Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 25, 1900, Sonntags-Blatt, Image 15

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    W
Iorsrtsnkh
—-.---'
Bon Thio. v. Torn.
»Na, Strebel, was giebt's schon wie
der ?« fragte der Direktor, indem er vom
Repertoirzettel aussah und den Einge
tretenen halb mißtrauisch, halb belustigt
stritte
Emerich Strebel entledigte sich mit
runden, fast pathetischen Bewegungen
seiner einstmals wohl rothbraunen Gla
cfss, aus denen sämmtliche zehn Finger
spitzen hervorlusgtem fuhr sich mit einst
großartigen Geste durch das lange- gkUUk
Haar und fragte im Tone eines Men
schen, der sich der Bedeutung seines An
liegens bewußt ist: »Darf ich mich setzen,
Direktor?«
,,Setzen Sie sich —— Strebel -——
aber -—-— ——«
»Kein »aber«, lieber Direktor, erstens
mal wissen Sie sich noch gar nicht, wa
rum es sich handelt, und wenn Sie es
wissen, so —«
Strebel unterbrach sich. Der Direk
tor hatte dem abschreckend häßlichen Pin
scher, der den »komischen Vater« des En
semble aus Schritt und Tritt —- wieder
holt sogar Abends aus die Bühne — be
gleitete, einen Fußtritt versetzt, so daß
der Köter ausheulend und mit eingetnis
fenem Schwanz sich unter den Stuhl sei
nes Herrn flüchtete.
Letzterer wars mit einer ibrn eigenen
raschen Bewegung seine ewig widerspen
stige Zornlorte aus der Stirn und
brummte in tiefer, verbaltener Empo
rung:
»Aber lieber Direktor —- —"
»Ach was,« rief der Bühnengewaltige
ärgerlich, »ich hab’ das Beest im Magen!
Vorgestern ist die Mättling bei ihrem
schönsten Austritt so driiber hingeschm
gen, daß sie bis an die Rampe trudelte,
gestern frißt die Töle die fiir das Sou
per im letzten Alt unentbehrliche Schlatt
ivurst, so daß Ihr vor leeren Tellern
spielen mußtet, und eben wollte sie mir
wieder in die Rollentiste hineinspringen.
Das paßt mir nicht mehr. Strehel. Ent
weder schasfen Sie das Vieh ab oder —«
Während dieser Antlagerede hatte der
alte Schauspieler sich tief debiickt und den
Hund zärtlich getätschelt, als wollte er
jedes der harten Worte durch eine Lieb
tosung gutmachen. Bei der drohenden
Schlußalternatide zog er ihn am Hals
band hervor und stellte ihn vor dem Di
rektor aus«
Ordentlich verzüctt schaute er auf das
häßliche Thier nieder und sprach zu ihm
tändelnd und innig wie zu einem kleinen
Kinde: »Wollen Sie Dir Alle was, mein
Borschußerl, mein süßes ———·«
Das Vieh mit dem seltsamen Namen
nießte, wand sich erfreut hin und her und
wollte sich eben unter der liebtosenden
Hand seines Herrn aus den Rücken le
gen, als Strebel plötzlich mit erhobenem
Zeigesinger und hochgezogenen Augen
brauen ihm zuraunte: »Wie mass Hun
derl den Negisseur?«
Der zu dieser Augendienerei abgerich
tete Köter wedelte mit dem Schwanz.
tläsfte freudig erregt und leckre sich hul
digend die Schnauze
Strebel sah seinen Direktor triumphi
rend an, und da er um die blaurasirte
Lippenpartie des Gestrengen ein flüchti
ges Lächeln zu sehen wähnte, ging er
aufs Ganze:
.m as ·
»ch Uns ch Dlllcl Yslfcsllscli Ucll «
seinen Namen?«
Der hund machte it tempo schön und
angelte bittend mit beiden Vorderpfoten
in der Lust herum.
»Darauf kommt es also wieder hin
aus, Strebel, nicht wahr?« fragte der
Direktor, indem er sich in seinem Stuhl
zurücklehnte und die Hände resignirt
iiber dem kleinen Spitzbauch faltete.
Strebel richtete sich aus einer nach
dentiichen Verzückung ob der Intelligenz
seines dierbeinigen Freundes jäh auf,
wars die Locke aus der Stirn und rieb
sich verlegen schmunzelnd die Stoppeln.
»Im Grunde ja, Direktor —-— aber es
ist diesmal ’ivas besonders Wichtige-,
Unumgängliche5.«
»Das war’s gestern auch, und vorge
stern ebenfalls· Jmmer."
Strebel wiegte das mächtige graue
haupt und lächelte überlegen.
