbrach den angenehmen Gedankengang Gleich zeitig vernahm ich an der Thür ein schüchternes Klopfen, dessen eigenarti gen Rhythmus ich schon öfter bewun dert hatte. Jeh wußte Be cheid: Mein getreuer Putzer heifchte inlaß. Aet gerlich über die Störung, grunzte ich mit gerunzelter Stirn ein »Herein«, und der brave Grenadier trat mit der ganzen friesifchen Nachdriicklichleit fei ner wuchtigen Erscheinung ins Zimmer. Aber was hatte er heute? Seine gu ten blauen Augen trafen mich mit fo ei genthümlichem, ich möchte sagen: beseel teni Ausdruck! Das ftrohblonde Haar umstarrte den Kon aufgeregter denn 1e.-— »Was ist los-" fragte ich und richtete mich unwillkürlich neugierig auf. er Putzer schnappte zunächst wie ein . arpfen nach Luft, und es dauerte ein Weilchen, bis das erste Wort seinen Lippen sich entrang. »Herr Fähnricht Der Herr Feldwe bel läßt dem Herrn Fähnrich melden, dass der Herr Fähnrich Herr Leutnant geworden sind3!« — Jch habe selten wieder in meinem Leben so schnell das Bett verlassen, zu mal gerade dieser Moment mir immer der schrecklichste des Tages ist. Heute aber war das natiirlich etwas anderes! Meine Gedanken wirbelten wild durch einander. Was sollte ich zuerst thun und lassen? —-— Jn freudiger Erregung raste ich in der inangelhaften Beklei dung der Nacht im Zimmer umher und beschäftigte mich tin Wesentlichen da mit, alles durcheinander zu werfen So war ich wirklich und wahrhaftig Leutnant geworden! Jch hatte das Ziel erreicht, das der Traum meiner Kadetten- und Fähnrichszeit gewesen war. Was werden die Verwandten und Bekannten sagen? — Wie schön wird das Leben werden, jetzt, da ich zum er sten Male selbstständig hinaus-trete in den rauschenden Strom des Lebens, in einen Beruf, den ich von Kindes-deinen an ersehnt hatte. Blitzschnell schossen mir diese Ueber legungen durch den Kopf, als ich den Kleiderschranl öffnete, um die funkel nagelneue Osfiziers-Uniform heraus zuholem die der Schneider schon vor ei nigen Wochen sertigstellen mußte und von deren tadellosem Sitz ich mich be reits mehr als genügend überzeugt hatte. Mit einer gewissen Andacht machte ich Toilette. Endlich war ich fertig und verließ in Ueberroct und Mütze, ge hüllt in den gestepptein grauen Paletot, das Fähnrictiszinunen das die längste Zeit mein Aufenthaltsort aewesen war. Der Putzer starrte mir unt unverhüll ter Bewunderung nach, bis mich die siorridorecte seinem Gesichtskreise ent zog. -« - «.- »z-. . ver Munluugiuc«Ou)re1u11uue traf ich meinen biHheriaen Vorgesetzten, den Feidtvebeh der schtnunzelnd die Harten zufannnenriß und einen verle genen Glüdwunsch hervorbrachte. Er wußte sich dem neugebackenen Offizier gegenüber, der bisher sein Untergebener war, noch nicht recht zu benehmen und versteckte feine Befangenheit hinter ei nem Lächeln, das seine Mundwinkel bedenklich den Obrzipfeln näherte. Jch dankte der erprobten Kompagnie mutter und ließ mir von dem Schrei ber Papier nnd Tinte geben, um ein Telegramnt an meine Eltern aufzu setzen. Langsam, ungetrübten Glückes voll, durchquerte ich dann den Kasernenhof, um im Offiziertafino zu frühstiicken, denn am heutisien Festtage konnte ich mich unmöglich mit der verdächtigen, hellbraunen Flüssigkeit begnügen, die ich mir sonst allmorgendlich auf der Rasseemaschine bereitete. —— —- — »Sieh mal einer an, X., Sie sind Of fizier getriorden?