Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, March 23, 1900, Sonntags-Blatt, Image 15

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    Offener Schxctbebrief von
cizzie Hanfstengei.
im
’ me wert-. Oss Kohrs muß i do
« iel,n, daß alles in e diesente S hp
un daß in die etschte Lein, die idg
iesent gucke. Jch kann Jhne sage,
ann ich die Jelleeich manchmal an
, rie, dann teiea ich e Gänshaut all
·I s— oet. Die z get fin nicks wie Räckö
vn von ihre Ouhtchet do kann ich gar
michs inebt iulzfr. Wisse Se, an elaunt
Von das viele annere Bissnes, wo ich
die ganze Zeit an Hand gehabt den« da
s- n ich nit fo zu fe tende aetönni, wie
tüdet un die Feaet hin das grad ge
liche. Any-ver jetzt muß ich die Sache
n e differenie Schelkp bringe bitahs
wann der Phil in die Kandii n die
Kids sidn deht,dann iniißt ich eichebind
siehlr. Ich den mich, wie die Schul aus
. ar, die Kidä emol in die hohl komme
lossc, dilabs inseit das Haus detfe se
at nit. Das dedt mich auch grad noch
Edle, daß ich mich viel Arbeit mache
ht, nn- nit nöthig is. Der Patlok
un das Sittentubm ig aelackt, do detf
, niemand enei un den Weg spat ich das
— Miene. Wie ich die Von-e la anaeguckt
n, do hen ich gedenkt, well, well, hen
ch gedenkt. was wet’n not die Leit
" denke, wann se die Feget sehn.
Stackins hen se anaeliadt, do wart
k mehr Löcher wEe Wall dran; die
;- Schuhs wake verrisse, Die Pebnties
wate so voll Löcher-, daß mer aliinnver
iiyt Körperche hat sehn könne. Un dinne
den se aeanckt, als wenn se in en
SdsclleesPati aeiesse hätte un ivsike
dann in den Duft aefallr. Rossen den
ich gesagt, sell muß actich:l,nicht werde.
Jch ljen noch so viel alte Stoff von
mein Hur-band ioo er »aus aewachse s
E is, und do hin ich gedenkt, ich könnt
san gut for die Bube Suktcher draus
ma. . Wisse Se, ich den e Zubing
Meichien un war immer e wie-Fand in
Suhing Jn die etschte Lein en ich
, miche alte Kutt von den Phil ge
iöckelt« den se IuZenannet gemacht un
den alles aut qe:oaiche, dann hen ich
mich e Päitern getiieat, fell hen ich
, mich seivit c,cfi1t. Wisse Se, ich sin bet
) gonae un sin hin un hen den Johnnie
an de Floh-: uff e PieH e Wahlwbpee
dinlcge mache un do den ich dasPattetn
nach geschnitte, ich sin schuf-L es hot
aeig gut fitte müsse. Dann den ich die
Guttö nach den Kämen aeschniite un
hen mich an mei Mcschine gesetzt. Das
etfchte Oinm was ich acdalm ben, war,
. daß ich alle die Niedele wo ich noch an
E« band gehabt den, vetbiochen ken. Jch
den-dann off Hokus daunkxaun ge
mush IUl llllcq cllllclc Juki-c V Ell
kriege. Jn die Rat hen ich mein Om
dulla stehn .ielosse un tzen auch ein von
mei liiiiqlodfs verlore.Enniban den ich
awwet die Niedels gehabt un «roie ich
heim fin l:mme, do den its reiteiveg
widrer mit die Meschien qeliart. Aw
tvet denie Se das dertollte Luder hätt
geschafft? Zweimal bot sich das Wicht
"ekiel;i un dann fix-PS widder gesioispL
fin ichs-by die Fiids den an die
Erschien gemonliet aebabt. Was war
tät duhnF Ich den enI.IieichIeniit lomme
sse, der bot die Melchien aefixt un oot
mich blos fiiowe Schilling for ge
ischartith Dann sin ich awroer dran
cange un in leise denn no Teim den
ich e Kohtche gemacht achabt. Dann
hen ich mich noch e Lobi geholt, for
e Paar Pehnties zu mache. Ich sage
Ihne, ich hen so prauht gefietit, wie
alles. Sehn Se, das is der qu, wie
e Wummen fehle muß· Es is iesig ge
ituq, in en Stoht zu gehn un das
rasche Geld hinzulear. So lann einige
Frau ihre Kids fein uffficlie, awwee
ie Mennfohls dubn lo ebdes aar nicht
epprieschieir. Wie ich mich grad hinge
