Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 05, 1900, Sonntags-Blatt, Image 13

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    l ec Ykrdäthtigr.
Novelle von Mareel Tynairr.
Herr von Saunah war mit sieben
undvierzig Jahren noch schlank wie ein
junger Mann, mit frischer Gesichtsfar
be, klaren Augen und blondem haar,
in dem sich kaum einige Silbersiiden
geigten. Stets gesund und guter Lau
ne. war Saunah immer noch verwöhnt
und geliebt, am meisten aber von seiner
Tochter!
Die Geburt des Kindes hatte der
Mutter das Leben gekostet. Die Toch
ter war lieblich, ohne schön zu sein, und
glich nicht ihm, sondern war das leben
dige Portrait der armen Verstorbenen.
Eine schlanke Brünette mit zarten, fei
nen Farben, die an matten Elfenbein
ton erinnerten, Haar, Augen und Au
genbrauen des jungen Mädchens wa
ren so weich und schwarz wie Sammet,
und dabei war sie trotz ihrer Jugend so
ernst, so vernünftig. Saunay war der
glücklichste Vater; er wollte der Freund,
der Kamerad, der Vertraute seiner
Martha sein und hoffte, sie durch alle
diese Eigenschaften lange fiir sich zu be
halten.
Ueberall führte er sein geliebtes
Töchterchen hin, wenn es nur irgend die
gute Sitte erlaubte. Er ruhte nicht
eher, als bis er ihr irgend ein neues
Vergnügen bereitet hatte, so dasz Mar
tha manchmal mit leisem Lächeln sagte:
»Aber Väterchen, Du wirst wohl nie
vernünftig?«
,,Laß doch, mein Kind, ich bin klüger
als Dut«
Und er erschöpste sich in Ausfliichten,
die er selbst erdachte. Schlittschuhlau
sen. Reiten zur friiben Moraenstunde
in den schönen Alleen des Bois de Bon
logne, kleine Diners in den besten Re
staurants folgten in bunter Reihe —
Alles stets nur zu Zweika; der Vater
war eifersüchtig wie ein Verliebter. Er
wollte keinen Dritten dulden, der mit
der Absicht tominen würde, sich der
großen Mitgift und der hübschen Toch
ter zu bemächtigen.
Die Mitgift! Das mochte noch an
gehen! Saunay tüminerte sich wenig
um die Mitgift, aber seine Tochter, die
hätte er gern behalten mögen!
»Ja, aber möchtest du denn nicht spä
ter auch einmal Großvater werden?«
fragte ihn einst Martha.
»Ach, Gott bewahre mich davor!"
rief Sonnen-.
Aber in ihren Augen war ein stum
nier Vorwurf zu lesen. Er erschrant
und dachte bei sich: »Sollte mein Töch
terchen verliebt sein?«
If If If
Ja, Martha war verliebt! Sie
wußte die guten Eigenschaften ihres
Vaters wohl zu schätzen, liebte ihn auch
aufrichtig, aber ganz anders liebte sie
einen jungen Deputirten, den sie in ei
ner Gesellschaft, wo ihr Vater —- der
unvorsichtige Papa -— sie hingesührt,
tennen gelernt hatte.
Durch sein ernstes gesetztes Wesen,
seinen sanften und freundlichen Ge
sichtsausdruck war Jean Brest zuerst
Martha vortheilhaft ausgefallen. Nach
einigen Monaten, in denen sie häufig in
Gesellschaften zusammen gewesen, war
es von vielsagenden Blicken zu Worten
und schließlich zu einer Unterhaltung
gekommen, die zwar nur flüchtig zwi
schen zwei Kotillon - Touren geführt
war, Martha jedoch vor die Nothwen
digteit stellte, den Vater auf den An
trag Jean Brest's vorzubereiten. Sie
erzählte ihin alles, ihren ganzen un
schuldigen Roman, und das war für
den armen Saunay ein harter Schlag.
Er schalt, brummte und grollte, dann
wurde er weich gestimmt, ergab sich in
sein Schicksal und veranstaltete selbst
die Berlobungsseierlichieiten.
Der große Tag tani heran, und am
selben Abend reisten Jean und Martha
nach dem Süden. Saunay hatte nun
reichlich Zeit, darüber nachzudenken,
womit er seinen Schwiegersohn nach
der Rückkehr am meisten ärgern könnte.
n-h -- --e-..- et-. c-- m-» Fin- »si
UIIU II sksuuv Its-us neu-« us-- -
Maßen erfinderisch. Die leidige Poli
tit ergänzte, was die Eifersucht des
Schwiegervaters nicht zu Stande
brachte, und trotz Marthas Bitten und
Thriinen war sechs Wochen nach der
Hochzeit der Bruch zwischen Gatten und
Vater vollständig. Jean, dessen Ge
duld zu Ende war, hatte seinen Schwie
gervater gebeten, seine Besuche einzu
stellen, und Saunay seinerseits hatte
geschworen, nie wieder das Haus s eines
Schwiegersohnes zu betreten.
si- - «- i
An einem sonnenhellen Frühlingstag
saßenMartha und Jean beimFriihstiick.
