Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 30, 1898, Sonntags-Blatt., Image 11

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    gememstltcrchem
Skizze von Wilh. Schae t.
Nicht von dem uralten Heidemiitter
n, das sich um Julineige in eine ro
ig erglühende Jungfrau verwandelt,
oll hier die Rede sein. Gemeint ist die
Seniorin eines edlen Geschlechts-, die
liiclliche Großmutter eines vollen
uhend helläugiger, slachshaariger
Ensellinder. ·
Die Baronin von O. ist noch« im
mer eine ansehnliche Frau-trotz ihres
silberweißen Haares. Ja dem stinkt
nigen Gesichte ler Greisin. das »von
ehemaliger Jugendschiinheit «erzahlt,
macht sich leine Runzel. kaum ein Falt
chen hemerlbar. Mitden Glanz strah
len die großen, fast kindlich blickenden
tiefblauen Augen der seltsamen Frau,
über deren Scheitel siebzia Sommer
und siebzia Winter dahingezogen sind,
unter deren Blicke Kriege geführt.
Throne zertrümmert worden und auch
ganze G schlechter in’s Nichts zurück
gesunten ind.
Nie hat sie den Bannlreis der Haide
verlassen. Als Grasentind in der
Nähe Litnebergs geboren, hat sie, kaum
siebzehniahrig, dem benachbarten Ma
jsratshetrn ihre Hand aereicht —- ihr
Schicksal besiegelt. —- — —
— Durch die Scheiben des hohen Bo
enfensterk gleiten die Strahlen der
zembersonne. Aus den Blumenbän
len grünen Myrten. blühen Maiglöck
chen, die liebevolle Hände aus den Flie
sen des Osens frühzeitig zur Blüthe
trieben. Nun eriiillen sie das Gemach
mit süßem, märchenbastem Duste zur
Weihnacht, wenn die Heide erstarrt, die
Eichen des Paris unter der Schneelast
lchzem
» older, geheimnisvoller Zauber uni
ie t auch die lesende Frau dort am
Fenster Jn den Sessel zurückgelchnt,
hält die greise Baronin das haupt
til-er ein Buch geneigt, dessen Jnhalt
sie ossenbar fesselt. Und dennoch glei
ten ihre Blirle hin und wieder zu dem
Fenster hinaus. Dort. wo zwischen
den lichten Zweigen die rothen Dächer
des Nachbargehöstes sichtbar sind, tvo
die sinkende Sonne leuchtend in den
Scheiben des Giebels blintt. ruhen sie
aus. Dort hat die Baronin das Wel
tenlicht erblickt. Dort sind ihr, so
lange die Mutter lebte, Jugendjahre
Tegel-Jeden gewesen in Freiheit und in
u
Es muß ein Zusammenhang zwi
schen dem Inhalte des Buches und den
Erinnerungen bestehen. die das herz
der Greisin so ties bewegen, daß der
siillen Träumerin Thränen in die Au
gen drängen.
Das Titelblatt des Buches zeigt den
Namen eines zeitgenössischen Schrift
stellers. Wie alljährlich vor dem Feste
t sich die Gutssrau auch in diesem
abre eine Anzahl Bücher senden las
en, zwischen denen sie wählt, siir die
Kinder und Enkel sichtet.
Zwar soll Großmutterchens »Ge
schmacksrichtung« nach dem Urtheil ih
res ältesten Entels, des tlotten Berli
ner Studenten, dem sie am vorjährii
gen Feste anstatt der erhossten sola
schen Nrmane die Klovstoclschen Oben
bescheert hat, eine »leider« etwas »ein
seitige« sein. Aber die Alte tröstet sich
damit, daß am Ende ein jedes Ding
seine zwei Seiten hat, und daß ein
junger Mann vrn heute sich ebenso gut
in seiner Ansicht überGroßmiitterchens
»Geschmacksrichtuna« irren kann, wie
ehemals dieWeisen Griechenlands iiber
die Beschaffenheit der Erde.
Armes Großiniitterleint Die Zeiten
sind andere und die Enleltinder zukn
Theil schon erwachsene Menschen ge
worden. Sonst Psleate bei der Be
scheerung jenes Buch das beste zu sein«
das Deine lieberolle Hand erxvahlt hat.
Heute sorschen tritische Blicke zwischen
den Blättern. Du liebst das Alte, und
sie wollen das Moderne.
Die Oremn im Lehnstuhl iacyeih
»Die klugen Kinder! Sie schelten
aus mich: komm nach Berlin und lerne
die Welt kennen! . . . Braucht man
darum nach Berlin zu reisen? . .
Großmiitterchen wendet das Buch.
