Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 26, 1899, Sonntags-Blatt., Image 12

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    LLEPIUUIMV
R ooooooo
X Heinrich »Lee.
—·""I-II---s-r--- -
- (1 t- Fortsetzung-)
Brunos Mutter trat lanae todt und
er tte sie nicht gekannt. Wenigstens
tut ann er sich ihrer nicht. Nur das
Bild über dem Schreibtisch. auf dem
sie abgemalt war, lannte er. Sonst
machte er sich von ihr keinen Begriff.
Die junge Frau war seinem junaen
rzen bisher gleichgültiq gewesen
uch sprach der Vater niemals von
ihr. Fast zum erstenmal vernahm
Bruno aus seinem Munde ihren Na
men. Was meinte der Vater?
,Setz dich hier an meine Seite,« fuhr
der Kranke mit seiner schwachen
Stimme fort.
Brutto gehorchte. Vor seine: ins-mer
lebhaften und nun angereaten Phan
tasie trat plötzlich die Frau über dem
Schreibtisch aus ihrem Rahmen her
aus. Mit den vielen bunten Ringen
an ihren Fingern glich sie einer Prin
zessin, wie sie in den Märchen vorla
rnem Mit vedrücktem Herzen richtete
Bruno noch einmal seine Augen auf
das Portrait.
»Sieh mir deine Handl«
Lautlos reichte sie Bruno dem Vater
hin, der sie auf der warmen Decke nun
in seiner hielt. Eine kleine Weile roar
ez ganz ftill im Zimmer. Der Schein
der Lampe fiel in die Osenecke nur ne
dämpst. Endlich, als hätte er seine
Gedanken an den Bildern der Erinne
rung erst noch einmal still iiir sich ver
weilen lassen wollen, beaann er:
.Du sollst alles-, was mit deinen
Eltern vorgegangen ist, nun erfahren
Du bist noch jung und wirst fest non
manches, was ich dir erzählen werde,
nicht verstehen. Dann behalte auch den
Wunsch im Herzen, den ich daran
tnüpfe.«
Brutto lauschte und der Vater fuhr i
fort: » ·
»Du weißt, daß ich Offizier gewe
sen bin. Jeh habe meinem Beruf imt
großer Freude edient und ich hatte
mir mein Lebe ang niemals einen an
deren gewünscht Auch waren meine
Vorgesetzten mit mir zufrieden und ich
hätte, so sagte mir mein General, mit
der Zeit wohl eine gute Karriere ge
macht. Die Ursache. daß ich meinen
Beruf aufgegeben habe, daß ichvibn
habe aufgeben müssen, war deine Mut
ter!«
.Meine Mutterl« sagte Bruno leise.
»Der Offiziersfiand hat seine festen
und oft auch strengen Satzungen, die
für jeden Offizier bestimmend find,
und das ist gut für den Stand. Die
Satzungen wachen über seine Ehre.
Sind sie in einzelnen Fällen auch wohl
zu hart, wie in den meinigen, so ifi
und bleibt es doch recht, daß sie keine
Ausnahme zulassen, weil es dann
schwer sein würde, noch ferner die
Ausnahmen von der Regel zu trennen
und die sichere Grenze ausgelöscht
wäre. Wenn du älter sein wirft, mag-it
du. weil du nicht wie dein Vater dann
selber Offizier bist, anders denken und
von deinem Standpunkt aus mitRecht.
Ich aber arolle deshalb dem Rocke
nicht, den ich getraan habe. Er war
meine Luft und meine Ehre.«
Die Stimme des Leidenden ertlanx
indem er dies sagte, kräftiger als bis
her, gleichsam als gäbe ihm der Ge
danke an den Stolz feiner Vergangen
heit seine Kraft für einen kurzen Au
sxeienblick noch einmal zurück.
.Was deiner Mutter und mein Ver
hängnis wurde,'· sprach er weiter,
.war ihr eiaener Stand. Deine Mut
ter ist, das sollst du nun er bren,
Dein Sohn, eine Kunftreiterin gewe
sEine Kunstreiterini«
Wie von einem elektrischen Schlage
durch-nett fuhr Bruno von feinem’
Stuhl. Jn seinem Gesicht malte sich
f» eine grenzenlose Ueberraschuna, ia Be
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»Mir-knien Ahnte der hauvtmann was «
nr diesem Augenblicke in seinem Kinde
borstena? Wenigstens schien es so. Er
machte wieder eine Pause, wie iim
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stund Zeit zu lassen, sich zu beruhi- -
«;M have deine Mutter iehr lieh
gehabt, « fuhrer wieder mit leiser von
der Erinneruna durchzitterter Stimme
fort, und seine Auan sahen ins Weite
»eine Kunsireiterin aber darf ein
deutscher Offizier nicht heirathen Eis
giebt wohl Grafen Herköae und selbst
regierende Fürsten die frühere Ciciusi
künstlerinnen zu ihren Frauen haben
ohne daß deshalb jemand geringer von
ihnen denken würde die Gesetze fü:
den Offizier sind aber andere und
eigene. Deinem Vater wurde die
Wahl geiassen entweder Offizier zu
bleiben, oder deine Mutter zu seiner
Frau en machen. —- Sie wurde meine
" »Wind-« rief Briino und den Blick
« III nnfäalicher Liebe auf den Vater
. . den er erst ietzt qanz ver
nd, kniete er, seine Hände umfas
send an ihm nieder-.