Xedi den, do ringt ais emol die Dahe
ell. Ich fm binaange un hen uffqes
macht un do is es die Misses Wampez
wese, wo nit lang zurück in unser
,al)dfch innifchieddel is worde. Sie
« bot gefagt, se wär komme, for en Kabl
sn mich zu mache. Ich den mich off
Kehri- ariq geireit un den fe impeitet,
in de Parlor zu lomme. Wie ich die
. Scheins on die Windersch uffgemacksi
lim. do den ich doch keindee eschehmi
— gefiel-li. Alle« Fornitscher is voll Duft
ewesei Do lin awtver nor die Kidg zu
Fiel-me, die lin lchuhr genug drin qe
mit Weil eg is ja ennihau bald Zeit
or hans zu liiene. Der Johnnie is
hi lcmme un bot sich do erum ge
rückt. Wisse Se, der Lansbub muß
immer dabei sein« wann Jemand do is,
bilads et muß jedes Wort böte, was
gefchproche werd un das aleich ich aar
nit. Ich ben 's ihn schon bei Hals
sbichneide verbotie, awioer immer miizi
Mich widder. Ich den ihn aetn los san
volle un den drum zu ihn gehst:
—
«S etie, qelp obsieth un dnh schön
die oht einm, wiels die Ma gettern
gemacht hat« dann tann ich heit Mittag
widder weiter nälse un meim ute
Bubdze nach e Suhtche mache.« » hls
recht, hot er gesagt un is fort. Jch hen
denn die Missui Wampez verzählt,
daß ich die Binde Subtcher ans ihren
Pa sein alte Stoff mache un mir den
dann or so ebaut zwei Stunde vrn
Saht r getahit. Die Missus Wam
pes war arigvsnrpreisi. daß ich mit ten
Nähe so händig sin un sie sagt, sie
könnt so ebbes nit dubn, tuh ser her
Neck. Ofi Kohrs hen ich se inweitet,
mit mich obsiehrs zu lomme, for zu
Eim, tote schön ich alles gemacht heu.
Nie mer obstehrs komme sin, do hen
ich lpnttinier die Fitz triegt. Denke Se
mo , Tot der Jahnnie instett von die
alte t obt, die neue Kont, tvo ich ge
macht ben, qerippt nn hot mit die Sis
fersch Löcher in das Zeig geschnitte,
daß es höchstens for Mappräcls noch
zu juhse war! Dann sin ich hingan e
un hen jedem von die Kids e neie Sagt
kauft. Jn das Selbitmache is doch
tei Sebiing afterahi. Mit beste Rie
gahrds,
Lizzie hansstengeL
Das taubitnmme Kind
Von Detlev Freiherr von Liliencron.
Von dichter Kinderichaar umgeben,
Mast-artig alle nnd gesund-.
schien wolkenlos der Mutter Leben.
llnd alles stand auf sicherm Grund.
Nisr eins von all’ den Gliicksgetvinneii
Ein Mattean iin lustigen Schwarm.
War tanbjiunim nnd von blödcn Sinnen.
Lag täglich fast dem Tod ini Ann.
Verdreisncht hält der Liebe Posten
Vor ihrem Stiibehen seine Wir-ht
llnd leine Mühe, seine Kost-In
Erschiittern seine Oeldeninacht·
Und weiter othtnet. lebt die Manie,
Nun ist sie dreizehn Jahre schon
Doel immer bleibt dieselbe Schranke,
Versjeqzt ist ihr der Menschenwit.
Der Mutter heißeste der Bitten.
Der Wünsche heissester ist nur«
Bevor ihr Liebling ausgehtteiu
Eh« abgelansen ihre Uhr:
Daß sie ein einzig Mal nur sage,
Ein einzig Mal das eine Wort
.Mutter« — nnd Ivegsegt alle Mage.
Und alle Triibsiil ist verdorrt·
Das Mädchen starb. Mit reinem Herzen
Sanl eben sie an Gottes Brust
Die Mutter blieb im Land der Schiner
zen
Und gab sieh schwer in den Verlust.
Dann starb nurh sie nnch vielen Jahren.
Noch Plag« und Arbeit- ivie·e-« so geht.
Wir alle iniissui’5 ja erfahren.
Wie schars der Wind aus Erden weht
Plls sie nun schritt aus Hinimelsnsegcm
Bei Gottes Thron nni heiligen Lit.
Trat ihr das Töditcrchen enmmrm
Und —- «Mutter« jauchzt ihr erstes Wort
Bis-ou.
Eine Vallsrene von Mathilde Lipp.
»Sie sind heute rechi langweilig,
herr Doltor.«
«Nur heute — Veredrteste?«
Das schöne Märchen in der dnstigen
Ball-Toilette zerpflückte die Blumen
aus ihrem Gürtelstrausze und wippte
ungeduldig mit dem Fuße.
