Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 23, 1898, Sonntags-Blatt., Image 11

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Roman von J«ules Lermina.
(4. Fortiehunq.) i»
»Nein, nein! er soll nicht sterben!«
schrie sie und setzte unter die Zeilen, die
sie eben geschrieben, ihren Namen.
Der Cardinal nahm den Hinrich
tun sheksehl und schrieb in großen
Bu sta en quer über das Papier das
Wort: »Beqnadigt!«
»Zrei!" seufzte Diane.
» , nein! das nicht!« entgegnete
Richelieu lächelnd; »ich habe ihm das
Leben gerettet und halte mein Wort;
er kommt in die Baftille.«
Das "unge Mädchen hatte nicht dir
Kraft, ich zu entriisten. Naoul lebte;
das war alles, was sie für den Augen
blick erwartendurstr. Doch die Auf
regung war firr ihre Kräfte zu ftark
Vwesem und ohnmächtig fiel die arme
iane vom Sessel herab auf den Fuß
boden.
Ohne einen Blicl auf sein Opfer zu
werfen, tlingelte Richelieu und be
fahl srinern Kammerdiener:
»Lassen Sie Frau von Grammont
kommen!«
Wenige Minuten später erschien die
Herzogim die allmächtige Vertraute
und Freundin der Königin. Dennoch
trug ihr Gesicht in diesem Augenblick
den Stempel der Furcht; man fühlte,
daß der Cardinal sie in Folge eines
Geheimnifses beherrschte.
»Frau Herzrgin,« begann er ohne
jede Schonung in gebieterischem Tone.
»Sie werden sich auf der Stelle zu Le
nrattois begeben.«
»Dem Arzt der Königin?«
»Ja! . . . Sie werden dort ein
Kind finden, das Sie ihm in meinem
Namen abverlangen werden . «
Die Herzogin sah ihn überrascht an,
und er fuhr in schroffem Tone fort:
«Suchen Sie nicht in dieses Ge
beimniß zu dringen, ich wünsche, daß
man mir ohne Zögern und . . . ohne
Neugier gehorcht!«
Frau von Gramrnont verneigte sich
und hauchte:
»Ich stehe Ew. Erninenz ganz zu
Diensten!'«
»Gott«
»Doch was soll ich mit diesem Kinde
anfangen?«
Ohne ihr zu antworten, fragte Ri
chelieu:
»Welche Dame ihrer Umgebung hal
ten Sie siir die zuverlässigste?«
Ohne Zögern versetzte die Herzogint
»Frau von Andiany, Monseigneur!«
»Sie sind ihrer Verschwiegenheit
sich-M
»Ich bürae siir die Marquise wie fiir
mich selbsr.«
»Gut!« ertlärteRichelieu. »Doch das
ist noch nicht alles . . . wir brauchen
eine Amme-«
»Auch dasiir werde ich sorqen . .
»Seht aut . . . jeszt handelt es sich
nur noch darum, einenReisewagen auf
zutreiben . . .'«
»Einen Reisewagen?«
»Ja . . . das Kind muß von Paris
sortaebracht werden . . . doch den Wa
gen iibernehme ich . . . um zehn Uhr
Abends wird er . . .ehenso wie die
Ettorte . . . vor einer der Thüren des
Schlosses stehen . . .«
»Ehe Estorte?« sragte Frau von
Gramnrorm
»Sie wundern sich zu viel, Frau
Herzogin!« entgegnete Richelieu mit
schneidender Stimme. »Sie vergessen,
was. ich Jhnen gesagt habe: teine Neu
gier.«
»Verzeihung, Monseigneur!«
»Also, urn ganz sicher zu gehen, re
kapituliren wir . . . Sie holen das
Kind von dem Arzte ab . . . lassen es
ins Schloß bringen . · . schließen es
niit der Amme in ein abgelegenes Zim
mer ein . . . und heute Abend erwar
tet»Sie wie Frau von Andigny ein
Reisewagen, der von Chezauxleqers es
tortirt werden wird . . «
»Monseigneur, es wird alles nach
Ihren Befehlen geschehen!«
»Warten Sie, Herzogin. . .. das ist
noch nicht alles. . . .«
Damit wandte sich Richelieu seine-n
Tische zu, nahm den Brief Dianes und
faltete ihn zusammen. Dann ergriff
er einen Wachsfioch doch als er ihn
Eben zum Lichte siihren wollte, hielt er
nne.
»Ich brauche ein Petschast«« mur
melte er. .
Sein Blick fiel aus das junge Mäd- J
chen, das regungslos auf der Erde la .
