Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 05, 1900, Sonntags-Blatt, Image 15

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    per verriietite Horn It.
Dumoreske von Freiherrn s
v o n S ch l ich t. I
Der Herr Major Osterberg gehörte .
äu jenen wenigen glücklichen Menschen, i
ie mit sich und ihrem Geschick vollstän
dig zufrieden sind und die da nicht um
himmel beten, daß es besser wird, Pon- i
dern die da nur mit dem ganzen ,
Schmelz ihrer Stimme singen: »Ach, z
wenn es doch immer so blie—be.« i
Der Eine singt’s im Tenor, der An
dere im Bariton —- die Stimmen sind ,
verschieden wie die Charaktere und die :
Geschmäcker —- der Eine singt’s hoch, !
der Andere singt's tief. I
Der Major sang es tief, denn er ver- s
fügt-e über einen ganz gewaltigen zwei- i
ten Baß. Die Einen sagten, der Ma- IT
ior hätte eine tiefe Stimme vom vielen l
Essen, die Anderen behaupteten: vom
vielen Trinken.
Daß der Major viel asi, konnte iein z
Mensch leugnen, selbst der Herr Major l
selbst nicht. Er behauptete, es seiner -
Gesundheit schuldig zu sein. i
Er trank schnittweise. Und zu je- s
dem Schnitt gehörte ein Bomerlunder, I
ein Lümmel ——- das hatte er sich ange-·z
wöhnt, seitdem er aus dem warmen i
Süden nach dem rauhen Norden ver- s
setzt worden wur. Er war einer der
nördlichsten Bataillonstommandeure
und er begriff nicht, warum man ihn
nicht mit seinem Bataillon absandte,
um Andrcie zu suchen. Er kannte den
schönen Vers: ,,Arbeit und Thätigteit,
ist was das Herz erfreut«, aber er fand
die Worte blödsinnig, nach feiner Mei
nung war nur der glücklich, der noch
weniger als gar nichts zu thun hatte
Er selbst that absolut gar nichts.
Bisse Zungen behaupteten, ertvisse Licht
tunlich Wo sclllc stusccllc sci- But
war nun entschieden lrasfe Verläum
dung, aber allzu oft ließ er sich in dem
Kasernernent allerdings auch nicht se
hen. Es ging auch so ——- wozu hatte er
denn einen tüchtigen Adjutanten und
einen noch tüchtigeren Bataillonsschrei
ber?
Der Major that gar nichts, er fühlte
sich sicher in seiner kleinen Garnison,
in der er ein selbstständiges Bataillon
führte. Die Garnison, in der die bei
den anderen Bataillone seines Regi
inents mit einem hoben Regimentsstab
lagen, war weit entfernt und Gott sei
Dank war die Eisenbahnverbindung
derartig miserabel, daß kein Vorgesetz
ter kam, wenn er nicht unbedingt kom
men mußte.
Die Vorgesetzten kamen auch nicht,
denn unbegreiflicher Weise befand sich
das Bataillon trotz seines Komman
deurs in tadelloser Verfassung Da
ran waren die Herren Hauptleute
Schuld, die mehr als glücklich waren,
einen Vorgesetzten zu haben, der sich
um gar nichts tümmerte.
Vergaßen es die Kerls aber einmal,
wie gut sie es hatten und bummelten
sie beim Cxerzieren, dann sagten die
Hauptleutu »Jungs, seid nicht faul.
Wenn Jhr bei der Besichtigung nichts
leistet, bekommt Jhr einen anderen
Major —- der ist nicht so gut, das
kann ich Euch heute schon sagen. Zwar
weiß ich nicht, wer der Nachfolger
wird, aber das weiß ich, einen so gu
ten Major, wie Jhr ihn jetzt habt, be
kommt Jhr nie wieder. Merlt Euch
daö!«
II-L L!- O-..I- —--lL-- -2 R-! -.-L
uIIU Ulk QLUDL lllbkslbll k- flu- Ill»
warfen bei dem Exerzieren die krum
men Knochen so hoch in die Lust, daß
die Sonne sich schnell hinter einer Wol
ke verbarg, weil sie fürchtete, daß ihr
ein Kommißstiesel an die Nase fliegen
werde —- jener FiommißstiefeL dessen
Sohle, wie das Gesetz es befiehlt, sechs
und dreißig Eisennägel zieren.
Während die Leute auf dein Eur
zierplatz ihre Knochen lahm und steif
marschirten, lag der Herr Major zu
Hause auf seiner Chaiselongue, rauchte
und lag.
Mit Vorliebe las er Zola und Casa
nova, aber auch die Bücher Lonbroscks
wies er nicht zurück, wenn sie in einem
Postpaclet aus der Leibiblioihel der
Residenz die Schwelle seines —- pardon
— jungfräulichen Hauses überschritten.
