Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 30, 1898, Sonntags-Blatt., Image 11

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    krime durch Leute seiner Wahl zu
ersehen, dur Leute wie Marrast und
der leichen « onette« mehr; die Bont
qe e im Ganzen war verstimmt, weil
sie fürchtete, gegen eine wirkliche En
surrektion des Proletariaks wür en
machte, die französischen Heere in
Deutschland, in Italien oder wo sonst
immer den Gloire-Cancan von ehe
mals wieder beginnen zu lassen; das
»Volk« endlich war verstimmt, weil es
weder die Exekutivkommission noch die
Nationalversammlung sie schiihen kön
nen; die Armee war verstimmt, weil
die Republik so gar keinerlei Anstalt
erkannte oder zu erkennen glaubte, daß
es, wie im Juli von 1.830, so auch im
Februar von 1848 geprellt worden sei
und daß man mit der »Freiheit,Gleich
heit und Bruderschaft« keinem Bäcker
auch nur einen einzigen Laib Brot aus
dem Ofen lockte.
Da ist es denn gar kein so großes-,
ia überhaupt kein Wunder gewesen,
wenn nicht wenige-, sondern viele Leute
in Frankreich ans den Einfall kamen,
zu sagen: Der Bourdonismus hat uns
geärgert, der Orleanismus hat uns ge
narrt, die Republik hat uns geäfft, wie
wiir’ es, so wir es zur Abwechselung
wieder mal mit dem Bonapartismus
probirtews
Probirt es, ihr lieben Leute! flötkte
in den süßesten Tonarten die bona
parte'sche Presse —- denn schon gab es
eine solche -— und die im Solde der
Sekte stehenden populären Agenten,
Lahr und Compagnie verdreifachten
ihre Wiihlcreien zu Gunsten des »Prin
zen«, der aber nicht etwa als »Kaiser«
·— Gott bewahre —- wohl aber als
»volkgthiimlicher Chef der Republik«
Frankreich retten und das ,,arme Volk«
beglücken sollte. Es war schon nicht
mehr schön, wie fiir »Louis Bona
parte«, den »Nefsen", Propoganda ge
macht wurde. Jn der Bourgeoisie stei
lich verfingen jedoch die bonapartisti
schen Lockungen dermalen noch nicht,
wenigstens nicht in den leitenden Krei
sen.
Weder die Eonstitutionellen, noch
die Nohaliften, noch die Loyalaiten
wollten von dem »Neffen" etwas wis
sen. Alle diese klugen und superklugen
Herren würden Jedem ins Gesicht ge
lacht haben, der ihnen von der Mög
lichkeit einer Präsidentschaft oder gar
einer Kaiserschaft des Gefangenen von
Ham gesprochen hätte. Und doch hieß
es hier« wie es unzähliaemcl oft heißen
kann und muß:
»Glaub’ dreist das ärqfte, dümniste,
widerwärtiafiei
Denn das erfolgt«.
Jn Wahrheit, fchon am 5. Juni ge
schah ein deutliches Vorzeichen, daß es
erfolgen würde. An dem genannten
Tage fanden nämlich in Frantreich Ers
satzwahlen fiir die Nationalversamrni
lung ftatt und die 11 Gewählten bilde
ten eine sehr gemischtc Gesellschaft
Noch schien die Socialdemotratie ftark
zu sein; denn sie brachte ihr-c t tiandis
daten Causfidiere, Lerour, Lagrange
und Proudhon durch. Als vom »honet
ten.« Republitanismus gewählt tonnte
m Viktor Dugo, Moreau und Bots
fel ansehen, wogegen die Wahlen von
Thiers und Changarnier ein entschie
dener Triumph der Rückwärtferei wa
ren.
Aber eine unendlich viel wichtigere
Wahl als die genannten war die des
Prinzen Louis Bonaparte. Der
,,Neffe« war in Paris und noch glän
zender in drei Departements zugleich
gewählt worden. Und wie bat sich bei
dieser Gelegenheit der «honette« Redu
blitanismus im Vollglanz seiner Bor
nirtheit gezeigt! Er war außer sich
über die Erwählung des Tribiinehel
den Thiers und achtete die Wahl des
Neffen für nichts. Und doch konnte
man und mußte man wissen, daß neben
dem Ruf: »Vive Barbes!« das arme
genasftihrte Vorstädtevolt den Ruft
«Vive Napoleon!« von Tag zu Tag
lauter erschallen ließ.
Die Leiter der bonavartistischen Be
wegung fiibrten mit großer Emsigteit
un Geschicklichkeit ibre Muchenschaften
weiter. Arn 10. Juni sammelten sich
große proletartsche Massen beim Pa
lais Bourbon, weil es hieß, der am 5.