Durch die offene Thür der Veranda stu
thete das Sonnenlicht herein.
Fean sagte seufzend: »Es ist wirklich
zu angweilig, daß heute Sitzung im Ab
geordnetenhause ist. Welch’ schönen
Spaziergang hätten wir zu zweien ma
chen tönnen.«
»Erst die Pflichten und dann das Ver
gnügen!« antwortete Marthen »Die
,,Frtihjahrsausstellungen im »Von
march6« haben begonnen, vielleicht kann
ich oortheilltaft tausen, und dann werde
ich Dich an der Brücke gegenüber dein
Abgeordnetenhause erwarten — voraus
gesedt, daß es Dir recht ist?«
»Wenn es mir recht ist! Du bist ein
Engelt« ries der Gatte strahlend. Er .
freute sich umsomehr til-er diesen Vor
schlag, da ihm seine junge Frau seit eini
gen Tagen merkwürdig verstimmt und
zerstreut vorgekommen war
Puntt sechs wartet here Brest an der
verabredeten Stelle aus seine »gute, klei
ne Frau«. So trat ihn ein Freund, der
vor einer Woche bei dein jungen Ehepaar
zu Tisch ewefen war.
»Nun rest, was machst Du denn
dorti Komm mit mie. wir wollen ein
Glas Bier zusammen trinken!«
»Ich habe eine Berabredungt« sagte
Jean.
»Haha, ein Stelldichein!«
»Wenn Du willst, ja! Jch warte auf
meine Frau. Sie hat mich hier um sechs
l Uhr treffen wollen, und ich fange an,
mich zu beunruhigen, weil sie noch nicht J
i hier ist!« s
! »Ach wa5!« fagte der Freund harm- z
l los, ,,wie lannft Du Dich darüber beun- Z
I ruhing Frau Bkcst wikv wohl durch
, etwas anderes aufgehalten sein; ich habe :
sie eben im Caf6 Riche mit einem blon- l
den jungen Mann gesehen, wahrschein
lich einen Verwandten.«
»Meine Frau im Cafs? Ein blon
der junger Mann? Du mußt Dich täu
schen!«
»Ganz sicher bin ich nicht, aber ich
möchte dennoch jede Wette eingehen, daß
keine andere Frau so graziös ist, so lange
schwarze Wimpern und se wundervolle-E- .
eigenthiimlich aufgestecktes Haar besitzt!
Schon das allein dient als Erlennung.«
Und die beiden Herren gingen zusam
men fort.
Auf dem Heimweg konnte Jean die
Worte seines Freundes jedoch nicht ver
gessen und nahm sich vor, seine Frau zu
fragen. Sie war zu Hause, noch in der
Straßentoilette und —- wie sie sagte —
beunruhigi, daß ihr »arm« Liebling« sie
länger als bis sechs ein Viertel erwartet
hatte.
»Dent' Dir nur, Jean, ich bin so lan
e im Bonmarch6 gewesen« und dann ha- J
ge ich meine Freundin getroffen. Sie J
hat mich mitgenommen, wir haben zu- J
sammen ein Bischen gegessen, ich komme :
eben erst von ihr; sie hat mi-« so lange j
«o-I«-ß«lO-n tmle Mis- nnrk Hm ais-often i
....»,...,.. . ., .-. . .-.. ..-.., .............
zimmer waren.««
»Was hat nur Thomas für dummes
Zeug geredet!« dachte Jean. »Er hat
Maria gewiß mit e: ner Unbekannten, die
ihr ähnlich ist, verwechfeIL Jch will gar
nicht mit meinem Frauchen von der
Sache reden.«
Wenige Tage später traf er wieder
seinen Freund.
»SiehftDu, Du haftDich neulich doch
getäuscht. Es war nicht meine Frau!'
»Nun, jedenfalls war eine fchmeich t
hafte Aehnlichkeit vorhanden. Außer
dem kam mir das silbergraue Koftüm
und der mit Veilchen geschmückte Hut fo
bekannt vor.«
»Und der junge Mann?« fragte Jean
und wurde blaß, denn in der Beschrei
bung erkannte er die Toilette feiner
Frau.