»Auch Du bist ein Berliner Kind. Du,
reisen Name mit goldenen Lettern auf
diesem Buche verzeichnet steht. Sie
sagen· Du seiest Meister unserer Ge
danken, du wüßtest wie tein Anderer
die Kämpse der Seele zu schildern, du
schildertest wahr . . . Mein Freund,
Dir blichen die Jahre noch tein Haar
Deines Hauptes. Und doch fürchte ich
der Wea zu mir wird Dir zu weit
sein. Es lohnt sich nicht der Weg zu
der alten Frau: denn Du liebst die mo
derne. Aber auch mein Name wird
bald in goldener Schrift drangen,
nicht aus dem stolzen Einbande eines
modernen Buches — auf dem einsa
men Grabsteine der Heide, unter dem
schon so viele ruhen. Dann wird Gott
sreundlich in weine Seele blicken wie
in ein ausgeschlagenes Buch, dessen
Meister er ist, ——, dessen Meister nicht
Du bist! . . ."
Jn der Erzählung deren Inhalt die
Greign so lebhaft beschiistigt, sucht
der ichter die seelischen Kämpfe einer
Frau zu ergründen, die. um ihren Ba
ter vor dein geschästlichen Untergange
zu bewahren, in eine reiche Heirath
gewilligt ist.
Die Baronin starrt von neuem in
die Ferne. Sie aedentt der Zeit, da
auch sie mit der Liebe zu einem an
dern im Denken dem Wunsche des Va
ters gefolgt ist, indem sie ihren nun
mehr verstorbenen Gatten geehelicht
und damit ihrem Vater-. dem ties ver
schuldeten Manne. Ehre und Leben er
halten hat. Und wie die junge rau
in dem Buche, so hat auch sie bal er
fahren sollen, welch trauriaem Geschick
sie in die Arme aeeilt Elt. Jbr Gatte
hat sie getäuscht, ihr erst nach der Vei
roth sein wahres-, sein rohes, ungezü
glteg Weisen gezeigt. Gleich ihrer
schicksals chwester Hat lie in- ftummcr
Duldung ertragen, alle Liebe —- alle
Zossnung und allen Trost bei ihren
indern gesucht. s
So treit decken sich die Schicksals
lov e der beiden Frauen. !
- a naht in der Erzählung die Vers
suchuna. Und die Verzcrrung ihre-s
eigenen Bildes. das die Greifen in der
Seele der anderen Fu erkennen meint»
nimmt ihren Anfang. l
Die heldin des »Modernen« wantt
nnd ergiebt sieh dem Vertrauten. Und
sehr-n winkt die Scheidungstlagr. Aber
die Umstände fügen es anders· Die
beiden Männer treffen sich. Die For
lserung fällt und mit ihr der Urheber
alles Elends-. — Nach Jahresfrist geht
die junge Wittwe mit dem Mörder ih
res Gatten die Ebe ein. Sie selbfts
giebt sich lachenden Herzens der Stan
dalsucht der Welt preis, sich-—nn-d ihre
unschuldigen Kinder-. Schlußeffelt:
es genügt — sie selbst ist glücklich.
»Gliicklich? — Sie, die Frau —- die
Mutter, die ihre Pflicht vergißt?! . . .
Nein«, erklärt die Baronin. Und dann(
schweifen ihre Gedanken abermals rück
wärts. i
Auch ihr ist die Versuchung nicht
erspart worden« Jn das Haus ihres
Gatten ist der Jugendfreund getre
ten, jener, den sie heimlich geliebt hat.
Und Worte sind von ihm zu ihr ge
sprochen worden, vor denen sie hat er
röthen müssen. Aber sie hat nur ein
Lächeln fiir ihn gehabt.
»Nein — nein, bester Freund, ich
beanspruche Jlxre Hilfe nicht! Mich
verlangt nach keiner Scheidung von
meinem Gatten. Meine Kinder wür
den niir nie veraehen. Den Weg, den
Sie mir zeigen. tann ich nicht betreten·
Er führt nicht zu demFrieden, von vem
mir träumt. Jch harre aus, denn nur
so —- gehizren niir alle meine Kinder.«
Und die heldenniiithiae Frau ist ih
rein Entschlusse treu geblieben. Nach
fünfzehn Jahren bat Gott ein Einse
lien mit ihr gezeigt, ihren Gatten in
rieven zu sich aenommen——sie und
ihre Kinder erlöst . . .
» Jhr ältestes Kind hat der sanften
Dulderin schon als balhiviichsiges
Bürschchen durch festen Händedruck die
Liebe gelehnt. wenn der Vater mit ro
bser hand wider sie emvor gefahren
ti.
