Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 14, 1898, Sonntags-Blatt., Image 12

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    1848
Ein weltgeschichtliches Drama
Von Johannes Ich-tu
GottfeßunsJ
Diese Zurückaabe der diltatorischen
Allgewalt an die Nationalvertretung
hat dann am 28. Juni wirklich stattge
funden. Die Nationalversarnmlnng
beschloß daraus, zu erklären, daß der
General urn das Vaterland sich wohl
verdient gemacht habe, und erniinnte
ihn sofort zum »Chef der Vollzieh
ungsgewalt«,— ein weicherer Ausdruck
für Dictator. Der General setzte fein
Ministerium der Mehrzahl nach aus
»konetten« Republitanern zufammen.
So waren denn die Rollen ans-getheilt
und war Alles wohlbestellt. d. h. ein
Regiment der lieben lahmen langweili
gen Mittelmiißi keit errichtet, welches,
unfruchtbar im Innern. nach außen
in wahrhaft ftupider Weise nicht nur
geisgah sondern auch mitverrathen
« s . . .
Zuvörderst lastete auf Paris eine
unermeßliche Trauer. Die Zahl der
in der Junischlacht Getödteten und
Verwundeten ist nie aenau erhoben
worden. Einem im October vorn Po
lizeipräselten erstatteten Bericht «ufolge
betrug die Gesammtheit der odten .
1460, wovon zwei Drittel der Armee
rrnd Nationalgarde angehörtm Sechs
Generalc waren gefallen und sechs Ge
nerale hatten Wunden dsarsxngetzagew
Jn die verschiedenen Spithler der
Stadt wurden 2529 Verwundete ge
bracht, aber man darf mit Bestimmt
heit annehmen, daß eine meer als dop
pelt so große Anzahl von Berwundeten »
in Privathäusern gepflegt worden ist.
Der Anaade des Generals Lamoriciere
zufolge sind zur Junifchlacht 2,100,- ;
000 Gewehrpatronen an die Soldaten !
ausgetheilt und während der Kampf
tage ungefähr 3800 Kanoncnfchiisse
gethan worden.
—- l
Va: victis !
Und es that die Republil
denletztenAthemzug.
Mit der siebenten Abendstunde vom
26. Juni, wo die letzte Barrilade ge
nommen wurde, verschwand das fran
zösische Proletariat von der Bühne der
Revolutionsgeschichte des Jahres 1848.
Die Bourgeoisie hatte vollständig ob
gcsiegt und nur sie war es, welche die
weitere Entwickelung der Dinge be
stimmte.
Nach etsochtenem Siege begann das !
Rachewerk, wie das so herkömmlich un
ter Menschen. »Wehe den Besiegten!«
Am 273 Juni und noch etliche Tage
länger hatte Paris ganz das Aussehen
einer von Feindeshand mit Sturm ges- »
nommenen Stadt. Ueberall rauchende »
Trümmerstätten, in der Eite, beim
Pantheon, in den Zugängen zum
Stadthause, bei der Porte Samt-De
nis. Die Faubourgs Saint-Anto3ne
und du Temple, tvo das Geschützseuer
am ärgsten gewüthet, glichen vom Erd
beben geschüttelten Städten.
Während der Schlachttage hatte Pa
ris trotz des schrecklichen Getöses den
Charakter einer unheimlichen Ver
ödung getragen, weil die ganze Bewoh
nerschast, die Kämpfenden ausgenom
men, in die Häuser versperrt war.
Auch fest noch wagten sich erst nur ein
zelne Neugierige hervor und sah man
aus den Straßen und Plänen nichts
als Reiterharste, Geschützziige, Infan
terielolonnen, Bürgermehrbataillone
und dazwischen Hausen von hunderten,
von tausenden von Gefangenen.
Ueberall war an Mauern und
Wände folgendes Protlam angellebt:
Der Chef der Vollziehungsgewalt an
·e Rationakgarde und die Armee.
Bürgert Soldaten! Die heilige Sache
der Republit hat triumphirt. Euer
Eifer-, Euer unerschiitterlicher Muth
hat schuldvolle Absichten vereitelt und
traurigcn Jrrthümern ihr Recht ange
than. Im Namen des Vaterlandes,
im Namen der Menschheit habt Dank
für Eure Anstrengungcn und seid ge
segnet für diesen nothwendigen Sieg!
