Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 04, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    yea- und «Evn.
Eine Erinnerung an Cehlon von :
A. de Geriolles.
Gleich einem Paradies aus Blumen
und Palmen taucht Cehlon, die geheim
nisvolle, die göttliche Insel, die wun
sderdare Serebendide der Scheherezade
ghinter den blauen Schleiern des hort
vzontes empor, und schon sendet uns die
von der glühenden Sonne durchhitzte
lErde au lauer Brise ihre schweren tro
.pifchen iiste.
Ein Eiland breitet sich vor uns aus,
aus dem die Kolospalmem schlant und
starr, den Fuß in den Wogen baden «
und hoch in den Aether empor ihrc zit
ternden Kronen strecken.
Dicke Schichten von Jnsusorien stir-: g
ben das Meer mit tiefem Noth und um«-— ;
schließen wie mit einem Gürtel von -
Rubinen die Flanlen der Insel. s
Ein einziges großes Fest ist all das ;
überschiiumende Leben dieser singhali- ;
fischen Natur, und doch zittert es wie ;
ein sanst melancholischer Hauch durch ;
die linde Feuchtigleit der Lust.
Um uns her wogt die steigende Fluth ’«
der Eingeborenen; von Hunderten von f
Pirogen getragen, schaulelt ein Ge
wimmel hronzehrauner Wesen aus den
Wogen, mit Geschrei und ohrlietiiuben- -
den Rufen. «
Endlich erreichen wir diesen Boden,
den tvir mit immer gleicher Wonne be- s
treten, und suchen Unterlunst in einem .
.lomfortablen Hotei. Im prachtvollen F
Speisesaal, von möcht gen Palmen be- s
schaltet, versammeln sich zwei bis drei- i
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hundert Personen aller Rassen, aller
Karl-en, aus allen vier Weltrichtungen
rgeweht, um eine ungeheure, licht- s
überslutheie, verschwenderisch mit Blu- j
men geschmückte Tafel; am Plasond !
huschen kleine, eigenthiimlich rosig ge- ;
siirbte Eidechsen hin und her und ha- »
schen im Fluge die schwirrenden T
Mücken. !
Um uns her gieiten barsiiszig mit lei- l
sein Schritt, ernst und sanft, die singha- ;
lesischen Diener in ihren engen weißen s
Mitten, das ebenholzschwarze haar von ;
einem Schildtrotlamm hoch zusammen- j
gehalten
s- d
st«
Des Morgens, bei Tagesanbruch, «
tommen die Wagen mit den weißen
Planen.
Wir passiren Colombo. Langge
dehnte, regelmäßige Allern, von Eben- ;
holz- und Sandelholzhiiumen und rie- -
senhaften Palmen in Schatten ge
taucht. -
Dann erscheint am Fuße der Koloss
palmen die schwarze Stadt, reizende
Hütten, unter deren Dächern hier und
dort fremdartige Blumen nicken
Auf der Schwelle die gra iösen
Singhalesen, mit den arischen iigen
und dem nackten, schlanlen Oberliirper,
kämmen vom Morgen bis zum Abend
ihr langes, wallendes Frauenhaar, das
ihr Entzücken, ihren Stolz bildet.
Die Frauen. weniger schon als die
Männer, doch unendlich anmuthig mit
ihren vielfarbigen Schürzen drapirt, «
nehmen sich auf diesem Hintergrunle
von Grün wie riesenhafte lumen aus
die diesem Feuerboden entsprossen s nd -
Wir verfolgen jetzt durch den Wald i
eine rothe, zu dem »Jardin de la Can- .
nelle« führende Straße; hinter uns, !
neben uns laufen Singhalesen, die Ell
bogen an den-Körper gedrückt, mit aus l
l
gestreckter Hand, —- bettelnd
Hier der Garten· Einige Kinder
von zwölf fünfzehn Jahren, Gestalten -
wie aus matter Bronze, von antiter
Schönheit, bieten uns den ersrischenden
Saft der Kolosniisse und anderer sü
ßer, löftlich wohlschmeelender Früchte.
Jn einem Kreis azurblauer Berge
ein unendliches Thal von einem brei
ten von Krolodilen wimmelnden Fluß
durchstromt, der seine schweren Wellen
in einem einzigen, mächtigen Fall da
hinrollt, glatt faltenlos.