’ Heute umfängt ihr Liebling sie nicht
mehr. Jn Frankreichs blutgetriintter
Erde ruht ihr stolzer heldcnlnabeAber
der Sohn ihres Sohnes lebt. Der noch
Ijunae Majoratsherr besucht in Berlin
als Landwirtti die Universität. Er
wohnt bei der Schwester. s
« Nun aedintt tie Greisin ihrer Tisch-»
ter. Sie sind sämmtlich rersorgt. Die
beiden Aeltesten haben ihren Gatten,
angesehenen Guts-herren. in fernePros
vinzen folgen müssen. Beide haben
Familie iind halten ihre eigene Christ
bescheeritng. Aber die Jüniiste——iiber
das Antlitx der Greisin fährt es wie
Sonnenschein —- die Jünaste wird zu
dem Feste in alter Punttlichleit bei
ihr erscheinen. Der Waan ift bereits
vom Hofe gefahren. Er holt den Ma
jor und seine Familie von der Bahn. s
Die klugen, freundlich blickenden
Augen der Mutter und Großmutter.
leuchten. « » i
»Und wenn ich meinen Sareirinoern
aus der Mode scheine. wenn sie auch
iiber meine Lebensanschauungen kla
gen, —- maa sie veraltet fein-—- mein
Schwieaersohn, der Major, weiß, was
er an feinem »Heidemütterchen« hat.
Aus stillen Gräbern in Frankreichs
Erde wachsen —- Valmen -—— Frie
denspalmen zu Deutschlands Ruhm
und nie gesehener Ehre. Die Tochter
Lüneburgg gehört dem preußischen Os
fiziere . . . Heidemütierchen ist un
Jniodern geworan . . . . Heidemutccr
eben hat nie an sich, Heidemiitterchen
hat nur an das Glück ihrer Kinder ge
dacht . . .
»Ellh, meine Tochter«, thränen
schimmernden Auges greift die Greisin
nach teni Buche in ihrem Seht-one
»du magst getrost in diesen Blättern
lesen. Für dich hats keine Gefahr«
Du und Dein Ernst, ihr liebt euch viel
zu sehr. Aber für jene. die nach euch
in ihm lesen werden. wird Heidemiit
terchenis zitternde Hand ein Wort der
Erklärung schreiben. Und was sie
euch sagen wird, ist dem Buche des
großen Meisters entnommen, der ur
alt und doch ewig juna isi,der mit gött
lichem Finger in meine Seele schrieb:
»Heute aus! Thu Deine Pflicht, und
der .Lohn ist Dir auf Erden schon ge
w. «
iß.
d »Und Gottes Lohn ist mir gewor
en . . .«
Die Blicke der Baronin bleiben aus
dem Bilde ihres Gatten haften. Fin
ster sieht der Todte auf die Greisin her
nieder. Aber sie schaut freundlich zu
ihm auf.
»J verließ dich nicht. Das mag
hausbacken, das maa in den Augen der
heutigen Welt nicht vitant sein. Doch
das macht nichts! Die Kinder sinds
zufrieden, und die Enkel verbrauchen
mich so, wie ich bin Ob du, fremder
Mann, Autor dieses Buches. mich bes
ser versteht —als ich dich-UT Jch kann
es nicht sagen. Jch bescheide mich. Jch
bin usrieden, wenn iene mich verste
hen, ie ich liebe, fiir die ich lebte, und
die das Erbe meiner Seele weitertra
aend werden von Kind aus Kindes
kin . . .
Jn den Giebelfenstern des Nachbar
gehostes spielen die Sonnenstrahlen
nicht mehr. Langsam geht der Tag
zur NüEr. Dämmeriaes Li t durch
fluthet as stille Zimmer-. it ge
faltcten banden ruht die Greisin
aus . . .
Da rollt die alte Kutsche über den
Hof. Kinderiirmchen strecken sich zum
enfter hinauf. Müden werden ge
chwenlt. Tücher flattern in dem
Winde.
l«»(.5jrcßmama! Liebes Großmütter
ein.«
Ueber Treppe und Flur stürmt-Z her
Vertliirt —- glückfelia steht die Ba
ronin da, umringt von ihren Enkel
tindern . . .
Elly isi geduldiq. Erst nach ihren
äinßdern empfängt sie Müttercheniz
u .
»Und nun-als letzter komme ich
dran!'« Mit kräftiaem Arme, feuchten
Aiges. umfängt der Major die greife
eFrau.
heitemiilterchen lächelt-läßt alles
über sich ergehen. Es meint:
»Alle-s Ding währt feine Zeit! ’s
wird einmal auch ohne mich gehen . ..
Aber vorläufig bin ich noch da und ich
freue micks Eurer Freude! . . . Kin
der, es ist doch aut, wenn man weiß:
die alte Frau ift Euch noch immer zu
etwas nütze!«
,,Gros-,ino.ma wird nie alt! Groß
mama ift ewigl«
,,. . . in Euch!« bauchen die Lippen
der Baronin. Tbränen der Rührung
und der Freude brechen ihr dabei aus
den Augen.
an
Der Suitz des gerrn Sanitätsrath.
