Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 12, 1900, Sonntags-Blatt, Image 14

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    Wwwwsæwswwwnw «
Jn’s Bodcnlofcs
Erzählung von Y. von KAPE
Essenthen
WWMW v
Erstez Kapitel.
Das zierliche Segelboot kämpfte ge
gen den heftigen Wind, der es immer
und immer wieder aus dem Kurz
brachte. Es trieb mit Macht gegen
i flache Ufer, wo zwischen schlanten
ln der Vorsthof lag.
Man sah in dem ahrzeug einen
jungen Mann mit äu erster Anstren
gung beschäftigt, das Steuer zu füh
ren, das Segel zu wenden. Sein
daar flatterte, er hatte den Hut abge
legt. Offenbar hatte er sich in den
Kopf gesetzt, nicht an dem Horfthofe zu
tandem und doch winkte man ihm
gastfreundlich von dort. Da stand der
Sohn des hauses, Ernst Hsrstmanm
beobachtete mit Spannung das Ma
növriren des Bootes und fchtoekte ein
ladend den Hut. Nun gab der kühne
Segler das Spiel auf. Nicht ohne
Mühe landete er an den Pappeln.
»Warum wollen Sie denn durchaus
nicht hier anlegen, Herr von Zochen?«
fragte Ernst Horstmann, seinen Nach
bar: er war zugleich eine Art von
vis-a-vis, denn seine Besitzung lag an
der anderen Seite der weiten, seearti
gen Buch-t.
Ernst Horstmann war bedeutend
iiinger als Herr von Zochen, der grö
ßer, kräftiger, breiter in den Schul
tern. gemessener und männlicher in der
Haltung. Herr von Zochen schien eher
klein« sehr beweglich, sehr elegant, mit
schönen, dunklen Augen und gelocktem
Haar. Er sprach sehr lebhaft, mit an
genehmer, weicher Baritonftimme.
. Die beiden jungen Männer hatten
sich die Hände gereicht, doch ohne son
derliche Herzlichleid
Herr von Zochen war ganz ersuut
oon seinem Sport. Er erklärte mit
großer Lebendigkeit, warum er wegen
des Verdammten Ostwindes nicht an
feiner Villa landen konnte, und es
hatte den Anschein, als zürne er dem
Boote wie einem lebenden Wesen, daß
es ihm nicht gehorcht hatte.
Ernst Horstmann hörte nicht ohne
' Antheil zu.
»Wie glücklich Sie sind, Herr von
Zochen,« ries er jetzt, »Sie haben wei
ter keine Sorge als Jhr Boot! Sehen
Sie, ich muß mich um meinen Kohl
kümmern, den fressen die Raupen an
— aliicklich, glücklich sind Sie!«
Nicht ohne Neid, nicht ohne Sehn
sucht glitt sein Blick über das zierliche,
hübsche Fahrzeug hin. ,
»Ist ja gar nicht Ihr Ernst, Herr
Horstmann,« lachte Zochen bitter;
»Sie wissen ganz genau, wie ich drin
stecke!«
«Gleichviel,« versetzte der andere be
wegt. »Sie stehen dem Leben doch
nur genießend gegenüber! Jch hin im
mer mit Pflichten belastet, die sich end
los wiederholen. J bin ein Philister
—- Sie leben nach hrer Phantasie!"
Er wies mit der Hand nach den
Mauerzacken und dem Thürmchen ei
nes gothischen Villenbaus, der drüben
ans dem düstern Grün der Kiefern
herausragtr.
»Sie sind kein Philister, wenn Sie
sich selbst als solcher bezeichnen," mein
te Zeichen »und ich werde von den Ge
bilden meiner Phantasie ziemlich rauh
hinweggerissern
Meine Gläubiger lassen mir keine
Ruhe. Ich reise morgen, will sehen,
mich in Wien einzurichten, tam über
haupt nur, um den Pachtvertrag hier
zu erneuern. Meine »Lady« nehme
ich mit —- meinen Hühnerhund, Sie
wissen —- rnein armes, schönes Boot
freilich. das wird hier verfaulen.«
Er betrachtete fast ärtlich das
Schifschen, schien vergessen zu haben,
dask es ihn vorhin geärgert hatte. Nun
tiefer Jebhasp
- s- -
»Lv1"eu Die illa-, sJoqimunly lau
fen Sie mir das Ding ab! Sie seh
nen sich nach so was —- da wäre mein
Boot in guten Händen.«
Ernst lächelte wie zustimmend,
meinte aber doch:
»Sie vergessen, daß ich ja noch von
meinen Eltern abhängi bin, nichije
den Augenblick eine Po beträchtliche
Luxusausgabe machen lannl«
»Mein Gott, zahlen Sie, was Sie
wollen!« rief Sachen, nun wieder die
sem neuen Einfall ganz hingegeben.
