Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 29, 1900, Sonntags-Blatt, Image 11

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    Schuhr genug, Mister Edithor, se sin
fort. Die letzte Minnit hot mich mei
altes Kameel erscht gesagt, daß er gehn
debi, bisohr das hot er nit das Herz
gehabt ehbes zu sage; aioioer Sie hätte
s emol sei Fehs sehn solle, wie ich gar
nit e bische aktictt hen. Wei er war
bassz Awwet wisse Se, sell hen ich
mit die Missus Wedesweiler den Weg
aus-gemacht gehabt. Er hot sich ade
z sahst daß er mich hat surpreise gewollt,
J awwer ich weiß es besser; so en alter
, Schlohpoht dentt mehbie, er könnt mich
fuhlex awiver ich sin nit so iesig. So
bald wie se fort ware, do is der Karlie
komme, mein verheirather Bub, juh
noh, un mit den hen ich dann alles iw- -
»wergetahtt. Wisse Se. er hot doch das »
Bißnes ronne solle, solang ich un dies
Wedesweilern sort ware. Er bot ge
sagt: »Ma, das is grad die Tschehns
wo ich drusf warte. Jch gleiche gern en
Schapp zu duhn, wo nit so hart ig.
Ich hätt schon längst das Biszneß im
tvernemnie tönne, awwer Jhr seid ja
so stinschie un könnt nit genug kriege.
Bei Galle, wann ich emol so alt fin»
wie Jhr un fin so gut abb, dann sags
ich zu meine Kids, hier Kids, Jhr
könnt das Bißnes hatvwe, mir hen ge
nug, awwer Jht loßt eim warte, bis
mer so alt is, daß mer an nickå mehr
Freud het. Das fin so die Eidies von
die alte Kontrir. wo all die Dotschniäns
« ner her tomine.« Do hätte Se mich;
, awwer emol höre solle! Du Lausbub, .
z-- du verdollter, hen ich gesagt, sag nochJ
f« einmal Dotschmänner, dann schlapp ich
F dei Fehs for dich, daß du denkst, der
k Mulin wär uff dicherunner gefalle. Wo
wärst du dann, wann dein Pa un dei
Mo nit aus die alte Kontrie komme
wäre un verstanne hätte. wie mer das
p- Geld beisamme hält; du könntst beut
: nrch bei uns sein, awwer es war dich
s nit mehr gut genug daheim, du holt
", dich verheiratlie müsse; jetzt hoste aw
wef dei Glück gemacht, wie en Ochs der
glitfchL Der Karlie sagt, Ma, du
i mcchlt mich siclx du host dich doch viel
srikber verheirath wie ich un dabei bist
du« noch so dumm gewese, en Mann zu
heirathe, wo gar nicks gehabt hot; mei
Frau die hot sich wenigstens en Mann
« kriegt, wo emol ebbes schönes von seine
alte Leit zu ectspeclte hot, sieb? Weil
ich hen mich nit mehr mit dem Laus
bub seite gewollt un do hen ich gesagt
.,Karlie, ich un die Missus Wedeswei
ler, mir wer’n wenigstens acht Woche
, irrt sein un in die ganze Zeit mußt
- du de Salulin un auch das Hahlbiß
neß ronne. Gurt aus, daß dich keiner
tichiete dubt un laß knich die Tofss
draus, sonst werd der ganze Platz ge
speult un mer kriege dann kein diesente
Mcnn mer in das Bißnes. Geh auch e
it wenig tehrfull mit den Geld um, mach
keine große Erlspenzes un am aller
beste. dubst du mit dei Fämillie in un
ser Haus muhie, bitalis es wär doch
zu viel Butter, traun du jeden Dag so
weit zu gehn hätt’it un bieteids das-»
deine Frau tonn dick. dann auch besier
e wenig helfe; es is immer besser, wann
vier Auge gucke, als wie nor zwei«
Das bot den Karlie auch ganz gut ein
geleuckit un die Sach war also aeiettelL
Die Missus Wedeswciler un ich mir
lieu ietzt reiteweg gestart unsere Pries
perehschens zu mactje un do ben mer
alle beide ausgesunne, daß keins von
Uns auch nur das allergeringite anzu
ziehe gehabt hot. Mer kann doch in
eme Rat-per nit nach die Worldsfehr
gehn. So en Mann, der schluppt in
- let Pehntieö, zieht sei West un sei Its-It
an un setzte owwe druii en Hut un
zeitig is er. Awwer e Lehdiet O mei,
o sm so viele Ahrtilels, wo en Mann
-« gar nit dran denke duht un auch nit
e geringste Verftebltemich von hat«
Jch will mich in diesen Brief nit weiter
« tiwwer verbreite, was e Lehdie alles-;
hcn muß« bilahs das is so kein inter-— ;
- essente Letestofs, awwer mer lann doch
net mirs-us dadu. Die Zeit is auch zui
h kcrz gewese, daß mer noch alles hättet
« , gemacht lönne kriege un do ben ich ei
Weiße Eidte gehabt, wo uns aus alle .