VonWilthastor.
Jni ganzen Städtchen war der Spit
des herrn Sanitätsrath bekannt. Be
tannt und beliebt. Der Kutscher des
alten Herrn hatte ihn wunderbar dres
sirt, und da er, der Spitz, eine gutniu
thige Seele war, und außerdem auch
,,tinderlieb«, so hörte er auf das Kom
mando des letzten Straßentindes, stellte
sich todt, wenn man es verlangte, fing
an zu hellen, wenn man ihn fragte »wi
svricht der Hund«, und lief auf den
Hinterfüßen
Man eiitbehrte etwas ini Städtchen,
seit der alte Herr zu tränkeln anfing,
und der Sin sich so selten blicken ließ.
Man sah ihn ast nur noch den Kut
scher zur Apotheke begleiten.
Doch auch aus diesen Gängen zeigte
er sich merkwürdia zerstreut und unru
hig. Er hörte wohl noch auf das Kom
niando, aber er hörte ungern. Er blieb
nicht mehr so lange aus den Hinterbei
nen, als man es verlangte, und da
Siehtodtltcllen wollte ihm schon gar
nicht mehr gelingen
Kam gar der Kutscher aus der Apo
thete zurück, so war rein gar nichts
mehr mit ihm anzufangen. Er sprang
bellend am Kutscher heraus, lief einige
Schritte vor und wartete ungeduldig,
als ob er den Kutscher ermahuen wollte,
sich doch ja zu beeilen.
Mit dein Sanitätsrath ging es zu
Ende. Er war verschlissen, wie er es
nannte. Voriges Jahr hatten sie ihm
die Frau begraben, einige Monate nach
ihrer goldenen Hochzeit. Nun war er
freilich zu sehr Arzt, um sich in Semi
inentalitiitrn darüber zu verzehren.
Aber er sah doch, dasz dieser Todesfall
eine Lücke in sein Dasein gerissen hatte,
die nicht mehr zu ergänzen war
Schließlich, wozu auch? Seine Kin
der und Enkel waren gut versorgt —
er hatte ein Recht müde zu sein.
Die Praxis hatte er schon seit einigen
Jahren ausgegeben. Nun zog er sich
noch mehr in sich zurück. Die beiden
Pferde wurden verkauft, die beiden jun
gen Dienstmädchen entlassen. Der Kut
scher, der nun schon zehn Jahre iin
Hause diente, und die alte Köchin ge
niigten.
i Waren doch die Ansprüche des Hau
ses mehr alt- bescheiden geworden, seit
»der Herr sich mit Zwei Zimmer-n be
gnügte. Auch benutzten sie neuerdings
die Küche, im Hause selbst und nicht
tmehr die im Hefe.
Wenn Frau Sanitätsrath das noch
hätte seben müssen! Die Küche am Flur
war ihr Ulllerheiligstes gewesen. Sie
wurde zwar niemals gebraucht, doch
alle acht Tage mußte sie peinlich blant
geputzt und gescheitert werden. Die
Prachtstiicke der alten vererbten Kupfer
kessel waren bier aufgestellt. Wehe dem
Hausinädchem das auch nur die gering
ste blinde Stelle sich hätte hier einschlä
chen lassen! Die Küchenwand glänzte
vor Sauberteit, und in den Platten des
'Ftochherdes, unter denen doch nie ein
Feuer brannte, hätte man sich spiegeln
tönnen, so sorgfältig waren sie jederzeit
geputzt.
Wie gesagt, die-Küche wurde jetzt zum
Rachen benutzt. Früher hatte nur der
Anbau im Hof diesem profanen Zwecke
gedient. Nun wechselte die Szenerie.
fDie rrerbten Yrachtstücke kamen in den
;Hof, die fiir den täglichen Gebrauch be
stimmte Einrichtung auf den Flur.
I Auch in den übrigen Räumen des
Hauses schwand allmählich die alte
Pracht. Das ganze obere Stockwerk mit
den Fremdenzimmern und dem tleinen
Festsaah das Wohnzimmer und der
Salon im Unterstock hatten ja keine Le
bensaufgakoe mehr.
So wurden die Fensterliiden geschlos
sen, über den Möbeln lagen die Schutz
decken wie Leichentücher, und an den
Wänden und am Boden mochte sich ru
hig der Staub ansammeln. .
l Das ganze Haus glich so, wie das
Leben in ihm aus einen kleinen Fleck
zusammenschrumpfte, einem welken
;Herbstblatt. Auch da ziehen die Säfte
sich ja vor der drohenden Winterkälte;
zurück. Und während das Blatt schon
aus seinem ganzen Umkreis zu dem cela-H
Ilosen Braun des Herbstes erstarrt ist,
tann sich im Innern noch eine Zeit lang
ein grüner Rest von Leben halten, wie«
das glühende Ende eines schon ausge
blasenen Lichtes.