Während des Kampfes war Euer Zorn
rechtmäßig und unvermeidlich; jetzo
seid ebenso groß in der Selbstbeherr
fchung, wie Jht es in der Tapferkeit
gewesen. Jn diesem Paris sehe ich
Sieger und Besiegte; sei mein Name
verflucht, so ich darein willigte, auch
Opfer zu sehen. Die Gerechtigkeit wird
ihren Lan haben. Sie handle! Das
ist Euer, das ist mein Wille! General
C. Cavaianae.
Wie stimmte, was in Paris am 27.
Juni und ten zunächst folgenden Ta
gen geschah, zu diesen Worten? Wie
die Rache zur Versöhnung stimmt. Ob
Cavaignac seine Worte nicht zurWabt
heit machen konnte, ist fraglich; denn
der Angstphilister, bekanntlich eine der
grausamsten Bestim, war los und
sollte sich für die ausgestandene Furcht
rächen. Daß der General seine Worte
sägt zur Wahrheit gemacht hat, ist ge
w
Wenn, wie gar nicht zu bestreiten,
während der Hitze und Wirth der
Straßenschlacht mindestens 150 gefan
gene ocnsurgenten von den Truppen,
der Mobilaarde Und Bürgerwehr so
fort erschossen, wenn sogar in diese-n
gräßlichenRiMen Frauen, welche ihren
lämpsenden ännern Brod zutrugcn,
und Töchter, welche für ihre verwun
deten Väter Charpie zupften, scho
nungslos nieder-gemacht wurden, so ist
das zwar scheusalig genug, aber doch
dem Kampfrausch aus Rechnung zu
schreiben. Was soll man jedoch dazu
segen, daß auch nach beendigtemgamps
das Erfchießen von Gefangenen in der
Ebene von Grenelle, auf dem Kirchhofe
Mont Parnasse, in den Steinbriichen
des Montmartre und lbeim Kloster
Saint Benoit seinen Fortgang hatte?
Was dazu, daß man 500 Gefangene in
ein mit flüssigern Koth angefüllte
Kelleraewölde auf der Wasserfeite der
Tuilerien zusammenstopfte und daß
die draußen postirten Schildwachen,
wenn die dem Ersticken nahen Einge
pferchten sich zu den vergitterten Oeff
ru:ngen drängten, um nach Lust zu
schnappem ohne Weiter-es ihr-: Gewehr-c
in den unterirdischenMarterraum hin
ein losfeuertenZ Was endlich dazu,
daß arn 27. Juni, also irn ersten Eie
gestaumel und heissesten Rachegrimm,
die Nationalversamrnlung den Be
schluß faßte, es seien alle der Betheili
gung an dem Ausstand »überwiesenen«
Gefangenen —- es lagen deren nicht
weniger als 25,000 in den Kafemattcn
der Pariser i orts —- okyne Procefz und
Urtheil in asse nach Cayenne zu de
x·ortiren, und daß dieser von wahrhaft
ungeheuerlicher Rechtsoerachtung nnd
Unmenschlichteit zeugende Beschluß an
nahezu 10,000 Gefangenen wirklich »
vollstreclt worden ist?
Was man zu aueoein sagen fou- .
»Vae dictis!« Sonst nichts-. Die ;
Bourgeoisie vermochte das rebellifche s
Proletariat zu besigen und zu bestra: s
fen; folglich fühlte sie sich im Rechte.
Es ist immer so gewesen und wird
immer so fein.
Auf den 6. Juli veranstaltete die
Regierung ein poinphaftes Bestat
tisngsfest für die gefallenen Bertheidi
ger der »Sache der Ordnung«. Die
Cerernonie war steif, gezwungen und
lalt. Die Bourgeoisie mußte ihre Sie
gesfeier fiir sich und in fast unheim
licher Stille begehen, denn das Voll
glänzte durch seine Abwesenheit. Ja,
sie war todt, die Republit, obzwar die
Parteien noch eine Weile mit der Mu
mie spielten, als wäre sie lebend, bis
nachher aus den Wickelbändern dersel
ben der Bonapartismug sich einen Kai
serrnantel zurechtgeschneidert hat
Die Sache der Voller war verspielt.
Zwei Ereignisse vertiindeten dag- sehens
den Augen und börenden Ohren un
widersprechlich. Die Pariser Juni
schlacht und die Niedcrroerfung des ita
lischcn Nationalbanners durch die
zweiundachtzi jährige Greisenhand
Radetz!y’5. seicht war es dem alten
T Feldtnarschall nicht aeworden, den
dsterreichischen Doppelaoler wieder
nach Mailand urückzutragen und den
persönlich tapferm aber planlosen
Sardentönig Karl Albert in denStauv
zu werfen, nein, leicht ganz gewiß
nicht« wer fragt indessen noch vie nach
den Opfern, wenn der gewollte Zweit
einmal erreicht worden iftP Und doch
wäre eine ernste Frage hier nur zu sebr
am Platze gewesen, hub doch dieGlocke
der Jahresuhr die Stunde zu schlagen
an, welche den Anfang des Endeg,
und welch eines Endeö, bezeichnete. Es
soll keineswegs behauptet werden, daß
denkende Demokraten in Deutschland
dieses nicht fühlten. Wenn sie trotzdem
weiterhin rasch mitthaten, so geschah es
nur der eigenen und der Ehre derPar
tei wegen, sie fanden es unfchictlich,
einer halb oder ganz verlorenen Sache
den Rücken zu lebten.
