Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 24, 1899, Sonntags-Blatt., Image 11

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    m
Wenn einer gklitt Ini.
Novelleile von J. Da l d e n.
Der Schnellqu von ranlfuri
.kommend, durcheilt die Na i! Wie
eine dunkle, durch List-wankte erhellte
Schlange windet er sich stöhnend und
schnaudend durch schweigende Felder,
über iosende Flüsse und dunkle Abs
runde, an Wäldern vorüber, die wie
chwarze Colosse sich aus dem blauwei
en Mondnebel heben. Das Rauchers
oupe erster Klasse ist nur von einem
«· einzigen Reisenden besetzt Der blaue
Wollschirm verhüllt die eine Seite der
grell strahlenden Deckenlampe, eine
weiche blaue Dämmerung erfüllt den
kleinen, warmen Raum. Du Reifende
ist ein junger badischer Offizier. Er
hat den grauen Mantel lose umge
hängt, und das feurige Noth des Kra
gens hebt den brünetten Typus dieses
aussallend schönen Gefichtes noch Mehl
hervor (
, Ethatte versucht zu schlafen, schleiii
derke aber jetzt mit einem Ausdrucke
der Ungeduld den seidenen Puff in die
andere Ecke. i
Müde ist er zum Umsintem direttj
vorn Dienst zum hauptmann vom
hauptniann zum Bahnbof, und acht-l
zehn Stunden unterwegs — —- keine
meitiigteiti
Und wenn er nun dennoch zu spat
kämei —- Zu spät!
Ubet nein, er sieht zu schwarz! Das
Schicksal hatte ihn bisher durchaus
nicht schlecht behandelt —- im Gegen
FUU Es hat« ihm eine siebenzackige
rone zu dein hübschen Namen Gregor
von Gellingen gelegt, ihn mit Brüdern
und Schwestern verschont, und dafiir
ans ihn allein die dunkle Polenschön
heit der Mutter concentriri. Es hat
ihm die Gabe verliehen, die wenigen
Goldkärner seines Wissens stets zur
rechten Zeit an’s Tageslicht zu för
dern, und eine verblüffende Ungewitt
it, überall sich den besten und ersten
las anzueignen Nur Eines hat di:
laumnhafte Göttin bei diesem ihrem
Lieblingblinde vergessen: »Die asi
dene Wünschelrutbet Gregor von Gel
lt en kümmerte es wenig. Gab es eixi
sch neres Leben, als das Soldaten
lebeni Die Kameraden lehrten es ihm,
bis er schließlich fiir Alle der Lehrmei
ster war. Denn Keiner verstand ein
Pest reizender zu arrangiren, einen ed
en Tropfen tiessinniger zu probirei-.,
den Souderän »incpgnito« besser zu
markiren, als er, der schöne Gregor-I
Man war empört, man war einfach
staftlos, als das Lieblin zkind des
Essindtisches urplößtich versetzt ward,
und zwar in das iämmerlichste Fröh
winket der schlesisch-pdlnischen Grenze
Aber man war sprachlos, als kaum
nach einein Vierteljahr ein feingesiochc:
neö Cartonblatt in die Casinorunde
wirbelte: Der schöne Gregor ·—- dei
Herzenöbrecher und flüchtiaste Schmet
terling — er hat sich verlobtl .
Natürlich war sie bürgerlich und da
iuni gedie en reich.
himme , was hatte der Mensch, der
Gellingem fiir ein Heidengliickt Wie
tte man ihn bedauert, als er dem
chönen Badener Land hatte Ade sagen
müssen, wie viel Liebeigaben und
Wünsche hatte man dem scheidenden
Kameraden mit auf den Weg in die
Pollackei gegeben.
Und nunk
Kaum den Fuß in das Nest gesetzt,
und schon fällt ihm ein reizendes, rei
cher Mär-ei vor vie Fuße Ach, ch
or — Gregor! Wie viel neidvolle
åeufzer klingen in Deinen Namenl
Wie gerne ginge man gleich Dir in die
Berbannung, um nach Jahresfriit
zum alten Regixnent zurückzukehren
mit dem ersten Stern auf der Achsel-v
klappe und schöner und lebengfrischer,
denn je.
«Bist Du glücklich, Gregor?« lsu
Bitte sein bester Freund, der kleins:
ii aw, ihn einmal gefragt.
nd er hatte init seinem langsamen,
gefährlichen Lächeln geantwortet:
»Wenn Du derlobt wärest, niein Jun
ge, würdest Du nicht fragen!« . ,
Seltsam. daß er gerade jeßt an diese
grage denten mußte in der Stille der
acht, auf dieser schtvei nden Fahrt,
wo er so ganz allein au sich angewie
sen war.
