Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 23, 1898, Sonntags-Blatt., Image 15

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    848
Ein weltgeschichtlichcs Dranm.
Von Johannes srlxertx
Mottsetzunw
Art 17. Mai unternahm die miser
liche aniilie eine ihrer gewohnten
Spaz ersahrten nach Schönhriinn
I- Dort wurden die Kutscher zu ihrer
nicht geringen Ueberraschung bedeutet,
scscrt die Straße nach Santt Pölten
Reinzuschlagm Von da ging die Ent
führungssahrt weiter iiber Eng, Wels
Salzburg nach Jnnsbru(t. Unterwegs
wurde ein Kammerherr nach Wien zu
tilctgeschickt mit der Meldung an den
Kriegziniriistn, daß »der Kaiser aus
Gesundheitsrücksichten zu einer Reise in
die Gebirge Tirols sich entschlilsen
hätte und die kaiserliche Familie Se.
Maestiit nicht allein lassen iuollte.«
» utlicher schon wurde nach der
flucklichen Antunst in Saliliurg ge
rochen, in einer von dein Grasen von
oinbelles enttoorseiien Piotlamatioii,
worin der 15. Mai verurtheilt und ge
sagt war: »Unter den Geioaltschritten
einer solchen ungesedlicheri Bewe unq
beschloß Se. tatserlich-tönigliche 9 tate- :
« stat, nicht länger me r in ibierxfteiideni »
Brei weilen, und lsat ich nach Jiinobriict ;
geben«.
Hier langte der Entführung-Hinter ais-i »
W. Mai uni Mitternacht in
Die allzeit getreuen iiiio glaube-Si ?
einigen Tiroler spannten ihrem »Mit: I
ser« die Pserde aus und zogen seinen
Wagen jubelnd und jodelrid nach der
Burg. Von da aii ist allerdiiig.- die
zunächst nur durch die Angst dittirte
ntsiihrung des Schein und Schatten-s
monarchrn ein reattionäres Kapital
geworden.
Jn Wien machte sich die Vestürzung
der Bevölkerung itber die taisertiche
»Abreise« zunächst in Beschiiiipsiiiigeii
und Berwiinschiingen Lust, welche ohne
eine seine Wahl der Worte auf die ge
sainrnte Dynastie geschleudert wurden.
Allein das Höchste, wozu Angesicht-«- der
Bürgerschaft Beweoiingsleute ungehin
dert und ungestraft sich versteigen tonns
ten, war der Ruf nach Einsetzung einer
provisorischen Regierung iiiit dem Erz
hirzog Johann an der Spiym Jixi
Uebrigen verhinderte die feste Haltung
der Studenten und der Nationalgar
den die Kratehlotratie, weiter sich mau
fia iu machen.
Und dann schlug die Stimmung der
großen Mehrzahl derBiirgerschaft ganz
entschieden in’g Unterthänigr »m- Die
Freiheitsmaske fiel, mit der Republit
nat es nichts und die ..gemiithliche«
Philisterei. für welche die ,.taiferlose,
die schreckliche Zeit« mit dem Weltnn
tergange gleichbedeutend war, kam Voll
1-nd ganz zum Vorschein
Das Centraltomite, welches so viel
Lärm verursacht hatte, fiel dem lot)ale«.t
Unwillen zum Opfer: es mußte sich
auflösen. Wenig auch fehlte, daf; es
der akademischen Legion ebenso ergan
ln wäre. Es gehört mit zu den toll
km llndegreiflichkeiten des .tollen«
« ahre5, daf; die Wiener Bürgersctnft
ausdrücklich fitr das Fortbestehen der
Legion eintrat, ausdrücklich da iir ein
trat und den Fortbestand ertvirtt: m
derselben Zeit, wo fie selber in ihrer
Mehrzahl der Bewegung den Rücken
kehrte, utn sich als »gnt kaiserlich« auf
zuspielen.
Denn so that sie. Der beschränkte
Unterthanenverftand offenbarte sich
auch in der Donauftadt in feiner gan
zen Länge und Breite. »Alle Welt pa
trouillirte und wachte und spielte Poli
Hei und W tvechselte in der Bank die
ttapiernoten um«.
Alle Welt, auch die weibliche, erst
fandte Devutationen nach Jnnsbrtick,
die Rückkehr des Kaisers zu erditten
Fürwahr, es bedurfte vielerUnvernnnft
und Unaefchicklichkeit, es bedurfte gro
sser Falschheit und Tücke von Seiten «
einer nnverbefferlichen Kantarilla, am »
eine so treunntnthäniae und leichtza- s
handhabendeBevölteruna abermals auf
die Bahn der Empöruna zu drängen. l
Sicheres Fiasko. j
l
l
zDielssöiinunn des deut
C scheii«ttartatnentg.