Juni zum Voltsvertreter gewählte
»Neffe« würde in die Nationalver
farnmlung eintreten, »begleitet von ei
nem glänzenden Gefolge.«
Der Erwartete fand aber nicht sur
gut, zu kommen; er verstand die Kunst,
zu warten und aus sich warten zu las
sen. tir und seine Saite wußten gar
wohl, das-, eine vorzeitige Erscheinung
aus der Weltbiihne Paris Alles ver
derben könnte.
Am lit. Juni tam in der National
Versammluug Die Frage der Giltigteit
oder Richtgiltigteir von Louig Bona
parte’i Wahl zur Verhandlung Die
Exetutivtomrnission wollte die Mehrza
lassun des Prinzen beschlossm Wissen;
angebl ch. weil dersetven geschildko
cus Frankreich verbannt ski; in Wirr
1ichkeit, weil seine Erwählung mit dem
Nase: »Wir-e l’ernpereur!« begrüßt wor.
den sei und weil der Gewählte tein
Voltsreprösentant, sondern einThrons
prätendent, welcher die Republit auch
noch gar nicht anertannt habe.
Aber gerade weil die Exetutivtom
mission und zwar noch dazu durch den
Mund des schon ganz treditlos gewor
denen Lamartine und des all entschie
dener Nepublitaner verdaßten Ledru
die Nichtzulassung des Prinsen ver
langte, votirte die Versammlun mit -
Zmidrittelmehrheit die Giltigtet der l
; Wahl und die Zulassung des Gemahl
ten, in welchem diese Mehrheit nur den
; zu Straßburg und Boulogne lächer
. lichst gescheiterten ,Ntaig« erblickte, zu
deutsch einen Richtser. Sie achtete
. auch nicht daraus, daß, sobald die Ent
s sche dung unter den draußen harrenden
Vollsbaufen bekannt geworden, diesel
ben in den Freudenschrei ,,Vive »Napo
- leimt-« ausbrachen
,,VLve l’empereur.«
f
«Mo.nseigneur, schreiben
SieaufderStel eeinen
s gescheidtetenBrief.«
» Die Apostel und Missioniire des Bo
; napartisrnus waren zu gerieben, um
» diesen Erfolg zu überschätzen. Die
Herren Fialin und Laity eilten sporn
streichs gen London, um den Prinzen
kon unüberlegten Schritten abzuhal
en.
»Monseigneur,« sagten sie zu ihm,
»lassen Sie sich durch das Votum vom
13. Juni nicht täuschen und verlocken.
Die Majorität der Nationalversamn1
iung hat keineswegs siir Sie, sondern
vielmehr nur gegen die Exelutivkom
mission gestimmt. Allerdings will die
»Rechte« eine baldigste Wiederherstel
lung der Monarchie; allein die Mo
narchisten folgen der Leitung von
Thiers und Falloux und jener will die
Orleans, dieser seinen Heinrich den
Fünften zurückführen Für Sie ist
demnach von der Seite her nichts zu
hoffen vorderhand. Ebenso ist Jhr
Eintritt in die Versammlung unzu
iömrnlich und unrathsam. Sie wür
den sa doch nur geduldet, sogar über
die Achfel angesehen werden. Folglich
beißt unsere Losung: Abwarten und
tsen Reichsnpsel reifen lassen!«
Monseigneur niclte zustimmend,
: setzte sich hin und schrieb an den Prä
sidenten der Nationalversammlung ei
nifn Brief, worin er erklärte, lieber im
Exil verbleiben als gestatten zu wollen,
daß seine Erwählung den Vorwand zu
beklagenswerthen Wirrsalen und trau
rigen Irrungen abgabe. Der wichtigste
Satz des Briefes war aber dieser:
»Wenn das Volk mir Pflichten auferle
1 gen sollte, würde ich sie zu erfüllen wis
sen.«
Der scharfe Tabal dieser nackt-hoch
müthigen Prätendentenphrase stach
doch der Nationalveriammlung sehr
unangenehm in die Nase, als in der
Sitzung vom 15. Juni das Peinliche
Schreiben vorgelesen wurde, um so un
angenehmer, als man von draußen das
Geschrei der Pöbelrotten vernahm:
,,Vive l’empereur!« und erfuhr, daß
drüben bei den Tuilerien zahlreiche
Zchaaren versammelt seien, welche ver
langten, daß man Louis Bonaparte
zum Ersten Consul ausrufen sollte.
Mehrere Deputirte sprachen sich
schars gegen die bonapartistischen Wäh
lereien auz und der General Canoni
nac machte aus das Charakteristitum
aufmerksam, daß in dem Prinzenbries
das Wort Repudlil sorgsam vermieden
sei.
