Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 31, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

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    Sonntags - Platt:
Beim-ge des ,,-.Mz,ecger und Herold« «
J. P. Wiudolph, Herausgehen
Grund Island, Nebr» den Isl. Dezember 1897.
W
No. 17, Jahrgang 18
Das Hochzeitsfew
Von Franz Tittmar.
Schmetternde Blechmusik, Völler
schiisse, ein Zug von sestlich geileideten
Bauern und Bäuerinnen, voran das
eschmiiette Brautpaar, neugierige Zu
Tchauer auf den Wegen und an den
enstern: alles das gab den: voigtlän
dischenPfartdorf Weißenbach heute ein
ganz veränderte-? Aussehen.- Bevor
die Festgäste in die Kirche eintraten,
galt es noch ein Hindert-riß zu über
winden: zwei ,,wiirdige« Jnsafsen des
Armenhauses hatten quer über den
Weg einen Strick gezogen, den sie, zu
beiden Seiten stehend, strass gespannt
hielten. Michel Krug, der Bräutigam,
langte in die Tasche, zog zwei Zwan
igpfennigsiücle heraus, die er dem
zinlenandres und dessen Gelsilsim im
Vollsmund Schwarzamsel genannt,
in die Hand drückte, um sich dadurch
zu lösen. Nun ging’s in die Kirche«
Die Orgel ertönte; der Pfarrer hielt
eine eindringliche Rede an das Braut
Paar, wobei die Braut in hergebrachter
Weise ihr Tasclientuch rnit Thränen
netzte, und der Bräutigam ein Gesicht
machte, als thue es ihm in der letzten
Minute des Unbeweibtseins erst recht
leid, daß er sich die Bastelstrine hatte
Zuppeln lassen. Er stiesz aber das ent
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scheidende »Ja« mit einer Wucht her
aus, als wollte er den Mahnrus der
innern Stimme überschreien; ehe er
sich noch besinnen konnte, blies, trachte
und lärmte es schon wieder; er befand
sich bereits aus dem Weg zum Wirths
haus. Vor diesem hatte sich die Ju
gend des Dorfes aufgestellt und harrte
des großen Augenblicks-, too das »Aus
werfen« begann. Michel durfte sich
dabei nicht lumpen lassen; seine Trine
sollte ja fünfhundert Karolin baar als
Aussteuer erhalten. So war es von
den beiderseitigen Verwandten augae
. macht worden, und nur unter der Be
dingung, daß die Mitgift sofort am
ochzeitstaae ausbezahlt würde, hatte
ch der glückliche Bräutigam in den
Stand der hei sliaen Ehe ltineinschieben
lassen Der alte VasteL ein Hoizhänd
ler, der eigentlich Sebastian Fiandler
hieß, lächelte verschmitzt, als der
- Schwiegersohn wiederholt in dicTasche
langte, unt eine Handvoll Kuvseri und
Rickelmünzen unter die barsåißigen
ungen zu werfen. Michel hatte näm
ich eine große Unvorsichtigleit began
gen, weil er die Mitgift nicht schon vor
der Trauung verlangt hatte. Der
ärtliche Schwiegervater hielt es unter
so bewandten Umständen sijr selbstver
kindlich, daß er an der Mitgift ein
Beträchtliches k;erunterhandle; er selbst
war der Gefahr entronnen, daß der
Tochtermann — wie es anderswo
Jchon vorgekommen —- aus demBraut
vater im Drang der Verhältnisse noch
ein Paar Ochsen oder zum mindesten
eine fette Kuh berauspreßtr.