»Bist Du wirklich glücklich, Gre
York —- lo hatte sie auch gefragt, die
leine, blondhaarige Braut, die er in
Schlesien zurückgelassen hatte.
»Bist Du wirklich aljictlich".«-« s
«Eine o maßlose Zärtlichleit hatte in
den « oeteu gelegen. und etwas so
Bittenbes, Angstvolles in den dunkler
Augen bee Fragerin.
Wie genau er sich der Abschiede
stunde zu entsinnen wußte!
Wie deutlich er ihn vor sich sah, den
tiefen, großen Salon mit dein roth
sprühend-n Kaminseuer im hinter
Stunde, ten dunklen, hochlehnigen
Stühlen, den breiten Fenstern, zu ve
nen das satt-le Tageslicht noch mühsam
herein bönnnertr.
«Sas.·,. ach sag’, hast Du mich lieb,
Eise-Tor
Ncht weit von dein hohen Ecktrui
meau hatten sie gestanden, und über
ihren blonden Kopf hinweg hatten
seine Blicke bat breite Glas gesucht.
»Warum schaust Du immer in den
Spiegel, Gregch -—- Jch mag ihn
nicht, er sa t mir nur« wie schön Du
bist, und its. . ."
Das wren ihre lehten Worte gen-e
len, erstickt von feinen Küssen.
Und doch nicht die leytent
Noch im Treppen us hatte ihn der
bi erreicht, wie e n let er, heiäzeee
· : »Gregcr!'« Uni- et tte
: . einmal umlenken müssen.
breiten Stufen herab irae sie
ihm ent egen ge legen in ihrer rais
ieu, kkgvmschqifnichm Ledhqiiigüitx
»Deinen-; mir, daß Du mir bald
schreiben wirst! Jn jeder Woche nur
Ieine Zeile —- ist das zu vielf«
I Jn der ersten it hatte er HWcrt ge
halten. Jeden onntag schrieb er ein
Briefchen an sie in seiner schonen run
sden Handschrift. Dann? —
I Wie lan e hatte er ihr eigentlich
nicht geschr ben?
f Zum Reqimentsfest hatte er ihren
iletzten Brief erhalten — vier, nein,
»sechs Wochen waren darüber verstri.
s
n.
I Arme Kleine! — Aber er würde sie
.entsehiidigen, Ia, das würde er!
» Er griff in die Brusttasche, da steckte
noch die zerlnitterte Depesche seines zu
stiinfti en Schwiegervaters: Hall
fUrlau möglich, sofort kommen. Jrene
ertrantt! - - Ratting.«
Er schob das Blatt in die Tasche.
»Auch nicht der Schatten einer Sorge
idammerte ihm auf.
« Es war ihm ja nach nie etwas fehl
geschlagen in seinem schönen, glänzen
den Lieutcnantsdafeint Sorgen?
Hatte nicht ber alte Ratting für im«
mer reine Bahn geschaffen mit den
Worten: »Das ist nun meine Sache,
Gregor! Mache Du das Jrenerl glück
lich -—- das ist mein bester Dant!«
O ja, er hatte eine gute Wahl ge
troffen! Selbst vor der berüchti ten
Schwiegermama hatte ihn sein ·ck:
sal bewahrt und ihn nur mit einem
äußerst generösen Schwiegervater bes
dacht.
Gewiß· er würde sie liicklich ma-—
chenl —- Die Ferne erst tte ihn ge
lehrt, wie gut er ihr war! Es tte
Stunden gegeben, wo er sich that äch
lich in das häßliche, polnische Nest zu
rückgesehnt hatte, wo der Tag nur dem
anstrengend-en Dienste gehörte und der
Abend ihr! Jeden Nachmittag war er
nach Romiclow hinaus geritten, und
meist war sie ihm dann aus dem Gold
suchs entgegen gekommen.
Er sah sie gern zu Pferde
Der tnappe, einfache Reitanzug der
schleierumwehte Cylinder ileideten sie
besser, wie die grellfarbigen Modetoi
leiten. Und während er die lässigc.
Kühnheit bewunderte, mit der sie ein J
Hindernis nahm« verglich er sie heim- !
lich mit den Damen seines Regiments,
und sein triumphirend Refume blieb
immer: »Sie wird ihre Sache ma
chen!«
Ein greller Psisf zerreißt die Still-»
«Gnefen! FünfMinuten!«
feifere Stimmen wiederholen den
Nu . die Coupefenster fliegen auf und
schallend wieder zu.
Gregor von Gellingen blickt suchend
über den leeren Perron.
Ein Mann in blauer Linne, die
Mütze in der Hand, iomnit ihm ent
gegen.