,,Monseigneur, schreiben Sie aus der
Stelle einen gescheidteren Bries!" leie
graphirten die Apostel nach London.
Jn Folge dieses Winke-s langte, wäh
rend die Nationalversammlung noch
. rath- und thatlos iiber die Prätensio
snen des Prätendenten hin und her
s zanlte, abermalen ein Schreiben an
; den Präsidenten an, in welchem es un
s ter anderem hieß: » eh wünsche die
Ordnung und die usrechterhaltung
der Republil, einer weisen, großen,
» verständigen Republil, und weil ich,
f sehr wider meinen Willen, die Unord
nung begünstige, lege ich, freilich mit
s lebhaftem Bedauern, mein Mandat in
Ihre Hände nieder. Bald, so hosse ich,
wird die wiederhergestellte Ruhe mir
gestatten, als der einsachste Bürger
I nach Frankreich zurückzulehren«.
Damit war die Sache parlamenta
risch-sor:nell erledigt. Jn Wahrheit
und Wirllichleit aber hob sie erst recht
an. Der Bonapartismus, dessen Fahne
fest ossen ausgepilanzt war, begann
mehr und mehr eine Macht zu werden.
Schon sing er auch an, wie Scheide
wasser aus die Bourgeosie zu wirken, d.
h. er wars in dieselbe ein völliges
Schisma, indem das eigentliche Pro
Pentlrum mit seinem ganzen Binsen
chwindlergesolge sich dem »Nefsen des
Onlelg« zuzuneigen Miene machte, mit
der schnobbernden Spekulationgnaie
; richtig witternd, daß unter einein dec
Potischen Regiment der Aiisbeutunqg
weizen und der Schwindelhaber gedei
hen würden wie noch nie Der solid
biirgerliche Kern der Bourgeoisie dage
gen icharte sich um den General Ca
vaianac, als um das von ihr zunächst
erlorene Zutunftshaupt des Staate-.
Bedenllicher jedoch als die Otnneiquna
der Barone der Agiotage mit ihren Va
fallen zum Bonapartismus war der
-llrnitand, da das bonapartistische
Gift den Ma en eingeimpst war nnd
» in denselben weiter und weiter um sich
- fraß.
(Fortietzung iol ..at )
Um Geld an städtilchen T rucksachen
zu sparen legte Marior Qsiincy vi- n
Boiton WO, 000 in einer eiaei. en Mu
)niripal- Druckerei an und ileate später
Enoch 10,!000 inein. Das Result at hat
rwartusiaen schlecht entsprochen
ä Ein Departement, dessen Rechnung für
Drucklachen lich in der Reael mit 82,- ’
Mitellte, hatiest über 88(AN)ver-’
braucht.
; dasselbe thun. Er war allerdinag bei
Iok alter Dosten-.
Stixe von Anna Wahlenberg.
Autorisirte Uebersetzung aus dem
Schwedischen von E. Stine.
« »Jetzt aber entfchliefie Dich, liebste
Emelte«, sagte Frau Björllund und
tnrivfte den Mantel auf, denn sie ac
dachte eine Weile zu bleiben. Sie
hatte so viel vorzubrinaem und hier
hieß es, sich ein-nat ernsthaft ins Mit
tel leaen.
»Ich tann nicht. Was würde Dot
tor Classon sagen, wenn er wieder
nach Hause iornmt«, erwiderte Emelie.s
ein abge ehrtes Gefchövfchen mit gelb
lich-bin er Hautfarbe und einaefalless
nen Zügen, die ihr das Aussehen von,
ungefahr einer Bierziaerin nahen, ov
wehl sie erst einige Dtißiae war.
Sie tutschte unruhig im Lehnstukile
herum und blickte die Mutter an, die
beim Fenster ftricktr.
»Nein, wirklich, ich lann es durch
aus- nicht«v wiederholte sie.
»Dottvr Classon hat ia dsreb den
Ruf, einer unserer aeschicktesteu Aerztc
zu sein«, meinte die alte rau.