, Das Geschrei der Kinder merkte ibn
L «»aus diesen Erwägungen Man fal) im
zetften Augenblick fast nichts als Beine
aufeinander liegender Barfiifiler; aus
"dem Durcheinander löste sich bisweilen
ein Arm log, der eine Münze in die
« ihöbe hielt; eine alte Mütze ein Bii i
F hel Haare, ein Flügel einer löcheriaen i
Hacke wurden sichtbar; dann lösten sich i
;
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« inzelne Grunsen von Nanfenden ab, "
is ein neuer Regen von Kupfermün:
en, der sich in eine Wasserlache eraon
’sie tadferen Kämpfer in der Pfiitze
fiieder vereinigte. Dazwischen gellte
s wieder: schnedderedena, und in den
’aß der Böller mifchte sich schüchtern
ie Fiftel einer Schliisfelbiichse und«
as dumpfe Bumin einer alten Reiter
nistola Alle aber, Gerechte und Un
aerechte, befchien die Sonne freundlich
«a"chelnd, und der Himmel strahlte, als i
, b mindestens ein Prinx feine Wertmin- i
una feiere. Der Wirth, in weißer
Z Schürze und bemdiirmelia tiipfte das
. fäpnchen nnd bezl iticl viinichte dasl
" i ochzeitspaat Der gszua begab sich in i
-« en Tanzsaal der im ersten Stock des
Itirtbshanses war. An langen weiß
"gedeckteir Tafeln liefzen sich die Gästet
nieder und nnn wurde aufgetragen
i , sitt sich die Tische bogen Die Mnsi
hinten lletterten auf das Geriifte, das,
Hp h zufammengeiimmert, sich im Hin
- ergrunde des Saales befand: die
Izlechinstrnmente tvnrden beiteite ges »
at und ans einein verschlossenen, einst
tün aeiiirbten Leinwandsael zoa ieder ;
Tonliinltler ein fiir die Obren i
inder aefiibrliches Instrument ber
s,r Bombardon. (·’-- Trompete und
ultche Folterinstrumente: es kamen »
ne Geiae eine Viola, eine Klarinette
- d das tl eine BößlaC wie Itniegeige
i r Violoncello aewöhnlich genannt
nebe, zum Vorschein
- Die Gäste saßen in langen Reihen
den Fischen, oben der Herr Pfarrer
« der Herr Lehrer in der Mitte
H ·ut und Bräutigam rechts und
U von diesen die Freundschaft der
» cut und des Bräutigams. Nun
« der Wirth nnd die Wirtbin mit
. «iittgen Schüsseln voll Neisbrei7 der
«- J Dattel stieß einen Löffel hinein:
" altem Brauch mußte das. was
t
andere Leute Snvve nennen, so dick
sein, daß ein Eßlöifel aufrecht in der (
Schüssel stehen blieb. Dabei sollte der
Reis-drei eine röthlich-gelbe Farbe ha
ben, zum Zeichen, daf; er mit Sasran
und Mustatnnfi wohl gewürzt sei.
Auf dem Tische standen mehrere
Blumensträuße in Bieralätern: der
Obeim des Bräutiaams stellte die bei
den ihm zunächstftebenden mit den ;
Worten unter den Tisch: ,.Dös dumme !
Zeug fchenirt ein’ bloß beim EssenW
Der Bräutigam hatte einen mörderi-’
schen Hunger: zur Entschuldigung
tagte er immer, er habe einen lanaen
Magen. Michel war allerdinas über
die Mittelgröße weit hinaus. Die
Braut sah ihren Herzallerliebsten öf
ters von der Seite an; sie warf immer
nur einen kurzen, aber glückverliinden
den Blick auf den Mann mit dem kur
zen, schwatzen, borstigen Haar, den
braunen, glänzenden Augen, dem
rechts und links hinausstehenden
Schnauzbart. Michel arbeitete an der
Tafel im Schweiße seines rothgliil)en
den Angesichts-; nach dem Brei galt es,
dem ,,.5ireensleisch« Ehre anzuthun
Eine bereits im Alter etwasi vorge
rückte Kuh hatte zur Lieferung des
,,Kreenfleisch« ihr Leben lassen müssen;
Meerrettich mit geriebener Senmiel in
Fleischbriihe gekocht, hatte dieser
Speise den althergebrachten Namen ge
geben. Als nun der Schweinebraten
mit Klößen unl gesottenen dürren
Zwetschgen auf den Tisch kam, da ent
lediate sich Michel des Hochzeitsrockes,
so daß er in Hemdsärmeln sich Gutes
that. Trine aß wenig, weshalb Mi
chel sie öfters unwillig ansah. Jhre
bleichen Wangen rötheten sich dann
jäh; sie schlug die hellblanen Augen
nieder und senlte den Kopf mit den
dicken blonden Zöpsen, so daß der
Braiittraiiz, der hinten hinabhina, zit
terte. Jn das Filavpern mit Messer
und Gabel mischte sich das Geplauder
der Gäste: die Musik spielte wacker
drauf los, und der Wirth schlug öfter,
als nothwendig war, mit deni hölzer
nen Hammer auf das Bierfaß, wie
wenn frisch angezapst würd-. Als das
Essen zu isrnde war, gab es auch Wein
und Liqueur, später Kaffee und Fin
rhen. Pfarrer und Lehrer entfernten
sich bald, ein AItaenblick, der deshalb
von vielen sehnlichst erwartet worden
war, weil es ietzt erst ,,sidel« würde.