Er las alles-, nur nicht die drei Bücher,
die nur siir den Soldaten geschrieben
sind: das Exerzierreglement, die Feld
"dienfiordnung und die Schießvor
schrist.
hatte er enug gelesen und geraucht,
so zog er sig die Decke über die Ohren
und schlies, bis sein Bursche ihm das
Mittagessen brachte. Er aß stets bei
sich zu aus.
Nach eendetern Dinet hielt der herr
Major seinen «Verdauungsschlum
mer«, defsen Quanti- und Qualität sich
nach dem während der Mahlzeit genos
senen Rothwein richtete.
Mit dem Glockenschlag 6 ging es zu
dem Nachmittagsschoppem der is um
8 Uhr dauerte und mit dem Glocken
schlage 8 nahm der Abendschoppen sei
nen Anfang.
Mit dem Glockenschlag 11 erhob sich
der herr Major — das war manchmal
mit einigen Schwierigkeiten verbunden,
denn von dem lang-n Sitzen wird man
leicht steis. Ging es garnicht, dann
halfen freundliche Hände. Zuweilen ge
leitete sein Adjutant ihn auch nach Haus
- - bis zur Haustlkiir ließ der hohe Herr
sich dies auch immer ruhig gefallen, aber
scdaio der Schiiissel im Schlüsselloch
steckte, wurde er grob.
»Sa;en Sie, bitte,« fuhr er dann
seinen Begleiter an, »wer sind Sie ei
gentlich2 Was wollen Sie denn hier?
Wie lommen Sie dazu, mit mir zu ge
hen, ohne daß ich Sie dazu aufgefordert
habe? Was deuten Sie sich eigentlich
dabei?«
Der Adiutant kümmerte sich nicht im
Geringsten um bas, was sein Herr sagte.
Er schob ihn in das Haus hinein und
ließ ten Burschen siir das Weitere sor
gen. Der hatte vie Pflicht, seinen Herrn
zu Bett zu bringen uno raraus zu ach
ten, daß die Nachtruhe in leinsrr Weise
gestört wurde. Zuweilen tam es vor.
daß Nachts dienstliche Telegramme ein
liefen, die den Vermert trugen ,,eilt«,
aber die trotz alledem von einer geradezu ·
welterschiitternden Gleichgiltigteit wa
ren.
Jn rer ersten Zeit, als der Herr Ma
"jvr sein Bataillon führte, war auch er
auf das Wort »eilt« ost genug hineinge
sallen, bis er sich eines Tages schwor:
»Nie wieder« und darum hatte er seinem
Burschen bei Androhung von sieben Ta
gen strengem Arrest und sofortiger Ab
lösung verboten, ihn jemals während oer
Nacht aus irgend welchem Grunde zu
wecken. «
Wachte Ver Herr Major des Morgens
aus, so tlingelte er nach dem Burschen
und fragte: »Was giebt es Neues?«
Die Antwort lautete stets: »Nichts,
Herr Major, wenigstens weiß ich nichts."
So vergingen Tage, Wochen, Mo
-nate.
»Was giebt es Neues?« fragte der
Major da eines schön-en Morgens, als
er nach langem, kräftigem und erqui
ckendem Schlummer zu recht später
Stunde erwachte.
Aus die Antwort war er garnicht be
gierig, die kannte er ja schon im voraus
—- aber er irrte sich, dieses Mal gab es
doch etwas Neues.
»Der Hansm Herr Major, der Hor
nist von der ersten Kompagnie ist heute
Nacht plötzlich verrückt geworden, ganz
plötzlich, gestern Abend war ich noch mit
ihm zusammen und da war er noch ganz
. vernünstig.«
»Der Hansen ist verrückt geworden?
Was fällt dem Lümmel denn ein? Was
hat er denn gemacht?« fragte der Major.
»Denten der Herr Major sich nur,«
gab der Bursche zur Antwort, »der
Hausen tJat sich heute Nacht auf die
Straße gerade vor unser Haus gestellt
und hat immer was geblasen und noch
dazu etwas. was ich garnicht tannte.'«
»Was-bat er denn- geblasen? Ein
Lied?«
»Nein, Herr Major, ein Lied war es
nicht, es tlang beinahe wie ein Signal,
es ging so —- na, wie war es doch noch
— ja so richtig, so war es,« und voll
ständig richtig sang der Bursche seinem
Herrn die Melodie vor, die der Hornist
geblasen hatte.