Der feuchten, heißen Erde entsprießt
in toll ausschiiumender Lebenskraft eine
wunderbare, fremdartige Begetatiom
triumphirenden Riesen gleich, strecken
die Kotospalinen sich zur schöpferischen
Sonne empor, und durch das sanftef
Rauschen ihrer Blätter streicht das
ewige Zittern des Bambusrvhres. s
Fern am Vorkzont der Pic Adam, in '
violette Schatten getaucht. Von diesem
Gipfel aus, so sagt die Legende, nahm,
nachdem das graue irdische Werk voll
bracht, Jehovah, mit seiner Schöpfung
ufrieden, den ungeheueren Aufflug, der
ihn in »den Himmel zurückschleuderte,
während der » els die Spur seines gött
lichen Fußes iir die Ewigkeit bewahrte.
»Warst-en Sie an ein adsoluteö Glück
»aus dieser Welts« stagte mich traumbes
langen mein Gefährte, ein junger Leut
iaifit, der sum vierten Male Indien be
rei te.
»An ein absolutes Glücks Nimmt
juristi«
»Nun denn, so kommen Sie mit mir
zu Adam und Eva, und Sie werden
lauben lernen, mein lieber heiliger
homas.«
»Wer ist das, Adam und Chai«
«Eine der Sehen-würdigteiten der
Insel, allen Neisenden bekannt; ich dek
sichere Sie. ein interessantes Paar.«
»So erzählen Sie mir doch Näheres
darüber.«
»Nein, ich will Ihnen die Ueber
raschung nicht schmälern; kommen Sie.«
Wir bestiegen wieder unseren Wa
gen; die hihe hatte ein wenig abgenom
men, und alliiberall in dem strahlenden
Licht schwebten schillernde Schmetter
lin e, Tausende von grünen Papageien
mi Metallgeiunlel durch die Lust . . .
The-Es Wik siFiZ engste-Hilf
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Unter einer Gruppe schlanien Bam
busrohres, oon einem Patrnenbain ums «
schlossen, eine blumenüberwucherte
hätte; beim Eingang saßen aus einer ;
Bank zwei seltsame Greise: ein Mann, ’
ein Weib.
Der Mann groß, mit den Spuren
männiicher Schönheit in seinen Zügen;
die Frau mittelgros« sast dürr in ihrem
singbalisischen Schutz. init slatterndeni,
» noch blonden Haar, aber von einem sah
« len, farblosen Blond. Um den Leib über
dem Schutz trug dieses seltsame Paar
einen breiten Blättergiirtel; wie in se
ligem Traum verloren, hielten sie sich an
der Hand. «
Unser Nahen schien sie zu erwecken;
leisen, schleppenden Schrittes traten sie
näher und forderten uns lächelnden
- Mundes in reinstem Englisch auf, ihre
hütte zu betreten und uns dort zu er- i
: frischen. z
r- Jch war von ihrer Haltung, ihrem ;
z Wesen aus-Z Tiefste verblüfft. Mein «
E Freund wandte sich an die Frau und «
’ sagte: sj
f »Seid gegrüßt, Eva, meine Mutter! ;
T Euer Sohn sreut sich, Euch stets gleich !
i glücklich in dem Eden wiederzufinden,
Edfaf Euch zur Wohnung angewiesen·
- it·« T
Die Greisin wandte sich ihrem Ge- ’
führten zu und suchte dessen Hand.
»Ja, wie sind glücklich«, erwiderte sie,
»immer, immer glücklich; nichts stört
sortan unseren seligen Frieden; ihrer
stets vergeblichen Versiihrungsoersuche
müde, bleibt die Schlange endlich unse
rem Paradiese sern, und wir sehen un
sere Kinder in unendlicher Schönheit ,
und unendlicher Güte die Erde bevöl- s
tern.« ;
Der Leutnani wandte sich dem Greise z
zu: l
i
’ gleich reizend glauben und einander
s
i
s sehen in allen Menschen ihre Kinder,
»Und wie lange, VaterAdany gevenrr «
Ihr diesesGliick zu genießen und in die- ;
fer Welt der Wonne zu leben?« i
Der alte Mann erhob die Blicke zum F
Himmel, wie um eine Erinnerung, ein F
liingst entschwundenes Bild dort zu »
finden, und erwiderte: ;
»Als mein Herr und Schöpfer, um i
sich zum Himmel emporzuschwingen,;
den Fuß auf jenen geheiligten Gipfel i
setzte, sprach er zu mir: «Adam, mein ;
vielgeliebter Sohn, Du wirst Eva, die i
Gefährtin, die ich Dir lasse, lieben wie
Dich selbst; Du wirst sie mit Deiner z
Seele umhüllen, auf daß nichts sie ver- l
lese, nichts sie verwunde, und Jhr wer- 1
det die Ahnen des ganzen Menschenge- z
schlechtes werden. !