»Hier in der Stadt, ia", sagte Frau
Fjörilund. Aber in Grantöpina —'«
lind dann kam tie wieder an die
Reihe, dies« Geschichte die sie schon so
vielemale aebört hatten: Emilie miisse
rach Grantövina zu Doktor Sie-ed
man fahren. Wenn kein Andern mehr
helfen könne, sc könne et’s und wo es
das Leben gelte, müsse man Alles ver
suchen. Zwei und ein halb Jahre bitte
f. f-» suen ni: ihrem tletsel inaes
til-: -«.J, keinen anderen «-.«i Tictae
eieoen wollen, als-— ihr-n Honzexrih Den
Doktor Classcn, aus lauter Animus
ilsn zu beleibiaen, und dabei war ei
immer ärger aeworden. Jetzt aber,
wo es sich aerade so aut traf, daß er
, verreiste, jetzt lönnten sie doch wohl
; dasselbe thun. Er war allerdinas bei
s ihnen givesen und hatte Re.;evtc und
; Anweisungen verschrieben und siir die
zwei Monate seiner Abwesenheit sei
nen Stellvertreter empfohlen, jeden
falls abrr war jetzt bessere Gelegenheit
- sur vie tlcine Reise, als wenn er Da
l-,-eim -var. Und man diirfe sie sich
nicht entgehen lassen, das hatte die
kleine beredtiame und dienstfertiae
Frau Pförglund sich in dn Kon ge
setzt Und so nahm sie Mantel, Hut
und Handschuhe ab und sprach und
sprach, so lanae, bis sie endlich die
beiden Damen dahinaebracht hatte, die
Sache von der Seite zu sehen, von
der sie wollte, und ihre Abreise schon
auf morgen festzusetzen
Und so geschah es, dafi aus der
Granlöpinger Reise Ernst wurde.
Aber es war etwas sehr Geheim
nißvolles. Dem Mädchen und allen
Bekannten sagte man, daß man Ver
wandte besuche und Niemand wir Frau
Biörllund wußte. wohin die Fahrt
ging. (
Nach drei J n kamen sie zurrick
und nun hatt: melie zu wissen be
kommen, sie habe ein Nierenleiden
statt eines Maaenlatarrhg und Alle-,
was Doktor Classon aesaat habe, dass
sie thun solle, das solle sie nicht thun,
isndsAlleL was er aesaat, daß sie nicht
thun solle, dac- solle sie thun.
Einen Monat daraus saß sie statt im
Lehnstuhl auf einein gewöhnliche-:
Stuhl. und nach weiteren etlichen Wo
chen ging sie cus und besorate dieAnfs
träge ihrer Manna. statt daß diese die
ihrigen besorate, und alle Leute spra
chen von Wunder und staunten iiberi
idie kleine Ente-lie. die wieder ctanzl
s frisch zu werden anfina. Von allen
l Seiten kam man und aratulirte ihr.
Die Mutter strahlte vor Freude und
Frau Bjiirilund vor Stolz. und ihr
i selvst war so leicht und aliicklicb zu
i Mu;he, als wäre sie in eine andere
und bessere Welt gekommen, statt aus
Gnade noch eine Weile in ver alten ge
! duldet zu sein, die ihr immer so trau
. rig erschienen war.
! Allein naeli kilhlaiis rineier Iljkonairs
I) sing eine «niri«liniiroicie Veraiioeriiiiq,
ji mit ihr ror. Je besser und heiser eHI
! ihr körperlich erqine» destio äraer iiiiJi
s arqer wurde-ihr zu Muthe. besonders
l an den orntittaqen zwischen Zeit-i
isod « idö s. Es war. als ob ein Geist
des 1 friedenti sie tu dieser Zeit iilers
schleiche. Sie richtete es meist so ein,
daß fie während dieser Stiiiioen aus«
ging. aber war sie einrnol oeiioiinaen
zu Hause zu sitzen, so euctte sie beirs
geringsten Laut zusammen nnd blicktelI
zuerst nach der Ichür und dann aufs
Doktor Classoii’s sUrjineislaschem die.
immer noch wohlabqestnubt und in«l
schönster ernunq auf dein ·1tachttisctil
standen, sowie auch der Lehnstuhl sich
nom. behänat init den nun blos- selten!
lseniihten Tüchern iiiid Sliaivlkz aiiij
eilten Platze besond. ’
Und jeden Tna uin 1 llhr that siel
einen Seufzer der Erleichtiriina. Da
fing Di. Clasion’5 Enivicinasstiinde
on und er tcnnte also an diesem Tiiqz
nicht mehr erwartet werden.
Jeden Morgen war ihr erster Ge
danleI »Heute loniint er!« Und sie er
schrak beinahe. wenn sie im Spieael
bemalt-, wie sie stärter und stärker
wurde und die Wangen Farbe, die Aus
aen Glanz bekamen.
Wenn er doch an einem Nachmit
tag käme, wenn die Lampe angezündet
ist, da würde inan es vielleicht nicht soJ
merken! Wie konnte sie ihrem alten
Dottor, der so viele Jahre bei ihnen
. ausarzt gewesen war, den sie so lieb
patten und an den sie bisher geglaubt
wie an einen Gott« wie tonnte sie ihin
sagen, daß sie ihm nicht mehr vertrau
ten. daß sie die,ctlie eines Anderen
gesucht! Nein, eher wäre sie in den Bo
den gesunken.