»Alles nichts gegen heute, Direktor——-"
Der »Komische« war ein unerreichteg
Genie im Erfinden von Vorschußanläss
sen; daher zeigte der Direktor nicht das
leiseste Jnteresse daran, das ,,Aller
neueste« zu erfahren. Der Alte stand
bereits mit mehr als zioei Monatsgagen
bei ihm zu Buch, und da er den völlig
talentlosen Routinier, der ihm nicht nur
durch den aufdringlichen Hund, sondern
auch durch gewisse »alltägliche Quartals
passionen« manche Vorstellung störte, am
nächsten Ersten zu kündigen beabsichtigte,
so war er entschlossen, nichts mehr her
zugeben Selbst die minimalsten Sum
men nicht, mit denen Strebel sich nur
noch herauswagtr.
,,Thut mir leid; ich gebe nichts mehr.«
»Aber ich muß die eine Mart fünfzig
haben, Direktor, ich musz ———«
Der Director guckte die Achseln.
Andernfalls tann ich heute einfach
nicht auftreten,« ergänzte Strebel mit
siegessicherem Ausdruck.
. »Wieso -—«
»Ich hat« wieder in der Luftröhre,"
heiserte Strebel mit einer flüchtigen Be
wegung noch seiner Kehle, wo ein tolos
sal entwickelter Adamsapfel sich an dem
zweifelhas..sn lhemdtragen scheuerte.
»Und da müssen Sie wohl wieder
schmieren, heit« höhnte der geärgerte
Bühnenleiter.
Der Andere machte ein Gesicht, als
wenn ihn Jemand fiie fähig erklärt hätte
! j
» .- — —-—«- —-——--—
eine Lotomotive zu stehlen. Er zuckie
indignirt die Achseln, pfiff beiläufig nach«
Vorschußerh dex schon wieder an der
Rollenliste herumschnubberte, und sagte
dann: »
»Ich brauche das Geld, um mir
Asthma-Cigaretten zu laufen.«
»So, so ——« erwiderte der Direktor
nach einer kleinen Pause, die er dazu be
niiytr. um sich aus der aufteimenden Hei
terleit wieder zu entfchlossenem Ernst
durchzuringen. »Ich will Jhnen nur
s was sagen, Strebel, so geht das wirklich
nicht weiter. Daß Sie nichts leiste-n,
s wissen Sie selbst. Dazu alle Nag lang
; dezecht, jeden Tag Vorschuß und die in
fame Töle obendrein· Ob Sie ess jetzt
erfahren oder am nächsten Gagetag : ich
: muß Sie kündigen, Strebel.«
Das verschminlte Gesicht des ,,komi
scheanaters« wurde noch urn eine Nüance
grauer. Mit einer müden, aber trotz
dem noch pathetischen Bewegung feiner
inochigen, fast bis auf die Fingergelenle
behaarten Hand strich er die Locken
strähne aus der Stirn und fah den Chef
unsicher rnit verschwommenem Blick an.
»Ist das Jhr Ernst ?« .
»Ja. So leid es mir thut, es muß
sein.«
Sirebel seufzte auf und saß einen
Augenblick, die Hände schlaff auf den
blantgescheuerten Knieen seiner Kamm
garnhose, in Trübsinn und Nachdenken
versunken. Dann hob er den Kopf,
neigte ihn lächelnd auf die Seite und
sagte, so flötend zärtlich fast wie vor
hin zu seinem Hunde :
,,— Und die Eins-fünfzig — ?«
»Bedaure.«
Emerich Strebel wurde ernst, sehr
ernst· Um seine schmalen, in den Win
teln von lrausen Fältchen umzogenen
Lippen zuckte Verachtung Er erhob sich
wortlos, ließ seine zehn Finger aus den
zerrissenen Handschuhe-n Gnctguck ma
chen, verbeugte sich und verlieh mit sei
nem Hunde das Bureau des Unerbittii
chen.
Dieser aber hatte seine Arbeit kaum
wieder aufgenommen,«als die Thijr ein
wenig geöffnet wurde —- gerade so weit,
daß Vorschußl hineinschliipfen lonnteI
Einer unhörbaren Weisung gehorcheno,
setzte er sich auf die Hinterbeine — und
angelte nach seinem Namen. s
Leider hatte Strebel in blinder Ueber
schätzung von Borschuleg Unwidersteh
lichkeit das denkbar itnprattischste Mittel
gewählt, seinen Direktor zu erweichen.
Diesem that der Alte, nachdem er dag
Bureau verlassen, doch leid, und er hätte
ihm die ,,Einsfiinfzig« möglicherweise
doch noch gegeben, ja ihn vielleicht noch
auf einige Zeit behalten. wenn Jener
selbst noch einmal gekommen wäre. Aber
nun das »Beest,, -
Der Direktor griff nach einem schwe
ren Gegenstande — eine Bewegung, csie
Vorschußl mit gesenkten Ohren und run
den, aufmerksamen Augen beobachtete
Er kannte solche Bewegungen als durch
aus ungesund fiir ihn Einen Moment
war er im Zweifel und setzte die angeln
den Pfoten abwartend in Ruhe. Ale
der Direttor aber den gußeisernen Brief
beschweret mächtig ausholend emporhob,
begriff er das beabsichtigte Attentat auf
seine erponirte Magengegend und er
schoß wie der Blitz durch die immer noch
geöffnete Thür.