»Der junge Mann? Wenn ich »jung«
sage, fo war das vielleicht übertrieben;
einMann von 35——-40 Jahren, vielleicht
auch über 40 —- blond, sehr varnehni
sehr aufmertfam gegen die Dame. Wahr
fcheinlich war es der Gatte, und jeden
falls war er verliebt.«
Jean lachte gezwungen auf und trenn
te sich von feinem Freund.
i Sollte Martha ihn belogen haben?
E um hinter Marthas Geheimniß zu koni
rnen. Dies leichtfmnige Verhalten tam
von der unglücklichen Erziehun» durch
' den Vater. Jean war in feiner Liebe zu
Martha geneigt, alle Schuld auf den
Schwiegervater zu schieben.
»Ich frühstücke heute nicht hier-« sagte
Jean am anderen Tage
»Wo gehst Du denn hin, Liebfier?«
entgegnete Martha zärtlich.
»Ich bin mit Kollegen zufammen,«
, antwortete der Gatte. Es wurde ihm
» schwer, feft zu bleiben, denn Martha
i fah in dem hellblauen Morgenrvck mit
l den schweren schwarzen Flechten, wie sie
da vor ihm stand und ihn zärtlich ansah,
auch gar zu entzückend aus. Er fügte
hinzu: »Und Du, kleines Frauchen, was
fängst Du heute an?«
»Ach, ich weiß nicht recht, vielleicht
s geh’ ich zu Papa. Der Aermftet Er
! beklagt sich, daß ich fo fetten zu ihm kom
i me. und eigentlich hat er auch Recht.
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Der Aermste war ganz außer sich.
Er war fest entschlossen, alles zu thun, i
i Gestehi es nur ein, Du bist eifersiichtig
» auf ihn!«
- Jean ging; aber statt die Richtung
. nach dem Rathhaus einzuschlagen, nahm
; er ein geschlossenes Knirps-se, das er dicht
bei seinem Hause warten ließ· Unge
» fähr zehn Minuten spähte er durch den
herabgelassenen Vorhang auf die Haus
thür, als Martha erschien —- auch sie
winkte einem Droschtentutscher.
v »Folgen Sie dem ersten Wagen!«
- tief er seinem Kutscher zu, aber schon
. nach kurzer Zeit athmete er erleichtert
s aus, denn die Droschte bog richtig in bie
; Straße ein, wo der Schwiegervater
! wohnte. Zum ersten Male seit langer
i Zeit hatte Jean ein Gefühl der Dantbar
teit sür seinen Schwiegervater.
Marthas Wagen blieb vor der Thitr
s hatten; jedenfalls hatte sie ihn aus Zeit
; enommen. Richtig, da war sie auch
; fchpn wieder, viel schneller, als Xean es
gehosst hatte. Sie schien dem utscher
sehr umständlich Bescheid zu sagen.
Er wiederholte seinen Beseht, dem
ersten Wagen zu folgen; und nach der
Reihe wartete er vor dem »Louvre«,
dann bei einer berühmten Mobistin und
zum Schluß bei Boissier.
Aber plödlich lenkte der Wa en in die
»Champs Elysöes« ein und fuhr nach
dem Bote de Boulogne in so raschem
Tempo, daß Jeans Kutscher weit zurück
blieb. Ganz undeutlich aus der Entfer
nung konnte Jean nur sehen, daß der
Wagen vor einem der elegantesten Re
staurants im Bote de Boulogne anhielt
und ein herr Martha beim Augsteigen
behilflich war.
Mart und der Unbekannte waren
in dem estaurant verschwunden. Jean
entschloß sich ruhig zu erscheinen, betrat
das Restaurant und vermittelst eines
,,goldenen Händedrucks« machte er einen
Kellner gesprächig und erfuhr, daß die
Dame im silbergrauen Kleid mit dem
Beilchenhut schon im vergangenen Jahr
mit demselben blonden Herrn oft hier
gespeist habe. Augenblicklich hätten sie
ein kleines Zimmer, Nummern acht; ne- f
benan wäre gerade frei —·wenn der
Herr vielleicht wünschen sollte —
Der Herr verstand die Andeutung
und, ohne seine bestellte Mahlzeit zu ver
zehren, erhob er sich, begab sich nach
Nummero acht und hörte, was nebenan
vorging. Zwischen Gläsertlirren und
dem Geräusch von Messern und Gabeln
vernahm er ganz deutlich eine helle
Frauenstimme — Martha’s Stimme:
»Papa, Du bist aber wirklich unver
nünftig! Wenn Jean das wüßte, er
würde mich schön schelten, er hat mich
so lieb!«
»Ist er denn so streng?« antwortete
eine männliche Stimme, in der Jean
die seines Schwiegervaters erkannte.