»Da sind Sie ja, Friedrich!«
»Der Herr lassen uin Entschuldi
gung bitten, er tonnte nicht selbst fays
ren wegen unserem Fräulein!«
»Besorgen Sie mir schleunigst das
Gepack, t’sriedrict)!'«
Ein scharfer Wind fegt um die Ecken
des Bahnhoss - Gebäudes, und fru
stelnd schlägt der junge Osfizier den
Mantellragen hoch.
hart an der Bahnlinie fährt jetzt
ein prachtvolles Juckergespann in
schlankem Trabe vor.
Der Blick des Angelomnienen streift
die tönzelnden Pferde.
»Neues Gespann, Friedrich-«
»Zu Befehl, Herr Baron!«
Weit aus greifen die Füchse, in
Windeseile fliegt der leichte Wagen die
niorgenstille Chaussee hinab-s
Der stürmischen Nacht scheint esn
Sonnentag folgen zu wollen!
Strahlensörmig blitzt ei- gluthroth
im Osten auf, die geil-weißen Wollen
zu slatternden Nebelfetzen zerreißend.
Ein weißlicher Reif liegt iiber dein
bunten Laub, über den zur Winterxaat
gerüfteten Feldern. Frühling du tetc
und blühte längs den Hecken, da er die
sen· Weg zum letzten Male gesehen!
Der Wagen biegt lints ab, eine Al
lee von hundertjiihrigen Eichen hat ihn
aufgenommen. Sie fiihrt in fchnurg .
rader Richtung zum rrenhause h n
auf, das grau un wetterzerrissenl
durch die entblätterten Bäume grüßt
Mit eine scharfen Curve nehmen die
Füchse das grosse Rasenrondell, ums
hart an der tleinen Terrassensront zul
Ucll- .
Jn der offenen Thük des Hauses erJ
scheint jetzt ein großer-, breitschulteri
get Mann in grüner Jagdjoppe und»
hohen Stulpstieseln. Er trägt der
Bart, sowie das eraraute Haar sehr
turz geschnitten, wie Jemand, der nicht
Zeit hat, sich lange mit dem Spiegel zu»
beschäftigen. s
Greqor von Gellingen verläßt den
Waqen
»Guten Morgen, Papa!«
,,Gnt2n Morgen, mein Junge! Des
ist schön, dass Du gleich aelommen bist
-—-aber Du kommst zu spät!«
»An spät . . .?'
»Wer einer Stunde ist sie gestorben
. . . . ganz still . . . ganz plötzlich!«
Der Alte spricht jetzt schleppend und
langsam, ohne sede Errequng, ohne
eine äußere Bewegung des SchmerzeL
«Geb’ nur in Dein Zimmer, Gre
exor, nachher führe ich Dich zu ihr.«
Es ist dasselbe qemiitbliche Gemach,
das er stets bewohnt hat, und doch
lommt es ihm verändert vor.
Freilich, heute dusten teine Blumen
in den großen, schweren Vasen des Kas
mini, letn welcher Arm schmiegt sich in
tosender Zärtlichkeit um seinen Nacken,
tetn rosiger Mund iliistseet in sein-.
Ohr: »Ist habe ich Dich endlich —
endltck niederl« Uns dem Spiegel
schceet ihm sein Autlts blas« lädt-W
entgegen und doch verspürt er weder
VII-gar noch Müdigkeit
Abersw ich Jre«ne sehen, Pape-N
r
Schlinsigendß durchschreiten sie den tie
sen Corridor.
Die Früh-sowie sendet blaurothe
Lichter durch die Buyenscheiben ice-J
Treppenhauses, es ist so still in de-:
grossen, reichen Haus.
Jn dem Musilzimmer ist der Flü
ael noch geöffnet, ein aufgeschlagen-Z
Notenhest liegt aus dem Pult; auch in
dem anstoßenden Boudoir herrscht die
geniale Unordnung, die der Besitzerin
eigen war. Mitten aus dem Tisch die
Reitgerte mit goldenem Knauf, dane
ben ein Strauß zerdrückter Wiesenbluis
men.
Und doch,- in all’ dem Durcheinan
der kostspieliger Launen, kostbarer-klei
nigleiten ein geniales, geschmaclvollce
Arrangement, eigenartig und doch nicht
ist-arr
Eine grüngoldiae Dämmerun
herrscht in dem anstoßenden Schlag
e.mach Weit offen stehen die beiden
nster, die Jalousien sind zur Hälfte
derabgelassem
Jst das Jrene Rattingi
So fremd — so schön liegt sie da
vor ihm in Spitzen und seidenen
Decken.
Weich und schwer sluihet das blonde
Haar über die Kissen das schmal ge
wordene Gesicht unnahmend. Die lan
gen, dunklen Wimpern malen dlarli
che Schatten um die geschlossenen Au
gen und um den seinen Mund lagert
sein sremdet, ernster Zug.