Letztere wurde nun wuchtig zugeschlcp
gen.
cmercch Vtrooei harre avaeschionen
mit seinem Direktor. Keine Macht der
Welt hätte ihn bewegen können, in die
Komödie zu gehen. Während der Direk
tor unter Gift und-Galle auf seinen
»tomischen Vater« des liederlichen Leo
Pold zärtlichen Papa höchstselbst ver
zapste, saß Strebel beim Lammwirth
an der äußersten Peripherie der Stadi.
Die einzige lKneipe, wo man ihm noch
borgte.
Aber der Schnapg vermochte heute
nicht ihn aufzuheitern. Wie war er auch
nur darauf getommen, die-fes ganze ver
sehlte Dasein zu retapituliren. Das
war sonst nicht seine Art. Hatte er sei
nen Vorschuß weg, so — — -—— ganz recht,
das war’S ! Der Vorschuß. Daß ihm
der nicht geworden war !
Er hatte sich an Alles gewöhnt mit der
Zeit. Als ihm vor zweiundvierzig Jah
ren sein erster Direktor den Rath gege
ben, noch drei Jahre zu studiren, sich
einen neuen Schminttasten anzuschaffen
und dann abzugeben von der Bühne —
da war’g ihm wohl hart angekommen
Aber er hatte sich nach und nach daran
gewöhnt, teinesn Egmont zu spielen zu
bekommen, teinen Mortimer u. s. w., wie
er das so heiß ersehnt, als er noch La
kritzen einstaniolte bei Vettern und seine
einzige erlaubte Lettiire das Lesen von
Kasseebohnen war.
Er hatte sich an die ihm zugewiesene
Runstbethätigung gewöhnt —- unter dem
Druck der Thatsache, daß seine Leistun
gen ost selbst jenen »Meerschweinchen«
nicht genügten, deren Abendtassa nach
Käse roch. Einige hübsche Erfolge hatte
er ja gehabt. Seine Betonung der Verse,
die der eine Bürger im »Jurist« beim
Spaziergang zu sprechen hat, werden
ihm in der ganzen Theaterwelt nachcitirt
-s—- hinter dein Coulissen allerdings nur :
»Nein ! Er gefällt mir ! —- Nicht ? —
der neue Bürgermeister —-—«
Und dergleichen mehr. Aber er war
doch, und zwar schneller, viel schneller als
tausend Andere, zu der Einsicht gelangt,
daß die slammende Begeisterung von da
mals ihm ein»Jrrlicht gewesen.
Er wußte das und hatte sich daran
gewöhnt. Jedoch —- von der »Kanst«
lassen ? Nicht um die Welt ! Er liebte
dieses Leben, das ihn nominell wenig
stens zu Dem rechnete, was er hatte wer
den wollen. Wenn ihm nur zwei Spie- l
l ßer in der Kneipe zuhörten, so war er
glücklich -—-— ein König.
Und vor Allein: der Vorschuß « Sie
sheischten und erhielten Alle Vorschuß« die
zrtl inen und die großen Künstler Alle. l
Solange er Vorschuß erhie-,lt war er auch
l ein Künstler, einer der Ihrigen. Solange
ihm noch der Diskont des Glauben«
s ward an irgend eine Leistung von ihm,
l hatte er selbst noch einigen Glauben. Er
brauchte das Vorschußnehmen — nicht
blos um der lumpigen paar Groschen,
die er den Kunstpächtern abrang , dieses
Ringen an sich, das raffinirte, planmä
ßige Vor-bereiten der Anbahnung, die
; immer neuen Ideen, das Hangen und
Bangen vorher, der Sieg am Ende, wa
,- ren ihm Lebensbediirsnisz —— und Kunst
j bothätigung
i Das war nun aus, gründlich aus.
Wenn et dieses Engagement verlor, wür
i de er keins mehr finden das hatte der
I Agent ihm unzweideutig zu verstehen ge
geben·
Er erhob sich schwerfällig Vorschußl,
der die ganze Zeit dor ihm gesessen und
ihn underwandt angeschaut hatte, munt
ste und bellte vor Freuden auf.
»Na, Herr Strebel, wollen Sie schon
gehen ?« fragte der Wirth mit süßsau
reni Gesicht, indem er auf die Thür des
Brettschranls hinter der Thonbanl einige
Hieroglyphen zu den bereits vorhandenen
malte.