»Er ist eifersiichtig.«
»Auf mich?«
»Auf wen denn sonst? Er weiß ge
nau, wie innig ich ihn liebe. Ja, Papa,
ich iiebe ihn und Dich habe ich auch
lieb.«
»Das freut mich! Jch war heute mor
gen schlechter Laune, als Du zu mir
kamst, um bei mir zu friihstiicken. Es
war doch eine gute Idee, hier ein Ren
dezvous mit Dir zu verabreden; ich
konnte unmöglich mit Dir erst all’ Der
nen Krimstrams besorgen.«
»Ach, wenn Jean das wüßte!« seufzte
Martha leise.
»Nun, was könnte er denn sagen?
Es ist doch wahrhaftig kein Unrecht,
wenn ein Vater sein Kind, von dem er
vernachlässigt wird, zum Frühstück ein
ladeti Numjvas ist dennlosZ Was
hast Du oenni Du meinst-r
»Papa!«
»Was hast Du denn, Kind?«
»Ich habe Kummer!«
»Warum? Sag es mir doch! —
Heute gehörst Du mir, schütte mir Dein
Herz ausl«
»O, Papa, ich möchte so gern Dich
und meinen Mann wieder versöhnen!«
»Das wird schwer sein!«
»Aber warum denn?"
»Weil Dein Gemahl nicht danach
aussieht, als ob er den Wunsch hätte!
Seit zwei Monaten bin ich nun schon
in Ungnade gefallen. Er hätte wohl
eine Annäherung versuchen können.«
»Das wagt er nicht! Du hast ihn mit
Deiner Hestigteit gekränkt. Ach, wenn
Du wüßtest, wie lieb und gut er ist!
Jhr hättet Euch beide nur erst gründ
lich kennen und verstehen lernen sollen!«
»Ich gebe ja zu, daß ich etwas hefti
ger gewesen bin, aber in meinem Alter
kann ich mich doch nicht bei ihm ent
schuldigen. Es müßte irgend eine Gele
genheit gesunden werden, Jean müßte
den ersten Schritt thun.«
»Du würdest dann nicht mehr böse
sein«-m
,,Nach zwei Monaten der Pein! Nach
zwei Monaten, in denen ich Dich, mein
Liebling, mein Glück, kaum gesehen
habe?«
»Und wenn sich nun eine Gelegenheit
fände?«
»Ja, wird sich denn in absehbarer
Zeit eine finden?«
»Papa, ich glaube bestimmt, daß sich
eine finden wird —- kannst Du es nicht
errathen? Jhr müßt Euch versöhnen
. . . . zur Tause!«
t- II
I
»Warum nicht gleich?« rief Jean und
stand in der geöffneten Thür auf der
Schwelle. Er weidete sich an der Ver
wunderung Marthas, die noch immer
die Hand ihres Vaters hielt.
»Mein Schwiegersohn hieri« rief
Saunay. »Er hat gehorcht!«
Jean beichtete, wie er in das Resiau
rant gekommen war, und als Saunay
die tragilomische Verfolgungsgeschichte
hörte, strich er befriedigt seinen blonden
Bart.
Der erstaunte Kellner mußte ein
drittes Gedecl auflegen, und als die
Gläser aneinanderllangen, sagte Sau
nay lachend: »Es ist ein wahres Ber
hängniß, ich bin ein Mustervater; und
ich werde immer fiir einen Durchgan
ger gehalten. Martha, Martha, nimm
Dich in Acht, daß Du mir nicht ein
Enteltöchterchen schenlst, denn in fünf
zehn Jahren lönnte mein blonder
Schnurrbart sie vielleicht auch noch
lompromittiren.«
Kiiujilrriltlie Zielmug derjrnueus
tracht.
—-- e-. ....-.....-.-.
Zu den Veranstaltungen des deut
schen Schneidertages in Kreseld gehörte
auch eine Ausstellung von Damentlei
dern nach künstlerischen Entwürsen. An
dieser Aussiellung war der belgische
Künstler und Führer der Bewegung auf
allen Gebieten der modernen Kunst,
henrh van de Belde, hervorragend be
theiligt. Auf Veranlassung des Kre
selder Museumsvereinö hat nun van de
Velde neulich in Krefeld einen Vortrag
über die künstlerische Hebung der.