: »Drei Wochen hat sie ohne Besin
« nung gelegen! Vorgesdern habe ich noch
Professor Willerö herberusen——Alles
umsonst! Die gelehrten Herren, wenn
es an’s Sterben geht, haben sie nur ihr
Achselzucken und einen lateinischen
Brocken. — Mein einzig Kind —
rnein Stolz! Wozu habe ich nun ge
lebt?«
Der Schmerz des alten Mannij
greist packend an das Herz des Ande-;
ren.
»Komm Papa —- lomm!" Und er
zieht ihn sort in das reizende Boudoir,
wo derweltte Blumen von der Bewoh
nerin sprechen.
»Es liegt nd Alles, wie sie es ver
lassen hat. Da die Blumen hat sie noch
heim gebracht von dem unseligen Ritt.
Ein Brief siir Dich liegt noch dort un
ter der Mappe2«
»Danle, Papa!« ——— Gregor hält das
Entwert, das seine Aufschrist trägt, in
der Hand. Er öffnet es alsdann,
während der Alte jetzt dasZinimer ver
läßt.
Mein Liebsteri
Wenn Du diese Worte lesen wirst-—
dann bist Du frei! — Jch habe heute
einen weiten, weiten Ritt gemacht, quer
durch die Heide bis an den Waldes
rand! Der Tag war so schön! Und
doch, schöne Herbsttage haben etwas so
Schwermiithiaes in all’ ihrer Schön
heit! —— Es ist wie bei einem Schwer
lranten, der noch lächeln kann! Alle
Blumen habe ich aepfliiclt« die ich sand,·
noch ein schöner, bunter Strauß ists
geworden, dann aber bin ich geritten
immer querfeldein, daß die Halla mir
beinahe zusammengebrochen ist. Und
so heiß —- so glühend —- so athemles
habe ich von dem eisgetühlten Wasser
getrunken . . . denn ich will sterben,
Gregor! Jch liebe Dich! Weißt Du,
was lieben ist? Noch treisit Du es nicht!
Wenn Du aber jetzt zu mir tämst, ohne
Deinen glänzendenNamem ohne Rang,
ohne Deine Schönheit, ohne das Alles-,
was Dich siir die Welt so reich und be
neidenswerth macht, wenn Du so zu
mir läinst, nur mit dem Wort: »ich
liebe Tich!« —- das wäre das Glück
sin mich gewesen« das Glück, das Du
mir nicht geben kannst! Was nützt mir
der äußere Schein, -«« der Glanz, der
Rang, den Du mir geben willst—-——wenn
ich Dein Selbst, Dich selbst nicht errei
chen kann . «
Immer noch starrt Gregor auf das
Briesblatt, das hier ganz plötzlich ab
bricht.
Und es ist ihm, als fügten sich die
zierlichen Buchstaben zu einem bunten,
sarbenreichsen Bild zusammen. als lässt«
er aus ihm jedes Jahr seines glänzen
den, oberslachlichen Daseins! Hatte sie
sterben müssen, damit er sie verstehen
lernte?
Hatte sie sterben müssen, nur um
ihm zu lehren, wir reich, wie unwie
derbringlich schön sein Leben hätte sein
können, und wie werthlos es ihm fort-l
an bleiben würde? l
»Ja, wenn Einer Glück hat! Solch’?
ein Sonntags-lind wie der Gregor vonj
Gellingen!« wiederholt die näselndes
Stimme des haaeren Oberleutnantsl
von Ranken, während er die strohblon-»
den Schnurrbartspigen zur nadeldiiws
nen Spitze dreht. i
,,Gellingen? Was ist’s mit ihn1?s
Schienen Sie doch los, Ranken!« sc!
schwirrt es durcheinander. «
Und der Vorsitzende der kleinen CaJ
sinotafel bemerkt mit Veto-tilgen, wies
Alter Blicke sich spannend in dem sei-H
niqu treffen. (
»Na, der schöne Gregor ist seit ge
stern Großgrundbesitzert Der alte Rat
ting hat ihn zum alleinigen Erben ein
gesetzt . . .! Nicht ’mal eine Mesali
liance hat’s dem Gellinqen nett-steti
Ja, wenn Einer Glück hatt«
—-—-....» ..«-——· "
Man wird dich beneiden, »
Hast Glück du im Leben, «
lsederuertafwtizrstdeduU schl
Mk- a - r n r
doch die Erfahrung G- «
ird stets der erqebenr ·. » »
tsBedsuerntst ichs-z ,·k»
«DeeRetdaber-— c-, «
W
Etwas oom Küssen.
BonlirtvinSchmitL
Vor der modernen Wissenschaft hält
selbst die Poesie des Kusses nichtStand.
