Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 09, 1898, Sonntags-Blatt., Image 13

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    c- —-.-.·-..-.. -.-.—.
1848
Ein weltgeschtchtltches Drama.
Von Johannes örherxx
Okottsetzunw
Alle die Sünden Ler Franz-Mena
nichtigleit schlugen jetzt zu revolutionä
ten Giftblüthen aus· Der Druck der
Schasschurpolitit hatte seit Menschen
altern den Veltsgeist so nnerbittlich
gufammengepreßt und niedergewuchtet,
aß cr jetzt, plötzlich freigeqeßen, un
möglich über das Niveau linvilclicr
Phantasmagorien, dunkler Jnstinlte
und untlarer Vorstellungen sich zn er
heben vermochte. Der ganze Bodensag
von Unverstand, Rohheit, Bosheit m-.
Zuchtlosigleit, welchen das »Syltcin«
an ehäuft hatte, kochte und brodelte
allein wüster Gähruna und schlenderte
nach allen Seiten hin seinen elelhaften
Schmutz, seine pestilenzialischen Mias
rnen. Mut-S nnd Reitunaen schossen wie
Pilze aus dein Boden und wucheiten
wanzenhast. Wien hatte seine hundert
Blätter und Blättchen und alle wurden
von gierigen L ein förmlich verschlun
gen. Jn dieser tadt, welches ein ii.sa
mes »System« zu einem Orte gemacht,
von welchem sein qenialster Bewohner,
Franz Grillparzer, gesagt hatte:
»Schon bitt du« doch gesiihrlieh auch
Dein Schiller wie dein Meiner;
Verderdlich weht dein Soniineihaucly,
Du Kapua der isteisierks ----
ja, iii diesem Wien, das noch vor weni
en Iman die Lieblingsheimath denk
riiger usikdudelei und geistloser
Theaterspektakelei gewesen war, in
demselbenWien war über Nacht die Be
friedigung einer zügellosen politischen
Hör- und Lesewuth zum Haus-thean
gen siir alle Volksklassen geworden. Es
war nicht anders, als sollten und woll
ten die armen Wiener binnen wenigen
Ta en und Wochen einholen, was sie so
vie eDerennien hindurch hatten versän
inen müssen. Die Beschäftigung mit
den öffentlichen Angelegenheiten, ison
welchen sie mittelst List und Gewalt
Jahrhunderte lang sernaehalten wor
den« wurde ihnen zu einem täglichen
und stündlich-n Bediirsniß, zu einem
Fieber, zu einer Sucht.
lind aus wag alles iiir Schüsseln,
Krippem uttertiöqen und Zum-hebe
höltein s langen sie die langentbehrte
politische Nahrung! Um eine Vorstel
lung davon zii bekommen, muß man
das Gegrunze anhören. das ein Mah
ler in seinem »Freimiithiaen« losließ.
welches Blatt es bis zu 60,000 Liban
nenten brachte, oder muß man mit
ansehen, wie ein Hiisner. den kombi
nismus karikirend, in seiner »- onsti
tution« blutbenaeltr.
Allerdings gab es auch geistvolle,
reich ehildete, scharf und sein stili
siren e Publizistem aber nicht viele,
und wenn man etwa ein Dutzend der
damaligen Wiener Journalisten,
Straßen -Miral)eai:s und Kneipem
Nobespierre’s ausnimmt, so sind die
übrigen sammt und sonders unbedenk
lich in die Rubrik Gesindel zu weisen
und war in des Wortes aesindelhaste
ster «- edeutung.
An «enei Bande laa es nicht, wenn
die »eriedliche Anarchie«. welche seit
dein 15. Miirz in Wien herrschte, voi
deihand noch ihren gutniuthigen Cha
ralter behauptete. Die Straßen: und
Rneipenpolitik war zwar sehr ver-—
schwenderisch mit Blutphiasen, sie
wußte jedoch erst den Gistbrodern kürt
märschiger Machenschasten einathmen,
um sich von Blutphrasen zu Blutthaien
fortieißen zu lassen.
Derxnolen noch war die Wiener
»Freil)eit« ein toller, augbündig toller
Faschiiig; sehr lralehlerifch, tumultas
nich und störfasn zwar, aber doch nicln
eben bedrohlich und gefährlich. Frei
lich, der Lärm und Trabel war arg.
Feder Tag gebar eine neue Ungeheuer
chleit, wenn auch nur in Worten. Der
Cynismus war Ttuknpf und der nach
gemachteSanscullotigmug so in Wien
auch noch das hemd aus« ss ie Aula
machte Wellgelcbichle und das Voll der
Pbiialen schwelgle in Straßenauiliiw
sen und Kahencnusilem wie es vordem
inBackhöndeln und Strauß’schen Wal
zetn gelchwelgt hatte.