An demselben M. Mai von Ists-Z
welcher in Wien einen revolutionären ·
Katatltudmug herbeiführen konnte, aber f
nur dem althergebmchten llnterthanen- i
bewußtlein zum Wiederbnrchbruch vcsr i
half, an demselben Maitaae aina Mit l
tagi um B Uhr zu Frantiurt am Main
ein Schauspiel in Sane. auf welches- I
die Augen vo- Millionen veaeiitert unt- l
ho! end Ieicht-i waren als auf eine de: -
gro ten " Tatsacher des Jahr-minderm «
- die Gestirn-g des eriten ventiticn l
Parlaments. i
Heute spricht man von diesem Var I
lainent nur noch als von einem der l
größten Schwindel des 19. Jahrhun- »
etli, als von einein Schwindel, ver i
unter dem be eifterten Zniauchzen der l
Nation mit - rompeten und Pauten
· anhoö, uin nac? Jahresfrist fang- nnd
tlangs und runnloj zu enden, unter
der vollendeten Theilnahmelosigteit
vers-then urtheiloloien Menge, welche
13 Monate zuvor der beginne-wen
»Reerrsammung« zugejubelt hatte.
Natürlichl Das Parlament hatte
to seinen Erfolg. Damit ilt ihm, wie
die Moral unserer besten der Welten
nun einmal beschaffen, das Verdam
mungsurtheil gesprochen und die Frage
überhaupt abgethan. »Le ethae succes
justisie tout«, hat Rapoleon dekretirt.
Folglich ist der Nichtersolg absolut
verdammlich, gibt die Welt zur Ant
wort. Zum Henker also mit dem
deutschen Parlament! Laßt es wegge
wischt sein aus unserer Erinnerung! "
Närrische »Jdeoloaen« indessen,
welche die «unprattisch:« Gewohnheit
haben, dem warum dro warum nachzu
griibeln, geben sich damit noch nicht zu
frieden, sondern meinen: Das Parla-:
ment tonnte feinen Erfola haben, weil
es ein hölzernes Eisen, ein Messer ohne
Stiel, dem die Klinge fehlte, einWider
spruch in sich selbst gewesen ist. Es
konnte teinen Ersog haben, nicht allein
urn die Art uudWeise seines Vorgehens
oder Nichtdorgeheng willen, sondern
schon seiner Zusamensetzunq wegen.
Die Wahlen waren m eine Zeit ge«
fallen, wo nach Niederwersung dec
Hecte-r-Putsches der Liberaiigmng in
Südwestdeutschland das arosze Wort
unwidersprochen führte. Trotzdem
sandte das südwestlicheDeutschland ur
ben den Wortfiihrern des Liberaligmuiz
eine sehr erlleckiche Anzahl von Demo
kraten nach Frankfurt und die demo.
kratische Abordnuna des Südwestenö
wurde verstärkt durch zahlreiche Wah
len in Sachsen, Thüringen, Deutsch
Oesterreich, in Rheinvreußen und
durch sporadische im deutschen Norden
und Osten.
Die deutschePietät war bei deuWahi
len ebenso au· nicheinlich tvie nnpolii
tisch zum Vor chein gekommen Die
Wähltr hatten ja die nationale Nota
bilitiiteni und Raritiitentnmmer so
ziemlich geleert, um den aanzen Inhalt
nach Frankfurt zu schicken. Dass, es
dort der Männer, der handetnoewjtäns
tier, nicht aber der wohlmeineuden
Greise und selbstgesälligen Jnvrliden
bedurste, war ja Nebensache
Einen frischen Kranz hat sich nur ein
einziger der berühmten Grautöpse in
der Paulekirche geholt, Ludioia Uh
1and, neben welchem als Ehrengreise
mit jugendfrischcm Herren und von
unentweqkarer Volksmannheit nur
noch J stein aus Baden. Schott eins
Zchwa n und Mobr aus-«- Hessen ac
nannt zu werden verdienen.
Jin Uebrigen war cS nochft uner
quicklich anzusehen, wie der »Vater«
Kahn mit feinem fchinutzigen Hemd
tragen schönthat und wie »Vater«
Arndt mit feinem ,,Weifitopf« toter
tirte. Als der letztere in der zweiten
Sitzung des Parlaments- oas plattefte,
tonfufefte Zeug von der Vtednerbiilne
bernnterplaufchte, ging ein unwilliges
Erstaunen durch die ganze Verfamrns
lung und man mußte dieselbe, um eine
rxnliebfame Demonftratissn zu verhin
dern, daran mahnen, der Sprecher iei
der Mann. welcher das deutsche »Va
terlandslied« gedichtet Dabe. . .