Mit beiden Beinen gleichzeitig fuhr
der Major aus dem Bett heraus:
»Na-Etwas insamer — das war ja ein
Signal, das war ja Alarm!« T
Der Bursche stand wie vernichtet, -
endlich sagte er: »Dann ist der Hausen
i ja vielleicht garnicht verrückt?«
»Du bist verrückt, « schrie ilkn sein
Herr an, »warum hast Du Esel mich
denn nicht geweckt?«
- »Ich durfte doch nicht, " gab der Bur
i s e zur Antwort.
. Aber der Major achtete garnicht aus
die Antwort. ,,Jn süns Minuten ist
d
les
as Ps erv gesatteit, « befahl er, »marsch
Galopp. das Weitere findet sich.«
s Wenig später ritt der Major trotz des
! entsetzlichen Straßenpslasters im sausen
I den Galopp zur Kaserne, um sich dort
den wachtktabenden Unterofsizier zuz
,,taufen«. Wie tam der Mann dazu, ?
ohne sein Wissen und ohne seine Er
laubnis-, Alarm blasen zu lassen? Je
» gend etwas mußte passirt sein
. »Zum Donnerwetter, so antworten
Sie roch, « fuhr er den llnteroffizier an,
i »was bat s denn gegeoen-.’«
x »Der Herr General ist heute Morgen
; um vier Uhr hier angekommen und hat
i das Bataillon aiarmirt,« lautete die
; Antwort. »Der Herr General ist mit
J dem Bataillvn zu einer Felddienstiibung
i abgeriickt und noch nicht wieder zurück
; getommen."
- Nicht nur der Major sondern auch
; dessen Pferd zitterte bei diesen Worten,
« die Sache war genußreich, die konnte so
bleiben; der General machte mit dem
Bataillon eine Uebung, während der
s Herr Major im Bette lag und schlief.
H »Wohin ist die Truppe marschirt?«
- wollte der Major den Untervffizier fra
gen, aber er fragte ihn nicht denn in die
ern Augenblick schlug der Klang der.
großen romrnel an sein Ohr — mit
. klingendem Spiel tam das Bataillon zu
? rück und an der Spise der Truppe ritt
der herr General.
i Der Major galoppikte ihm entgegen,
i um sich zu entschuldigen, soweit dies
i überhaupt möglich war; aber bevor er
noch ein Wort sagen konnte, rief ihm der
General schon von Weitem zu: »Schon
i ausgestanden, herr Major? Das thut
mir Jhtetwegen leid, denn jetzt brauche
iich Sie nicht mehr. Reiten Sie nur ru
’ hig nach haus und legen Sie sich wieder
schlafen. Gute Nacht «
Da wandte der Herr Major sein Roß
und ritt schweigend von dannen, er
wußte: das Lied war aus Nun kam
fiir ihn die lange Nacht als Cioilist, nun
lonnte er ruhig schlafen bis an sein Le
bensende. Nun machte lein Mensch mehr
den Versuch, ihn zu werten —- nicht ein
mal ein verriickt gewordener Hornist.
—----.O.
Unsinnige Redeweise.
Lehrer (in einer Mädchenschule) :
»Lauter, Fräulein Melante, was brum
niren Sie schon wieder in den Bart hin
e n!«
i
i
ess
Zer Finger Gotte-.
Von Camille Lemonnier.
Deutsch von Wilhelm Thal.
1
Die Landfchaft schläft im tiefen
Schatten, in dem furchtbaren Schatten
einer Dezembernacht, und nichts rührt
sich im Hause des Bauern, weder sein -
Weib, das ruhig schlafend im Bette liegt,
noch in den Wiegen, in denen mit ruhi
gem Athem die Kinder träumen, noch der
in feiner Hütte fchlummernde Hund, noch i
das Vieh, das in der dumpfen Stallluft -
auf dem Boden liegt und fchnarcht. :
Plötzlich aber ruft eine Stimme durch
das tiefe Schweigen : ;
»Bauer, steh’ auf und geh’ zur
Stadt !«
Gehorsam kleidet sich der Bauer an,
und feine Hände machen die schwerfälli
gen Bewegungen von Menfchen, die noch
nicht ganz wach sind. Die Dunkelheit
bildet eine feste Mauer um ihn her und
trotzdem sieht er ; ein Licht strömt aus
seinen Augen, dem weißlichen Scheine
einer Fackel ähnlich.
,,Wo gehst Du hin ?« fragt fein
Weil-.
,,Dorthin, wo man mich erwartet,«
versetzte er. Verwundert richtet sie sich
im Bette auf und fragt ihn, was ihn er
warte.
»Das weiß ich nicht,« entgegnet er
und znctt die Achseln. «
Nun schilt sie ihn zornig mit scharfen
Worten. die zu andern Reiten wie Peit
schenhiebe in seine Ohren fallen würden.