»Jawohl, lieber Mann,« erwiderte der
Alte, indem er die Locke energisch zurück
wars und seinen schwierigen Kalabreser
langsam und feierlich mit beiden Händen
wie ein Diadem sich auf s Haupt setzte,
»ich habe noch zu thun —- letzter Alt,
letzte Szene
st- Al·
Am andern Morgen, in aller Herr
· gottsfriihe, scharrte Emerich Strebel’g
Pintscher wie toll an des Direktors
Thür. Naß, beschmutzt und mit hechelm
der Zunge. Eingelassen, schnüsselte er
aufheiilend in allen Ecken umher. Dann
« raste er wieder zur Thür. Und da man
ihm nicht gleixh öffnete, setzte er sich auf
die Hinterpfoten und winselte laut.
Schließlich wurde man auf das Ge
bahren des Thieres aufmerksam und
« folgte ihm. Hin ging es zum Fluß, an
i dessen Ufer soeben die Leiche des alten
jKomödianten angefchivemint war. Er
hatte den letzten Vorschuß — aus die
i Ewigkeit genommen
Ulolstitjnn trägt Zinsen.
Erzählung von M. R o o a - R o d a.
Ob der am Altare geschsworene Eid
der ewigen Liede und Treue eine Frau
verpflichtet, ihren Mann jedesmal am
Vatinhose zu erwarten, wenn er von ei
ner Reise heimtehrt — ist strittig.
Kommt der Mann aber gar mit oem Eil
zuge uni 5 Uhr 4 Minuten Morgens am
16. Dezember, Dann vereinfacht sich die
Antwort für jeden humanen Menschen:
iiein, da braucht ihn oie Frau nicht zu
eiwarten.
Uno trotzdem schritt ich an jenem
rsentwiirbigen is. Dezember bei stocksin
steter Nacht allein und friereno über die
Kettenbiiicke zum Westbahnhos.
Auf oesm Albrechtsplatz ließ mich ein
leises Geräusch aufschauen. Es klang
wie ein Zchluchzen Als ich mich ver
wundert umschaute, rührte sich etwas im
Schatten eines Hausthor5. Ein kleiner
Junsae war’s.
»Was machst du hier«-« frage ich mit
leidig und erstaunt.
, Keine Antwort.
l Erst auf weiteres Drangen begann
; der Junge in der plappernden Art aus
T geweckter Großstadttinder, aber zähm
- tlappernd vor Kälte, er erwarte den er
l sten elektrischen Wagen. Der komme um
j sechs Uhr.
j »Und wohin willst du fahren?«
s ,,Nirg-ends hin. Jch will mich vor ihn
. werfen!«
s Jch erschrak aufs höchste Der lzehn
l
E jährigeJunge sprach so ruhig, als et- i
l scheine ihm der Selbstmord als die ein
sachste unsd natürlichste Sache von der
» Welt. »
,,Um’s Himmels willen, Kind«, ries
ich, »was werden deine Eltern sagen!«
»Eltern habe ich teine.«
»Weder Vater noch Mutter?«
»Weder Vater noch Mutter.«
»Wo wohnst du denn?«
»Hier.« Er wies mit zitterndem Fin
ger nach der Thürschwelle.
,,Jmmer?« .
»Manchmal auch aus dem Holzplatz
von Meyer Fc Compagnie.«
»Höre, mein Junge-. du mußt mit mir
tuminen«, sagte ich, von tiefstem Mitleid
ergriffen.
» Er schüttelte traurig den Kopf und
sah mich mit thränenglänzsnden Augen
an. ,,Mag nicht«, sagte er, »ich werse
» mich vor die Elettrische.«
Jch packte ihn, ohne weitere Worte zu
verlieren, an der Hand und zog ihn mit
mir fort nach Hause.
Mein Man-n karn, aber ich sagte ihm
noch nichts von meinem eigenthiimslichen
Abenteuer. Er wunderte sich blos, mich
wachend anzutreffen, dann legte er sich
schlafen. Jndeß er ruhte, wusch ich mei
nen kleinen Findling und legte ihn in’s
Bett; und als es Tag wurde, ging ich,
Kleider sür den kleinen Peter zu kaufen.
Dann erst stellte ich ihn meinem Manne
vor.
»Ju«lius, wir haben- uns immer einen
kleinen Buben gewünscht. Sieh her, jetzt
schneit uns das Schicksal gleich einen
ganz großen in"s Haus.«
Peter küßte dem »Papa« artig die
Hand, und damit war er in die Familie
ausgenommen-. Jch athmete erleichtert
auf, als mein Mann so ohne Weitere-Z
, einwilligtr.
Hinter-her stiegen meinem« Manne
freilich allerlei Bedenken auf. Wenig
fiens anmelden müßten wir den Knaben.
