Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 05, 1899, Sonntags-Blatt., Image 15

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    genuger
Von Omb.
Diana von Flairg ist in Sinnen ver
toten.
Bequem ruht sie in einem weiten,
epolsterien Lehnstuhl Den Kopf hat
te nach hinten zurückgeworsen und
ftiitzt ihn ge n lose Rosengewinbe. —--—
Ganz ohne ewegung liegt sie da; die
großen, immer traurigenAugen in dein
exquisiten und Mniiithigen Gesicht
starren in’s Leere, sie scheinen an der
Decke nach der Lösung eines schweren
Rätlysels zu suchen. Wie beunrubigend
sir send, tsiese rohen, trautinen Aug-us
Die schmale Lippe ist ganz wenia ge
össnet.
Ihr Kleid ist mit exotischen Blumen
bestickt -— und so schimmert es in einem
fremdartigen, nnbesinitirbaren Glanz.
—- Sie selber ers int ioie eine groß-»
sarbenprächtiae B unie, bei bereit An
blick nnheilbare Sehnsucht überfällt
Jn der schön gebanten Hand hält sie
ein Telegrannm und die ivinziq llei
nen Füße zappeln vor Ungeduld ans
dem malvensarbenen Schenkel.
Das Telegramm lantett
»Ich werde heute Morgen um 11
Uhr 30 ankommen. Jn ergebenersslzrer
bietung A n se l m.«
So wird er also kommen « roch
einmal wiederkommen! Mein (:tott,
wie sie seiner satt ist!
Er lam schon so viele Male, er kam
seit je, dieser arme Anselm! Diana
erinnert sich, ibn immer gesehen zu ha
ben, soweit sie überhaupt inriickdenlen
kann.
An der Decke Fiel-en an ihren großen,
itauriqen Augen Scenen, Bruchsliiele
von früheren Scenen vorüber, gleich le-«
senden Bildern.
Sie befinden sich im Wir:h
fehaftsbrsf —-- rund herum ein Kranz
von Apfelbaumen mit ihren röthlich
weiß schimmernden Blüthen.
Er sitzt rittlinas auf einem Schenkel
Sie will auch hinaufsteigen, darüber
gerathen sie in Streit: aber ohne wei
teres, skgleich überläßt er ihr seinen
angefeindeten Sitz, er, schon ein gro
ßer, sehr langer, 10-jiihriqer Junge;
sie, wunderbar zart. ein schwache5, Hei
i.eø siebenjiihriaeö Mädchen.
Das war ihre erste Begegnung und
zugleich ihr erster Sieg.
Seither hat er das fortgesetzt und je
der ihrer Launen nachgesehen
Sie erinnert sich keines einzigen Mo
rientes in ihrem Leben, wo der gute
Ilonde Riese nicht auch dabei gewesen
rare.
Sie hatte sieh mit 17 Jahren mit·
dem Marquis von Ftairs verheirathet!
Sie war gewartet-, was sie verspro-(
chen, ein exauisites, kaltes und thron
nisches Wesen.
Der lange blaride Riese war damals
in Wien; er hatte die Diplamaiithe
Laufbahn eingeschlaaen ----- ihm brach
schier daf- Herz vcr Kummer über dieses
Heirath. l
Als er sie sechs Monate später wie-;
Verfah, war er überrascht und erleich-?
tert zu sehen, daß sie ihrem Gemahl mit]
völliger Gleichgiiltigteit beqeanete. —
Sie seyte ihre Herrschaft riber diesen
Menschen fort, nrch borhmiit hiqu ae
worden Durch die ungeheure Anbetiing,
die ihr zu Theil wurde.
Er träumte erst alle Nächte von ihr
in Wien. dann in Berlin und dann in
all seinen Stellungen durch acnz Eu
roya.
Sie wunte das aueg sehr gut nes
wußte, daß er ihr gehörte, elende
und lrant vor Liebe —- dafx sie mit ihm i
machen konnte, was fee wollte — allng
ja nach der Laune ihrer kleinen wetter t
wendischen Seele.
Sie wußte das alles-»und daß sie fein»
Herz in ihrer Hand hielt, so wie eins
Kind eine Blume hält. (
»Jn ergebener Ehrerbietuna,« saqie
das Tele kamm, --—- oh ja! allerdinqsi
ergebener. — Seine unbegreifliche lin
terwiirsigteit widerstand allem: Sie
hatte ihn vernachlässigt, qedehmiikhiqt,
verrathen; sie hatte ihn zuweilen ne
seltert, um zu sehen, -——- wie das Kin- 1
der mit Uhren thun -- — wag im Innern«
war, aber er war immer der gleiche ae
blieben.
Er lonnte sich nicht von ihr lösenmons
diesem unnatürlichen und unklar-us
Geschöpf mit dem langen schlanke-II
Hals, auf dem der reizvolle Kopf eines-«l
dämonisehen Engels gar hoch oben saß.