»Der Hahn hat nur in Deinem Hirn
gekräht. Mann, sicher hast Du Hexen
gras gegessen. Lrg’ Dich nur wieder hin,
bis es Tag wird.«
»Nein,« erklärt er.
Der Riegel wird zurückgeschoben, und
ruhig, wie ein Mensch, der irgend eine
nächtliche Arbeit beginnt, tritt er hinaus-.
Langsam, mit dem Schritt der Nacht
wandler, wandelt er durch das tiese Dun
kel, das auf den Feldern lagert.
Woran denkt er aus seiner düstern
Wanderung ? An den Acker, den er um
psliigen muß, sobald er heimgekehrt, an
den Zins, der in siins Tagen fällig ist,
an die unerbittlichen Forderungen des
Besitzers ; er denkt an sein verhängniß
volles, hartes und eintöniges Leben, an
das er gestern gedacht, und an das er alle ·
Tage denken wird, dieGott ihm schenkte;
er denkt an nichts anderes-. Ein eisiger
Wind macht ihn schaudern, ist das schon
der nahende Tag, der über die Felder
saust oder ist es noch der strenge Hauch
der Nacht ? Er weiß es nicht und geht
seines Weges weiter.
Jenseits der Steinmauer liegt die
Stadt in dem schweren Schlafe, den we
der das Heulen des Sturmes, noch das
dumpfe Hallen des Schrittes stört.
Ohne einen Augenblick zu zögern, be
tritt der Mann das Labyrinth der Stra
ßen, mit einer Sicherheit, als wandere er
im hellen Scheine der Mittagssonne da
hin. Und dabei hat ihm Niemand den
Weg gezeigt, den er wandern soll ; doch
nichts hält ihn zurück, zur bestimmten
Stunde am bestimmten Orte zu sein.
Von Straße zu Straße lommt er end
lich aus einen ossenen Platz, dessen im
Kreis gebaute Häuser aus sein Kommen
zu warten schienen. Vorn anderen Ende
kommt ein Unbekannter aus ihn zu und
sragt :
»Bauer, wie spat ist es e
DerBauer hebt denKopf zumThurme
empor, den man nur infolge eines noch
tieferen Dunkels unter den anderen
Häusern erkennt, die in der schwarzen
Nacht wie ertrunlen daliegen. Und iiber
der dahinziehenden Schattenmasse bricht
aus dem schwarzen Zifferblatt eine
Flamme los, die aus seine Augen stärker
wirkt, als der Schein eines Bra:·.des.
»Es ist vier Uhr,« antwortet er.
Er glaubt, diesen nächtlichen Wande
rer, dessen Augen und Stirn er nicht zu
erkennen vermag, schon irgendwo gese
hen zu haben; doch so verschleiert seine
Augen auch sind, sie bleiben in den
Fibern seines Hirnes unvergeßlich ein
gegraben, besser und schärfer, als wenn
die Sonne sie mit ihrem scharfen Lichte
bestrahlt hätte.
Kaum hat derFremde sich entfernt, so
nimmt der Bauer seine Wanderung wie
der auf und wandelt mit demselben
schweren Schritt durch das Labyrinth
der Stadt, die stumm und diister da
liegt, wie eine Netropolis. Um die Zeit
am Zifferblatt der Thurmuhr zu lesen,
hat er zwei Meilen Wegs zurückgelegt,
unsd jetzt lehrt er unter dem Blöken der
erwachten Kühe nach hause zuriick
Nichts weiter hat er gesehen als diesen
Mann, der sich fiir die Ewigkeit in sein
Gedächtniß eingegraben hat.
11.
Ein Jahr vergeht, end die Stimme
läßt sich im Schweigen der Nacht von
Neuem vernehmen : »Sieh- aus und geh
zur Stadt !«
Wie das erste Mal erhebt sich der
Bauer, r ·iterwiirfige Sklave einer ge
bieterisrltkes «iflicht, auch diesmal.
»Wo gehst Du hin ?« fragt ihn sein
Weib mit schlastrunkenem Gähnen.
,,Dorthin, wo man mich erwartet«,
erwidert er.
Nun setzt zäe sich im Bette auf und
fragt ihn, wer ihn erwartet, denn wie je
des Weib quält auch sie ver Durst einiger
Neugier.
Er zuckt die Achseln und antwortet
»Ich weiß nicht«
,,Alter Narr«, ruft sie zornig, »Dein
hirn ist sicherlich die Beute eines bösen
Fiebers, daß Du das heulen des Windes
im Schornstein fiir das Krähen des
Hahnes hälst Lege Dich wieder zu Bett
und warte, bis es Tag wird. «
Die Wiegen zittern unter den Stößen
der weinenden Kinder und in seiner
Hütte heult der Hund mit heiserem Bel
len, während der Regen in Strömen auf
das Dach peitscht, dessen Balken wie die
Knochen eines Ringkämpfers krachen, der
im Begriff ist« im Kampfe zu unterlie
gen.