»Ich will ja kein Geschäft macheni«
«Warum wollen« Sie das Boot nun
so leicht weggehen? Denn Sie werden
doch wieder kommen?«
»Ich brauche Geld, lieber Freund —
isi das so schwer zu erraihens Trotz
dem würde ich das Boot nur jemand
geben, der sich daran zu freuen ver
steht Sie sind jung, kräftig und —
mir sympathisch!«
Es lag etwas Ueberleaenes in sei
nem Tone, obgleich er das Geld des
andern brauchte
Jn wenigen Minuten waren sie ei
nig· denn Ernst war Sachlenner ge
nug. um zu sehen, daß er sehr voriheih
haft kaufte. -
Mtzn kommen Sie hetein,« lud ihr
stechen ern.
Sie beschritten den etwas vernach
lässigten Landnngzste und das ele
aante Fahrzeug. Zo n begann mit
großem Eifer zu erklären, wie das
» Boot zu behandelne Ein
; »Hier ist es nur nderspiel, selbst
z bei scharfen Böer aber dort drüben,
wenn man in die große habel kommt
da ist eine böse Ecke — da kriegt man
immer Konttewind und tippt sehr
leicht — ehe man sich s versieht. Zu
, dem ist das Wasser dort tief, sehr tief,
bis ans Ufer —- da kommt man gleich
! ins Bodenlose — ich haW erfahren.
JDort kenterte ich einmal und mein
; Diener, der Christian, siel ins Wasser
nnd war am Ertrinlen Jch habe ihn
; selbst herausgezogen Aber es war ein
; Wunder, daß wir nicht hin — ins
« Bodenlose!« Er lachte. Dabei Zis
« nete er einen iiefgelegten, außen von
« dem Kielwasser umspiilten Kasten und
untersuchte den Inhalt »Da richtig
—- da liegt noch eine Flasche —- Ril
desbeimer ist s — mein Christian ver
gißt so etwas nicht. Doch gut, daß ich
ihm das Leben gerettet habe —- was?
Und nun trinken wir eins, Herr Vorst
mann! Es sind freilich nur Jllumi
gumbecher da, aber wir sind eben zur
ee .
Ernst ließ sich willig hinreißen von
der heiteren Liebenswürdigteit Zo
chens. Der Wein war köstlich; das
Boot schauielte leise aus der leicht ge
kräuselten Wassersläche und das halb
geresfte Segel flatterte wie ein gefan
--n-- ---
kw »»,, .
Ernst fühlte etwas wie eine neue,
unbekannte Lebensfreude, eine heiße
Sehnsucht nach Lebensgeniissen, nach
Glück, nach Liebe. Der schwere, ihm
una:tvobnte Wein, den er hastig trank,
mochte schuld daran sein.
Und als hätte Zochen in seiner-Seele
gelesen, wars er jesh still vor sich nie
derbückend hin:
»Ich habe manche schöne Stunde
verleht in diesem Boot, ich sage es
Ihnen im Vertrauen. Es hat ein
schönes-« ein wunderschönes Mädchen
getragen. . . . Folgen Sie meinem
Beispiel -— leben Sie —- liehen Sie!
Ich glaube, Sie haben es nöthigt«
»Da mögen Sie recht haben, Herr
von Zochen,« seufzte Ernst. Und nun
erinnerte er sich mit einem kleinen
Schrecken, daß seine Mutter ihn zum
Abendessen erwartete. Er war ein sehr
» auter Sohn und verabschiedete sich
rasch. »Mein-It wird ohnehin entsetzt
sein über meinenZegelsport,« entschul
digte er sich lächelnd.
» »Natürlich, das-:- Wasser hat keine
; Ballen,« scherzte Zochen. »Aber Sie
j schwimmen ja vorzüglich, wie ich giaui
; be —- und die Sirenen, die Nixen, so
; wie die richtigen hexem die schwimmen
l auchj alle!«
F i se i
. Er muß heirathen! Der Junge muß
: mir eine Frau ins Haus bringen«
Seufzend und stöhnend setzte sich die
f alte Frau nieder.
I Ja, die Wirthschasi wurde ihr zu viel.
Da mußte eine junge Frau ins Hauz.
