Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 03, 1900, Sonntags-Blatt, Image 14

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    IWM
Jn gefährlicher Mission. »
Erzählung von Henrs Berman und Klaas Vieh-ich.
(5. Fortsetzung-)
Es war mir bekannt, daß die Zim
mer in den oberen Stockwerten des
haufes fiir den bescheidenen Preis oon
täglich einer Krone oder wöchentlich
fünf Kronen vermiethet wurden, uno
fo wandte ich mich denn nach dem
Schenltifch, wo ein leckes junges Mäd
chen, die Tochter des Wirth-T die Gäste
bediente.
Auf meine Frage, ob ich ein Himmel
bekommen könnte, antwortete ie mit
der Gegenfrage: Blos für diese Nacht,
oder für eine Woche?"
»Das weiß ich noch nicht,« antwor
tete ich, »aber jedenfalls will ich das
Zimmer, wenn es mir gefällt, auf eine
Woche feft nehmen«
»Schön, dann kommen Sie mit her
auf. Große Wahl haben Sie nicht —
es ist beinahe alles befetzt.«
Sie führte mich nach- oben und drei
Treppen hoch nach einem etwa zehn
Schritt langen Seitencorridor, an def
fen Ende sie eine Thür öffnete. Das
Zimmer war hell genug, denn die
Abendsonne strömte durch das kleine
Fenster, welches nach Westen lag. Die
vier Wände einfach weiß getüncht· Ein-.
kleine. eiferne Bettftelle, die Betiwäfche
grob aber rein, ein Wald-ständen zwei
Stiihle Und ein kleiner Tisch —- nicht
viel, aber es schien ganz sauber zu fein,
obgleich die Gardinen und der kleine
Teppich schon von ehrwürdigem Alter
und mit zahlreichen Löchern behaftet
waren. Jch trat wieder auf den Cor
ridor hinaus und fah mich dort um.
Feine andere Thiir jiihrte aiif benig
Ucuo OlcscI Lccluk F’·)Illlll!cc WIL( UHU
den Vertheil, daß man mich in dem
selben nicht belauschen konnte, wenn
gleich ich auch meinerseits in demselben
nichts hören und beobachten würde,
was in den anderen geschah
Schadet nichts, sagte ich zu mir sel
ber, es wird jeden Argwohn einschlä
sern, wenn ich das mir zuerst gezeigte
Zimmer ohne weiteres annehme.
»Schön, mein liebes Kind,« sagte ich
laut, »ich nehme das Zimmer.«
Sie streckte ihre Hand aus mit der tur
zen Forderung: -
»Das Geld —- siins Kronen.«
Lächelnd erfüllte ich diese vorsichtige
Bedingung und wurde dadurch der Ei
genthümer des Zimmer-s aus sieben
Tege.
»Also mein braver Freund, der Po
lizeihauptmann ist auch schon hier,'«
dachte ich bei mir selber. »Nun, wirj
irerden ja sehen, wer von uns beidenl
am weitesten tomrnt.«
Jn beinahe allen Theilen der Weltl
nnd allen größeren Städten besitze ich
Bekannte und Corresponden, die sich
nicht in amtlicher Eigenschaft befinden
und mir deshalb ersorderlichenfalls für
solche Zwecke, wie ich sie jetzt verfolgte,
nüdlich werden konnten.
An demselben Abend setzte ich mich
daher an die Arbeit und schrieb Brief-.
nach Paris, nach Berlin, nach Wien,
nach London, München, Rom, Florenz,
Neapel, Madrid, Oporto, New York,
Algier, Constantinopel und noch so
vielen anderen entfernten Orten als
nur mglich, erössete eine turze Cor
respondenz und ersuchte sie, mir schleu
nigst eine Antwort unter meinem der
zeitigen Namen Hans Hausen und an
meine jetzige Adresse nach diesem tlei
nen Wirthshaus zu senden. Meine
Freunde nnd meine Correspondenten
wußtenBescheid und würden unverzüg
lich meiner Aufforderung entsprechen,
ganz ebenso wie sie in gleichem Fall aus
prompte Erfüllung solcher Bitte mei
nerseits gerechnet hätten
Jch blieb den Abend und die Nacht
- » iiber auf meinem Zimmer, ohne mit
irgend Jemand ein Wort zu wechseln.
Am folgenden Morgen ließ ich mir
mein Frähstiick und die Morgenzeitun
gen gteichsalls nach oben bringen und
verbrachte dann den ganzen Tag, mit
Oriesschreiben beschäftigt, in meinem
immer. Gegen 9 Uhr Abends gan
erst aus, nachdem ich alle meine;
Sachen in meiner Reisetasche verschlos- »
sen batte, die mit einem diebessichern s
Brabrnaschloß versehen war. Beim!