Die moderne Forschung wagt sich
ganz ketzerisch seldst an die Dinge her
fan, die von den Dichtern aller Zeiten
e
und aller Orten in begeisterten rsen
efeiert worden sind· Die moderne
» hgiene hat den Kuß längst für ge
? undheitsschtidlich erklärt, und in Eng
;land, wo man die Theorie stets in die
»Praxis übersetzt, hat sich in diesem
FJahre eine Art Anti-Kuß-Klub gebil
det, eine Vereinigung, die gegen das
Küssen a itirt. Besonders die soge
nannten z milien- und Konventians
küsse sollen, mit Rücksicht auf die Mög
lichkeit von Krankheitsübertragun en
beim Küssen, bekämpft und womög ich
aus erottet werden.
uch in Deutschland ist verständi
rweise die Gewohnheit, daß hübsche
leine Kinder von Fremden auf den
Mund geküßt werden, schon lange be
kämpft worden und im Schwinden
gzeilich toird im Allgemeinen in
utschland noch viel mehr geküßt als
in England, tvo man öffentlich nicht
küßt und wo vollends der Kuß unter
Männern ganz verpönt ist. Der eng
lische Schriftsteller O’Clarus hiedslac,
der lanae Zeit auch deutsche Verhältnis
se studiert hat, erzählt in seinem aller
liebsten Buche »Englische Sprache
Schnißer« auch vom Küssen in Eng
land. Wie er berichtet, küßt der Vater
die Mutter und die Töchter, die Mut
ter die Söhne und die Töchter-, der-Bru
der küßt die Schwester, aber niemals
seinen Bruder, und niemals küßt der
Vater den Sohn, sobald er der Kind
heit entwachsen ist. Bezieht der Junge
die ferne Schule, so küssen ihn Mutter
und Schwestern, aber niemals Vater
und Bruder. Sie scheiden mit einem
Händedruck. Mädchen küssen sich al
lerdings wohl noch öfter, als in
Deutschland
s Küssen unter Männern ist
eine erst von Frankreich nach Deutsch
land gebrachte Mode; unter den deut
schen Landleuten kommt es nicht vor.
Jn allen Fällen aber, so röth O’Cla
rus Hiebslac, vermeide der Deutsche,
einen Freund in England in Gegen
wart von Engländern zu küssen, und
niemals lasse er sich einfallen einein
englischen Freunde selbst unter vier
Augen einen Kuß anzubieten, da dieser
einen solchen Kuß mit Entschiedenheit
zurückweifen würde.
Die englischen Damen freilich
scheuen trotz ihrer Priiderie nicht davor
zurück, Küsse zu wohlthätigen Zwecken
öffentlich oersteigern zu lassen. Selbst
in kleinen Orten kommen solche Aut
tionen von Küssen bei Wohlthätigjeitg
veranstaltungen nicht selten vor, und
diejenige Dame fühlt sich natürlich am
meisten geehrt und entzückt, für deren
Küsse von Verehrern und Bewunderern
am meisten geboten wird. Im ver
gangenen Herbst fand eine derartige
Aultion zu wohlthätigen Zwecken ·o·f-«
fentlich in London statt; da wurde ein
Kuß der ebenso bedeutenden und geach
teten wie schönen Schauspielerin, Miß
Mabel Harlotre, versteigert, einer
Künstlerin, die die öffentliche Auf
merksainleit in ganz England beson
ders dadurch auf sich gezogen hatte, dafk
sie einen der reichsten Ariftolraten we
gen Bruchs des Eheverfprechens ver
klagte. Es wurden ihr 60,0()0 Dollars
Entschädigung zugebilligtx Miß Har
lotve machte das- Urtbeil in allen Zei
tungen bekannt, verzichtete aber auf
das Geld. Sie ist eine wirkliche Dame,
der auch der bösefte Neid nicht das Ge
ringste nachsagen kann. Ein Kuß von
ihr mußte also für die Wohlthätigkeitg:
lasse einen hohen Betrag einbringen
Jn der That wurde alg höchste-«- Gebot
die Summe von 800 LfirL
für einen Kuß von Mifz
Harlowe abgegeben, und der glückliche
Ersteigerer war ein alter Oberst. Der
alte Herr indeß erilärte, er habe nicht
für sich, sondern für seinen fiebenjähri:
gen Enkel, der an diesem Tage seinen
Geburtstag feierte, den Kuß erfteigert,
und der vielbeneidete kleine Knabe er
hielt öffentlich den Kuß der schönen
Schauspielerin.
Wtctn steht aus Ver Akt UND Wette,
wie hier die Kußauttion vertief, dasz
die Engländer derartige Dinge ,,gent
lemanslite« behandeln.