Er neigte sich über sie, erhob ihre Han
und zog ihr einen Ring vom Finger.
Einen Augenblick später übergab er der
Zerzogin einen mit dem Wappen der
uces versehenen Brief.
»Die Adresse fehlt,« bemerkte Frau
von Grammont.
»Das thut nichts; der Brief ist siir
die Gräsin von Pontballais be
stimmt. . . .«
»Und kommt?«
»Von Fräulein Diane de Lucr, ihrer
Richte.«
Die herzogin verneigte sich, und
Richelieu verabschiedete sich mit einer
handbewegung.
So sehr sie der mächtige Vrälat auch
in seiner Gewalt hatte, so gehorchte sie
doch nicht sogleich, sondern oeutete mit
mitleidiger Miene aut das am Boden
liegende junge Mädchen und sagte in
slehendem Tone:
«Monseigneur, gestatten Sie mir
nichts . . . . Das arme Kindt«
»Das arme Kind!«
,,Kiinnnern Sie sich nicht darum!«
entgegnete ihr der Cardinal. »Gehen
Sie, Herioginl Und thun Sie
buchsiäblich, was ich gesagt habe!«
Frau von Grammont verschwand.
Als die Thiir sich geschlossen hatte,
verfiel die rothe Eniinenz in tiefes
Sinnen und berechnete die Tragweite
der Handlung, die er eben begangen·
Der Pater Joseph war aus dem
dunkeln Winkel herausaetretem in den
er sich gewöhnlich zurückzog, und mur
melte achselzuckend vor sich bin:
,,Jmmer Halbheitem immer halbe
Entschliisse.... Doch nur gemach; ich
bin da und wache!. . . . Das Kind wird
das Schloß der Gräfin von Bonn-al
lais nicht erreichen!. . . .«
Das übrige ist betannt.
Wir wissen, daß die araue Eminenz
eine Schaar von Abenteurekn abge
schickt hatte, um sich des Kindes zu be
mächtigen und Frau von Andiqny den
Weg abzuschneiden, wir wissen, wie der
Heldenmuth und die Tapferkeit Chro
noLs diesen finstern Plan durchlreuzt,
und wie endlich Raminoise, den der
Pater Joseph ausgeschickt, um zu er
fahren, wie seine Befehle ausgeführt
worden waren, seine Mission erfüllt
hatte . . . .
8.
Indessen galoppirte Chrano auf dem
Pferde des Gardehauvtmanns in der
Richtung nach Paris. Der Morgen war ’
lau und milde, und der junge Mann
sog mit Behagen oie frische Luft ein.
Er schien die Vorsälle oer Nacht völ
lia vergessen zu haben. nur fein ac
wöhnkich fo heiteres und sorglofeg Ge
sicht war ein wenia blaß. Dennoch;
konnte man glauben, er hatte keine
Erinnerung mehr an die Kämpfe, die
er bestanden, noch an die Botschaft,
« mit der er betraut worden war.
Doch Cyrano vergaß nichts» ..
»Wahrhaftiq,« saate er sich, »ich
werde einen besseren Wea narh St.
Germain haben, wenn ich Paris be
rühre. . . . Auf diese Weise läßt sich al
les vereiniaen: die Pflicht . . . . nnd die
Liebe Jch werde nach der Place
Rohale mit heranreiten, um zu erfah
ren, wie meine theure Diane meine
Abwesenheit erträgt. . . .«
Er unterbrach sich und fuhr traurig
fort: »Ah bah! wie lann ich mich nur
der Illusion hingeben. ciu so ent
zückendes Geschöpf könne mich anders
als freundschaftlich lieben! Doch
gleichviel! verlieren wir keine Mi
nute!« Gleichzeitiq aab rr sein-tm
Pferde die Sporen, und unterdrückte
dabei einen Fluch, denn er hatte eben
wieder an der verwundeteu Schulter f
einen heftian Schmerz empfunden. .
Das Pferd sprenate im Galopp dahin.
Hinter ihm kam fein Diener. Der
arme Junge hatte sicherlich nie An
spruch darauf erhoben, ein vorzüglicher
Reiter zu sein, denn er iaumelte auf
seinem Pferde wie ein Betrunkener hin
und her. Jeden Auaenolick fürchtete
er, herunter zu stürzen, und Chrano
hörte ihn stöhnen:
»Ich glaube, ich werde das Ziel nie
erreichen!«
Plötzlich erblickte der Gascogner ei
nen Gasthof auf der Landstraße.