Fortgehen verfolgte ich gleichfalls mei-» i
ne bisherige Taktik. Jch ging durch?
das Gastzimmer, ohne irgend Jemand
auch nur einen Blick zu schenken« die «
Krempe meines Hutes tief ins Gesicht »
gezogen und meine Hände in den Ta- l
n.
Unterwegs fteckte ich eine große Men- ·
ge von Briefen in den Kasten, begeg-;
nete dann meinm Faltotum, welches
ohne ein Zeichen zu machen oder von (
mir zu erhalten an n.ir vorüber gingt
machte dann zu meiner Erholung einen I
längeren Spaziergang am Sande, die«
Enge Linie auf- und abwandernd, bis 4
ich gegen elf Uhr wieder nach der ;
Mir zurückkehrte wo ich mich un- ;
verzeing in mein Zimmer begab und »
die Thin hinter mir abfchloß. Diesel
Taktik verfolgte ich wohl eine Woche »
« lang nnd bemerkte, daß ich dadurch die I
Iediaife Neugier wenigstens des Wir
tses nnd feiner Tochter erregte.
« Segen Ende der Woche begannen
siter von Briefen aus allen Theilen
J »We« fiik mich onst-langem nnd das ·
ists wurde die Neugierde, die man.
itber meine Persönlichkeit empfand, of
fenbar noch gesteigert.
Jn demselben Stockwerk wie ich,aber I
in einem anderen Corridor, der nach
der Straßenseite führte —- ich wohnte
nach dem Hof heraus —- hatte ich
mehrmals zwei Männer bemerkt, gro
ße, schlanke, junge Leute mit ziemlich
langem Haar und offenbar den besseren
Ständen angebörig. Jhre schwarzen
Bärte waren wohl gepflegt und ihre
neißen Hände und schön geformten
Nägel zeugten von ihrer guten gesell
schaftlichen Stellung. Jhr Anzug war
jedoch ärmlich, beinahe zerlumpt, und
in ihrem Gesichtsausdruck zeigte sich ein
Anflug ängstlicher Unsicherheit, der
mir deutlich verrieth. daß sie in bestän
diger Sorge um ihre Sicherheit lebten.
Dieser eigenthiimliche erschreckte Aus
druck bei der ersten Begegnung mit ei
nem anderen Menschen ist das untriig
liche Kennzeichen eines modernen Ver
schwörers. Er empfindet eine instink
tive Angst vor Fremden und vermag
dieselbe nicht völlig zu verbergen, so
kaltbliitig und muthig er sonst auch
sein mag. Einmal holte ich mir Wasser
aus der Leitung aus dem Treppenflur
und kam dabei an einem dieser jungen
Herren vorüber-, der in seiner offenen
Thür stand. Absichtlich begrüßte ich
ihn stumm mit einem turzen Kopf
nieken, wie einen Genossen oder Be
kunnten. Der junge Mann blickte mich
etwas erstaunt an, erwiderte meine-i
Gruß gleichfalls durch ein kurzes Zu
nicken, und ich ging weiter. Nicht ein
einziges Wort wurde dabei zwischen
uns gewechselt. Als am folgenden
Morgen die kleine Judin mir meine
Briefe. einen ganzen Haufen, vor mei
nem« Frühstück brachte, fragte sie neu
gierig:
»Sie bekommen aber jeden Tag eine
Masse Briefe, here hanfen?«
»So?« erwiderte ich, ohne mich nach
ihr umzuwenden.
»Ja freilich und die Leute wundern
sich schon, weshalb Sie eine solche
Menge bekommen-«
»So, man wundert sich,« wiederholte
ich und öffnete einen Brief, ihr noch
immer den Rücken zutehrend. Justini
tiv fühlte ich. daß sie mir behutsam
näher kam, um über meine Schulter ei
nen Blick auf den offenen Brief zu
werfen, den ich in der band hielt, und
sr wandte ich mich kurz um und sagte
so rauh und heftig, wie es mir nur ir
gend möglich war:
»Eins müssen Sie sich ein für alle
mal merken, mein Kind. Sie würden
tlug daran thun, sich nur um Jbre ei
genen Angelegenheiten zu kümmern
und nicht etwa Ihre Nase in die mei
nen stecken zu wollen. Darüber müssen
Sie sich ganz klar werden« Junge
Mädchen follten nur für ihre Verehrer
Augen und Ohren haben —- für Nie
manden sonst. Guten Morgen.«
Sie rief entrüstet: »Was wollen Sie
eigentlich? Jch habe Ihnen doch nichts
gethan!« und warf den Kopf entrüstet
in den Nacken zurück und verließ das
Zimmer, die Thiir laut hinter sich zu
fchlagend
Soweit bewährie sich mein Plan
aufs beste. Offenbar hielt man mich
. für einen maßgebenden Führer der Ni
» hilisten in wichtiger geheimer Mission
’ Der Argwohn, raß ich hier Jemanoem
’ nachspionieren wollte, konnte ihnen tei
« nen Augenblick kommen, da ich mich ia
um Niemanden hetümmerte, nach Nie
» manden fragte, Niemandem einen Blick
fchenkte,- mit Riemandem sprach und
auch auf nichts hinhötte, was die übri
gen redeten. Ein Mann, der sich ängst
lich den ganzen Tag in feinem Zimmer
eingeschlossen hielt, noch dazu einem
Zimmer, welches von den übrigen Räu
men des Hauses völlig abgesondert lag,
ein Mann, der nur am späten Abend
ausging und dann mit Niemandem zu
sprechen.Niemanden auszulachen schien,
der dafür aber zahllose Briefe aus al
lei: Theile der Welt erhielt, mußte so
gar in dieFemSchlupswiniel lichtscheuer
Berfchwörer als auffällige Merkwür
digkeit erscheinen.