»Ich schenke Euch dieses Paradies, i
das an Schönheit dem meinen fast !
gleicht, und ewig vereinigt werdet Ihr ;
darin wohnen, wenn Eva der Schlange :
widersteht, die sie versuchen wird.«« ’
Er zog die Geliebte an sein Herz
und, sie mit unsagbarer Zärtlichkeit
betrachtend, sprach er:
»Sie hat überwunden . . . .« ;
Jmmer noch Hand in Hand und von
ihrem unbesiegbaren Traume hingeris
sen, hatten sie unsere Gegenwart ver- ;
gessen, . . . . in der Harmonie der umge- s
benden Natur lauschten sie dem Ge-;
sang ihrer alten, naiven Liebe. l
se «- se l
Jn schnellem Tempo rollten wir Co
lombo zu, lächelnd betrachtete mich .
mein Gefährte.
»Wie tröumerifch Sie sind!« sagte;
er. »Wie steht es nun mit Jhrer schö- I
nen Theorie von der Unmöglichkeit ei
nes absoluten Glückes? Haben Adam
und Eva Sie nicht bekehrt?
»Da haben Sie zwei Wesen, die im
mer noch in den paradiesifchen Zeiten
leben, die sich immer noch gleich schön,
mit dem Glauben ihrer Unsterblichkeit
vergöttern. Haben sie nicht wahrhaftig
dieses absolute Glück erreicht, das Sie
soeben noch leugneten?«
«Fiigen Sie hinzu: und diese Wesen
ihre gliich schönen, gleich guten Kin
der· Gewiß, das beweist, daß in ihnen
disEinbildungstraft unlvahrscheinliche
Höhen erreicht hat; trotzdem beharre
ich nicht weniger fest in meiner Theorie
und kann nur sagen, daß ich wahrhaf
tig weit habe reisen müssen, um eine
Ausnahme zu- finden, die die Regel be
stätigt. Uebrigens haben diese beiden,
so abnorm glücklichen Wesen ihr Glilck
unter völlig abnormen Umständen ge
funden: es sind Geistestranke. Wie
seltsam, dasz ber gleiche Wahnsinn zwei
Individuen im gleichen Augenblick be
fallen und sich in so abfolut gleicher
Weise öuszertt
h «s,k-srs
»Nun heraus mit ver Geschichte,
denn eine Geschichte muß dieses Phä
nomen selbstverständlich haben. Jch
zünde rnir eine Cigarre an und höre ;
Ihnen zu.«
»Gewiß hat es eine Geschichte, eine
kurze und einfache Geschichte, die Je
deimann hier kennt.
«Diese guten. in sanftem Wahnsinn
befangenen Leute. die wir soeben be
sucht haben, waren vor vierzig Jahren
ein reizendes Englanderpaar, sie schön
und blond wie unsere unvernünftige
Ahnmutter, er schön, kräftig und braun
wie unser allzu nachgiebiger Stamm
vater.
»Sie waren aus England nach Cen
lon gekommen, um die Erbschaft anzu
treten, die ihr Onkel, ein reicher Plan
tagenbesitzey ihnen hinterlassen. Sein
Bungalow, ein prächtiger Wohnsitz, er- ;
hob sich wenige Schritte von der Hülle, s
die wir soeben verlassen ; er vereinigte :
in seinen Räumen allen Luxus Indiens
und allen aus Europa dorthin impor
tirten Komfort.
»So lebten Ite drei Jahre lang in l
llicklicher Vere nigung das reiche Leben
r Pflanzen
W
»Bald jedoch bemerkte man, da jhr i
Geiist von den alten Leaenden der nsel !
selt am beeinflußt wurde ; zu wieder- E
holten Malen bestiegen sie den Pics
Adam und tehrten mit fieberhaft ent- I
flammter Phantasie von dort uriicl. ;
»Zum-new wenn sie ihre "chönheit I
mit jener unserer Stammeltern vergli
chen, nannten sie sich Adam und Eva.
Dann schniiiclten sie sich spielend, wie
jene, mit Laubgewinden ; dies Spiel
ward bald zur unschuldigen Manie,
und beunruhigende Schatten trübten
ihren einstmals so reichbegabten Geist.
,,Eine Fintastrophe belchleunigte den
Langbefiirchteten Ausbruch der Krank
eit.
,,Jn einer Nacht landeten malahische
Piraten auf der Insel, stürzten sich auf
das Haus, zerstörten es und steckten eg
in Brand, nachdem sie die Diener nie
dergemetzelt
Den jungen Besitzern des Gutes war
es gelungen, halbnackt in den Wald zu
flüchten, doch ihr Schicksal war besie
gelt . .. der Geist war gestört.