Es begann nämlich nach dem Ver
schwinden der beiden Respektspersonen
der Tanz. Der erste Walzer gehörte
dem Brautuaar. Trine tanzte leicht
und zierlich, während Michel aussah,
alg ob er Holz sage· Während des
Tanzens wurde auch gesungen. Auf
die alten Tanzmeisen, an denen sich
schon Eltern und Großeltern ergötzt
hatten, gab es Reime, die oft geradezu
kindisch waren, aber doch, weil sie sich
dem Takt der Musik anpasztem immer
wieder zum Vorschein kamen. Eben
wurde in wirbelnder Umkreisung ein
Dreher getanzt und dabei gesungen:
«Reiß mer nor mein dunkelblaue Frack
net ro,
Senn so schcne gelber Knepsla dro!«
Der alte Bastel paffte indesz den
Rauch einer guten Cigarre in die Luft
und war seelenvergnitgt dabei· Michel
führte seine Ertorene auf ihren Platz
zuriict und begab sich zum Schwieger
Vater. «
,,Vastel,« redete er ihn an, ,,wann
machen wir's Geschäft ab?«
»Pressikt nicht!«
»Dir freilich nicht.«
»Dir wohls«
h »Jawol)l, ich möcht’ wissen, wie ich
alt'.«
»Das weißt schon so; ich lann dac;
Geld doch nicht in der Hosentasche mit
herumtragen.«
»Dann sperr Dich nicht länger und
gel)’ mit in die Jtammer dort, daß
wir's schriftlich machen. Es gehört
zur Ordnung-«
,,Musz es denn heute sein?«
»Ja, es must sein; sonst freut mich
die ganze Hochzeit nicht!«
»So lomm in drei Teufelsnamen!«
Der Holzhändler wars die Cigarre
zu Boden und zertrat sie; dann ging er
; mit seinem Schwiegersohn in ein Ne
! benzimmer.
Die Hochzeitsgäste schauten den bei
den neugierig nach; denn sie ahnten,
daß jetzt Wichtiges vorgehe. Die
,.Freundschaft« schied sich bald in zwei
l Pruppem die beiderseitigen Verwand
en.
Michel hatte leine Verwandten
mehr; er bewirthschaftete den Krug
bauernhof mit zwei weiblichen Dienst
boten, der großen und der kleinen
Magd, undeinem Knecht. Der junge
Bauer hatte sich im Junggesellenleben
ganz wohl gefühlt, und er wäre sicher
noch heute unbeweibt gewesen, wenn
nicht zwei Vatersschwestern, unterstiiyt
vom Bruder seiner Mutter, alles auf
geboten hätten, ihm die reiche Bastels
trine begehrenstverth zu machen. Diese
führte mit Tante Rite, der Mutter
Schwester, ihres Vaters Haushalt —
die Mutter selbst war schon länger
» todt: Nile war von der andern Seite
· X
die Mittelsperson gewesen. Der alte
Bastel war besonders aus dem Grunde
mit der Heirath ganz einverstanden,
weil er selbst Rile noch zu ehelichen ge
dachte. Von beiden Seiten war erst
über alles gründlich verhandelt wor
den, ehe man versuchte, Michel in’s
Ehejoch spannen zu wollen. Dieser
schlug dabei anfangs aus wie ein jun
ges Pferd, bis er durch die Zauberfor
mel: Fünfhundert Karolin« gebannt
wurde. Trine war ihm früher gleich-«
iltig, während das Mädchen an dem
Treiszigjährigem der ebenso hübsch
aussah, als er stark und verwegen war,
schon länger Gefallen gefunden hatte.
Jndeß die ,,«5reundfchast« nun in leb
haftem Gespräch begriffen war, saß die
Braut einsam und verlassen aufeinen1
Stuhl, der neben der Kammer stand.