Frau horstrnann war sünsundsechs
zig« hatte im vorigen Winter eine
schwere Jschias durchgemacht Ihr
Mann hatte längst «Reißen« —- sie
mußte ihn hegen und pflegen. Und
wenn solche heiße Zeit kam, wie jetzt,
das Einmachen der Früchte, der Gur
ken· und des Sauerto B —- die Fut
ternotb und damit S wierigteiten im
Kuh- und Gesliigelstalle —- daneben
auch noch eine neue Kuhmagd — da
brach die alte Dame zusammen. Es
wurde ihr schwer, zuzugestehen, daß sie
nicht weiter konnte. Denn zeitlebens
war sie sehr thätig gewesen« immer auf
dein Posten. FahrauT jahrein, an
eisiaen, stockfin eren Dezembermorgen,
wie an dustig frischen Maitagen um
fünf Uhr ausgestanden und in den
Kuhstall. Ja, es litt sie nicht im
Bette. Erst im vorigen Winter-, wäh
rend der Jschias, hatte die Dore ange
-:—f
—-,
fangen, die trante rau zu vertreten.
Aber so tüchtige Madchen behält man
nicht. Der Förfter hatte ihr die Date
weggeheirathet. Und nun stand Frau
Horstmann wieder um fünf Uhr auf,
um im Kuhsiall nach dem Rechten zu
sehen. Tagküber war sie müde und
schläfrig. Erst heute beim Hebeln des
Kohls hatte es sie übertommen —- sie
war eingenickt. Und ihre Beine zitter
ten, als sie noch in die Käsekamkner
wollte. Sie kam nicht über die Kel
lertreppe, mußte sich von der neuen
hübschen, aber unzuverliissigen Magd
in die Wohnstube führen lassen. Unr
da faßte sie all ihren Kummer in dic
Worte zusammen:
»Der Junge muß heirathen!«
Sie war heute sehr melancholisch
Jhr Mann saß am Fenster, las di·
.,Vossische« und tauchte. Er hatte sui
längst zur Ruhe gefest. Der «Junge«
machte jetzt alles, machte es großartig
Dazu hatte man ihn auch nach Hohen
heim geschickt. Der alte Horstmam
war eine leichtkebige, gefügige Nxtur
Er hatte sein Gut durch unausgesetzti
Arbeit emporgebracht. Erst als Bier
siger war er dazu gekommen, steh zu
verheirathen, da seiner strengen, aber
tüchtigen Mutter teine recht gewesen.
So hatte er nach ihrem Tode seine Ju
gendliebe geheirathet, ein blutarmes,
sleißiges Mädchen, das damals stei
lich schon über dreißig Jahre alt war.
Dafür hatte sie sich dann aber auch
ebenso gerackert, wie seine Mutter.
Sie lebten in glücklicher Ehe, in
vollkommener Eintracht, ihre Hofs
nung setzten sie aus den einzigen Sohn
Ernst, den sie sorgfältig und mit Liebe
erzogen hatten. Er war auch fleißig
und solid —- dagegen ließ sich gar
nichts sagen —- nur heirathen mußte
der Junge jetzt.
Darüber sprachen nun die beiden
Alten« Frau Horstmann nahm zur
Stärkung einen selbst .angeseßten«
Nußlilör. Er trant zur Gesellschaft
auch ein Gläschen.
Sie warteten aus Ernst, der heute
länger blieb als sonst. Er war in den
oberen Forst gegangen, den er nach
ganz neuen Grundiaßen bewirthschaf
tete· wollte auch nach der Fischzucht
sehen. Und Papa ließ ihn schalten,
sogar gerne! Mochte er doch. Das
war die neue Generation.
Sie betirthen jeßt miteinander-. Ja,
woher nimmt man nur gleich eine
Frau sür den Junarnl Ernst war
hübsch, interessant, hatte etwas ge
lernt, war alleiniger Erbe eines zwar
nicht großartigen abxr schuldenfreien
und trefflich bewirthschasteten Anwe
srns. Man sollte meinen, er hätte ei
gentlich freie Wahl. Aber der Junge
war etwas »Vesonderes«. Schon ver
schiedene, nette, gut situirte Müller-,
Brauer-, ja, Rittergutsbesißertächter
batte erzuriickgewiesem Und die zärt
liche Mutter sagte sich: er will etwas
Besonderes! Darin hatte er ja recht
—- wie immer! Er war ja selbst so
viel mehr als viele andere.
»Mariechen« —- die war das Beson
dere. Hiibsch, gebildet, sein. Und zum
so und so vielten Male waren die Al
ten darüber einig: Jhr Junge wurde,
müsse Mariechen heirathen.