Doktor Classon schien indessen start
in Anspruch genommen, nachdem er
von der ausländischen Rette zurückge
kommen war, denn eine Woche nach der
anderen verstrich, ohne daß er von sich
hören ließ. Nutz- und zwecklos säu
berte Und ordnete Emelie täglich ihre
Dlrzneislaschen und ihren Lehnstuhl.
Er ließ immer noch auf sich warten.
Da eines Tages zwischen 10 und12
Uhr, als sie, wie gewöhnlich, ihre Pro
irenade machte, plötzlich mitten ans der
Norrbtiicle da blieb ihr auf einmal
das Herz stehen. Auf demselben Iris-:
toir, in nur wenigen Schritt en En
fernung, kam ihr Doktor Classon ent
gegen. ·
Er blieb stehen, sah sie an, als sähe
er einen Geist und vergaß sogar, ihr
die Hand zu geben oder auten Tag zu
sagen.
,,Sind Sie es . . .? Wie geht das
denn zu . . . .? Was?« fragte er
endlich. ’
»Ja, ich bin es«. erwiderte Ernelie
mit einem Versuch, ruhig dreinzusehem
obwohl sie füllte, dasi sie roth wurde
end sie viel lieber blaß geworden wäre,
um nicht so gefnnd auf-zusehen. !
»Sie-—«—anf der Straße.« s
Er musterte sie dann mit seinens
kleinen scharfen Augen von Kon bis-;
zum Fuß. !
»Ich glaubte, es wiirde mir autI
thun«, warf sie ganz leise hin.
»Und ich glaubte· Sie tviirden nie
malä meer ausgehen«, sagte der Dok
tor in seiner aewblznlichen schroffen
«.)lrt. »Was haben Sie mit sich ange
-i·angen? Haben Sie eine Badereise ge
macht?«
»Nei-— ein. Aber diese Milchsuvpe.
die Sie mir ordinirt haben. Herr Dok
tor, die war so vorzüglich . . . Und
übrigens . . . manchmal aehth mir
besser und manchmal schlechter . . «
»So. fo. Hm. Ich schaue morgen
l:inanf«, sagte er, firirte sie noch ei:
nen Augenblick aufmertsaiki, liiftetel
den Hut und aina. i
Tags daraus, um 1011hr. saß Erne-i
iie in ihrem Lehnstuhl. Kissen hinter»
dem Rücken, ein Tuch um die SchulsT
fern und einen Plaid um die Knie. Dis
Øardine war etwas herabaelassen, das-,
das Teaeslieht nicht zu stark aus ihr
ausqebliihtes Gesicht fiele, und die ac
!eerte Supdenschiile stand noch aus dem
Tisch-. unter den Artneislaschen
Die Mutter saß strickend heim Fen
ster, um jede Minute aus die Straße
spähen zu können, und ihre Konverswsz
tion bestand ledialiefs aus einer Frage!
und einer Antwort:
»Komm er schon?«
»Nein. noch immer nicht«
Da plötzlich fuhr die alte Frau niit
einem Rodsnicken und einem Flüstern
in die Höhe, schob ihre Haube zurecht
und zoa den Plaid weiter über Erne
lie’s Knie. Es läutete. und aleich dar
aus trat Dotter Classon in’H Zimmer-.
»Nun, wie acht es denn heute?«
saqte er, schritt weiter, setzte sich neben
timelie nieder und llovste freundlich
ihre Hand.
Oa, es war wieder ein tvenia schlech
ter. So pflegte es abzuwechselm un
gefähr einen Taa um den andern, ein
mal besser, dann wieder schlechter. Ge
stern war ihr so wohl aewesen, heute
war sie wieder ganz schwach. s
»Ja, du lieber Gott. so aeht das-;
immer: aus und ab und ver und zu
rück«, saate die Mutter-.
Nun begann das Berti-Sr
Wic stand es mit der Geschwulst
und den Schmerzen?
.,Jtinn:er gleich, etwas besser viel
leicht.«
»Und ker Appetit?«
Viel essen törne sie nicht. manchmal
geschah es wohl, daß ihr doch etwas
schmeckte.
»Und die Mattiqtcit?«
Oh, sie sei recht matt
,.Und der Schlatt«
Schlecht; sie lieae so viel wach. »
»Und das Uebelbesinden?« (
Unaeiähr so viel wie früher-. (
1
»llnd die schmerzen in den Zei
ten-« l
Tie bätte sie noch immer. i
Gmelie war so reich an Leiden. wir-«
ein Mensch es nur sein kann. llriss
welches Uebel er auch sraatc, sie hatte
es, und doch war sie aestern auf der
Straße ihm geaeniibergestanden wie
ein anderer acsisnder Mensch. Es ainq
über seinen Verstand. »
Er stand aus und zoa die Gardinc
in die Höhe, das die unmittelbare Fol
ae hatte, daß die Kranke die Hand oor
dac- Gesicht leate. Aber der Doktor
ioq sie weg und stellte sich Vor sie, un-.
iie Zu betrachten Es war keine Au
aentäuschuna, was u aestern qeseben.