Also that ich eg —— schriftlich an die
I Stadthauptmannschaft Daran bekam
s ich fiir den 19. Dezember eine Vorladung
l
zum Amt und ging mit Peter hin Zwei ,
Stunden miußte ich in einer dunklen
". Stube warten bis man rief: »Frau o.
Beer5.«
»Hier!« Und ich trat ein.
Der Beamte fragte mich nach dem-Her
gcng der Sache. Dann mußte Peter er
zählen.
· Der Beamte fchrieb eine- Stunde lang,
sprach mit dem Amtgdiener und fünf
anderen Dienern, las alles Geschriebene
vor, schrieb wieder eine Stunde lang und
las von Anfang an vor, hieß mich Alles
unterschreiben und entließ mich endlich.
Fiir den 21. Dezember bekam ich
wieder eine Vorladung Dies-mal war
tete ich nur anderthalb Stunden, dann
aber vertagte der Beamte das Verfahren,
weil ich Peter nicht mit hatte. Er be
stellte mich fiir den 23. wieder.
Am 23. geschah dasselbe wie am 1.9.
Ich lernte bei dieser Gelegenheit außer
dem Amtsdiiener und den fünf anderen
Dienern noch drei Schreiber kennen.
Auch die Borlesung dauerte länger als
damals, weil der ganze Akt vom 19.,
21. und 23. oorgselesen wurde.
Den 27. Dezember brachte ich ganz
auf dem Amte zu Spät Abends sollte
Peter einer Anzahl von Personen gegen
iitergestellt werden, welche Kinder in dem
betreffenden Alter feit Jahren vermiß
tcn. Da aber eine haklbblinde Gewisse
handlerin erklärte, bei Dieser Beleuch
ttng nichts mehr zu sehen, wurde die
z Geschichte auf den Z. Januar vertagt
I wt bei es sich herausstellte, daß die ge
T nannte Gemüfehändlerin nicht einen
Knaben, sondern ein Mädchen oermisse
! ——- und zwar seit 23 Jahren!
Auch am 7. Januar wurde ich beru
fen, auf dem Amt zu erscheinen. Schon
um 11 Uhr Vormittags aber stellte es
sich heraus, daß mein Name irrthiimlich
und gewohnheitsmäßig auf die Lifte der
u Vernehmenden genommen war. Jch;
durfte also wieder gehen.
I
i
j
Am 10. Januar, nach kaum dreitägi
aer Ruhe, mußte ich Knall und Fall
abermals zur Polizei fahren. Es- hatte
sich noch ein Provinzler gemeldet, der in
meinem Peter seinen vor fünf Jahren
gebotenen Neffen zu erkennen glaubte.
Er blieb auch am 11. noch in der Stadt
und ließ den Peter von zwei Polizeiärzten
daraufhin untersuchen, ob er thatfächlich -
älter sei als fünf Jahre. Als die Aerzte
übereinstimmend Peter’g Alter auf zehn
Jahre schätzten, erklärte er sie fiir besto
chen nnd mich für eine ganz gewöhnliche
Betrügerin Dann verlangte er zwei
neue Aerzte, endlich ein Universitäts
Gutachten über Peters- Alter, während
ich meinerseits die Untersuchung feines
Geistes-Zustande5 beantragte. Beide
Begehren wurden in der Verhandlung
vom 17. Januar abgewiesen. Dann
ver-klagte mich der Mensch wegen Ehren
beleidigung und am 21. wurde ich in An
sehung meiner bisherigen Unbescholten:
heit nur zu zehn Mart Geldstrafe verur
theilt.
Peter war nun einen Monat bei mir.
Er fühlte sich recht heimisch, faßte unge
mein leicht auf und lernte-spielend lesen
und schreiben. Sogar Buchstaben, die er
noch nie gesehen haben konnte, errieth er
— wahrscheinlich durch Kombination.
Das war aber auch die einzige Freude,
die ich an dem Jungen hatte, denn er
ärgerte mich sonst den ganzen lieben Tag.
Er schlug mit bewundernswerthem Eifer
Purzelbäume von dem Pliischsofa auf
Den Blumentisch hin, riß dem armen Ka
narienvogel Federn aus dem Schwanz
und stellte meines Mannes Galoschen in
die heiße Bratröhre, daß sie unter fürch
terlichem Geruche berbrannten.
Am 22. Januar Morgens tarn ein
unbekannter junger Mann zu mir und
fragte nach Peter. Ich hielt ihn fiir eine
Amte-person so entschieden benahm er
sich, und sagte ihm Alles-.
Am Abend desselben Tages brachten
die »Neuesten Neuigkeiten« an der Spitze
aller anderen Sensationen in fingergro
ßem Druck die Ausschriften:
»Ein zehnjähriger Findling.