Da trat Ernst ein. Er sah nicht
wie der Sohn, sondern wie der Enkel
dies-Z alt-n Nympr mtä Qtvti Ge
nerationen schienen hier übersprungen
Er war modern gekleidet, wenn auch
ganz einfach. Aber Hut, Stiefel, Klei
derschnitt, Cigarrenspitze zeigten, daß
er mit der großen Welt in Berührung
war. Dabei erschien er »ernst« wie
sein Name. Nur ganz Gentleman.
Dieser moderne, vornehm sich hal
tende, junge Mann sah seltsam genug
aus in der altsriintischen Stube mit
der niederen Decke und den oorzeitli
chen Möbeln.
Er begrüßte die Eltern herzlich,
aber zerstreut. Den Respekt weigerte
er ihnen nicht, gewiß nicht, nur war
seine Seele so anders. Er warf sich
in den Großvaterstuhl am Fenster, den
sein Vater eben verlassen.
»Ich habe mich etwas verspätet,«
sagte er, »ier mit Herrn von Zochen
zusammen —- hab ihm sein Segeiboot
adaeiaust."
Die erschreckten Eltern fanden nicht
gleich eine Antwort. Sie mußten ihre
Eintoände erst sammeln. Einwande
hatten sie immer-, wenn auch nur zärt
liche. Und Mama begann: .
»Aber Kind, Junge — du weißt,
das-, ich mich ängstige wegen des Was
serlsahrens . . . und nun gar mit Se
ae n. . . .« -
»Liebe Mutter, ich habe dir diesen
Jrrthum schon so ost widerlegt. Das
Segeln ist nicht gefährlicher als irgend
etwas anderes, als Rudern und
Schwimmen und Reiten. Verstehen
muß man’s eben! Jch bin auch vor
sichtig, bin mir der Verantwortung
euch gegenüber durchaus bewußtl«
Inzwischen tte sich derVater seine
Feinung gebil et; und er fuhr zornig
os
»Warum kaufst du dem Lump, dem
Rachen, etwas ab? Der weiß sich wie
der einmal nicht zu helfen und da
hängt er dir das alte Segelboot auf.«
»Vater,« versetzte Ernst gelassen,
»ich lasse mich nicht übervortheilen, bin
auch vollkommen orientirt, habe in
Stettin einen förmlichen Segelkurs
genommen Auch in Berlin hatte ich
wiederholt Gelegenheit, mich zu erpro
ben — weißt du, Vater, draußen aus
der «lrummen Laute« —- —-— da pfeift
ez manchmal anz gehörig. Du kannst
mir glauben, Pch bin ein ganz tüchtigee
Sealer. kenne die Boote und ihre
Preise und habe mir längst gewünscht,
nicht immer auf die Bahn warten oder
anspannen zu müssen, wenn ich einmal
binaus will. . . So ein Segelboot·
Vater· das braucht nichts weiter alt
Wind,« scherzte er.
»Ja, Wind,« knurrte der Alte; abei
er wie seine Frau war schon halb bei
. fis-es
------
»Mir Zochens Boot hätte es dort
nicht gerade sein müssen,« meinte de1
Alte. »Du solltest doch wissen, wi
der Zochen ost mit zweideutiget Da
menaesellsthast hier herumgesegäjlt ist
der ganzen Nachbarschaft zum erger
Und just dies Boot tausst du, dies be
rüchtigte Boot!«
Jetzt vibtirte schon einige Ungedult
in Etnstö Stimme:
«Abet Papa, das sind vielleicht nu·
Klatschetecen. Und wenn nicht, so sinl
leichtsertige Grundsätze ja teine Bazil
len, die an todten Gegenständen has
ten, Und wenn selbst das, so bin id
dieser Anstecknng nicht zugänglich —
ganz nnd gar nicht! — Bitte, Mutte
—- qiebt es nicht bald Abendbrot?«'
»Ja, mein lieber Junge! Jch dent
doch. die Mithe —- ach Gott, wenn man
nicht selber hinter allem her istl Aber
ich tann nicht mehr wie früher, und
schon vom Stehen, ja, vom Sisen wer
den mir die Beine steif. Wenn ich im
Gange bin, spüre ich’s weniger.«.«
Sie erhob sich und sah nach dem
Tische, der itn Nebenzimmer gedeckt
wurde. Es gab ein einfaches Essen.