Frauentracht gehalten, dem wir nach ei
nem Bericht der »Rhein. Westf. Ztg.«
Folgendes entnehmen :
Bau de Velde betonte zunächst das
Recht des Künstlers, sich mit der
Frauenlleidung zu besassen. Als die
Künstler sich daraus beschränkten, die
Schönheit nur in Gemälden, Statuen -
und Denlmälern darzustellen, verwun
ten sie ihre wahre Ausgabe, denn sie
W
vernachlässigten damit grenzenlose Ge
biete, die so mannigfaltig und so rucht
bar sind, wie das Leben selbst. Als sie
sich anschickten, das Handwerk zu be
vormunden, folgten sie dem Werdegang
des primitiven Menschen, der, nachdem
er für Nahrung gesorgt hat, sich zuerst
ein Dach baut, dann, um sein Weib zu
erobern, sich schmückt und endlich durch
die Kleidung sich vor Wind und Wetter
schützt. So hat die Renaissance der an
glewandten Künste sich zuerst mit der
rchitettur, dann mit dem Möbel, den
Gebrauchs- Und Schmuckgegenständen
und zuletzt mit der Kleidung befaßt.
Die heutige Renaissance faßt van de
Velde aus als »das wahre und wunder
volle Aufblühen von Keimen, die von
dem Leben selbst in den Boden gelegt
wurden zum Zweck einer nochmaligen
Ertenntniß seines ewig sich wiederho
lenden Wiederbeginnens. Er freut sich,
ein Kind der heutigen Zeit zu sein, er
habe die neue Bewegung, der er ein
Vorlämpser geworden sei, entstehen se
hen, er habe ihrer Erfolge sich erfreuen
können, nun bleibe noch ein Reich zu er
obern, worin der Künstler noch nicht
zur Herrschaft gelangt sei, nämlich das
Gebiet der Kleidung·
Die Krefelder Ansstellung, zu der
der Direktor des Kaiser Wilhelm-Mu
seums, Dr. Deneten, den ersten Antrieb
gegeben, sei der erste Schritt auf dem
neuen Wege. Sie habe die Tragweite
eines bedeutenden Ereignisses, weil
nunmehr die Ansstellungen von Da
mentleidern in die Kategorie der Kunst
ausstellungen eingereiht seien und eben
so regelmäßig stattfinden würden wie
Gemäldeausstellungen und die erst in
den letzten Jahren zur Anerkennung ge
langten Ausstellungen von Arbeiten
des Kunsthandwerks. Ein Gefühl der
Empörung habe die Künstler getrieben,
als sie sich zuerst damit befaßten, Klei
dungen zu schaffen, die nur das eine
Ziel haben sollten, die Frauen, die sich
ihnen anvertrauten, so gut als möglich
zu kleiden, ein Gefühl der Empörung
gegen die Mode. Denn sie entfernt
sich von diesem natürlichen Qweck des
Anzuges, nur um den anderen Ziele
nachzugehen, für eine jede Saison et
was Neues zu finden, was sich von dem
zur Zeit Gebriiuchlichen so unterschei
det, daß die Sklaven und Sklavinnen
der Mode ihre Kleidung in jeder Sai
son erneuern müssen. Der Redner führ
·te aus, wie jetzt glücklicherweise auch
viele Frauen zum klaren Bewußtsein
der lächerlichen Rolle gelangt sind, die
sie so lang gespielt haben Sie waren
der Willkür einiger großen, zurneist
Pariser Schneider und Schneiderinnen
preisgegeben, die ihnen bald das weite,
bald das anschließende Kleid, bald den
Glockenrock, bald den ganz engen Rock
vorschrieben. Bewunderung gebührt
den Frauen, die sich anders kleiden, als
die anderen, denn es gehört viel Muth
dazu, den Beleidigungen und der im
pertinenten Neugier, der sie ausgesetzt
sind, Stand zu halten.· Nach einem
geschichtlichen Rückblicke auf die Wand
lungen des Modegeschmacls kam Van
de Belde zu dem Schlusse, daß das Un
terwürfigkeitsgefiihl der Menge der
Mode gegenüber nie so außerordentlich
entwickelt, die Feigheit des Schönheit-Z
gesühls nie so offen gewesen ist, als von
der Zeit der Restauration bis zu dem
Augenblicke, wo die jetzige Bewegung
aufkom, d· h. bis zum Jahre 1892.
Alle Männer und Frauen desselben
Standes kleideten sich vor dem Ent
stehen der Mode bei denselben Gelegen
heiten in gleicher Weise. Damals ver
schmolzen in den Kostiimen der Men
ge die verschiedenen Jndividualitäten
in einander. To ; Kleid war nicht das
Erzeugniß der Phantasie des Schnei
ders. mobl aber der Ausdruck eines ac
meinschaftlichen, seit undenktichen Zei
ten wirtenden Willens, der die unmerk
lichen Umgestaltungen, die Bedürfnisse
einer ganzen Rasse mit ihrer fiir uns
etwas Unbekanntes enthaltenden Ein
heit der Erziehung, des materiellen Le
bens, des religiösen Glaubens zur
Geltung brachte. Nur von Land zu
Land, von Provinz zu Provinz war der
Unterschied bemerkbar, während er es
heute von einem Dorf zun- andern ist.