Man befand sich am Kreuz von i
Bourg, und Ghrano fühlte sich versucht, s
hier eine erste Rast zu i.alten, kenn ;
seine Wunden schmerztcn ihn mehr J
und mehr, und seine brennende Zunge ?
und sein troaener Gaumen verlang
ten dringend nach frischem Wein
Doch die Zeit war lostbar, und beiden
mitthig gab der junge Mann feinem
Rosse die Sporen.
Jolioet, der sich an tein Pferd wie
an eine Rettunggplante angeklammert
hatte, fühlte sich wie im Wirbelwind
davongetragen und erwartete jeden
Augenblick, sich mit zerschlagenen Glie
; dern und zertrümmertem Schädel auf
der Landstraße wieder,mfinderi. denn
er· merkte, daß seine Kräfte zu Ende
gingen und schloß, auf alles gefaßt,
die Augen. Plötzlich aber hatte er die »
» Empfindung, daß sein Pferd Zrcb
einschlug, dann im Schritt ing und
endlich ganz stehen blieb. .. « g man
in Parie- ein?. . .. War das bjnde sei
ner Leiden getommen? Nein
Der arme Teufel blickte sich um. Man
befand sich in einem großen Dorfe, das
er als Bourg-la-Reine s:rtannte.
Beim Anblick eines neuen Wirths
hauses, das recht einladend am Rande
des Weges dastand, hatte Chrano nicht
länger zu widerstehen vermocht. Er
stieg vom Pferde und rief:
»heda, Wirthschaft! .. . . Wein!«
Gleichzeitig rüttelte er heftig an der
Thürtlinle, die aber zu seiner großen
Ueberraschung widerstand.
»Geschlossen? . . .. Das lsmmt doch
bei einer Gasthossthiir sonst gerade
nicht vor. . . .«
Chrano besaß, wie man wohl schon
bemerkt hat, gerade teine Engel-sae
duld, und so schrie er, mit der Faust
gegen die Thiir donnernd:
»Zum Teufel, wirst du öffnen, ver
dammter Beelzebubsivirth?«
»Ja, ja! macht doch nicht so viel
Lärm, Herr Edelmann!« versetzte eine
brummige Stimme, die von oben kam.
»Aha! du hiY es, Bank-it- rief dkk
junge Mann, » er sich erlaubt, mich so
lange warten zu lassen . . . Zum Ten
Blt t werde dtch durch etne TrachtJ
silae wuchs-u ich-eue« .
Der andere ließ sich von diesen Dro
hungen nicht erschüttern, und wüthend
begann Cyrano von neuem zu schreien:
»Wirst du öffnen, Hallunke? .. . . .
tLJZlei den Hörnern des Teufels sage ich
ir. . . .«
Jn größter Gemüthsruhe versetzte
der Wirth:
,,8ieht weiter, Herr Edelmann...
Mein Haus ist voll. . . .«
»Du lügst!« entgegnete Cyrano, der
sich einem Parterrefenfter genähert
hatte; ,,es sitzt keine Katze in deiner
Küche und ich bemerke da einen Tisch,
an dem du mir sehr bequem einen Be
cher Wein auftragen kannst. . .«
»Wenn ich es doch sage, Herr Edel
mann. . . .«
»Und ich sa e dir, du Satanskocl).
wenn du die hiir nicht gutwillig öff
nest, so werde ich sie erbrechen.«
Der junge Mann glaubte ein Hohn
gelächter zu hören, das seine Wuth noch
erhöhte.
»Holla, Jolivet,« rief er, »deine
Schulter ist ja gesund, drücke doch die
sen Flügel ein.... Du wirst lerne
große Mühe haben; sie ist nicht beson
ders fest . . .
Der Diener ließ sich das nicht zwei
mal sagen und sprang schnell vom
Pferde. Die Aussicht, selbst nach har
tem Kampfe einen bequemeren Sitz zu
erobern, als den Sattel eines Pferdes,
gefiel ihm sehr. Schon rannte er auf
die Tbür zu, um den empfangenen Be
fehl auszuführen, da öffnete sie sich von
selbst, und ein Edelmann von stolzer
Haltung erschien auf der Schwelle.
Eine jugendliche schöne Erscheinung
mit braunem Lockenhaar, trug er eit:
grauseidenes Wamms unter einein
Mantel von violettem Sammet, todt-,
rend ein feiner Spitzenkragen seine
Brust schmiickte.