;- rubel geholie hot. Mir tin hin gange I
un tin in en Stohr, wo mer alles ret- :
timebt tause kann. Ei tell fuh, do hen i
ich mich e Subtche kriegt, sell ii e»
» ietsch gewele un gefitt hot’s, wie e
liper an die Wahl. Auch alle an
. Im Stoss hen mer uns krtegt7· die
«. Muße Starkth den ich mich getäckelt.
W Se, von die sehnzte wenns. Jch
Why wann der Phil die sieht,
«- gmt geht er krehsig. Die Wedeiwets
ern bot lich auch gehörig ins Blei ge
ist«-i it- sisss sue-urte
sI c cml . ’ U
Dieb«-ist« w tle Se von dte artg stei
lische mit e ganze Lohd Schissahn dran.
Es hot en ganze Peil Geld gekost, aw
wer was aeb ich drum. Wisse Se, die
Wedesweilern hot noch besser geaslqld
die is auch e gutes Diel jünger wie ich
un do is es iesig schön zu gucke, Wie
met uns so us gefickst gehabt hatte, do
sagt die MissusWedesweiley mit sollte
uns besser en Dickscheneetie kriege, vi
tahs met delfte doch von die französi
che Lengwit ch gar nicks unneestehn.
ell is e gute Eidie, hen ich gesagt; un
dann hen met uns so e Buch kriegt; ich
hen emol eneigeguckt, awwet es is mich
alles spanisch vorkomme. Es is enni
hau e sonnige Lengwitsch Soviel hen
ich schon ausgesunne, wann mer Bier
hen will, muß mer Biere sage un wann
mer Dorscht hot dann sagt mer soig
awwer ich dente, sell is en Wißt-oh e
soll schuhr san heiße. Well ich glaube,
mir wer’n schon zurecht komme, mir
sin jo nit von heit Un auch nit von
gestern, sonst wäre mer morge drei Dag
alt. Bieseids daß kenne mer doch deits·1)
un die Missug Wedesweiler kann auch
Plattdeitsch schnahle un wer plattdeitfch
lcnn, der kommt durch die ganze Welt.
Mer hen noch e wenig Ttubel gehabt
mit unsere Ticketsz wisse Se, mer hen
doch Niemand etwas von sage wolle,
wo mer hin gehn un der Mann in oie
Ticlet-Ofsis wollt uns dotchin un
dkichaus keine Tickets gewwe, befohr
dasi mer ihn sage dehte wohin mer
wollte. Mer hen e ganze Weil ernm
qeseit, awwer zuletzt hen mer doch bei
acwwe un hen ihn unsere Destinehschen
gesagt. Jch hen zu ihn gesproche, daß
er unner leine Zirkumstenzes Jemand
ebbes sage sollt, wohin mit gehn dehte. »
Do hot der unverschämte Mensch ge- »
sagt, do sollt ich mich nor nit drum »
worein er hätt viel zu thun, wann er
tson alle alte Weiwet Träct halte wollt.
Ich denke, das is ziemlich grob gewese.
aktiver, so en Feller tann mich gar nit«
insolte, der is viel zu wenig sor mich. j
Heit Obend gehn mer sort un ich will s
alles versuche, das Sie meine Brief-: in !
Zeit kriege Wann emol einer angäll
» bleiwe sollt, dann tahle Se nor an
mein Aas-lieu der tann Jhne dann alles ;
soge. Mit beste Riegahrds »
Juhrs trulie
Lizzie hansstengeL
Thriinen.
Von Gertrud TriepeL
O zürne nicht den Thränem
Sie slie en unbewußt-;
Komm, asz mich stille weinen
Und ruhn an deiner Brust.
Verscheuch die Unmuthssalte,
Die dir im Antlitz thront:
Ich bin ja nur der Liebe
etzt noch so ungewohnt;
Und streichen deine Hände
Mir leis das wirke Haar.
Dann zieht’s durch meine Seele
So heis. jo fouderbau
alb Wonne ins und Freude,
ie mich so weich gestimmt-,
alb Ba en. daß der Janer
in jähe-z 6nde nimmt·
e’(et1 war vom Glück des Lebens
Dis-der ja stets hervortrit
Zab nie der Liebe Sorgen,
hr zartes Thnn gekannt
Dturn fließen mir die Thräncn
Bei jedem warmen Wort ---—
O lonnn und laß sie rinnen
Und küsz sie leise fort.
W
Jhr Siebentes.
Erzählung von El. Rast.
