Image provided by: University of Nebraska-Lincoln Libraries, Lincoln, NE
About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Dec. 23, 1898)
Es fchneitt (Zum Auswendiglernen für Kindet.) Seht, Kinder, wie es lustig schneitl Nun kommt die liebe Weihnachtszeit Mit ihrem hellen Aetzenglanz, Mit Jubellaut und Spiel und Tanz! Nur wenig Wochen sind es ja, Dann ist das liebe Christlind da! Und wer es nicht erwarten kann, Der sange nur zu zählen an. Viel hat lieb’ Christlind noch zu thun, Und seine Hände nimmer ruh n, ! Denn riele tausend Kindetlein Will es zur Christnacht doch erfreu’ n! So wandelt es mit seinem Stern ! Au jeden Ort —- ob nah, ob sernz i Kein Weg ist ihm zu hoch, ZU weit, Und ist er noch so sehr verschneit. Drum habt Geduld! Bald ist es da! Seid fromm und folgsam der Martia; Und hört Jbr’s klingen silberkein Dann zieht das liebe Christtind ein! E. P. Jugend und Altes-. Novelle nach dem llngarischeu des Polem- Gpsnlnh Deutsch von Lilith-ein Thal. 1. Beim letzten Karneval speisten wie während eines Baues in kleinem Krei se in einem von den Salons abgelege nen Nauchzimmerx eine hübsche Frau, die sich gern amiisirte und ihren alten Mann zum Kartenspiel geschickt hatte, ein junges Mädchen aus der Provinz, das immer lächelte, und wir vier. Zwei don· uns machten der jungen Frau Den Hof, der Doktor saß bei dem jungen Mädchen, und ich aß. So war die Sache ungefähr airangirt. Die hüb sche Frau plauderte lustig mit ihren Kavalieren über den Czardas, sagte, sie ziehe den ,,75ris)«;«·) dem ,,Lassu««"-) ver, der für ihr lei enschaftliches Tem perament zu feierlich wäre: denn with rrnd des »Friß« wäre es ihr, als ver löre sie sich ganz und gar im Raufche der Musik. »Beim Czardastanzen möchte ich sterben!" rief sie und ergriff einen Champagnertelch Und da in diesem Augenblicke der berühmte Ra dich, der junge und schöne Kapellmeister der ·geuner, refpeltvoll die Portiere ur ite schob und mit den Augen fragte, ob er etwas sollte spielen las sen, reichte sie ihm entzückt ihren Kelch nnd sagte: »Du weißt doch! Ja! Spie le meine Lieblingsmelodie!« Der Zigeuner grüßte mit einer Handbewegung und leerte das Glas, das er dann leise auf den Serviriisch stellte. Er begann, das Lieblinggmoi tiv der jungen Frau zu spielen, und vier Zigeuner begleiteten ihn hinter der halbgeöffneten Thür. Die Augen starr auf die junge Frau gerichtet, näherte sich Raich langsam dem Tische, und als er ganz nahe daran war, trat einer der Kavaliere stillschweigend bei Seite, um ihm Platz zu machen. Er neigte sich zu dem Ohre der jungen Frau, die leicht den Kopf über die Geige beugte, so dasz ihre Haare fast die Saiten berühr ten. Als echte Ungarn wurden wir alle traurig. Der Zigeuner hatte sich seit einigen Minuten zurückgezogen, wir blieben stumm, während die junge Frau trauxnverloren ins Leere starrte. Endlich erwachte sie und rief, sich zu dem Mädchen wendend, mit dem ihr Nachbar den ganzen Abend fast noch kein Wort gewechselt hatte, in ermun gener Lustigkeit: »Arme Kleine! Du langweilst Dich wohl recht auf Deinem ersten Ball! Der häßliche Dottor macht Dir also gar nicht ein bischen den Hosi« Als sie dann bemerkte, daß der Dol tor mit den Augen eine Cigarre suchte, bemächtigte sie sich einer riesigen ,,Lo pez Flor«, der einzigen, die noch auf dem Tische lag, und sagte, sie ihm zei acnd: »Nun wohl, Dotter, da Sie so lam weilia sind und dein armen Kinde nicht einmal den Hof n.c.chen, so werden Sie die Cigarre nicht eher erhalten, als Sie Buße gethan und etwas Interes santes erzählt haben.