Dieses allzu seine, phantostische,
köstliche Wesen, das zu ihm einen ganz
ieltsarnen Kontrast bildete, hatte es
ihm unwiderstehlich anqethan
Er aber langweilte ite.
Wohl wußte sie, daß er unter aller-»
Unter den Hat-Hosen die sie Init ihrem»
wunderbaren und eigenartigen zarten
Reiz beherrschte, der sicherste, der Ins
verlässinste, der beste war und zuglein
K:,mlcher see am meisten von allen an i
e.
Aber er lanatreite sie. i
Sie wußte. daß alle Hjtiidehm wenn
er aui der Straße vorbeiging, sur- nacfs
ihm nmiriknhten und daß aueh die
ehrbaren Frauen mischen den Wien
peri: hindurch unter ihrem Schleier ihm
heimlich Vliele zun«arsen.
Denn er sals dielversprechend ans. er
war einer Jener nachts-sittlichen und feu
then Kbpse, n:it großen mehret-frohs
x en ugen unt eins-In zarten Frauen
i.
A
ächeln.
Aber er langweilte sie.
Wurde sie ihn heirathen ? Seit drei
Palmen, seitdem sie Wittwe war, bat er
re mit nie ermüdender Geduld darum.
Bisweclen schmeichelte ihrem inner-i
seen Herzen d ein wenig diese sanaii
Fische, unbegrei liche, aber vollständigei
Untern-ersann des schönen Mannes.
Aber er langer-eilte sie.
Ost reiste er. uen sie eine Stunde
lang sehen zu können, ganze Nächte
lang. denn er war zugleich sehr gewis
senhast und seine Vorgesetzten lot-ten
seine Genauigleit.
Sie enipsing ihn ohne Enthusias
mus ohne besonderes-« Vergnügen, aber
aueb ohne besondere Langeweile, ganz
und gar gleichgültig Und dennoch
ließ sie ihn kommen, unerllärlicheriveise
gerührt, wie sie war, wies sie ihn nie
mals ab, schaute aber zufolge ihrer gei
stigen Ueberlegenheit borhniiithig ans
ihn her-Ein
Aeuszerst seiniiihlig und begabt. nur
etwas nachliisiig, verstand sie alles
wunderbar. Die Künste ließen. ver
mittelt durelk il.re Augen oder ihre Obs
ren, its ihrer Seele einen selliarnen
Rausch fniriiet den ihr nicht-«- ander-L
lgeben tunnie cie besaß ein-. selten
irascne Auffassung gabe und einen un
triigliclien Geschtnaet,d1r mit de m ge
Itrolnlirhen Frauengefchmaci wenig ge
r. ein hatte: ile sie hatte niemals die
·nnc«rtrögliche Geschmacklosigte it beqan
lgen, sieh selber mit irgend einer Kunst
zu beflissen, diilen unangenehmen
slieutzutage so bökifigen Hang, der mir
Ausnahme ireniaer bevorzugter Ta
;lente die Menschen so lächerlich macht.
, Was ihr un Anselm ganz besonders
xmisiiiel kae war seine völlige Ver
istiindnislosigleit in Knustangelegenlkei
ten und sein dumit Hcsnd in Hand ge
hender barmler Geschmack
.. Aber heute Morgen war sie et
wis iniide. Sie dachte daß ein Tag
toismien iriirde, ein sehr naher Tag,
wo sie alt sein triiirde -—« er aber ioiirde
ihre Runzeln rieinals sehen —- er Mir
de sie immer lirbsn
»Und am Linde, warum denn nicht .’«
dachte sie.
.... lfr trat ein.
Er erschien ihr sehr schön, sein feuri
aeH unt- ncchdentliches Wefin und seine
entziictenden Augen mit dem Sehn
sitelitsnlict
Sie rijlirte sich gar nicht —- sie fentte
bloß ihre großen, traurigen Augen,
Dann streckte fie ibsn eine ihrer zarten
Hände entgegen, deren bloße Brei-h
runa iin schon närrisch machte.
Sie dachte: »Nun meinetwegen ja!
so werde ich ihn heirathen«
Das Friihstiick war vorüber. Sie
geruhte zu sprechen: sie sprach gut,
gebrauchte sehr gesuchte, fremde Adjek
tive, seltene tchmiickende Beiwörter,-—
mit einer klaren, eigenartigen und
net-en Art.