: «Deine Mutter hat mich nicht nie
Ihn Ueb aebabn als ich sie; wie ich
ehernes-en Beruf aeovfert habe, so
» He mit, weil ich das nach im
stiheitnthung von ihr wünscht-,
"" « »Den ihren. Aus welchem Grunde
) W daß sie nicht mehr offenk
« M wirft du gleichfalls
« EW einmal einsehen Nach nn
serer Verheirathnng änderten wir un
sern Wohnsit. Solange ich Soldat
war. hatte ich von meinem Vater, dei
nem Großvater-, zu meiner Gage einen
Zuschuß erhalten. Wie meine übrigen
Angehörigen, so hatte mich meine Hei
ratd auch meinem Vater entsremdet.
Vielleicht träte es mit gelungen, seine
Verzeihunq zu erlangen. aber der er
bittertste Gegner meiner Heirath war
mein älterer Bruder. Als Erbe und
zukünftiger Majoratsherr hielt er den
Namen unseres Hauses hoch nnd et san
. in meiner Handlungsweise eine un
) sühnbare Schuld. Er trat Iwischen
I mich und unsern Vater und unver
; Ehnt mit mir ist unser Vater gestor
l n. —
Meine erste Srrge in der neuen
» Stadt war, mir einen Wirtungstreik,
F eine Erwerbsquelle zu suchen, denn ich
i hatte nicht nur siir mich, ich hatte auch
T für deine Mutter zu sorgen. Das
« Glück war mir wohl gesinnt, ich trat
in eine Vetsicherungsgesellschast ein«
erhielt bald eine leitende und eintrag
liche Stellung und hätte mir die Un
versöhnlichteit meines Vaters nicht
Kummer gemacht. den ich indeß nach
Kräften vor deiner Mutter verbarn, so
wäre ich glücklich gewesen. so glückliche
wie es im Anfange unserer Ehe auch
sie gewesen ist. Deine Mutter hatte
: dem damals berühmten Cirius Woll
schiäger angehört, sie war einer seiner
; alanzvollften Sterne gewesen uno n.
j Presse und Publikum war ihr Schei
den herzlich und tief bedauert worden
! Andere Künstlerinnen macht der Ruhm
eitel und stolz. Deiner Mutter bedeu
tete er nichts. Sie hatte schon als
dreijiihriged Mädchen ihre Eltern auf
deren Kunstreisen begleitet und die
Lorbeertriinze. die sie später, nachdem
ihre Eltern qestorben waren. an ihren
Benesizabenden als selbstständiae
Itiinstlerin erhielt, hatten siir sie tei
nen größeren Werth, als die Zucker
diiten, mit denen sie als Kind beschenkt
worden war. So durfte ich auch siir
die Zukunft hoffen, das; die Vergan
aenheit iiir sie abaethan war und daß
sie in Nichts nach dieser zurück-erlan
ccn würde.
So war ein Jahr verflossen. du
wurdest uns aefkhentt und das Glück
das ich an der Seite deiner Mutter
genoß, liess auch mich vergessen, was
ich geopfert hatte.
Eines Toan stand in den Zeitun
aen zu lesen. der Cirtus Wollschläger
träfe ein. Deine Mutter reichte nsir
das Blatt und sie lam mir sonderbar
vrr. Seit unserer Verheiratbung war
es- der erste Cirtus. der in die Stadt
kam. »Wir wollen zu der Eröffnungs
derstelluna aehen,« bat sie. Jch fand
ihre Bitte nur natürlich· Später erst
ahnte ich, wie die Sehnsucht nach ihrem
Lebenselemente, ihrer Kunst, ohne daß
sie im Ansana wohl selber sich dessen
bewußt gewesen war. insaeheirn, schon
lanae, ehe ich es aewahr wurde, an ihr
aenaat haben mcchtr. Deine Mutter
war wie eine Pflanze, die, wenn man
sie aus ihrem heimathlichen Boden in
einen fremden übertriiat, dort wohl
anscheinend noch eine Weile weiter ge
deiht, bis troll aller Liebe und Pflege,
die ihr der Gärtner widmet, sie doch
am Ende trank wird und stirbt. Es
war etwas in deiner Mutter, in ihrem
Blut. über das sie selber teine Macht
besaß. Wir waren beide ihrem Ver
hängnisse verfallen·
Naturen in der so augaesvrachenen
Art wie deine Mutter sind m den Krei
sen, aus denen sie hervorgegangen ift
sonst selten, weit seltener als vielleicht
beim Theater Das Wesen des Cir
tusmenschen ist meist nüchtern, er ist
kein Vhantast und seine Kunst gilt ihm
nur als Bruders-dem Das habe irg.