« Der Doktor lächelte. Dieser ruhige Mann mit dein chnischen Blick und der schläfrian Miene war ein sehr be kannter »Duellarzt«. Er war dabei so gleichgiltizx daß wir, seine Duelle iir ihn zu zahlen pslegtenx doraestern hatte er den dreihundertsiebenundzwsi zigsten Ehrenhandel mitgemacht. Jn seinem Gesicht mit dem satblosen Teint nnd den verschwommenen Zügen war nichts interessant als seine scharsen Augen. Es waren die kältesten grauen Augen, die man sich denken tann; sie erschienen aleidssam hohl und starr, weil sie den Tod so ost geschaut hatten. Die Frauen hatten unwillkürlich oox ihm Furcht, dozh aus Neugier suchten sie seine Unterhaltung. Er war ein ehr guter Kanieiad nnd ein ausge Seichneter Arzt. Von den Genüssen des ebenc hatte er sictk nur die VorliebeI siir gute Cigarren bewahrt, und beim! Anblick der dicken Dotie; Flor war es in seinen Augen ausgebtitzt »Ja, was soll ich Jhnen denn er zählen?« »Das ist gleich; ir end etwas Echo-i Res, Nomantisches, e ne Duellaesclzi..h-« te, irrend etwas Llliertwiirdiges2 Ich werde Ihnen das größte Opfer brin gen« das ich zu bringen vermag, und. den Czardaz nicht tanzen! (.Jn diesem. «- Zimmer Theil VII celkdscs M sehe leiden tchotitich citat-It Ist-d Ost sehr thetl des Isardah den III lsnstssi III-Its Augenblick stimmten die Zigeuner die· ersten Roten des roßen Czardas an,I der dem Souper olgte.) — »Nicht wahr, Jlona, Du tanzest auch nicht?« Natürlich tanzte sie nicht, denn sie hatte ja teinen Kavalier Ohne eine Bewegung zu machen, nur einen Moment seine Augen auf die« Kaminecke heftend, begann der Doktor-: 2. »Bor sechs oder acht Jahren machten wir im Sommer eine Partie in die Jarpathm Wir waren glücklich, die schlechte Krankenluft verlassen und uns an dem würzigen Duft der Fichten in den kleinen Badeorten erfreuen zu tonnen. Eines Tages verließ ich meine Gefährten, die sich in Bartfa amiisir ten, und überschritt die Grenze bei dem alten Schlosse Zboro, von wo aus ich einen Ausfluq in die volnischen Bäder von Krinisza machte. Ich lam am Abend dort an mit meinem häß lichen politischen Wagen, an dem bis auf die Nägel alles aus Holz war. Ich war von dem Rutteln des Wagens todtmüde; aber trotzdem war ich von dieser prächtigen Berglandschaft im höchsten Grade gefesselt. Neben elen den Hütten, aus denen wie schwarze Jnselten schmutzige polnische Bau ern neuaierig herauslamen, erblickte ich herrliche Hotels und Restaurants im modernen Tiroler Stil. Die Acht uhrglocke hatte eben geläutet, und ei nige in ihre Shawls gewickelte Kran len kehrten, da die Luft fur sie zu frisch wurde, vom Spaziergang zurück.Piötz lich-ohne zuerst zu missen, wo— hörte ich die Attorde eines jener polnischen Märsche, bei deren Tönen die Adern auf der Stirn anzuschwellen und im Takte mit der Musik zu schlagen schei nen. Jch sah mich um; Die Fenster des Kasinosaales waren hell erleuchtet. »Sieh da; hier ist heute Ball!« dachte ich; ,,da gehe ich hint« Schnell mechselte ich die Kleider, stellte mich einem Pre mierlieutenant der Ulanen, einem schö nen, blonden jungen Manne vor, derl zum Komite zu gehören schien, und trat in den Saal. Ein feenhaftes’ Schauspiel bot sich meinen Blicken; es war ein polnischer Ball. Vielleicht nie hatte ich eine so große Anzahl schöner Frauen zusammen gesehen. zzsast alle waren im Nationaltostiim; die Damen iin Hermelinczapta mitS ammetmieder, die Herren im Wamms mit offenen Aermeln, weiten Hosen, gelben Spo renstieseln und mit dem Säbel an der Seite. Darunter bemerkte man die rei zenden Ulanenoffiziere, die im dreifa chen Galopp auf ihren Pferden herbei gesprengt waren, um nach den Akkor den der roßen Mazurta mit den Spo ren zu t irren Es waren auch Studen ten aus Kralau, die bei den Weinglä sern mit ihren Kommilitonen auBWar schau Freundschaft geschlossen . . . . Der romantische polnische Marsch er brauste wie ein Kriegsruf durch den Saal, die Männer stampften nach dem Takte mit den Füßen auf das