Sie war strahlend, unbegreiflich,
schrecklich. —- Er betrachtete sie ganz
in ihrem Bann. satt nichts von ihren
Worten ver-stehend, aber aanz außer
sich und gelähmt vor Bewunderung
Vom Tisch aufsiedend, erklärte sie:
»Ich werde Ihnen Das Champ de
Mars zeigen«
Um diese Zeit gab’«5 nichts- anderes-«
zu thun. Die Jahreszeit war sehr
vorgerückt und Jedermann außer itnn
hatte diese Angstellung schon besticht
. . . . Sie erschien nach dreiviertel
Stunden wieder. Sie brauchte ftersz
sehr viel Zeit zu dem Antleiden, daer
waren aber ihre Toiletten wahre Mei
sterwertr.
»Ein wirtlicheg Genie«, hatte eine
Zbrer Freundinnen von ihr gesagt, auf
ihre Art sich zu lleioen lyinweiieno.
Sie trug ein graues Kleid voncirepe
be Chine, das um ihre Fiiize Falten
wart a la Burne Diones-, sie fah
aus-, als wäre sie von eintr blassen
Staubwolte uinhiillt --— und usn ih
ren Hals, utn ihren langen, scltlnnlen
bei-is strahlte das Kleid von glitzernden
iamntxtew -—— Aus dein flüssiqu
tvoltigenTiill heraus ragten zwei weiße
Psauensedern aus ihren Haaren em
por, auf- ihren goldgestreistenMärchem
hoc-ren.
»Wie schönSie doch sind!« murmelte
e.
Sie lächelte wohlwollend und reichte
ihm ihre Fingerspitzen,—bie er zärt
lich lüßlr.
Da zum ersten Mal, zum erstenmal
in ihrem Leben schüttelte sie etwas wie
ein leichter Schauer.
Sie schaute ihn nun beinahe zärtlich
,
an.
Er wurde ganz blaß. Ein unendli
thes, unerwartetes Freudenqefiilkl tam
iiber it;n.
Er wagte es, sie etwas äußerst be
scheiden, aber mit einem leidenschaftli
chen Entzücken in seiner Stimme, in
seiner tlangvollen, ernsten Stimme zu
fragen
- k· -» L
»Zukkscll VII llllc ullus We Ismuur
erweisen, uber rnem Leben zu beschlie
ßen?«
Sie antwortete mit einem Hauch von
Zärtlichteit:
»Ja, sehr bald werde ich mit Almen
darüber reden, --« und vielleicht tseate
noch."
»L- Diana!'«
Vor Freude atl)emlas, brachte er gar
keinen andern Laut hervor-.
»Na-innen Sie jetzt!« unterbrach sie
ihn munter, wir wallen uns die Ges
mälde befehent«
Ie- - i
Sie itieqen die Treppe zum Champ
de Mars- hervor.
Bei dem im Saale herrschenden un
aewissen, blassen Dänsmerlickit gingen
sie an der Pendelntr varlsei. wo die in
genialer Art überall vertretenen Ent
wiirie Und Stizzen in Vrcsnze und
entzückenden eingelegten Arbeiten auf
gelegt waren.
Sie pries den rassinirten, feinen
und tilnftleriichen Geschmack biefes
Menschen, der aber auch alles zu ma
chen verstand: Verfe, Uhren und alle
goritche Sei-tönte Dann durchschrit
ten sie rasch die Säle, denn sie wollte
ihn gleich vor die Bilder führen, die sie
liebte.
Sie ging ein wenig voraus, schlank
nnd lang und unnatiirlich in ihrem
blossen Schlepplleid
Er folgte ihr, über seinem Arm eine
dufiige weiße Schärp e.
Von Zeit zu Zeit aber blieb er ste
hen, mit einer geradezu entseleichen
Urgeschicllichieit in der Weibl, gerade
ver den schlechtesten Gemalt-en deren
blödsinniges und banales Sujet ihm
gefiel.
Sie ging rascher, sehr nervös, nichts
davor- bemerlen wollend, denn sie
war ihm soeben noch so gut gesinnt
gewesen!
Sie beeilte sich, an’s Ziel zu koni
men.
Die geheixnnißvolle Zauber-last je
ner Gemälde würde ganz gewiß auch
iljn packen und seinen Geschmack zwin
gen.
Sie stand still:
Zur Rechten stand eine Wunder-volle
alte Frau aufrecht in einer Ecke der
Leinwand; den Kopf trug sie empor
gerichtet mit einem herrlichen Adel in
der Haltung, einer etwa-Z hochmiithi
gen und traurigen Würde: diese Frau
hatte gelitten und gesiegt.
Jhr düstres Gewand hod sich deutlich
ab Von den blassen Mauer-. des Hirn
mer-H —— nichts als die Linien der
Wände —— blasse Linien auf der blas-—
sen Mauer und dazu die blasirn
Linien der Thüre. sku ihren mästen
ein Schatten, der schmäler un) schmä
ler wurde.