Aber dieses glühende Ende gtomm
auch noch lange, lange fort!
Es war doch eine zähe Natur, der
alte Sanitiitsrath Jetzt noch, nachdem
ihn nichts mehr am Leben hielt, nach
dem die Altersschwäche seinen Rücken
gekrümmt und seine Hände zittrig ge
macht hatte, war er frisch wie je in sei
nen Gedanken.
Die Erinnerungen wurden in ihm
lebendig, je mehr die Außenwelt siir
ihn abstarb. Und lzsie belebende Kraft
dieser Erinnerungen veranlaßte ihn
mehrmals am Tage, sich von seinem
Lehnstuhl zu erheben und einen Gang
durch den Garten zu wagen.
’ Das war der Augenblick, der Leben
»in den Sin brachte. Er wußte, jetztz
endlich konnte er seinen alten Herrn!
wieder einmal in guter Laune sehen.s
Tiese wunderbar gute Laune, der zu
Liebe er sich vom Kutscher so qeduldigJ
hatte abrichten lassen, und die ge-?
schwanden war nach dem Tode scinerz
lHerrin.4 » « « s
I Wahrhaftig Ihscuye genug harte der;
sarme Spitz sich gegeben, die gute Laune»
Yniieder beraubt-beschwören Allein ver-J
gebens. Die bestgelungene Produktioni
seiner schwierigen Kuststücke konnte den
Alten kaum zn einem matten Lächeln
bringen. Jm Garten wurde er freund
licher und bekam Sinn auch für den
Spitz, den er da bisweilen streichelte,
ja, in besonders guten Stunden über
seinen Krückstoek springen ließ.
Ja, der Garten! Der Sanitätsrath
ging durch die engen, gewundenen We
ge, als ginge er durch sein eigenes Le
ben. so unmittelbar wurden die Erin
nerungen in ihm wech. Als er ihn hat
te anlegen lassen —- das war nun schon
über ein halbes Jahrhundert —- lag er
am äußersten Ende eines unscheinbaren
Marktdorfs. Jetzt lag er mitten in ei
ner aufblühenden Stadt, di durch ihre
Jndustrie und ihren Handel weit hin
aus in’s Land einen Namen hatte.
Und in der blühenden Stadt kannte
er alle Familien, und alle Familien
kannten ihn. Denn selbst, als die bei
den sungen Kollegen hergekommen wa
ren, konnte man ihn, die alte Autorität,
bei keinem schwierigen Fall entbehren.
lind die Leute hatten recht, wenn sie
ihn riefen. Teufel, mochten die Grün
schniibel besser schneiden können und
mehr gelesen haben: er hatte doch die
Praxis nnd die Menschenkenntnißt
Ja, der Garten —- der Garten
Er war angelegt im Geschmack des
»aneien regime.« Das war damals so
die herrschende Mode. «Der Doktor
batte sie mitgemacht, ohne eigentlich ein
intienteresVerstiindnisi dafür zu haben.
Aber nun hatte er sich langsam in sie
liineingelebt, und sie schien ihm der
schönste Traum, auf den die Menschen
je aetommen waren.
Da stand eine alte Trauerweide.
Von einem prächtig grad gewachsenen
Stamm breiteten die Aeste sich nach den
Seiten ans, nnd von den Aesten rausch
te das Laubwerk nieder, wie von einer
ungeheuren grünen Kaskade. Jn ei
nem weiten Kreise schlang sich um den
Baum eine Buchenhecke herum, glatt
wie eine Mauer kefchnitten
eDas war der Lieblingsplatz des Al
ten. Die Trauerweide war so eine Art
Familienchronit Wie viele Inschrif
ten hatten seine Kinder und deren Kin
der hier eingeschnittenl Und wovon
sprachen diese Jnschristen nicht Alles!
Ta standen di einem Herzen die
Buchstaben M und K, sein ältester-Sohn
und feine älteste Schlrieqertochter. An
einer anderen Stelle F und L, seine
Tochter nnd sein Schwiegersohn. Dann
dreimal ein N. Das war dieser aller
liebste kleine Radcr, die Zofe seiner
Frau mit dem Pastellgesichtchen. O,
niie sie fo niedlich zwitfchern konnte,
und so hell lachen! Er hätte fi-: gar zu
gerne behalten, aber die Geschichte wur
de zu ernst, und er mußte doch für die
Eolidität seines lockeren Enkels auf
kommen.