Partei, und einige junge Mädchen, auf deren Alabastergesicht ein kleiner rother Fleck der Begeisteruiig schimmerte, klopften ebenfalls mit ihren tleinen gelben, mit Gold beschlagenen Stiefelchen auf die Dielen. Wie alle polnischen Gesellschaf ten durchbrauste auch diesen Ball eine revolutionäre Strömung; aus den Ses seln im Hintergrunde runzelten die al ten adeligen Herren in ihren schweren Brotattaftanen düster die Stirnen, und ihre langen Bärte schautelten hin und her, wenn sie sich zu einander neig ten, utn von dem «Stern von Ostw lenla« zu sprechen. Mein Premierlieus tenant nannte mir zuvortommend die Namen der Anwesenden. Meine Augen schwelgten im Anblick dieses seltsamen asiatischen Luxus-. Plötzli bemerlte ich eine eigenthiimliche Per önlichteit. Sie sasz im Hintergrunde des Saales am Ehrenplatze in einem englischen Wägelchen mit drei Rädern. Es war ein hagerer Greis mit martialischer Miene, einem iipvigen weissen Haupt haar, einem schneeweißen Varie, einer stolzen Adlernase und dicken, sinnlichen Lippen, die unaufhörlich zitterten. Sein Gesicht war roth, zum Schlag slusz neigend· Er mochte sechzig Jahre alt sein, doch er kämpfte iapser gegen das Alter an und wurde wahrschein lich schon seit Jahren von der unheil baren Gicht in diesem Krankenstuhle festgehalten. Jn seiner asiatischen Ma jestät, in dem niisitrauischen Hochntuth, der ihm beständig in wilden Blicken aus den Augenschoß, sah er jetzt noch sehr schön aus. Nie habe ich, weder vorher noch nachher, solche Augen ge sehen. Diese schreckliche Persönlichkeit be trachtete die Theilnehmer des Balles mit demselben Blick, mit dem ein Kö nig seine Unterthanen, die sich empört, betrachtet hätte. Jn einem Museum des Auslandes sah i einmal ein Portrait des le ten »Gro herzogs« von Mos kau, Zwan 4. rosnh, Jtoan der Schreck icbe genannt, mit einer byzans tinischen Krone und einem blutigen Schwerte in seiner Hand. n diesem Augenblick dachte ich unwill iirliak an jenes Bild. Das war genau der elbe Gesichtgausdruct . . Plötzlich erhob er sich nervös in seinem Wa« elchen; der Diener in den weißenSchugem der hin ter ihm stand, half ihm zitternd; mit seinen Adleraugen suchte er Jemanden unter der festlich geschmückten Jugend, die sich eben zur großen Mazurka auf gestellt hatte. Jch solgte seinem Blick. Ja, es war jene Frau, die er suchte, jene sast tindliche Gestalt mit dem Blu mengesicht, die einem Ulanenossiziee den Arm reichte, jenem Premierlieute nant, dessen Bekanntschaft ich gemacht I hatte. Ein riesiges Band hing von der , Schulter dieses schönen Kavaliers her-« ab; er schien den Tanz zu leiten. Doch wer war diese Frau, die der Blick des schrecklichen Greises suchte? Vielleicht seine Tochter. . . . Jn diesem Au en blick begannen das Kinn und die id peii des mißtrauifchen Tyrannen zu zittern — seine Tochter, nein! Das war seine Frau, die er wohl mit seiner ganzen despotifchen Gluth lieben moch te, und auf die er jedenfalls schrecklich eisersuchtig war. Jch wandte mich zu einem Warschauer Studenten. Der Junge Pole mit dein Milchgesicht be trachtete mich erstaunt und erwiderte auf französisch: »Das ist der Graf Stanislaus Us pensti).« · Jn zehn Minuten wußte ich feine ganze Geschichte. Dieser Graf Stanis laus Uspensky war der geheime Feld herr des besiegten polnischen Reiches. Die Familie war rufsischenUrfpriiiigs7 doch der Großvater des Grafen, der unter dem Zar Paul in Ungnade ge fallen, hatte sich an Polen angeschlos sen. Der Enkel, dieser martialische Greis-, hatte sein ganzes Leben dem neuen Vaterlande, seiner Familie und der Liebe geweiht. Er hatte bei den Frauen einen wahnsinnigen Erfolgs Der Student erzählte mir mit leiser; Stimme in geheimnißvolleni Tone,» daß auch eine gelrönte Könilin ihm ihre