Ganz einzig aber, ergreifend nnd
rinvergeßlich wirkt das Bild zur Lin
len:
Ein Weib bewegt sich aus dem Ge
mälde heraus, eH ist schon ganz am
Rande, am äußersten Rande der Lein
wand bevor es l;eraui5trttt, derive-res
den Kon zurück, einen entziicleirdem
leitensvollen Kopf.
Und es ist blaß, das sehr selt
same Weib mit seinen wunderbar kr
tben Haaren, die seine ganze Gestalt
iibersluthen.
Es ist lang und schmiegsaun das
wundervolle Weib in Grün.
O, das abgezehrte und farblole
Grun, das einzige Griin dieses Klei
des.
Es ist entsetzlich blaß und zum
Weinen schön, blaß von nicht zu nen
nenden Dingen, die es gesehen, blaß
rom Mysterium, aus dem es entsprun
gen
tlm seinen Mund, um den blassen
siir alle Ewigkeit geschlossenen M und
giebts sein Lächeln Es hat Dinges
aeselxen, von denen Niemand weiß, i
Tinae, über die ein ewigesi
Schweigen sich breitet. Man fühlt eiJ:
sein Schritt ist der Schritt der Schat-?
ten.
Jetzt ist alles an ihm unbeweglich;
nur in seinen Augen, in den uner-:
tliirlichen, unruhigen Augen scheint Les-»
ben zu glimmen. Jbr grüner Blick
ist nicht nur traurig, er ist viel schti m
mer als das· Er durchdringt dich wie
die entsetzliche Gewißkxit von auf im
mer verborgen gehaltenen, entscheiden
den Wittlichleiten van uneesetzlichen
Verlusten. Und sie suchen dieo doch
immer wiederum auf, iie verfolgen(
dich überall, diese von den genehmig
vollen, schlaslosen Nächten geworde
ten Augen, diese schrecklichen Gespen
steraugenl
Es ist schön, das wundervolle Weib
in Griinl
Und hinter ihm, rund bernm. nichts
als die einförmige Eintönigteit der
blossen Mauern mit den blasseri Pfo
ten der Thüre.
Es ist unnatürlich,nyantast1:sch
aber bestimmt trie die Erzählungen;
von Poe. s
s
Zwischen diesen beiden Gestalten, je
ner alten Frau und diesem junan
Weibe erblictst du ein Kind —-— ein
schreckliche-T kleines Mädchen; talter
Schauder überfällt dich beim Anblicke
dieses abgerebrten Kindes.
Sein Kleid schimmert in blossem,
schattenhastem Gelb. Du siehst nur
seine Augen —- die ungeheuren, schreck
lichen Augen. —— Viel, unendlich viel
steht in diesen allzu großen Augen ge
schrieben schlimme, vererbte Träu
me —- ganz wie in den geritttetenttlw
gen des Weibes in Grim. Die Ver
wandtschast dieser beiden Wesen Ist
unbestreitbar, der eiitsetiliche Sctiars
bliet von jenseits des Grabes. Tit
ses Mädchen kann leinen Schlaf fin
Zins
All der irijlekiie Schrecken von ent
setzlichen Visionen laaert sich in diese
«.)liiaen: sie haben nicht Zu verstehen
de Dinge verstanden-— ssie schreien, diese
Auqu, mit il,rer durchdringenden
blauen Stimme:
»Wie-ret- Inore, net-et more!«
lind dieses seltsame Mädchen itelit
aufrecht in der Mitte der Leinwand,
hinter ihm und neben ihm »ein unend
licbes Nichts — Die absichtliche Erhaben
heit dieser blossen Leere s- nur sein
Schatten zeichnet sich aus derErde, via
lett und unheilverliinkcnd auf dem
blossen Getöser . . . »
«- « «- s
Diana von Flairs schaute starr dar-T
auf hin, ganz vernichtet und aufgelöst;
vor Frei-de, ihre schmale Lippe ein loc-!
nia ausgeworfen l
Sie hatte ganz vergessen, daß An-;
selin neben ihr stand. ’
Plötzlich nnterbeach er das Schweisl
gen mit seiner langsamen und deutli
chen Stimme.
,,Dieser Maler ist verrückt!« rief
er nun aus« »Nein! diese Frauen in
der Ecke der Leinwand! Jst das ko
il«
Und er brach in ein Lachen aus«
sgteein aufrichtiges und zufrieden-es La-?
n.
» Sie schaute ihn an ganz niederge
schmettert. Eine ungeheure Verach
tung, vermischt mit Abscheu, stieg in
ihr empor
»Sie sind aber ein Kunstlennert taö
sind Meisterwerte!« war allez, was sie
hervorbrachte. «
Er begriff aber sofort, das-, er sie
beleidigt hatte. Er suchte nach einer
Phrase der Entschuldigung. Sie zuckte
die Achseln und lehrte ihm dann den;
Rücken. s
Sie ging sehr rasch, abe: ganz
stumm.