»Ja —- nur heute; denn gestern aus
der Eisbahn waren Sie sehr heit:r
und schienen sich toirllieh auf unsern
bangt-all zu steuen.«
Eine kleine Pause trat ein. die dem
jungen Mädchen zu lange dauerte. Sie
schlug ihre Augen fragend zu demDok
tor auf, der in lassiger Hiitung ihrem
Stuhie gegenüber am Kaniin stand,
eine Cigirette rauchend.
«Nun?« —
»Vielleicht bin ich enttäuscht, Fräu
lein Edith."
»Ah! — Habe ich Jhnen nicht den
Wunsch eriiillt, zwei Rundtonrcn und
den Kotillon mit Ihnen zu tanzen und
Ihre Tischdame zu sein? Gab ich Ih
nen nicht den schönsten meiner gestick
ten Orden, und ist es heute nicht will
lich unterhaltend bei unsi«
Dottor Roland lächelte.
»So war’ss auch nicht gemeint, gnä
diqu Fräulein. Meine Enttciuichirng
bezieht sich auf all’ Das nicht« was Sie
da an Gnaden aufgezählt haben. Jhr
Fest ist wirklich schön« und Ihre Güte
ließ Nichts zu wünschen übrig. Ader
ich suchte heute Etwas in Ihnen, was
ich zu meinem herziichen Bedauern
nicht fand.
Edith erröthete.
Wollte er sich erklären?. . . Sie
liebte den Doktor nicht eigentlich« er
war nicht ihr .Genre"; ader es schmei
chelte ihrer Eitelkeit, daß der junge
Gelehrte, der sich bereits einen bedeu
tenden Namen erworben hatte, in ihr
die Königin seines Herzens sah und
ihr allein seine huldigungen dar
brachte.
Er war ein mächtigen ein vorneh
mer Mensch« eine durchaus wünschens
iverthe Partie — so wog sie kühl ab,
.- aher ganz eigenartig und zuweilen
unverständlich. Er lebte niehr ein Jn
iienlehenz dahin konnte-ihm ihr oder-«
stachlicher, an Glanz haftenber Sinn
nicht folgen. Sie verstand nicht seinen
Hang zur (sinfamleit, nicht seine in
teniiue Freude an der Natur« an dem
Natürlichen und Schönen, nicht seine
Jnteiessenlosigleit an der sogenannten
Welt.
Trotz all’ der taiten Betrachtung
Vek Eigenschaften, die sie an ihm nicht
leiden mochte, bemächtigte sich ihrer
—
etne große Erregung, als er so schwel
Jegd neben ihr stand nnd sie voll an
a .
»Ich wills wissen, Herr Doktor, in
toiesern ich Sie enttänscht habe-«
»Gut! . . . Jch erzähle Jhnen doch
von meinem Hunde. . .«
»Sie haben den ganzen Abend noch
nichts Anderes mit mir gesprochen,«
tlanq es spöttisch zurück.
Er ließ den geteizten Ton unbeach
tet nnd fuhr ruhig fort:
«de sagte Jhnen, wie er seit Jah
ren mein treuer Begleiter und das ein
zige Lebewesen war, das meine Ein
samkeit getheilt hat«
Sie sand das lange Aus-holen
schrecklich ermüdend.
«Sein Unglück mit der elektrischen
Bahn, seine Qualen und Schmerzen
keine traftlosen Anstrengungen, mir
entbar die Hand zu leclen sur Pflege
und Nachtwache —- sein Tod unter
Stäßkichen Wehlauten und endlich der
Verlust, den ich so ties empfinde, ha:
Jhnen nicht ein bedaueindes Wort
entlockt. Und das enttäuscht mich an
Ihnen, Edith, das macht mich irre an
Ihrem Herzen.«
Das junge Mädchen war empört.
»Sie sind überrascht, gen Doktor,
und sehen im weiblichen emiith denn
doch zu viel Eindruckssöhigleit voraus.
Das Thier ist todt —- nun, Sie sausen
sch wieder ein anderes. Aber Sie thun
Ia gerade, als sei Ihnen ein lieber
Mensch gestorben.«
»Man taust sich wieder ein ande
res,« —- wiederholte er traurig. »Sie
sagen das, als tönne man sich Gefühle
mittausen.«
«Nachdem Sie, mein werther Herr
Doktor. in meiner Gegenwart fortge
seht untröstlich sind über den Verlust
Plbres blindes iweiile ich stmst km
iJhrer— Verehrung fiir mich und
überlasse Sie Ihrem Schmerze.«
»Damit stand sie heftig aus, riß ihren
Fugu an sich und rauschte hinaus.
in wenig hatte Eile wohl das Ge
siihl, sich in seinen :igen herabgesetzt
und etwas Dammes begangen zu ha
ben, aber seine heutige Jammermiene
und sentimentale Unterhaltung war
faktisch nicht nach ihrem Geschmack.