»Da ihr Wahnsinn harmloser Natur
war, ließ man ihnen die Freihkkk- khk
stilles Dasein in der blumeniiberwu
cherten Hütte weiterzuleben und in
ihrem engumsriedeten Paradies die
Seligkeit ihrer Zärtlichkeit fortzuspins
nen.«
st- II O
Zwei Jahre später traf ich in Cher
bourg wieder mit Leutnant X. . . . zu
sammen, der seit Kurzem aus Japan
heimgekehrt war.
»Und unsere alten Freunde,« fragte
ich ihn, ,,wie steht es mit ihrem Glück?«
»Sie genießen jetzt in Wahrheit das
einzige Glück, das niemals endet,« er
widerte er. »Denselben Abend haben
sie Beide die ewige Reise angetreten ; sie
sind geschieden, wie die Guten und die
Einfaltigen scheiden, ein Lächeln auf
den Lippen, die treuen Hände treu ver
eint.
,,Seite an Seite hat man sie zur
Ruhe bestattet, unter dem Bambusges
striipp, das ihre Hütte beschattete ; er
innern Sie sich noch ?«
Er schwieg, meinen Geist durchzü
terte ein Erinnern wie an rothe Erde,
an feuchte Wälder, wunderbar fremd
artige Blumen, an schwermiithige,
sanfte Wesen, und auf dem Unmenge
schmiiclten Grabhügel, worunter meine
Eintagsfreunde ruhen, glaubte ich die
grünen Kronen der Kolospalmeu sich
neigen zu sehen, das Flüstern und
Stöhnen des zitternden Rohres zu ver
nehmen.
, « —.—-— .
Z m G r n tI e.«
»M« ..»» - .
Stizze von A. G a b e r.
-—-·-.- - .- «
Einen wundervollen Kranz hatte sie
ceben irn Blumenladen erstanden.
hryfanthemen, Lilien und Palmen,
von einem Büschel herrlicher Rosen ge
halten. Nun raffte sie die Schleppe
ihres Kreppileides zusammen, zog den
Schleier iiber das blasse Gesichtchen und
schritt rnit vornehmem Gruße der Thüre
zu, die ihr der jugendliche Vertäusir mit
devotem Vernei en öffnete. Der Diener
folgte mit dem tanze.
Jn raschem Galopp sauste der Wagen
durch die belebten Straßen. Bald be
fand sie sich außerhalb des brausenden
Lebens, draußen auf der stillen Chauf
fee, nur hin und wieder ein Wohnhaus,
ein Neubau, eine öde Bauftelle, welte
Wiesenpläßr.
Ja» der Kranz war fein Und ge
fchrnacivoll. Sie freute sich ordentlich
daran. Ja, sie hatte Geschmack. Das
bewies auch das Denkmal, welches sie
der Mama hatte aufs Grab setzen lassen
und das heute aufgestellt werden follte.
Und dann hatte sie Befehl gegeben, den
Hügel mit Blumen zu schmücken, so
schön und so reich wie möglich. Kosten
puntt Nebensache.
Traurig war ja das Alles eigentlich,
furchtbar traurig. Daß die gute Mama
so plößlich sterben mußte, gerade als
Eise sich mit dem Gatten auf der Pari
ser Reise befand. Man hatte ja schon
viel früher zum Besuch der Ansstellung
fahren wollen; aber der Sommer war
so anhaltend schön gewesen und derAuf
enthalt in Baden - Oben fo inter
essant, daß Eise sich gar nicht davon
trennen konnte. Und als sie dann in der
iurzen Pause zwischen den beiden Rei
sen die Mama auf ein paar Stunden
besuchte, hatte gar kein Grund zur Be- J
fdrgniß vorgelegen. Nein, wirklich nicht.
Sie war ja schwach und zart, die gute
Mama, und der böfe Huften quälte iie
manchmal recht sehr. Das war man
nber schon seit Jahren gewohnt gewe
en.
und oann plotzuch oas Ichreauaze
Telegramm. das ihr der Pariser Por
tier überreichte, als sie aus dem Theater
zurückkehrte!
Sie hatte es vergessen, daheim mitzu
theilen, daß man das Hotel hatte wech
seln müssen. Wer denit denn auch gleich
an Alles! Nun kam das Telegramm
mit einiger Verspätung an. Jn aller
Hast beschasste sie sich noch die nöthige
Trauertoiletie. Und als sie in Berlin
eintraf, waren alleVorbereitungen schon
erledigt; sie kam gerade zur Beerdigung
zurecht.
Ach ja, die Beerdigung. Sie hätte sie
ern viel feierlicher gesehen. Der ein
fache Sarg, die bescheiden dekorirte Lei
chenhalle; man hätte doch Alles viel schö
ner machen lisnnen, viel würdiger, viel
kostbarer!