Gunst zagen-endet hat«-. Vor an derthalb Jahren, im Alter von faft 59 Jahren, hatte er sich schließlich verhei rathet. Er hatte die schönste Jungfrau von Krakau, die Tochter eines bürgerlichen Kausinannes, gebeirathet; mein Gott, ich habe den Familiennamen vergessen, doch ich glaube, der Vorname war Katja.... Lange Reit betrachtete ich diesen seltsamen Mann, uiid auf fei nem entstellten Gesicht las ich seinen verzweifelten Seelenzustand Dieser eitle Eroberer litt an derselben Krani heit, an der die alternden schönen Frauen leiden. Die Verzweiflung packte ihn bei dem Gedanken, daß seine bezau berndeMacht über dieFrauen nachlassen lönnte, und diese sire Idee trieb ihn unaufhörlich, seine Kraft auf die Pro be zu stellen Diese Leidenschaft eines gewaltthätigen Eroberers hatte ihn veranlaßt, in seinem Alter ein euch hast junges Mätchen von 18 Jahren zu heirathen. Jn seinem Tyrannen hochmuth hatte er der Welt zeigen wol len, daß er es gewagt, das-, er es noch mit allen Anderen aufnahm; hier, auf dem Balle, schien sein flammendes Ge-. ficht allen jungen Leuten zuzurufen:’ »Da ist meine Frau; ich habe sie Euch hergebracht! Nun, wer ist der Don Juan, der sie mir zu nehmen wagt?; Vorwärts, meine Hirtenl« ! Jn diesem Augenblick Präludirten die Geigen zu dem schönsten Tanze der Welt, der großen Mazurta. Die rau schenden Klänge der Melodie überflu theten plötzlich die Seelen; sogar die alten Revolutioniire mit den weißen Bärten schlugen wie in stiller Sehn sischt mit den Hatten Tatt. Jn der Mitte war das schönste Paar, das ich je gesehen, in den Tanz eingetreten; die Gräfin mit dem Bluniengesccht und der Ulanenlieutenant mit der schlanten Taille Ernst und edel wie ein Held, hielt er seine Tänzerin in gewisser Ent fernung mit etwas steifer Haltung bei der Hand und stürzte sich dann mit ihr in den Mazurlatanz, der gleichzeitig senft wie eine Woge und elastisch wie ein Stahlbogen ist. Auf seiner maje-. stätischen Taille schauleltc sich stolz die Ulanta. Jm Eifer des Tanzes schlu gen seine Füße mit der noblen Eleganz eines schnaubenden Renners Takt. Die junge Frau huschte wie eine überna tiirliche Erscheinung neben ihm her, ihr weisser Schleier flatterte tvie eine Wol te hinter ihrer Hermelinczapka her. Zuweilen sahen sie sich an, und wäh rend ihrer Blicke begann ich siir sie zu zittern. Jn Schaaren eilten die übri aen lltaare ihnen nach. Nach jeder Tour klopften die Männer wie in einem Itrieggtumnlt mit den Harten auf· Ein begeisterter lltausch bemächtigte sich der Tanzenden. Doch meine Augen such ten nur das schöne Paar. Sie tanzten immer zuerst, als hätten sie sich schon iiber das irdische Dasein hinweggesetzt, so schienen sie in ihrer Etstase gleich sam entgeistert. Sie lächelten einander zu, und er drückte sie leidenschaftlich in seine Arme, während sie die Augen schloß wie eine Frau, die an das Glück nicht mehr gewöhnt ist. Von Zeit zu Zeit betrachtete ich den alten Grafen im Hintergrunde des Saales; sein uner bittliche-Z- Gesicht lauerte und beobachte te unaufhörlich. Er glich einem Wild diebe, der seines Schusses sicher ist. »Haben der UlJn itnd Katja sich schon vorher gekannt? fraate ich mich. »Viel letcht liebte sie ihn seit langer Zeit, die sen schönen Offizierx vielleicht sieht sie ihn heute zum ersten Male wieder seit der erzwungenen Heirath mit diesem vornehmen alten herrn?« Trotz der Gefahr war es mir, als könnten sie im; Rausche der Mazurla ihre Liebe nicht« bemeistern, so stappirt war vie ganzes Gesellschaft, sie tanzen zu sehen. Die; große Mazurta, glaube ich, kann ebenso tvie unser ,,Czardas« nur dann getanzt werden« wenn man verliebt ist. »Nur1 Verliebte können so tanzen!