Werden wir, so fragte der Redner, je
eine solche Einheit wieder erlangen?
Die Männertleidung ist ziemlich ein
fach geblieben, weil der viel beschäftigte
Mann in seinen Bewegungen durch die
Kleidung nicht gehemmt sein will. Au
ders ist es mit der Frau, vor allem der
Weltdame, die nur ihre Anmuthsrolle
im Leben zu spielen und zu gefallen hat.
Sie nimmt die körperlichen Unbehag
lichkeiten geduldig auf fich, wenn es
heißt: Das ist- Mode.
Früher dachten die Menschen auf al
len Gebieten, wissenschaftlichen und
technischen, logisch. Ein Schrank war
einfach, er drückte seinen Gebrauchs
zweck deutlich aus. Später wurde er
eine Verwickelung von allegorischen
Stulpturen, nackten Frauen und Män
nern, Karyatiden mit Lasten von
Früchten, Getreide, Wildpret und
Ackerbaugeräthen, Waffen etc. Aus ei
ner Petroleumlampe wurde eine Fe
stung oder ein Kriegsschiff. und in
ähnlicher Weise wurde aus einem Da
mentleid eine durchaus unlogische
Konstruktion ohne sichtbares Gerüst,
eine Wolke von Schleifen, Puffs, Vo
lants und Fältchen, die über alle For
men des Körpers hinweglaufen, so daß
dabei Niemand mehr die Schönheit der
menschlichen Formen vermuthen kann.
Den Höhepunkt der Vernunftwidrigteit
erreichte die Damentleidung im Jahre
1890, wo jede Spur von Nähten ver
schwunden war und ihre Ausführungs
mittel ebensowenig zu erkennen waren,
wte bei der eben erwähnten Lampe. Der
Æ
l
l
erste Angrisf gegen die Mode wurde vor i
einigen Jahren in Deutschland unter
nommen, durch die Reformkleidung.
Aber diese Bewegung wurde von der
Mode glänzend besiegt, weil sie sich nur
auf die Grundsätze der Gesundheits
lehre stützte, dagegen aus Unkenntniß
der Frauenpshchologie den Schönheits
sinn ganz außer Betracht ließ.
Sie hätte, um erfolgreich zu sein, sich
als ,,neue Mode« ausgeben müssen, wie
die amerikanische und die englische Mo
de es gemacht haben, denen wesentliche
Besserungen zu verdanken sind und die
auch die Einmischung der Künstler vor
bereitet haben. Die Borkämpser der
Reformtleidung haben dieVorsicht nicht
gehabt, ihre Bestrebungen als Mode
auszugeben, aber die Bewegung wird
Spuren hinterlassen. Jhr wird, wie
van dem Velde sich kräftig ausdrückte,
die Ehre zukommen, uns von dem Fol
terinstrument erlöst zu haben, das
werth ist, in Alterthumsmuseen zwi
schen dem Pranger und dem Züchti
gungsgürtel zu paradiren: das Korsett.
Es hat in der Art, wie die Schneider
es wollten, ausgelebt. Heute hat es eine«
logische Form bekommen. Es dient
nicht mehr lediglich dazu, um die Klei
der des Schneiders zur Geltung zu
bringen, es giebt vielmehr in seiner jetzi
gen Gestalt der Frau einen Halt und
bietet ihr zugleich ein Gerüst, das die
volle Entfaltung ihrer Formen erlaubt
und es dem Künstler möglich macht, die
Kleider nach wahren Konstruktions
Prinzipien zu entwerfen.
Die Prinzipien der griechischenKunst
sind so ewig, wie die der römischen und
gothischen. Auf denselben Grund
sätzen soll der moderne Stil gegründet
werden« Seine Formen werden von
den früheren um so verschiedener sein,
als die Stoffe, die wir heute besitzen,
anders sind und ein eigenes Leben ha
ben, dessen Eigenschaften der Künstler
ergründen muß, um dansn davon Ge
brauch machen zu können. Das muß
der Künstler bedenken, der bei der Re
form der Kleidung mitwirken will. Er
wird dann dazu kommen, daß er zuerst
alle unnützen Verzierungen abschafft.
Die moderne Kleidung trägt in und
auf sich weit mehr entartete Elemente,
weit mehr Theile und Schnitte, die
man für entbehrlich hält, als es auf
m-- L- ss1-ls
«
l
Ucll cxllcu FOUU jujcuup »u« »I- Uhu-o
verweist auf die Abhandlung George H.