Der Bauer stößt die Thüre seines
Hauses auf und wandert in dem eisigen
Regen, gegen den Sturm antämpfend
dahin Die Schlossen peitschen sein-.
Knochen, der Sturm schüttelt ihn wie
einen schwachen Ast, und er denkt an
seine klapprige Hütte, und an sein Weib,
das in dieser Stunde, vom Reißen ge
quält, im Bette stöhnt ; das würde ge
nügen, um jeden andern zur Rückkehr zu
bewegen. Trotzdem geht er mit festem,
abgemessenem Schritte weiter, wie ein
Mann, der genau weiß, daß er zur be
stimmten Stunde ankommt.
Die Bäume, die Zäune, die Hütten
verschwinden nach und nach hinter ihm ;
er durchschreitet das Stadtthor, und wie
in jener andern Nacht bewegt er sich rn
hig durch die dunkeln Straßen. Kein
Licht slänzt in dieser dichten Finstern1ß,
aber seine Füße tragen ihn sicherer-, als
wenn ihm Jemand mit einer Fackel aus
dem Wege vorangingr. Endlich erhebt
sich Vor ihm ein großes Gebäude, einer
riesenhafien, versteinerten Nacht ver
gleichbar, und die Lampen, die hier und
da die hohen Fenster beleuchten, lassen
die dunkle Mauerwand noch schwärzer
erscheinen. Gähnend öffnet sich ein Thdr
vor dem Bauern, der den Rathschluß des
Schicksals erfüllen soll. und langsam.
wie unter einer unsichtbaren Hand, die
ihn leitet, sich duckend, steidt er die Stu
fen ein« crtmnittrenm emnnr auf der
sechs Gendarmen, die Musketen in der
Faust, ihre starren, oersteinerten Figuren
zeigen.
Stumm und ruhig geht der Land
mann durch die Gruppe, ohne daß ihn
Jemand aufhalt, und er befindet fiel;
plötzlich in einem Saal, wo schwarz ge
kleidete Richter unter den ausgebreiteten
Armen eines großen Christus sitzen; Auf
die hohen Arkaden der Wölbung fallen
die schwankenden Reflexe der Laternen
in zitterndem Licht aus die Menge, die
Richter, den öffentlichen Antläger, und
dort hinten in dem sinsteren Halbduntel
in welchem schon jetzt — wie eine pro
phetische Warnung —- das endlose Dun
kel der Gefängnisse zu gähnen scheint —
aus das blasse Gesicht des Mannes, den
man verurtheilen will.
» Das Schweigen des- Grabes senlt sick
hernieder aus die unbeweolisbe Versamm
; lung ; doch plötzlich spricht der Präsi
J dent und seine Worte tönen hohl unt
J dumpf wie ein Stein, der in einen Ab
l grund rollt :
; »Angellagter, Gott ist Auge, nur ein
: Alibi kann Sie retten. Wo waren Sie
; zur Stunde, als dieses entsetzliche Ver
s brechen begangen ward ?«
Der Angeklagte erhebt sich von seine1
Bank und erwidert :
»Ich war auf dem Marltplatze ; eir
Bauer ging vorüber; ich fragte ihn
wie spät es ist, er antwortete mir : «Vie1
Uhr P«
»Wie ist sein Name ?«
»Das weiß ich nicht !«
,,Wo wohnt er Z«
»Das weiß ich nicht !«
l »Angeklaa,ter, wären Sie im Stande
diesen Mann wieder zu erkennen ?«
I Jn den Qualen derTodeSangst wandte
der Ungliickliche langsam den Kopf der
» im Dunkel gehiillten Menge zu, die da irr
Gerichtssaale versammelt war. Schor
. war alles aus, und das Urtheil sollte ge
fällt werden« als er mit der Verzweif
; lung des Schiffbrüchiaen der eine Ret:
; tungsplanke auf demWasser schwimmer
steht, die beiden Hände augstreckte unt
mit gellender Stimme schrie :
»Da ist er !«
Und wie Donner und Trompeten er
tönte der Schrei des Unschuldigen durck
den Saal, während der Mörder, den di
s innere Stimme hergetrieben, wie von
. Blitz zerschmettert zu Boden stürzte.
«I.-——- —
Groszmnmng Einfall.
———.—
Von Victor Lenz.