An dem ersten Tage meiner zweiten
Woche begegnete ich wieder einem der
beiden jungen Leute, als ich mir Wasser
holte. Jch bemerkte, daß er diesmal
die Thüre seines Zimmers öffnete, so
bald er meine Schritte hörte. Jm
Vorbeigehen wars ich einen hastigen
Blick in das Zimmer und sah seinen
Gefährten an dem Tisch in der Mitte
des Raumek mit noch Jemandern sitzen,
der aus mich den Eindruck machte, als
ob ich ihn schon früher gesehen hätte.
Dieser dritte Mann war von kleinerer
Gestalt als seine Freunde und sah weit
mehr wie ein Däne als wie ein Russe
oder Pole aus. Er war hellblond, mit
einem starken Bart, und ähnelte irgend
einer mir betanntenPersiinlichleit ganz
auffällig Aber ich konnte mich nicht
daraus besinnen, wem er ähnlich sei.
Natürlich sah ich ihn nur sliichtig und
ist-vollkommen und machte auch nicht
eirmal den Versuch, einen zweiten
Blick aus ihn zu werfen, sondern ging
direct nach meiner Ecke, holte mir mein
Wasser-. riißte ebenso wie bei der stü
heren Oe enheit kurz durch ein Raps
nicken und ging stumm nach meinem
immer zurück. Dort angelangt, zer
marterte ich mein Gehirn darüber, wer
wohl diese dritte Person sein könnte.
dessen Gesicht mir so bekannt vorkam,
aber ich fand es durchaus unmöglich
mich irgendwie zu erinnern. So lehrl
ich mich auch bemühte, vermochte ich
diese Aehnlichkeit nirgends unterzu
bringen und gelangte schließlich zu der
Ueberzeugun , dasz es wohl nur eine
Cinbildung fein dürfte.
So verging denn auch fast noch die
weite Woche ohne weitere Ereignisse
nzwischen hatte ich zweimal mein
Faktotum zu Frau Mellard geschickt,
um ihr mitzutheilen. daß meine Rach
frsrschungen naturgemäß nur langsam
fortschritten, und dann auf ihre drin
gende Bitte um eine Unterredung, ihr i
zu erwidern, daß ich sie aufsuchen oders
ihr Nachricht senden würde, wo sie
mich treffen sollte, sobald es mir zweck
dienlich erschiene. Vorläufig erachtete
ich jedoch solche Begegnnng als hinder
lich, ja gefährlich für meine jetzigen
Nachforschungen
Allerdings beunruhigte mich der Ge
danke, die Polizei könnte vielleicht doch
gegen Frau Mellard sprechende oder io
schwerwiegende Jndizien ermitteln, daß
sie ohne weiteres gegen sie vorginge, be
ruhigte mich aber immer wieder durch
die Erwägung, daß sich das hauptsäch
lichste Beweissiiick sicher in meinen-.
Besitz befande.
Da, eines Vormittags gegen Ende
der zweiten Woche, fiel mir eine unge
trölfnliche Lebhafiigteit im Hause auf.