Jetzt irenich war oie Gefahr und
alles andere längst vorüber. Er konnte
sieh auf dein Metallpolster des Garten
stuhles seinen Erinnerungen hingeben
und den Spitz streicheln, der ja auch
die tleine Netta noch gekannt hatte.
Wenn er so einige Zeit im Garten ge
sessen hatte, pflegte er noch einmal in
den Hof hinüberzugehen und die Küche
dort, jetzt die Staatsiiiche, zu revidi
ren. Daran hielt er, daß dem guten
Geschirr auch jetzt noch alle ihm gebüh
rende Pietät zukam. Blant geputzt und
gescheuert mußte Alles sein, ganz wie
es die holländische Sauberkeit seiner
Frau —- eine richtige Frau Ehrbarkeit
Tiirerschen Schnittes —- oerlangt hat
te. — -——
Der Sin folgte ihm durch den Gar
ten, der Spitz umnsedelte ihn an der
Trauerbuehe und der Spin legte sich in
der Hofliiche ihm zu Füßen. Seiner
hiindischen Treue entging kein noch so
leichtes Aufschiminern im Auge des Al
ten. —
Er liebte seinen Herrn, wie nur einl
Hund zu lieben weiß, und als er sah,
wie die Bäume, das Kiichengeräth, die
kleine Freitreppe vor der Thür und
hundert andere Kleinigleiten seinem
Herrn die gute Laune wiedergaben, da
fühlte seine Hundeseele nichts von Ei
fersucht, sondern er begann diese Koch
lessel und Bäume, die Treppe nnd das
Geländerchen zu lieben, wie —- ja, wie
eben nur ein Hund zu lieben weiß. —-—i
Das letzte grüne Restchen im Herbst-;
blatt fing an zu vergilben. Der Sa
nitätsrath gin nicht mehr aus, dann
verließ er an nicht mehr das Betei,
und eines Abends war es endlichg
sehehen. Man schloß die letten vier
Fensterläden des großen Hauses, und«
eim gelben Schimmer der Kerzen hielt
der Kutscher die Todtenwache an der
Leiche feines Herrn.
Es war lange her, d ß die Straßen
jugend den Spitz richt mehr zu Gesicht
bekommen hatte. Jetzt, als er sich das
erste Mal wieder zeigte, hatte man kei
nen Sinn für ihn. Der prächtige Lei
chenzug mit den vielen Zylindern unds
Uniformen und der schönen Trauerma
sik nahm alle Aufmerksamkeit in An
spruch. Von keinem Menschen beachtet
trottete der Spiß neben den schwarzen
Pferden her. l
Am Grabe wurde noch einmal ge-’
spielt, ein Pfarrer und Einer im Cy-«
linder hielten Reden, von einem Baum
herunter sang ein Vogel, dann löste der
Zug sich auf· «
Man erzählt von Hunden, die auf
dein Grabe ihresHerrn verhungert sind.
Wenn das der einzigeBeweis für wahre
thierische Treue ist, so war der Spitz
nicht treu. Noch ehe die ersten Schol
len auf den Sarg fielen, und dieWagen
vor das Thsor am Kirchhof auffuhreii,
war er schon von dort verschwunden
und wieder nach Hause geeilt.
Jm Hause des Herrn Sanitätsrath
wurden in den nächsten Tagen alle Lä
den wieder geöffnet. Die Decken vonI
den Möbeln verschwanden, und die
Schranke und Truhen thaten sich auf.’
Das Schicksal des Hauses war be
stimmt. Von den Kindern und Enkeln
wohnte Niemand am Ort, undNiemand
hatte Lust hierherzuziehen. So einigte
man sich, das alt-, schon theilweise hakt-s
föllige Haus auf Abbruch zu verkau-’
sen und den Garten zu parzelliren.
Auf diesen Garten hatte die Gemein
de schon lange gewartet. Er versperrte
ihre wichtigsten Verbindungs - Linien,
ja, die projektirte Eisenbahn hätte, wä
re der Sanitätsrath am Leben geblie
ben, hier einen Bogen..machen müssen«i
Den alten Herrn zu exportiren hatte
selbstverständlich Niemand gewagt.
Das große Gartenthor, das seit dem
Verkan der Pferde nur einmal, beim
TVegriibnisY aufgewesen war, stand nun
Tag und Nacht ,,sperrangelweit« offen.’