Es waren in der deutschen National
verfanrmlung so ziemlich alle Stände-,
Vermögens- und Berufgtlaffen vertre
ten. Es gab da Fürsten und . andrvek
ter, Millionäre undHabenichtfe, »Fabri
tanten, Kaufleute nud Landwirth
Offiziere und Beamte. Prälatcn
Stadt- und Dorfpfarrer. Literatur,
Advotaten und lltz Professoren
Nun, ehrlich gefagt, trotz des riesigen
Wissens und der guten Absichten dieser
11d' Professoren, würde es nicht nur
lein Schaden, fonkern vielmehr ein
Glück ewefen fein, wenn die sämmtli
chen elehrten des Parlaureuts zu
Haufe und ihren wissenschaftlichen
Forschungen und Arbeiten treu geblie
en wären . . .
Arn 18. Mai verfannnelten sich zur
Z Mittagsstunde im Kaiserfaale des
Römers in Frantfurt die bislang dort
ein etroffenen Mitglieder der Natio
na verfammlung, 830 an der Zahl,
welche Zahl aber schon nach Berslusz
einer Epoche aus nahezu 550 gestiegen
war. Der nreise Schott, ein so braver
Mann, alv jemals einer in schmäht
schen Schuhen stand, leitete die Aus
injttelunq eines Ulltergpräsidentem und ;
da der 73"äl)riqe Baier Bedr, das ge- t
brochenes pser drg »teutschen« Kunst- l
lönigö Und LolasSönaerg Ludwig, die
Ehredss Vorsitzes ausschlag, wurde
dieselbe dein 70jährigen Hannoveraner
Lang zuertanni. Unter seiner Führung
zogen dann die Abaeordneten entblöß
ten Hauptes vom Römer über den Rö
nierberg und die Neuetröine zurtstaulsi
lirche.
Unter den Tausenden, die sich zu je
ner Stunde srrutevoll und lis)ssiiun,1g
reich aus den Straßen von Franlsnrt
drängten, ist sicher teines auch nur die s
ei.tsernteste Ahnung aetommen, daß
alle stolzenhassnungen dieses 18. Mai
ta es leine andere Erfüllung finden
winden als jenen schwach beveclten Is.
Junitag von 1849, wo ein »Märzmi
nlxteriuw die letzten Eid-, Ehre- und
P lichtgetreuen vom deutschen Parla
ment in Statt art durch Lanzenreiter
zersprengen lie .
Keine Frage, in diesem vorn Römer
zur Paulstirche gehenden Zuge cst viel
vom Beste-r vertreten gewelen, wessen
.--—.- —.—-.—-....--. --—.. —-—
die Nation sich rühmen darf: aber auch
bil vom Schlechtestem wessen sie sich zu
schämen hat. Zur Stunde jedoch wurde
dag- Schlechte sicherlich vom Guten
iiberwogeu. Es lag in der Thatfache,
daß zum ersten Mal, seitdem der deut
sche Name existirte, Vertreter der ge
sammten Nation zusatuenkamem um
die Geschicke Deutschlands zu bestim
meu,·etwag so Erlxebende5. daß selbst
gemeine Seelen davon erarifsen wer
den mußten. Allerdings kann daran
nicht gezweifelt werden. dag die
Parlanientsidee von Anfang an » ieseri
blickenden als eine Handhabe erschien,
bei wes-her die deutsche Bewegung zu
backen und sachte nach rückwärts zu
drehen sei. Aber bei Eröffnung der
Reichgdersainmlung ist es wohl selbst
den feinsten oder verhärtesten Chef-Z der
vaterlandglofen Römelei nicht zu Sinn
gekommen, gerade die fchöusteHossnung
der Nation zu ihrem Verderben aus
schlagen zu machen.
Sobald dann freilich die Unterhand
lungen im Gange, sobald klar erbot
den, daß die Mehrheit der Versamm
lung ihre Stellung und Ausgabe nicht
begriff und nicht begreifen wollte, son
dern zwischen theoretiscer Keckheit und
sanatischer Feigheit, zwischen iitberreiz
ten EUtachtgeliiften und kläglich-du Ohn
xeiachzbetrnutuisscu lzaliuxs hin und her
chroantt-:, ja dann ging die Rückwärt
erei mit Bewußtsein und Absicht da-«
ran, in ihrem Sinn und zu ihrem
Vortheil die Parlamentgnraschine zu
handhaben.
Sie wußte daraus binnen kurzem
das zu machen, wag man im Mühle
spiel eine Zwickmiihle nennt. Sie legte
nämlich den Vorschritt der Bewegung
in den Einzelstaaten durch das Par«
laiueut und den Vorschritt der- Parla
menizs durch die Regierungen der Ein
zelftaten lahm.