Selbst ohne meine Pimmerthiir zu öff
nen, konnte ich schwere Fußtritte die
Treppe herauftominen und nachher
wieder heruntergehen hören. Ich schrieb
schnell einen Brief und aina unter dem
Verwande, ihn durch die kleine Jüdin
icfort nach der Post bringen zu lassen.
nach unten indas Schentzimmen Aber .
dort sah ich nichts Außergewöhnliches, .
nicht einmal der als Matrose verlleidete ;
Polizist war anwesend ——— nur eine;
Frau mit einem Korbe und zwei un-!
beriennbar dänische Matrosen saßen in ;
der Schentstube. Aber als ich die »
Treppe wieder hinauf ging, kamen !
zwei völlig Fremde dieielbe herunter,
nnd ich mußte zur Seite treten, nm
sie vorbeizulassem Als ich oben an der (
Stelle anlangte, wo die beiden Catri
dore zusammentrafen, stand der eine
der beiden jungen Herren· die ich schon
mehrmals gesehen, mir ziemlich nahe,
mehrere Schritte von der Thür seines
Zimmers entfernt und an einer solchen
Stelle, daß ich ihn unmöglich übersehen
kennte Er blickte unverwandt nack«
mir hin und führte dann seine Hand
lengsam an seinen Bart mit einer Ge
berde oder einem Zeichen, dessen Bedeu
tuna mir leider unbekannt war. Ich
antwortete darauf mit einem der mir
bekannten nihilistiichen Zeichen, welches
bedeutete, höchste Vorsicht ist geboten.
Er mußte glauben, daß ich sein Zeichen
ebensowohl verstanden hätte. wie er
das meine verstand. Denn er blickte
mich unverwandt an, grüßte mich
stumm in derselben Weise wie bisher
durch ein iurzes Nielen und wandte sich
dann, als ich dies Nicken erwidert hatte,
kurz in sein Zimmer zurück.
Das Gehen und Kommen dauerte
den ganzen Tag. Jch ließ die Thüre
meines Zimmers etwas offen stehen,
lauschte sorgfältigen als ich es bisher
je gethan, und bemerkte, daß minde
stens sechs Fremde in weniger als einer
Stunde nach einander das Zimmer der
beiden jungen Leute aufsuchten. Offen
sbar mußte etwas wichtiges geschehen
ein.
Selbstverständlich war diese freiwil
liae Gefangenschaft in der kleinen-kam
mer dieses jämmerlichen Wirthshauses
keine Erholung und ftellte meine Ge
duld auf die bentbar schwerste Probe.
Jch war an ein abwechselungsreiches
Leben mit vieler Bewegung in frischer
Luft gewöhnt, und hier saß ich in ei
ner tleinenZelle eingesperrt, die schlim- ;
mer war als die eines Untersuchungs- «
aefangenen. Die Betöftigung war ge
radezu scheußlich. meist taum genieß
bar, und die verschiedenen übeln Düfte, ;
die aus dem Tabats- undBranntwein- -
dunft der Schentstube und dem ran.zi- Z
gen Fett der Küche zu mir emporstie
gen, machten mein Kämmerchen bei- s
nahe unwohnbar. Ader so oft ich an !
die thriinenfeuchten, stehenden Augen
von Frau Mellard dachte, fühlte ich
mich fähig, auch die schwersten Strapa
zen und Entbehrungen zu ertragen.
Als ich nach neun Uhr Abends meine
aewohnte Wanderung unternahm, cr
hielt ich von meinem Faktoturn das für
den Fall wichtiger Mittheilungen ber
abredete Zeichen, und als ich mich dann
mit ihm an dem vereinbartenOrte traf,
übergab er m" ein an demselben Tage
für mich ingelaufenes amtliches
Schreiben, w rin mir mitgetheilt wur
de, man hätte einen laiserlichen Diener
verhaftet, welcher eine Dessertschale auf
di Tafel des Zaren gese t hätte, in der
sich, wie nachher entde t wurde, meh
rere Schotoladenpralinees befanden,
die thatfüehlich winzige, aber höchst
wirksame Glaötorvedos enthielten. Die
weitere Untersuchung wäre noch nicht
abgeschlossen, bei dem augenfcheinlichen
Zusammenhanq zwischen diesem Vor
fall und der Mordthat in Kovenbaaen
sollte ich mit bschfiet Energie die in
meinem letzten Bericht angetündigten
Nachfrrfchungen fortsehem aber die
Berhaftunq so lange als möglich hin
ausschieben, um thunlich viel über die
Pläne und Mitschuldigen der Verbre
cher zu ermitteln.
«Schsn,« sa te ich zu mir, »meinem
Ziel bin«ich fest schon bedeutend nä
hrt. Aber dieses Gesindel wird mich
ttber den sauer schießen oder vergif
unwisan Nun, das schadet ni ts,
und,« dabei fühlte ich nach meinem
volver. .darauf verstehe ich rnich wie
iraend einer von ihnen, und ge gen Gift
werde ich sorgfältig aus meiner hut
sein. Jedenfalls werde ich Olga von
diesem schändlichem Verdacht reini en.
Fetit faate ich schon »Olga« statt »Frau
Mellard«.