Was die Engliinder thun, alnnen
die Ameritaner oft genug nach. In
den kirchlichen Abendnnterhaltungen
der Stadt Donongh, loelche Gelder
zum Umban einer alten Kirche sam
melte, aber bei den jungen Herren we
nig Sympathie gefunden hatte, began
nen die jungen, ledigen Damen Küsse
an die Meistbietenden zu vertauer und
ließen die Einnahmen dem Umban
fonds zufließen. Aber die Einnahmen
waren nicht sehr groß, denn die jun
gen Herren boten niemals mehr als 10
Cents. Jnsolge dessen gab man zunäch
die Auttionen auf und hängte ein Pla
tat mit der Inschrift auf: «Kiisse zu
allen Preisen von 25 Centg bis 100
Dollars. Geborgt wird nicht« Das
Geschäft wurde nun, wie damals ein
New Yorter Blatt berichtete, ein groß
artige-T man verkaufte manchen Abend
mehr als 100 Kjifse, und dem Kirchen
Umbau-·’sonds floffen reichliche Bei-:
trä e u.
sag es in Europa jemals Länder
gegeben hat, in denen das Küssen
änzlich unbekannt war, dürfte wenig
annt sein. Als aber Cromwell, der
englische Dittator, einen seiner Ge
treuen, den Butstroda Whitelote, als
Gesandten nach Schweden fendete, mel
Ite dieser in seinen Beetchten aus
Stockholm, da den Minnen das
Mi en änzli unbekannt sei. i
leiclse Unkenntniß herrscht heute
noch in China. Die Chinesen erklären
die Art und Weise, in der der Europäer
küßt, für barbarisch, ja für nicht men
schenwürdig. Dabei haben sie auch
eine Art von Zärtlichkeitsbezeugung,
die wenigstens einigermaßen an den
europiiischen Kuß erinnert. Der Chi
nese legt die Nase aus die Wange der
geliebten Person, dann folgt eine lange
Einathenung und ein schmaszendes Ge
räusch mit den Lippen, ohne daß diese
die Wangen berühren. I
Als ein merkwürdiges Ueberbleibsel
alter Sitten ist wohl der in dem ru
mänischen Orte Halmagen heut noch
übliche Kußmarit anzusehen. An ei
nem bestimmten Marittage kommen
alle jungen Mädchen und Frauen der
Umgegend in Halmagen sammen
i und küssen jedermann, der sichuihnen in
gebührender und höflicher Weise nähert
und ihnen eine kleine Münze schenkt.
Die Frau oder das Mädchen erwidert
das Geschenk nicht nur mit einem Kuß,
sondern auch arit einem Schluck Wein
aus einem Kruge, den fee bei sich führt.
Die Münzen werden zu wohlthätigen
Zwecken abgeliefert. Dieser eigenar
tige Brauch stammt der Tradition nach
daher, daß nach einer fürchterlichen Be-;
drückung durch die Türken sich die Ru-?
mänier in einem Ausstand von den
Feinden loszureißen suchten, und daß
nach glücklich vollendeter Befreiung die
Frauen damals in ihrer Freude alle
ihnen begegnenden Männer küßten. t
Hoffentlich werden die englischen
Anti-Kuß-Vereine wenigstens den
»Handiuß« bestehen lassen, mit dem
der Herr der Dame sein-e ritterlicheHul
digung erweist. Betreffs dieses Hand
lusses hat tFürst Bismarcl einmal in
einer Familien-Gesellschaft erzählt, er
habe die Gewohnheit jungen Damen
die Hand zu küssen, von Kaiser Wil
helm dem Ersten übernommen. Der
greise, ritterliche Monarch habe ihm
einmal gesagt: »Küßt uns eine Da
me die Hand, so ist das das Patent der
ossiziellen Ernennung zum Greise. So
lange es uns aber gestattet ist, kleine
ändchen an die Lippen zu führen, regt
ich in uns noch ein Tropfen jugend
lichen Blutes.« I
Wie man guten Honig erkennt.
Der beste Honig ist unstreitig der
Garten-, Feld- und Baumblüthenho
nig, aus dem Raps, der Esparsette und
andern Kleearten, den Stachelbeer--,
Apfel- etc. Blüthen, aus den wunder
schön haftenden Blüthen der Alazien
und Linden. Buchweizen-, Heide- und,
Blatthonig gilt als geringere Sortes
Schleuderhonig, d. h. der Honig, wel-.
eher aus den Wachszellen durch die so-!
genannte Schleuder- oder Schwung-l
maschine befreit wird, hat seine charak
teristischen Merkmale, die Peter Leoni-!
das Kaltenegger, ein Fachmann, in sei
nem Wert: »Der Honig vor dem Mich-I
terstu.hl'«, folgendermaßen schildert:«
«Naturreiner Honig muß, wenn er kalt
und dickflüssig ist, bandartig abslieik
szen, sich auch bandartig aber immer«
schmäler regen und schließlich sich in ei-!
nen langen, dünnen Faden ziehen, ohne
zu zerbrechen. Er muß wohlriechend,
süß, lieblich, klebrig, goldgelb, krystal
lisch und fast durchsichtig, und wenn er
unter Speisen gemischt wird, leicht
durch seinen eigenartigen Geschmack
wahrzunehmen sein.« Reiner Schleu-i
derhonig behält seinen ursprünglichen!