Tie Möbel waren durch seine Flügel
herausgeschafft worden, und nun la-’
men die Maurer mit ihrenGeriisten und
Brecheisen herein. (
Beim Verladen der Möbel war der
Kutscher noch behilflich gewesen. Nun
llwar sein Amt erledigt. Man hatte ihm
fdie Portierstelle einer Fabrik besorgt;
eine Art Sineture, deren Inhaber nicht
viel zu arbeiten brauchte, aber zuver
lässig sein mußte. s
Mit einem Handkarren schaffte ers
seine wenigen Pabseligleiten fort. Nur
der Spitz beg eitete ihn. Der älteste
Sohn des Sanitätsraths hatte das
Thier mitnehmen wollen, aber der Kut-(
scher bat es sich aus. Nie hätte er sich
an die neue Stelle, die ihn seiner Ein-s
samkeit entzog, hinausgetraut, hättens
sie ihm den Spitz genommen. Mit dem
Spitz hoffte er einen Theil der Vergan
genheit hiiiüberzunehmen und sich so
den Wechsel zu erleichtern.
Aber schon am ersten Abend zeigte
sich etwas Merkwürdiges. Der Spitz
wollte nicht ruhig werden im nezienj
Heim. Als es dunkelte und sein Herrk
sich anschickte, zu schließen, fing er an
zu heulen und schairte an der Thüre. t
Da er sich auf keine Weise beruhigen
ließ, öffnete der Kutscher endlich und
ließ ihn frei.
Es wurde finster, aber der Spitz kam
nicht zurück. Da fing der Alte an sich
zu sorgen und ging ihn suchen. I
Er hatte sich nicht getäuscht; der
fHand war in den alten Garten gelau
cn. !
Dem deutscher wurde recht schwer zu
Muth, als er den Spitz da unter der
Trauerweide liegen sah. Ganz unver
mittelt lam ihm die Sceue in’s Ge
dächtniß, wie er vor dem Schließen des
Sargdeckes das Tuch vom Gesicht fei
nes Herrn genommen und ihm noch ein
mal ir. die starren Züge gesehen hatte
Der Spitz wollte nicht mit. Die
Nacht war warm und die Ruhe im
Freien konnte ihm nichts schaden. So
entschloß sich derAlte, allein seine Woh
inung aufzusuchen.
s Abend für Abend ging das nun so.
»Auch am Tage machte der Sin sich im
smer seltener-. Und was das Traurigste
swaiz er wollte nicht mehr munter wer
den. Wie altcrsschwach. wie miide war
sdas Thier mit seinen fiinf Jahren und
gesunden Knochen! i
! Doch das änderte sich, als das Zerss
störungswerl der Maurer am Wohn
hause vorschritt. Wie rasend lief der
Spitz durch die Gänge des Gartens.
Er heulte und winselte, aber Niemands
hatte fiir ihn Verständniß. Ja, man
beachtete ihn kaum mehr. Er war
langweilig geworden, seitdem er mit
seinen Kunststücken nicht mehr heraus
wklltr.
Das Haus lag nun mit offenemDach
und zertrümmerten Fensterscheiben da,
und der weiße Kallstaub Puderte die
alten Bäume. l
Jn das Roudel an der Trauerweide
hatten sie einen Marmorblocl der Hei-s
neu Freitreppe geschafft. Dort sam
inelte sich nun die rotznäsige Unschuld
der Stadt. Sie trieben irgendwo einl
Brett aus dem Schutt auf, legten es-.
Tiger den Marmorblock und schaulelten
I .
Wieder einmal lief der Spitz, er
schreckt durch ein Knattern und Krachen
im Hause,»wie toll durch den Garten.
Euer der lleinen Rangen rief ihn an.
Er winselte, und als sie lachten, fing er
an zu lnurren. l
Der Schutt häufte sich auf den ver
wahrlosten Wegen. Noch einmal be
suchte der Kutscher die alten Pläne. —
Der Spitz wurde lebendig wie in seinen
besten Tagen, als er ihn hier sah. Er
sprang an ihm hoch und leelte seine
Hände. Dann lief er von Weg zu Weg.
wo noch etwas von der alten Herrlich
leit geblieben war, und bellte bei jedem
Baum von Neuem.
Der Kutscher nahm sich bor, nicht
wieder herzutommen, so traurig hatte
der Besuch ihn gemacht.
« Noch wenige Tage, und lein Beet des
Gartens war wieder zu erkennen; der
Schutt lag zu hoch.
Dann tamen die Geometer, die Rich
tung der Straße abzustrecken, die den
Garten durchaueren sollte. Ferner
wurden die Bauplötze abgestreckt, was
wieder eine Menge Leute herbeilocktr.
Dem Spitz wurde unbehaglich bei
all den Fremden. Er entschloß ich,
auch den Garten nun preiszuge en.