Dies gesuchte Costiim stand in grei
lem Gegensatz zu dem Cyranos, denn
das Wamms und der Tuchmantel des
Gascogners waren grau von Stadt-,
und mehr als ein Riß zeigte sich auf
ihnen.
Cyrano sah diesen Mann zum ersten
Male und seine Wuth stieg, als er ihn
höhnisch lächeln sah.
»Mein Herr«, rief er zornig, ,,darf
ich wissen, was Jhre Heiterkeit er
regt?«
Jn hochmüthigem Tone versetzte der
andere:
»Ich lache, wenn es mir beliebt . ..
und habe Niemanden Rechenschaft zu
geben . . . Geht Eures-Weges, Freundl«
Außer sich vor Wuth legte Cvrano
tsie Hand auf den Schwertgriff und
brüllte:
»Ist das ern Befehlt-"
»Nein, ganz einfach, ein Rath . . .
Und ich glaube, der beste-, den man
Euch geben kann . . .«
»Ich nehme nicht die Rathfchläge des
ersten besten Gecken an, der es für gut
befindet, sich auf meine Kosten zu be
lustigen . . .«
Der Hieb saß; der Edelmann legte
ebenfalls die Hand auf den Schwert-i
griff und sagte, auf den Gascogner zu- .
tretend: .
»Ihr sucht Händel? . . . Das ist sehr
ixnklug . . . Bevor man Leute angreift,
ist es gut zu wissen, wer sie sind...
Doch ich bin heut in nachsichtiger
Laune Und Ihr sollt Eure Unge
schicklichteit nur mit einem guten De
genftich bezahlen . . . da Euch aber so
rsiel daran liegt, so will ich Euch der
rathen, was mich zum Lachen brachte.«
»Endlich!«
»Ich wunderte mich über gewisse
Uggerechtigkeitcn, die die Natur be
o( : . · .«
»Sprecht weiter!« rief der Gascog
ner in heiserem Tone.
»Ich finde es sehr seltsam«, fuhr der
Unbekannte fort, »und auch sehr un
gerecht, daß ein Herr den dreisachen
Stoff einer gewöhnlichen Nase für sich
genommen hat, während fein Lalai . .«
Er deutete auf Jolivet, und seines
Bemerkung war nicht ganz unberech- i
tigt, denn, während das Profit Cyrai L
nos sich durch einen außergeioöhnkichen
Gesichtgvorsprung auszeichnen, besaß
goes des Diener-s nur ein Stumpfnii5
n.
»Das ist demüthigend fiir diesen ar
men Kerl!« sagte der tsdelmann, des
sen Scherz trotz seiner Richtigkeit recht
geschmacklos war.
Für Chrano nahm sie den Umfang
einfer blutigen Beleidigung an, und er
rie :
,,Teufel, ich will Sie lehren!«
Gleichzeitig machte er mit erhobenem
Rappier einen Ausfall; doch plötzlich
hielt er inne, denn er hatte im Innern
des Hauses eine elegante weibliche Ge
stalt bemerkt, die mit gleichzeitig sin
gender und etwas heiserer Stimme in
fremdländischem Dialelte sagte: »
»Nun, Henri. was thun Sie denn?« «
,,Eine Spanierint« dachte Cyrano.
Der Edelmann hatte sich schnell um
getoendet und versetzte:
»Ich vertheidige den Gasthof gegen
den Uebersall eines Eindringlings. .
»Seht schön. .. doch unsere Freunde
werden·ungeduldig, und Herr v. Fon
trailles. . .
»Ich will nur diesen jungen Narren
züchtigen, und komme dann sofort»
Die Dame war weisellos neugierig,
diesen Ge ner zu sehen, denn re na
herte sich er Thür und beugte sich hi
naus, so daß der Gascogner sie be
auem betrachten tonnte. Sie war sehr
schön mit ihrem goldbraunen Teini,
ihren rothen Lippen und ihren großen
dunklen Augen unter den schweren
schwarzen erchten. Doch in ihrer
Schönheit lag me r impon»i»rende«strast,
als Tauben und yrano suhlte sich ab
gesto en, denn er bemerkte Harte in ih
rem Blick und Grausamkeit in ihrem
Lächeln, und bald sollte er erfahren,
daß seine Beobachtung richtig gewesen
Wclk.
Die Dame hatte ihn gemustert und
rief unter lautem Lachen:
»Ah, Monseigneur! Sie wollen sich
mit einem solchenNasenkönige messen-W
Das war zu viel des Spottes, und
Cyrano nahm sich vor, seinen Beleidi
ger für beide bezahlen zu lassen; er
stellte sich zum Kampfe auf und sagte:
»Beginnen wir, mein Herri«
Doch bei der ersten Parade erkannte
Chrano, daß er mit einem starken Geg
ner zu thun hatte.