Einen Augenblick war Roland der
bliifft und hatte beinahe versäumt, ihr
dte sehutdige Verbeugung zu machen.
Als s:e sich dann unter die im Reden
saale Tanzenden gemischt hatte und
einen Augen entschwunden war, lä
. chelte er ———— ein weiches, trauriges, ent
i täuschtes Lächeln.
i Das war seianeaL sein Traum ge
s rresen, dieses schlanke, Mädchen mit
; dem lebendigen Geist. Da ging sie hin
« niit ihrem kalten Herzen.
. War es unmännlich, daß er seinem
. treuen Thiere so nachtrauertef
; Jn einem Punkte freilich hatteEdith
Nicht. Er brauch-te nicht gerade sie mit
seiner stlaqe um den Verlust des Thie
reH zu belästigen. Wenn man so oon
einem trauriaen Gedanken hehrrrscht
. ist. bleibt man besser in seinen vier
Wänden. Aber er hatte so sicher auf
ihr Verständnis; gerechnet und — sich
nun so sehr geirrt. Wer sür die Thiere
im Allgemeinen und nicht sür das
Th:er warm empsai.d, das einem lie
ben Menschen lieh war, der war in sei
nen Augen heult-T eine Eigenschaft,
die er teinem Weibe verzieh.
Nicht lange hatte er Zeit, iiber das
jähe Erwachen aus seinemLiehthraum
. nachzudenken, die zweite Tochter des
Hauses trat herein und sprach ihn an.
Ein wenia schüchtern, denn sie heate
eine große Zuneigung siir Doktor Ro
l(:nd, sah sie in der Schwester immer
die Bevor-neue Tanzen, saate sie ihm
auf seine Frage, wolle sie nicht« denn sie
sei schen schrecklich müde, aber aanz
gern ein Bis-schen plaudern. Er möae
nur die zwei Sessel vom Kamin ab
rücken
.tleber wag dachten Sie eben sc
tiefsinnig-» nach, Herr Doktor?«
»Ach, liebes Fräulein, ich fürchte auch
Sie durch mein Bekenntniß zu erzür
iien. Jch denke nämlich heute Abend
immerfort an meinen Hund«
,,Wieso? Jst er trank? Oder haben
Sie ihn verkauft?«
»Nichts von beiden, Fräulein Lotie
—- er ist todt.«
Das weiche Gesicht des jungen Mäd
ghenå bekam einen ganz traurigen Aus
ru .
»Todt! Der schöne Hühnerhund, der
so klug: und anhänglich war? Von dem
Sie uns so drollige Sachen erzählten?
Ach, das thut mir leid, das thut mir
nirtlich leid!«
Der Doktor streckte ihr beide Hände
cntififegem die sie ein wenig erstaunt er
gri .
«Sel«,en Sie, liebes Fräulein, Jkir
! Mitleid freut mich, das ist mir wie
s eine Kondolenz. Jch komme anen ne
i wiß recht sonderbar vor, aber in Anbe
i tiacht meiner Alsaeschlofsenheit von der
) Gesellschaft empfinde ich den Verlust
meineLBijou so schmerzlich, daß es mich
. freut. wenn Jemand daran theil
nimmt.«
) Lotte wurde ganz befangen unter
seinem stürmifchen Händedruck
! »Ja —- ich versteh's, Herr Doktor-,
! wie das sein musi, ein so ireues Thier
zu verlieren. Ich bin sicher kindisch,
aber denken Sie, ich rede oft stunden-·
lang mit meinem For, sogar im Wald
halte ich ibm Vorträge, und es thut
so wohl, wenn man vor sich hinreden
tann, treue Augen auf sich gerichtet sieht
und leine Antwort betommt.«
Ein warmer Blick streifte das junae
i Mädchen, das nicht annähernd so schän
i war wie seine stolieSchwester, deni aber
) di: Herzensgiite aus den braunen Au
gen leuchtete.
) »Sie haben doch gewiß einVild Herr
Doktor, das Jlinen Ihren schöneiiHunr
l immer vergegenwärtith«
—
—- --—-—
· »Seit-er nein. Jch hab’g immer ver
iaumt.«
Recht verlegen, aber unendlich an
muthig sagte Lotte:
»Aber ich hah’ eins. Ich habe Sie
einmal heimlich photographirt, als
Sie mit hrem Hunde auf dem Fe
stungswa promenirten. Ich will es
holen.«
Doktor Roland blickte ihr nach und
wunderte sich, daß er nicht mehr an
seinen Biiou, sondern nur noch an
Lotte dachte.