, ten· wenn es auch nur das serinse
—
NeuntesCapiteL
Am nächsten Morgen begegnete ich
wieder dem jungen Herrn aus dem
Wege zur Wasserleitung. Er blickte
mich unverwandi gespannt forschend
und fragend an. aber ich beachtete diese
stumme Frage nicht im geringsten
sondern aing wortlos wie immer ais
ibm vorüber. Nachdem ich meine Waf
sertanne gefüllt, ging ich zurück, ohne
mich umzusehen oder auch nur in sein
Zimmer zu blicken, dessen Thür weit
offen stand, und war schon an ihm
vorüber. als er leise auf Russisch sagte;
»Haben Sie es geistier
Fch blieb stehen, wandte mich aber
nicht um, sondern antwortete ebenso
leise wie er selbe: auf Russische
»Fch habe es gehört. «
Daraus fraaie er in gleicher Weif:e
) »Was nun?«
» Fch erwiderte sehr kurz aus Ruf
siMkch
l »Nichts. Erfüllen Sie den Ihnen er
tbeilten Auftrag und lassen Sie mich
meine Aibeit thun. Wir haben jeder
unser besonderes Wert gemäß den uns
aewordenen Befehlen,« und ohne mich
umzuwende oder zittiictzublicken,
gina ich in mein Zimmer.
Danach überlegte ich bei mir selber,
tann er unmöglich argwöhnen, das; ich
irgend etwas von ihm oder seinen An
gelegenheiien in Erfahrung zu brin
aen wünsche. Er tann iiber mich nicht
—: KI--- t--— ----- «·-·-I-.1- --AL
Illp Essai-I LUllllllcU IUIU III-Aufsc- IIIIUIFE
elen. wer ich bin. Daß ich zu ihnen ge
höre und in irgend einer geheimen
Mission hier weile, davon ist er be
reits sest überzeugt. Daß ich ein Spton
sein könnte, st ibm noch nicht einmal
in den Sinn gekommen. Spione find
bemüht, die Bekanntschaft der von ih
nen Versoigten zu machen, und ich
habe ihn wiederholt mit scharfer Kürze
zurückgcwiesm Jeyt wird die Sache
sich schon weiter entwickeln.
Ich mußte. daß, wenn die Zeit des
Handelns siir mich kommen würde,
nicht geringe Gefahren mir drohten,
und begann deshalb mich umzusehen,
wie ich wohl meine Flucht beweristelli
gen könnte, wenn mir die Treppe ge
sperrt würde Mein kleines Fenster
ging aus ein schräges Dach hinai:s,
von dem man mit einem Sprung von
höchstens sechs bis sieben Fuß sich auf
das Dach des niedrigen Nachbarhauses
berunterlassen konnte. Das Dach oes
Nebenhauses war slach und von iizm
konnte man mittelst einer nicht fünf
zehn Fuß langen Regentrause aus den
großen, offenen Balion gelangen, wel
cher zu einer Tischlerweristatt im drit
ten Hause gehörte, vielfach von den Ar
beitern mit benutzt wurde und mir
sicherlich ein leichtes Entkommen durch
das Haus ans die Strasxe ermöglichen
würde.
Zu meiner weiterenSicherung kaufte
ich noch einen eisernen Riegel, den ich
an meiner Thiir anschraubte.
Dann überlegte ich, ob es sich nicht
empfehlen würde. die Karte des großen
Voniak zu benutzen, aber nach reifli
cher Erwägung entschied ich mich dage
gen. Benutzte ich die Karte, so würden
die Leute sosort an Voniak um nähere
Auskunft über mich schreiben, und
dann war mein Spiel in wenigen Ta
gen verloren, während ich mich so bei
ruhigem Abwarten des endlichen Er
solaes sast sicher siiblte.
Wenige Abende danach als ich, von
meinem gewöhnlichen Spaziergang zu
rücktehrend, nach meinem Zimmer hin
aufstieg, begegnete ich aut der Treppe
dem blonden iunaen Mann, den ich
damals in dem Zimmer der beiden jun
aen Leute gesehen hatte. Er trat bei
seite, um mich vorbeizulassen, und bei
dem Licht der Kerze, die er trug, und
der. mit der ich mir herausleuchtete,
konnte ich sehen, das-, sein Gesicht blaß
und abgemagert aussah. Damals, als
ich ihn das erste Mal gesehen hatte,
hatte er aber entschieden wohl, ja so
aar etwas start im Gesicht ausgeschm
Jetzt war er beinahe hohltoangig, und
die Augen hatten einen ängstlichen,
iurchtsamen Ausdruck. Als ich an ihm
vorüber war, hörte ich, wie er in ein
Zimmer des zweiten Stockwerles ging
und sich dort einschloß.