»Um so besser,« murmelte er. »Um
so größer wird mein Verdienst fein.«
Der andere verdoppelte seine An
griffe und Finten, und Cyrano ver
theidigte sich zuerst nur schwach. Der
Unbekannte ließ sich dadurch täuschen,
bis der Gascogner einen heftigen Aus
fall machte und seinem Gegner das
Rappier aus der Hand schlug. Cyrano
bemächtigte sich der Wa se und sprach,
sie Folivet zuwerfend:
»Ich behalte das Schwert und
wenn ich es Jhnenxsurückgebz so soll
es zu einer ernsten evanche dienen. ..
denn dann werden wir vor Männern
tämpsenl«
Während dieser Worte wandte sich
der Gascogner der Thür des Gasthofe
zu; er wollte sehen, ob die Spanierin
noch immer über ihn lachte. Doch sie
war verschwunden
Wüthend, mit geballten Fäusten
stürzte ihm der unbekannte Edelmann s
nach. Mit einer neuen Beleidigung, mit
einer Orfeige wollte er Chrano zwin
gen, den Zweikampf auf der Stelle
wieder auszunehmen, doch eine Gruppe
von etwa zwölf Mann kam aus der
Gaststube gestürzt, um sich zwischen die
Kämpfer zu werfen.
»Henri!« rief einer von ihnen, »keine
neuen Thorheiten!«
»Sie vergessen,« sagte ein anderer,
»von wem wir erwartet werden!«
»Wollen Sie denn alles aufs Ziel
setzen?« fügte ein Dritter hinzu.
Unter den verschiedensten Formen
wiederholten seine Gefährten dieselben
Bemerkungen.
Die Männer redeten in einer frem
den Sprache, die Chrano als reines
Kastillanisch erkannte
Jhr Freund wollte sich widersctzen
und sie zogen ihn fast mit Gewalt fort,
so daß sich Chrano mit seinem treuen
Jolivet allein vor der Herberge sah.
Fast in demselben Augenblick holte er
Pferdestampfen und Räderrollen. Ein
Thorweg öffnete sich, und Karrossen
tamen im Galopp heraus. Jn dem letz
ten erkannte der Gascogner feinenGcg
ner, während die Spanierin an seiner
Seite saß.
Als Belohnung für seine Helden
that und seine Großmuth hatte der
junge Mann auf die Gunst eines sanf
teren Blickes und eines weniger spötti
schen Lächelns gehofft; doch nur ein
noch höhnischeres Lachen drang an sein
Ohr. dann verschwand ·:,r Wagen»
Eine lange seit blieb der junge
Mann auf der tandstraße stehen, dann
drohte er dem davonfahrenden Wagen
mit der Faust nach und ries:
,,Wehe dir!. .. Wir wollen sehen, ol)
du nicht schließlich noch über mich los-i
nen wirst! —«
Um die Reisenden bei der Abfahrt
zu begrüßen, hatte auch derWirih seine
Luke verlassen. DieHeldenthat dcö jun
gen Gascogners hatte großen Eindruck
auf ihn gemacht, und er bereute sin
grobes Benehmen jetzt bitter. Was
sollte wohl aus ihm werden, xrenu ihm
dieser streitbare Ritter zu Leibe ging?
Verwirrt stand er mit der Mütze in der
Hand vor der Thür seines Gasthoses
Chrano bemerkte ihn, eilte aus ihn »u
und ries:
»Halt, du da, du wirst mir agen.
Der Wirth vertannte den Sinn der
Worte, und glaubte, er müßte sich ent
schuldigen.
err Edelmann « begann er fnit
fur tsamer Lebhafiigleit, »jetzt, da die
erreen fort sind, gehort die Herberge
,,Haha, du Schuft, ich frage dcheu
sel nach deiner Baracle!«
»Jhnen. vom Keller bis zum Gie
bel!« wiederholte der andere
»Genug! ich will nur wissen, mer
diese Leute sind!«
Der Gastwirth wurde ruhiger, er
hatte den Groll des Fremden grsurch:
tet, doch dieser schien alles vergessen zu
haben. Aber seine Freude währt-: nicht
lange, denn Chrano fuhr in ;rii..«·,ui
dem Tone sort:
»Willst du mir antworten, zum Teu
fel?. .. Den Namen dieser Li.si«cinner!«
»Ich weiß sie nicht,« stotterte der
dicke Gastioirth.