Plötzlich schrak sie auf; die Stimmen
nebenan wurden lauter; jetzt hörte sie
ganz deutlich, wie Michel schrie: »Du
Lügensack!« Auch den andern war der
Vorfall nicht entgangen; sie näherten
sich der Thür und lauschten. Drinnen
aing es laut zu; plötzlich öffnete sich die
Thür; der alte Bastcl stürzte heraus,
ibm nach der Bräutigam; dieser packte
seinen Oheim an nnd ries: »Du, hat
der schlechte Mensch dort nicht fünf
hundert Karolin gesagt?«
,,«’fiinshundert Karolim lernen Pfen
nig weniger! Aber reg Dich jetzt nur
nicht auf!«
»Was, nicht aufregen soll man sich,
wenn die Bande einem so mitspielt,«
dabei wies er auf die Verwandte-n der
Braut.
m kurs-« -·«- ,»t
»Wie, Bande!" schrie es ietzt zurucr.
»Nimm Dich in Acht, Michel, daß die
Bande nieht über Dich kommt wie ein
Donnerwetter!«
,,.L)undertmal sag’ ich’s Euch, eine
Gesellschaft seid Ihr, pfui Teufel!«
Dabei spurlte er heftig aus.
Der alte Baftel hatte sich wieder ge
faßt, trat auf seinen Schwiegerfohn zu
und rief: »Du vift gar der Schönste!
Handelschaft mufi sein, und ich hätt’
Dir die fünfhundert Karolin noch ge
ben, aber ietzt erst recht nicht! Reinen
Pfennig lriegft mehr als- vierhundert
Karolin; jetzt weiszt’s, Du, Du -——!«
»Dann soll Euch Haderlumpen mit
einander der Teufel holen, oder ich
hau’ Euch kurz und llein zusammen!«
,,Haderlumpen,« tönte es zurück,
»sell)er der größte im ganzen Bezirks
amt! Meinst, vor Deinem Schnauz
bart fürchten wir uns-? Geh her,
wennst Kurasch haft!« ·
,,.5klatfch!« hatte der Rufer im
Streit eine Ohrfeige weg, daß er um
und um taumelte, während Michel
glaubte. sein Arm sei ihm von der
Wucht des Schlages aus dem Gelent
gerissen.
Nun stürzte sich die thätlich ange
griffene Partei auf den Bräutigam
los, der von dein Anprall zu Boden
fiel. Dabei schrieen die Männer,
lteischten die Weiber; nur Trine saß
wie besinnungsloå auf einer Stufe der
Treppe, die zum Musilgeriiste hinauf
siihrte. Die Verwandten Michels
stürzten sich nun wieder auf die An
greifer; jener wand sich aber glücklich
aus dem Knäuel heraus und hieb auf
die andern ein· Der alte Bastel und
sein Anhang flüchtete sich nun hinter
die gedeckten Tische. Wieder trat Mi
chel vor die Feinde hin, um die Gegner
mit allerlei Lästerreden zu reizen. s
»Es-rieb kennt man, ihr —- « Aber erl
kam nicht weiter; ein junger Bursch;
J aus der Geascnxartei nahm einen Gu- »
as liton und warf diesen so geschickt
Fltichcl auf den Mund, daf; alles in’
lautes Gelächter ausbrach. Dadurch
ward dieser in die höchste Wuth ver
setzt; er sprang auf den Tisch, zertrat
dabei zwei Teller und eine Schiissel
und stürzte sich auf den Angreiferx die.
ser hatte sich rechtzeitig mit einer-Kanne
Milch bewaffnet nnd leerte sie über
Michels Kon aus, so daf; der Bräu
tigam von der herabströmenden Fliif
sialeit geblendet war. Da erschien wie
«ein Rache-Engel, der das feurige
Schwert in der Hand hat, der Wirth
und präsentirte das iibliche Besänfti
aunasmittel heiRaufereiem eine hand
feste Peitschr. Das betrachteten beide
Parteien fiir eine Beleidigung; lehrten
sich einmiithig gegen den Wirth. rissen
ihm die Peitfche aus der Hand nnd
warfen ihn sammt diefer die Treppe
hinab. Dann begann wieder der;
Kampf der beiderseitigen Freund-!
schaft«. Michel hatte indeß den richti- s
gen Feldzugsplan entdeckt; er drängte:
die Gegner der Treppe zu, und wag-J
nicht von selbst floh, wurde wie der
Wirth in die Tiefe befördert. Auf diese »
Weise wurden Vastel und fein Anhang .
in die Flucht geschlagen, und die Krug- :
’schen behaupteten das Feld. Da aber
Michel einmal in Thätigtcit .war, so
jagte, beziehungsweise warf er auch
feine Verwandten den anderen nach,
da er ihnen, als den Heirathsvermitts
lern, einen Theil der Schuld an den
Ereignissen aufbiirdetr.