Darwins, der auf den Gedanken kam,
die Evolutionstheorie seines Vaters
auch auf das Kleid anzuwenden. Sie
erklärt das Vorhandensein der über
flüssigen Elemente, der Rudimente frü
her nützlicher Kleidungsformem von!
denen wir uns um so leichter losma
chen werden, je besser wir die Bedin
gungen kennen, die sie früher einmal ins
Leben gerufen haben· Die Abfchaffung .
all dieser entarteten und unnützen Ele- ;
I mente ist nothwendig. f
Der Zeitpunkt dazu ist günstig. So ?
wie die Eisenbahn uns von der Klei- l
dung losmachte, die es ermöglichte, daß !
man jeden Augenblick auf’s Pferd J
springen konnte, so wird auch das Rad s
und das Automobil die Entstehung von l
Kleidungsstückem die diesen Verkehrs- »
mitteln angepaßt sind, hervorrusen·
Menschen, die zwischen Maschinen le
ben und ihre Verehrung von hohen Do
rnen auf große Brücken und eiserne
Thürlne übertragen, die in fünf Tagen
nach Gegenden reisen, die ihre Väter
kaum in der Hälfte ihres Lebens er
reicht hätten, können sich auf die Dauer
nicht mehr in Kostiime kleiden, die noch
die Spuren des Degens tragen, die
Spuren der Benutzung von Landkut
schen oder« der Nothwendigkeit, die Acr
mel zurückzuschlagen, was durch die
Aermelaufschläge noch angedeutet wird.
Die Künstler müssen also bei der Re
form der Kleidung nicht nur die Schön
heit anstreben, sie müssen sich auch von
h» Vltmnfhbkirp hpä bprtfinpn Doktan
und seiner Bedingungen durchdringen
lassen.
Das Konstruktionsprinzip soll bei
dem Kleide erkennbar sein, es soll sich
auf ein Gesellschaftskleid ebenso anwen
den lassen, wie auf einen Arbeiteranzug,
gerade wie die Prinzipien der Konstruk
tion fiir ein Arbeiter- oder Bauernhang
dieselben sind, wie fiir einen Dom. Die
Kleidung muß den neuzeitigen architek
tonischen Ansichten angepaßt sein, die
oan de Velde in folgenden Sätzen zu
sammenfaßt: »Wir müssen unsern
Schöpfungen ein greifbares Aussehen
kundungen ihrer Zwecke stempeln, sodann
müssen wir klar zeigen, welche Materia
lien wir gebrauchen und wie wir sie zu
l sammensetzen« DieseFormel kommt bei
derKleidung wie folgt zur Anwendung:
, DieNähte müssen hervorgehoben werden,
ebenso wie bei den Häusern das Gehält,
bei den Möbeln die Verbindungen und
Fugen und bei den Metallgegenständen
die Bindemittel sichtbar sein sollen. Die
Verzierung wird dann ihren Ursprung
und die Bedingungen ihrer Existenz in
der Ausgestaltung der Mittel finden.
DerGeschmack und die persönlichenVor
züge des Künstlers werden die Verzie
rung beeinflussen.
Zum Schlusse behandelte van de Velde
die Fragen: Bis zu welchem Punkte hat
das Publikum das Recht, vorn Künstler
besondere Toilette entwerfe?, und ferner:
Werden sich in Zukunft unsere Frauen
alle gleich kleiden, wie das noch jetzt in
gensatz zwischen diesen Fragen sei nur
ein scheinbarer. Es gebe Gelegenheiten,
wo die Kleidung der einzelnen Menschen
zu erwarten, da er für jede Frau eine T
l
absoluter Logik geben, sie zu lauten Be- s
manchen Gegenden geschieht? Der Ge- E
sich von einander nnterf den M
und müsse, nämlich im · use,
solche, wo sie gleich sein könnte: auf der
Straße, und endlich solche, wo sie wenigs«
siens gleicharti sein sollte: bei feierlicheq
Gelegenheiten eute sei dteKleidung der
Menge häßlich; in Scheveningen, in ei
nigenGegenden Westfalens und in Ober
bayern, wo die Kleidung des Volkes di
gleiche ist, habe man dagegen angenehme
Empfindungen Dabei seien diese Trach
ten durchaus nicht immer absolut schön
aber bei den Zusammenkünften der Men
ge, in den Kirchen und auf den öffentli
chen Plätzen gehe ein Gefühl unbestritte
ner Schönheit von ihnen aus. So brin
ge der feierliche Frack, der an und für sich
durchaus nicht schön ift, es zuwege, daß
die Männer mit dieser Kleidung doch
nicht gegen den Geschmack verstoßen,
Auch diese müßten sich deshalb an den
Gedanken der ,,Zwangstoilette« gewöh
nen. Unsere gesellschaftlichen Zusam
mentünfte würden an Würde gewinnen,
wenn sie nicht mehr der Kampfplatz sind,
auf dem die Frau mit den ihr von der
Mode gegebenen unsinnigen Mitteln
kämpft, um ihre Schwestern zu über
strahlen. Wenn man einwende, dasselbe
Kleid stehe Frau X nicht gerade so gut,
wie Frau Y, so sage er, auch die Mode
kleider stehen nicht allen gleich gut. Durch
diese Thatsache würde das Ansehen der
Mode aber nicht geschwächt, warum soll
also die »Uniform« in der Kleidung nicht
zu unterstützen sein, wenn sie nicht jeder
Frau kleidsarn sei?