Und dann der Platz. Das war das
Schrecklichstr. So mitten unter den An
deren, wie gerade die Nummer kam. Wie
ollte man sich dahin durchwinden wi
chen den anderen Gräbern, ohne si die
Sachen zu zerreisekli Warum —- ei !
giebt doch Wahlstetlent ?
Ja, wenn sie zu hause gewesen wäret J
Wenn man sie wenigstens um Rath ge
fragt hätte! Aber Schwester Anna hatte
stets ihren Kopf sie sich. Das war .
schon immer so.
Doch nun liess sichksg nicht mehr än
dern. Man mußte sich mit den Dingen
abfinden, wie sie eben lagen, und das
Trauerjabr hinnehmen und innehalten,
wie es eben Sitte und Pflicht war. Und
nenne auch recht- schwer wurde.
Sie hatte sich sos auf den lommenken
Winter und die Gesellschaften gesreut.
Die ersten. die see als- junge Frau mit
machen sollte. Denn in- vorigen Jahre
—- du lieber Gott — da gings ja nicht;
da mußte sie zu Hause bleiben, aus Ge
sundheitsrücksichten Und als sie dann
endlich, nach vieler Qual und Todes
angst, ein kleines Wesen im Arm ihr ei
gen nannte, da war’s auch eben nur wie
ein Traum, das junge Glück. Denn nach
acht Tagen starb ihr Kindchen.
Sie trocknete die Augen mit dem
schwarzumsäumten Batifttuch· Daß sie
auch gar keine Freude haben soll im Le
ben! Was hat ihr bis jetzt ihre Ehe ge
bracht? Nicht eine glückliche Stunde.
Und vorher. in der MädchenzeitZ Lie
ber Himmel, knapp ging es daheim zu,
knapp und streng. Arbeit und Mühen
den ganzen Tag! Es war ja oft recht ge
miithlich, dieses gemeinsame Schaffen
mit Mutter und Schwester im trau
» lichen Erterstübchen; das war aber auch
Alles· Von Vergnügen keine Rede.
- Das Erste, was sie sich von ihrem selbst
verdienten Gelde kaufte — sie gab Mu
sitstunden —- war denn auch ein Gesell
; schastgtleid, ganz einfach, nur weiße
H Waschseide. Oben arn Halsausfchnitt,
i und im lose gehaltenen Blondhaar ein
i duftender Veilchentuff. So ging sie
I zur Soirfse bei Koinmerzienrath Weid
ner in der Lennästraßh in dessen Hause
l sie Musikstunden gab.
I Und dort war’s, daß der Bankier
Beermann sie sah. Nur einige Worte
1 wechselte er mit ihr. Und dabei be
! rauschte er sich an dem Zauber ihrer
Ithausrischery tnospendem Mschuldigen
; Schönheit.
l Am anderen Tage hielt ein eleganter
Landauer in der stillen Straße, wo
Frau Winter mit ihren beiden Töchtern
in bescheidener Zurückgezogenheit lebte.
« Der Bankier Ernst Beermann standals
. Werber vor Else.
Und ne sagte ,,Ja". Masch, ohne Zau
dern, ohne lange Ueberlegung. Ohne
Gedanken an ein paar braune, lustige,
ute Augen« die bis jetzt ihr Himmel,
hre Zukunft gewesen waren. Jetzt Iarn
ja das Glück!
Sie seufzt. Wie ganz anders hat sich
ihre Ehe gestaltet, als sie sich dieselbe
ausgemalt! Sie liebt ihren Gatten
nicht, hat ihn nie geliebt. Und deshalb
leidet sie so sehr unter den Eigenheiten
des schon alternden Mannes. Sie hat
sogar schon an Scheidung gedacht. Aber
was soll dann aus ihr werden?
Der große Luxus, die sie unr
gebende Pracht sind ihr schon gleich
giltig aus tiefster Seele· Aber man
gewöhnt sich daran und giebt nichts
gern her von dem, was man einmal
sein eigen genannt.
Der Wagen hält. Sie steigt aus,
nimmt den Kranz und befiehlt deni
Kutscher zu warten. Dann geht sie
langsam denJJauptweg entlang. Nach
ein paar Reihen rechts hinein.
Ah, da ist es ja. Ach ja, es sieht doch
schön aus, das Monument. Wie hebt
sich das schwarze Marmortreuz mit der
goldenen Inschrift so wirtungsvoll von
den wehenden Herbsischleiern ringsum
ab, wie bunt und frisch breitet sich der
Blumenteppich zu seinen Füßen !
Kaum findet sich ein geeignetes Plätz
chen fiikihren Kranz.