( li« ich um deine Mutter mich bewar
aenau beobachtet. Sie ließ mich glau
bemdaß es mit ihr nicht anders be
stellt war und das allein schon bot mir.
wie ich meine sür unsere Zukunft eine
sichere Gewähr
Seit jenem Abend ainn auch außer
lich mit deiner Mutter eine Verände
runa vor. Bald sah ich ein, daß es
mit unserm Glück vorbei war. Ihr
Blut war wieder erwacht·
Damals dachte ich noch nicht se
ruhia und aerecht über sie, wie jetzt.
Sie verlanate, ich solle sie zu ihrer
Kunst zurücktehren lassen. Weil meine
Bitten, meine Vorstellunaen. der Hin
rreis aus die rein praktische Unmöglich
leit -——— denn wenn sie wieder Künstle
rin wurde und wir zusammen bleiben
z wollten, so hätte ich ihr aus ihren
Reisen solaen und meine Stellung aus
geben müssen —- treil alles das nicht
seuchtete, so wurde ich hart qeaen sie.
Weil es llar war, daß der Besnchder
Vorstellungen ihre Leidenschaft nur
noch steigerte, so weigerte ich mich ser
ner. mir diese mit ihr anzusehen und
verbot ihn ihr. Jch erfuhr, daß sie
am Bormittaq, wenn ich abwesend
war, zu den Proben ging. Ich er
rieth, daß dort der Direktor-, der einen
Kassenmagnaten on ihr verloren hatte
det Peranliche Verkehr mit den eilten
Holleqem hie zum Theil sich wieder
eingefunden trägme die wiedethns
ne posmenen te einen mer n
beitragen neuster-, noch mehr aus e
W
zu wirken und sie mir zu entstanden.
Fertan hetoachte ich sie. Meine Hofs
nuia war, daß in kurzer Zeit der Cir
tus die Stadt wieder verließ und daß,
wenn deine Mutter etit seiner Mitte
entzoan war, sie sich auch in die Ver
hältnisse zurücksinden wurde, unter
denen wie bisher glücklich und zufrie
den gewean waren. Der Abend, an
welchem dieGesellschnst ihre lehte Vor-—
stelluna aah aina vorüber-. Jch hatte
ihn mit deiner Mutter zu Hause zuge
bracht. Sie war heiterer, ruhiger und
liebevoller mit mir als in den ganzen
lunaen Wochen vorher. Etwas Ge
sammeltes. Gefaßteg laq auf ihr. Sie
umarmte nich, leate ihren Kopf auf
meine Brust und weinte. Du laast
ichlummernd schon in deinem Bettchem
als sie dich, wie wir uns iider dich
beuaten. aus den Kissen herausriß« dicli
leidenschaftlich an sich preßte und mit
Küssen iiberdecktr. Du schriest und
tvehrtest dich nnd ei cielana mir taum.
dich ihr zu entwinden. Das akes
schob ich auf eine innere Erschiitteruna
in ihr. die mit dem Abschied der Ge
sellschaft im Zusammenhange stand
Ich hielt es für das Zeichen der Uni:
kehr, die sich in ihr vollzoa und ich
hütete mich, zu dem. was ich meinte,
nit ihr vorging, auch nur ein Wort zu
schen. So ainaen wir zur Ruhe und
ich dantte schon Gott, daß die Gefahr«
wie dieses erste Mal so nun tvohl auch
für immer, vorühcraeaanaen war.
Als ich am andern Morgen er
wachte. war das Bett deiner Mutter
leer. Aus dem Nachttiich vor mir lqu
ein von ihrer Hand mit Bleiftiit ar
sehriedener Zettel. Sie theilte mir
duin mit, daß sie sich nach vorange
acnaener Abtede mit dem Dirrltor an
dir Cirlustrudpe wieder angeschlossen
habe, versicherte mich ihrer trotzdem
unauslöschlichen Liebe und bat mich.
um uns beide nicht unglücklich zu ina
chen, sie nicht zu verfolgen. Alle wei
teren Schritts die ich unter solchen
Umständen fiir nöthig finden würde,
wollte sie mir überlassen. Dich selbst
tollte ich vorläufig, bis sie dich wieder
fehen würde, ganz der Sorge unserer
Kinderfrau, einer alten, treuen und
zuverlässiaen Seele anvertrauen. Alle »
Maßregeln von meiner Seite sie ihrer I
wieder aewonnenenKunst zu entreißen
sc fiiate sie hinzu würden nutzloö sein ’
Fiir den Schmerz, den sie mir verur i
sachte, so floß sie, tonnte sie nicht um !