Die Züae waren wirklich voller, die
Gesichtssarde teller aeworden. Sie
ljuitc einen thatsächlichcherjiinannas
orozesk Lsurctiaemackit
Und er, der fast moartet hatte, sie
todt und begraben zu finden?
Eine Weile saß der Doktor in Ge
danken versunken. Schliesilich richtete
sich seine Aufmerksamkeit auf die Tasse
am Nachttische.
»Und die Milchsuvve haben Sie or
tcntlich genommen ?« fragte er.
,,«O—---ol) ireilich.«
»O—ok, freilich, das bat sie ——— und
ob!« sagte die Mutter-. die während deH
aanzen Verhdres still wie ein etwas
verschüchtertes Mäuschen daaesessen.
Ich koche sie jeden Moraen selbstEserer
Doktor, und auirlc das Mehl recht
langsam und aut ab. damit sich keine
Klümvchen bilden. Und das habe ich
fortgesetzt seit Weihnachten, als sie da
mit begann. Niemandem Anderen
hätte ich es anvertraut Und wissen
Sie, here Doktor, ich glaube ganz ke
stimmt, daß das sie um so Vieles bel
ser gemacht bat«
»Besfer? — Jst es denn besser?
Eben hieß es doch nein.«
»Ja, das heißt, manchmal .....
Manchmal kann man schon sagen, dasz
es ihr ein bischen besser gebt . . .«
Der Doktor hörte nicht auf sie. Er
saß da und drehte eine der Arzneiflai
schen hin und her. "
»Und das da haben Sie auch einge
nommen?«
»Ja freilich«
»Wie viele Löffel?«
Rief-mal fühlte Einelie. wie sie ver
Schrecken erbleichte. Auf diese Fraae
war sie nicht vorbereitet gewesen.
,,Vier«, brachte sie endlich nach ei
nem Augenblicke Bedenkzeit hervor.
Er sagte nichts, sondern nahm die
Flasche und sah sie genau an. Hier
auf blickte er zu Emelie auf, und nie
mals waren seine kleinen scharfen Au
gen schärfer gewesen, als in diesem
Moment, und die Lippen kniff er zu
sammen, daf; sie förmlich in denMund
hineinlrochen.
»Mein bestes Fräulein. ich wußte
nicht, dafz Sie die Unwahrheit zu spre
chen pflegen«, sagte er.
Sie versuchte etwas zu murmeln,
aber die Werke wollten nicht heraus.
Diese Arznei wurde drei Tage Vor
meiner Abreise geholt-C sagte Doktor
Classrm »und es ist noch über die
Hälfte da «
Die beiden Damen schwiegen, und
Emelies zitternde Finger zupften an!
Plaid.
»Wollen Sie die Güte haben, mir zu
erklären, was fiir eine Komödie hier
gespielt wird?« sagte er.
Einelie brach in Thräncn aus, und
die Mutter ließ den Strickftrumpf fal
len, Jber Keine antwortete.
Der Doktor wiederholte feine Frage
zum sweiten Male.
»Wir glaubten, Sie würden so böse
auf unr- fein«, sehtuchzte Emelie, und
dann kam die ganee Sache heraus un
ter Thränen, Entschuldiaungen nnd
Erklärungen
Er saß da und hörte. obne ein ein
zian Mal zu unterbrechen mit gerun
,relten Auaenhrauen zu. doch als Gme
lie endlich fchwica, wandte er sich zu
der alten Frau und hieß sie, das Mäd
chen mit einer Schaufel und einem
Kehrbefen herein kommen zu lassen.
Sie aehorchte blind, ohne sich mit ei
nem »Warum« hervorxutrauen und
kam sogleich wieder, gefolat Von dem j
Dienstmädchen
»Kehren Sie das hier fort«, saate
der Dotter, aus die ?lrgnei-Utensilien
zeigend, Und als das Mädchen die Fla
schen abzuriiumen benann, nahm ei
selbst den Besen und machte reinen
Tisch. Weggeseat sollte es werden.
Und die Supvenschale kam auch aus
tie Schaufel, zusammen mit dein Ueb
»riqen.
s Nachdem das Mädchen wieder dran
zsien war, deutete er auf den Plaid, der
Hüber Emeliens Knien laa.
s »Fort damit!«
Still und qehorsarn leate die Mutter
ihn zuscnimen
»Und auch mit diesem!«
Es war der ShawL · Und darauf
tamen die Polster an die Reihe und
dann der FußschemeL Enielie sah aus
wie ein aerupsteg Böaelchen« wie sie so
Panz ausgewickelt in dem qroßenSttihl
an.