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Drängte die Deinotratie in den Ein
zelstaaten die Regieriiiiaen, endlich
Ernst zu machen mit den »Erriingen
schasten«, d. l). das unbrauchbar ge
wordene Alte durch neue Organisatio
nen zu ersetzen, so erklärten die mars
iiiiiiifterlichcn Marionetten der Real
tivn: Das geht nichts wir müssen ad
warten. bis das Parlament den
Reichsversassunggrclnnen fertig hat, in
welchen sich die Verfassunaen und Ein
richtungen der einzelnen deutschen
Staaten einzufügen haben. Drängte
dagegen die Demotiatie iiii Parla
mente die Mehrheit, den Reichgversas
» sunggrahmen fertig zu machen, so hies;
Ja, leider geht es nicht; die Re,
cis-J
. gieiungen der einzelnen Staaten legen
j uns zu viele Hindernisse in den Weg.
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Damit verstrich die Zeit und jeder
nutzlog oergeudete Taa trini den inne
ren und äußeren Feinden Deutschlands
zu statten. Die Zwictmiilile arbeitete
demnach vortrefflich
Poliiischer Reichstag
Es reqierte wieder ein
mal die Macht der
Pbra.se.
Die erste Sitzung des Parlamentg
verlief in Folge der altergschwachen
lliitieyalsenheit des Vorsitzenden so
wirrsatig, daß sie an polnische Reiche
tagc erinnerte. Man darf jedoch dieses
auch später häufig genug tiiiniiltuarifch
sitt, gebahreixde Parlaiiieiitiren nicht
allzu strenge beurtheileii. Hatten doch
die armen Deutschen seit etlichen Jahr
huiiderten mit Vorlegeschlössern an den
Mäiiieru herumgehen müssen, wag
wunders, dasz jetzt, nachdem diese
Schlösser entfernt waren, seder sich ge«
druugeii sijhlte, nach Herzenslust zu
sprechen, zu singen und zu pfeisen, wie
ihm eben der Schnabel gewachsen war.
Das Bedürfnisz einer sefteii Leitung
derVersammlung machte so gebieterisch
sich geltend, daß schon am folgenden
Tage zur Wahl eines wirklichen Präsi
denten geschritten wurde. Sie fiel mit
ZG Stimmen von 397 auf den Frei
s
herrn Heinrich dont-jagend welcher un
ter der Hand erlliirt hatte, dass er die
ser Stellung seine darmliessische Mini
sterschaft zum Opfer bringen wiirde
Zu seinem Stellvertreter wurde .f)es:r
von Eoiron due-erkoren, dessen Vlbsnll
rein Repudlitanisrnug eine Belohnu m
verdiente. Herr von Ungern übernahm
sein Amt mit einer Rede. welche hist-:
risch merkwiirdig bleibt. tveil sie ur
kundlich darthut, erstens, daß der Lilie
raligmuis sein nnsittlicheg Spiel mit
der Voltzsouveräkritäi. welche er doch
im Geheimen schon verrathen und ver
leugnet hatte, öffentlich snoch immer
weiter spielte. und zweitens-, daf; der
Liberalismus in seiner Untlarlieit und
Unlogil eine Verquickung des Sonde
ränitntgprincipg mit dein Vereint-n
rizngsprinzip für möglich hielt oder we
riigsteng sur möglich zu halten vorgab.
Der Präsident der litationalver
aunnlung sagte nämlich am Schlusse
einer Rede: »Wir haben die größte
Auf ab-. zi- erfüllen. Wir sollen eine
Ver asfung schaffen für Deutschland,
für das escnnmte Reich. Der Beruf
und die « ollrnacht zu dieser SchAssths
sie lie en in der Souveränitöt der Na
tion. Eben Beruf und die Vollmacht
dieses Verfassungswerk zu sckpfifem hat
die Schwierigkeit in unsere häude ge
legt, um nicht zu sagen, die Unmöglich
le-t, daf; es aus anderem Wege zu
Staude kommen tönnte. Die Schwie
rigkeit, eine Verständigung unter den
Regierungen zustande zu bringen« hat
das Vorparlament richtig vorgefiihlt
und uns den Charakter einer konstitu
irenten Versammlung vindizirt.