«' ——— Klar und scharf, aber herzlich schlug eine bekannte Stim me an mein Ohr. Jeh wendete mich um nnd sah meinen bisherian Zugfiih ter, den Oberlentnant v. M» vor mir, einen durch Charakter und Fähigkeiten ausgezeichneten Offizier. 11nwillkür lich schlug ich die Hatten zufammen, um die militärifche Haltung des Unterge benen anzunehmen als mir einfiel, daß ich ja nunmehr M.’s Kamerad gewor den war. Daher versuche ich; ihn mit der Ver « traulichkeit des Gleichgestellten zu he grüßen, die mir aber noch nicht völ » lig gelingen wollte. »Na, wie ist Jhnen denn eigentlich zu Muthe?« fuhr M. wohlwollend fort. »Wahrscheinlich wollen Sie auch zum Frühstück in’s Casino. Vergessen Sie nicht, sich heute Mittag bei der Pa role zu melden, im Paradeanzug na tüktich!« »Zu Befehlt« antwortete ich mit der ganzen Strammheit eines preußischen Ilnterosfiziers, und erinnerte mich wie derum zu spät der jungen Thatsache meiner Beförderung Im Frühstückszimmer des Kasinos saßen meine Ofsiziere, die den jüngsten Kameraden mit lebhafter Herzlichkeit begrüßten und beglückwünschten Die meisten hatten bereits mehr ständigen Dienst hinter sich und stellten mit gutmüthigem Spott fest, daß ich noch nicht einmal Kaffee getrunken hätte, also erst soeben aus den Federn gestiegen wäre. Der älteste der Anwe- . senden, der dicke, gemiithliche Haupt mann B., aus dessen kleinen, lustigen Augen es wie eitel Wohlwollen leuch tete, trat auf mich zu. »Hals- und Beinbruch für Ihr gan zes militärisches Leben«, meinte er mit - knarrender Stimme und klopfte mir schwer und bedächtig auf die Schulter. Inzwischen hatte Gras U., der Regi mentsadjutant, meinen äußeren Men- ? schen mit schnellem Blicke gemustertxl wie mir nicht entgangen war. ; »Ich gratulire Jhnen herzlich, mein : Lieber«, meinte er sodann kurz und i scheinbar befriedigt. ,, dem heutigen Mittag zur» Z. Kompag nie. Bei der Parole wird es befohlen werden.« ,,Wollen wir das sreudige Ereigniß nicht ein wenig feiern? Soll ich eine kalte Ente brauen?« rief der kleine F» . ein sonniger, lebenslustiger Charakter, der bei allen beliebt und gern gesehen war, trotz seines unleugbaren Leicht sinns und seiner scharfen Zunge. »Na, Kinder, wer ist dabei?« —- — »Sie sind toll, F.«, meinte der dicke Hauptmann B. kopfschüttelnd »Schon Vormittags wollen Sie sich dem Alto hol ergeben? Jch erhebe Einspruch dagegen. Wenn Jhre ausgepichte Landöinechtsgurgel auch alles ver trägt, so müssen wir doch auf unseren Jüngsten Rücksicht nehmen« Die anderen lachten, und die Feier wurde bis zum Mittagessen verschoben, das alltäglich um 6 Uhr Nachmittags stattfand. Piinttlich um 12 Uhr betrat ich im Paradeanzug den Paroleflur. Die Bataillonsadjutanten hatten die Feld webel und Ordonnanzen um sich ver sammelt und dittirten mit Eifer und Wichtigkeit die Befehle für die Kom pagnien. Ich war bald der Gegenstand allge meiner Aufmerksamkeit und fühlte mich durchaus nicht behaglich. Endlich öffnete sich die Thiir des Re gimentsburearts, und der Komman deur überschritt, vom Regiments adjutanten gefolgt, die Schwelle. Ha stig trat ich an den Obersten heran und legte die Hand an den Helm. »Ich melde mich ganz gehorsamst u. s. w. —« Gatt sei Dant, die Litanei war wie ein munteres Bächlein ohne Stockung von meinen Lippen geflossen, und ich athdete auf! Der Gestrenge sah mich scharf an und reichte mir mit kurzem Druck die Hand. ,,M.einen