« flitsterte ein alter polnischertsdetmann auf fran zösisch. Sie flogen an mir vorüber. Durch das Alirren der Sporen ver nahm ich die in französischer Sprach-: von der jungen Frau gehaiichten Wor: , te: »Wladislatv, nsein Liebt« die Gräsi fin fah tief erregt ans, irie es nur die großen Heidinnen sind, siik die vie Lie-. e eine Frage auf Leben und Tod be-l deutet. Jhr Gesicht war blaß, und eine dunkle Vorahnung eines drohenden Un liicks lag auf ihren Zügen. Eins di ter Kreis von Zuschauern hatte sich um sie gebildet, und ich warf einen Blick in den Hintergrund des Saales. Stanislaus Uspensl war mit seinem Tiener allein geblieben. Sein Gesicht war von ohnmächtiger Wuth entstellt; denn infolge der Menschenansammlung war es ihm unmöglich, seine Frau zu überwachen. Seine Augen schienen Blitze zu schleudern. Eine ver"hängnis3 volle Ahnung quälte den alten Don Juan augenscheinlich; er fühlte, daß sein Ende nahte, daß man ihm seine Yau zu rauhen suchte. Zwei polnische amen unterhielten sich eben von die sem allgemein bekannten Geheimniß, und die eine sagte: ,,Arme Katja! Wie glücklich sie ist, daß der alte Tyrann sie nicht sehen kann! Wie glücklich sie ist, sich einige Augenblicke amüsiren zu können!« Doch in diesem Augenblicke vernahm man, dem Naheti einer Artilleriebat terie vergleichbar, in dem Saale ein entsetzliches Geräusch, das die sanfte Musik der Maziirla übertönte. Der Diener stieß mit bleichem Gesicht im Galopp den Wagen durch den Saal, gerade auf die Tänzer zu. »Vorwärts, vorwärts-l« heulte Sta nislaus Uspenst mit rauher Stimmc. »Man wird schon Platz machen!« Und in der That wich die Menge der Män ner und Frauen zur Seite, nachdem wei Studenten aus Warschau über fahren worden waren. »Vorwärts« vorwiirts!« schrie der Graf dem Die ner zu, dem der Schweiß von der Stirn rann. Der Wagen des Kran ken wandte sich der Gräfin und Wla dislaw zu. Ein Theil der Tänzer blieb stehen; die Damen schmiegten sich ängstlich an ihre Herren, die Musik spielte noch einige Takte, dann hörte sie aus, als ginge ihr der Athem aug. Eine Todtenstille herrschte. Einige Herren schritten ärgerlich auf den Gra fen zu; doch die in seiner Nähe standen, wagten kein Wort zu sprechen. Jch be trachtete Katja. Todtenblaß blieb sie stumm einige Augenblicke stehen; dann begann sie un willkürlich zu zittern und schmiegte sich an den schönen Offizier, der noch athemlos von dem leidenschaftlichen Tanze sich wie eine Bronzestatue vor dem Gatten aufrichtete. Nachdem er dem Grafen einen stolzen Blick zuge schleudert, schlang er langsam seinen Arm um die junge Frau, als wollte er sie beschützen. Dann sah er mit grim migem Hasse den Greis bis ins Weiße der Augen. Die Sache war deutlich genug; er liebte Katja, eine Erklärung war unnöthig Mit heiserem Fluche richtete sich Stanislaus Uspensky in seinem Wagen auf und gab dem Die ner ein Zeichen, noch näher zu fahren. Der Ulan, der sich einem schwachen Greise gegenüber sah, erachtete es für unwiirdig, auch nur eine Bewegung zu machen, und beschränkte sich darauf, mit eisiger Mühe die vergeblichen Be mühungen des Unglücklichen zu be trachten. Doch dieser war nicht so un glücklich, wie man hätte erwarten sol len. Mit übernatürlicher Kraft rich tete er sich in seinem Stuhle auf; da aber verlor er das Gleichgewicht und fiel nach vorn über, doch so, daß er den Lffizier während seines Sturzes hef tig ohrfeigte. Die beiden Männer wa ren durch das Publikum wie von einer Marter eingeschlossen . . . Jeh war bereits hinausgegangen, da rief mich ein Herr zurück Es war ein Ulanenosfizieh der auf mich zugestürzt tam und mir zuriefz »Sie sind Arzt?« »Ja!« »Dann bitte ich Sie, als solcher mei nem Freunde Wladislas Ihren Bei stand zu leiben.