Was oie Redenrasveler und Para
graphenhaspeler betraf, die merlten
natürlich nicht« was die Glocke geschla
gen hatte, sondern rasvelten und hag
pelten emsig weiter, als wäre nichts
geschehen- «
Drunten m der Donaufmdt war es
nach den Maitummulten zeitweilig
leidlich ruhig geworden· Die Anschl
iratie hatte sich heiser uelchrieen und
die Lumpagogre mußte sich auf Bier
biinken und in Schnavsbuden erst zu
neuen Großthaten störten. Beide
Sorten von unheiliger Kanaille, von
Hundepack im verwegensten Wortsinne,
duckten einstweilen unter, maßen das
feste Zusammenhalten von Aula und
Garde, d. h. von Studentenlegion und
Bürgermehr, die Aufrechtbultung der
Ordnung verbürgte. Unter diese-n
Schutze regierte der gute Herr von
Pillersdorss weiter, so gut - es eben
Ihm wollte, indem er seinen Collegen
obl fs an das kaiserliche Hoflager
nach nnsbruck sandtse. damit derselbe
so zu sagen ein Kleister wäre, welcher
das dermalen «in partic-us sideliurn«
teiidirende so zu sogen Staatsober
haupt mit der Centralreaieruna in
Wien zusammenleimte. Selbstver
ständlich» hatte Herr von Doblhosf die
Reben-, d. h. die Hauptaufgade, in
der Tiroler Hofbueg darüber zu ina
chen, daß die theuten »Märzertungen
schaften« keinen Schaden litten. Ach,
diese Errungenschaften hatten eine be
denkliche Aehnlichkeit mit der »schuld
sen Brut«, welche in des altero pra
tius Epode von »Schlan,1-:n« be royt
wird. Auch in der Weihtaiichsatmos
phäre der Jnnssbrucket Burq war an
solchen Reptilien keineswegs Mangel,
nur daß sie auf zwei Beinen fchtichern
spitzenbesetzte Unterröcke. auch General
c djutantenhosen, Divlornatenfräcke
und Kammerhertnschliissel trugen,
und der atmeDIblhvff bätte zu dem
guten Blumenziichtek Ferdinand sagen
iönnen wie der römisch: Poet zum
Mäcenas:
Zur Seite dir bin minder ich in Sorg’ und
Angst,
Tie den Entfernten starker plagt,
Tein Vogel gleich, ver bei der federioien
Brut
Ter Schlangen Anschlich iiirchtend sit;t,
Und wenn er fern ist, mehr sich iinnfiigi, ob
er gleich
Lufle sklllcl chklllUIlls Ollujs I,IIII.
Herr von Doblhoff hat sicherlich das
Schlangengezische nicht ganz überhört,
aber den wirklichen und vollen Sinn .
desselben hat er nicht verstanden. Es
gab ja Angenehmeres für ihn zu hö
ren, wie z. B· jenes aus der Tiroler
Hosburg ergangene kaiserliche Mani
fest vom Z. Juni, welches den Kaiser
erklären lief-» daß er zwar durch die
Art und Weise, wie er zur Gewährung
eines »constituirenden« Reichstags der
anlaßt worden, «tief verletzt« sei, daß
er aber trotzdem »die Sache selbst fest
halten« werde und daß es sein »schu
lichftes Verlangen, die baldige Eröff
nung des Reichstags in Wien möglich
) zu seh-en.«
Das steigerte noch die Sehnsucht der
Wiener Bürgerschaft nach der Rück
tehr des Kaisers. Da aber einflußrei
che Damen die Sommerfrische im Thal
des Jnn begreiflicher Weise erquickli
cher fanden, als die Heimtehr in die
schwiile Donauniederung so verzögerte
sich die kaiserliche Wiederiibersiedelung
nach Wien so sehr, daß Pillersdorf und
Doblhofs höchst dringend anriethen,
wenigstens einen Stellvertreter der
Person des Kaisers zu ernennen, um
den Reichstag zu eröffnen und über
haupt der Centralregierung durch seine
Anwesenheit mehr Halt und Gewicht
zu geben« Der Passendste Stellvertre
ter, riethen die Minister weiter, wäre
der Erzherzog Johann, welcher, auch
seiner Wahl zum deutschen Reichsver
weser schon gewiß, dazumal so recht
»Hans Dampf in allen Gassen« gewe
sen ist, freilich ohne in irgend-einer
Gasse etwas zu thun als biedermän
nisch schwatzen. Die lentenden Hände
in der Jnnsbrucker Burg ließen dein
zufolge den willigen Ferdinand am 15.