Ein Sprung nat-il Preußen
»Wir lznben »Alle-L was
mir wrllen.«
Wie sah es derweil in der preußi
schen hauptstadl aus« Jm Einzelnen
trenlger chaotizclx weniger reinlich. run
listrter reinl cher, aber im Ganzen
des n at viel besser. Der Berliner
M rz lister übetwoa an polmlchet
Cinstxi den Wiener nicht um ein-haar
Als rang Raveaur am Abend des
19. örz eine Anzahl von qusgezelch
nelen Capaeilöten der Berliner Vier
gerfchait aufmerksam machte, daß es
nöthigATL bestimmte Büralchaflen sur
das feniliche der Volks-rechte zu
fordern,gaben ihm diese »Capncild
len« wdrtllch zur Uns-vom »Wir
ba b c n ja Alles, was wir brauetäm
Wir selbst selbst sind seht am e
isnent und wer soll uns denn unsere
z reibeit wieder nebmen7« Gegen sol
chen Siegediinlel und solches Weiß
tiettrinlevBewußtlezn wurden auch
Gdltee vergebens-gelanwst haben
Ei wurde ünrtaens bald offer-hat«
daß der beschränkte Unierlhanenveri
I stand vor der, ei wußte nicht wie, ihm
ungepflogenen Kühnheit cin Revolu
tiönchen gemacht zu haben, im Inner
·ten ficheziifeizte und zerrnircht ch
mkehr in oie Geleise trenaeborsamer
1 linierthiinigteit suchte. ·
Die Frage-, ob Republi!. ob Monat
, chie, ist in Berlin kaum ernstlich aufge
"worsen und jedenfalls zu keiner bei
. langreichkn Debatte gebracht worden.
» Das Königthum war den Preußen so
. nachhaltig einexercirt, daß von einer
« Jnfragefiellnng desselben keine Rede
» sein konnte. :
Jm Uebrigen ist die Durchblätte
: rung des Berliner Frofchmiiufelrieges
vorn Frühling 1848 mitunier er ötzlich
genug· Der Berliner Witz lie schon
dann nnd wann die künftian Helden
thaten des ,,Kladderadatsch« erraihen.
Jn der Breiten Straße war in der
Nacht vom 18. auf den 19. März in
) einer Brunnensänle eine Kanoneniugel
I stecken gebliebm und unter diese Kano
k nenlugel klebte tier Voltshumor die
j lönigliche Protlcmaiiom »An meine
i
i
f
E
i
i
beste dieses schlechten Witze. Die politi
. sche Dichteret, wie sie sich zur Feier des
I »Volkssteges« laut machte. war fürch
s terlich Auch Damen ergossen ihres Bu
sens überwallende Gefühle in Ing
j lieben Berliner«. Das war freilich der
blättern, angefüllt mit Versen, us
rusun szeixhen und Gedankenstrichm
Eine - iichterin, »die an den Baritaden
gekämpst hat,« Luicia Lenz, besang
die Studenten also:
»Wer es gesehen, wie diese soeldenlnaben
Beim Morgenroth nach jener blutigen Nacht
, Den Männern aus dem Volk die Hände
s gaben,
s Der glaubt on der Verbriiderung tüustige
! Pracht« —
s und der Schneider Gustav Worch scr
I tigte sich-selber ein« Adelspatent aus
I und ntanisestirte seine Kühnheit:
i
l
i
»Ja, srrier Einn, das ist mein Vlkelz
Ztiilm blies ich so den stärksten an.«
Auch Oftiziere mischten beifällig ihre
Stimmen in das große Vollssiegassw
bel:C-oncert. So z. B. der Artillerie
Lieutenant Oel e, welcher seinen sta
meraden zurili: »Das war keine
Emeutel Das war der Sturm eines
sich großartiq erhebtnden Voltesl Einst
wurde das schwarzrothaoldene Band
in bedrohter Heimlichleit aetiißt, jetzt
netzt dasselbe hoch vom löniglichen
Schlosse und aus jedem Hause. Das
begeigerte Volk wogt durch die Stra
gen
Strome der eit entgegenzutreten Las
sen wir den teisen, alten militiirischen
Düntel dahinsahren und schließen wir
uns der Bewegun willia an.«
Diesen Anschlu haben verschiedene
jüngere Ossi iere wirklich und aufrich
tig versucht, sind aber übel dabei ge
fahren.