Er will Selbstmord begehen.
Frau o. Belers rettet ihn.«
Der folgende Aussatz schilderte in be
weglichen Worten, wie ich, durch die
Straßen promenirend, den Knaben ge
funden hätte -—- eigentlich nicht gefun
den, sondern förmlich unter den Rädern
der Straßenbahn heil hervorgezogen.
Jch selbst hätte mich dabei schwer an der
Schulter verletzt, sei aber wie durch ein
Wunder der Zermalmtwerden entgan
gen.
Noch in der Nacht vom 22. auf den
23. Januar wurde ich zweimal inter
diewt. Jch erklärte natürlich Alles für
erfunden und gab eine schlichte Darstel
lung des Sachverhaltes. Die »Morgen
Presse« ließ sich’s natürlich nicht entge
hen, den »Neuesten Nachrichten« eins am
Zeuge zu flicken und nahm sich meiner
warm an. Das »Tägliche Journal«
faßte die Angelegenheit an einem anderen
Zipfel und suchte die »Neuigteiten« durch
genauere Einzelnheiten zu überbieten.
Die Angaben, welche ich dem Redakteur
der «Morgenpresse« gemacht, seien erlo
gen von A bis Z.
Bei dem Prozesse, den ich deswegen
gegen die Zeitung anstrengte, wurde ich
übrigens am 7. Februar kostenpflichtig
abgewiesen.
Den 24. Januar und die folgenden
I
Tage verbrachte ich sehr abwechsiungs
reich. Vormittags empfing ich Redak
teure und Berichterstatter, Nachmittags
las ich, was die Zeitungen über mich
schrieben. Am 27. brachte die ,,Jnter
essante Rundschau« die Rettungszene
,,nach der Skizze eines Augenzeugen«.
Am 29. kam Doktor Loser vom »Wo
chenblatt« zu mir, und zwei Stunden
später bemerkte ich den Abgang meiner
Uhr. Als ich deswegen zu Doktor Loser
schickte, erklärte er, nie bei mir gewesen
zu sein; ich zeigte ihn wegen Diebstahls
an, er mich wegen Ehrenbeleidigung.
Die« Diebstahlsangelegenheit wurde
verhandelt, und ich am 18. Februar als
Zeugin vorgeladen. Der Doktor trug
einen rothen Vollbart, der ihm unmöglich
seit vierzehn Tagen gewachsen sein konn
te. Der Mann, der als Doktor Loser
meine Uhr gestohlen hatte, war bartlos
gewesen. Es erfolgte meineVerurtheilung
wegen Ehrenbeleidigung — erster Rück
sall — zu fünfzig Mark Strafe.
Als ich um diese Zeit einen Damen
taffee geben wollte, ließen alle Bekann
ten absagen. Frau Regierungsrath
Dauscher bat mich, ihr Haus vorläufig
durch keinen Besuch zu beehren, da sie
umziehe —- wohin, wisse sie noch nicht.
Peter aß also die für den Damenkaffee
vorbereiteten Torten auf undlag bis zum
28. Februar krank im Bett. Am 1.
März stand er auf und schien munter.
An demselben Tage war ein Polizist bei
mir, und als er wieder ging, fehlte mir
die neue Uhr, welche ich mir statt der von
dem angeblichen Doktor Loser gestohlenen
gekauft hatte. Am 2. März wollte ich
eben Anzeige gegen den Polizisten ma
chen, den ich wohl kannte (ich kannte jetzt
schon die ganze Polizei), als ich Peter
vermißte. Er kam erst nach einer Stun
de. Mein Mann nahm irn ins Verhör,
und als er nicht gestehen wollte, wo er ge- -
wesen, durchsuchte er die Taschen des
Buben." Sie enthielten Folgendes: Etwa
ein Kilo Bonbons, sechs Pfeifen verschie
dener Größe, meines Mannes lange ver
mißtes Taschenrnesser, ein Portemonnaie.
wegen dessen ich mein langjähriges Stu
benmädchen entlassen hatte, einen Kork
zieher mit einem Dutzend gebrauchter
Korle, einen halben Kilometer Bindfaden
in etwa zwanzig Stücken unterschiedlicher
Länge, siebenundzwanzig Mark baar
und einen — Versatzschein iiber eine gol
dene Uhr.
Das schlug dem Faß den Boden aus.
Jch dankte Gott, daß ich den Schutzmann
nicht verklagt hatte, ich wäre wegen
Amtsehrenbeleidigung im zweiten Rück
falle ohne Gnade ins Gefängniß gekom
men.