»Du tilgst!«
»O, ich schwöre Ihnen. .
»Nun, so sprich. . . oder ich drehe dir
den Hals um!«
Der Ungliickliche schwankte aus sei-—
nen dicken Beinen hin und her Und »Jet
sicherte leichenblaßt
»Ich kenne sie nicht. . . oder ich kenne
vielmehr nur einen,« beeilte er sich, aus
fine drohende Geberde hin zu verbes
ern.
»Und dieser eine ist. .
»Herr von Fontrailles. .. ein Mar
quis.«
»Das macht mich nicht klügerL lind
der Mann, mit dem ich mich geschlagen
habe?«
»Ich schwöre Ihnen, ich habe ihn nie
gesehen!«
»Nun, ich werde es schon crsahren,«
ries Chrano, doch plötzlich drehte er
sihch um, denn eine Stimme sagte hinter
i m:
»Der Mann spricht die Wabrl)eit!«
Der Gascogner sah sich einem Hei
nen, schwächlichen, vollständig grau ge
lleideten Manne gegenüber, der nach
Chranos Ansicht niemand anders sein
konnte als ein Latai. d. h. ein Lakai,
dem sein Herr die Livree abgenommen,
jedenfalls um ihn mit einer geheiiniiisz
vollen und delikaten Mission zu be
trauen. Das war übrigens damals so
üblich, und wollte ein Edelmann sich
nicht durch seine eigenen Farben verra
then, so ließ er seinen Diener grau ein
kleiden.
Cyrano hatte den Fremden, der das
Wort an ihn gerichtet hatte, also sofort
erkannt, und dieser betrachtete den
Gascogner mit pfiffigen Blicken, dann
fuhr er fort:
»Der Wirth käme in große Verle
genheit, wenn er Jhnen mehr sagen
sollte. . .«
»Und Sie selbst?«
»Ach, das ist etwas anderes!««
»Sie kennen diese Leute?«
»Alle. . . .«
»Nun, so sagenSie mir. . . Sprechen
Sie schnell!«
»Das ist für heute unmöglich Ew.
Gnaden!«
,,NennenSie mir wenigstens einen!«
»Der, mit dem Sie sich geschlagen
haben?.':«
Der Lakai schien einen Augenblick
zu überlegen, dann erhob er mit ent
schlossener Miene das Haupt und
fragte:
,,Wiiren Sie wohl der Mann, ihm
einen tüchtigen Degenstich zu ver
setzen?«
»Diesem Gecken im grauen
WagimsM fragte Cyrano zurück.
»s- a««
»Ich abe es ihm versprochen und
werde ort halten!«
»Gut!«
Es lag in der Stimme des kleinen
Mannes gleichzeitig etwas so Be
ftimmtes und Einschmeichelndes, daß
der Gascogner nicht einmal bemerkte,
daß er eine Art von Verhör bestand.
Inzwischen sagte der andere mit be
friedigter Miene:
,,Dadurch wird vieles vereinfacht. ..
Der Pater Joseph wird mit mir zu
frieden sein!«
Darauf beugte er sich zu dem jungen
. Manne heriiber und fügte hinzu:
»Um diesen Herrn wiederzusehen
Piüszten Sie nach Saint-Germain ge
)en.«
»Ganz recht, dahin begebe ich mich
eben!«
»Vortrefflich!. . Treffen wir uns im
,,Eisernen Kreuz«. . .
»Ist das ein Gasthof?«
,,Ja... nicht weit vom Schlosse.»
Fragen Sie nach Perchepin.«
»Das smd Sie?«
»Ja, das bin ich.«
. »Und Sie versprechen mir, daß ich
meinen Gegner wieder auffinden wer
de, der mir eben entwischt ift?«
»Ich verspreche es Jhnen!«
»Werden Sie mir auch den Namen
der Spanierin nennen?«
»Der schönen und unverschämt-en
; Pensions die ihn begleitete?«
. «. a.«
»Nichts leichter als das. . . doch
wenfn ich Jhnen einen Rath geben
dar . . .«
»Burfche,« rief Cyrano ärgerlich; ich
glaube, du vergissest dich!«
,,Verzeihen Ew. Gnaden,« bat Der
andere, ohne allzugroßeDemuth zu zei
gen, und fuhr dann in seinem klaren,
knavpen Ton fort:
»Verständigen wir uns also nach
einmal. .. Heut Abend im ,,Eisernen
Kreuz« Perchepin Der Baron
von Bergerac wird nach ihm fragen.