Von Zeit zu Zeit schaute sie ihn;
zornig von der Seite an. «
Sie fand, daß er ihre Schiirne ganz
ungeschickt trug.
»Eiannmkopf!« dachte fie. »Nichts
als ein Dummtops.«
Auf dem Heimweg gab sie ifzm Be
scheid:
»Ich habe Ihnen heute doch eine
Antwort versprochen: nun also, sie
lautet Nein.«
In letzter Stunde.
Eine Erzählung aus dem Künstlerleben
! vonMaqundttr. i
I Ein tiiibseliger Märztag neigte sich
Idem Ende zu. Der Himmel sah aus-D
Hals ivoltte er sich mitBleischtvere auf die
iErde berniederlegen. Däinniriger,
jseuchter Nebel erfullte die Luft. Welt
und Himmel —- alles ein Meer von
Grau in Grau.
So, nun war es zu Ende! Nun war
es doch gekommen, vor dem er gezittert
hatte sechs- Jahre hindurch. Was er
nie im Leben fiit moglich gehalten hät
te -—— diese Entbehrungen, diese Leiden
diese Erniedrigungen « aller-, alles
hatte er auskosten müssen, und alles,
alles war umsonst gewesen! Nun brach
das schreckliche Ende über ihn herein.
ohne Obdach, reinen Pfennig in der-Ca
fche, nichts in, nichts auf dem Leibe,
troftlos alles wie der fchauerlicheMärz
tag. Aber für die Erde kam nach die
»sen Märztagen der Frühling, — für
iihn war’s vorbei! orbei für immer
und alle Zeit. Von hier ging’s nzmt
mebr weiter, das fühlte er, und er fühl
te auch, wie es brennend in seine Augen
emporftieg. Untergehen, untergehen,
jetzt, so dicht vorm Ziel! schrie es in
ihm auf. Aber er lächelte nur bitter
dazu Nicht mehr lange, nur weniae
Stunden noch, bis die Nacht angedro
chen war, dann würde auch diese eStim- l
nie schweigen, und dann — war alles
vorbei! f
Sigwardt Thorsen lehnte sich miide
an eine der uralten Rüstern, die diel
Landstraße einfaßten. Hinter ihm stie
gen die bewaldeten Höhen steil empor;
vor ihm in bedenklicher Tiefe brodelten
die trüben Wasser des Flusses. Wen-is
zu seiner Rechten ein Windstoß einmal!
für kurze Augenblicke die wallendenNe
bel zertheilte, konnte man die Thürine
und die ehletzten Häuser der Stadt erken
nen Da hinten lagen alle seine Hoff-— ·
nungen begraben, und alle seine Leiden
und Erniedrigungen (
Ein herzes, hartes Auflachen, dannl
schauerte er fröstelnd zufammen, zog
den fchabiaen Mantel, der ehemals grau
gewesen sein mochte, fester um die lan
ge, ausgemergelte Gestalt und schwank
te weiter.
llnd als wüßten die Gedanken, daß
es heute zu Ende gebi, zanberten sie demI
müden, fast Vierzigsührigen Manne mit
dem ungepflegten pechschwarzen Voll-J
bart und dem gelblichbleichcn, hager-n
Gesicht noch einmal die ganze Began
genheii vcr die Seele
In seiner norwegischen Heii:i:i.·) fäih
er sich als fröhliches Kind, l..s den
Stolz und die Hoffnung feiner til ern,’
einer alten Bauernfamilie von altem
Schrot und Korn. Und die prachtigen,«
köstlichenStndienjahre tauchten vor Linn
anf, als Schüler des Geigennseistirs
Joachim in Berlin, als Zöglina des»
Konservatoriunis in Leipzig. M e la i?
damals die Welt fo sonnengkkinzend
vor ihm! Die Gunst seiner Lehrer und«
das Große, was man von ihm c»in-ar-»
tete, weitete seine Brust, — die Schatte
und Glückseligkeiten der crde legen
vor seinen Füßen! i
Dann kamen die Jahre der ersten
Triumphe und seine Anstellung atg «::
ster Geiger itn Orchester Der Oeernn
luihne eines ntitteldentfchen Indiens
Wie da alles zufaimnenströnite, um ihn
fast zu erdrücken mit all-m, was-: Das
Leben Schönes zu bieten nat! Z-: den
Glück, das ihnt die hehre Kunst gtwckln s»
te. zu den sonnigen H?utunftgtrei«tnen
gesellt- sich die Selig eit einer Mut-n
reinen, tyaufrifchen Jugendliebe welc
qentlich einer Aunzertreife nach Berlin
satt er sie wieder, rein zufällig, ot- Si-’
grid tkritsoin Wie gron und ft »r: nno
schön die kleine Sigrid gewordru mai-,
die er in seiner Vaterstadt Fsrederjtsxf
halt oft genug gegen Die wilden Stauden
vertlseidigt hatte — die Joealgeftalt ei-.