Verzeihung bitte-» denn was sie thöte.
löae nicht in ihrem Willen. Sie litt
nicht weniaer als ich selbst . . .
Es war nicht schwer zu erfahren, wo
der Cirtus seine Reife hinaenomrner.
hatte. Dich vertraute ich unserer Kin
terfrau Jn, aus ihr Schweigen uni
ibre Zärtlichkeit um dich tonnte ich
mich verlassen, nahm einen sofortiges
Urlaub und reiste deiner Mutter nach.
Mein Zusammentreffen mit ihr war,
wie ich bei taltem Btute hätte erwar
ten miiffen, ohne Erfolg. Nicht einmal
die Anwendung von Gewalt hätte noch
etwas vermocht. llm deinen Vater zu
schonen, trat sie nicht unter ihrem
früheren berühmten Namen auf, der
auch an ihre heirath erinnert und
Gotte und Kind der Oeffentlichteit
preisgegeben hätte, sondern sie hatte,
obwohl ihr das Kämpfe mit dem Di
rektor wohl genua aelostet hatte, einen
neuen angenommen Mein Urlaub
’trsar nur auf einiae Tage bemessen.
Hätte ich die Pflichten« die nach mir
verlangten, selbsi vergessen können, so
fah ich doch nun ein, daß mein ferne
res Bleiben bei deiner Mutter nutzlos
war. auch dachte ich an dich. So lehrte
ich ohne deine Mutter zurück.
In den Taaen, die nun folgten.
warst du, mein Junge, das einzige,
was meinem Leben noch einen Inhalt
und einen Zweck gab Wenn ich tlar
über das, was nun ges Abtei « »in-,
nachzudenken fähig war, so war mir
das nur möalich weil es sich auch um
dich selber dabei handelte.
Unter den Kollegen Deiner Mutter,
die ich gelegentlich lennen gelernt bat
ie, befand sich auch ein Schulreiter, ein
acwesener adliger Ulcinenossizier, ree
infolge von Differenzen aus dem
Dienst geschieden war und den Nei
gung und Fähigkeiten nun gleichfalls
in die Manege getrieben hatten. Sein
Beispiel stand mir jetzt vor Augen.
Weil es mir nicht mehr möglich trat-,
deine Mutter zu mir zurückzuführen.
so dachte ich daran, niit den nunmehr
gegebenen Bedingungen zu rechnen,
nämlich zu versuchen, was jener Ka
1«erad versucht hatte. Und wenn es mir
ebenso gut wie ihm selber gelang, in
dem Cirlus. bei dem sich deine Mutter
besond, ein Enaagement zu erhalten,
so daß du und ich wenigstens mit ihr
vereinigt blieben. Ich gab meine Stel
lnng aus und um unnützen Frauen
nicht Stand halten zu müssen. verließ
ich mit dir und deiner Hüterin, nach
dem ich alles in unserer Wohnung zu
Gelde gemacht hatte, zum zweitenmale
unsern Wohnsitz. Wie zogen noch
Berlin. Dort konnten wir ein verbor
genez Leben führen und überdies war
mir aus der Zeit, wo ich dort aus
der Turnsebule gewesen war, der Be
siner eines berühmten Reitinstitutes
besonnt, der sriiber selbst dein Eirlui
angebZrt hatte und die für mich in·
Betracht kommenden Fachienntnisse
besaß. Ich war Jnsonterieossizier ge
wesen und meine Reittunft war ohne
bin nicht weit bee. Nach der vierten
Leltion sagte mir mein Lehren ich
bötte eine harte Hund« ich könnte ei
aus einem etngerittenen Pferde wohl
bis intm Quodeiaenreitee drinnen, ein
branehbaeer Schulreistee aber würde ich
niemals werden. Was mir bester-falls
also in Aussicht Hund« war, daß ich
ol- der Gotte deiner Mutter nur von
bet Gnade des Direktoes eine Anstel
lnna erhoffen dürfte. Das brachte ich
nicht itber mich. Oder sollte ich mit
dir deine Mutter begleiten und nach
dem mein kleines mütterliches Erbtheil
verbraucht worden war, von dem Geld,
das sie verdiente, uns erhalten lassen?
Auch das war nicht siir mich möglich.
Wir blieben in Berlin. Ach wurde,
nachdem mir alle andern Versuche nach
einer passenden Beschäftigung fehl
aechlaaen waren, Fechtlehrer und
meine und deiner Mutter Wege waren
nun fiir immer von einander geschie
den.