« -—— — Jch war eben eingeschlafen, als der Offizier mich holte. Es mochte drei Uhr sein. Die Fenster des Kasinosaa les standen offen: der Mond warf seine Strahlen, die wie lange "’finger aussa l)eu, auf die Dielen. SchnellenSchrits tes gingen wir durch die Straßen des lteinen Bc.deortes, ohne das-. ich erra tben trnnte, wohin man mich fiihrtez wir kamen durch einen Fichtenlsaim und ich fühlte mich bereits matt, als wir an eine Lichtuna kamen. Selt same Düfte stiegen Träumen gleich aus dei. Erilabüschen auf. und der klare Mondschein verwandlete sich in selt same Phantome, die fast wie Rufs-il tas aussahen. Der Preinierlieutenant stand niit dem zweiten Zeuan bereits an einen-. Vauinstanim. Die tinövfe seiner Uni srrm tvorsen fahle Blitze durch den MorgennebeL Als ich ankam, schnallte er eben seinen Säbel ab . . . . Jtnn qegeniiber bemerkte ich in einer Ents sernisng von zwanzig Schritten drei schwarze Schatten und eine dunkle Masse, üker der sich etwas Weißes und Silbernes beweate. Das war Stanis laus Uspenstn in seinem Krankenwa gen. Er wars seinen Hut zur Erde und richtete sich in seinem Wagen auf. Man führte mich zu ian und stellte mich ihm vor. Der stolz-. Graf duzte Jedermann; seine Zeugen, seinenArzt, den jungen sOsfizier. Ich glaube, er hat mich auch aeduzt, wie es ein limi sischer Khan gethan hätte. der mit sei nen Sklaven spricht »Wer bist Du?« schrie er. Dann sah er mich etwas näher an l und fügte mit gewisser Höflichkeit bin-l zu: ,,Ah! Sie sind der Arzt des Steg-i uns-? . . .Gut!« » Dann verabschiedete er mich mit ci- s ner fast königlichen Beweattng. z Einer der schwarzen Schatten flä stertc ihm etwas in das Obr, und Uspensty brach in ein lautes Lächeln aus. ,,Meiner Frau etwas fass-en lassen, ! weil ich fallen könnte? Wer bist Du, Laß Du es wagst, so zu mit zu spre chen? Jch sterben? Nein, ich werde ihn . nieder-schießen wie einen. . .« ch entfernte mich um das beleidi gen e Wrrt nicht zu hören, mit dem er meinen Klienten beleate. DieZeugen beriethen zum letztenmal. »Der Gras tann sich nicht aufrecht er halten; es geht nicht anders, er muß aus dem Wagen schießen.« Der Zeuge des Gegners zögerte. »Mac, er schießen, wie er will!« ries Wladislas verächtlich. Die Gegner nahmen ihre Plätze ein, und in der Einsamkeit des Berges ver nahm man das Kommando des Se lundanten. ,,Eins! Zwei-« Das Echo gab die Worte in dumpfen Tönen zurück. Nie werde ich diesen Augenblick ver gessen. Jch konnte meine Augen nicht von Uspensky abwenden; langsam richtete er sich auf; seine hohe Gestalt schein noch länger zu werden, und während er zielte, klammerte sich seine linke Hand an den Sessel an. Wir hörten zwei Pistolenschiisse, die das Echo deutlich zurückgab Der Graf neigte sich wie ein guter Jäger, der die Chancen seines Schusses berechnet, zur Seite .Dann begann er mit sichtlicher Zufriedenheit zu lächeln und sagte, sein Pistol fortwerfend: »So, das wäre geschehen! Fuhren wir nach Hause! Es ist Zeitl« Eine kleine rothe Erdbeere schien vom Himmel auf die stolze und heftig zurückgeworfene Stirn Wladislas her abgefallen zu sein. Mit der blitzähnli chen Schnelligkeit des in die Stirn Ge troffenen machte er, seine Haltung be wahrend, in militärischer Bewegung eine halbe Wendung; dann fiel er wie ein Bleisoldat starr und steif in die Erikabiische. Er war todt. Wir liefen auf ihn zu. . .. In der linken Hand hielt er eine große Rose, die ich am Mieder der Gräfin gesehen zu haben glaubte, nnd auf seiner Brust prang ten in verliebter Koketterie seine Ko tillonorden, die er vergessen hatte, ab zulegen. — — Am nächsten Mittag ging die Ge sellschaft mit echt Polnischer Sorglosig keit aus der Esplanade spazieren. E Während ich der Wohnung des Of fiziers zuschritt, der Wladislas sekun dirt hatte, bemerkte ich in der Nähe des Springbrunnens in seinem Kranken wtigelchen den Grasen Stanislaus Uspensky. Neben ihm saß wie am Pranger sei ne Frau, blaß wie der Tod, aus einem eisernen Stuhle. Mit der Unbeweglich keit einer Wachsfigur starrte sie in den leeren Raum; man sah ihr an, daß ihr alles Gefühl etnschwunden war. Doch stolz blickte der alte Tyrann; er schleu derte herausfordernde Blitze mit den Augen und schien den jungen Leuten, die vorübergingen, zuzurufem »Da, meine Herren, sitzt meineFrau! Vorwiirigl Wer hat Lust, sie mir zu Irauben? Wer wagt’5?