Deutschland will Eins sein, ein ,Reish, -
regiert vorn Willen des Voller-. unter
der Mitwirtun aller seinerGliederun- »
gen. Diese D ttwirtung auch den
Staatenregierungen zu erwiesen, liegt »
in dem Berufe dieser Verlainmlung.« »
Also wieder die alte Leier: das
Wllssouveränitiitsprinzip wollen wir-, «
aber das Vereiribarnnggprinzip wollen
lvir auch. Wenn das Zoll souverän
nar, wozu bedurften dann bei Schaf
sung der Nationalvcrsassuna die Man
datare des Voltes die Mitwirlun der
»Staatenregierungen«, d. b. der LZfitri
sten? Wenn hingegen der Wille des
Volkes- von dem, so zu sagen, Oberwil
len der Fürsten abhängig war, wie
lrnnte, durfte, mochte man dann von
Volkssouverämtat schwatzen? Niemand
konnte den Herrn von ldlaqern und
seine Adepten für so einfältig halten,
dasz sie itn Ernste geglaubt hätten, als
»staatgtniinnisch« eingeseiste Kameele
durch das Nadelohr dieses Wider
spruchs schliipsen zu lönnen. Rein, da
laubten und VJssten sie nicht. Aber
sie wollten vor Allem Zeit gewinnen, sie
; wollten die letzten Wogen der März
» slutb vollends verlaufen lassen und iie
» halfen sich einstweilen mit Redensar
ten. Sie tannten ia die Macht der
Phrase; sie wußten, das-. die untlarste,
ja die geradezu sinnloseste Phrase am
meisten Gewalt iiber die Menschen ge
winnt, wenn man eH mittelst unauf
hörlicher Wiederholung glücklich dazu
bringt, sie zu einem Gemeinplatze zu
mai-»Hu der in jedem Mund-s oder w
nigsteng m mogttchtt vielen ist. Sie
haben eg auch wirklich dazu gebracht.
Allein sie hätten sich hiiten sollen, ihre
Gegner, die Demokraten. der Wollen
wandelei zu bezichrigen Tenn so her
aus-gefordert, konnten die Bezichtigten
nicht anstehen, ihrem Feinde, dem Li
beraliSnntZ. im Hinblick aus seine
Ztoitterhastigleit im Allgemeinen usid
im Hinblick aus den Umstand im Be
sonderen, das; er eånen gar nicht vor
bandenen Bermittelunggweg in den
WJIten suchte, das Citat ans Goethe -
in’s Gesicht zu werfen:
»Kennst Du den Berg und seinen Wol
teniteaZ
Das M a u lt hie r sucht im Nebel
seinen Weg.«
»W9W"f noch, getnmlen —«
Das Maulthier dnselte
weiter aus seinem Wol
lensteg.
Von Seiten der liberalisirenden
Mehrheit der Nationalversammluna
wäre die ehrlichste nnd folglich auch die
beste Politik nnstreitig gewesen, wenn
sie an die Stelle der verncbelten und
rerschwiemelten Bestimmungen der
Kompetenz des Parlaments, wie sie
Herr von Gagern in seiner Umring
tede gab, die klare nnd bestimmte ge
setzt hätte: Wir können nnd wollen
ohne die Fürsten nicht«- machen. Die
Throne sind aufrecht geblieben, wir
müssen uns also an dieselben anlehnen,
sonst stehen wir in der Lust. Demzu
folge ist unsere Versammlung« keine
lonstituirende, sondern nur eine bera
thende nnd höchstens eine mitbeschlie
ßende Das-i Richtige ist demnach, die
hohlbiinchige Phrase von der Voll-«
oder National - Soiiveränitiit ein siir
allemal beiseite »in stellen nnd vor
Allem so rasch, toie möglich, einen
festen Grund nnd Unterbau siir das
deutsche Versassnngstoert dadurch her
zustellen, daß toir eine bestimmte Ver
einbarung mit den Fürsten zum Aus
aangszpuncte unserer Berathungen ma
ehen. Thnn toik dies nicht, so bauen
wir nur eine deutsche Nephelololthgia
mehr in die Wolken.
Sie thaten es aber nicht nnd dass
neue Nubitntulien wurde dann richtig
settiq gebaut. . . .
Schon die ersten Sitzungen der Ver
sammlnng gaben den Parteien ausgie
biae Veranlassung, ihre Kräfte zu
messen. So, als der Bürgerwehroberst
Zitz aus Mainz die blutige Rauserei
zur Sprache brachte, welche in der ge
nannten Stadt zwischen der Bürger
mehr nnd der preußischen Besatzunq
« am Bl. Mai stattgefunden hatte, und
ans Resolutionen antrug. derenspitzen
in erster Linie gegen den preußischen
Vicelstouveruenr der Bundesfesiuna
izud in zweiter argen den Militarisi
nins überhaupt gerichtet waren.
Die Mehrheit witterte aan diesen
Resolutionen sogleich eine erste Zu
inuthnna, tsonvent zu spielen» heraus
nnd beschloß den Ueberaana zur Ta
ziekordnuu .