.Der Mann sah ja aus, als ob er
in der Zwischenzeit Schreckliches er
lebt hätte. halt, ich hab’s. Er hat die
Glaslcpseln nach Peiereburg gebracht
und ist nur mit Mühe und Noth der
Verhaftuna entgangen. Nun ist er zu
rückgekommen, um sich mit seinen
Freunden weiter zu berathen und ver
steckt zu halten. Da muß ich meine Au
aen weit offen halten. Wenn ich mich
nur daraus besinnen könnte, an wen
dieser Mensch mich erinnert!«
Als mir am folgenden Morgen die
Wirtbstochter mein Frühstück brachte,
- seaate sie:
- »Die herren aus Nummer els lassen
frage-, ob Sie ihnen vielleicht Jhr
Zimmer abtreten wolltetti«
Das waren die beiden jungen Leute«
.So?« erwiderte ich. «Weshalb
wünlchen sie denn mein Zimmer?«
»Sie mächten es site den anderen
Verrenkt-er gestern antam und der so
trank ist«
Habt Ihr denn sein anderes Zim
merk
«setvth mehrere Zimmer-. Aber fie
möchten dies Zimmer hier haben, weil
es nach dem hofe geht und Sonne bat
und still und ruhig ist. und da sagten
tie mir: Gehen Sie zu dem Herrn nnd
fragen Sie ihn, ob er es uns nicht
überlassen möchte, nnd Sie können ilzm
dafiir das Vorderzimmer neben unse
rem. Nummer ebn, geben, und ich
habe Batern ge ragt, und Vater faste.
ihm wäre es recht. Sie können das
Borderzimmer natürlich fiir denselben
Preis belommen, fiir fiinf Kronen die
Woche. Vater ift immer gern gefällig,
besonders weil die Herren fchon alte
Kunden von ihm sind.«
»Aber ich fithe mich hier ganz wohl
und behaglich,« erwiderte ich· »Ich habe
keine Lust. umzuziehen und sehe auch
leinen ausreichenden Anlaß dazu. Wa
rum nimmt der Fremde denn nicht das
Vorderzimmer?«
»Sie möchten aber dies Zimmer ha
ben.« lautete die Antwort, »weil es
sonniq und still ist, und der andere
Herr, wissen Sie ja, ist so traut, daß
er es aekn ftill haben möchte.«
Nach reiflicher Ueberlegung sagte ich
mir, daß sie dies Zimmer nur aus zwei
Giiinden wünschen könnten, einmal,
weil es so abgelegen war, daß Nie
mand beobachten konnte, was darin
vorgenommen wurde, und dann, weil
bei einem etwaigen Ueberfall seiten-S
der Polizei die Flucht iiber die Dächer
verhältnißmiißia leicht war.
»Ich werde mir dieSache überlegen,«
faale ich daher zu dem Mädchen, »und
Jksnen heute Abend Bescheid aeisien
Auf einen oder zwei Taae wird es wol-J
nicht ankommen. Heute ziehe icv lei
ten-falls aus.«
Ich tonnte mir nicht verhehlen, daß
ich. wenn ich das Zimmer neben den
beiden jungen Leuten nahm« dadurch
die Gefahr fiir mich persönlich und die
Schwierigkeit meines Enitommens er
lieblich ftetaerte. Andererseits war der
Vertheil, der mir daraus erwachs, daß
sie dies Zimmer zweifellos fiir geheime
Arbeiten benutzen und dann auch wohl
irgend welche Papiere und Cortespon
denzen hier aufbewahren würden, so
bedeutend, daß ich mich dahin entshied,
die größere Gefahr zu laufen.
An demselben Abend begab ich mich
cuf meinem Spaziergang zu einem gu
verläfsigen Schlosser, der in unseren
Diensten ftand, und brachte ihm den
ziemlich kunstvollen, offenbar noch im
vorigen Jahrhundert mit der Hand ge
tchmiebeten Schlüssel meines Zimmers.
Er nat-m einen sorgfältigen Wachs
abdruet davon und versprach mir ein
genaues Tuplitat zum folgenden
Abend fertig zu stellen.
Als mir am folgenden Morgen das
junge Mädchen das Frühstück brachte,
sagte ich: »Sie können den Herren sa
gen, das-, ich eigentlich dies Zimmer file
mich selber brauche, daß ich es ihnen
aber überlassen will, wenn sie mir ge
niågende Gründe dafür angeben tön
neu-«
»Na nu.«sagte das Mädchen erstaunt
und ging beraus. Einige Minuten
später tam sie mit einem Blatt zuriich
aus dem mit Bleistiit einige russische
Werte geschrieben waren, die gleichfalls
ein mir bekanntes Stichwort der Nil-i
listen deanbalts enthielten: Zu dring
lichen« geheim su baltenden Arbeiten
nothwendig.