Auch die Kluft zwischen Bourgeoisie
nnd Proletariat mußte nothwendig
zum Klassen kommen. Jn einein Artikel
der ,,Zeitungshalle« vom Zit. Mär
legte Julius Schneider den Finger aui
die große Wunde der modernen Gesell
s st, indem er unter Anderem sagte:
» ie Wahrheit ist, dasr auch bei nns
wie in Frantreich und in England der
Bruch zwischen der Büraertlasse und
der Arbeiterllassc schon vollendet ist.
Nicht zwischen dem Adnigthum nnd der
Republik ist Krieg, sondern zwischen
den Besitzenden und den mit ihrer Ar
beitskraft zum Besttze Drängenden.
Unsere Bürger fühlen dies gar wohl
nnd darum beginnen sie schon jetzt,
schon nach dem ersten Tage unserer
glorreichen Revolution aus allen sträf
ten riickwiirts zu ziehen.«
Jn der That, die Angstpbilisterei gab
sich zwischen hinein bereits tvimiaernd
und winselnd kund und wie zur Bestä
tigung des le ten der soeben angeführ
ten Satze rie schon am 2. April ein
Ruheröchler n der »Sdener’schen Zei
tung« den Ministern zu: »Katilina ist
vor Euren Thoren und Ihr schlasM
Katilina, das ist: der schlimmsteIeind,
das gedcnlbar böseste Prinzip ist nicht
blos vor Euren Thore-r, nein. bei Wei
tem schlimmer, er wüthet in Euren
Strecken, Euren Gassen, Euren Häu
lern
st das etwa Canaille? Wehe uns, ;
wenn wir es versuchen wollten, dem ’
n allen Familien, er toiithet in »
allen Zweigen Eurer Verwaltung und
Jhr öchlasM Dieser schlimmste Feino,
dem rit 14 Tagen alles. alles mehr an- .
heimsällt, ist die blindrasende Anak
chie, die, je leichter sie alles zerstört, um
so weniger etwas neu zu gründen oder
das alte in bessere Form unuugestalten
vermag.'« ;
Wenn Wimmerle öd Co. schon ietzt j
in der jauptstadt selber tvimsnerten,
wie rnu te die Sache dann insbesondere
in den ogenannten alten Provinzen .
angesehen werden? Auf dem flachen
Lande, wo ja der Feudalicrnuz noch ;
ungeschwächt storirte, tonnten das-Jun
terthum und die Pietisten sofort ihren -
gemeinsamen Arie gegen die Be
wegung beginnen. ie »Zeitungshalle«
brachte schon vom 29. März an eine be
Hsndere Rubrit »Die Reattion in den
rovin en« und machte unter anderen
usla ringen dieser Realtion eine
Adresse namhast, welche insMaqdeburi
gifchen circulirte und hochherab los
wetterte auf den ,,nichtswiirdigen Pö
bel der Hauptstadt, welcher, von Polen,
Juden und Franzosen verfiihrt und
angeführt, gegen unseren Herrn nnd
König sich empört hat. Wir sind jetzt in
Gefahr, der Willkür dieses deels
preisgegeben zu werden. llnser Leben
und Eigenthum, unser Vaterland und
unser Glaube ist auf-? Höchste bedroht·
Aber Berlin ist nicht Preußen; wir
wollen nicht, daß Berlin mit seinen
Satrapen uns beherrscht und luechtet,
wir wollen auch initfprechen.«
Auf derartige Schatten, welche die
Zukunft voraugivarf, achtete man Ie
doch vorerst in der preußischen Haupt
stadt wenig over gar nicht. Die Masse
der Nutzniexeer des für etliche Wochen
eftiirzten5 andarinen- undSolduten
fäaates og es vor, ihren Protest gegen
das Geszchsehene in die schwergsaineForm
der Einigration zu kleiden. Potsdrcm
wurde demzufolge das vreußische
Koblenz. Die Schildhalter des gefalle
nen Systems schüttelten ten Staub der
fündigen Hauptstadt von ibren Füßen,
um in der feudalen Hülle der Provinz
dasMirateldeIolt der wissenscheftlichen
Umkehr oder umgekehrten Wissenschaft
zu präpariren.
,,Hurrah dem Hecke!«
E s g i n g zwar langsain,3
a b e r s i eh e r. s
Das fieberhaft bewegte Berlin zeigte I
in echtpreußischen Augen eine auffal
lende Leere und Oede. Eine Menge von
chöncn Wohnungen stand leer, das
allet feierte, Equipagen wurden mehr
und mehr zur Seltenheit, es fehlten die
Mandarinentnövfe, es fehlten die Uni
formen, es fehlte vor allem die »Jarde«.