Dein Großvater, mein Vater, lebte
damals noch. Er verlangte, und zwar
wieder aus Veranlassung meines Bru
ders, von mir, als er das Geschehene
vernahm, daß ich es bei der thatsiichli
chen Trennung dan deiner Mutter
nicht bewenden lassen, sondern auch
noch die aerichtliche einleiten sollen·
Das Gesetz aab mir hierzu das Recht
und deine Mutter hatte in ihren Ad
schiedszeilen sich diesem Schritte von
meiner Seite unterworfen. womit sie,
wie sehr sie dich auch liebte, aus jeden
Antbeil an dir der-richtete. Ich han
ater an einer thörichten Hoffnung,
wen würde, der mich mit ihr wieder
vereiniatr. Ich wollte nicht auch noch
das letzte Band zerreißen das uns an
einander frsselte. So ist dein Groß«
vater aestorden Wie er mich ansdem
Sterbebette nicht noch einmal sehen
wollte, so bat er auch dich niemals ar
schen Ich war in seiner letztenStunde
wrbl sein bitterster Kammer. Er war
selbst Soldat und er bat au mich unter
allen seinen Kindern seine größten
Oeffnunan gesetzt. In unserer Fa
milie lebt aber ein starrer Sinn. Einst
wird er vielleicht auch in dir erwachen.
t Darum saae ch dir: Hüte dich vor
ihm.«
daß vielleicht doch ein Taa noch kom- T
Der hauvtmann hielt inne. Er hielt
feines Sohnes Hand noch immer in
s de: seinen nnd itarrte schweiaend nnd
I verloren vor sich hin. Aus seinen
Badentnochen in dem maaeren Gesicht
nlommen ietn zwei dunkeln-the Flecke-n
Jn athemloser Spannuna hattetsruno,
im ihm aussehend. bisher an seinen
Lippen aehanaen.
»Svrich weiter, Papa!« iliiiterte er.
»Ich lomme nun zum Ende,« saate
nach einem lanaen Schweigen der
Hauvtmanm und seine Stimme klang
so leise und aeisterhait, als tiime sie
nicht mehr ans derselben Brust. -—-—
»An-ei Jahre waren so verflossen Ich
hatte in vieler Zeit deine Mutter nicht
wiederaeieben Manchmal tam von
ihr ein Brief an mich. Sie war un
aliietlieh —- mitten in ihren neu erstan
denen alten Triumphem welche diessei
tunaen füllten. Sie sehnte sich nach
die. Vor einem Wiedersehen mit mir
selber aber, nach dem ich nun seit-it
nicht mehr verlangte. schreckte iie
striiit «
Sie hatte Furcht vor mir betont
n:en. Dass- roar auch der Grund wes
halb sie. wenn ihr Cirtus nach Berlin
eina. ihn solange immer verließ und
inzwischen ein anderes Enaaaement
annahm. Meine Empfindungen iiir
ste, wie sie sich unter meinem Unaliict
damals entwickelt hatten. alichen
manchmal beinahe dem Han. Sie hatte
vielleicht Recht, wenn sie mich fürchtete.
Daß sie. indem sie dich entbehren
mußte. darunter litt. bereitete mir in
manchen Stunden eine Art Freude und
Genuathunna. Du warst mein allei
niaes Eiaenthum ermorden Ich iorate
siir dich. ich erzoa dich. Auch trat deine
Aehnlichkeit mit deiner Mutter· ie
älter du urdest. immer anfiiilliaer
hervor. nr nach in dir selber durfte
ich deine Mutter lieben. Du warst mir
ein Pfand aeivorden, das ich in der
Hand behielt und das mir, wenn ich es
wollte. noch zu jeder Zeit eine Macht
iiher sie neben konnte.
Es tvar an einem Wintertaae —
eben hatte ich meine VonnittaasLettia
nen beendet als ich ein Telearamm
erbielt lic- taui dor. deiner Mutter
aus Köln. »Ich iterbe,« lautete eg.
..ioir.ine her und brinae mir Bruno.«
Am Man-Wen Moraen lanate ich mit
dir in Köln ar. Aug dein lsirtuss
aebönde, wo man uns nicht tannte.
wurden wir in dass chtet gebracht, wo
deine Mutter mit dem Tode rang. Tat
Unatiicl war in der Vormittaasvrobe
in der einsamen, talten, akilmend leeren
t
t
t
Maneae aescbelien Deine Mutter ritt »
einen neuen Hengst. Das Thier. das
sich dem Willen deeNeiterin nicht iiigen
wollte. stürzte, deine Mutter lam unter
ihm zu lieeen, ein Hiiisrlplaa hatte iie
aeaen den Kopf aetroifen. Es war ein
Wunder, das-. sie lsei unserem Eintret
ien noch lebte. Sie erkannte uns nicht
niedr. Sie vbantasirte und tröllerte
abgerissene Takte aus den Melodien,
unter denen sie Abends ihre Vierde ge
eilten hatte. Mit einein Lächeln aui
den Lippen ist sie aeitorben .«
Nichts reate sich in dem Zimmer.