Geschmack und seinen würzig-en GeruchE
aus Jahre hinaus, während dem am·
syeuer ausgelassenenHonig beides größ- l
tenlheils verloren gseht. Frisch von der
Wabe weg ist der Honig flüssig, klar
und durchsichtig Mit der Zeit verdicktj
er sich, tandiert oder lrhstallisirt, und
zwar ist dies sehr verschieden, sein oder
groblörnig flüssig oder fester. Das«
Fiandieren des Bienenhonigg ist ein
Zeichen seiner Reinheit und Güte, ge
fälschier Honig landiert nie, aber statt
dessen wird er sauer. der Zucker geht
in Gährung über, der Honig geht ins
die Höhe und läuft nicht selten aus dem
Gefäß. Nur ein reiner Honig trhstal-I
lisiert nicht: der Atazienhonig Der-—
selbe wird indeß auch nicht sauer, son
dern behält sein schönes Atoma und die
liebliche Feinheit, die ihn vor jedem an
dern Honig auszeichnet Aus Waldge
genden kommt der Heide- und Buchwei
;enhonig, weniger fein wegen seiner
harzigen und schleimigen Bestandtheile
und weil in demselben sich gewöhnlich
auch Fichtenbonig vorfindet. Jst Ho
nig trübe und unrein, vielleicht sogar
mit Fragmenten von Bienenkörpern.
gemischt, so wurde er warm mitfammtl
den Waben gepreßt Und ist alsdann!
cninderwertbig, unappetitlich Und geht
bald in Gährung über. Nicht jeder
dunkle Honig ist« wie man gewöhnlich
annimmt, verfälscht oder rührt von al
ten Stöcken hier. Honig aus ganz jun
gen Stöcken kann eine dunkle, fast
schwarze-Farbe haben und deshalb doch
gut, rein Und unverfälscht sein. Dies
kommt, sobald die Bienen nur Wald
zur Verfügung haben. Die Farbe des
Honigs hat überhaupt keinen Einfluß
auf die Güte desselben. Dies hängt
von den vorhandenen Blumen, von des
nen die Bienen den Nektar einsammeln,
sowie auch von der Bodenbesehaffenheit
ab. Honig von Kosnifern sieht grünlich
schwarz ach, Lindenbliithenhonig gold
gelb, Rapshonig weiß, Binbweizenho1
nig ist grünlich, Heidehonig braun Und
gering, Rübsenhonig hellgelb, zu den
besserm Sorten gehörend. Der Honig
wird nicht selten verfälscht. Jst er blos
mit Wasser verlängert. so ist er leich
ter als sein natürliches, fpezififchseg
Gewicht, 1.42——1.48, und schneidet bei
dem Stehen an der Oberfläche eine
dünne, wiissetie Schicht ab, Geistige,
Möhrensast, elasse und Stätte-nan
sind durch den Geschmack zu erkennen.
Tragentschleim oder Leim scheidet sich
beim Ver-mischen mit Weins-seist als
Gallert ab» Mehl, Stärke etc. sindei
man beim Verrühren mit Wasser als
Bodensatz, der beim Anslochen Kleister
giebt und durch Jodlösung blau ne
särbt wird. Scheiben sich beim ruhi
aen Sieben vonHonigmehrere verschie
dene, konsistente Schichten ab, so ist
dem Honig contentrirte Zuckerlösung
beigefügt. Ost findet man, daß stir
kein aarantirter Honia einen seht we
nig reinen Geschmack hat. Dies kommt
daher, daß die Bienenzüchter bei größe
ren Beständen und mangelhnster Nah
rung ihre Völker reichlich mit ordinii
rein Zucker füttern, der dem Honig na
türlich kein Aroma verleihen kann.
Selbst Wabenhoniq muß man heutzu
tage aus seine Echtheit prüfen, denn
auch daran macht sich der Fälscher-.
Man nimmt den natürlichenWaben den
Honia und stillt die Zellen mit einem
künstlichen Gemisch von qesärbten und
parsümiertem Zuckerwasser, oder man
stellt mittelst Maschinen künstliche Wa
ben her und stillt diese. Man sollte
also auch hier nur von zuverlässigen
Züchtern tausen. J. B.
—0-.-0-——
Die Königin unter den Herbst
Blumen
ist unstreitkg das Chrysanthemum,
jene in allen möglichen Farben austre
tende, aus dem öftliehen Asien zu uns
herübergetommene Pflanze.