Trine iaß immer noch auf derTrep «e
zum Musikgeriiste und hielt das Ge
sicht mit den Händen verbiilltx dabei
rannen ihr unaufhörlich die Tbränen
herab. Dienern noch hatte sie so glucts
lich aus dein »Kammerwagen« ge
thront —- und heute! Jhr Kammer
wagen war ihr Stolz gewesen; er
.lormte in der That als Schaustück gel
ten: er war ja für Bastel ein Mittel,
prunkend seinen Reichthum zu zeigen.
Ein ganz neuer Leiterwagen, mit
einem Paar prächtiger Ochsen be
spannt, führte den Hausrath der
Braut in das Haus des Bräutigams.
Da waren Tische und Stühle,Schränke
und buntbemalte Laden, Bettstätten,
Küchengeräthe, Weißzeug, Kleider und
Betten und obendraus: eine Wiege.
Die Braut selbst saß vor der Wiege
und blickte öfters auf ihre hinten am
Wagen angebundene Lieblingsknh, die
sich nur unter klagendein Gebrüll von
ihrem Stalle trennte. Den Kammer
wagen geleitete der jüngste Knecht des
Brautvaters7 »Hanni«, so hieß der
Bursche, ging mit seiner neuen Peit
sche, die an der Spitze mit Rosaband
geziert war, selbstbewußt neben dem
Gefährte her. Wenn dieses an einem
Haus vorbeikam, dann rannten die
Leute auf die Straße und schrieen:
»Schaut die Bastelstrinel Gott, der
schöne KammerwagenL Und wie die«
Trine droben sitzt,wie eine Prinzessin!«
Und jetzt! Die ganze Herrlichkeit
schien ihr vernichtet, ihr Gliick zuEnde
Jshr Taschentuch war naß wie Vor
mittags in der Kirche; aber es waren
diesmal bittere, salzige Thriinen, die
unter herzbrechendem Schluchzen den
Auan entquollenz
Michel hatte eben den letzten der
Hochzeitsgäste die Treppe Ununterbr
fiirdert; nun stand er da wie ein Löwe,
der sich seines Sieges freut. Sein Blick
fiel aus die Musikanten; der älteste
von diesen flüsterte, sich in die Ecke
drückend, zu seinen Kunstgenossen:
,,Paszt auf, jetzt kommen wir dran
beim Nausschmeifzen!" Aber Michel
rief ihnen ganz freundlich zu: »So,
kommt ’runter zn mir; wir wolle-ins
jetzt feiern, daß ich von der Heiratherei
davongetommen bin! Morgen früh
gleich geh’ ich aufs Anitsgerieht und
trag’ aus Scheidung an; dann bin ich
wieder der alte, frei und ledig wie der
Fint aus’m Dach! Juchhei« O
Nun gewahrte er erst die Trine; er
zudte zusammen. Diese aber standan
und sagte: »Mick)el, wenn ich Dir so
zuwider bin, dann lann ich geben.
Und wennst meinst, daß es Dein Gliick
ist, wenn wir wieder geschieden wer
den, ich ich —— will Dir dabei nicht
im Weg stehen. Adel« Dabei reichte
sie ihm die Hand hin, die Michel, völlig
verwirrt, kaum berührte Trine aing
schwankenden Schrittes mit Verlsiilltem
Gesicht der Treppe zu; sie uiuszte sich
am Geländer festhalten, um nicht hin
unterzustiirzen Michel folgte ihr mit
den Augen: wie er, der Kraft- und
Trotzvolle, sie so schwach und elend sah,
da war es ihm, als würde aug seiner
Brust etwas mit eisernen Zangen her
ausgerissen, und dann, als ob feurige
Funken aug dem Herzen in’-3 Hirn
sprangen. Er rief: »Trina!« Da wen
dete sce sich und blickte ihn mit ihan
hellblauen Augen so bittend, so flehend
und dann wieder so dankbar an, das-,
seine Herzenslmrtigteit schmolz wie der
Schnee an einem sonnigen warmen
Märztag
«Trine, ich weis-, nicht, mir kommt’s
vor, als wärst Du nicht so wie die an
dern! Deneu war’5 immer nur um
ein gut’5 Geschäft zu thun!«
»Michel, ich hab’ gar nichts von
allem gewußt; aber ich war Dir schon
immer gut, und da hab’ ich halt ges
meint, ich müs3t’ ja sagen, wie sie mich
gefragt haben, ob ich Dich heirathen
iniicht’!«
-s-« « s. s -,. .k... »D«
t
»Trine, ist das auch warnt
»So gewiß ich dasteh’! Jch l)ab’
mir’s so schön gedacht, wenn ich dro
ben auf Deinem Bauernhos bin und
kann Dir Lieb-Z und Gut’g thun, weil
Du ja doch allein bist und teine gute
Seel’ um Dich hast!«
»Und jetzt, Trine, möchtest Du noch
mit mir binauszi-bn ans den Krug
banernhon Trine, sag’ ja, jetzt erst
trseiß ich, was ich an Dir hab’! Geh,
sei mir wieder gut!« Ersergriss ihre
Hände und wollte das Mädchen nn
sich ziehen. Trine leistete aber Wider s
stand und sagte: »Michel, bös bin ich:
Dir nicht, nnd ich hab’ Dich jetzt noch.