»Es wird beim besten Willen nicht
gehen, lieber Hans —- sieh, ich bin schon
ganz hint«
Sie sah ihn so hilflos an bei dieser
Worten und schien wirklich so ermüdet
daß der Kommerzienrath allen Ernstes
daras dachte, den Arzt kommen zu las
sen. Davon wollte nun freilich die
Mithin nichts wissen:was würden denn
die Gäste denken? Nein, gar so schlimm
sei es nicht — ein Stündchen Ruhe wiri
ihr die nöthige Spannkraft wiederge
ben, und dann wird sie am Ende dock
noch an dem Festmahl theilnehmen kön
nen. Eine Geburtstaggseier ohne Ge
burtstagskind — wie trürde denn das
aussehen?
Gut also —- sie solle nur immer eir
Weilchen ausspannen, da könne sie sicl
auch noch irgend einen recht großer
Wunsch ausdenken, den er ihr erfüller
wolle. Er dachte dabei an eine präch
tige chinesische Vase, die ihr jüngst ir
der Leipziger Straße aiitznehmend gut
gefallen.
Er ließ sich von ihr einen Kuß aut
die Wange drücken und küßte selbst daz
seine weiße Patschhändchen, das sie ihn
reichte. Und als sie dann langsam da
vonrauschte in dem kostbaren schwarzer
Seidenileid, blickte er ihr lange, lang
nach, mit einem Ausdruck von Rührung
und Mitleid, der seinen troh des hoher
L
-f
Alters noch recht energischen Zügen et
was Sympathisches verlieh.
Sein liebes gutes Altcheni Es war
ja auch kein Wunder, daß sie sich müde
g fiihlte nach diesem strapaziösen Mor
gen. Jst der Mensch erst achtzig Jahre
alt, dann wird ihm selbst die Freude
zur Last. Schon beim ersten Hahnen
schrei hatte der Rummel begonnen: zu
erst das Ständchen, das derSängerchor
der Fabrikleute dem hochverehrten Ge
burtstagstinde brachte, dann die Hun
derte von Glückwunschschreiben, dieBlu
menfpenden, Geschenke, Deputationen
i und einzelnen Gratulanten — es war
J ja alles sehr» schön, gewiß, aber auch
s sehr anstrengend. Allein die nächste
Verwandtschaft, Kinder und Schwie
gerkinder, Enkel und Urentel, Neffen
und Nichten, zählten gegen dreißig
Köpfe — und jedes wollte die gute
Großmama doch wenigstens zwei, drei
Minuten lang für sich haben! Er fand
es sogar recht erstaunlich, daß sie das
alles noch so glatt überstanden hatte.
Sie war ja eine wahre Riesin im Ver
gleich mit ihm und welch ein Humor,
was fiir lustige Einfälle! Lachen mußte
er, wenn er nur daran dachte. Kaum
zineki Jahre älter war er als sie, aber
w n er sich so ansah, mit den gelähm
ten Gliedern, fast immer im Kranken
stuhl sitzend — war er nicht neben ihr
ein richtiger Krüppel?
Das heißt, sein Geist war immer
noch frisch und stark. wie bei einem der
Jüngsten. Mit seinen zweiundachtzig
war und blieb er immer noch das maß
gebende-Oberhaupt seiner weitverzweig
. ten Familie und der eigentliche Chef der
altrenommirten Firma Hellmann Fe
Co.. Metallwaarenfabrit, derenLeitung
er nur zu seiner geschäftlichenspEnk
lastung an die beiden altenen Sohne
abgegeben hatte. Er hätte denjenigen
sehen mögen, der es gewagt haben wür
de, in irgend einer wichtigen Angelegen
heit sich ihm zu widersetzent Einfach
zermalmt hätte er ihn in seinem Zorn.
Nur zu gut kannte ihn die Räthin von
dieser Seite. Und darum hatte sie nicht
erst den Versuch gemacht, ihm von jener
—- jener »Geschichte« zu fett-eben
Sah er etwa nicht, dasz eigentlich nur
die Erinnerung daran es war, was sie
heute so bedrückte ?
Aber er hatte es einmal geschworen,
daß eine Unwiirdige seine Schwelle nicht
mehr überschreiten durfte. Hart mußte
er bleiben, hart um jeden Preis. Die
arme Räthin mußte es überwinden...
Franz !«
Der alte Diener des Hauses, der zur
Feier des Tages die blaue Galalivrese
trug, erschien in der Thüröfsnung.
Fahre mich in den Salon zurück —
zu den Gästen !«
It- ItI Its
,,Zu Bett wollen Sie mich bringen?