Juni ein Patent unterzeichnen, kraft
dessen der Erzherzog zu seinem Stell
vertreter ernannt wurde, um »alle ihm
als constitutionellem Kaiser zustehen
den Regierungsgeschäfte zu leiten«.
« Der Erzherzog nahm an. und da er
wenige Tage- darauf auch die ihm zu
- gefallene deutsche Reichsvrrwesung an
nahm, so hansdainpfte er eine Weile
» wie ein Weberschifilein zwischen Wien
» und Frankfurt und Frankfurt und
» Wien hin und het, obzwar ohne etwas
zu weben, was sich sehen lassen konnte.
s Noch bevor jedoch der Erzherzoa bei der
Etksffnung des Reichstags als Alterego
des Kaisers fiauriren konnte, brach das
Ministerium Pillersdorf unter der
Wucht eines vom «Sicherheitsaus
schuß« und vom »Demokratischen Ver
ein«gemeinsam gegen dasselbe geschleu
derten Mißtrauenvotums zusammen,
hauptsächlich, weil sich in den Weis-fel
zopf seiner Verlegenheiten noch em
neuer Strana eingeflochten hatte, der
slavische Aufstandsversuch inPrag und
dessen Folgen.
,,Vivat der Wirtschaft
Der crzlyerzoalichs bang Dampf läßt 1
von sich hören. z
Die Bevölkerung von Wien, d. h. t
die beweglicher-en Element: derselben "
fanden nnd fühlten sich den Sommer »
von 1848 über in der Lage und Stirn
niung eines Menschen« welchem dar- Be
lrußtsein, etwa-, was er ganz hätte
thun können und sollen, nur halb ge
than zu haben, leine Ruhe läßt und lser
dem unablässig iuelenden Reize preisge
geben ist, das Versäumte nahznholem
ohne doch wirklich die Kraft zu be
sitzen, das unerquicklichr Halb: zu ei
nem runden Ganzen zu machen·
Unmittelbar vor der Erdiinung des
Reichstag-s explodirte die wivrrpillers.
drrffssche Mine, nachdem der arsne
Mann von Minister das laue Wasser
grmiithlicher Beschwörungen erfolglos
auf den brennenden Leitstrick gegossen
hatte. Arn 8. « i:li faßte derSicherljeit5
ausschuß die esrlutivm »Die Träger
des alten Systems-·- lind unbedingt aus
dem Cabinette zu entfernen. Dobllivff
ist mit der Bildung eines neuen Mini
sreriums zu betrauen, in welchem an
ßer Wesseiiberg kein Mitglied beiz- ietzis
gen sitzen soll.«
Noch irn Juli von 1848, wunderlich
zu sagen, hatten derartige Resolutio
nen etwas zu bedeuten, viel sogar.
Wenn man unwidersprochenen Berich
ten von demokratifcher Seite glauben
darf, hat der kaiserliche Alterego und
ers zogliche Hans Dampf in allen
Ga en in di er Angelegenheit eine sehr
zrveideuttge alle espielt. Er sagte zu
einer Ell-ordnung es Demokratenvm
eins, welche gekommen war, die Forde
rung bei Sickxrbeitsausichusses zu un
terstrihem »Auch ich bin von ver Unzu
länglichleit des Ministeriumö vollkom
men überzeugt und werde das Mithige
versitgen.«
Noch am selbigen Tag nahm er die
angebotene Entlassung Pillersdorsfs
an, mit welchem Sommaruga und
Baumgartner ausschiedem und im Be
i grisse, zur Uebernahme der Rächst-er
ung nach « rantsurt abzufahren, be
au tragte er errn Doblhoss, ein neues
Cabinett zu ilden. Am 19. Juli trat
dasselbe in’s Amt, sür sliichtig blickende
Augen ganz so gebildet, wie die Be
wegungspartei es wünschen mochte, sitt
scharssehende nicht.
