Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 31, 1897, Sonntags-Blatt., Image 15

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    reycoe gsofds
« Roman von Josef Trean
(25. Fortsetzung.)
» Gerade einen Monat nach ihree
» I« ücklehr stand Nan zum-zweiten Male
mit Sir Gervase vor dem Altar der
-»» . lten Kirche von Blackport und wurde
· ady Greylock. Nur die Wenigen, de
ren Liebe sie genoß, waren bei der
Trauung zugegen; allein es fehlte nicht
an herzlichen Glückwünschen, an auf
richtiger Freude und san reichen Braut
geschenlen, denn allen Einwendungen
des Baronets zum Trotz ließ ich Lady
Greylock nicht ohne Mitgift über das
Meer nach ihrer künftigen Heimath in
— England ziehen.
Auf dem Verdeck eines Cunard
Dampsers sagten Tante Pamela und
ich ihr Lebewohl. Reichliche Thränen
flossen bei dem Abschiede. Wir hatten
sie gefunden, nur um sie wieder zu ver
lieren.
» »Lebe wohl, Polly!« sagte sie
schluchzend, indem sie mich innig um
armte. »Du wirst bald mit Tante Pa
mela kommen, um uns in Grenlock
Hall zu besuchen, wie Du Sir Gervafe
versprochen hast.« i
Noch lange standen wir auf der?
· Werste und schwenkten unsere Ta-,
schentücher, bis wir den Dampfer aus
den Auqen verloren. Mit traurigem
herze-i kehrten wir dann nach Greylock
Woods zurück.
»Der nächste Schlag, der mich trifft,
wird wohl Deine Hochzeit sein, Pplly,«
seufzte Tante Paniela, als me am
Abend in ihrem Boudoir zusammen
· saßen. »Wie lange wird es dauern,
bis Du mir entführt wirst, wie Nan
mir heute entführt wurde?«
Jsrb zuckte die Achseln und erwiderte:
»Liebe Trinke, angstige Dich nicht! Ich
werde nie heirathen. Wir bleiben bei
sammen in diesem Hause. Jch hatte
nie einen Anbeter —- ich werde nie ei
nen haben«
Tante Parnela blickte mich mit gro- «
ßen Augen an.
»Wie unvernünftig Du sprichst, mein »
Kind! Warum sollte sich Dir kein An- «
beter nahen? Der spanische Typus
Deines Gestchtes ist sehr einziehend
Jch glaube, Du würdest wohl daran
thun, während der Wintersatfon ein
Haus in New York zu beziehen. Es
wäre mir nichts erwünschter, als Dich
in die fashionable Gesellschaft einzu
führen. Jch habe viele Freunde, wie
Du weißt, die sich in den feinsten Krei
sen bewegen, und Du würdest gewiß
Aufsehen erregen. Natürlich mußt Du
daraus bedacht sein, Dich zu verheira
then wie andere Mädchen«
»Nein, nein, Tante Pamela — nur
keine Partie für mich!« protestirte ich.
»Auch an der sashionablen Gesellschaft
ist mir nichts gelegen. Jch ziehe es
vor, mit Dir hier zu bleiben; wir wol
len nur für einander leben.«
»Ja, aber ich bin alt,« seufzte Tante
Pamela; »meine Frist auf Erden wird
bald abgelauer sein, und wenn ich
dahin bin, mein Kind, wirst Du allein
dastehen.« —- — —
Die Tage, die auf die Abreise des
Baronetg und seiner jungen Gattin
folgten, verflossen ruhig, fast langwei
lig. Jch brachte meine Mußestunden
hauptsächlich an dem Flügel zu —
d nn ich schwärmte für Musik — oder
a ch in der Bibliothec bei Godfreh
rehlocks Büchern· Der Winter stellte
ch früh ein und schloß uns völlig von
der Welt aus.
Eines Abends erschien Tante Pa
mela, in tiefe Trauer gekleidet und mit
ungewöhnlich trauriger Miene, beim
Abendbrot.
»Weißt Du, was dies für ein Tag
ift, Ethel?« sagte sie.
»Nein,« antwortete ich.