Nicht doch — legen Sie mir nur ein Kis
sen dort in jenen Sessel! Und wenn
eine junge Dame mit einem Kinde kommt
-—— sie heißt Frau Güssow und wird die
Hintertreppe benutzen —- dann führen
Sie sie sogleich zu mir, hier in dieses
Zimmer I« —
Die Kammerjungfer war noch nicht
lange im Haufe — sie wußte nichts von
jener »Geschichte«. Das ganze Haus-per
sonal hatte der Rath damals vor drei
Jahren entlassen — bis auf Franz, des
sen er nicht entrathen konnte, der ihm
aber dafür mit einem heiligen Eide
Schweigen zuschwören mußte.
Wenn sie es so bedachte, hatte ihr alter
Hans sich in dieser Angelegenheit eigent
lich etwas lächerlich benommen. Sie
wußte ja nur zu gut, wie er sich selbst
nach seinem »Fritzchen« sehnte. War es
k--- ..:.1.4 t«;» ' ' «
Guid-n- »Im-Ton dass
uuui neu-» fu« -«.--...»».n 5-.-.,.», .,.
verwaiste, kleine Ding, das nach dem frü
hen Tode der Eltern im großviiterlichen
Haufe als ein hübscher, munterer Wild
sang ausgewachsen war? Er hatte ja
die kleine Fritzt so gern, oiel lieber, als
all die andern Enkel und Enkelinnen, die
so wohlerzogen und korrekt waren. Aber
der Popanz von Autorität hatte es ihm
angethan und ließ ihn nicht abgehen von
der einmal getroffenen Entscheidung
»Nicht über die Schwelle darf sie mir
kommen« — dabei blieb er nun einmal.
Was hatte sie denn so Schlimmes ver
brochen, die arme, kleine Fritzi ? Jn den
hübschen Bildhauer Güssow hatte sie sich
verguckt, der im Atelier der Firma ar
beitete. Das war alles. Und als Groß
papa Hellmann seine Einwilligung zu
einerHeirath mit diesem,,Angestellten des
Geschäfts« verweigerte, na —- da war sie
eben in Gesellschaft ihres Erwählten auf
und davon gegangen. hatte sich irgendwo
im Ausland mit ihm trauen lassen und
war nicht mehr zu ihnen zurückgekehrt
Hübsch war das ja nicht und korrekt
ganz gewiß nicht, — aber, du lieber
Himmel, das menschliche Herz . . ..
Und da, an Großmamas achtzigstem
Geburtstag, war das erste Lebenszeichen
von dem Flüchtling gekommen. Vor
vierundzwanzig Stunden hatte der Post
bote der Räthin einen Brief von Fritzi
gebracht : ob es wohl gerathen sei, fragte
sie, daß sie mit ihrem kleinen Töchterchen
unter den Feiernden erscheine ? Sonst
gehe es ihr gut, sie habe einen lieben und
sleifzigen Mann, der noch einmal sehr be
rühmt werden würde —- und mehr könne
doch schließlich auch die Enkelin eine-J
Kommerzienrathes nicht verlanaen !
Das waren Nachrichten, die die gute
Großmama in nicht geringe Aufregung
ver-setzten. Natürlich sollte ihr Fritz
chen«.·' kommen, nichts Schöneres konnte
sie sich zum Geburtstag wünschen. Wie
aber sollte sie dem trotzköpsigen Alten die
Sache beibringen, wie einen Erlat ver
meiden ?
Stundenlang sann sie und sann sie —
da kam ihr endlich der erlösende s
danie.
»So wird's gehen«, sagte sie, still m
sich« hinlächelnd. »So behält er feinen
Willen —- und ich setz’ den meinigen
durch. Freuen wird’s ihn nicht weniger
als mich selbst. «
Aus ein Uhr Mittags hatte sie »Es-riß
chen« bestellt —- jeden Augenblick konnte
sie eintreten Mit einem Baka würde sie
kommen — »Fritzchen« mit einem Babht
Jetzt. klopfte es nicht ? Richtig. I
Die Räthin richtete sich in ihrem Ses
sel auf und rief ,,Herein l«
Die Kammerzose öffnete die Thiir
L Eine schlanke, junge Dame, mit eineni
kleinen, blonden Mädchen an der Hand,l
trat ins Zimmer.
»Großmama l«
,,’Fritzche che.n l« -
Einen köstlich dustenden Rosenstrauß
im Händchen stand die Kleine da und
betrachtete mit verwunderten Augen die
Gruppe der beiden Frauen, die sich unter
lautem Schluchzen herzten und küßten.
Und dann kam an Hansi selbst —- so
hieß die Kleine nach dem Großpapa —
die Reihe des- Gekiißtwerdens....
si- -s- «
Eine Stunde wohl mochten sie in trau
lichem Kosen und Plaudern verbracht
haben — da schien es der Räthin, als ob
ein unbeholfener, nur mit Mühe ge
dämpfter Schritt sich der Thiir ihres
Zimmers nahe.