»Wie? Du kennst mich also?«
,,Jch habe diese große Ehre, Herr
Chrano.« «
· ,,Meiner Treu, ich wäre doch neugie
rig. . .«
»Oh, das ist mein Geheininiß!«
Doch das Pferd des Gascogners
ward unruhig, es sprang auf dem
Platze umher, so daß Jolivet es kaum
ländigen konnte. Der junge Mann be
ruhigte eg, und als er zu dem Lakaien
zurückkehren wollte, war dieser ver
schwanden. Anders aber stand es um
den Durst Chranos, der immer stärker
wurde, und so rief der Gascogner dens
dem dicken Wirthe zu:
,,.Bringe mir schnell etwas zu trin:
ken.«
MitBehagen schlürfte er den frischen
Wein, und ohne sich bitten zu lassen,
folgte Jolibet dem Beispiele seine-«
Herrn Dann schwang sich Chrano in
den Sattel und rief dem Wirthe zu:
»Für deinen Labetrunk schulde ich
dir einen Thaler. .
«E-inen Thaler?" versetzte der an
dere verdutzt.
,,Doch da ich jetzt tein Geld besitze,
so kann ich dir meine Schuld erst in
den nächsten Tagen bezahlen. . .«
Das Entzücken des Wirthesp nich ei
ner Enttäuschung Inzwischen hatt-:
Cyrano seinem Pferde die Sporen ges
geben, während Jolivet sich verzweifelt
an die Mähne des seinigen klammerte.
Der Galopp begann von neuem; in
einer halben Stunde erreichte man
Paris, und die beiden Reiter zogen
durch die Faubourg SaintJacqueg in
die große Stadt ein.
I 9. C a p i t e l.
s Die Glocken der NotredameKirche
» läuteten eben den Mittagsangelus ein,
und wie mitten im Sommer brannte
die Sonne an einem klaren Himmel.
Es herrschte eine wahre Bratofcnhitze
in der alten engen Straße de te Ini
verie-en-la:Cite.
Nur auf einer Seite erhob sich, mie
eine Oase in der Wüste, ein hübsches
Haus, dessen wurmstichige Außenseite
unter Ephcu und Lorbeer fast ver
schwand. Warf man einen Blick durch
» die Fenster-, so bemerkte man einen
großen gegen die Sonne wohlgeschtitz
ten Saal, in dem eine große Reihe von
Tischen und Bänken stand. Jm Hinter
grunde erhob sich ein Schanltisch aus
Eichenholz, der mit Tellern und Plat
- ten vollständig angefüllt war, während
man durch eine qeössnete Thiir einen
. ungeheuren Bratenspieß erblickte, der
i sich über einem großen k euer drehte.
- Ueber dem Eingang des auses besand
s sich ein breites Schild, aus dem in
Goldbuchstaben die Worte standen:
I »Zum Kienapsel«. Es war in der That
die berühmteSchenke zum »Kienapfel«,
welche unter Ludwig dem Dreizehnten
in vollster Blüthe stand. VornehmeHer
ren vergaßen hier die Langeweile des
Hofes, und eine große Anzahl von
Dichtern, wie Theophile de Bian, Cha
pelle, Saint Amant, suchten hier gern
Anregung im Wein.
An diesem Tage war zum Mittags
mahle der große Saal vollständig be
setzt; und Gläser und Gabeln verur
sachten ein freudiges Klappern, wäh
rend auf den Tischen die Schüsseln
dampften und Becher und Flaschen eine
lange Reihe bildeten.
An einem der Tische saßen vier be
deutende Persönlichkeiten, erstens der
König des Hauses-, der Kaiser der Zi
geuner, Marc-Antoine deGerard, Here
von Saint-Amant. — Der fröhliche
Dichter war soeben im Begriff, seinem
Titel als erster Trinker der Welt Ehre
zu machen. Neben ihm —— und ebenso
veleibt und rothbäckig — saß der von
ihm unzertrennliche Nicolas Faret.
Ihnen gegenüber hatten zwei andere
Gefährten Platz genommen; der eine
war der jüngere Sohn des Hauer Lor
2-aine-Elbeuf, sein Nachbar der Mar
auis von Narveze, ein geistreicher
Tischgenosse und tüchtigcr Trinker.