Es war ein blasser Septembernach
! mittag hoch oben in Litauen, am
» Strande der Ostsee.
Aguze Szagun stand am Fenster der
Fifclxrhiitte, umflossen von dem unge
wissen Lichte dieses trüben Tages, nnd
starrte über den emporwirbelnden Dü
nensand hinweg auf das Meer hineing·
- Fünf Tage lang tobte nun schon das
Unwetter und wie es schien, war seine
Kraft nach lange nicht gebrochen. Agnze
dachte daran, daß vor dieser Zeit zwölf
« Boote zum Fischfang in See gegangen
waren, an einem sonnenhellen, frischen
Morgen, und daß von allsdiesen Boo-»
ten nicht eins so wiedergetehrt war, wie «
esI hinausgegangen Vom Sturme
draußen überrascht, waren ihre festge
fijgten Leiber zerschlagen, die Mast
baume geknickt worden und trieben
dnnn ftiictweise dein heimisch-en Strand
zu. Und dieselben Woan trugen auch
die Besayunq der Boote heran, die wet- ;
I tetbarten Greise, die traftftrotzendan
Männer nnd blühenden Jünglinge.
Alle, alle kamen sie zurück, der Eine et
was friiher als der Andere, aber Alle
gleich starr, gleich kalt.
Endril Szagun war unter den Er
ften gewesen, die so landeten. Wie er·
so vor Agnze aus dem feuchten Sande :
gelegen hatte, in seiner ganzen Größe, .
die Brauen zornig gerunzelt, die Lip
pen in finstereni Trotz zornig aufeinan
tsergepreßt, die Hände fest geballt, als
ob er erst nach derzweifeltern Ringen in
diesem ungleichen Kampfe unterlegen
wäre, da fühlte sie, daß in ihrem Leben
eine Lücke entstanden war, die durch
nichts ausgefüllt werden konnte. Sie
weinte und schrie nicht, wie die anderen
Frauen, still lauerte sie neben dem Tod
ten nieder, dessen blasses Gesicht sie an
ihrer Brust barg-, nnd der kurze Blick,
mit dern sie das heftig tobende Meer
streifte, war haßerfiillt und schien zu
grasen »Warum hast Du mir das ge
rn «
Am Tage verrichtete sie maschinen
mäßig aber unermüdlich die ihr oblie
ende Arbeit. Die Kinder durften nicht
arbeit, war doch ein jedes von ihnen
eine Liebe-gabe, ein Vermächtniß von
ihm, den sie site immer verloren hatte.j
Ab und zu zog sie das Eine oder An
dere der Kleinen auf ihren Schorns
ftceichelte liebtosend die hellen Härchen
und berührte mit den trockenen Lippen
die blühenden Wangen. So ging die
Zeit dahin. O, über diese langsam
vcrwiirtsschleichenden Tage und diese
Fustere , winddurchsausten Nächte, die
n end g lang und so grauenvoll ein
sam waren!
Der Sturm sauste. die schüumenden
Wogen stürmten rauschend und brau
send strandauf; Aguzes Blick irrte von
ihren weißen Kämmen zu den lautlos
nnd rasch dahinztehenden Wollen em
tor, die in dem fahlen Lichte dieses
traurigen Septembernachmittags et
was Unheimliches hatten. Hinten, weit
hinten aus dem Meere schienen sie arti
zutauchcm diese Wollen, die«faltigen.
zerfchlisfenen Leichentüchern glichen,
von denen jeder Windstoß Fetzen riß
und höhnisch pfeifend vor sich hertrieb.
»Nun, bekomme ich noch immer keine
Antwort?« sagte’plötzlich eine Stimme
hinter Aguzeö Rücken. Sie fuhr herum.
Ihre Gedanken waren bei Endrit ge
wesen, wie sie so hinausgesehen hatte
in das Unwetter, und darüber hatte sie
ganz vergessen, daß der reiche Luties
mit seiner Ehesrau vor ungefähr einer
Viertelstunde von feinem Hofe, der eine
lnavpe Meile landeinwärts lag, zu ihr
heiübergelommen war und eine Frage
an sie gerichtet hatte. — Eine Frage!
Was hatte er doch nur gewollt von
ihr? Sie let-te die Hand an die Stirn
und dachte nach. Ach ja, nun fiel es
ihr ein! Der Bauer hatte sich erboten,
s ihr eins der Kinder abzunehmen, das
er wie sein eigenes zu halten versprach,
da er selbst keine Nachkommen besaß,
und nun sollte sie sich entscheiden, wel
ches der Kleinen sie hergeben wollte· Ja
welches! Wenn sie das gewußt hätte!