Ein ,.jardelofes« Berlin war ja lein
rechtes Berlin mehr. Wenigstens be
haupteten das die vereinigten Mit de
und auch noch andere feurigePatriottn- ·
nen. Das Spiel mit der Walfischtrune
Burgerbewaffnung war eben Spiel ge
blieben und das Institut der Bürger
wehr schon im Entstehen zur bloßen s
Polizei-anstatt umgefiilscht worden. s
i
(
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Uebrigens war gar tein ernstlicher
Versuch gemacht worden, dem Solda
tenthuui ein Ende zu bereiten und so i
ist es nicht zu verwundern, daß sich die »
Sehnsucht nach der Rückkehr des Mi- ’
litars sofort geltend machte. Ein erster
Versuch, zwischen der iiber ihre »unge
rechte Demüthigung« und die ihr ,,nicht .
durch eigene Schuld widerfahrene
Schmach« grollenden Soldatenschast
und der »alorreichen Berliner Revolu
tion« eine Versöhnung zu stiften,
nude schon am 24. Marz gemacht.
An diesem Tage fand nämlich die
Beerdigung der im Straßentampfe ge
fallcnen Soldaten auf dem Invaliden
lirchhofe statt und Ulbisrdnungen des
Studentencorps und der Biirgerwehr
wohnten der Feieruchteit an. Als am
Schlusse derselben der General von
Natzmer im Namen der Armee fiir die
ungeheuchelte Theilnahme der Bürger
schaft dankte, brachten die anwesenden
Bürger in allerForm ein »Hurrah dern
Heere« aus.
Bis zur Garde nach Potsdam
hinüber scheint dieser Bersiihnungskuf
rcech nicht gedrungen zu fein. Wenig
gen-z fand der Konig am folgenden
s age für gerathen, nach Potsdam zu
fahren, das gesarnmte Offizierscorpg
der Garde ing dortige Schloß zu be
fehlen und diese Versammlung also
anzusprechem »Ich bin gekommen, um
meinen lieben « otgdainern den Fries
den zu bringen und ihnen zu zeigen,
daß ich in jeder Beziehung ein freier
König bin; den Berlinern aber auch
zu beweisen, daß sie von Ltoigdaiii aus
teine Reaktion zu befürchten haben.
Was ich gegeben und gethan habe, das
lsabe ich aus vollster und freier Ueber
zeugung gethan· Die großen Erch
nisfe haben nur den Abschluß oeszs
längst Vorbereiteten beschleunigt und
keine Macht tann und wird mich nuu
bewegen, das Gegebene zurückzuueh
nstn. Auch habe ich die ererzengung
gewonnen, daß es zu Deutschland-J
Heil nothwendig, mich an die Spitze
der Bewegung zu stellen· Jn Berlin
lserrscht ein so ausgezeichneter Geist in
der Bürgerschaft, wie er in der ttte
schichte ohne gleichen ist. Ich wünsche
daher, daß auch das Osfiziergcorpe
den Geist der Zeit ebenso erfassen
möge, wie ich ihn erfaßt habe, und daß
Sie alle von nun an ebenso als treue
Staatsbiirger sich bewähren mögen,
wie Sie sich als treue Soldaten be
trährt haben«. »
Die herren von der Garde nahmen
dicke königliche Ansprache »mit stiller ’
Re tgnation« hin. Sie mochten denken: z
Ert muß Se. Maiefttit wieder
»ftramm" gemacht werden; dann laßt i
kratz weiter reden oder vielmehr han« «
e n. »
Zuvörderlt lag ein willloinmenegi
Auglunftsmittel nal1e zur Hand, den
Truppen. welche in Berlin etämpft
hatten, eine alänzende ,,Re bilitai
tivn'« zu verschaffen: der Krieg gegen
Dönemakl, in welchem sich ,,Papa«
Wrangel die Lorbeeren holte, womit
geschmückt er der Zeld der Epoche des
»Bruchs niit der evolution« nnd der
»tettenden Thaten« werden sollte.
Am 23. April erstiirmten die preu
ßischen Garden in glänzendem Anlauf
das Dannenwirle ei Ochleswiq und
am folgenden Tage wurden die Dänen
ahch von den Hannoveranern unter
Hallett bei Overfee geschlagen. Am
18. Mai über-schritt Wrangel die
Grenze von Jütland und zeigte sich mit
Drohungen und Kontrihutionssheisciis7
uisgen als ein ganzer Marschall
,.Druff«. Niemand dachte, daß die
Ganz Sache so bald eine so klägliche
Wendung nehmen würde, ausgenom
inen Die, welche diese Kläglichkeit
planten und in Szene setzten.