« Z. Jn dem Augenblick, da der Doktor sein eErziihlung beendete, trat der gute alte Gatte der jungen Frau ein. Die beiden Kavaliere der Dame traten so gleich mit inerkwiirdiger Schnelligkeit bei Seite. Sie baten Beide gleichzeitig mit seltsamer Eile das junge Mädchen aus der Provinz« ihnen den nächsten Czardas zu bewilligen. Der Doktor zündete sich mit trägem Behagen feine dicke Cigarre an und flüchtete sich mit dem Gedanken, daß man ihn jetzt in Ruhe lassen würde, in einen Winkel. i Di eiunge Frau, die sich von ihren Kavalieren im Stich gelassen sah, Inahm zerstreut meinen Arm. — — —— -———0..——-—.— Mit dem Revotvern , Fluchend fuhr der Hausmeister aus dem Schlafe. Es war sonst nicht seine Gewohnheit, gleich beim ersten Lauten kdag warme, behagliche Bett zu verlas sen, um dag Hauithor zu öffnen. Aber .der da oranszen stand, lautete wie ein Besessener und gab den Finger nicht vom Taster der elektrischen Leitung. sTer Mensch wird noch alle Parteien aufwecken! Er erhob sich also und schlürfte sbruminend durch den Tl)organa. »Wird do net gar so dringend sein«, sagte er mürrisch, loiiltrend er aus sperrtr. Er brauchte sich aar nicht be zsonders zu bemühen, un! den Thorslii Excel auszumachen. Der draußen Ste hende half mit einem Fußtritt, und mit kden Fäusten ungestüm nach und rann Hte den Hausbesorger, der die Laterne hob, beinahe über den Hausen. Es war »ein fremder Mann mit langem Boll kari. Vor dem Thore stand ein Wa gen, dessen Pferde heftig schnaubten, als wären sie eben in höchster Eile ge jagt worden Der Hausbesorczer wollte etwas re den, doch der Fremde schnitt ihm so gleich das Wort ab. ,,Schweigen Sie, Mensch, ieh rathe Ihnen gut. Halten Sie mich nicht auf, es handelt sich um ein Menschenleben Hier im Hause wohnt ein Arzt, führen Sie mich in seine Wohnung. Na, niird’s werden? Vorwärts! Da haben Sie einen Gulden Trinkgeld!« Ein Mensch, der einen Gulden Trinkgeld gibt» ist immer ein Ehren mann, Wenn er auch unter sehr be denkliehen Umständen zur Nachtzeit kommt. Der Hausmeister lief also die Stiege hinauf, so schnell er konnte, der sclswarzbärtige Fremde hinterher. Nun wiederholte sich an der Thiire des Doktors das liirmende Glocken spiel. Drinnen regte sich’s. Wahr scheinlich das Stubenmädchen. »Ich brauche den Doktor," schrie der IYxamn »machen Sie aus, beeilen Sie r .« »Um was handelt sich’.? Wohin denn?« erkundigte sich drinnen eine weibliche Stimme. »Das werde ich ihm selber sagen; wenn Sie nicht sofort öffnen, trete ich ein, bei meiner armen Seele!« »Der Herr Doktor is net 3’Haus’«, war die Antwort. »Aber ich hab ihm ja vor einer Stund’ b’raufgeleucht’t«, mischte sich mitleidsersüllt der Hausbesorger ins Gespräch. Der Bärtige erhob ein dröhnendes Hohngelächter. »Aha, wieder derselbe Schwindel! Also, ich zäble bis Drei, und wenn bis dahin die Thijr nicht offen ist . . . « Da war sie aber auch schon offen »Ich trau’ mich net, den Herrn Dol tor ausz’wecken«, jammerte das Mädel, er war a Bissel lang im Wirthshaus.« »So werd’ ich’5 besorgen! Wo ist das SchlafzimmerI Dort? Gut!« Und zum Hangmeister gewendet rief er: ,,Leihen Sie mir die Laterne siir einen Augenblick!« -— — « st- III I Der Arzt war nicht wenig erstaunt, als er einen Mann an seinem Bette sah. » »Ich bitte Sie«, flehte dieser, »ma chen Sie rasch, es geht um ein Leben!