»Und jetzt wollen wir sehen, ob Sie
marschiren können wie aestern«, saate
der Doktor-. ,.Hahen Sie die Güte,
Jhre neircste Medizin zu holen«
Enietie erhob sitt-, bewies, das: sie
ebenso qut qeksen könne, wie Taas Isr
vor, öffnete eine Lade und nahm ein
paar wohl versteckte Flaschen herauf-.
lte sie auf den leer aeriiuinten Tisch
stellte. ELI war aanz still im Zimmer.
Emelie nnd ihre Mutter waaten kaum
anszublickew Sie sahen und warteten
aus die Stunde der Abrechnuna, wo er
ihnen saqen würde, das-. er nichts mehr
mit ihnen zu thun haben wolle. Aber
er starrte nnr aus di: Flaschm nahm
sein Notizbuch hervor und begann zu
schreiben.
»Na, was essen Sie jetzt statt der
Milchsuppe, die Ihre Mutter Ihnen
jeden Morgen kocht?« fraqte er zu
ledi.
Enielie zählte alle ihre Verhaltnnass
maßregeln von tcr arößten bis zu der
kleinsten her und er schrieb wieder.
»Und nun darf ich vielleicht etwas
Nähere-Z darüber wissen, wie Sie sich
befinden.'«
DIE Verhör beaann aufs Neue. es
siihrte jedoch diesmal zu einem Resul
tat, das sich brieutend von dem frühe
ren unterschied, und jede Antwort die
er erhielt. notirte er.
»Wann fahren Sie wieder Fu Dot
tor Irrtuman fraqte er annz plötz
lich.
»Nun, etwa in beiliiufiq vierzehn
Tiiaen.«
Er suchte in dem Noiixbuch naan
ein-: Visitenlarte heran-T schrieb einiqe
Wrrte daraus, leichte die Karte Entelie
mit dem Bemetlcn sie Doktor Smedi
man zu iibefcelm nnd nahm dann
auf feine aewobnte. etwas kurze und
Art Abschied-.
I Wähsknd er sich hierauf zur Mutter
trandte, tcm ihr Adieu ,«.u saqen, fielen
Emelies Aue-en mechanisch auf die
Karte Es standen nur zwei Zeilen
)datauf:
»Wir Alle siyen n: ti der Schulbank
so alt wir auch sind Darum —
Danl!«
Und da ainq et, der alte emrattte
iSchuliungr. ganz fanstmüthin ans
»dem Zimmer mit dem ehrlichen Be
lenntniß seines schlecht gelernten Pen
samt
I Für Emelie aber wer et von vielem
Angenblick an ein ganz andererMenscl),
als der eben noch vor ihr gestanden.
Nicht mehr jener barsche Herr-, vor dem
sie sieh so lange gefürchtet hatte, und
dessen Größe thatftichlieh in der letzten
Zeit ein klein wenig gesunken war.
Wieder war er ihr alter lieber Dot
tor, dere ihnen während so vieler Jahre
die treueste Fürsorge gewidmet, der ih
nen so ost geholfen und in dessen ge
wissenhaste Hände sie aetrost die Ob
lut ihrer Gesundheit gelegt hatte-n.
Und diesen ihren bitteren alten Dot
tor hatten sie so schwer vertannt, hat
ten sie täuschen und hinter’s Licht füh
ren wollen!
Kaum war er drauf-en, so lief
Ernelie ihm nach, als sei sie wieder ge
sund, riß die Thiir zum Vorzimmer
auf, nahm seinen Ueberrock vom Klei
derständer, half ihm trotz aller Pro
teste hinein, suchte dann seine Gal
losehen hervor und stellte sie vor ihm
hin.
Am liebsten wäre sie niedergeiniet
und hätte sie ihm angezogen. Recht
klein, recht demüthig wollte sie sich vor
ihm machen, ihrem armen, lieben, al
ten, getreuen Doktor-, gegen den sie sich
so schlecht benommen hatten. Und wie
sie dann am Fenster stand und seinem
sortrollendenWagen nachsah, da fühlte
sie, daß sie ihm wiederum ihre Gesund
heit und ihr Leben hätte anvertrauen
mögen.
Er hatte seine Größe wieder.
Es gibt auch Hier-streute Amtsrichter.