Zur selben Zeit aber, wo preußische
Trupp-en in den Elbherzogthiimern fiir
eine iiatioi.ale Erhebung sod)ten, wur
den ihre Kameraden befehligt, eine an
dere in Prer niederzuschlagen Das
nationcle Wünschen, Wollen und Wir
lcn der Polen ließ sieh mit den Inter
essen der 50(),000 deutschen Bewohner
der Provinz nicht gut vereinbaren und
viel weniger noch mit den Rücksichten
des preußischen Hofes auf stinßlaud
Der König hatte auf den letzteren
Punkt schon arn 23. März in seiner
Ansprache an eine polnische Deputas
tion, an deren Spitze der Erzbischof
Pizhlugli Von Posen stand, offen hin
Ilviesen mit den Worten: »Ich bin den
aiser von Ruleand mit flehendlicheu
Bitten angegangen, daß er nicht ein
schreite, Und ich habe die Versicherung
erhalten, daß er dies vor der Hand
nicht thun wolle. Auf sein Wort kann
ich mich fest verlassen; denn sein Ent
gchlusz ist unerschiitterlich, er ist ein
liann von eisernem Willen, von dem
edelsten und festesten Charakter, der
n.Echtigste, weiseste, der alleinige unter
den Souveränen Europa’5, der seine
Macht mit unerschijtterlicher Kraft
aufrecht zu erhalten weiß. Sein Wort
ist ja, ja; nein, nein. Wenn aber mit
odrr ohne meinen Willen eine freie
nationale Entwickelung im Großher
zrgthum Posen versucht werden sollte,
die auf seine polnischen Provinzen von
Einfluß und mit Gefahr für dieselben
verbunden wäre, o würde er, hier
durch gereizt, zum chutze seines eige
nen Reiches sofort seine Truppen in
Poan einriiclen lassen.«
Dann erinnerte Friedrick Wilhelm
an den unglücklichen Ausgang der pol
itischen Erhebung von 1830, was ein
Mitglied der Ell-ordnung Kraszewsli
zu der Aeuszerung reizte, ja damals
habe der Vorfahr Sr. Majeftät durch«
seine Hilfeleistung an Ruhland der
Pvlnischen Sache den Todesstoß gege
ben ,,Uebrigens s— fügte der Sprecher
hinzu —- haben wir auch im Iahre
1831unglücklich gestritten, so haben
wir doch gezeigt, daß der russische Ko
loß thönerne Füße habe«.
Wogegen der König: »Ich bin ande
rer Meinun und glaube, daß der Ko
loß eiserne iiße habe«
Und wiederum Kraszewski: »Nun,
die neuesten Ereignisse haben uns be-»
wiesen, daß auch manche andere eiserne
Füße zu thönernen werden können«.
Einstweilen erwiesen sich jedoch die
Füße der Preußen eisern genug, um
die polnische Jnsurrektion in Posen
rasch niederzutreten. Es kam aller
dings zum »kleinen Kriege«, aber der
halte nicht viel aus sich. Die Polen
konnten gegen die preußischen Truppen
das Feld nicht lange halten und senk
ten am 9. Mai mittels der Sapitulag «
tion von Schroda die Fahne der Jn
surrektion, an welcher die Masse der
polniscan Bevölkerung der Provinz
aar nicht sich betbeiligt hatte.
»Nein, kein Anfang
Die Truppen hätten sich
garnichtzu»rehabiliti- :
ren«brauchen. l
Demokratische Phantasten innerhalb
und mehr noch außerhalb Preußen-e
gaben ihrem Erstaunen Ausdruck, daß,
wie der Krieg in Schleswig- olstein
und die Niederwersung des Anstandes
in Posen zeigten, die preußische Heer
maschine noch so »ut arbeitete und daß
vrsn einem »Ah all« der Soldaten
überall nennenswerthes nicht zu mer
ten war. Die guten Menschen und
schlechten Soldatenlenner wußten eben
nicht, daß der preußische Militärdienst
siir viele tausende von armen und arm
sten Teufeln ein Zustand des Behagen-«
Wclk. s- Iq4’
In den Augen der Berliner Bürger
schaft war es ül rigens durchaus iiber
slüssig und reiner ,,Luxug«, daß das
Militär, bevor es wieder in Berlin ein
rückte, vorher in Schleswig oder Posen
oder sonstwo sich »rehabilitirte«. Schon
am 2'7. März waren 14,()()0 Unter
schriften von Berliner Bürgern bei
sammen, welche die Rückkehr der Trup
pen wünschten und verlangten. Diese
tausende bestanden theilweise aus«-, Ge
werbetreibenden, Wirthen und Krä
mern, deren Geschäfte durch den Weg
zug des Militärs empfindlich gelitten
hatten, und theilweise aus reichen
Zähneklapperern, welche die Angst vor
dem ,,roth- Gespenst« nicht mehr
schlafen ließ, bis re sich und ihre Kas
setten wieder unter dem Schutze von
wirklichen Und ordonnanzmäizigem
nicht bloß nachgemachten, dilettan
tischen und bürgerivehrlichen Bajon
netten wußten.