ner Wagner’schen Wnlliirel lan sitt--"
gen, singen konnte fie — ! Ihre Aus-I
bianug als dratnalifcile Sinne-tin war
in Berlin nahezu vollendes, und Sig
tvardt Thorsen war gliici.ufs, ilsr Lie;
Wege ebnen zu können; er sent- ess!
durch, daß sie von »seiner« Bü«):-..- sen-«
gagiekt wurde. Er halte es nich zu be
reuen; Sigrid Erilfon war bald erste-r
Stern an ver Residenzoper und enttvi-j
clelte sich in kurzer Frist zu wahrhaft
tiinstlerischer Höhe. j
Dei fiel der erste Reif in diese Früh
lingshetrlichteit. Jn seinem Herzen be-?
gannen die Eifersucht und norwegischer.
Trotz einen erbitterten Ke-:npf. Sjgrids
wurde umschwärmt und am meistens
verhätschelt vom Jntendanten, einem
reichen, wohltonservirten Witwer von
altem Adel. hni schien es, als sei sie
nicht empfind ich gegen die Aufmerk
samkeiten des einflußreichen Mannes.
Er zog sich grollend zuriick und wurde
kurz und abstoßend. Von seiner leiden
schaftlichen Liebe hätte er jetzt schon gar
nicht mehr-gesprochen; und Sigrid —
nun, die schien anfänglich nichts zu
merken, dann aber erwachte auch ihr
Stolz; die beiden Herzen entfremdeten
sich immer mehr, bis der Geigenliinstler
endlich. Gleichgiltigleit und Kälte heu
chelnd, wo er sich in rasender Gluth
sast verzehrte, auf und davon ging.
Thorsen stand still und fuhr sich mit
den abgemagerten Fingern über Stirn
und Augen· Wieder lehnte er sich er
schöpft an einen Baum. Der frische
Abendwind vom Flusse-her ließ die zer
franzten, abgeschabten Kleider urn den
hageren Körper schlottern. Vor Er
schöpsung schloß er die Augen Wenn
jemand hier entlang gekommen wäre
und ihn genau betrachtet hätte, der hätte
wohl gern einen weiten Umweg um die
se mehr als fragwürdige Gestalt ge
macht. Aber ob er auch ermüdet inne
hielt auf seiner trostlosen Wanderung
--— die Gedanken machten nicht Rast bei
jener Zeit. Die Bilder zogen weiter an
ihm vorüber, die furchtbaren Bilder all
mählichen SinkenH, die in ununterbro
chener Kette einander folgten und deren
letztes jetzt —- das Letzte war! »
Er war auf Konzertreisen hinausge
gangen in die Welt, hungrig nach künst
lerischen Erfolgen. Da fand seineLauf
bahn ein jähe-J Ende; es trat eine Seh
nenentziindung des linken Ringsingersx
ein, und lies; eine nicht unbedeutende
Lähmung diese-H siir Geigenspieler un- »
entbehrlichen Gliedes zurück. Damit
war seine Laufbahn als Biolinist zu»
Ende. Jetzt regte sich in ihm die lange
mühsam zurückgedrängte Schaffens-«
lust, und in der nun folgenden Zeit der
Ruhe und Muße entstand seine erste
Oper. Aber man hatte seinen Namen
unterdes; Vergessen und die Arbeit wan
derte aus einer FDirektion in die andere.
Da kam der große Schlag zu Hause.
Ein leichtsinniger Bruder, Kon
lurs Bettelstab, freiwilliger Tod
— dass waren die Hiosbsposten, die ihn
aus der Heimath trafen. Rastlos be
gann er an seiner zweiten Oper zu ar
beiten. Um sein Leben fristen zu tön
nen, mußte er Stunden geben; um wel
che zu erhalten« mußte er die Konkur
renz unterbieten; eH war zum Leben zu
wenig, zum Sterben zu viel Nach und
nach wanderte feine bessere Garderobel
zum Trödler; er vermocht e nicht mehr
wie so oft Von ihm gefordert wurde,
loie G-: sellschaftsabende der Eltern sei
ner Schüler durch musikalische Darbie
tunq zu verschönern. Sein äußerer
Mensch verlor immer mehr an E. eganz,
denn an Neuerwerbungen konnte er
nicht denken, und so ging es rapide ab
wärts mit ihm Ein Zögling nach
dem anderen blieb aus; man genierte
sich wegen seiner Armuth und Schädig-?