« s »Was fehlt Ihr-en denn? Haben-« Sie eine Verletzung, haben Sie Gift ge Inommem haben Sie. .?« s »Zum Teufel, von mir ist nicht die Rede. Um meine Frau handelt sich’5, tie in Todesnöthen im Hotel liegt. « ,,Wollen Sie mir nicht freundlichst sagen» Der Fremde schüttelte den Doktor-, der sich halb aufgerichtet hatte, an der Schulter: ,,Eines will ich Ihnen sagen: daß ich mich nicht mehr in dieses ver dammte Frage- und Antwortspiel ein lassen will, das ich schon bei drei Aerz ten zu überstehen gehabt habe, die mich mehr oder weniger höflich hinausmar (fen. Jch bin deshalb ins Hotel zu rück, wo mein armes-, unglückliches, junges Weib in den letzten Zügen liegt und habe mir das mitgenommen, sehen Sie, bereit, dem nächsten Arzt gegenüber Gebrauch zu machen!« Er hob dabei die Rechte, die bis-her in einer Seitentasche des Mantels ge ruht hatte und hielt dem Doktor einen Revolver vor die Nase. ,,Ueberzeugen Sie sich, er ist in vol ler Ordnung, mit sechs Patronen ge laden, genug siir Sie und mich und nö thigenfalls noch ein paar Andere — schußbereit. Wollen Sie sofort mit mir, oder nicht? Sie haben es mit ei nem Verzweifelten zu thun, der zu Allem fähig ist, und wenn Sie sich wei gern, oder mir etwa entwischen wollen, so weiß ich, was geschieht! Wollen Sie?« — Der Doktor wollte. Er beruhigte den unangenehmen Herrn, der so ber diichtig mit dem blinkenden, lleinen Ding herumspielte, betonte, dasz es ja seine sel bstverständige Berufspflicht Hei, daß er mit dem größten Vergnügen zu der Gnädigen gehe, daß er auch so gegangen wäre —- und war so schnell («.ng«:tleidet, wie noch nie in seinem Leben. »Ist ein cliirurgisches Besteck noth wendig?« »Nehmen Sieg unbedingt mit. Und jetzt, Herr Doktor, möchte ich bitten, voran zu gehen, ich- werde die Nachhut s« lsilden. Der Wagen wartet unten. J- slk sle Der bärtige Mann stand mit ängst lich gespanntem Gesichtsausdruck neben dem Bette seiner Frau, während der Arzt sie eingehend untersuchte. Endlich richtete sich dieser aus: »Es ist so wie ich gleich anfangs ver muthete — nicht das geringste Bedenk liche. Wenn Sie ein Uebriges thun wollen, so besorgen Sie noch eine Schale Thee.« Der Mann mit dem Reooslver — er hatte die Waffe ron sich gelegt — stieß einen Freudenschrei aus. »Es- sa so schrecklich aus! Als ob das arme - täuschen grauenvolle Qua len litte. Also nichts von BelangZ O, wie bin ich glücklich, wie soll ich Ihnen danken, Herr Doltcr7!« Er suchte nach der Brieftasche und hielt dein Arzt eine Zehn:Gulden-Note hin. »Sie erlau ben . . . « Der Doktor schuftelte ernst und Ver neinend mit dem chs: »Ich erhalte hundert Gulden.« »Wenn-s? Dafür, daß Sie eine Schale Thee vercsrdnen«?-« Der Arzt nahm den Revolver vom Tische und hob ihn, wie zielend. s »Weigern Sie sich nicht. Sie haben IeLs rnik Einem zu thun, der zu Allem stilsig ist. Also, trsollen Sie sofort be IzahlenZ Wenn Sie sich weigern, oder mir etwa entwischen wollen, so weiß ich, was geschieht! Wollen Sie?« — s Der bärtige Herr wollte, namentlich sals seine Frau sich aufkreischend unter Idie Decke verkrochen hatte. t »Hier ist das geforderte Geld«, sagte Ier verbindlich, »aber den Revolver ge stdenLSie mir doch zurück, Herr Dol ; ori-« i »Mit Vergnügen —- aber ohne die ;Patronen. Sie erlauben. So.« Dann wandte er sich dem Bette zu: »Wenn Sie mich wieder benöthigen, meine «Gnädige, so stehe ich zu jeder Stunde sdeg Tages und der Nacht zur Verfü ; gung. Nur schicken Sie mir nicht wie ! der Jhren Herrn Gemahl ----— die Visite toinrnt dann bedeutend billiger!« — Ottokar Tann - Bergler. Spruch. Lieber zu idealistisch und weltsremd und schüchtern, Als zu realistitsch, .welttlug und niielj ern. Adelheid Stätt