Er sagte gar Nichts-, als sie zurück
lcsm mit dem wohlgelungenen, sauber
ausgeklehten und — eingerahmtcn
Bilde, das wohl irgendwo in ihrem
Zimmerchen gehangen. Er küßte nur
immer wieder ihre Hand, und der Blick,
der auf ihrem gesenkten Köpfchen ruhte,
verrieth die Wandlung in seinem Der
sen.
Vaters-irgen.
Aus dem Jtalieniichen von Salvatore
Farina.
Die Schulwissenschait meiner Kin
der hatte mir bisher keinerlei Unan
nehmlichteiten verursacht; so erschien sie
n«kr denn als etwas Unschuldige5, ganz
llngefiihrliche5. Die gelehrte Miene,
die niem Gusxchen auszulegen pflegte,
wenn er aus der Schule lam, weckte in
mir daher keinerlei Mißtrauen, ja ich
pflegte ihn sogar mit vaterlichet Glo
quenz zum Lernen anzuspornen.
»Lerne, mein Sohn, lerne fleißig,
wenn Du em ganzer Mann iveroen
lrillft,« predigte ich saldunggvoll
Diese Phrase bedurfte keines Kom
Incntars, denn in den Augen »meine-Z
Sohnes wenigstens war ich ein »gen
iet Mem-( Ader meine Frau tente
— Hinzu: —
«Nimm Dir ein Beispiel an Deinem
Vater und Du wirst ihm gleichen.«
«We«rde ich auch ein Avvoiat sein'-t«
»Gewiß! Und noch dazu ein herausn
»Bist Du berühmt?«
»Aber wie!"
»Wie viele Bücher muß ich auswem
dlg leinen, um ein beruiyiniex Adootat
zu werden?"
.,Sehr viele!«
.Ai;ch das Hand-ducke der Wettge
schichte3«
»Auch das!«
»Und die muß man alle wissens«
»Freilich alle!«
Dieses Wort war der aröbste Ver
stvß, den ich auf meiner vateriichanLari
riere begangen hatte.
Jn ticie Gedanken versunken schlich
sich Gustav davon und daid yarie ich,
wie er iiii Nevenzininicr singend seine
Lektion rezitiiie. Erst lag er sie laut
mit einein gewissen Selbstgeziihv tuiiii
versuchte er sie ausweiiv.g ..er-iiiierzii
leiern.
»Di:riu5, König der Perser, Sohn
des —-»—— Tsariu5, König Der Perser,
Sohn desHystasves, den man -- -— —
Darius, Sohn des Hy.ia5i)eu. den inaii
auch Ahasver nennt. wollte sich ein
Frau witzlen —- — —«
Jn atinungsloserffreude rieb ich »iir
die Hände und es iiel nu: aar nicht
ein, mich zu fragen, wer denn d.e schöne
nnd tugen )reiche Frau gewesen, die
Darin-L Sohn des H.«tagpes, der. man
auch Avasver nannie, eigentlich zum
Weide qcnommen hatte.
Er wird es schen lernen« Gustav ist
ein Starrtvuf mie sein Vater, und Da
rius wird sitt-, ihm endlich ergeben und
bin-Inst Akvinms in spin Händan sin
ter
stehen«
Anderen Tages tarn der Kleine «
stralkkenden Antlitzes in die stanzlei.
»Ich weiß das Ganze-«
»Was denn?«
Statt jeder Antwort begann er:
«Da1ins, Sehn des Hystaspes —
Sohn des Hhstagpes —- den man auch
Ahasver nannte —«
Da steckte er.
»Nun,« ermuthigte ich« ihn, »wollte
sich unter den schönsten und tugend
regchiten Frauen des Landes eine Frau
wählen . .. Nun, und fand er eines«
»Ach, Papa, Du treißt ja gut« daß
er eine gesunden hat.«
Jetzt erst sah ich, in welchen Ab
grund mich meine Unbesonnenheit ge
lockt hatte· Reinen blauen Dunst hatte
ich non der Geschichte des DariuH; nur
mit List vermochte ich aus meinem Gu
slav herauszulodem daß die Frau des
Deicius Esther geheißen und auch einen
Enkel Namens Mardochai gehabt
be.
»Aber saa’, Papa, warum hat sich
Mardrchai dein König nicht vorgestellt;
nsenn Darius ihn genannt hätte, so
würde er dem Anderen, dem —- —— dem
— ——, warte nur« wie hat er gehei
ßen?«
Ich lächelte urd wartete mit himmli
scher Geduld. Wer selber Vater ist,
wird meine Qual ermessen, denn ich
wußte ja selber nicht, wer eigentlich
der Andere sei.