krit, und schließlich war ihm auch die
letzte Unterrichtsftunde verloren. Auch
die zweite Oper war fertig, ein harm
loses Wert voll iutimer Reize das ihm
die Herzen derer gewonnen hätte, dies
ihm willig entgegenkamen. das aber
nicht im Stande war, die Geister in sei
nen Bann zu zwingen. Auch dieses trat
seine ermüdende, aussichtlose Wanze
rung durch die Theaterarchive an. Mit
glühendem Eifer warf er sich auf eine
dritte Arbeit, in der er sein Größteg
und Besteg bot. Fachmänner, die aus
Erbarmen seine Entwurfe und An
fätze und Skizzirungen priiften, waren
voll des aufrichtigsten Lobeg — ein
grandioser Stoff, eine wuchtige, pa
ckende Musik von künstlerischer Vollen
dung. Einer der hervorragendsten
Opernimpresarien der modernen Mu
sikgeschichte gewann durch Fürsprache
Interesse für das Wert. »Wenn es
hält, was es verspricht, dann führe ich
eH nächsten Herbst auf,« schrieb er. Aber
die Lilrbeit in Linde bringen! Ja, das
war ex; Wies Die entsetzlichsie Zeit
seines Leben brach an. Alles Ent
behrliche hatte er bereits versetzt oder
verkauft, sogar von seiner geliebten
Geiqks hatte er sich trennen müssen. Die
Wirthssleuth bei denen er wohnte, quäl-s
ten und drängten ihn um Zahlung.
Man schalt und höhnte den Tagedieb,
der nichts arbeitete, man ließ seinZim
mer in Schmutz starren, nahm nichts
die geringste Rücksicht aus ihn, verwei
gerte ihm das bescheidene Mittagessen,s
das er sonst in der tinderreichen Fami
lie mit genossen, dachte nicht mehr dar-s
an, ihm den Ofen zu heizen, siir Be
leuchtung zu sorgen. Und Thorsen wars
schon glücklich, daß man ihn nicht aufs
die Straße setzte. Wochenlang war die
trockene Frühstückvsemmel seine einziges
Nahrung den ganzen Tag über, so daß
man ihn einmal zusannnengebrachenl
nach Hause transportirte Und dies
Wirihin schalt, er wäre am Ende gar»
betrunken!
Jetst hatte auch dag ein Ende. Gei
stern Morgen hatte man ihm erklärt,
dag Zimmer sei anderweitig Vermietth
ja die Leute hatten auch nichts iibrigzs
aber das war bitter. Den ganzen Tags
war er bei Kollegen und Bekannten um«
hergelaufen; sein Stolz - wo war er
geblieben! Aber überall ——- schöne
Worte, Achselzucken, verschlossene Ta
schen! Man suchte den heruntergetom
inenen Menschen möglichst schnell los zu
werden. Und dann kam die Nacht, wäh -
rend der er sich miide und verzweifelt
durch die Anlagen schleppte und zuwei
len auf einer Bank rastete, bis ihn der
feuchte Frost wieder ausjagte. Am näch- i
sten Tage dasselbe Bild. Nirgends
Hilfe, nirgends Rettung! Nun war sein
Widerstand gebrochen, dicht vorm Ziel!
Er wußte, daß diese Nacht die letzte
seines Leben sein würde. DasS its
al hatte zu viel von ihm verlangt, est
war seine Kraft dahin.
Wie ein Trsuntener schwankte er da
hin. Kaum noch spiirte er die entsen
liche Müdigkeit, den nagenden Hnn er.
Es war fast finster geworden; Sie
Chaussee, die weitewbinaus nach dem
fürstlichen Lustschlvsse führte, machte
eine scharfe Biegung. Eine einsame
Petroleumlaterne brannte an dieser
Stelle. Thosrsen stolperte über den ge
fchotterten Fahrdamm. Er sah es nicht,
daß eine Equipage in scharfem Trade
von oben her in der Richtung ncch der
Stadt heransauste. Kurz vor der Erqui
page tanmelte er und fielschwer zu Bo
den. Ein silberhelles, aber gedieieri
sches Halt tönte aus dem Jnnern dei
Wagens.
Die schnaufenden Thiere standen.
Thorsen hatte sich mit Auibietung sei
ner ganzen Kraft wieder erhoben. Aus
der Kutsche, die auf dem-Schlage das
fürstliche Wappen trug, beugte sich ein
blonder Frauenkopf.
»Haben Sie Schaden genommen? . .
Um Gotteswillen . . . Sigwardt . . .!«
Der Musiker lehnte sich gegen den
Laternenpfahl, um nicht anf’5 neue
umznsinken.
»Sigrid . . . DA?« flüsterten die
blutlosen Lippen.
Siarid Eritson war ausgestiegen.
»Ja, was treibst Dn denn? Wie siehst
Du denn aus-? Jst Dir nicht wohl?
Komm, steig in meinen Wagen. Ich
bring Dich nach der Stadt zurück und
unterwegs erzählst Du rnir . . . .«
Thorsen sah mit bitterem Lächeln an
sich hernieder.