Am nächsten Tische saßen mehrere
junge Leute. welche über die Reden
der anderen herzlich lachten; doch plötz
lich sagte Saint-Amant, sich an einen
von ihnen wendend:
,,Le Bret, was ist denn aus Ihrem
Freunde geworden?«
»Aus Cyrano?«
»Ja, ist er noch immer in feinerHei
math?«
»Ja, noch immer!«
»Er fehlt mir," unterbrach Faret,
»denn so jung er auch ist, er ist der
fröhlichste Tischgenosse, den man sich
denken kann.«
»Der tapferste und entschlossenfte
Fechten . .«
»Der originellste und feinste Geist,«
bestätigte Narveze.
« »Und das beste Herz von der Welt,«
ergänzte Le Bret.
Diejenigen, die nichts sagten, bewie
sen durch ihr Kopfnicken ihre vollste
Zustimmung.
»Gut gefprochen,« fuhr der Dichter
fort, »und ich für meinen Theil hege
nur eine Furcht. . .«
»Welche?«
Doch anstatt zu antworten fragte
Saint-Amant:
»Vor drei Monaten hat uns Cyru
no jawohl verlassen, um sich nach der
Gascogne zu begeben?«
»Ganz recht, vor drei Monaten.«
»Und ihr findet es nicht seltsam,
daß er so lange von Paris sern dleibtf
ich für meinen Theil wittere dahinter
eine gefährliche Liebelei!«
»O, wenn es weiter nichts ist,« un
terbrach einer der jungen Leute.
,,Las3 mich aussprechen. d’Assoueh!«
Und in fast ernstem Tone fuhr der
Dichter fort:
»Ich fürchte, irgend ein schönes jun
ges Mädchen entführt uns unseren
Freund mit Zustimmung des Notars
und des Pfarres.«
»Also eine Heirath?«
Ein allgemeiner Protest erhob s7ch,
doch lächelnd erklärte Le Bret:
»Eine Liebschaft? Das ist unmög
lich; doch, daß die Liebe so weit ge
hen sollte, das glaube ich nicht!«
»Aha, Cyranos Vertrauter weiß
darüber mehr.«
»Und wir müssen daraus schließen,
daß nur eine Heirath in Paris für un
seren Freund zu fürchten is .«
»Doch wir werden da sein . . ."
,,Jawohl, und wir werden ihn vor so
seinem solchen Unglück zu schützen wis
en.«
Ein allgemeines Gelächter brach los,
und als sich der Lärm ein wenig be
ruhiat hatte. fuhr Le Bret fort:
»Auf Cyrano zurück zuk dmmen, so
glaube ich Euch sagen zu tönnen, daß
wir ihn zweifellos bald wiedersehen
werden.«
,,Hat er dir etwa geschrieben«3«
»Nein, er vernachlässigt mich seit
einiger Zeit ein wenig.«
»Woher weißt du also?«
»Ein Freund aus der Gasco ne hat
mir geschrieben, und er theilt mir
aleichzeitig etwas mit, was ich ohne ihn
nie erfahren hätte.«
»Was denn?«
,,Ho«rt,'" begann Le Bret. »Ihr wißt
alle, wie traurig Chrano war, als er
Paris verlassen mußte. Erstens mußte
e: von seinen Freunden aus dem Men
apsel Abschied nehmen, aber auch von
seinen Studien, der Wissenschaften und
der Philosophie, und dann war vor
allem die Ursache dieser Reise, die ihn
sc traurig still-Inte. Ein alter -Oheini,
der ihn sehr lieb hatte, rief ihn in aller
Eile zu sieh, denn der Greis fühlte sich
dem Tode nahe, doch vorher wollte et
seinen Neffen noch einmal wiedersehen
rnd ihn zum letzten Male umarmen
Cyrano hegte eine große Zuneigung zu
ihm: er ritt Tag undNacht, und es war
il«-m ein trauriger Trost, dasz er nicht
zu spät Hain, denn sein alter Oheim
starb in seinen Armen. Am Tage nach
dem Begräbnis wurde das Testament
des Greises eröffnet, undSavinien war
in demselben als Universalerbe einge
setzt.«
»Ist die Erbschaft bedeutend?« un
terbrach d’AssoUcy.
,,Etwa 1()0,0()0 Franck«
»Ha, das ist ein hübscher Bissen, um
sich zu trösten.«
Der Sprecher war häßlich, klein.
rund, sehr nachliissig gekleidet, und ob
wohl er allen antipathisch war, so et
trug man ihn doch wegen seines schlag
fertigen Witzes.
»10(),000 Francs,« fuhr er fort,
»ist ein Vermögen für unseren Gas
cogner, und ein reicher Bissen für Ett
net, den Wirth zum ,,Kienapseli«
Fortsetzung folgt) L « ; Cyrano de Bergerac.