»Es liegt mir aus der Zunge,« sagte
Gnstavchen und sab erst zurDecke, dann
mir in’s Gesicht. Ein zaaendes Hoffen
sprach sich in seinen Anaen aus. Mein
Herz blutete, aber ich blieb unerbittlich.
»Du weiss es noch nicht? Gut wic
derhole Deine Lettion.«
Gustav stiirmte hinaus-. Als er tri
umphirend zurückkam und erklärte, der
Andere hab-. Hamen geheißen, saß ich
schen hinter meinen Vandelten. Gustav
zoa sich lautlos zurück, ich aber sagte
leise zu mir:
»Tottorck,en, Du bist ein Esel! Der
arme Junael Er sab mich stets iiber
dicken Folianten arijbeln, zählte die
Fächer meiner Bibliotbek nnd dies ge
nüate ihm, um mich fiir ein wandeln
deä Archiv der Gelehrsamkeit zu hal
ten.«
«Papa, Du weißt Alles,« pflegte er
zu sagen, als er noch gar nichts wußte.
»Du weißt mehr als der here Leh
rer," sagte er später. «
Aber an diese hohe Meinung von
Papas Wi en sollte nicht lange wäh
ren. Darius, der Sohn des Huftas
pes, gab meiner erlogenen Größe den
ersten Stoß. Wer weiß, ob im Laufe
des Tages aus dem Handbuch der Ge
schichte nicht weitere berühmte Persön
lichkeiten aus«-stehen« um mich in den
Augen meines Sohnes zu beschämen.
Jeh begann Reif und fest zu glauben,
ich habe kein echt, länger auf Erden
zu wandeln, falls ich mir nicht die Ge
schichte des Darius, seiner Frau und
seines Onlels einpautr. Jeh s lich
mich in meine Bibliothel und von ei
nem gesehen, nahm ich eine Geschichte
dek- Alterthums zur Hand, um darin
zu blättem
Oh hätte ichts nie gethan. Jsm Vers
laufe einer halben Stunde qerieih ich
in helle Verzweiflung Entsetzt starrte
ich auf das Inhaltsverzeichniß, das
mich wie ein strenger Examinator an
zulocken schien und mir demonstririe,
wie kolossal unwissend ich sei. Wie
Schuppen fiel es von meinen Augen:
von all dem, was mir seinerzeit in der
Schule eingedrilli worden. war nichts
geblieben. Die vielen hebräischen,
asycischen und persisrhen Könige waren
feige entwichen und ließen blos ein
wijstes Chaos von Namen uno Zahlen
zurück. Ich stand vor einem schrecklich-n
Diienimen Entweder mußte ichmich
dazu entschließen, von meinem Sohne
für einen Esel gehalten zu werden, oder
ich mußte mich dazu bequemen, durch
die »in-sei istorie mich neuerdings hin
»ur-.,-«zuar eiten.
An diesem Tage ging ich nicht so
muthig und selbstbewußt zurVerhand
lung; nicht wie ein Addoiat, der auf
cllr überraschenden Wendungen der
Civilprozeßorinung vorbereitet ist,
sondern unterwürfi und fügsam wie
ein· Schuljunge, der eine Leition nicht
weiß. Und während der Advatat der
Gegenpartei seine Begründung por
drachte und weiß Gott was für Ver
Diite des Kassationshafeö zitirte, um
den Beweis dafiir zu erbrinqen, daß er
das Recht habe, die Habseligteiten mei
nes Klienten zu exequiren, dachte ich
unaufhörlich:
»Wenn ich mich jetzt pkötzlich erhöhe
und diese Herren sraaen würde, wer
Mardochai war, ob wohl Einer von
ihnen mir zu antworten wüßtes«
Als dann die Reihe an mir war,
stand ich auf und erklärte, daß ich die
Lizitation nicht gestatte, daß ich mich
aus das Gesetz, aus die Menschlichkeit
berufe. Dann fügte ich mit große-n
Pathos h!nzu:
»Wir leben nicht mehr im Zeitalter
dJr Pharaonen und Persertdnmr.Heute
idnnte seldIt Ahasver den Haman nicht
hangen lasten, ohne ihm Zeit zur Ap
pellation zu gewähren.«
Man wird wohl fragen: Wie ionimt
Oaman daher? Und doch! Die Ptjrase
wirkte, dieHahseligteiten meines sichtl
ten kamen nicht unter den Haimner.
So taugt also die Geschichte doch zu
etwas.