so qern wie zuvor. Aber die rechte
Freud fehlt mir halt; mir ist, als
miiszt’ ich so lang in schwarzen Klei
dcrn gehen, bis Du mit meinem Vater
wieder ausgesöhnt bist.«
Da ries Michel dem ältesten Musi
kanten zu: »G·org, lan zum alten Va
stel, so geschwind Du kannst; san ilnn,
mir ist alles recht, wie er’s macht! Die
Trine ist mein Schatz, und der ist mir
nicht um die hundert Karolin, nicht
um alles in der Welt feil.«
Der Görq hatte nicht weit zu lan
sen: denn die Hochzeitsgäste hatten sich,
gemeinsames Leid tragend, wieder mit-«
einander ausgesöhnt, saßen ini untern
Wirthszimmer nnd nßen nnd tranken,
was vom Hochzeitsmahl noch übrig
war.
Als Göra seine Botschaft ausgetichk
tet hatte, sprangen die siechend-en aus
««nd liefen zum Tanzboden hinauf.
Trine lebnte an Michel, den sie tiärtlich
umschlungen hielt; beide errötheten,
wie der alte Vastel auf seinen Schwie
cersohn zuschritt, ibm die Hand bot
und sagte: »Michel, Du bist ein Takt
fester; das hab’ ich heut’ gesehn; Dir
kann’s nicht fehlen! Und wegen denen
hundert Karolin, da veruneinigen wir
uns nicht, das Ganze war doch nur ein
Spaß. Morgen trag’ ich Dir das
Geld in den Krugbauernhof.«
»Vater, Vater,« rief Trine und fiel
diesem laut schluchzend um den Hals,
»die Red’ veraess’ ich Dir im Leben
nnd Sterben nicht!«
Jm Hintergrund brummte es: »Wir
haben’s ihm drunten schon g’sagt, daß
es keine Art war, bei Dir handeln zu
wollen! Du läßt Dich ja doch nicht
untertrieaen!«
»Musikanten,« rief jetzt Michel,
»aufgespielt! Wir ziehen jetzt, ihr
voraus, auf den Krugbanernhof, und
dort wird die »Freundschaft« inne wer
den, daß der Krugsmichel einer ist, mit
dem man Staat machen kann. Und
Du, Trine, brauchst nimmer zu grei
nen; durch die Streiterei hab’ ich erst
gesehen, was ich an Dir hab’! Und jetzt
dant’ ich meiner alten und neuen
»Freundschaft« recht schön, daß sie mich
alten Hagestolz bekehrt hat. Vorwärts,
Musik, einen flattert Marsch!«
Trine schmiegte sich fest an ihren
Michel; aber ihre Tbränen flossen im
mer noch —- zum drittenmal an ihrem
Hochzeitstage
—- --.—
Fruhrerjc
Fumoreste von Hans Fraungruber.
Drunten beim Keuschler, im Bren
ningerhäusL geht es stürmisch zu.
Der Breuninger sitzt am Tische und
lugt arg verdonnert unter den heischt
aen Brauen hervor, sein Weib
schluchzt, und der kleine Bube, der sich
an die Falten ihres Fiittels klammert,
schreit wie beim Zahnbrecher. Der
strämer hat ihnen just die Hölle heiß
aemacht; nun geht er und keist noch zu
riict: »Als-dann, ’bald morgen sriih die
fiinsundzwanzig Gulden nit ’zahlt san,
tlaa ich die Schuld ein, und ös werdts
auspfändei. ös- Glumpert!« Drau
ßen ist er.