Ja der ebatte trat zum ersten Mal
ein Spieler auf die parlamentarische
Bühne, welcher von da an als der
rauflnstigste und schlagfertiaste Heiß-«
sporu der Rechten in St. Paul viel
Lärm gemacht hat, der Fürst Felix von
Lichnowglh, zweideutigen Andenkens
vom Berliner 19. März her — - ein
Spieler, dessen Berfchwinden von der
Biihne deg Parlament-H nnd der Welt
eine der bettagengwertlxsten Epifoden
des Jahres 1848 werden sollte. Nicht
nm der Person des Fürsten willen,
sondern weil seine Ermordung durch
eine rasende Pöbelrotte der Rückwärts
ferei willtonuneneg Material bot, ein
neues und zwar einheimischeg Schreck
-gefpenst vor angftphilisterlichen Augen
aufzurichten, und weil Mord unter
allen Umständen Mord bleibt, d. h. «
ein scheußlichc3, beftialifches Thun.
Noch früher als die Mainzer Var
fälle debattirt wurden, forderte Ra
veaux (an 19. Mai) einen Beschluß,
daß die verschiedenen deutscheuStände
verfammlungen sich nicht mit einzel
staatlichen Verfassungsstagen ollten
beschäftigen dürfen, bevor die tatio
nalverfammlung das deutsche Verfas
sungswert zum Abschlusse gebracht
hätt-. Der obenan liegende Sinn die
ses Antrags war ein handgreiflich
praktischer; es sollten dadurch Wider
sprüche zwischen der Reichsdersassnng
rsnd den Versassungen der Einzel
staaten von vornherein unmöglich ges
macht werden« Die Traarveite dieses
Antrags ging aber noch weiter. Der
selbe lrollte nämlich eine seierliche Err
kliirung hervorrnfen, lrast welcher das
Parlament den Beschluss, des Vorver
laments1 »Die Veraihung nnd Be
schlußnahrne iilJer die künftige Verfas
snna Deutschlands steht einzig und
allein der vom Volke zu erloähkenden
Notionalversamrnlung zu« —-- förmlich
zu dem seinigen machte. Nun, so weit
larn es nicht, denn schließlich wurde
einer jener Vermittelungsanträge,
welche noch niemals einen Pelz ge
waschen haben, angenommen, der An
trag: »Die Nationalversammlung er
tleirL daß alle Bestimmungen einzelner
deutscher Versassungen, welche mit dem
vrsn ihr zu grijndenden allgemeinen
Verfassungs-werte nicht übereinstim
men, nur nach Maßgabe des letzteren
als giltig zu betrachten sind, ihrer bis
dahin bestandenen Wirksamkeit unge
ari)tet.«
Die Liberalen feierten diese Abstim
mung vom 27. Msai Abends in ihren
Cliibs mit Entkorlung vieler Rhein
wein-— und Cham agnerslaschen als
einen glänzenden ieg. Mit Pechtl
Die Fiktion der Oberherrlichkeit des
Parlaments war ja gerettet und die
Welt um eine Phrase bereichert.
In Wahrheit, dieser 27 Mai hätte
rniissen der Tag sein, wo das Parla
ment siir ein später nicht mehr mögli
ches Entweder — Oder fest und ener
gisch sichentschließen und bestimmen
mußte. Das Entweder war, das Ver
einbarungsprincip ehrlich zu bekennen
und offen zu protlamiren und demzu
folge alles aufzubieten, um weniåstens
mit den mächtiqsten deutschen egie
rungen zu einem ehrlichen und festen
Abtonunen zu aelanaen. Das Oder
war, uber die noch lanae nicht wieder
zu ihrer Volllraft gelangten Fürsten
hinweg dem Volke offen und redlich die
Hand zu bieten, die nationale Bewe
auna wieder in vollen Fluß zu brinqu
s und zu solcher Spannkraft zu steigern,
daß sie jeden dynastischen und partitu
laristischen Widerstand qeaen das
; deutsche Versassunaswerk hinwegzu
! schwemmen vermocht hätte.
s Das Parlament in seiner Mehrheit
war zu liberal, d. h. zu dünlelhaft fiir
das Entweder und zu liberal, d· li. zu
feiae fiir das Oder. Das »Maultbier«
Fuselte also weiter auf seinem Wollen
tra
Die drei ,,Oulel«.
Uns denihHausierhandel
mit der Raiserkrone
Varus-Kirche schon ihre dunkelsten
Schlunde ausgethnn l)atte, so schlossen
sich dieselben vorübergehend wieder
ivflsrend der Verhandlung iiber die
Schaffuna einer deutschen striegsflotte
deren Mangel der striea init Dr nernark
neuerdings so schmerzlich fiilslbar ne
nacht hatte tlm einen ltnisi ina zu
111r.chen, erhob sich die Berfzmuiluita
foft einstimmig sijr die vorljufia bean
ticate Verwilligung vor-. Ei Illtillionen
Thaler. Das Wert wurde dann rüstig
erfreulichen Fortgang, uni, wie bes
tannt, den allerkannnerlichften Aus
gang zu finden.