»Was ist denn da lange zu über
legen?« meinte der Bauer und fuhr
selbstgesällig mit der Hand über das
Doppeilinn. »Man nennt mich nicht
ohne Grund den reichen Luties.«
»Nein, gewiß nicht,« begann die
Bäuerin ihn zu unterstützen, die, um
der armen Fischerswittwe ihren Reich
thm so recht vor Augen zu führen,
sechs ihrer besten weitsaltigen Röcke
übereinander gezogen hatte, fo daß sie
sich kaum zu bewegen vermochte.
Aguze blickte bald auf den kleinen
runden Bauern, der weiischweisig, mit
einer gewissen Behaglichteit von seinen
Korn- undGeldsäcken sprach, bald such
ten ihre Augen das hagere, blasse Ge
sicht der Bäuerin. welche nur hin und
wieder ein Wort einfliefzen ließ, das
aber jedesmal, scharf wie ein Pfeil, das
Herz der Wittwe traf.
. dessen Händchen so warm nnd ver
,,Du bist eine schlechte Mutter, dafe
Dn keinem Deiner Kinder das Glück
gönnsi, aus dem Elend herauszuwms
men«, rief schließlich unmuthig die
Frau, als Aguze, allen Vorstellungen
zum Trotz, erklärte, alle Sieben bei sich
behalten zn wollen. i
Eine schlechte Mutter! Aguze fuhr
auf. Wie konnte diese Frau, die nie
Mutter gewesen war, es tragen, ihr
eine so schwere, nnbegriindete Anklage
in das Gesicht zu fchleudern! Und sie
fing an, f.ch mit Eifer zu vertheidiaeii.
Haitig, einander jagend nnd doch ohne
rechten Zusammenhang kamen die
Werte über ihre blaßgewordenen Lip
pen. Sie sprach davon, daß sie arbei
ten kiinne und wclle fiir sich und ihre
Sieben. nnd daß sie sicherlich genug
verdienen swiirde, um Alle fatt zu
machen·
»Und wenn Du Dich hinlegft und
krank wirft?'· warf dieBäuerin beinahe
höhnifch ein. -
»Was soll ans den Kindern werden,
nenn ich einmal nicht die Hände rüh
ren kannt« ging es ihr durch den Kopf.
Etwas Anderes vermochte sie nicht
mehr zu denken. Böllig willenlos ließ
sie sich von der Bäuerin in die angren
zende Kammer hineinfchieben, wo die
Kinder eng aneinander geschmiegt, in
einem Winkel beisammen hocktein Der
unerwartete Besuch hatte die Kleinen
in Aufregung ver-setzt Aguze näherte
sich mit kurzen unsicher-en Schritten
dem lebenden häufehen in der Ecke und
während ihre Bliete sich nicht loszu
reifzen vermochten von den sieben blon
den Köpfchen, iiberlegte sie, welches der
selben iie an der Brust der blossen
Frau betten sollte, die drinnen in der
Stube in Ungeduld auf ihr Wiederers
fcheinen wartete. Als sie nach mini:ten- »
langem schwerem Kampfe einfah, das-,
sie zu keinem Entfchlusse kommen
kennte, ergriff sie die Hand des Jüng
sten nnd gebot den Anderen ihr zu fots
gen. So trat sie, umringt von ihren
Sieben, dor die Bauersleute hin. i
»Trefst selbft die Wahl,« war alles.
trag- iie sagte. Sie hob nicht ·die Linsen
ale die Bäuerin sich abmühte, den klei
nen Mädchen, die sieh ängstlich in den
Kleiderfatten der Mutter verbargen,
prüfend in das Gesicht zn sehen und
der Bauer sich mit den-Knaben zu schaf
fen machte. Sie stand da leblos wie
ein Bild aus Stein. Erssals wuehti
gen Keulenfehlägen gleich die Worte ihr
Ohr trafen: »Dieses hier nehmen wirt«
tam Leben in ihre Gestalt. Sie begann
heftig zu zittern und ihre Augen blies
ben auf dem Blondköpichen haften,
trauensvoll in ihrer Rechten lag, und
auf welches die Bäuerin mit dem hage
ren Finger wies.
»Warum gerade dieer il« rang es sich
mühsam über Aguzes Lippen.
»Würdest Du uns denn ein anderes
lieber geben?« fragte höhnisch lächelnd
die Frau.
Da war sie entwaffnet. Sie wandte
xchweigend den Kon seitwärts und gab
as Händchen frei.
Wie aus weiter, weiter Ferne drang
L
noch eine geraume Weile der Klang
fremder, hattet Stimmen an ihr Ohr,
dann wurde es plötzlich still um sie her-,.
beängstigend still. Mit einem Schrei,
der nichts Menschlich-es hatte, fuhr sie
aus ihrer Betäubung empor. Sie
stürzte sich auf die Kinder, die eins dicht
an das andere gedrängt, am Fenster
sic-nden und hinausstarrtem und be
gann sie zu zählen, einmal, zweimal,
dreimal, und als sie endlich begriffen,
daß sie sich nicht verzählt hatte, dasz
von den sieben Köpfchen wirklich eins
fehlte da brach sie lautlos zusammen.