Dann zogen wir uns zu einer Bera
thung zurück. Mein Mann wollte den
Peter einfach vor die Thüre setzen. Jch
gab’g durchaus nicht zu. Es kam zu ei
nem heftigen Zwist zwischen uns-, dem
ersten dieser Art seit den zehn Jahren un
serer Ehe· Bis zum 5. März sprachen
wir lein Wort miteinander. Arn G. März
endlich fand ich das erlösende Wort. Mir
fiel ein, daß wir den Peter dorthin stecken
könnten, wohin er von Rechts wegen ge
hörte: ins Waise:ihaug. Mein Mann
war einverstanden und küßte mich zärtlich
fijr diese Jdee.
Ich ging also am nachsten Lage zur
Stadthauptmannschaft, wo man mich un
wirsch anliefz, weil ich »schon wieder« da
sei. Dann erklärte ich meine Absicht.
Jch möge warten, sagte man mir. Jch
wartete also bis zum Mittag und kam,
da ich kein Gehör fand, Nachmittags wie
der. Da sagte man mir, ich möge zu
dein Vorstand des zweiten Bezirks gehen,
weil ich der Lage meiner Wohnung nach
dahin gehöre. Jch ging also am 6. und
7. März zum Vorstand des zweiten Be
zirtes. Von dort wies man mich in die
Vorstadt, weil ich den Kleinen da gefun
den hatte. Jn der Vorstadt » dem
fünften Bezirke —- wollte man Von der
ganzen Sache nichts wissen. Die Akten
lägen bei der Stadthauptinannschaft, da
hin solle ich mich wenden. Jch wandte
mach also wieder dahin, aber ohne Er
folg. Man schickte mich in die Vorstadt
zurück
Die Zeit meiner und meines Mannes
ständiger Abwesenheit vom Haufe be
nutzte Peter dazu, ein Bild meines Groß
vaters zu verkaufen, um dafür Vonbons
anzuschaffen, Hausineisters Aelteste am
Auge zu verletzen und den weißen Pudel
aus dem zweiten Stocke zu theeren und
zu federn. »Er sieht ja doch ganz so aus
wie früher auch«, sagte er unschuldsvoll,
als man ihn zur Rede stellte. Das Ende
vom Liede war, daß der Wirth mir die
Wohnung kündigte.
Was sollte ich sagen? Nach unsägli
chen Schwierigkeiten setzte ich es durch-,
daß Peter in ein Wassenhaus kam.
Es war auch die höchste Zeit. Er
hatte uns die ganze Zimmereinrichtung
verdorben, Alles fortgeschleppt, was
nicht niet- und nagelsest war und ansag
baren Unfug sonst noch getrieben.
Als Peter vierzehn Tage im Waisen
haus gewesen, kam er plötzlich wieder.
Er erzählte, man habe ihn von dort fort
geschickt Gewitzigt, wie ich nun schon
war, glaubte ich ihm natürlich keine
Silbe. Jch forderte ihn auf, nur ruhig
dazubleiben; währenddem verftändigte
mein Mann die Direktion des Waisen
hauses telephonisch. Bald genug erschien
ein Abgesandter von dort in der Thür
Als Peter seiner ansichtig wurde, sprang
er auf und lief schnurstracks davon
Einen Tag und eine Nacht war und
blieb Peter verschwunden. Jch fürchtete
schon, er habe sich ein Leid angethan.
Auch die Zeitungen erfuhren davon, und
die ,,Neuesten Neuigkeiten« hatten wieder
etwas zu schreiben.
W
»Die grausame Adoptivmuttor."
,,Selbstmord eines Kindes."
,,Rabeneltern.«
Alle Aufregungen der letiten Monate
wurden aber noch bedeutend überboten m
l dem Augenblicke, da eine stämmige Wä
scherin bei mir eintrat, mich von Kopf
i bis zu Füßen maß und mich dann an
sichrie: ,,Also Sie sind die Kindesräu
berin, die einer armen Mutter das Kind
wegnimmt und fünf Monate behält i«
i Ach, der gute Peter hieß gar nicht
i Peter, wie es sich gar bald erwies, son
i dern Franz. Er war auch gar kein Wai
» senknabe, sondern der Sohn der Wäsche
. rin Anna Finienschlag, Neugasse 13
wohnhaft.
Warum Frau Anna Finienschlag ih
ren Franz nicht als vermißt gemeldet
hatte ?—— Sie war froh, ihn los zu sein.
Und mit dem ,,Kindesraub« war es ihr
auch nicht ernst. Sie verklagte mich
zwar, aber für zwanzig Mart Schaden
ersatz zog sie die Klage wieder zurück.
Jch hatte von nun an endlich Ruhe.
Hie und da kam ja noch die eine oder
die andere Vorladung wie das Wetter
leuchten eines abziehenden Gewitters-, im
Ganzen und Großen aber war der Fall
Peter-Franz im Mai erledigt. Nur
mußte ich noch dem Waisonbaus später
siebzehn Mart sechsunddreiieig Pfennig
an Verpflegungsiosten »für die angeb
liche Waise Peter« ersetzen.