Statt geräucherte, fette, schwere Wurst
eigener Erzeugung; diinnez Bier aus
dem Brauhause des nahen Werder,
schweren. fetten, eigen gemachten Käse »
und schließlich den beruhmten, landes
üblichen «Kiimmel". Die alten Leute.
vertragen dies kaum verdauliche, seit
je her gewohnte Essen. «
Und während man zu Tisch ging,
brummte der Alte weiter:
»Mit dem Zochen solltest du lieber
gar nicht umgehe-M
.Das ist unmöglich, Vater, bei der
Nachbarschaft Uebrigens ist Herr von
Zochen nur da, um mit seinem Pächter
von neuem abzuschließen. Jch glaube,
er reist noch morgen fort.'·
»Um wieder wo anders sein Geld
anzubringen, nichts zu thun,« schmälte
der Vater.
Ernst zuate die Achseln. Die Mut
ter aber ärgerte sich eben, daß man
Kochbutter aus den Tisch brachte, weil
die Tafelbutter ausgegangen wäre;
und sie begann heftig zu schelten. Wie
der endete sie mit dem Stoßseufzer:
»Du mußt heirathen, Ernst, es geht
so nicht weiter!«
«Vorliiufig ist alles noch ganz gut
so, wie du es machst, Mutter,« ant
wortete Ernst geduldig.
So wurde ja täglich über seinSchick
sal gesprochen —- als reine Wirth
schastsfrage — wegen der Butter, we
gen Käse und Schmalz. Aber die Mut
ter war heute hartnäckiger als sonst.
»Du mußt Maricchen heirathen!
Siehst du, die ist hübsch, sein, gebildet!
Und für die Wirthschaft werde ich mir
sie schon heranziehen. Das ist ein gu
tes Kind und hat auch zu Hause schon
etwas durcheemacht.«
»Du meinst Mary Wirth, Mama?«
»Ja, ja —- ich lann mir das nur
nicht recht merken, das »Marie«.«
»Jbut nichts, Mutter-, ich verstehe
dich schon Aber das ist ein Stadt
lind —- die wird nicht wollen«
Und Ernst glaubte datnit das Ge
spräch abgeschlossen zu haben. Son
derbar. die Mutter war heute daraus
bersessen nnd sie breitete sich darüber
auf-. er rniisse Marie heirathen. Das
stimmte alles· Daran glaubte er doch
selbst nicht, daszJie sich ernstlich wei
aern würde, aufs Land zu aehent Die
zuletzt. Auch hätte sie etwas Vermö
aen. Und dann die lange Geschäfts
verbinduna der Väter!
rr Wirth, ein Maurermeister und
Bauunternebmen bezog seit Jahren
seinen Kalt aus den Horstrnann’schen
Brüchern oberhalb des Waldes. Er
war schon mit seäner Tochter hierher
zu Besuch gekommen, als Ernst tamn
sechzehn Jahre alt war. Und später,
während Ernst in Berlin die Real
schule besuchte, ging er ein und aus im
Wirtb’schen Hause, hatte auch mit
Marn zusammen die Tanzstunde be
sucht. Und damals war er ihr Tän
zer nnd Cournracher. Dazwischen aber
laa die Studienzeit in Hobenheim und
Eberswaldr. Und heute war es nnr
noch eine Vernunft- nnd Interessen
beiratd, die man dem jungen Manne
so angelegentlich .unterbreitete. Man
tbat es freilich nicht zum ersten Male·
»Ich werde mir’s überlegen.«
Das hatte er schon ost esagt, urn
die Alten los zu werden. Find sie wie
derholten sichs erfreut:
»Er übernng und einmal wird’s!«
Sonntag mußte Ernst nach Berlin
weaen der neuen Kaltlieserunep Viel
leicht larn die Sache gar zum Klappen.
Mit zuckender Lippe sagte Ernst zu,
während er sich eine Ci arre einsteckte,
eine feine Hat-aner. Die en Luxus ver
aönnte er sich regelmäßi nach Tische.
Die Eltern hatten freilich teine
Ahnung von dem Preise seiner »Da-ach
sonst wären die Vorwürfe trat aller
Zärtlichleit nicht ausgeblieben. Denn
was die braven alten Leute ungeachtet
« ihrer guten Lebensstellung nicht be
griffen, war das Anrecht aus Lebens
genuss. Der einzige Genuß, den sie
tannten, war zu sparen, noch ein siche
res Papier zuL tausen. Aber eine
O——-ss---t
chulc UIHUIIK DUTI bat clll Ocskbssss,
das war sür sie etwas Unsaßbares.
Die Eltern Hatten sich zu Bett bege
ben und Ernst ging noch mit dem Rest
seiner duftigen Cigarte hinaus in die
nahe Kiefernschonung, die das aus
von dem havelarme trennte. « ach
dentlich schritt er über den moosigen
Grund.