»Es ist zu spät, Sigridz mit mir ist’:
zu Ende. Laß mich!« sagte er.
Die Sängerin war dicht an ihn her
angetreten.
»Nech einmal laß ich Dich nicht«
Sigwardt thorsen Komm mit, wenn
Du nsich noch ein wenig lieb hast!'«
Er sah sie tnit großen, brennenden
Augen an.
,,Du sagst Du, Du . . .. zu mir's«
»Gott, sei doch nicht thöricht, Sig
toardt! Du weißt ja — in UnserenHer-s
zen hat die Lüge nicht Raum. Ich habe
Dich immer geliebt und auf Dich ge
tvartet!«
»Auch damals?"«
»Auch damals!« saate sie einfach und
drückte seine Hand.
Fast willenlos folgte er ihrem Zuge
und nahm im Wagen Platz. Bald hat
ten ihre theilnehmenden Fragen seine
ganzeLeidensgefchichte aus ihm heraus
gelockt.
Oh«, sagte sie dann Und klatschte froh
in die Hände, »nun hat es ja keine
Noth! Ich habe heut Nachmittag vor
dem Hofe im Lustschloß gesungen. Der
Fürst ist entzückt und wiinfcht mich hier
zu fesseln. Und nun werde ich bleiben,
unter der Bedingung, daß man Dir die
Opernkapellineisterstelle überträgt, die
in wenigen Tagen vatant wird. Ah,
was soll das für ein schönes Leben wer
den! Und wenn Du dann Deine letzte
Oper vollendet hast . . . Aber nicht doch!
Dieb hab’ ich, Sigmardt, Dich, und
alles- das andere — es ist ja auch schön.
aber dab ich Dich wieder habe, das ist
doch das Bestei«
Eine lustige Komödie der Jrruw
gen
svielte sich auf einer Pariser Polizei
wache ab. Man schreibt darüber: Jn
einem der größeren Polizeidureaug be
finden sich die eigentlichen Bureau
räume im zweiten Stock, während das
Parierre und die erste Etage die Loka
litäten fijr die Executivbeamten, Arrest
zellen u. s. to. enthalten. Eigenthüm
likb ist ess- dabei, daß die Beamten dieses
Revierz sich nicht alle kennen. An einem
Nachmittag nun wurde dem Polizei
tomnnssär, der seinen » lag im zweiten
Stock hat, ein baarhäuptiger, herunter
getomnicner Mann borgeführt, welcher
eines geringen Vergehens wegen ver
haftet worden war. Der Kommissar be
fahl, den Mann aus der Haft zu ent
lassen, änderte jedoch plötzlich seinen
Entschluß und aab die Ordre, den Ent
lassenen zuriirtzubolm Ein Polizei
mann begab sich sofort nach dem Erdge
schoß, fragte den vor der Thiir pa
tronillirenden Schutzinann, ov er nicht
den barhäuptigen Bettler habe das
Haus verlassen sehen. Der Schutzmann
verneinie eg, und der Polizist setzte die
Nachforschungen fort. Schließlich mach
te sich auch der Kommissar selbst ohne
Mütze auf die Suche-. tilnch er gelangte
zum Posten vor der Thür. Bevor er je
doch noch eine Frage thun konnte, er
klärte der Wackere ihn fiir den gesuch
ten Betiler. Auf den energischen Protest
Leg Kommissars eilte ein Polizist ans
dem ersten Stock herbei, ergriff den
Kommissar beiin Kragen nnd versuchte,
ihn etwas nnsanft nach dem zweiten
Stett zu befördern. Der Lärni loclte
einen anderen Beamten herbei, der den
stonntiissar lannte. Als er ihn aber in
so eigenthiiinliitier Lage sah, lebhaft gr:
siilnlirend n. nm sicii schlagend, hielt er
ihn siir verrückt Er wechselte daher mit
dem Polizisten, der den Kommissar ain
Kragen gepackt hatte, einen Blick des
Eiiiverfiiiiidnisseg, trat zum Kommissar
heran nnd bat ihn, doch schnell nach
,,oben« zn kommen. Frohlockeno, daß
der Spitzt-ums so schnell in die Falle ge
gangen war, folgte der Polizist, wäh
rend de-: andere Beamte mit Blicken des
Bedauerns feinen Vorgesetzten beglei
tete! —- Erst ini Bnrean des Kommis
sars löste sich die koniische Wem-ethisc
lung in allgemeine Heiterkeit aus.
——- Stoßseufzer Junge-: Porträt
maler« »Ich habe den Herrn Baron auf
dem bestellten Bilde so gut getroffen ———
doch wenn ich jetzt mein Honorar haben
will, ist« er —- nie zu treffen!«