Doch das sei alles ZukunftsmitteL
Vorläufig müsse der Künstler feine
Kräfte denjenigen widmen, die sich ihrem
eigenen Geschmack, ihrer eigenen Erfin
dung gemäß kleiden wollen. Die Ein- »
mischung der Künstler werde wahrschein
lich nur vorübergehend sein, »denn die
Frau hat gewöhnlich genug Erfindungs
gabe und Hilfsmittel in sich, um unsere
Hilfe entbehren zu lönnen.« Die Mit
wirkung der Künstler wird dann nur
noch für die Ornamente vonnöthsn sein,
womit die Frau die Stoffe, die sie selbst
geschnitten und genäht hat, zieren soll.
Wenn sie dann ihre von ihr selbst erfun
denen Kleider allen Anfeindungen gegen
über mit Ausdauer trägt, wird sie sich
überzeugen, daß ihr Wunsch nicht nur
eine Laune der Phantasie war, sondern
eine Edolution zu einem besseren Leben«
Wenn ihr Vorgehen Früchte trägt, wird
die Mode ihre Herrschaft einbüßen.
Dann wird die Frau ihr Kleid ani Ende
der Saison nicht mehr für immer abzu
legen brauchen, weil sie es in der nächsten
Saison nicht mehr tragen darf. Schon
die Mühe, die sie sich gegeben hat« wiri
eine längere Dauer für das Kleid recht
fertigen. Daß es so komme, sei sekn leb
hafier Wunsch.
—- -——.k-------— -——
Der Lehrer in Ostelbien.
Es war mit zwanzig Jahren,
Da kam er aufs Dorf hinaus,
Der Graf kam selbst gefahren
Und zeigte ihm das Haus
Und sprach: »Das Dach hat Schwen«
Doch unbeträchtlich nur,
Und ich befehl’ in Gnaden
Demnächst eine Reparatur.«
Der Lehrer kam ins Alter«
Wo man sich wählt die Frau —
Des Grafen Schloßberwalter
Lud sich als Gast zur Trau’:
»Ihr Leute, Erlaucht schicken
Euch Gruß und dieses Wort:
Wir lassen sicher flicken
Die Regenlöcher sofort.«
Die Zeiten gingen. Der Lehren
Der wurde siebzig Jahr,
Es brachten ihm Verehrer
Ein Schwein und ein Ständchen tat.
Der Gras sogar —- mit Vieren
Fuhr diesen Tag er her —
Kam selbst zum Gratularen
Und huldvoll sagte er:
Ei! Ei! Was ich da schaue:
Das Haus ist schlecht gedacht ——
Na, wenn ich selbst mal baue,
Wird es gleich mitgemacht.«
Der Lehrer kam zum Sterben,
Die Töchter seufzten schwer,
Gab es auch nichts zu erben,
Sie liebten den Vater so sehr.
Dann hat man ihn eingesegnet,
Dann schloß man den Todtenschrein - -
Der Todte lächelt. Hierregnet
Es endlich nicht mehr herein . . .
III Il- Il
Bettler - Frechheit.
Hausfrau: »Sie kommen zu oft, lie
ber Mann, ich kann Ihnen nicht jedes
Mal etwas geben!«
Bettler: »Na, liebe Frau, dan
abonniren Sie sich doch bei mir: wenn
Sie mir fiir fünf Mark eine Karte ab
laufen, dann belästige ich Sie das ganze
Jahr nicht wieder!«
Stimmt.
»Wie ist denn die Marie zu dem
Luftschifser gekorninen2«
»Sie hat eine Ballonfahrt mit ihm
gemacht, und bei dieser Gelegenheit hat
er ihr seine Hand angeboten.«
»Er hat also ihr Herz im Fluge
erobert.«
J h r S t o l z
Frau A.: ,,Wen halten Sie für den
größten Erfinder der Neuzeit2«
Frau B.: »Meinen Mann!«
Frau A.: »Ich wüßte nicht, daß Jhr
Mann etwas Bedentendes erfunden
hätte?«
Frau B.: »Na, Sie sollten maldte
Gründe hören, wenn er morgens nnr
Fünf nach Hause kommt!«