Ech nahm also meine ganze Energie
zu ammen, stahl meinen Akten all
abendtich ein Stündchen und meinem
Sohn sein Handbuch der Geschichte
iv:g und machte mich auf den Weg nach
Persiem Freilich war mein Wissens
drang tein allzu großen, ich begnugte
mich meinem Sohne immer gine Let
tion voraus zu sein, um gewissen un
»n»on4hnI-n Ilshtvvxisphnnssn heil-Jn
-..;,-..-., ............ -...,-..»-.. »sp»
weichen. Eine Zeit lang lief alles glatt
ab. Da kam aber ein unqliickseiiger
Vormittag, da die Herren StudesrteZy
mit Denen ich in Persien bei Darius
Codouiannug geblieben war, plötzlich
uno ohne mich davon vorher zu ber
ständigen, nach Allyrien ijbzrsieoeltem
Dann gab es mancherlei andere Lieber
raschungcn: Geographie, biblische Ge
schxchie, Arithmetik, lauter gehet-nach
volle Sphinxrathsel, rnit Deren While
rien mein vwohn mir Morgens das
Frühstück, Abends das Nachtinahl ver-.
itterte.
Allgiitiger Gott! Welche krasse lin
ivissenheit. Jch wußte gar nichts mehr,
oder vielmehr, was noch schlimmer
war, mein ganzes Wissen war ein
liickenhaftes, ioüstes Chaos. Dagegen
gab es nur ein radikale-Z Mittel: Alles
gründlich auf's Neue durchzustnviren
selber ich war seige und flictte ..1einWis
sen nur dort, wo es gar zu lkeoenlliche
Löcher aufwies.
Nicht lange währte es, da ertappte
mich Gustav bei einem Fehler, erst ein-.
mal, dann zweimal, dann ZehnmaLErst
verwundert, dann schmerzlich ent
täuscht, dann spöttisch. Nun sagte er
nicht mehr, wie in den schönen Tagen
seiner Unschuld:
»Papie, Du weißt Alles-l«
Jm Gegentheil. wenn er in meiner
Gegenwart in den elementarsten Din
gen einen ehler machte und ich densel
ben verbe erte, wies er die Correltur
aufs Entschiedenste zurück mit jener
heiligen Phrase, die schon so viele El
tern erbleichen gemacht:
»Der Herr Lehrer hat es so Jesagt.«
Die Mama that ihr «Möglichstes, um
meine erschütterte Autorität zu befesti
gen, aber vergebens; Gustav murme.te
vor sich hin:
»Der Herr Lehrer hat’s gesagt.«
Eines Tages kam Mama zu mir in
die Kanzlei.
»Gustcben kann seine Rechenausgabe
nicht machen. Jch begreise diese Lehrer
»nicht. Schöne Erziehung bas, die ar
men Kinder so zu quälen. Seit dem
Frühstück brulet das arme Kind Eiter
dem Papier. Ich tann’s nicht länger
mit ansehen· Geh’ und hilf ihm.«
»Jch? Ja wozu schicken wir ihn denn
in die Schule? Wenn der Lehrer die
Aufgabe gegeben bat, ist das ein se
weig, daß er wissen muß, wie sie genik
wir .«
»Aber die Ausgabe ist sebe schwer. et
kommt auch Planigeonietrie darin vor«
er kann sie nicht lösen, der arme tieri,
und drin weint er — — —'«
,,Er weinti — —«
Sosort ging ich in Gustchens Zim
mer, die Vorahnung einer Katastrophe
dämmerte in mir auf. Aber nun konnte
ich nicht mehr retiriren. Jch ftreichelte
seine thräneniibersttömten runden
Wangen und sagte niit würdevollein
Ernst:
»Laß’ ’inal sehen. Ein Ziegelbrens
net hat so viele Ziegel zu liefern, als
wan «braucht, um ein parallelozrannm
örmiges Zimmer auszupslasierm des
sen Seitenlänge —- — —- u. s. W. Aber
Eil-sichern das ist doch tinderleichi, und
das kannst Du nick«t?«
Der Kleine antwortete nicht. Er
blickte mich an mit jener an alte Zeiten
geniahnenden ehrfurchtsvollen Bewun
derun , die mir so wohl that.