Ja, warum sträubte er sich eigent
lich. Mary Wirth zu heirathen? Wa
rum hielt er die Sache immer hin?
Doch nicht etwa in der Hoffnung, daß
ihm ein anderer zuvorkotnmen möchte?
Mary war wirlli ein hübsches, ge
bildetes, angenehme Mädchen, das
sich wahrscheinlich ganz gut in die
landwitthfchaftlichen Haus siichten, II
die Schrullen der alten eute sügen
und ihm dabei eine passende Frau ab
geben würde. Außerdem war er sast
sicher, das-, er ihr eitel. Er hatte ihr
schon vor fast ze n Jahren gefallen·
nnd später-, alk- sie zu erblühen anfing,
konnte sie das bei aller Züchtigteit nie
ganz verbergen. Warum also nichti
Ach. was sich in ihm sträubte, war
der Gedanke, sein Schicksal abgeschlos
sen zu sehen —- für ins-meet Solch ein
im vornherein bestimmtes Schicksal
wie das feine! Von tlein auf wußt
W
« er. daß der horsthos sein Beruf, seine
Zukunft, sein Ge chick sein würde. Die
alten Eltern, die sich nur seinetwe en
quälten. dachten natürlich nichts an e
rei. Sie fanden auch keine ausgespro
chene Neigung. kein besonderes Talent
in ihm, das widerstrebte. Er war
Landwirth geworden, beneidet von
manchem, der sich seinen Beruf erst er
tiimpsen mußte. Aber ihm barg die
Zukunft nichts Neues mehr. Der
große Vorhang hob sich nicht mehr siir
s ihn. Auch seine Verheirathung war
; seit Jahren vorausbestimmt
Und in ihm. der begünstigt war, in
» eigener Schalle zu wurzeln, in ihm
lebte eine dunkle Sehnsucht nach der
Ferne« der Durst nach etwas Neuem,
Unbekanntemt
Aber immer wieder diese drei Pap
velns denen er jetzt zuschritt, die das
haveluser bezeichneten? Ewig nur
diese drei Pappeln — immer und im
mer wieder!
Ja dem bleichen Glanz der Mond
sichel schaukelte sich hier das Boot. Und
erst jetzt sah Ernst nach dem Namen,
der vorn unter dem Bua in leuchtend
weißer Farbe stand: »Marie« —- das
war wohl der Name jenes schönen
Mädchens-?
Und der Gedanke schoß ihm durch
den Kopf, daß Herr von Zochen wohl
auch die ih m bestimmte Mary kennen
mochte. Denn die Wirthz waren sehr
häufig hier gewesen« auch während sei
ner. Ernsts, Studienzeii. Damals
z verlebte Herr von Zochen noch jeden
; Sommer auf seinem Gute. Und wenn
s Ernst nicht sehr irrte. so hatte Herr
s Wirth sür den Baron die barorke Van
J dort drüben gebaut. . . Aber wie
. närrisch! Mary war nicht weniger
als eine verführerische Schönheit und
sicher war sie niemals mit Herrn von
Zochen hinausgesegelt. Es gab ja auch
unzählige Frauen und Mädchen, die
Marie hießen! Frau Wirth hatte auch
so geheißen, ebenso eine Nichte von ihr,
die irgendwo Musik studirte. Wenn er
sich recht besann, auch ein sehr schönes
Mädchen. Unv auch in Hohenhcim
und Berlin hatte er schon diese oder
jene schöne Marie lennen gelernt. . .
Königin Marie, die Vierte,
dick-sites Tannen-«
fing eine feine-le qStrophe von Heine
an. Herr von Zochen mochte wohl ein
ähnliches Lied anstimmen können.
ZweiteZKapiteL
»Es muss ein Ende nehmen,« sagte
sich Ernst, und er fuhr wirklich am
nächsten Sonntag zu Wirths, um »ab
zurechnen«. Bei dieser Geiegenbeit
wollte er sich mit Mary einmal inniger
aussprechen und sich ihr erklären —
oder mit ihr brechen, soweit das bei
der engen Geschäftsverbindung mit
ihrem Vater uliissig war. ,
Sie war i m immer als ein lie
benswürdige-'s und begehrenswerthes
Mädchen erschienen, aber ihre Seelen
ivaren sich nicht näher gerückt. Man
war über gewähniiches Gepiauder bei
den üblichen Besuchen ans prattischem
Anlaß nicht hinaus-gekommen Viel
leicht aber steckte in dem stillen, anmu
thiaen Wesen Marns doch etwas, das
ihn begliicten konnte, den Traum sei
ner Seele erfiillen —- denn eine echte
Seelenliebe träumte er! Andernfalls
wollte er abschließen mit diesem hei
rathsptojeit, das ihm täglich dieSuppe
dersalzte.