Denn die Resolution desSicherheits
; ausschusses war mit nichten vollständig
I ersiillt worden. Zwar tonnte es für
’ cleichgiltig gelten. daß der unvermeid
liche Finanzminister Krausz aus dem
alten ins neue Ministerium herüber-ge
nommen war; aber von ganz anderer
Bedeutung ist es gewesen, daß das glei
che mit dem Kriegsminister Latour ge
schah. Dieser Punct war offenbar siir
den Hof bei der neuen Cabinettsbii
dung der wesentlichste, der einzig we
sentliche Mcchten die halbliberalen
oder ganzliberalen Minister schwatzen
und Gesetze sabriziren, wenn nur die
Armeeleitung in den Händen eines ge
treuesten Schwarzgelben blieb.
Sicherlich hat der Erst-erzog Johann
die Sache ebenso angesehen und in die
sem Sinne geleitet. Denn der Prinz
war keineswegs ein Dummrian, wosiir
man ibn verschrieen hat, sondern viel
mehr ein Psissitus Schmerle. Wenn
Heine ihn sagen ließ:
»Nicht mit demVerstand, nein. mit dem
Momiiqi
Will ich mein Volk regieren.
ich bin kein Diplomatilus
Und kann nicht politisiren—«
so war das sehlgesckpssen, weit fehlge
schossenL
Der Erzbcrzog hatte freilich weder
das Zeug noch auch nur den Willen,
groß zu handeln und bedeutendes zu
thun; aber was sich mit kleinen Mitteln
mit Listen und Pfifsen sür das Haus
Lothringen-Habsburg thun ließ, das
hat er in Wien wie in Frankfurt rich
tig gethan.
Neben Wessenberg, Latone, Krausz
und Doblhoss traten neu ins Ministe
rium der vulgärliberale Fabrikant
HornbostL der unbedeutende Journa
list Schwarzrr und der von Pinseln
demolratisch angemalte Advolat Bach,
jedenfalls der zeitgemiiszeste seiner Col
legen. Ob er damals schon förmlich in
den Dienst und Sold des Hofes getre
ten war und allerhöchsten Frauenzim
mern das Gnadensutter aus der Band
sraß, ist ungewiß und sogar zweifel
hast Die Waare mußte doch erst im
Ministersclnstsschausenster steben und
die Wünschbarleit ihrer Erwerbung ad
oiulos demonstriren. Im Uebriaen ge
bärte herr Bach dem heiligen Bahn
lon der Kautschultniinner an, welches
sich Anno 1848 und nachher aus allen
Parteien und Frartionen relrutirte
isnd zur Grösie einer Armee anschwoll
Noch hatte das neue Minsterium
ficht zu amten begonnen, als der »inn
stituirende Reichstag in Wien zusam
mentrat. Die Zahl von 383 Abgeord
neten, welche — mit Ausschluß lin
aarng und seiner »Nebenländer« »- die
Völker Oesterreichs nach der Haupt
siadt entsenden sollten, ist nie ganz Voll
gewesen. Zum Sitzun« slocale war die
taiserliche Reitbahn bei der Hosburg
hergerichtet worden, aber es wurde
daraus teine Manege wie jene bei den
Tuilerien, in welcher die Constituante,
die Legislatioe und die Convention de
battirt haben, so debattirt haben, daß
ihr»J-!)ebattiren Handeln war. «
sum i. Juki versammelte-r im me
Ilieicbcstagcsmänner zu einer ersten vor
bereitenden Sitzung. Es lief-· sich nicht
rettufchen, daß nicht die Hälfte der
Ltltitglieder des Reichztags der deutscken
Sprache kundig war. Der Wunsch der
Deutschen ging natürlich auf Erklä
rung ihrer Sprache zur Geschäfte-spra
ck.e der Versammlung: aber sie wagten
ers doch nicht, ibren Wunsch in Form
eines Beschlusses durchzudriidem und
sc überließ man die-Verhandlungen von
vornherein allen Zufällen eines bedu
lr-nischen«3prachenwirrsals. Zehn Tage
nachher bestellte der Reichstag seinen
Vorstand und die Majorität machte der
Stadt Wien dasCompliment, einen ih
rer Vertreter, den Advocaten Schmut,
eine Null im Frack, zum Präsidenten
zu wählen. Dieser Strobpräsrdent ver
schwand gänzlich vor dem ersten Vice
präsidenten Striobach, einem Asche-dem
welcher abwechselnd mit dem zweiten
Vier-Präsidenten Smolta, einem Po
len, die Verhandlungen des Reichstags
vem Anfang bis zum Ende geleitet bat.