Der Breuninger wartet ein Weil
chen, dann fährt er empor und schüt
telt die Faust nach dem Abgehenden
»Wie hat er g’saat? Was hat er
a’saa,t’? Glumpert hat er g’sagt?s Na,
wart, KramerseeL nit ein lukerten
Heller kriegst z’sehn Von mir!«
»Freili ah noh,« jammert das Weib,
»nacher verschachert er uns d’ Hütten
——— willst ’leicht in Winter in a Maus
lorh schliefen mit Weib und Kind?
Glei schaust dazu, daß d’ wo ’s Geld
herbrinasti«
Der Mann höhnt: ,,Wo ist denn
Dein wo? Woaßt Du ein’ Narrn,
der uns noch ein’ Hosenlnopf leiht?
Jh nit!« Dann stiitzt er sich wieder
auf die Tischplatte. Nach einer Weile
beginnt er nachdenklich: ,,Woaszt wh,
Leni, wie die Veverl auf d’ Weit tema
is, da hat uns die Frau Gräfin vom
Gschloß droben dreißig Guldenzettel
spendirt. Wann mit der wag z’ ma
chen wär!«
Die Zteuschlerin führt schlnchzend
die Füituchzipfel an die Augen. »Das
Geld ist lang hin, und d’ Veverl is
ah schon g’storhen. Aber däg sag ih
Dir, stasper, der Frau Gräfin bistl
schon z’ oftmächti kema; däs hat koant
Schick nit, ’bald nir ’n Leuten allweili
die Stubenthük kinmmt Wie vss
Veverl tema ig, daselbn war was an
derg, mein lieber Vota!«
,,Sel wohl,« bxlriiftigt dieser, »ja
Leni, wanng d’halt wieder a Ftloang
hättst, ast wär uns eppa gholsen.«
»Woher nehmer und nit stehlen?«
Der Vreuninger kratzt sich dieOhren.
Plötzlich wendet cr sich hastig gegen die
Leidengaefäl)rtin, ein rettender Ge
danke ist ihm in den Weq gelaufen
» 5h thus Leni. ih qeh in S Gschlo os;——
und ih woaß, was ih sag, wanng ah nit
wahr iS!«
Die Vreuningerin schaut ihn unge
wiß an. »Was sag st?«
»Daß D’ a Ftloang hast, sag ih!«
Jammernd ringt sie die Hände.
»Aber Mann, bist überqschnappts
Denk Dir doh, wann d’ Frau Gräfin
läm oder herschiclen that?«
»Wald s wen schickt, ast laß il)
neamd eina, und selber kimt s’ nit,
ehwenn der Schnee nit weg is.«
Entschlossen greift er nach seiner
Pudelmiitxe, stülpt sie iibkr die Ohren,
tappt aus dem Hause und watet durch
den hohen Schnee in die kalte Land-·
schaft hinein·
Sein Weib lugt ihm durch die halb
blinden Scheiben der kleinen Fenster
nach, dann hastct es in der Stube um,
riiclt die Stiihle zurecht Und znntt mit
dem Buben, der einem Hampselmanne
mühsam die Beine abgebrochen hat.
So verrinnt eine Stunde. Da
platscht ein derber Schritt in den
Flur, ein Stampsen Und Schlurfen,
die Thüre fliegt auf. und der Keusch
ler ist wieder daheim. Ur seuert die «
Miitze in den Winkel, reckt sich und
streckt sich inmitten des- Gemaches und
tippt schließlich mit der Faust kräftig
auf seinen Hosensack. »Leni, was
glaubst, was han ih da drein?«
Athemlos starrt ihn das Weib an.
»Mein Häusl han ih drein, Leni,
als a ganzer han ih’s drein!« jauchzt
der Mann, zerrt etliche Banknoten her
vor und wirft sie aus den Tisch. «Bin
ih a Kerl oder nit?« brüstet er sich, in
dem er sich selbstgefällig in die Brust
wirft. ,,Grüßen laßt s’ Dich schön,
und ein’ warmen Löffel kriegen mr
morgen ah z’essen.««
»Aber recht is ’s nit, Kasper, gar
nit recht!« wendet die bestürzte Ehe
hälfte ein.