»Schon gut,« antwortete ich dem
Mädchen. »sagen Sie dem herrn. er
möchte in zwanzigMinuten herauskom
men, und dann würde ich selber ihm
das Zimmer übergeben." ,
Jch suchte meine wenigen Verhung
ieiten zusammen und verschloß sie in
meiner Neisetasche. Nach Ablauf von
zwanzig Minuten tlovfte es an die
Thür, und auf mein »Herein" trat der
blonde junge Mann in das Zimmer.
Es war etwas so unverkennbar Dö
nisches in seinem ganzen Aussehen, in
siiner Gestalt wie in seinen Gesichtsw
aen, die mich so wunderbar an eine mir
ketcnnte Persönlichkeit erinnerten, auf
die ich mich jedoch nicht besinnen konnte.
daß ich beschloß, ibn auf Dänifch anzu
reden.
»Es freut mich, Ihnen aefälli sein
zu können. Allerdings brauchte i dies
Zimmer selber. aber da Sie es für ei
nen augenscheinlich noch dringenderen
Zweck benötliigen, überlasse ich es Ih
nen.«
Er blickte mich einige Secunden lang
forschend an und antwortete dann im
reinsten Dänisch, fo daß mir über seine
Nationalität kein Zweifel mehr blieb:
»Ich bin Ihnen lehr oerbunden.«
erhob mich mit den Worten:
»Hier ist der Schlüssel. Einen Riegel
habe ich auch angebracht. Sie werben
ihn nützlich fiiiden."
Er nie-te mit einem turzenDant und
» nalyin ben Schlussel.
Jch ergriff meine Reiletalche und
gin auf die Thiir zu. Aber dann, fest
ent chlofien, einen iiilincn Sprung ins
Duntle zu wagen, wandte ich mich turz
um und sagte wie beiläufig:
«Eigei.tlich war es dkch recht thiiricht
und unbedacht von Ihnen. Sie hätten
diese Kapseln Niemanbein anvertrauen
dürfen, der nicht zu uns gehörte-«
Er blickte mich änaftlich an und ant
wortete dann mir beileiern Flüstern:
. «Wenn sie auch nicht Zu uns gehörte,
fkand sie mir doch so nahe. daß ich ihr
unbedingt vertrauen zu können
glaubte.«
«Sie hätten iie ater Niemandem an
vertrauen Mitten-« izcht ich fort, unge
mein befriedigt- dafz ich tie rechte S ur
gefunden hatte. »an alleiwenig ten
aber einem weiblichen Wesen.«
«Sie baben»recht.« antwortete er, »ich
bätte sie ier nicht anvertrauen dürfen.«
»Sie hatten doch willen miifsen daß
Sie dadurch dai»Leben Ihrer Geno en
» und, was noch wichtiger ift. das Oe n
en nnIeres Unternehmens aqu Spiel
estem
’ .Ach,' seuszte er. .ds·aran« hatteich
nicht gedacht. Run. es wird nicht wieder
ovetornnten.« »
»Rosen Sie das nachite Mal weiser
und vorsichtiger iein,« entgegnete
ebenso leise wie er und verkreß das
Zimmer. « «
»Dis« ist also der Kerl. der dte pai
lenmatchinen machtes( sagte ich zu mir
selber, »und er aab sie einer Dame,
aber welcher von beiden —- Frau Mel
laro ooer Fel. Johanieni«
Die Spur wurde iest immer klarer.
Das Netz des Geheimnisses war sehr
fein gewoben, aber die Faden, welche
nach oem Centrum fuhrten, waren jetzt
in meiner Hanf-, »
Mein neues Zimmer war großer
und bequemer eingerichtet alb« das von
mir vertassenr. Es ging auf-die Straße
hinaus und bot daher wenigstens et
was Abwechseluna, aber anders alt
uber die Treppe tvnnte ch bei drohender
Gefahr aus diesem Zimmer nacht ent
iommen.