Arn 22. Juli las der wieder aus
Frankfurt nach Wien zuruergerannte
Stellvertreter des Kaisers die Thron
rede ab, ein seltsam Ding, worin im
Oratelton de rebus omnibus et mitbetr
dam liis gesprochen wurde, in einem
Athemzuge von der Gleichberechtigung
aller Nationalitäien des Kaiserstaats
nnd von der Nothwendi teit eines fe
sten Anschlusses an Deut chlcmd, ebenso
von der Achtun vor den Freiheitsbe
strebungen der . taliener und von der
Behauptung der österreichischen Was
; senehre. Die Versammlung wurde sozu
sagen nach Nebelheim versetzt mittels
; dieser nebulosen Phrase: »Der Reichs
Hag ist berufen, das große Wert der
l Wedergebur des Vaterland-es zu voll
i bringen. Die Befestigung der erworbe
nen Freiheit verlangt sein offenes, un
abhän iges Zusammenwirken in der
Festfte ung der Verfassung.«
Nur nach einer Richtung hin sprach
die Thronrede sehr deutlich, nach der
Geldseitc hin: sie tiindigte »außer
ordentliche finanzielle Maßregeln« an.
Nun, das hieß unschst und hauptsäch
I lich, die Anlei ptempy in welche die
Mätzangst der Geldleute einen Leck ge- ’
macht hatte, wieder zu kalfatetn und
in Thätigteit zu setzen.
l
l
Bauen-beitritt Kndlich. i
Das Beste, was der Reichs
tagquegegebracht.
Der Reichstag bemühte sich redlich,
alle Register der Zeitphraseologie den
guten Wienern vorzuorgeln; allein die
große Frage für diese blieb doch immer:
Kommt der Kaiser zurück oder bleibt
er weg? So mußte sich denn auch das
österreichische Parlament alles Ernsteö
mit diesem Problem beschäftigen, def
fen Lösung ja auch und zwar sehr, in
seinem eigenen Jnteresse lag. Denn
die Anwesenheit des Kaisers gab der
Thätigleit des Reichstages doch erst die
rechte Weihe und zugleich schien die
Anwesenheit der laiseriichen Familie in
Wien eine Bürgschaft zu bieten gegen
die dunklen Machenschaften, die hinter
den Coulissen spielten.
Nach einer scheuderhaften, riesen
bnndwurmartigen Schwäherei. welche
sich darum drehte, ob man die Rückkehr
des Kaisers »erbitten« oder aber »for
dern" sollte — nebenbei wurde alles
Ernstes auch darüber debattirt, ob man
ten Kaiser mit »Euer Majestät" oder
»Eure Maiestiit« anreden miisrte, ge
. wann endlich das »Fordern« die Ober
hand. Ob diese Forderung erfiillt
worden wäre, falls nicht die günstige,
schwarzgelbe Wendung der Dinge in
Italien den Hof mit neuer Zuversicht
erfüllt hätte, steht dahin. So aber
ließen die Drahtsührer und Drahtsiih
rerinnen des Hospuppenspiels den gu
ten Ferdinand nach Wien zurücklehren
und kehrten selber mit ihm zurück, am
12. August· Die Freude der Wiener
war groß. Ter Reichstag seinerseits
warf sich stolz in die Brust, der Welt
gezeigt zu haben, daß er seine »Fort-e
rringen« durchzusehen vermöge.
Gerade in diesen Tagen that er das
Beste, was ihm überhaupt zu thun ge
lang. Schon am LET. Juli hatte sich
eins der jüngsten Mitglieder dee
Reichstags erhoben, um einen Antrag
zu stellen, welcher diese gute That, die
Emancipation der Bauern, einleitete.
Ein junger Mann, gerade von der
Hochschule gekommen, blond, blau
iiugig. schmächtig ein verlörpertes
Stück österreichischer Freiheit-sinnt
Hans Kudlieh beantragte ans der Red
nerbiihne: »Die Versammlung . möge
erklären: Von nun an ist das Unter
thiinigleitsverhältnisz sammt allen da
raus entsprungenen Rechten und
I Pflichten aufgehoben, vorbehaltlich der
s Bestimmungen, ob und wie eine Lini
s schädigung zu leisten sei«. Jubelnde
sZuftimrnung von allen Seiten des-»F
-Hauses, nur ganz wenige, gar nicht
hört-are Stimmen ar»:-g:nkkn:nen. VII
lein dieser Zustitnuiiinjoiubel iatte
doch nicht die Energie jener glorreicheu
Augustnacht von 17·8"-, welcfx das
Mittelalter in Franlreich weaivisilztr.
i
i
å
;
f
Kudlich und seine Parteigenessen lie: !