»Die Hüttn verschachern is ah nit
recht,« poltert der Gatte. »Auf der
Stell schmeisz ih dem Kramer ’s Geld
hin —- zwanzig Gulden kriegt er, koan
lumpigen Pfifferling mehr! Ein’
siiaß’n Wein bring ih Dir mit, Leni,
und a Bröckl Fleisch tragi’5 ah heut!«
Eilfertig rasst er ein paar Bank
noten ein, um sein Heim vor den
Klauen des Gläubigers zu retten und
Verläßt die Keusche.
Aber kaum hat er die Thüre hinter
sich, da schreckt sein Weib zusammen
ob eines gräulichen Fluches, der im
Flur die Wände erdröhnen macht. Mit
einem Satz ist der Vreuninger wieder
in der Stube, knirscht mit den Zähnen
und ringt die Hände. »Himmeldon
nerwetterelement, Weib, hiaz is’s
g’sahlt! Die Gräsin kimmt!«
Erbleichend bricht das Weib in ze
terndes Klagen aus, und der Bub fällt
mit Geschrei ein. Der Keuschler rafft
sich auf: »Stad seidst Und du, Leni,
schleunig in’s Bett — hiaz hilf, was
helfen kann.« Er drängt sie trotz ihres
Sträubens auf das Lager, wirft die
Decke über sie und tliiirmt ein gewalti
ges Ueberbett darauf.
»Aber Kasper —- ’s Kindl«
«Sagradibix, a Kind brauchst ah,
das hätt ih glei vergessen!« stöhnt der
eriinderische Gatte, faßt mit derben
Fäusten den Kleinen und hebt ihn zur
Mutter in « Bett Rasch umwickelt er
den Kopf deI Buben, der nicht weiß,
wie ihm geschieht, mit einem gebtumten
11mbängtuch, das er ihm noch bis an
die Nase herabziehh und schärft ihm
ein: ,,.f,)an5l, hiaz sei brav und rühr
dich nit! Mach d’ Augen zu Und sei
niäuserlstad!«
Schlcunig s chiebt er die rothen Vor
hänge vor die kleinen Fenster, da
Pos.ht’s an der Thüre.
Einen Jammerblick sendet das Ehe
paar der Gräsin entgegen, die, in wei
chen Pelz gehüllt, den dämmerigen
Raum betritt. Leise und fürsorglich
wandelt sie gegen das armselige Lager.
»Nun, Breuningerin, wie geht’s?«
»Matt, Frau Gräfin —- soviel matt
— bin ih halt.«
»Das wird sich geben, liebe Frau.
Und wo ist das Kleine? Jst’s ein Bub
oder ein Mädch«
,,A Bua,« bedeutet der Vater, der
sZch die schweißtriefende Stirne trock
net, ,,schlafen thut er grad!«
Die Gräfin neigt sich trotzdem über
das ett und hebt behutsam das ge
blumte Tuch. »Ein kräftiger Welt
biirger, ci, ei! Jst er schon ge
tauft? Wie heißt er denn der Kleine?«
Da schlägt der vermeintliche Neuge
horene die Augen auf und schmettert in
Die Stitle de«- Gemacl)5: »Breuninger
Hansl ljoaß ih!« —- ———
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Die Radelfer.
Ich weis-, nicht, Was soll es bedeuten,
Drfz ich so traurig bin;
Ein Märchen aug- jiingsten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Ein reizendeg Mädchen radelt
Dahin auf prächtiger Bahn,
Ihr folgen gar viele Radler
Und sehen verliebt sie an.
Wie sitzt das Mädchen so prächtig,
Wie flattert ihr goldenes Haar,
(5-S fliegt im Winde ihr Röckchen.
Der Anblick ist wunderbar.
Die Radler fokgen beseeligt,
Sie sehen nur immer auf fie,
MS hat ihre Herzen umsponnen
Der Liebe holde Magie.
Sie sehn nicht den Stein auf dem
; Weg e
« Und purzeln dahin auf der Bahn;
i Und das hat mit ihren Reizen
) Die Wind-: t- Fee« gethan.
»Gott sei Dankt« rief der
i Professor John H. Draper in Botti
more aus, als ihm nach seiner Verneh
mung vor Gericht der Advokat eröff
nete, daß er an ihn keine Fragen mehr
zu stellen hätte. Wegen dieses Aus
rufs wurde der Professor vom Richtev
»wegen Verachtung des Gerichts« fo
l fort in eine Geldstrafe von 85 genom
men.