»Es ist der Jahreötag des Todes
Deifnes Vaters,« sagte Tante Pamela
ern t.
vor-»s
Meines Vaters Tod! —- Das myste
riiise Ereigniß, von dem einst Merey
Pool in seltsamer Weise mit Regnault
sprach! Schweigend setzte ich mich zu
Tisch nieder.
Ehe die Mahlzeit zu Ende war, er
schien die alte Hoptins unter der Thür
und sagte:
»Es ist ein Bote von der »Man-In
Herberge« hier. Mercti Poole ist sehr
·trant und wünscht Mis; Ethel unver
züglich zu sel)en.«
Jch war seit Godsrey Greylocks
Tode nicht wieder in der ,,.tiat3en-.Her:
berge« gewesen; auch Mercn hatte ich
seit jener Zeit nicht gesehen-. Jch
blickte Tante Paniela fragend an.
»Ein sonderbares Verlangen!« er
klärte sie kopfschüttelnd. »Es ist eine
so rauhe. dunlle Nacht; ich würde an
Deiner Stelle nicht bingehen, Ethel.«
»Sie ist aber trank,« antwortete ich,
»und vielleicht allein. Jch muß gehen,
Tantr. Du brauchst um meinetwillen
nicht auszubleiben.«
»So nimm wenigstens die alte Hop
lins mitt«
»Ob« nicht doch! Jch bedarf keiner
Gesellschaft. Die alte Hoplins ist
kränklich; laß sie zu Bett gehen.«
»Nun, wie Du willst!" stimmte die
alte Dame halb widerwillig zu. »Du
bist ein ganz merkwürdig surchtloses,
muthiges Mädchen; geh’ denn hint«
Es war eine bitterlalte Nacht. Ich
hörte den Wind in den Gipseln der al
ten Tannen stöhnen und die eftorenen
Aeste der Kastanienbäume w e Todten
ebeine llappern, als ich die dunkle
llee hinab der Landstraße zu fuhr.
Der Kutscher trieb die Pferde rasch an.
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—
zu kurzer Zeit stieg ich vor dem alten
asthose ab.
Nur durch die Fenster des alten
Wohnzimmerö schimmerte Licht, sonst
war Alles dunkel. Jch trat ohne Wei
teres in den Hausslur und von diesem
in’s Zimmer, wo Merch Poole sich be
sand.
Sie saß vor dem Feuer, mitten un
ter ihren Katzen. Eine alte wollene
Decke hing um ihre Schultern, und
ihre abgemagerte, zitternde Gestalti
beugte sich vorwärts gegen die Flam-!
men. Bei meinem Eintritt fuhr sie’
aus und stieß einen lauten Schrei aus.
,,«’5iirchten Sie nichts, ich bin es,«
sagte ich, denn ich glaubte, mein unan
gemeldeter Eintritt habe sie erschreckt;
»Sie haben mich holen lassen, und
hier bin ich!'«
Sie stand auf, und jetzt erst konnte
ich die schreckliche Veränderung, die in
den letzten zwei Jahren mit ihr vor
gegangen war, deutlich wahrnehmen·
Jhr graues Haar war schneeweiß ge
worden, ihr einst so ausrechter Körper
war gebeugt und abgemagert. Jn
ihrem grauen, fleischlosen Gesicht
brannten die hohlen, schwarzen Augen
mit einer verzehrenden Gluth.
»Kommen Sie näher!« ries sie mit
heiseren lreischender Stimme. »Ich
hätte Sie kaum wiedererlannt. Es ist
eine kalte Nacht. Setzen Sie sich an’s
» Feuer-, Misz Greylocl, und wärmen Sie
l Ilchsts
Jch gehorchte mechanisch. Die Katzen
näherten sich mir, ,,Capitän Frid« be
schnüsfelte meinen Pelzmantel; »Na
vaillac« und »Pontius Pilatus-« miau
ten zu meinen Füßen.
Mercy Pool betrachtete mich neugie
rig und befühlte meine warmen Klei
der mit zitternden Fingern.