ßen sich in ihrem edlen Anlauf aushal
ten dadurch. daß sie sich in die brichst
weitichiclnigen und verwickelten trin
Zelnheiteu der Robotirare hineiuisrm
növriren liesien. Politisch tlua. ja an
llixgsten wäre es gewesen, die Entschä
digungsirage ungelöit iiber den lib
psen der Bauern schweben zu leisem
Damit bötte man den biiueriicheu Ei
gennutz iorwälnrnd in sZpannuur und
demnach fest an die Sache der Bewe
gung geleitet erhalten. Es ist ja über
fu«-und Un Aivnnkskclsp ist-v k«----·
i
g
E
i
ten deutschen Revolution von 18t8 ac- i
wesen, dasi sie der Selbstsucht der :
Bauern viel zu frühe unr- riel Zu rriti ;
» ständige Befriedigung geioihrte Stud
J lich und seine Freunde erkannten dac
auch, aber zu spät. Als der Antrag-·
steller am Jl. August seinen F,t«.1em!al
verbesserte-n und erweiterten Ylnrraq
begründete, meinte cr, »mit der Ent
scheidung der Entschädigungzsriae hat
eq- leine Eile, da die Bauern gewiß zu
siieden find, wenn sie auch erit nach
Wochen erfahren, ob sie entichiidigen
srllen«. Allein die Gegner der Linken
nzertten die Absicht und wurden va
durch teinestvegs verstimmt. Jin we
gentyeil, sie waren sehr froh, daß in
Gestalt der Entschädigungssrage ihnen
eine ztveihenlelige Handhabe dazu ge
boten wurde, erstens in den Augen der
Bauern die Linle zu verdächtigen, als
ob diese die genannte Frage iiir un
toichtig ansähe, und zweitens durch
eine rasche und billige Lösung dieser
Frage die Mehrheit der Bauern der
conservativen Partei Zu verpflichten
Die lOigtvierige Debatte drehte sich
auch nur noch um die Angel der Ent
schädigungs- oder Nichtentschbidigiiiigs
frage. Nun, das Ende vom Liede
war, daß sich für Gewähruiu einer
Entschädigng eine tomvatte Majori
tät bildete.
tinrtim und seine Genossen nahmen
nun in ihren Antrag die Bestimmung
Auf, das; die den Grund-Herren zu Die
tendc Entschädigung der Staat zu tei
sten unbe, und bei der artitekweisen
Abstimmung gewann dieser Para
graph eine Majorität von 48 Einn
inen. Allein der Kuolich’sche TOka
als ganzes wurde mit einer Msltvkztak
von 4 Stimmen verworsem gegenuber
einem durch Lasset sorrnulirtetn in wel
chem die Leistung einer «billrgen Ent
schädigung« an den gewesenen »Gute-,
geknet- und Bogtherrn« dem neuen
utöbesitzer zu ewiesen war. Am 7.
Seinem-her sang die ganze Sache mit
und durch Zustimmung der Regierung
ihre volle Erledigung unv» diese »Er
rungenschast« der österrerelnschen »Re
vrlution«, die Bauerneinancrpxtiem
die Entjochung der Bauerschast vom
Mittelalter," war, wie die aröszte,· so
auch eine bleibende. Selbst im Hoch
stadium ihres Triumphdelirinmsz
wagte nochmals die Gegenrevolution
diese unberechcnbar wichtige Yteuerung
nicht anzutastem indem sie sich noch
immer mit Grauen der Blicke und
Worte eines Kapuszczat und anderer
Bauern erinnerte und es klüglich un
terließ, den ans seiner Errungenschaft
eingedäminerten Riesen-Tolpatsch wie
der zu werten.
In der That, er diimmerte, dulelte
und schlief ein aus seiner Errungen
schast. Bevor er das that, wollte er
aber doch zeigen, daß auch er Lebensart
hätte: —- am Abend des 24. Septem
berö brachten 10,000 Bauern, aus al
len Gegenden Oesterreichs gelom:nen.
dem Hans Fiudlich einen Dantsactelzug
dat. Damit aber hatten titudlich nnd
die Revolution ihren Lohn dahin. Der
dsterreichische Bauer machte es gerade
so wie der baherische, schwäbische, bes
sische usw. Er war fortan für Ruhe
und Ordnung. Er hatte ja sein
,.Sächle«, indpste seine Tasche zu und
that nicht mehr mit. Dank vom Men
schen zu erwarten, ist Unverschämthklk
Patnl vom Volke zu hoffen, ist Narr
,er .
Ich-rn
—-—
Eljen und Z·vio.