Mit einem der Mittagäziige langte
er in Berlin an und begab sich zu Fuße
nach dem Siidwesten, wo an den zahl
losen Viadulten der Potsdamer und
Anhaltischen Bahn Herr Wirth in ei
nem eigenen Hause wohnte. Er wohn
te immer so, denn seine häuser wa
ren seine handels egenstiindr.
Aber die Fami ieWirth war vor
drei Tagen ausgezogen, wieder nach
einein eigenen hause. Ernst wanderte
weiter, nach dem sernenWesten, wo die
neuen, halb ausgebauten Straßenziige
sich immer weiter hinausreckten, der
untergehenden Sonne nach. Das war
so eine kahle, kaum gepflastert: Straße
mit halbleeren Neubauten und einigen
spärlichen Laden — der unvermeidli
chen Destille, dem armseligen Grün
iram —- dazwischen abgezäunte Bau
dlätze und wüstes Feld. Ganz am
Ende, oder, wenn man will, am An
fang, standen drei Neubauten, von de
nen zwei noch knapp unter Dach, der
dritte eben ferti? geworden schien. Hier
wohnten jeßtW rihsz außer ihnen nur
ein Mitchhändlet, der einen der elegan
ten Läden inne hatte und im dritten
Stock des Unterhaner ein Schaffmr
der Straßenbahn. Das ist fo eine
Art Pionieriebenö, wie es die Entwick
luna der Weltstadt mit sich brachte·
here Wirth hauste in einer »Herr
schaftswohnnng«, fünf immer, mit
»allem Komfort der euzeit«, mit
Gas· und Wasserieitung und mit zwei
»aroßen Balkons, von enen der eine
auf die öde Straße, der andere auf
das wüste Feld blickte, das sich schein
bar endlos gegen den Grunewatd zu
dehnte. ·
Mai-d tam ihm entgegen, ganz
häuslich gekleidet, ein weißes Schürz
ehen um, heiter nnd freundlich. wie im
mer. Sie hatte ein hübsches, feines
Gesichtehern mit graublauenAugen uni
sei-lichtem aber reichem blonden Haar
Eine Erscheinung, die man leicht Uebr
iieht nnd die doch fesselt, wenn du
iick einmai ans ihr ruht.
»O. Sie Armer!'3 rief sie. »Sie ha
ben uns wieder einmal suchen müssen
Papa bat versäumt, Ihnen unsere ver
änderte Adresse anznaebcm Aber id
has-r ihn darein erinnert —- ich ver«
sichere Sie. . . Nun segeln Sie X .
und wenn Sie ausgeruht ben, - « ,
ich Jhnen wieder einmal unsere neue —
Wohnung zeigen.« K
Jhm wurde wohl ums heez bei 's
ihrer heiteren Natürlichteit. Jn, et
sagte sich, ihm sei immek wohi bei ith
gewesen. « . ·
Was wollte er eigentlich? Vielleicht f
war er ein Thor, daß er dies liebens- F
würdiae Mädchen verschmähte, dem ’
die Freude über fein Kommen aus den
Augen leuchtete.
here Wirth piatzie dazwischen, etn
kräftiger Fünfziger, der nichts ins -
Sinne hatte, ais seine Bauten. Er
spetuiirte leidenschaftlich, hatte imnier
schon ein neues Grundstück im Au e,
wenn aus dem alten eben die Grnn «
mauern aus dem Baden wuchsen.
Ernst hatte seine Geschäfte mit tzm
rn
.-— »
II’
-"ws- sw- » P- —’ '«"’—
rasch erledigt, Dann zeigte man t F ·
die fahlen Balions, die srisch taple «—
ten Zimmer. Welch ein Kontrast mit «
feiner stabilen Existenz war dieser ’
fortwährende Wechsel, dies Schweben
zwischen Ruin und Neichthum.
»Und es sieht auch nur wie Abwechs- l
luna aus,« sagte Mart-. »Unsere Herr
schastswohnungen smd alle glei . Da
diauszen bei Jhnen ist viel, die mehr
Abwechslung, denn da keimt, grünt,
blüht, reist und weitt es.«
Herr Wirth lächeite:
»Das ist bei mir geradeso der Fall."