Das Weinen und Jammer-n erweckte
sie wieder zum Bewußtsein
»Das Meer hat ihn mir genommen.
die kalten feuchten Arme um ihn schla
gend, hat es ihn zu Tode geküßt. Weh
mir! Es war stärker als ich und meine
Liebe Er ist dahin, verloren fiir im
mer. Und auch Jons, meinen kleinen
Jons werde ich niemals wiedersehen. «
Sie erhob sich plötzlich, geisterbleih
und am ganzen Leibe bebend. Uebers
ihr Gesicht ging ein schattenhaftes Lä- «
cheln und ihre Augen begannen lebhaft «
zu funkeln
»Weshalb soll ich ihn denn nicht mehr
sehen,« sliisterte sie erregt vor sichhm
»Er liegt ja nicht, wie sein Vate r, starr
und kalt unter dem weißen Sande, er
ist ja nur eine Stunde weit von mir
entfernt; gesund und frisch schläft er
in seinem Bettchen. Und ich sollte ihn
niemals wiedersehen? Wer sagt das?«
Sie blickte drohend im Kreise herum
und warf den Kopf heftig in den
Neuen.
»Er schläft, der kleine Jons,« dachte
sie weiter, »aber er ist gewiß nicht ohne
Thränen eingeschlafen, und morgen
früh. irenn er erwacht, wird er wieder
weinen, weinen und nach seiner Mutter
rufen, kläglich. o, so kläglich —- und
ich werde nicht da sein, um ihn zu wa
sch(n, anzukleiden und ihm die blonden
Härchen zu qlätten. Das wird von
jetztQkIåejne Andere thun. Eine Andere?
Mit zwei, drei Sätzen war sie zur
Thin hinaus. Draußen empfing sie
der Sturm, aber sie wich nicht.
Als Aguze das Gehöft des reichen
Lulies erreicht hatte, war der Tag noch
grrfn Ruhelos umstrich sie Haus und
o .
»Jons, mein kleiner Jons,« sprach
sie vor sich hin, »Du letzte der Liebes
gcben, die ich von Endrick empfanan
habe, Fleisch von seinem Fleische, Blut
von feinem Blute, Du lebst und ich soll
Dich nicht n·iedersehen?«
und wieder begann ne zu lachetm
und dieses Mal verschwand das Lächeln
nicht mehr von ihremAntlitz. Es spielte
um ihre Lippen, als sie an dem, das
Thor öffnenden Knechte vorüber gera
deswegs in das Haus hineinschritt,
und es ging in ein triumphirendes La
chen über. als sie neben dem Bettchen
stand, in welchem der kleine Jons fried
lich schlummerte.
»Was soll las heißen?« knurrte Lu
iies und sein runder, iiirbisartiger
Kopf fuhr hinter der Gardine des
Himmelbettes hervor. »Bist Du ver
riics geworden, Weib? Was hast Du
hier zu suchen?« -
Aauze lachte noch immer. »
»Dieses hier,« sagte sie und deutete
miå dem Finger auf den Knaben, dann
begann sie das Blondtöpfchen mit Küs
sen Heu-bedecken.
. »Man-tat« lallte der Kleine und lä
chelte noch halb träumend die Mutter
an, die ihm hastig die ärmlichen Röck
cben über-wars Nun tauchte auch der
Kopf der Bäuerin im Himmelbett auf.
Spitznastg, dürr wie eine Hoper
stange und gelb wie eine Citrone saß
sie da, die reiche Frau Luties und fing
an, Aguze mit Schimähreden und Vor
würfen zu iiherhäufen, wobei sie von
ihrem Ehegatten auf das Eifrigste un
terstützt wurde. —- Aguze erwiderte
nichts-. Den kleinen Jons fest in den
Armen haltend, sprang sie·zur Thiir
hinaus.
Als die Kinder am Moraen erwach
ten, waren see nicht wenig erstaunt, wie
der vollzählig beisammen zu sein«
»Mutter! Mutter, weißt Du schon?
So sieh doch nur, unser Briidereben ist
ja wieder da«« riefen und schrieen sie
durcheinander.
Aguze niclte ihnen unter Thränen
lächelnd zu. Dann driiclte sie die Stirn
an die Fensterseheihen und faltete die
Hände wie zum Gebet.
,,(Lndrik, mein lkndrih kannst Du
mir vergeben?« fliisterte sie und blickte
auf das Meer hinaus.