Man darf dies der Hoch-Vourgeoisie
nnd Börsenbaronschast nicht übelneh
inen. Jhr reichsein ist nur ein »dan
gen und bangen in schwebender Pein«.
Bei Tag und Nacht raiint ihnen ihr
papierener Reichthum in die Ohren:
Der Schwindel hat mich gegeben, der
Schwindel kann mich wieder nehmen.
Sie fühlen sich unbehaglich in all ih
rem Luxus, weil der Triebsand, auf
welchem die ganze Herrlichkeit ruht,
stets unter ihren Fußen zittert nnd-.
vlriistert. Sie athmen Furcht ein und
Niedertracht aus. Der Kot-vorang
mus ist ihr Jdeal und ihre ganze Mo
ral und Politik faßt sich in den Satz
zusammen: Ruhe um jeden Preis, da
mit wir ungestört weiterschwindeln
können!
Es bedurfte ar,nicht der weitschiche
tigen Machens asten des Herrn Mi
nutoli, des »Vollgmanng« Urban und
anderer Mai-her, um das Verlangen
nach der Wiederherbeiziehung von Mi
litär als einen Gesanimtwimsch Ber
ltns erscheinen zu lassen
Man ließ ohne viel Mühe Behaupt
leute der Bürgern-ehrt ,,Namens ihrer
Bezirke« den Wunsch nach Mititär
aussprechen; am« Zis. März that dies
der Magiftrat von Berlin ebenfalls
und am 29. folgte die Stadtverordne
tenversamml ng nack.
Der »politische« uub redete zwar
ein Bischen gegen das Her-einholen der
Truppen, aber nur gegen ein ,,vorzeiti
es«
er allgemeinen Stimmung verloren.
und fein Gerede ging im Lärm .
Später haben Mouchards gefabelt, l
die Demokraten hätten ich vergebliche
Mühe gegeben, das Volk gegen den
Wiedereinzug der Truppeni »auf-zuwie
« ; · ' » C
f i
Feln . Wahr ist nur daß eine a .1 »O.
Jtärz bei den Zelt-en itattgehabte
Volksversammlung nachträglich gegen
die ,,ijbereilte Wiedereinfiihrung von
,Militär'« einen Protest beschloß- also
eine läppifche Formalität.
Die militärische Umgebung des Kö
nigs konnte natürlich nicht so hai«tl»)er
zig sein, der petitionirenden Stimme :
von Magistrat, Stadtverordneten und .
Bürgerschaft der Hauptstadt widerste
hen zu wollen. Schon am Nachmittage
des 30. März rückte das Ost. Jnfante
rieiRegiment in Berlin ein, feftlich ein
«eholt von Bürgerwehr- nnd Arbeiter
orps. Beim botanischen Garten erwi
derte der Oberst des Regiment-3, Ehr
hardt, die feinen Leuten vonSeiten Ier
Berliner gewordene freundliche Begrü
ßung mit den Worten: »Freunde. wir
kommen zn Euch, nm mit Euch«1e1ncin
fchaftlich Ruhe und Ordnung zu wah
ren und den neuen Geist sich entwickeln
zu helfen« welche Worte darthum
daß au Regimentsoberste in die seit
etlichen akzen modisch gewordene fa
con de par er leidlich sich zu finden
wußten. Am folgenden Tage zogen 2
Bataillone vom 9. Regiment ein nnd
am 3 April folgte das st. Matten-Re
giment.
Die Soldaten waren wieder da:
Preußen hatten sich wiedergefunden
»Viel Gesause-, wenig Wollen
Ein Ministerium aus der
Operette.
Die Geschichte des preußischenMärz
n«ini«teriums, auch »Beschwichtigungs
iisiniiteziuin'« genannt, in welches im
April noch Herr von Patow als Han
delsminister eintrat, ist bald geschrie
ben. Sie lautet: Wenig Talent und
kein Charakter, Viel Geschrei und we
nig Wolle, große Worte nnd kleine
Thaten.
Diese Herren Minister vom 29.
März waren ganz unzweifelhaft vor
treffliche Privatleute: nur leider waren
sie nicht solches Zeug, aus welchem eine
große Zeit große Staatsmänner macht.
ie konnten sich alle mehr oder weniger
Liberale nennen und ihre Politik war
demnach jenes Amalgam von doctrinii
rein Dünkel und serviler Prain, von
Allerwcltsangendienerei iin Reden und
einseitiger Parteilichkeit im andelu,
welches man ootmärzlicheci Liberali5
mirs-' heißt.