herzlichsten Glückwunsch, junger Freund. Jch freue mich, Sie als neueg Mitglied des Osfizierstorvs begrüßen zu können. Thun Sie Jshre Pflicht, und die Anerkennung Jshrer Vorgesetzten wird nicht ausblei ben. Jch danke-« Wiederum zuckte meine Rechte nach dem Helmschirm, und ich zog mich zu rück. Die wenigen Worte des Kom mandeurs hatten trotz ihrer Schlicht heit und militärischen stiirze —- oder vielleicht gerade deghalb —-- großen Eindruck auf mich gemacht. Jm Stimmklang nnd im Blick des alten Soldaten lag so viel kameradschaftli ches Berständniß und so viel Herzlich leit, daß mein Herz in vollem Ber trauen ausging. Jn meinem bisherigen Heim, der ,,·’5ähnrichsbude«, traf ich so zeitig wie der ein, daß ich mich in aller Gemäch lichteit umkleiden konnte, unterstützt von dem neu kommandirten Burschen. Meinen bisherigen Putzer hatte ich zu vor mit einigen freundlichen Worten verabschiedet und seinen Trennungs schmerz mit einem harten Thaler gelin dert. Die zum Mittagstisch bersammelten I Ossiziere begrüßten mich bei meinem · Eintritt in das Versainmlunggzim mer des Kasinos mit einem langges dehnten Ah!, das mein mühsam auf rechterhaltenes Gleichgewicht wieder bedenklich in Frage stellte. « »Haben Sie die Güte, heute mein lieber Gast zu sein!« Mit diesen zierlichen Worten be grüßte mich mein liebenswürdiger sta pitän und geleitete mich zur Tafel. Die Konipagniegenossen setzten sich in meine Nachbarschaft, und das Essen begann. Freilich --— auch das Trin ken wurde dabei nicht vergessen! Kein l Mitglied der großen Familie, in deren Schoß tch heute eingetreten war, ließ es sich nehmen, sein Glas aus mein Wohl zu leeren, und ich that wacker ( Bescheid Jch fühlte mich immer zu i friedener, immer sicherer, und wahr lich, es war nicht nur der Einfluß des Weines, der mein Herz freudig pochen ließ und Inir das Blut in munteres Wellen durch die Adern jagte. Es war ein anderer, mächtiger Zauber, der seinen Einfluß immer mehr auf mich geltend machte, der siegreiche Geist der Kameradfchaft, der diese Räume durchwehte, trennende Gegensätze über briickte und in die Brust des jungen Menschen unmerklich diejenigen Keime pflanzte, die dereinst werthvolle Früch te bringen sollen. Man hat von der Armee nicht freundlicher Seite gerade über das Offizierlasino sc- viel Abfprechendei und Falsches geschrieben. Jch möchte bei dieser Gelegenheit bervorl)eben, daß meiner Meinung nach gerade das Bor handensein dieser Offizierspeisehäufer einen unschätzbaren Werth fiir die Er haltung des weltberühmten Geistes im deutschen Offizierstorps besitzt. Noch viel weniger als früher geniigt es heutzutage, dem künftigen Osfizier nur eine Fachansbildung in Theorie und Praxis zu Theil werden zu lassen. Beinahe noch wichtiger ist die Erzie hung des Chrakters und des Seelen lebeng jener jungen Leute, deren Hän den später jahrelang die Jugend des ganzen deutschen Volkes anvertraut werden soll. Eine solche Erziehung läßt sich aber nicht auf dem Excrzir platz oder dem Scheibenstande erzielen, sondern nur durch den bildenden Ein fluß, den das Offizierlorps in seiner Gesammtheit ausübt. Dieser Einfluß aber kann sich nur bei engerem, dauern dem Zusammenleben geltend machen, in dem sich die Mitglieder kennen, ver stehen und schätzen lernen. Wo und wie wäre nun ein solches Zusammen leben besser zu ermöglichen als in den Räumen, die dem ganzen