Schon nach kurzer Zeit überzeugte
ich Irr-eh daß man alles hören konnte,
was im Nebenzitnmer vorging, und
daß meine Nachbarn auch in lemer
Weise darauf bedacht waren, irgend et
was von mir geheim zu halten. Davon
rannte ich also über eugt sein, daß ir
gend etwas des Au spürens Werthei
im Neben immer nicht vor sich gehen
würde, ra ich vielmehr meine ganze
Aufmerksamkeit aus das bisher von
mir knabberte Zimmer zu richten hätte
Darin wurde ich noch durch den
Umstand bestärkt, daß sie während des
ganzen Tages Geaenstände aus den
Bordcrzimmer nach dem kleinen Hin
terzimmer trugen und iedesmat, so oik
sie hinausgisaem die Tbiir sorgfältig
verschlossen. So verging der Tag. Ge
aen 9 Uhr Abends verließ ich aus nur
wenige Minuten das haus, um mit
meinen Nachschliiisel zu holen, verzieh
lklc Okck auf Mclltcil gkwscllhcll Spa
ziergang, damit mir nichts von Wich
tigkeit entainge. Etwas vor zehn Uh
lehrte ich zurück und bemerkte, daß sie
mit ihren Arbeiten fertig zu sein schie
nen. Weniattens hörte ich, wie sie sick
die hände wuschen und beha lich mit
einander plauderten, als ob te sich vor
einer schwierigen Arbeit erholten. Da
bei fiel mit auf, daß der dritte. der
blonde junge Mann, sich nur mühsam
und fehlerhaft aut Nussisch verständi
gen tonnte. Jm Laute derUnterhaltune
hörte ich auch mit großer Befriedixxaung
die Bemerkung des einen iungen us
sen: »Wir sind hier vor Beobachtung
ganz sicher. Wegenunseres Nach-Hart
tauchen wir uns nicht im Geringften
zu sorgen. Er ist augenscheinlich is
wichtiger, geheimer Mission hier, unt
wenn mich nicht alles täuscht, gehört et
einem der höheren Grade an.«
»Ja· von ihm brauchen wir teine
Störungz besorgen. Er wünscht le
tiigli in uhe gelassen zu werden
Und onst wohnt Niemand in dieser
Einge. Auf den Wirth können wir unt
unbedingt verlassen.«
Bald darauf verliehen tie das Zim
mer und gingen nach unten jetzt ohnt
die Thiir des Zimmerit hinter sich zu
verschließen Sie hatten also alles her
aus evracht, was iraendwie von Jn
tere e fein konnte. Ich wartete weis
zehnMinuten lang, ehe ich irgend etwas
unternahm, dann öffnete ich meine
Thiir und blickte hinaus. Die eine
Treppe stieg ich vorsichtig hinunter«
ohne jedoch irgend Jemand zu gehen
ode: zu hören. Unten im Schon zim
mer war aber solch ein Lärm wie im
mer, urv so kehrte ich denn behutsam
nach meinem Zimmer zurück.
»Jc Icpcc Ulc," Isglc las ZU Mit Isl
der. » s hat gar teinen Zweck, noch
mehe Tage oder Wochen zudergeudein
» eyt ist die Getegenbeit so aunitig, wie
ie vielleicht nie wieder kommt. Alle
Drei gleigzeitiq fort, und alle ihre
wichtigen achen in dem einen Zimmer
zusammen-«
. zog- irieinen Ueberrock an, feste
den Iut aus und untersuchte meinen
Revoider. Meine Reiietaiche enthielt
nichts außer ein-as Wäsche und Bruch
stücken bedeutungsiaier Briefe. Die lieI
ich ruhig zurück. Dann naan ich inei
nen Nachschiiiss heraus« schlich aus dis
Treppe und la chte gespannt Nir
gends ein Laut außer dein Lärm der
Schaulstube vernehnibar. Jch ichlics
aiio nach der Thiir meines früheren
statuiert-, klopfte leile an. dann aili
eine Erwideruna von innen erfolgte.
noch einmal lauter und schloß dann di
Thiir auf. Ich trat in das Zimmer,
verschloß die Tbür wieder von innen
und choblleur Frößeren Sicherheit auch
noch den iege vor. Freilich, wenn
man mich überraschte, nützte mir Lag
nicht viel, denn einige iciiitiae Fiißiritte
eniigten, die Thiir einzubreiten Dann
Falte ich meine kleine Blendlaterne her
vor und leuchtete sorgsam im Zimmer
umher. Aqu einem Tit befand sich ein
chemischer Apparat im leinen, ein Di
minutiv-holztohlenoien. Listrobre und
alles, was für die Glaxbläierei irgend
nothwendig war. Jetzt war mir alles
tlar. Hier wurden aiio die höllischen
Kapieln iabriciri. Da iaii ich auch ans
dem Tisch mehrere iarie Glas-tödten,
dünner als das ieinite Seidenpavier,
aus denen sie dieie Mordinsiiuniente
herstellten. JawolzL auch von diesen lag
nsohl ein halbes Dutzend auf dein Tisch·
Eine nahm ich auf: die dünne Scheide
wand war bereits-s Engel-leiten aber die
Enden noch-nicht zuqeichinoizen
»Nun die Papierr. Ich habe teineZeit
zu verlieren,« sagte ich in mir leider.
Garlsehung soigU
Es iii erstaunl· , d· so vielen
Menschen die Miit-Inn citstziiyinpatliisels
sind. da viele doch triecheru