,,Else !«
Sie schaut sich um. Hinter ihr steht
Schwester Anna und neben ihr ein jun
. ger Mann mit ein paar braunen. lusti- «
gen, guten Augen.
. Franz Wallner, der Freund aus der
Kinderzeii. Er hat den Arm um An
nas Schultern gelegt. »Du Else,«
sagt diese, und helles Noth steigt ihr in
die blassen Wangen, »wir haben uns
verlobt, wir Beide !« Und sie drückt
die Hand des Gefährten.
»Was-In. Jetzt ?«
»Vorhin. Hier, an Mamas Grab.
Wgr trafen zufällig hier zusammen
un —«
,,»zwer Immer, das ist doch yier nicht
der geeignete Ort dazu.«
»Doch, gerade. Warum nicht ?
Mir war’·g, als ständen wir vor der
guten Mutter und schlössen den Bund
vor ihren Augen, und sie legte selbst
unsere Hände ineinander.«
Franz zieht das blonde Köpfchen an
seine Brust.
»Sie war immer so einsam und so
traurig, seitdem die gute Mama gestor
ben, sonst hätte ich ja auch noch gedul
dig ein Weilchen gewartets.«
»Aber Anna, warum bist Du denn
nicht zu mir gekommen ?«
»Ach, Eise, nimm mirs nicht übel.
tätige bei Euch ist immer so viel Be
u .«
Eise zuckt die Achseln. Dann deutet
sie aus das Grab. »Gesällt es Euch ?«
»Ach ja, wunderschön. Aber, das
hättest Du nicht zu thun brauchen,
wirklich nicht. Maina wäre auch mit ·
Einsacherem zufrieden gewesen. Eine H
schlichte, grüne Epheudecke, ein kleiner z
weißer Stein —« ’
»Ach Gott, es kommt ja gar nicht da
raus an, was es kostet. Es sollte eben
schön sein.«
»Ja aber, Else, wenn Du das so
kannst, warum hast Du denn der Ma
ma so gar nichts geboten,.ais —- als-sie
noch lebte ?«
»Marna.? Aber die- hatte- doch
alles ?«
,,Friiher, ja. Aber hast Du denn «
vergej en -—- Papas Wechselscbuld, die
uns damals so viel Sorge machte? z
Du hattest Dich gerade verlobt l«
»Ach ——— um Gotteswillen, Anna, ich j
habe daran wirklich nicht msbr aedacht2 !
Und die mußte bezahlt werden ?«
»Freilich -— von Mamas Pension l'·
Eine helle Glut-; röthei Ecjens Ge- J
sicht. »Warum habt Jhr mir davon
nie etwas gesagt. ’«
»Na, Du hast’ s doch gewußt-; und
i
betteln wollte ich cruch nicht. Wer »
weiß, wie es Dein Mann aufgefaßt ljät- 7
te. Mama hatte« ja auch alles, was sie E
brauchte. Jch sorgte ja so gern siir fiel«
Else senkt den Kopf. Ihr fällt der
Spruch ein, den sie einst itn der Schule
gelernt :
»Warum räucherst Du Deinem Todten? «
Hätt st Du s ihm doch ine Leben gebo- ;
Ja, wer Eure Verehrung nicht kennte:
Euch, nicht ihm baut Jhr Monumente!«
Eine Pause entsteht.
»Und Jhr ? Wann wollt Jhr denn
heirathen ?«
»Na, so Gott will, im nächsten Som
mer. Bis dahin haben wir uns beide
was ges part, und dann machen wir eine
kleine Privatschule auf Anna macht
inzwischen das Vorsteherinnen- Exa
men und ich schreibe mein neues Werk
fertig. Wir werden uns schon einrich
ten, wir haben uns ja so lieb. Nicht
Annchen ?«
»Wir haben uns ja so lieb! Oh Mut
ter, welches Deiner Kinder ist das
glückliche ?«
Es fängt an zu dunkeln. Else zieht
erschreckt die kleine schwarze Stahluhr.
»Ich muß fort ! Um sechs ist Diner;
mein Mann hat ein paar Freunde bei
sich !«
»Heute ?«
»Ach, der läßt sich nicht dreinreden.
Es ist auch nur ganz einfach. Fahrt
Jhr mit herein ?«
f »Nein, danke. Wir bleiben noch ein
l bischen«
Still geht Else dem Ausgange zu.
Franz und Anna treten nochmals
vor das Grab der Mutter. Fest schlie
ßen sie die Hände in einander zum ge
meinsamen Abschiedsgebet.
Letztes Gliiktigleuüliesu
Novelle von Elsbeth Meyer-·
Foersier.