»Jetzt kommt der here Rath — nun
rasch dort hinein, meine Liebe !«
»Fritzchen« verschwand im Neben
zimmer, während die kleine Hansi bei der
Großmama blieb. Die öffnete jetzt die
Thür, und herein trat, von Franz ge
führt, der Kommerzienrath Der Die
ner ließ ihn sacht in einen Sessel gleiten
und entfernte sich.
..... -. -« «
»Ma, yuosch ausgeruht k-- nagt
Rath Hellmann jooial.
,,Danke, einigermaßen.«
»Und was . . . . wer ist das da ?«
Sein Blick ruhte fragend auf der Klei
nen, die mit ihren hellen blauen Aeuglein
schweigend zu ihm aufschaute.
»Eine kleine Gratulantin ist’s —
rath’ einmal, wem sie gehört!«
Einen Augenblick starrte der Rath
seine greife Gattin an —- dann stieg
helle Zornesröthe in sein Gesicht.
»Es ist ihr Kind! Sie ist zurück
gekommen?« klang es stahlhart von sei
nen Lippen.
»Ja — sie ist . . . . hier.«
»Was?« Sie hat es gewagt, meine
Schwelle zu überschreiten?«
»Sie hat sie nicht überschritten ——«·
dort ist »Deine Schwelle«!«
Sie wies lächelnd nach einem dicken,
breiten Brett, das an das Kamin ge
lehnt war.
»Was . . .. was soll das? Willst Du
Dich über mich lustig machen, meine
Liebe?« ,
»Ich habe die Schwelle vom Tischler
fortnehmen lassen —- loie konnte sie sie
da überschreiten? So hast Du doch,
Deinen Willen, Alterchen, und mir . . .«
mir erfüllst Du einen großen Herzens
wunsch —- den größten, kann ich wohl·
sagen. So, Hans, und nun . . .. nun
verstell Dich nicht weiter . . .. sag’ Ja
und Amen ....« ,
Er hielt es nicht länger aus. Thrii
nen —- heiße, befreiende Thränen ent
quollen seinen alten Augen. Und wäh
rend er sich vorbeugte und den herzigen
kleinen Blondkops auf seinen Schoß
emporzog, stürzte aus dem Nebenzim
mer eine schlanke Frauengestalt aus ihn
zu und sank an seinem Sessel in die
Knie.
»Verzeih, Großpapa« —- —
Er hatte längst verziehen.
-,—-.---.— ,.... ..-.—.
Gelee Von rothen Tumu
te n. Tadellose, gut durchgereifte,
aber zugleich auch fleckenlose Tomaten
werden einen Augenblick in kochendes
Wasser getaucht, damit sich die zähe
Haut leichter abziehen läßt. Nachdem
dies geschehen, giebt man sie in einen
Porzellandurchschlag, zerdrückt und
zerrührt sie daselbst mit einer kleinen
Holzkeule. An die durchgetriebene
kernlose Masse giebt man etwas Vanil
le und Zucker. Man läßt sie einige Mi
nuten stehen, damit sie geleeartige Ve
schassenheit annimmt, giebt sie dann
sofort zu Tisch und reicht Schlagsahne
dazu.
Aprikosen -Kaltfchale. —
Man schält etwa zwölf Stück schöne,
weiche Apriiosen, von denen man vier
Stück in mehrere Theile zerschneidet
und nebst den abgeschälten, zerschnitie
nen Kernen sowie den Schalen der
Früchte und z Pfund Zucker eine
Stunde lang tüchtig kochen läßt. Dann
gießt man dies durch ein Sieb heiß aus
die übrigen, in Hälften getheilten
Früchte, läßt das Ganze erkalten nnd
fügt noch einige Gläser Weißwcin hin
zu.
Entenbraten mit S a l at
und Psirsichkompott. Enten«
müssen zwei Tage Vorher geschlachtet
werden, nur achte man darauf, daß sie
gut ausbluten, hierauf werden sie ge
rupft, gesengt, ausgenommen Und an
einem lustigen Orte ausgehiingi. Sollen
sie gebraten werden« so schneidet man
Hals, Flügel und Fiisje ab, wiifsert sie
kurze Zeit, reibt sie gut mit Salz ein
und dressitt sie, füllt sie entioeder gar
nicht oder mit einer Fülle von geriebenei
Semmel, dem gehaclten Magen, Herzen,
Lunge und Leber, Butter, zwei Eiern
und Salz, oder mit Rastaniem Aepfeln
und brät sie in der Pfanne mit Butter,
wozu man heißes Wasser angießt, U
bis 2 Stunden. -