»So!« sagte sie, »Sie sind also nicht
» mehr Poler sondern eine reiche Dame
—- die reichste im ganzen Countyt Jch
s habe Ihre Geschichte vernommen; man
sprach Wochen lang von nichts Ande
rem in Blactpori. Wie konnte ich nur
« Robert Gretslocts Tochter so lange un
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ter meinem Dache haben, ohne es zu
ahnen!«
Jhre hohlen Augen slammten wie
zwei feurige Kohlen.
»Berul)igen Sie sich,« sagte ich, »Sie
scheinen sehr trank zu sein.«
»Ja,« leuchte sie, indem sie auf ihren
Stuhl zurücksank. »Mit mir ist’s aus,
meine Zeit ist gekommen! Wenn ich
J das nicht gewußt hätte, würde ich nicht
in dieser Nacht nach Greylocl Woods
» gesandt haben, um Sie holen zu lassen.
Almen Sie wohl, was ich Jhnen zu
sagen habe?«
um ihre Gebieterin herum; sonst ver
nahm man keinen Laut. Selbst die
Lampe auf dem Kamingesims brannte
trübe. Alles Leben schien von dem
Platze gewichen
»J—ch weiß es wirklich nicht,« ant
wortete ich.
»Es war keine bloße Laune, die mich
veranlaßte, nach Jhnen zu senden,«
entgegnete sie.
»Kann ich Jhnen mit irgend etwas
dienen?« fragte ich; »Sie wohnen doch
sicherlich in Ihrem gegenwärtigen
hilflosen Zustande nicht allein hier?«
l »Eine Magd ist in der Küche-, das ist
z Alles,« versetzte sie. »Es kommen jetzt
keine Gäste mehr hierher. Doctor Van
dine wohnt schon seit über einem Jahre
nicht mehr bei mir. Er hat sein eige
nes, schönes Haus drunten in der
Straße, und eine Verwandte besorgt
ihm die Haushaltung. Er wird reich,
der Doktor. Nein, Miß Grehlock, ich
verlange teineGesälligteiten von irgend
einem Menschen« und Sie wären die
Letzte aus Erden, an die ich mich wen
den wiirde. Jch bin kein verzagtes,
schüchternes Weib, allein Gott weiß,
ich würde nicht den Muth haben, Sie
um eine Gesälligkeit zu bitten.«
Jch fühlte mich so beklommen, daß
ich sie nur anstarren konnte.
»Wir Zwei sind allein in diesem
Ziinmer,« fuhr sie fort, ,,Niemand hört
uns außer Gott. Wissen Sie, welche
Nacht dies ist ?«
»Ja,« sagte ich, »es war die Todes
nacht meines Paterss
Die Katzen miauten und gurrten
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—
Sie nickte befahend und streichelte
»Pontius Pilatus« den Rücken. «
»Die Thiere sind nicht gesiittert wor
den,« erklärte sie mit mattem Lächeln;
»das macht sie so unruhig. Jch war zu
schwach, um in die Ftiiche zu gehen, und
die Magd tann die Katzen nicht leiden.
Ja, es ist der Jahresiag des Todes
Jhres Vaters, Mifz Grehlock; ich wollte
mit Jhnen iiber seine Ermordung re
den."
Nie in meinem Leben habe ich Augen
in so wilder, dämonischer Gluth flam
men sehen, wie die ihrigen bei diesen
Worten. Athemlog wartete ich, daß sie
fortfahren werde.
»Als Robert Grenlock in jener Nacht
den Gasthof verließ, um sich nach Gren
lock Woods zu begeben,« sprach Merch
mit fester, kräftiger Stimme weiter,
»schlich ich mich hinaus in das obere
Stockwerk. Jch zog den langen Man
tel meines Vaters an, setzte seinen nie
deren Hut aus und folgte Robert auf
den Fersen bis zum Herrenhause —
dann wieder zurück, den Hügel hinab
bis zu den alten Salzgrubem und dort
— erschosz ich ihn mit dieser Hand!«
sagte sie, indem sie ihre fleischlose
Rechte schüttelte. »Fragen Sie mich,
was mich zu dieser That veranlaßte?