»Mit-at« weinte Bruno nur teile. »
»Du warst nun das letzte« was mir
von ihr geblieben nigr, iubr der haupt
nsann darauf fort. —— Nachdem wir sie
begraben hatten, tebrte ich mit dir
guruch Ich war ein müder Mann- ge
worden, andere ähnliche Institute wie
das meine thaten sich in der aufstre
benden Reichsbautitstadi aus« ich er
hielt nur wenig Schiller mehr und so
sah ich mich abermals nach einem
neuen Orte meiner Thiitigteit uni. So
non ich mit dir hierher. Du warst
eben reif iiir die Schule geworden und
das Leben, dat- wir fortan miteinan
der führten. das kennst du. Nun tennst
du auch das aanze Schicksal deiner El
tern. das dir bis heute verborgen zie
blieben war. Die Menschen, die ,
nicht um meinet-. sondern um deinet
willen um ibre Dis e gebeten bade und
s nte- fie inir verwe Ketten, sind deine
tt
Bertoandtem Das sage ich dir aber
nicht, damit du ihnen Groll undspdaß
nachtraaen srllst, denn roir bedürfen
alle der Rachsicht und Veraebunm son
dern damit du, wenn ich dich einmal In
dieser Welt verlassen haben werde,
weißt, daß du aus dich selbst·gestellt
bist Ich bade keine Freunde, ich habe
niemand. dem ich dich anvertrauen
kann, i bade auch lein Volk nnd Gut
siir di gesammelt. Mein ein-Miedi.
Obst iesies Vertrauen ist die Barmher
zigkeit des lieben Gott. Deine Eltern
sind so unglücklich gewesen, daß er dich
glücklich machen wird. Das ist mein
Glaube und meine Zuversicht!«
Wie ein überirdischer Glanz lagerie
es ietzt iibrr dem Gesicht des Haupt
1nanns. Bruno sand keine Worte
mehr. Ein buntes und schillerndes
H Lichtmeer, von liihnen und aautelnden
. Gestalten durck-iaat, in welches das
Schmettern der Musik das Jauchzen
einer tausendlöpsiaen Menge hinein
tlana, hatte die Criäblura des Vaters
vor ibrn ausaeschlossen. Alles andere,
auch das Schreckliche was er erzählt
hatte, der Tod der Mutter der
Lichteralani und die Musik überstrahl
te. til-ertönte esf bis erst fest, als des
Vaters Stimme verstummte, die Wirt-:
liebteit ihn wieder umsina. Noch nir
nxals hatte Bruno das Gesicht des
Vaters von einem solchen Ausdruck ac
lekken. wie sent. Er wuszte vom Tode
noch nichts· Der Schein. der aber aus
des Vaters Antlitz laa. hatte etwas
Fremder-» das schon die Hand aug
ttreate, den Vater fortnehmen wollte:
»Stirv nicht, stirb nicht, Papa,«
schluchzte er endlich auf.
Der Hauptmann lcate wieder die
maaere Hand auf seines Kindes dunkle
Locken. «
»Nun weißt du auch. saate er. wes
halb du mir versprochen hast« mein
guter und vernünftiger Junge fein zu
wollen. Jetzt höre noch- eing, das
Lehtek
Bruno suchte sieh zu hemeiftern und
der Vater sprach weiter
.Es ist zwei Jahre her, dein site
burtstaa ftand wieder einmal bevor
und wie jedesmal erlaubte ich dir, dir
etwas zu wünschen Du batest darum
—- mit stockendem Athem und leuchten
den Auaen batest du -— ich möchte ein-«
mal in den neuen Cirlui mit dir
orden, dein Wunsch an sich hätte nichts
Erstaunliches fiir mich gehabt.