Bis zu welcher Beschränktheit des
breußischen Unterthanenverstandeg die
ses Ministerium eg im Nothsalle brin
gen tönnte, war schon dadurch ange
deutet, daß ein Mitglied desselben, der
»liberale« Herr Gras Von Schiverin,
wenige Wochen vor Ausbruch der
Märzbewegung bei Gelegenheit der
Strafgesetzeberathung durch die Aus
chiisse des Vereiniqten Landtags eine
estimmung begeistert vertheidigt und
auch glücklich durchgebracht hatte, wel
che Zuchthausstrase aus Beleidigung
verstorbener Mitglieder der königlichen
Familie setzte. Schade, daß der »libe
rale« Graf nicht im niittclalterlichen
Byzanz lebte-, er hätte verdient, Mini
ster des erlanchten Hauses der Paläo:
logen zu sein.
Man hat als von etwas großem, in
den Annalen Preußens unerhörtem,
man hat alcs von einer tbatsächlichen
Anerkennung der Revolution durch die
Krone davon geredet, daß die beiden
bürgerlichen Herren Kampshausen nnd
Hansemann »aus ihren Kontoren iiber
alle Köpfe der erstaunten preußischen
Bureaukratie hinweg in das Ministe
rinm Friedrich Wilhelmg des Vierten
getragen worden seien«. Wenn aber-,
wie geschah, die Herren Kante-hausen
und Hansemann als oiel zu unfähig
und nnentschlossen sich erwiesen, den
starren Bann und eisernen Zwang des
preußischen Bureaukratigmug nnd
Militarigmug zu brechen, ja wenn sie
Vor diesem Bann und Zwanq anbetend
aus den Knieen lagen, so inuß der ge
sunde Menschenverstand sagen, die bei
den Herren wären besser in ihren Kon
toten Hu Köln und Aachen sitzen geblie
ben. Lln der Spitze des preußischen
Märzuiinisteriumg denn sie stan
den an der Spitze desselben -—- haben sie
nur die traurige Unsäbiateit der Bours
eoisie dargethan, großes arosz zu fas
sen und zu führen.
Mit der anzen Selbstgesälligleit,
welche dein Ziberalismus zu ei en, hat
Herr Kamphausen das Ministerium
dem er vorsaß, in einer am 26. Juni in
der preußischen Nationalversammlung
gehaltenen Rede ein solches genannt,
welches »nach seiner persönlichen Zu
«iamniensetzung eeiqnet war. denStaat
? bnelebensgesazrliche Zuckungen über
die Kluft, welche das alte System von
dem neuen trennt, l)inüberzufiihreu«.
Aber wurde denn der Staat wirklich
über diese Klust hinübergefiihrtZ
Nein!
Jst wirklich ein neues System an die
Stelle des alten getreten?
Asoermals nein, denn die Ver
brömung und Umslitteruna des alten »
Systems mit constitutionellein Firle
sana war doch wahrlich nichts der Art.
Herr Kamphausen und seine Colle
gen ließen bei jeder Geleaenheit oder
auch Richtgelegenheit emphatisch mer
l
i
l
—
ken, daß ce sich vor Allem dazu beru
En glau ten, als Schilde vor den
hron sich zu stellen
Das war freilich eine ebenso leichte
als dankbare Aufgabe. Und wahrlich,
ein Anblick von großer Komit ist es ge
wesen diese sonst so erzprosaischen
preußischen Märzminifter als richtige
Don Quixote s mit der Lanze der Le
itimität gegen die Windmühle des
Zintiroyalismus anrennen zu sehen.
Allerdings war diese Tapferkeit eine
sehr ungefährliche. Gefährlicher wäre
es schon gewesen, statt für das unbe
drohte Konigthum donquixotisch f :ch zu
erhitzen, für die sehr bedrohten »März
errungenschasten« ernstlich einzutreten.
Kamphausen Cz Co.
Sie hatten
undAll
An schönen Phrasen hat es natür
lich nicht gefehlt. In der Rede, womit
der Herr Ministerpräsident Kamphau
sen den wiederversammelten Vereinig
ten Landtag am2 April eröffnete,
hieß es: »Das preußische Volk, indem
es die freie Berathung seiner wichtig
sten Angelegenheiten in der Presse und
in öffentlichen Versammlungen ange
treten hat, darf nicht verkennen, daß
nur im Kampfe der Ansichten die
Wahrheit durch-bricht, daß zur Wah
ring der Freiheit jede Meinung mit
voller Berechtigung und ungehindert
sch muß autzern diirsen«.
Das klang in der Theorie ja ganz
liberal, in der Praxis aber verhielt sich,
wie gewöhnlich, die Geschichte etwas
anders-.