Jch bin zum Grunewald hinausge
sahren und da pas sirte mir etwas Selt
sames: Jn das Coup6, das voll von
allererstem Frühlingsgeruch, stieg ur
plö lich der Herbst ein.
as war so :
Die Thür ging aus —- Station
Schwarzendorf war’s — und ein Herr
und eine Dame erschienen auf dem
Trittbrett. Erregt und jugendlich
stieg sie ein, aber sie war nicht mehr zu
jugendlich. Um die Augen war es
welk, Sprünge und Risse wie bei altem
Marmor; die zierlich gebranntenStirns
locken unter dem sehr chiken, tapriziösen
Wagnerbarett aus veilchenblauem
Sammet verdeckten nicht ganz die
Linien in der Stirn. Nur ihre Ge
« stalt war noch sein und schlank, und
etwas Lichtes lag in ihrem Wesen.
Der Herr folgte ihr langsamer.
,,Herrgott!« rief die Dame aus, noch
mit einem Fuß aus dem Trittbrett, mit
dem anderen im Couch »was liegt
denn da auf dem Läufert Das ist ja
ein gan er Groschen! Den soll ein Ar
mer ha en.«
Sie bückte sich und hob ihn auf. Der
Herr war inzwischen gleichfalls einge
stiegen, hatte die Couchthiir hinter sich
zugezogen und beaugenscheinigte gut
müthig nun gleichfalls ihren Fund.
»Wahrhaftig,« sagte er, »Du findest
aber auch immer etwas. Man braucht .
mit Dir nur drei Schritt weit zu
geh’n, gleich machst Du einen Fund.« i
,,So?« sagte sie munter und sah ihn »
an. »Nun, was habe ich denn da schon
alles an Deiner Seite aesunden CI
Sags J«
Er blickte kurz, aber mit einem un
beschreiblichen Ausdruck in ihr Gesicht.
»An meiner Seite? — Doch Dein
Herz.« ——————————
Diese Worte machten mich aufmerk
sam. Sie waren leichthin gesprochen,
—- gleichfam, als wären sie bestimmt,
zum offenen Coupesfenster hinauszu
fliegen. Sie klangen, oder sollten klin
gen, wie eine Art Reisegefpräch. Man
hörte die Mühe heraus, sie oberflächlich
und gesellschaftlich glatt zu machen.
Darum trafen sie mich doppelt.
Beide, Herr wie Dame, schauten nach
dem kurzen Gepliinkel prüfend zu mir
hin. »Sie ist uns ftoclfremd,« sagte ihr
rascher, tastender Blick. — »Fremd wie
die Telegraphendrähte vor den Fen
ftern.«
»Du bist so gut!« sagte die Dante,
indem sie flüchtig seine Hand ergriff.
Er litt nicht, daß sie sie behielt. Ein
wenig hastig, mit einer zärtlichen, nor
vöfen Bewegung hob er er dieselbe em
por, als müsse er nothwendig nach sei
nem Schlapphut greifen und den in-.
Wagennetz unterbringen. Dabei fchuui
te er wieder prüfend nach mir hinüber.
Sie saßen nunmehr still; und ich
blickte von der Seite nach ihnen hin.
Der Herr war leicht ergraut, wohl
hoch in den Fünfzigern. Er hatte ein
gutes, rothes, etwas verschwoininenes
Gesicht, seit einer prächtig modellietes
Adlernase. Er schien Jngenieur ode
Axchitett, oder auch Kaufmann des
oberen Kreise neit einem schsi as
künftierischen Anflug in Miene isid
Kleidung, Seme nnphlgeyflecP ern
Hände, mit dem mittelgroßen Brillanq
ten. am Goidfinger der Linken, waren
die: Hände eines Bourgeoisz der große.
seidenweiche Schlapphut die Atti-ra
tesse und der gute Schnitt feiner Wä-.
fche gaben ihm aber etwas Freie-,
Frisches.
Für den« Augenblick schwiegen sie
alle beide. Man hörte nichts im Kon
pese als das Surren der Eisenbahn
räder,, den monotonen, steigendem
schnu«rrenden Lärm. Von der Fichten
schonung zu Seiten des Bahndammes
kam durch die offenen Fenster Ozons
gern-ch, mischte sich in« die Aus
dünstung der Wagenpolster. Man sah
das weite, noch märzlich brache Ber
liner Vorftadtland in unendlicher
Ausdehnung vor sich liegen; diese
Aeckerchen und Aecker, noch ungepfliigt,
und dazwischen Staletlauben und
Miethstasernen, in’g freie Feld ge
pflanzt, mit riesigen Reklamebildern
beklebt, wie kolossale, hochaufgerichtete
Schautästen. Eine trostlose Gegend,
wie übernächtig -—— stumpfsinnig und
seelenlos, —- aber von einem dünnen
Frühlingsduft überzitteri, einem zar
ten bläulichen Hauch, der tief zu Her-.
zen ging.