Da tauchte aus dem zerflatternden
Gewölk die Sonne empor; feurig untv
groß stand sie in ihrer ganzen majestii
» tiseben Schönheit über deti bewegten
» Wesfern und ihre Strahlen erfüllten
« dass kleine Gemach mit einem Meer von
Licht.
Die Erzählung der Kauunerjiingfcr.
Aus dein Reiche des Uebersinnlichcn.
Wiewohl alle Namen und Daten der
nachstehenden Erzählung genau ange
geben werden könnten, so scheint es doch
der noch lebenden Persönlichkeiten we
gen geeigneter, nur die Anfangsbuch
staben von Ort, Zeit und den Bethei
ligten selbst zu gebrauchen.
Jm Jahre 1860 kamen in einer lauen
Funinacht Fürst Und Fürstin M» Rus
en, vdn London in Paris an, und in
ihrem Gefolge befand sich eine deutsche,
wiirttembergische Kammerjungfer.
Man stieg im Fiel B» fast im Mittel
punkte der btadt, gegen elf Uhr
Abends ab, In Paris strömten damals
die Fremden zu ammen, und - sogar
diese srussi chen tammgäste des Hotels
B. sahen ich genöthigt, mit einem Zim
mer im zweiten Stock vorlieb zu neh
-k —
rrcn. Der Courier suchte in einem
anderen Gast- oder Privathause für
die erste Nacht Unterkunft zu erhalten,
und nur für die Kammerjungfer ver
sprach man, auf den Wunsch der Für
stin, noch im Hotel selbst Platz schaffen
zu wollen. Mittlerweile packte Dieselbe
Koffer und Reifetas n aus und ver
ließ ihre Herrin er gegen ein Uhr,
ncchdem diese zu Bett gegangen war.
Ein Kellner empfing sie hierauf mit
der Nachricht, es sei noch eine Unter
kunft für sie gefunden worden, und zu
ihrem Erstaunen führte er sie in ein
prächtiges, zweifenstriges Zimmer, das
auf den V.-Plaß hinausging. Alsbald
spricht ihm die reisekundige Kammer
jungfer ihre Verwunderung darüber
aus, warum dies schöne Gemach nicht
der Fürstin statt ihr selbst gegeben
worden sei; der Kellner erwidert, daß
erst seit einer Stunde das Zimmer leer
» geworden, nachdem der Fürst und die
Fürstin bereits installirt gewesen seien,
und er fügte lächelnd hinzu: »Made
moiselle kann, denke ich, auch Von dieser
guten Gelegenheit eines freigewordenen
Zimmers profitiren.« Unsere deutsche
Klara findet, daß der Kellner nicht Un
recht hat und eilt, die ersehnte Nacht
rube im großen, eleganten Himmelbette .
aufzusuchen. Sie schließt von innen die «
Thüre mit den Schlüsseln zu, betet«
geht zu Bett nnd löscht das Licht aus. ?
» Von nun ans werde icb sie selbst iu «
der erstenPerson weiter redend fortfah
ren lassen. Es ist noch nicht lange l;er,
daß ich diese Erzählung aus dem
Munde der jetzt zweiundsechzigjährigen
Frau vernahm und sie hat sie bereits so
oft Engländern, Franzosen und Rus
fen vortragen müssen, daß ich nur treu.
ihre Worte wiederzugeben brauche, um
einen großenEindruck hervorzubringen.
Sie sprach: .
»Ich weiß nicht, war ich eingeschla
fen, träumte ich, oder sah ich mit den
Augen meines Leibes und wachend: icb
glaubte und glaube Letzteres. Doch da
rauf kommt es nicht an. Plötzlich wurde
die Thür, welche vom Korridor aus in
mcin Zimmer führte, geöffnet und ein
Herr trat mit einem Lichte in der Hand
herein. Es war ein französischer Ma
rineoifizier in dunkelblauer Uniform,
mit Blouse, großem, eckigen Kragen
etc. Die Thin schien sich hinter ihm
wie von selbst zu schließen. Schon von
diesem Augenblicke an war ich starr
vo: Schrecken, keiner Bewegung, keine-J
Leutes mehr fähig; mein ganzes Sein
crucentrirte sich in Gesicht und Gehör;
ich befand mich offenbar in einem völ
lig avnormen Zustande. Der Herr
stellte das Licht auf ein kleines Tisch
chen an meinem Bette. Auf dem Fau
teuil am Fuße desselben lagen meine
Kleider. Ohne daß ich sehen konnte,«
·wo dieselben hingefallen waren, sties3
er den Lehnsessel fort, fast mitten in’3
Zimmer hinein. Nun ging er aufge
regt hin und her, seine Gestikulationen
waren heftig, ich konnte kein Auge von
ihm abwenden. Es war ein schlanker,
jtsngerMann von braunerGesichtsfarbe,
mit kleinen, wenig markirten Zügen,
jedoch glänzende, lebhafte Augen und
ein reich-es schwarzes Haar machten
seine Erscheinung bemerkenswerth
Noch sehe ich, wie seine Hand in die
Lecken fuhr, so dasz die Haare auf sei
ner Stirn sich zu sträuben schienen. Er
sprach auch einiges Unznsammenl)"cir:
glnde, schnell und dumpf; die Worte:
veux plus vibre, peur plus bivre kann,
will nicht mehr leben) wurden mir da
raus verständlich. Auf einmal wars
er sich auf den Lehnsessel, zog- eine Pi
stole aus seiner Brust und spannte den
Hahn. Uebernatiirlich scharf schienen
in diesem angstvollen Moment meine
A17aen, denn ich bemerkte sogar etwas
aufsällig Geboaenes und Gefärbtes an
dem Hahn der Pistole. Nach sehr kur
zem Besinnen schoß er sich in den
Mund; ich hörte den schrillen Knall
und ein Getöse im Zimmer, es war, als
sage mir Jemand leise in’s Ohr: »Di
tes un ave pour moi!« —- ,,Beten Sie
ein Ave für mich!« . .. Dann war es
finster im Zimmer und nur eine La
terne des Platzer V. verbreitete ein un
sickeres, schwaches Licht durch die zu
gezogenen Gardinen.