Der neue Cirlus war auf dem
Schützenvlatz aehaut, dein Wea zur
Schule führte dich täglich daran ver
iider und auf Knaben deines Alters
hat die bunte und aefahrvolle Welt
noch mehr Anziehunastraft als- auf
andere Les-te. Nur wie du mich daran
batest. das erschreckte mich. Jch wollte
indeffen deine Bitte, in der nichts tin
bescheidenes war und die deinen Schul
tameraden von ihren Vätern wohl auch
schon einmal erfüllt worden war, nicht
rersaaen. schon deshalb nicht, weil der
rerbotene Wunsch nur noch let-hattet
in dir aervorden wäre und dadurch.
falls eine Gefahr na meinem damali
aen Sinne tiir dich orlaa, dieie von
mir unvorsichtia nur noch herausbe
iehworen worden wäre. So aewiihrte
ich dir deinen Wunsch. Die Aufre
auna in die ich an diesem Abend dich
verfallen sah, die dann Wochen lanq
noch in dir anbielt, die ich dir endlich
verwies. weil icks als ihre Folaen die
Fehler und Zerstreutdeiten in deinen
Schularbeiten sah und die du fortan,
ohne sie überwinden zu können, doch
nur vor mir zu verleraen suchtest ·- —
iic Vckkiclh Mik, IVGS Mit VII cichVchU
war. Das Blut deiner Mutter rann
in deinen Adern eg war in dir er
wart-L ich kannte es. Du warst das
tsiniiae und Letzte, was mir act-lieben
ist. Lieii ich dich der Stimme deines
Blutes solaen, so warst auch du nsir
verloren. So iab ich, um dich mir zu
erl:alten, am Erde nun doch nur das
eiruiae Mittel die Strenae. So
verbot ich dir jeden weiteren Besuch.
so meinte ich. tich dem Dämon, der
dich mir schon zu rauben versuchte,
nach entreiizen zu tönnen. Ich könnte
dieli ietzt sraaen, mein Junae. ob mie
das an dir aealiiett ist und ich weist,
du wirst mich nicht belüaen. Deine
Tummelstunden habe ists dir nicht ver
tiirzem aber sie auch nicht beaufsichti
cen wollen· Du solltest deine Freiheit
wie deine anderenKameraden aenieszem
Ich sraae dicks nicht danach. Nur des
balb spreche ich davon mit dir. damit
du weiht, wenn du in deinem späteren
Leben dein Berufe deiner Mutter ein
mal salaen solltest. dase auch dann
noch der Sean deines Vaters über dir
ieiu wird. Wozu dich die Natur be
s«imrnt bat, dem wirst du gehorchen
Bleibe ein braver Mensch. dann wird
« das Qiet das du dir tviiblsr. in entei
; cher Weise deiner wertb sein« Das
wollte ich, mein Junge. dir noch sagen.
Nun bast du alles aebiirt. Behalte die
sen Abend im Gedächtniß!«
Erschöpft hatte Brunos Vater ge
endet.
Mit schwachen tastenden händen zoa
er die Decke bis an seinen bald und
ein Schauer des Fröstelns ging durch
seinen ausaeböblten Körper.
»Papat« sliisterte Bruno immer
- wieder.
Der Hauptmann batte die Augen
geschlossen
.Nun laß mich ruhen!« tönte es von
seinen Lippen taurn hörbar.
Bald darausvereiethen seine leisen
Athenrzitae. daß er schlies.
Die Katseemiible stand noch immer
auf dem Stuhl. ,Aus den Zehenspihen
trug tie stund hinaus. Das Feuer in
der Mitl- war längst au ebrannt. Es
war in der Wohnung to teustill.
Im Redenzimmer. wo die Betten
Hunden-, erlediate dann Brune, so gut
W
es heute gehen wollte seineSchularheii
ten Aus dein Nachttiseh standen einige
Medizinilaschen und Bruno wußte
vom Doltot, wie ost der Vater davon
nehmen sollte. Deshalb mußte er ihn
nachher Decken Sonst kam gegen
Abend noch die Portierssrau, um zu
fragen, was eingeholt werden sollte.
Jm Küchenschranl standen aber noch s"
von Mittaq einiae Reste. Das hatte .
ihr Bruno Mittags beim Auswaschen
schon gesaat. Sie störte heute Onieht
mehr. N
Als Bruno den Vater, um ihn an ·« zs
die Medizin zu erinnern, merkte, fühlte
sich der Erwaehende merkwürdig ges e
stärkt. « ,"
.,,Nun wirst du wieder gesund,
Papa!« rief Bruno froh und strahlend
aus --—— nun wird alles wieder wie
früher. Das Fechtzeua verlaufen wir
nicht« Dann wirst du aueh wieder
Geld verdienen lönnen. Zuerst hezahs »F "
len wir dann Daraan Mutter. Nicht
wnhsn Papa Dorchens Mutter zu
ert " .
Hauptmann von Barnstorss lächelte ils
iibet seinen Jungen. -"
»Ist Dorckxn so sehr deine Freun
din?« sraate er.