Wenn in den Debatten vom 26 und J
27. Mai die tskarteizertliiftuna in der
au Hand genommen und hatte einen i
CclUsl LUILI llcluglllllc LFHYUUND lDijrc s
nicht ans den grausamen Spott deri.il
len. die tainn aebauten und bewaffne
ten Kriege-schiffe non deren istasseln :
ium ersten Male die schwirrt-roth gol-- .
krne Fslagar soelite, so in en1r7.)rei:, wie
der durch Oxsterreicli und Preußen
wieder vom Erlisintod ertvei.tte.«B-iiii.
registaat sie enteliren ließ, indein es sie
unter den Auctionatorlianuner ress
Herrn Hannibal Fischer warf.
Nur 5 Tage nach dem H. Juni, an
welch-ein die einmiitliiae Jlottenoera
:l«-ung gepflogen worden, llasfte das
parlamentarische Parteiaetiiiftz sibon
wieder breit und tief und Ilciiklisld :us,
als- ain lit. Juni die Schaffuna einer
provisorische-n Bunde-«- Erescutive oder,
wie das Ding benaniset wurde-, einer
provisorischen Centralgewalt, auf oie
Tagesordnung lam.
Die Angeleaenheit war schon im
Fünf iger llug chusse verhandelt unz
dasels t der-J Project der sogenannten
.,Onlelei« auf's Tapet gebracht Mir
den· Es sollte nämlich ein Bundegdiree
torium geschaffen werden, bestehend
aus einem österreichischen, einem preu
ßischen und einein bayriscben Prinzein
Erzherzog Johann, Print Willselsn
und Prinz Karl, von welchen der erste
ein Oheiin deg Flaiserv von Oester- »
« reich, der zweite ein Otieixn des Honigr
von Preußen und der dritt-.l der Olseisn
des Königs von Bayern war. Darum
hieß man sie mitsannnen die drei
«,Onkel«.
Nach dein Zusainneentritt des Var
lamentg hätten die Niickivärtgler von
der strikten Observan ani liebsten ten
Bundestag als provisorische Executive
beibehalten; das ging aber doch nicht,
weil der Bundestag in den Nasen der
Liberaleis, g-schweige der Demokraten,
ein gar zn inißsälliger :ltuel)w.1r.
Am J. Juni bestellte das Parlament
einenFiinssehneraIiöschuß, welcher über
die eingegangenen 16 Anträge betreffe
der Errichtung ..einer provisorischen
Centralgewalt —- später kamen noch
23 Aoändernngsvorschläae hian
berathen und berichten sollte. Der Be
ginn det Verhandlung selbst war auf
den 17. Juni angesetzt und hatten sicli
nicht weniger als 189 oder gar 2z3
Redner einschreiben lassen. Wenn der
Boden von St. Paul sterll war und
blieb, kennte das jedenfalls nicht« dem
Mangel an Bewäsferuna schnldgegebes
werden.
Diesinal hatte Herr von Vincke das
richtige getroffen, wenn er viele Tage
Vor dein Beginn der Debatte verlangte,
man sollte den verztvickten - Knoten
srischtoeg durchl)auen; wenn er schon
am Zi. Mai im Hirschgrabenclub for
verte, daß dieser an die Spitze seines
Programms »die Nothwendigteit eines
sogleich auf Preußen zu iibertragenden
erblichen .tiaisertl)ums« stellen müßte.
Ja, Die Sache vom monarchisch-en
Standpunkt angesehen, war das un
zweifelhaft richtige. Und dennoch fan
den selbst die ergebensten Knappen des
wisstphälischen Ritters seinen Vorschlag
zar Zeit gar nicht vorbringbar, ge
schweige dritchbringlich Es ist wahr,
die schwarzweißen Zittetaale a la
Friedrich vonRaumer schienenzunächst
recht zu haben. Es ist wahr, daß einem
iciven Hinter-warmen Herrn Braun
aus Köslin, als er am 18. Juni in det
Paulslirche die Uebertragung der pro
oisorischen Centralgewalt an Preußen
beantragte, von allen Seiten, ja fast
von allen Bänken her ein schallend-es
Gelächter entgegenschlug; ein so schal
lendes, daß es bis nach Potsdam hin
aufscholl, allwo es sofort ad notam ge
nommen und dreimal schwarz unter
strichen wurde.
Am Z. April im folgenden Jahre,
als die Parlamentsabordnung die
deutsche Kaiserlrone in’3 Berliner
Schloß trug, hat dann Friedrich Wil
helm der Vierte für dieses Paulss
tirchengelächtcr vom 18. Juni 1848
seine vollwichtigc Rache genommen.