Der Krieg zwischen dem
demhausehabsburgund
den Magyaren.
Derweil im Wiener Neichstage der
nationale Gegensatz von Deutsch und
Slavisch seine drohende Schrossheit vor
der Hand noch zu der politischen Par
teisotmel liberal und conservatio her
abzumildern versuchte, hälelten hösischc
Hände den nationalen Gegensatz zwi
schen Magyarisch und Slavisch in der
,,-Osthälste« des Reiches glücklich in
einen Knoten zusammen, welcher ge
waltsam zerhauen werden mußte. Die
schon früher zu Faden geschlagene Al
Iianz des Hofes nut den Slaven wurde
jetzt sestgenäht,nnd noch war das brau
sende Eljen, womit der Amtsantritt
deg- neuen ungarischen Ministeriums
in Budapest begriiß wurde, nicht ver
hallt, als schon vom Süden her zur
Antwort bedeutungsooll das slavisck,c
Zivio erscholl.
Mit dem Zusammenprall dieser
zwei nationalen Jauchzlaute und Bi
vatschreie prallten zwei Nationalitäten,
zweierlei Rassen wühend auf ein
nnd-r
Kossuth war in Ungarn der leitende
Kopf geworden. Am 11. Juli zeigte er
in einer großen Rede im ungarischen
Jieichstage, wie Ungarn von den Shi
ven im Blinde niit dein Hofe bedroht
sei nnd seine Unabhängigkeit auf dem
Spiele stehe. Er verlangte die Aus
hebung von 200,000 Mann und einen
Credit von 42 Millionen Gulden, ,,um
einen ehrenhaften Frieden vermitteln
oder einen ehrenhaften Kampf siihren
zu lönnen.« Der Reichstag stimmte
am 24. Juli in seiner Vegeisterung ein
niiithig zu, aber die zweideutige Politik
Tei Magharen trat dabei zu Tags-.
Sie loolilen die Rolle der Slaveii
übernehmen Wenn sieh der Flaisec ih
nen in die Arme wars, so wollten sie
ihm gegen alle seine Feind-e beistel;eii
und wurden dann das dolninirende
Element im Kaiserstaatx blieb der Mai-.
srr mit den Slaven verbündet, so woll
ten skch die Magharen ihre Unabhän
gigleii ertiimvsen. Der Hof ging in
dessen aus seinem alten Wege weiter
und cknch der Beschlus-« Oesterreich in
Italien zu unterstützen, lonnte ihn
nicht davon abbringen. Jm Gegen
theil wurde inzwischen das Bündnis
mit dem abgesetzten und wieder in
Gnaden aufgenommenen Van Jellacic
erweitert und gefestigt. Der Hof
schmeichelte den Kroaten und unter
stiihte Jellacie, wo und wie er tonnte.
Während der österreichische Reichstag
in seiner Harmlosigleit sieh nur um die
Abschassun der Feudallasten til-miter
te, trat Je aeic immer provocirender
gegen die Ungarn aus und geberdete sich
als Vollstreeter des Willens des Kai
sers, indem er verlangte, die Ungarn
müßten ihreMärzerrungenschasten und
ihre Selbstständigleit ausgeben.
Nun, dies belehrte Jedermann dar
iiber, wohin die Politik des hoses ging
isnd der offene Kampf wurde unver
meidlich. Er brach auch sogleich los-,
denn am 11. September erschien Jella
cic mit der lroatischen Streitmacht im
Felde und siel ohne Weiteres in Un
garn ein.
Nunmehr flammte der Zorn der
Magyaren lodernd anf, als sie erkann
ten, welch schnödes Spiel der Hof mit
ihnen getrieben hatte. Von edler Be
geisterung für Freiheit und Unabhän
gigleit ward das ganze Voll ergriffen
und als das Ministerium am 14. Sep
tember zu den Waffen ries wider den
Kroaten Jellacic, da strömte die streit
bare Jugend in Masse herbei. Ungarn
glich bald einem Decktager. Der Pala
tinns Stesan verließ Pest und ging
nach Wien; der ungarische Reichstag
aber sandte noch einmal eine Des-illa
tion nach Wien, nnd zwar, wie Kossuth
sagte, »nicht an den verrätherischen
Hos, sondern an das Voll.« Allein die
slavische Mehrheit des Neichstages ver
eitelte mit großer Anstrengung den
Versuch und nach langen und heftian
Debatten wurde der Antrag, dies-illa
gharen anzuhören, vorn österreichischen
Reichstage mit 186 gegen 108 Stim
men verworfen
Gortsehung solgt.)