Rache! Er hatte mir das Herz gebro
chen, und ich hatte mir gelobt, ihn zu
tödten, wenn ich ihn je wieder treffen
sollte. Sein böser Genius führte ihn
an jenem Abend nacht dem Gasthause;
Godfreh Grenlocks Hartherzigteit trieb
ihn in die Nacht hinaus und seinem
—
Schtcksale entgegen. Ich gab mir nie
Mühe, die Gerechtigkeit aus eine fal
sche Spur zu leiten. Oft wünschte ich
sogar, daß man mich beargwöhnen und
verhaften möchte. Jch erklärte God
frey Greylock, daß sein Sohn wuch
lings ermordet worden sei, ich sagte
dasselbe jener verächtlichen Creatur,
Robert Grenlocls Wittwe. Das
Gleiche theilte ich Anderen mit, doch
lein Mensch wollte mir glauben. Wenn
sich je eine Stimme gegen mich erhoben
hätte, so würde ich Alles bekannt ha
ben, denn Gott nur weiß, welche Ge
wissensbisse ich seit jener Nacht erdul
dete —- welche unsagbare Seelenquall
Oftmals wäre mir der Tod als will
kommcner Befreier von meinem Elend
erschienen. Jch liebte Robert Greylock
mehr als mein eigenes Leben!«
Jch vermochte kein Wort hervorzu
bringen; sprachlos vor Entsetzen starrte
ich sie an, während sie sich mitten unter
ihren Katzen aus ihrem Stuhle hin und
her schaukelte.
»Sie glauben mir vielleicht nicht?«
rief sie wild aus. ,,Sehen Sie mich an
—- betrachten Sie dieses Haar! Jst es
nicht weißer als das einer Achtzigjäh
rigen? Und doch bin ich kaum über
mein zweiundvierzigstes Jahr hinaus.
Was Anderes als Gewissensbisse
brachte diesen Zustand hervor? Bei
E meinem starken Körperbau hätte ich ein
« hohes Alter erreichen können. Er wars
mir, als er fiel, einen Blick zu, der
mich bis in die Ewigkeit verfolgen
wird. Oh, mein Gott, ich sehe ihn
noch!« rief sie, indem sie das Gesicht
mit den Händen bedeckte.
Dann fuhr sie zum zweiten Male I
von ihrem Stuhle auf und stand wie
Idas entsetzliche Gespenst eines Weibes
vor mir. Mit fast kreischender
Stimme rief sie aus:
»Ich bin seine Mörderinl —- Jch er
I schoß ihn bei den alten Salzquelleni »
, Jch liebte ihn und ich tödtete ihn! Jch
I konnte keine Stunde mehr leben, ohne
thnen, seiner Tochter, dieses Geständ
Ents-, abzulegen. Jetzt thun Sie mit mir,
l was Sie wollen! Ruer Sie die Die
tnek der Gerechtigkeit herbei; ich bin
Jbereit, mich ihnen auszuliefern Jsch
j werde nicht leugnen. Blicken Sie mich
; nicht so verblüfft an, sondern handeln
t Sie rasch, sonst wird der Tod Sie um
FJhre Rache betriigen! Eine ruchlose
I Mörderin, wie ich, sollte nicht in ihrem
EBette sterben dürfen! Gehen Sie jetzt
i und thun Sie Jhr Schlimmstes!«
Sie war nicht wahnsinnig, davon
war ich sest überzeugt. Jch sprang von
meinem Stuhle aus. Die Atmosphäre
des niedrigen Zimmers erscictte mich;
die runden Augen der Katzen stierten
mich wle Dämonenaugen an. Jch ge
dachte des Steinhaufeng, den sie mit
ihren eigenen Händen über der Sterbe
stelle meines Vaters errichtet hatte —
ich gedachte ihrer nächtlichen Besuche an
jenem Orte — ich gedachte ihres gan
zen excentrischen Wesens, der furchtba
ren Namen, die sie ihren Katzen gege
ben hatte, und ich fühlte, ich wußte,
daß das, was sie mir geosfenbart, die
strenge, entsetzliche Wahrheit wart
»Es wäre besser gewesen, Sie hät
ten Jhr Geheimniß mit in’s Grab ge
nommen!« keuchte ich. »Gott vergebe
Ihnen, Mercn Poole!«
Ein bitteres Lächeln spielte um ihre
Lippen.