Trotzdem und alledem.
»WeheDem,dersichanmaßt,
was ihm nicht zukommt.
Es bleibt jedenfalls wahr, dasz es
für die konservativen und liberalen
Kaiserlinge wie die ehrlich-ste, so auch
die beste Politik gewesen wäre, wenn sie
schon im Mai und Juni 1848 das
preußische Kaiserthum offen auf ihrre
Fahnen geschrieben hätten.
Wer würde denn damals, sobald der
König von Preußen Ja und Amen ge
sagt hätte, etwas Nennenswerthes ge
gen dieses von der preußischen Armee
gehaltene deutsche Kaiserthum haben
aufbringen können!
OesterreichLZ Das lag in Todes
wehen. RußlandZ Die Beine wür
den unter dem Koloß eingeknickt sein,
scswie er sich in Marsch gese t hätte.
Frankreichs Das hatte a e Hänsde
Voll zu thun, um sich zur Junischlacht
im eigenen Hause zu rüsten. England?
a, wenn flegelhafte Timestlrtitel
chwerter wären. Die deutschen Für
sten? Oh, die wären froh gewesen,
wenn der preußische Kaiser seinen
Mantel schützend um ihre Civilisten,
Domiinen und Apanaaen geschlagen
hätte-. Die deutsche DemokratieZs Ka
n-:nen und Bajonnetten gegenüber find
Worte nur Wind. Das deutsche
Voll? Das hat niemals-: ein-In Willen
gehabt, sondern stets nur »fronm1e
Wünsche«, nnd würde, mit einigem
Takt Dazu connuaudirt, seinem Kaiser
zugejubelt nnd oie Pferde ausgespannt
haben, wie die Tiroler dem ihrigen
thaten. Jedseuncch: hätte Friedrid),1ttil
helm der Vierte im Mai oder Juni zu
der Fiaiferwahl durch das- Parlament
JO und Amen gesagt? Die Antwort
gibt ein Brief deg Königs, datirt bom
K
J:·;. v-8.’--ecern’rer les-PH, also aan einer
Zeit, ali- seine bevorstehende Waln zum
Lstaiser der Deutschen für die Mehrheit
in der Paulgtirche schon eine ausge
machte Sache war. Der Brief irsar an
Bunsen gerichtet, welcher am ti. De
cember dem Könige dringend zur An
na-i)me der ziaisertrane gerathen hatte.
Friedrich Wilhelm schrieb seinem Ver
trauten also: »Ich verstehe Sie nnd
sure ttiiiissoiineitieiitg; Sie aber nicht
die irr-einigem sonst hätten Sie nicht so
schreiben können, d. tx. Sie iiätten dann
nicht den absoluten Hindernisse-m die
zwischen mir und der ! ! ! Kaiser
lrone stehen, einen leichten und leicht
zu veseitigenden Namen geben können.
Sie sagen swörtlich wie Herr von
Gagern mir sagte am Zis. nnd 27. v.
«.I.Ii.): »Sie wollen die Zustimmung der
Fürsten; gut und recht, die sollen Sie
l)al)en.« selber mein theuerster Freund,
da liegt der Hund begraben: ich will
weder die Zustimmung der Fürsten zu
de r Wahl, noch die Krone. Ver
stehsin Sie die niartirten Worte? Jch
will Jlmen das Licht darüber so kurz
und lkell alg möglich schaffen. D i e
Krone ist erstiich teine lstrone Die
mitne, die ein Hohenzoller neyaieis
diirste, iv e n n die Umstände es inögs
lich machen könnte n, ist keine, die
eine, wenn auch mit fürstlicher Zu
stimmung eingesetzte, aber in die revo
lutionäre Saat geschossene Versamm
tnng macht (dang le genre la couronne
des paotg de Lunis Philippe), sondern
eine, die den Stempel Gottes trägt, die
den, dem sie ausgesetzt wird nach der
heiligen Ordnung, »von Gottes Gna
den« macht, weil und wie sie mehr denn
34 Fursten zu Königen der Deutschen
von Gotte-s Gnaden gemacht und den
letzten immer der alten Reihe gesellt.
Die Krone, weiche die Ottonen, die
Hol)enstausen, die Habsburger getra
gen, kann natürlich ein sJoherizoller
tragen. sie ehrt ihn überschwänglich
mit tausendjährigcm Glanze. D i e
aber, die Sie leider meinen, verunehrt
überschwänglich mit ihrem Luder eruch
der Revolution von 1848, der tränen
sten, diimmsten, schlechtesten -—— wenn
auch, Gottlob, nicht bösesten dieses
Jahrhunderts
(Fortseßung folgt.)