Nichts gelernt
s
e vergessen
Run, der ute Landtag, welcher nach
den Märzge chehnissen nur die Bedeu
tung einer historischen Curiosität ha
ben konnte, überliberalisirte unächst
noch den märzministerlichen Liberalik
mus. Es war eine nette Komödie und
,t;ie Abgötterei, welche in jener Zeit
Seitens einer gedankenlofen Straßen
Idemagogie mit dem Abstraktum Volk
. oder auch mit den Conkretum - Prole
f tariat getrieben wurde, konnte gerade
? zu Eke erregen.
» So kamen denn die Wahlen zum
i deutschen Parlament heran. Am 1.
’Mai traten die Urwähler zufammen,
um die Wahlmänner zu erkiesen« am
8. Mai wurden durch die Wahlmanner
die Abgeordneten zur preußischen ton
stituirenden Versammlung, am 10.
Mai die Vertreter Preußen-Z im deut
schen Parlament ernannt. Diese Wah
len, insbesondere die für das preußische
Abgeordnetenhaus, gaben dem März
niinisteriuni keineswegs ein Vertrau
ensvotuin Die bürgerlichen Mittel
klessen hatten in weit überwiegender
Mehrzahl ihre Kandidaten durchgesetzt
und diese Wahlen legten unwider
sprechliches Zeiigniß ab, daß die Stim
mung in diesen Volkskreisen zur Zeit
weit mehr eine radikale als eine libe
rale war. Mit anderen Worten, die
bürgerlichen Mittelklassen in Preußen,
dazumal noch nicht müde, mißtraiiisch
und iiieinnienhast geworden, wieTxie es
später wurden, zeigten durch ihr ahl
votum dein Ministerium, daß sie den
Neu-Aufbau Preußen-J und Deutsch
lands anders und entschiedener zur
i Hand genommen wissen wollten, als
s bielaiig geschehen war. Sie gaben
i
durch ihr Wahlvotum deutlich zu er
» kennen, wie sehr sie wünschten, das
! Märzministeriuni möge sich nicht län
s ger zum Narren und Handlunger der
s Hoskabale hergeben, sondern im Sinn
i und Geist der Märztage vorgehen und
! die klägliche Ziveiächselei fahren lassen.
Was gaben nuii die Herren Kamp
hausen, Hansemann und Konxorten
! aus diese Mahnung zur Antwort- Nur
! einen neuen groben Mißgriff, welcher
L zugleich ein Frevel an Deutschland
? war. Schon durch die Wahlergebiiisse
stupifizirt, ließen sich die Minister
durch hösische Ohrenbläsereien so der
« blenden, daß sie hüben in Berlin schon
I den leibhaftigen Teufel der Anarchiie
! und drüben in z- ran fiirt des Teufels
I leibhaftiae Großmutter, die Revolu
! tion, vor ihren Augen heruntertanzen
l sahen. Diese eingebildete Gefahr zu
beschwören, kamen sie auf den Einfall,.
den Teufel durch seine Großmutter zu
bekämpfen und umgekehrt, d. h. Berlin
durch Frankfurt und Frankfurt durch
Berlin lahmzulegen, das deutsche Par
lament mittels des preußischen und
das preußische mittels des deutschen
!
zur Ohnmacht herabzuqitängeln Ei
nin anderen Sinn konnte der Beschluß
deg- Ministeriuins, daß die preußische
»?Itationalversammlung« zur tleichm
Zeit mit der deutschen tagen go t,e gar
nicht haben. Dieser Beschlu welcher
dein deutschen Parlament einen seiner
besten Lebengnervem vielleicht geradezu
den Lebens-new durchschnitt, war ein
schnöder Verrath an der Nation Aber
die Herren vom Ministerium Kamp
hausen sagt man, haben die un nelluie
Tragweite dieser thörichten S
nehme nicht vorhergesehen. Mag sleuin;
Leute jedoch, welche so sehr aller Vor
sicht baar und ledig sind, sollten nicht
die Anmsaßun haben, einen Staat
linken zu wo en, und wenn behauptet
worden ist, die Minister hätten sich
auch in dieser Sache, wie in vielen an
deren, ihrer besseren Einsicht entgegen
den Antrieben der Hofkabale ge iigt, so
mildert das, falls es wahr, die trenge
des Urtheils über diese Märzniinisterei
gewiß nicht« sondern verschärst dieselbe
fFortsetzung solgt.)
» nur noch.
Wechsel
:«’,iielithaiisdireetor tzii dem neuen Streif
lingit »Mittwoct)g tönnen Sie also Besuche
empfangeii!«
Strasling lcliecnallaer Bantdiiector):
»Hm, srlilier hatte ich meinen Jour sit Mon
tilgst-«