»F habe jetzt teine Zeit und dann
sollst Du ja die Aufgabe machen. Aber
Di. bist jetzt müde, gehe in den Garten,
Taufe herum und dann komme herauf,
so wird Dir die Ausgabe viel leichter
ein-«
»Sie ist sehr schwer, Papa,« seufzte
»Ach, was fällt Dir ein, tin
derleicht . . . .«
Er ging hinunter und ich machte
mich über das Exempel. Die himmli
sche Barmherzigkeit behüte jeden Ba
ier vor solchen Qualen, wie ich sie nun
durchlebte. Evangelina stand nein-n
mir und schien meine Verlegenheit zu
ahnen. Jch rechnete« radirtk korrigiere,
rechnete wieder mein Kovi summte net
c
lauter Zahlen, so daß ich sogar beim
Addiren Fehler machte, und wequ ei
ner Einheit, wetzen einer Ziegeleinheit
vergeudete ich meine iheuere Zeit· Das
Dienstmädchen meldete einen Mien
ten, ich ließ ihm sagen, ich sei fehr be
schäftigt und könne ihn nicht empfan
gen. Endlich begann es in meinem Her
zen zu dämmern« das Problem stand
klar vor meinen Augen unisbinnen we
nigen Minuten war die Ausgabe ge
löst.
Ach, dieser Blick voll dankbarer Be
wunderung. den Gustav auf mich hef
tete, als er, vorn Garten tommenb, das
Exempel fertig sah. Jch aber ging mit
feierlicher Miene in meine Kanzlci zu
rück, als hätte ich die Fackel der Wes
senschiaft mit mir getragen. Doch cas
Schicksal schreitet schnell. Als Gustav
Mittags nach Hause kam, stürmte er
nicht fröhlich in’s Zimmer, um zu ve:
künden, er habe einen Einser bekom
men, sondern blieb wie ein abgebriihter
Pudel in der Küche stehen« Als ich ihn
Fragte, was ihm fehle, erwiderte er
chmollend:
»Die Aufgabe war fchlecht.«
»Unmöglick,!"
»Schau her! 4526 Zieael hätten her
auskommen müssen lind wir haben
8916 herausgebracht.«
Ich ftcrite aus das Papier, aber ich
sah nichts, nur Gaste-MS anllagenden
Blick. Wenn mir alle Ziegel auf den
Kopf gefallen wären, es hätte mir nicht
so weh gethan.
h» Mein Nimbus war aus immer da
m. -
In dem Hamburger Fachblatt
,,Kiiche und Keller« lesen wir: Es ist
schließlich nichts Wunderbarez und
den Feinschmeckern und Vielessern
nichts llnbetarintes, sich ein Diner auf
sranzösrsche oder russische Art servrren
zu lassen. Jm Laufe des vergangenen
Jahre- ist manches merkwürdige und
sonder-here Diner getocht und in frem
der Manier servirt worden. Zu der
letzteren Classe gehört ein Diner a la
l-·21rabe, das kürzlich in Kuiro oon
dem Baron Max Oppenheim gegeben
wurde. Man geht wohl nicht fehl,
wenn man die ganze Art dieses Essens
mehr sonderbar denn schön findet.
Wir geben hiermit die Beschreibung
des Diners, wie sie von den Theilneh
mern gemacht worden ist. Servirt
wurde an kleinen Tischen. Als die
sechzig Gäste in den mit orientalischen
Teppichen und kostbaren Stickereien
prächtig geschrniielten Räumen saßen.
die Damen in reichen und hübschen
Toiletten, die Herren entlr-«ek it im
Frack oder dcr lleidsamen Uniform der
schottischen Hochländer und 21. engli
schen Lanciers, gab das Ganz- ein
brillantes und sarbenreiches Bild.
Araber, gänzlich in Seide geklei.æt
und beturbant, standen mit große-a·
aus getriebenern Silber gearbeiteten
Wasclzaesäßen hinter den Gästen, und
das Diner, bestehend aus einigen
zwanzig Gängen, begann mit dein
Hände-waschen Sappe und alle übri
gen Gänge rvurden für jeden Tisch in
nur einer Schüssel aufgetragen· Die
selbe wurde in die Mitte der Tafel ge
setzt, und die Gäste langten mit den
Fingern zu. Nachdem sie zunächst die
Sappe, jeder mit eigenem, mitge
brachteni Löffel, direkt aus der Terrine
gegessen hatten, zerpflückten sie mit den
Fingern die in der Suppe kschwimmen
den zarten Hühnchen Ek- war nicht
leicht, in dieser Weise den Lammbra
ten zu genießen. Teller gab es über
haupt nicht. Eingernachtes, Salat,
—- Alles wurde in gleicher Weise ser
virt und gegessen. Ebenso wurde das
Brod mit den Fingern ausgehöhlt,
voll Sauce arsiillt und diese dann dar
aus getrunken. Der GastaebeF wel
cher ror jedem Gang mkt der Glocke
läutete und sich ebenso sehr wie seine
Freunde über das Fest amiisirte, ging
von einem Tische zum anderen, von
jedem einen Mund voll essend.