Jch danke dieser ,,angeblichen Waise
Peter« den Verlust meiner strafrechtli
chen Unbescholtenheit (zwei Verurthei
lungen wegen Ehrenbeleidigung), den
Verlust zweier Uhren und mehrerer
Freundinnen (darunter Frau Regie
rungsrath Daufcher), sowie des Oelpor
träts meines Großvaters.
Dagegen danke ich ihm meine Lokals
berühmtheit (die Leute zeigen mit Fin- —
gern auf mich), meine- eingehende Be
kanntschaft mit sämmtlichen Aemtern
und Gerichten der Stadt und den Besitz
eines Blumentischchens, das mir die
Firma Meyer u. Kompagnie unlängst
verehrte zum Danke für die wirksame
Retlame, die ich für ihren Holzplatz ge
macht hatte·
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Feines Frikassee von
Hähnchen oder Tauben mit
K r e b s e n. Man schneide die Hähn- «
chen in- vier, die Tauben der Länge
nach in zwei Theile, damit man das
Geflügel erkennt, indeß kanns das nach
Belieben gehalten werden. Dann stelle ,
man sie mit etwas Salz und reichlich
frischer Butter fest zugedeckt auf mäßi
ges Feuer, leg! sie nach einer Weile auf
die andere Seite und füge nach Yz
Stunde kochende Bouillon, einige Zitro
nenscheiben, aus welchen die Kerne ge
nommen, ein Stück Muskatbliithe und
etwas- feingestoßenen Zwiebacl hinzu
und lasse sie zugedeckt langsam weich
werden« doch dürfen sie nicht im Gek
ringsten zerkochen. Jn der letzten Vier
telstunde gebe man folgensde Zuthaten
in’s Fritassee: Midder (Kalbssmilch),
gedämpfteKrebsnasen, Morcheln, Spar
gelköpse, Saucissen, sowie auch beim
Anrichten in Bouillon oder in gesalze
nem Wasser gar gekochte Weißbrotklöß
chen, Austern, Krebsschwänze und
Krebsbutter. Die Sauce werden mit 1
bis 2 Eidottern abgerührt. Recht fein
angerichtet, wird diese Schüssel mit
Schniitten von Blätterteig zur Tafel ge
bracht und vertritt die Stelle einer Pa
stete. — Was man von den bemerkten
Zutbaten nicht haben kann, das lasse
man weg. Ein gewöhnliches Fritassee
wird ebenso gemacht, nur daß die feine
ren Zuthaten wegbleibens und kochendes
Wasser statt Bouillon hinzugegossen
wird.
Pasteten von Makkaroni
mitSchinken und Käse. Hier
zu ein Blätter- oder Butterteig von 12
bis 2 Pfund Mehl, Z- Pfund Makkaroni
in Fleischbrühe oder tochendem Wasser
und Salz weich gekocht und zum Ablau
fen auf einen Durchschlag geschüttet, fer
ner ein gehäufter Suppenteller gekochter,
mit etwas Fett feingehackter Schinken, i
Pfund Butter, 3 Unzen Parmesankäse, 6
Eier. Die Butter wird weich gerieben,
mit dem Käse und den Eidottern tüchtig
gerührt und darnach mit den Makkaroni
und dem zu steifem Schaum geschslagenen
Eiweiß vermischt. Alsdann wird eine
Lage Schinken auf den aufgerollten Teig
gelegt, darüber eine Lage von der einge
riihrten Masse und se abwechsenld fort
gefahren, bis Alles zu Ende und das
Ganze mit einem Oberblatt von bemerk
ten Teig versehen ist. Das Gericht kann
auch ohne Teig in einer vorgerichteten
Form oder Schüssel gebacken und statt
Parmesan- allenfalls weißer Seh-weiser
täse dazu genommen werden. Auch kön
nen Faden- oder Gemüsenudeln die
Stelle der Mattaroni vertreten.
Der Unterschied.
Kaufmann (vorwurfsvoll zu seinem
durchgebrannten Kassirer, den er im Ge
richt wiedertrifst): ,,Dadurch, daß Sie
mich bestohlen haben, habe ich Pleite ma
chen müssen!«
Kassirer: »Hättest Sie ohnehin ge
than.«
Kaufmann: »Ja, aber da hätte ich
wenigstens was dabei verdient gehabt!«
Aus Erfahrung
Schneider: ,,Sind Sie ledig oder
verheirathet?«
Kunde: »Seit Kurzem vermählt.«
Schneider (seinem Lehrling diktirend):
»Geh-Um Seitentasche im Westenfutter.«
Kunde: «Wieso denn?«
Schneider: »Einige Kneipgroschen
sicher unterzubringen Kenne das, lieber
Herr, bin auch verheirathet.«