Schon vorhin bei der Ahrechnung
hatte er merken lassen, daß es ihm jetzt
gut ging. Gewiss» Ernst hätte zugut
fen sollen! THE-richt, is nicht zu thun.
Was suchte er in einer unbestimmten
Zukunft, in einer Region der Ideale.
die ihm selbst nicht einmal klar?
Mary erzählte, wie sie binnen drei
. Taan alles eingerichtet habe, denn sie
war daraus geübt. Die Tante, die
das mutterlose Mädchen »beschiiyte",
reiste zu den Umziigen immer fort.
Papa aber war so sehr beschäftigt, er
sah-ab und zu nur einmal nach den
s Möbeltutschern.
Und von neuern wiederyolte Maro:
»Ach, wie glücklich sind Sie, Herr
sorstmann, dort draußen im Grünen!
Wie schön muß solch ein Leben seini«
Mary führte ein düsteres Dasein,
obgleich in Berlin und aus wohlhaben
dem Hause. Sie hatte noch drei jün
gere Geschwister-, nicht mehr jung ge
nug, um ihr nicht schon allerlei Ver
druß und Plage zu bereiten, und doch
auch nicht reif siir ihren Umgang. Der
Vater war immer unterwegs. er war
eigentlich nur Gast in seiner häuslich
teit. Blieb noch die indisferente Tan
te. Alles zusammengenommen, Last
nnd Mitbe, Veteinsamung, isolirtes
Hausen in entlegenen, noch nach Miit
tel dustenden Baulichleiten. Wie dank
bar würde sie sein file ein ruhiges
heim, siir die neuen Lebensreise, die
I ihr das Land erschloß!
Und Ernst sagte sich:
»Noch heute will ich mich erklären
; Sie ist ein liebes lljlzidchenP
Dn erklang ani- einern anstoßenden
; Zimmer eine hell-, iochlgeschulte So
! vranstimrne:
--—
»Im denr Garten. durch die Lüfte,
Odr· ich Warrderoögel ziehen. . .'·
Aus voller Luft schmetterte eine
Frauentehle Las jubelnde Frühlings
lied von Schumann
»So wohnt doch noch jemand hie:
im hause?« fragte Ernst.
»Nein, oder ja — es i t meine Cou
sine, die singt —- es ist aria."
»Wer ist Marias«
»Sie entsinnen sich nicht? Ach, rich
tia, mir fällt ein, als wir alle oor zwei
Jahren draußen auf dem Hpksthpk Es
waren. da befanden Sie sich, wenn ich
nicht irre, auf einer Ferienreise. Da
mals war Maria mit.«
Ernst besann sich jetzt, dasz man in
seinem Elternbause bisweilen von die
ser Maria gesprochen hatte —- abfällig
sogar, obne daß er wußte, warum. Er
batte nicht danach gefragt. Seine
Mutter hatte immer «Mariechen« be
aliickwiinscht, daß sie diese unpassende
Gesellschaft los geworden.
Jauchzen möcht ich. möchte weinenl
Jst- nur doch, als tollste nicht scint"
Ernst lauschte. Selbst musilalisch·
entzückte ihn dieser Gesang. Er ap
plaudirte trästia zum Schluß. hastig
wurde die Thiir ausgerissen und
lachend erschien ein großes, schlantez,
blendend schönes Mädchen
»Ach, ich dachte, der Ontel applaus
dirt aar,« rief sie; dann nahm sie ein
wenig hoch-nöthig die Vorstellung ent
Aktien.
——
H
«Achja, Harstmann,« wiederholte
sie, und ein schelmischer Blick ieas
Marn. »Aber nun Rassen liebe
Marn!« Und Maria sei-te sich mii
etwas freier Bewegungd an den Tisg
und sah zu, wie Marn en Kaiser se
viele.
»Das sieht ihr gut, nicht wahr? Jclz
finde, sie isi das gebotene Haus-Mitter
ebens·
Wie eine leise Anspielung schien es
ausdas erhossie Verlöbnis;.
Er st versäebie sich. Er lam siåd
lächee ch vor mit dieser, von der F«
milie so breitspurig geplanten Verlo
buna.
Mgn sprach jetzt von Maria. die sich
siir die Oper aufs-bildete. Sie war
zwei Jahre in Dresden acwesen, hatte
durchaus nicht in Berlin sindiren wol
len. Und ier Onkel und Vormund
sie war näm» II Irrwaisl »s- baste il)r
nachsehen müssen.
»Mit Nr ist nicht-I an-:«i·n»7-Sn.'« "
meinte Herr Wirilz lächelnd »di: Herrs;
man anglo-bin lassen.«
CForisetzung seith