Dotchen trua ihrer Mutter Wäsche
in die Häuser. Auch dem hauptrnann
war das hübsche. saubere Kind in die
Ahnen aesallen Wie manchen siibschen
Kindern welchen die Erwachsenen
di rch ihr- unverständiaenss Sehmeiches
leicn erst zum Bewußtsein bringen«
das-, sie hübsch si:·.d, war auch Dorehen
ein gewisses hochmüthiges Wesen- eigen.
lslls Bruno noch außerdem einmal er
zählte, dasz Dorchen mit ihren ganzen
ccht oder neun Jahren von ihrer Mut
ter schon seit lanaem zu einer königli
chen Tänzerin geschickt wurde, wo sie
Zur Balletelevin ausgebildet wurde,
Irunderte siIh der Hauptmann nicht
nsehr über das kleine Ding. Die tiins
tiae Prima Ballerina sah schon ganz
deutlich aus dem Dinae heraus.
.Sie ist aarstig und schlecht, Papa,«
erwiderte Bruno aus die Frage seines
Vaters mit verachtungsvoller Miene.
---s »ich will auch nicht mehr mit ihr
reten.«
Bruno laa, als er und der Vater
endlich sur Ruhe aegangen waren, in
seinem Bett noch lange wach. Fieber
hatte Bilder iaaten durch seinen Kopf.
Er saß jetzt selbst aus einem Pferd und
kloa unter schmetterndem Trompeten
tlana, während die Peitschen tnallten
und dieLeute aus den Bänken »Bravo«
schrien, durch die runde Bahn des
lsirtus hin. Plötzlich mit einem Ruck,
hielt sein Pier an und scheute. Dicht
an der Barriere unter einem anderen
Vserde laa in ihrem bunten Kleid eine
Reiter-in. Sie hatte aoldene Ringe
mit rothen und grünen Edelsteinen an
den Fingern und war todt. Das Pserd
hatte sie erschlagen. Die todte Reite
rin war leine Mutter. Dann wurde
sie Plönlich wieder lebendig, stand aus
und sah ihn mit ihren großen schwar
,-en Auaen zärtlich an. ,,Komm,« sagte
sie, nahm ihn in ihre Arme und
schwebte weil sie plötzlich Flügel he
tummen hatte, mit ihm durch lauter
Lichterglnnz empor, immer höher und
tritt-en Ganz unten, in der Mnnege
sie-nd Dorchm Mit Verwunderung
nnd Staunen sah sie ihm nach. Da
rüber freute er steh. Am meisten sreute
er sieh, weil sie nun unten bleiben
I:-ns:,te. während er mit der Mutter
immer höher und höher in den Glanz
hinein staa.
Z.
»Nona Schana,« konirnandirte die
Frau Balletmeifteiim indem sie am
Klavier faß, rnit lauter Stimme.
Das Kammando lautete eiaeutlich
Blonde de iainbc aber in der Ballet
fprache wurde es »Rona-Schang" aus
aefvrmäen
lfs war ein großes-, laalähnli ,es
Zimmer, dessen beide Feniter auf die
Straßenfeite hinausgingen An den
fisnfi kahlen Wänden hinnen bunte
Bilder mit Scenen aus der Welt des
Balleis und einaeradniie Photogra
phien von Damen in leichten Geize
röckchen, den dankbaren fruheren Schü
lerinnen der Frau Decier-. An jeder
Länaswand lief eine waaerechte höl
zerne Stanae entlang. An diefen
Staunen standen, links und rechts ver
tkkeili, unarfähr zehn Mädchen, kleine,
aber auch ältere von iwanzia Jahren.
Sie hatten kurze weiße Iiillkleidchen
an, welche die Arme entblößt und das
Knie frei ließen. Die Beine fteckien
in rofa Trilots, die Fiifie in abfak
lolen Schuhen von rola Sonn
Frau Balletnieifter Decker felbsi,
eine ehemalige bekannte Tänzerin, war
ietzt eine Dame von etwa fünfzig Jah
ren, deren Geltalt zwar schon etwas in
isie Breite aina, die aber, wenn sie
ihren Elevinnen eine Uebung vor-iu
inachen hatte. doch noch immer Leich
tigkeit und Graiie genug verrieih. Ihr
G»eficht·. das nicht eben etwas Untie
wohnlieheö hatte, erinnerte an ihn-,
künstlerische anmuthiae Beraanqenheit
zwar nur wenig, hatte indes einen lehr
eneraithen Zug. der durch das dünne
Rohrftoachem das var ihr auf dem
Klavier las. noch einen aetviffen Nach-.
rkzuek erhielt. Ohne das Wulst Rohr
frockchen fah man die Frau Ballen-leis
sterin in ihrer Wohnung nur felien.
Tat Stöckehen war wie ihr Stehlen
" MSFPIJVUWOW
Immer fleißig. Kaufmann
lzum neuen Lehrlina): »Wenn
alle Flafchen aefptlli haben, dann tön
nen Sie die übrige Zeit damit ausfül
len. daß Sie Fliean fangen und auf
unfer mteziärtes·FliegenpaZ)ier le eni
Immer fleißig sein, junger kann, as
lft die hauptlachei«