Offiziers korps als Familienheim gehören? . »Die Mitternacht zog näher schon«, als ich ausbrach. Eine vorübergehen de Unsicherheit, die sich meiner Füße beim Hinaustreten in die kalte Nacht luft bemächtigen wollte-, kämpfte ich nieder und schritt in glücklichster Stimmung der Kaserne zu. Der Nachtposten an der Pforte präsentirte, und ich dankte ernst und huldvoll, wäh rend mein Herz im Votlgefiihl des Stolzes schwoll. Dass war ein Tag gewesen, wie das Leben dem Littenschenlinde nur sehr, sehr wenige bescheert. Tie Bäume toijchsrn sonst in den Hinwnell — Der Bau der Jungfrau l- a h n macht rüstige Fortschritte. Am U. August vergangenen Jahres wurde bekanntlich bereits die Strecke Eigers gleischer -—— Rothstock dem Verkehr über geben. Der Weiterbau des Tunnels iiver die Station Rothstock hinaus blieb dann des Betriebes wegen eingestellt. Er wurde erst am J. November in vollem Umsange wieder aufgenommen und bis Mitte Mai dieses Jahres wei ter geführt Erst am 1. Oktober konnte ter Betrieb von Neuem aufgenommen werden, und nun schreitet er rüstig vor wärts. Es wird wie früher in drei acht stündigen Schichten bei Tag und Nacht gearbeitet. Es sind bis zur Station Ei gerwand noch 1037 Meter Tunnel vor zutreiben, was einen Zeitraum von rund 14 Monaten beansprucht Es wird während der Betriebszeit 1901 der Tunnelbau wahrscheinlich nicht wieder eingestellt zu werden brauchen, da ja die Materialförderung dann durch den neuen Stollen gehen kann. Auf Station »Eigerwand" wird darauf die Station ,,Eismeer« (3600 Meter über dein Lilieery folgen. Die zwischen beiden zu iilserwindende Tunnelstrecke beträgt 1400 Meter. Station ,,Eisnieer« wird die höchstgelegene und nierkwiirdigste Eisenbahnsiation von ganz Europa fein. J u ng g e f r e i t. Das romantische Liebesidhll eines sehr jugendlichen Pär chens, das zusammen noch nicht 31 Jahre zählt, ist in Exeter in England von einem Hüter deS Gesetzes mit rau tser Hand zerstört worden. Die Helden sind Benott Legebeke,1.6 Jahre alt, und die um ein Jahr jüngere Adrienne La 1ning, die Tochter eines -Os«fiziers, beide ans Briissel. Dasllltiidchen hatte kürzlich einen grösseren Gewinn in einer Lotte ri: gemacht, nnd dieses Geld hatte das Liebes-paar benutzt, um nach England durchzubrennen, um sieh dort zu verhei rathen. Nach längerem Aufenthalte in Linron und Briswl kamen tie vor zwei Wochen nach Exeter und stiegen als Mann und Frau im Eisenbahn - Hoiel ad. Jhr Aufenthalt wurde von den Londoner Polizeibehörden, an die die Eltern sich gewandt hatten, entdeckt, als sie versuchten, eine Anzahl italienischer Stiiatopapiere zu Gelde zu machen. Sie nsnrdcsn nach London gebracht und werden nach Belgien ausgeliefert wer den. —---- Der Fabritplatz Ha v e r h i ll in Massachusetts hatte seit einigen Jahren eine . sozialistische Stadtreaieruna. Doch bei der dortigen Wahl in voriger Woche wurden die Sozialisten geschlagen und die Stadt hat jetzt einen der republilanifchen Partei angebörigen Mayoe Man er klärt fich, wie die »Jll. Staats-Ztg·« sagt, diesen Wechsel .fo: Bei den vor hergehenden Wahlen herrschte viel Un zufriedenheit gegen die Parteipolitiker, und deshalb stimmten auch zahlreiche Nichtfozialiften sozialistisch, um besag ten Parteipoutitern einen Denkzettel zu verabrerchen. Diesmal aber stellten die Republitaner einen anständigen Wahlzettel auf. Daher der Um schwang.