Die Zeit hatte fiir mich aufgehört, zu
sein; mich dünkt, es war oder wurde
auch alsbald Tag und ich hörte an mei
ner Stubenthiir porhen und mehrere
Männerstimmen im Korridor. Unver
mögend, mich zu bewegen oder zu ant
worten, hörte ich den Sprechenden zu.
Bald vernahm ich der Fürstin Stimme.
»Ist dies gewiß das Zimmer, welche-:
Sie·gestern meiner Jungfer angewiesen
haben?« fragte sie erregt.
,,Gewif;!«
»Nun, so öffnenSie esimit Gewalt!«
Nachschlüssel waren nutzlos gewesen,
da innen der Schlüssel steckte; der
Schlosser ris; daher das ganze Schloß
heraus, und herein stürzten der Fürst
rind die Fürstin, der Hatishosmeister,
die Kellner und Handwerker. Die Für
stin läuft an mein Bett und sieht mich
mit starren, ossenen Augen todtenähn
lieb darin liegen. Indem sie meine
Hände und mein Gesicht berührt, ruft
sie: ,,Klaral was ist? Klara, sind Sie
trcnk?« «
Die deutsche Sprache, die warme
Hand, das bekannte Gesicht, ihre Angst
lösen meinen Starrlrampf; ich laun
sprechen.
,,Lassen Sie nur erst den Todten
wegnehmen,« rufe ich schaudernd, »sonst
kann ich nicht aufstehen.«
·,,Um Gottes willen,« bricht die Für
stm tyssisch»aus, »sie ist wahnsinnig!«
Meine Zuge, sagte sie später-, seien
bis zurUnkenntlichteit entstellt gewesen. ;
»Ruhe!« rief sie; »einen Arzt!«
Zwei Mediziner kamen nach wenigen
Minuten; ich befand mich in einem
Zustande, welcher die Aerzte in Erstau
nen setzte, und erst nach manchen Bit
ten und beruhigenden Worten von ihrer
Seite gewann ich es über mich, ihnen
vprstehende Geschichte mit allen Details
zu erzählen, doch durchaus nicht als
einen beängstigenden Traum, sondern
als Etwas, das sich ohne allen Zweifel
in der vergangenen Nacht vor meinen
iljlut en in dem Zimmer zugetragen
a e.
Die Aerzte waren vorsichtig genug.
mir nicht zu widersprechen, besonders
da mein Puls einen unnatürlich gereiz
ten Zustand anzeigte. Ja, einer der
Aerzte, durch die Bestimmtheit und die
Details meiner Erzählung betrossen-,
glaubte, man habe mir vielleicht wirt
lich in der Nacht einen Streich gespielt,
um mich zu erschrecken, und wünschte
den Hotelbesitzer zu sprechen. Dieser
kam, und nach einigen leise gewechselt-In
Worten verließ der Fürst, die beiden
Aerzte und der Wirth das Zimmer.
Jch ließ indeß der Fürstin Hand und
Kleid nicht los und es bedurfte ihres
betuhigenden Zuredens, bis ich es wag
te, mich im Zimmer umzusehenz kein
Erschossener lag darin.
»So muß man ihn heute früh hinaus
gitragen haben, als man die Thitr auf
spiengte,« sagte ich: denn es war mir
unmöglich, an eine Vision zu glauben.