Entgegen der allgemeinen Annahme
ist das Ehrysanthemum oder die Gold
blume (Ehrysos-Gold, Anthos-Blume)
nicht in Japan, sondern in China zu
erst kultiviert worden« Die erste Kun
de von der Pflanze rührt von Greg
nius und zwar aus dem Jahre 1689
her· Zu dieser Zeit wurden nämlich
in Holland bereits sechs Sorten dieser
Blume gezogen. Derzseit führte die
Pflanze den Namen »Matricaria ja
oonica maxima.« Der moderne Name
Ehrysanthemum wurde sdn Pflanze
erst von dem Botaniter Linne ge eben,
welcher im Jahre 1753 dieser P lanze
feine Aufmerksamkeit zuwandte.
Heutzutage steht bezüglich der Chry
santhemum-Kiiltur das Volk der Ja
Ianer obenan. Bei demselben sowohl
wie auch bei den Ehinefen gilt das
Ehrysanthemum als die Bevorzugte
unter den Blumen, demgemäß führt
tuch der höchste japanische Orden den
Namen: ,,Orden von der goldenen
Blume«; in analoger Weise ist der
höchste chinesische Orden der Chrysan
:hemuin-Orden genannt worden.
Das Ehrysanthemum scheint so alt
zu sein wie das chinesische Reich selbst;
denn auf den ältesten Bauwerken haben
Nachbildungen der Blume als Verzie
rung Anwendung gefunden.
Jm Jahre 1712 war diese Pflanze
in Japan unter dem Namen ,,Kiek« be
reits in dein Maße eingeführt, da sie
nach Angaben des Geschichtsschrei ers
Känipher in jedem Winkel zu finden
war. Auch heute noch ist das Chry
santhenium fiir bös Japaner von sol
cher Bedeutung, ß er seine Töchter
mit Vorliebe nach ihm nennt
Jn England soll das Chrysanthe
rnum im Jahre 1764 eingeführt wor
Ien sein. Es handelte sich um kleine
zelbe Blumen, und der BotanischeGar
ten in Chelsea war der Ort, an welchem
ie zum ersten Male in England zur
Blüthe kamen. Jn dem rbarium
Des britischen Museums befindet sich
ioeh jetzt in getrocknetem Zustande eine
Blüthe, welche von diesen Exemplaren
f;erstammt. Die Pflanzen selbst gin
zen nach kurzer Zeit wieder ein. Vom
Jahre 1789 ab wurde das erste echte
hinesische Chrysanthemum in dem Ma
ße kultioiert, das; man es als europäi
sche Gartenpflanze bezeichnen tonntr.
Jn diesem Jahre versuchte nämlich ein
Kaufmann, Namens Blanchard, drei
Exemplare nach Marseille zu bringen.
Er verfchaffte sich ein weißes, ein pur
purpurfarbenes und ein violettesExem
plar, das letztere-jedoch, sowie das wei
ße gingen auf der Reise ein, so daß die
ivohlgelungenen Anpflanzungsverfuche
sich auf das purpurfarbene Eremplar
beschränkten
Inzwischen haben sich in ganz Eu
ropa zahllose Vereine gebildet, welche
sich die Kultur des Chrysanthemum
zur Aufgabe gestellt haben. Eine gan
ze Reihe von Ansstellungen folgten der
ersten in Not-wich im Jahre 1843. Auf
oiese Weise hat man es zu Wege ge
bracht, daß heute über 2000 Spielati
cen vom Chrysanthemum bekannt sind,
Eine Zahl, welche sich Von Jahr zu
Jahr, von Monat zu Monat, vergrö
ßert.
Eine besondere Vorliebe sür das
Chrysanthemum hegt der Amerikaner,
was ja die alljährlichen Ansstellungen
Der Modeblumen beweisen. Auch sin
Det wohl kein größeres Herbstsest hier
statt, an dem nicht die zu Riesen-Er
emplaren ausgewachsenen Lieblinge der
Blumenwelt in ihrer decoratioen
Schönheit das Auge entzücken.
——...—-»-M
— Zu spät. Staatsanwalt (zu sei
ner Schwägerin, einer alten Jungfer):
»Was seufzest Du denn immer ——- wie
der ’mal verliebt?« —-« Schwägerim
»Ach, ich habe in Deinem Zimmer ein
Album durchgesehen, und da ist einer
drinnen mit einem schwarzen Kraus
lopf . . .« —— Staatsanwalt: »Ja dem
schwarz-gebundenen Buche?« —Schwä
gerin: »Ach ja . . ·« — Staatsanwalt:
»Na, den tannstDu auch nicht mehr ha
ben —- es ist nämlin das Verbrechers
all-um« was Du nmscht hast!«,« « J »F