Das Paar blickte starr in die Land
schaft hinaus. Plötzlich sagte der
Herr, mit leiser, vorsichtiger Stimme:
»Warst Du auch vorsichtig genugtt
wird er nichts merken?« Und die
Dame entgegnete ebenso leise und rasch,
und gleichsam ausdruckslos:
»Ich bin auf einen Tag zve meiner
Schwester gereist. —- Wie sann et
merken?«
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Wieoer schwiegen sie uno sahen sau
mir hin. Aber ich blickte- angestrengt
zum Fenster hinaus.
Nun wußte ich Alles-.
Spätsommerglutb. Der Herbst war
da mit seinen rothen Blättern, seinen
gedrängten, früh umdämmerten Aben
den. Jch fühlte ihn im Coupee, ich las
ihn nun ab von den beiden Gesichtern,
ich hörte ihn wehen durch jedes Wort,
das sie nun do chsprachen. Vielleicht
Jugendgeliebtei Vielleicht Spötgesum
dene! Sie haben nichts mit einandr zu
schaffen, er hat sein Weil-, sie ihren
Mann, — und sie thun sich zusammen
zu einer stillen, seligen - Jchzk Nur
UUM Tag lang — dann ist es vorbei,
— Und jedes kehrt wieder heim.
Ein einziger Tag und ihre Herbst
gesichter, vom Leben müde, angeweltt
von der großen Resignation, verloren
die Falten und Linien. Jch sah nicht
mehr den rüstigen, freundlichen Fünf
ziger, nicht mehr das dankbare, ver
blühte Weib; ich sah sie jung, unter den
Küssen, deren armseligen Widerhauch
, sie an diesem einzigen Tage kosten wür
den, erschauern und erstarken Ich·
hörte ihre Frühlings-Liebesworte, —
und das scheus, vorsichtige und ängst
liche Geplänkel von vorhin verlor sei
nen Sinn. —————— «—·— —
Sie stiegen aus. »Geh voran«, sagte
der Herr. Und wie lange vorher ver
abredet. verließen sie einander während
des Ganges über den menschenbelebten
Perron, —- der eine rasch, der andere
langsam zuschreitend, als hätten sie
nichts in der Welt mit einander zu
»thun.
’ Nur leise, mit furchtsanier Wen
dung schaute sie einmal erlünstelt
gleichgiltig zurück; und er nickte un
merklich mit dem Kopf, ,,sei ruhig, i
bin da,« —— mit derselben, äußerliä
gleichgiltigen Miene wie sie. Aber im
Gedränge, am Billetschalter, wo Her
ren ihr unter den Hut zu sehen suchten,
hielt er sich dicht hinter ihr, und wie
unwillkürlich streifte er mit seinerHand
beschützend die ihre
So gingen sie die Treppe zum Fern
ortverkehr hinab. Die Dame immer
ein großes Stück voraus. Aus ihrem
Wagnerbarett die silberne Agraffe
schillerte, ihre Röcke rauschten und ra
schelten frou-srou. Und auch aus die
sem Rascheln und Rauschen tönte das
Wort: Herbst! Rothe, wirbelnde Blät
ter!
mir m oem ounrem Lunneh oer m
den Fernbahnhof führt, vereinten sie
sich wieder. Etwas athemlos, wie nach
überstandenen Gefahren.
Und ihre Angst und Noth erbarmte
mich.
Welch’ eine Welt, die toellende Men
schen stehlen heißt! «
Die sie mit ihrem Rest Lebensseuer
in die Verborgenheit treibt, gleich Ver
brechern!
Zwei Menschen so voll Güte zu ein
ander, daß das Geringste, was sie spre
chen miteinander, ein Wort der ewigen
Treue wird!
Und ich mußte ihnen nachgehen und
sehen, wie sie langsam die Treppe zum
Billetschalter hinaufschritten.
Ein Herr im sogenannten ,,besten
Alter« —- das er nie gehabt hat.
Und eine jugendlich geschnittene bit
terarme Frau.
Jedes sür sich ——— —- —- —— —- —
— syco
Natnral -Leistung.
Zahnarzt: »Und so bitte icb denn um
die Hand Jhrer Tochter Eninia.«
Vater der Braut: »Ju, eine große
Mitgift kann ich meiner Tochter nicht
geben, jedoch bringt sie Jhnen eine sehr
große Verwandtschaft mit schlechten
Zähnen in Jhre Praxis!«