Der Hotelbesitier aber antwortete auf
die Mittheilung der Aerzte blaß und
verstört:
»Hier ragt das Geisterreich wie mit
Händen greifbar in die Alltagswelt
hinein. Jn der vorletzten Nacht, wohl
zu derselben Stunde, als Mademoiselle
zu Bette ging, hat sich der Murme
Offizier M. R. in jenem Zimmer er
schossen. Sein Leichnam liegt in der
Morgue Sie können sich denken, wie
unangenehrn solche Ereignisse Hotel
besitzern sind; vor Tagesanbruch schon
hatte ich den Körper entfernen lassen,
denn der Knall der Pistole war von
emem Kellner gehört worden. Nur we
; nige meiner Leute wußten von dem
Vorgang, und diesen hatte ich natürlich
Schweigen empfohlen. Nach sorgfälti
ger Reinigung des Zimmers hieß ich
dasselbe gestern Abend der Jungfer der
Fürstin anweisen, da Letztere ihre Die
nerliln gern imHotel untergebracht sehen
wo tc.«
Die vier Herren fuhren nach der
Morgue. Dort hing die von mir be
schriebene Uniform; die Pistole hatte
eine von der gewöhnlichen Konstruktion
abweichende Form, das Gesicht des
Selbstmörders war fast unkenntlich,
doch das reiche schwarze Haupthaar
vollkommen meiner Beschreibung ent
sprechend. M. R» dessen Familie zur
Zeit in der Bretagne wohnt, war ein
Cuole von Geburt. Seit dieser Zeit
hat die Gesichtsbildung der Creolcn
ein-as Geisterhaftes für mich, besonders
deren glänzende Augen. M. R. hatte
sich, wie man später erfuhr, wegen einer
weiblichen Betanntschaft in Paris er
schcssen. Jch wurde an demselben Tage
ncch in ein stilleres Haus, Rue du R.,
gebracht, wo die Fürstin sich eine Woh
nung miethete. Wochenlang durfte ich
auf Befehl der Aerzte weder Tag noch
Nacht eine Minute allein gelassen wer
den. Mein Nervensystem hatte einen
fürchterlichen Ston erhalten. Es gab
Stunden, besonders des Nachts, in
welchen ich nur bei der äußersten Zu
scxmmenraffung meiner Willenskräste,
manchmal weinend und betend, bei
Verstand bleiben konnte; hätte ich- mich
gehen lassen, ich würde leicht die Herr
schaft über meine wiiden, wirren Ge
danken verloren haben und wäre wahn
sinnig geworden. Jch bat die barm
herzige Schwester, mir in jenen Stun
den des Schwankens zwischen Ber
nunft undWahnwitz zuzurufen: »Den-'
ten Sie an Jhre Mutter, die Sie durch
Jhre Arbeit unterstützen miissen.«
Diese Mahnung half und der Ge
danke an all die Noth und Sorge, die
hereinbrechen würden, falls ich geistes
krank bliebe, gab mir nach und nach
Kraft, meine Fassung wieder zu ge
winnen.
Dem damaligen Marineminifter und
seiner kleinen, blonden Frau mußte ich
in jener Zeit in ihrem Hotel am«Con
cordiaplatze auch die Geschichte der
Schreckensnacht erzählen. Allen bei
diesem Ereignisse näher oder ferner Be
theiligten, besonders aber mir selbst,
iss davon eine nnauslöschlich nachhal
tigeWirkung auf das geistige und geist
lkche Leben geblieben, und es regt mich
heute noch peinlich und tief aus, mir
jene Nacht im Hotel B. in Paris durch
eine abermalige Erzählung wieder leb
hc.fier zurückzurufen. Sehen Sie da
her diese Mittheilung als ein freund
schaftlich-es Opfer von meiner Seite
an.« ,
Der Staat Kansas war noch vor
etwa 15 Jahren das Nothland der Ver
Staaten. Dürre, Heuschrecken und an
dere Plagen machten ihn zum Gegen
stand allgemeinerMildthätigteit. Heute
ist das anders. Große Mengen Lebens
mittel werden von dort an das hun
gernde Indien geschickt. Als ein ande
rer origineller Beweis des Wohlstandes
wird mitgetheilt, daß Wichita County
das einzige County im Staate Kansas,
vielleicht im ganzen Lande sei, welches
kein Armenhaus hat, infolge dessen
keine Armen zu unterstützen braucht.
Es gibt im ganzen County nur einen
Mann, der gelegentlich Unterstühung
bedarf. Die County-Beamten sind nnn
auf eine originelle Jdee verfallen, sie
haben diesen Mann zum Aufseher über
das Armenwesen im County mit einem
Jahresgehalt von 8104 ernannt. Er
hat nichts weiter zu thun, als fiir sich
selbst zu· sorgen und kann vom Counth
keine weitere Unterstützung erlangen.