Jetzt blieb ihm nichts mehr, als die
alte Küche im Hof. Zwar, alles Kit
chengeräth, der Tisch Und sämmtliche
Stühle waren sort. Aber die nackten
vier Wände genügten ihm, und nie mag
mag ein Hund ruhiger auf dem Grabe
seines Herrn gelegen haben, als der
Spitz in dem verlorenen Küchenwintcl,
der seinem Herrn einst so lieb gewesen
war.
Wieder war ein Tag vorüber. Ohne
Nahrung, doch auch ohne das Bedürf
niß zur Nahrung war der Spitz an sei
nem Platz geblieben.
Plötzlich fuhr er auf.
Ein Maurer mit einem Brecheisen
stieß die Thiir auf und trat ein. Er
lachte, als er den Spitz entdeckte. Dann
sah er sich in dem Raume um und stieß
wie zum Zeitvertreib eine Fensterscheibe
entzwei.
Der Spitz heulte, als babe man ihm
in’s Hirn gestoßen und sinnlos lief er
über die Schwelle hin und zurück.
Draußen stand ein kleines Mädchen,
die Tochter des Maurers. Sie rief den
Spiß an. Der blieb wie in einer jähen
Eingebung stehen, kroch dann zu dem
Mädchen hin, und tastete winselnd mit
der Pfote an ihrer Schürze-.
Die Kleine warf einen Stein.
»Avport!« »
Wie ein Wirbelwind flog der Spitz
hinterher und avportirte den Stein.
Dann winselte er von Neuem, lief
zur Küche zurück und versuchte die Klei
ne an der Schürze mit sich zu zerren.
Jn diesem Augenblick fiel eine zweite
Scheibe tlirrend in den Hof hinein.
»Todtstellen, Spiß!«
Aber der Sin stellte sich nicht todt
Er sprang wüthend auf das Mädchen
ein und wollte es beißen.
Schreiend lief die Kleine zu ihrem
Vater. Der hatte im ersten Schrecken
seine Brechstange fallen lassen. Aber
noch rechtzeitig besann er sich, und als
der Spitz zum zweiten Male auf sie
einsprang, ließ er das Eisen mit voller
Wucht aus den Schädel des Thieres
niedersausen.
Der arme Spitz brauchte sich nun
nicht mehr todt zu stellen. .
W werd abgeriss.
Jawth ihr Leit, damit ibr’s wißt,
Jetzt naht der ew’ge Friede,
Der Zar verlanat’s, ’s werd abgerist;
Wer wär net mit zufriede?
For was dann aach de: ew’ge Streif
Voll Mord und Blrtveraieße!
Jetzt werd a anzig Aanialeit
Die Völker all umschließe.
Jetzt därft er wieder bam marschiern
Jhr Militärsoldrte,
Jn Zukunft isss Exerciern
Zu Fuß und Pferd verbote.
Die,,Knalle«wern nor noch gebraucht
Um Spatze mit zu schieße;
Ein Säwel höchstens nur noch bangt,
Um Brate dra zu spieße.
Auch die Kanone schmelzt mer ei,
Zu Kessel und zu Kumve —
Lieb Vaterland magst ruhig sci,
Jetzt bot e End des Bumbe.
’s Kommisbrot aach werd abgeschafft
Damit in kinsthe Daue,
Net aar am End die Bärjerschast,
Sich dra rerstaucht de Mage.
Kaserne braucht mer aach dann ka,
Die Landse drei’ zu biete,
Do henke tinstig Zettel dra,
Mit »Zimmer zu vermietl)e.«
Die stolze Schaar vun Ossicirem
Braucht aach noch net zu greine,
Die krieje all all beim Pensinoniern
»Civilvcrsorjungsscheinc.«
Des- bunte Uniformenbecs
Werd aanz bedenklich llaaner,
Mer sieht dann blos-, noch Feijerwehr
Post, Schutzleit, Eisebabncr.
Doch maanter, daß mer dann nochher
Mißt wen’ger Stcier zohle
Mei, sreit eich nor net gleich so sehr,
Die wern cich schun was mole.
Fraa HanebambeL
Geld und Verstand.
..Zu wenig Güter, zu wenig Geld!"
So höre ich klagen die ganze Welt —
Mehr wollen sie Alle. vrr Habsucht
blind:
Doch Keinen hab« icb bisher ersrngt,
Der über zu wenia Verstand geklagt
Man staunt. wie da PMB genügsam
In .
—— Bei-hast Dame sxnit blonbges
siirbtem Goldhaar): »Aber Herr Dol
tor, Herr Doktor, so schrecklich vergeß
1ich? Sie scheinen mich ja gar nicht
mehr zu kennen! Auf dem letzten Ball
vor drei Monaten -—-« —- Doltor (ein
fallend): »Ich bitte tausendmal um
Pardon, gnädiges Fräulein, aber ehe-T
lich gestanden, Sie schweben mir noch
so ganz dunkel vorl« ' «