Einem solchen in Baden passirte Fai
gendes:
Am 2. Januar war Schöffengc
richtssitzung Der Amtsrichter eröffnete
die Sitzung augenscheinlich unter den
Wirkungen eines »Katers« und viel
leicht auch unvorbereitet mit der Frage
an die Schöffen:
».Dahen Sie dieses Jahr sctkoiiSchEiF
senoienste geleistet?«
Die Antwort war natürlich keine be
sahende
Unmittelbar darauf ruft der Amts
richter die Zeugen aus, darunter ein
fünfjähriges Mädchen, dasv weinend
vor die Rampe tritt. Der Anrtsrisbter
fragt die Zeugin, in den Acten blät
ternru
»Wie alt sind Sie?«
Antwort unter erneutem Ihr-Linsen
aughruch: »Fiinf Jahre«
Frage: ,,Ledig oder verheirathet?«
Keine Antwort. Das Kind schien in
der That ledig zu sein.
OF st- -t
Die Zahl der zur Kenntniß der Po
lizei gelangten, in Berlin ,,prakticiren
den« Curpfuscher betrug Ende 1897
nicht weniger als 476. Während die
biinwohnerzahl Verlins sich seit 1879
am 61 Procent, die der Aerzte um 172
Procent vermehrte, stieg das gewerbs
mäßig von Laien betriebene Cur
pfuschernthum in demselben Zeitraum
um 1600 Procent. Nicht eingerechnet
ift bei dieser Zahl die erwiesenermaßen
recht beträchtliche Menge von mehr oder
minder systematisch curpfuschenden
,.Medicinalpersonen« lApothekern,
Droguisten, Hebammen und Heilgehül
fen). Von den gewöhnlichen, nicht den
Altedicinalpersonen angehörenden Cur
pfuschern waren vor Ergreifung des
neuen Berufes 20 Procent Arbeiter, 40
Procent Handwerker und zwar Bäcker,
Barbiere, Cigarrenmacher, Köche,
Schuster, Schriftsetzer u. f. lo. gewesen,
16 Procent gehörten den Handlungs
ltcflifsenen an und nur 24 Procent hat
ten die eigenartige Metamorphose auf
Grund einer bessern Schulbildung
(.,etwa bis Obertertia«) unternommen.
Gerichtlich bestraft waren von den
Männern 29 Procent, von den weibli
chen Personen 14,4 Procent, und war
wegen Arbeits-scheu, Bettelns, ich
frahlg, Betrags-, Hehlerei, Körperver
letzung, Kuppelei,·Meineids und ande
rer Vergehen. Wie ungeheuer groß die
Zahl derjenigen Patienten ist, die Per
sonen von solcher Vergangenheit Ge
sundheit und Leben anvertrauen, dafür
spricht die Thatsache, daß ein einziger,
durch eine Bräute-nur« zu hohem
Rufe gelangter Rechtsanwalt a. D. im
Jahre 1890 nicht weniger als 2559
Personen brieflich behandelt hat, und
daß diese bezeichnender Weise nicht nur
aus den untern, mangelhaft gebildeten
Volksschichten sich recrutirten, sondern
zum Theil auch den höhern Ständen
angehörten. .. »p
st si- -Is "
Unten tn Mexito lebt ein Specht, der
seine Ntiste und Eicheln in den twylen
Schäften der Yuccas und Ast-wen aus
speicheri. Diese hohlen Stengel wer
den durch Rwischenwände in gesonder
te Höhlunqen getheilt, und der kluge
n»o·ael hat das irgendwo heraushetont
tnen und bohrt ein Loch an dem oberen
Ende jede-:- Gelentstiickrz zur Einfäl
lunq und ein zweites an dem unteren
Ende, unt da rang die Eicheln heraus
zuholen, wenn er deren bedarf. Dann
stillt er die Stinael voll nnd verlästt
seine Vorrathstammerm is er sie
braucht, sicher vor den Plündeettngen
eines diebischen Vooelg oder vierfiiszi
gen Thieres. Der erste Ort, an wel
chcm diese merltoiirdiae Gewohnheit
beobachtet wurde, war ein Hügel rnit
ten in einer Wüste, der ntit Yuccas
nnd Aqaven bestanden war. aber die
nächsten Eichenbäume make-r 330 Mei
len davon entfernt, so daß diese erfin
dungsreichen Vögel, wie leicht zu be
rechnen, einen Flug von 60 Meilen u
machen hatten für jede Eichel, die te
für sich aufheben wsllten
Tante tzu den Kinder-Im »Ihr seid ietzt
innntr so lttstiq. Wie tctntnt denn duJ t«
Ter Aelteitssz »Weil tvtr immer etwas zu
lnttmt halten« Früh schaun wir zu, wenn
iiett der Vater kostet; Mittags beobachten wir
die Malt, welche vor Kurzem ans dem Pen
sionen laut, beim Konten, und Nachmittan
fährt vie Mutter mit vent Rad ausl