»Ich konnte nicht sterben, bis- ich
Robertg Tochter dieses- Geständniß ab
gelegt hatte. Etwas hier drinnen« —- —
mit diesen Worten schlug sie wild mit
der Hand auf die Brust —— »trieb mich
an, zu reden. Es war ein Theil mei
ner Strafe, es Jhnen sagen zu müssen
—- das Entsetzen auf Jhrem unschul
digen, jungen Gesicht zu erblicken —
Sie vor mir zutückschaudern zu sehen
Gehen Sie, sage ich! Senden Sie die
Schergen der Gerechtigkeit —- ich
werde sie in diesem Zimmer empfan
gen. Gehen Sie, rächen Sie Ihren
Vater, wie es Jhnen zukommt —- Sie
wären teine pslichtgetreue Tochter,
wenn Sie es nicht thätenl Jch flehe
um kein Mitleid, teine Gnade — nur
handeln Sie rasch!«
Jch ließ die gestöndige Mörderin
mitten unter ihren Katzen zurück und
eilte hinaus; dann sprang ich in die
Equipage und hieß den Kutscher nach
dem Herrenhause zurücksahrm
Zum Glück war Tante Pamela be
reits in dem Schlaszin«1mer; ich hatte
daher nicht nöthig, ihr die entsetzliche
Geschichte noch in dieser Nacht mitzu
theilen. Jch selbst vermochte nicht ein
zuschlasenz das Entsetzen verscheuchte
den Schlummer von meinen Augenli
dern. Sobald der Morgen graute und
ehe ein Mensch im Hause auf war, klei
dete ich mich an und machte mich auf
den Weg zu den alten Salzgruben.
Ein unertlärlicher Impuls-, eine
Macht, die ich weder zu begreifen, noch
zu bekämpfen vermochte, trieb mich
dorthin. Ganz allein und zu Fuß
schritt ich den Hügel hinab, auf dein
selben Pfade, den mein Vater in der
Nacht seines Todes gewandelt war.
Kein Schnee bedeckte den Grund.
Häßlich und dunkel erhob sich der
Steinhauer in dem Dämmerlichte.
Als ich mich ihm näherte, erblickte ich
am Fuße des Denkmal-Z eine ausge
streckte menschliche.Gestalt, in eine wol
lene Decke gehüllt — die Glieder völlig
regungslos, die Arme weit ausgebrei
tet, das Gesicht der Erde zugewandt.
Jch eilte näher. Es war Mercy Poole,
die hier auf dem Flecke lag, aus dem sie
vor etlichen zwanzig Jahren ihren un
getreuen Liebhaber ermordet hatte!
Jch beugte mich über sie und ries:
»Macht Sie haben nichts von inir
zu fürchten! Jch will das Amt der Rä
cherin nicht übernehmen, dxnn ich alw
be, 'ras3 Sie seit vielen Jahren schon
Schlimmeres als den Tod erduldet ha
vent«
Keine Antwort, keine Bewegung.
Jch hob ihren schneeweißen Kon auf.
Jhre Augen waren geschlossen -—— siir
immer! Jhr sleischloses Gesicht hatte
einen seltsamen, unerklärlichen Aus
druck. den ich nie vergessen werde. Jm
Schatten des Steinhaufen-Z lag Merchs
Bonn-, die Mörderin meines Vaters — !
kalt und todt! ’
88. C a p i t e l.
Ein weiteres Jahr war vergangen.
Miß Pamela Greylock und deren
Nichte lebten nach wie vor zu Greylock
Woods in fast klösterlicher Stille. Bei
der alten Dame machte sich die Last der
Jahre —- sie war jetzt über 70 Jahre
alt —- mehr und mehr geltend, Ethel
dagegen arbeitete fleißig an ihrer
Fortbildung; das Studium guter Bü
cher und musikalische Uebungen nah
men ihre Zeit vollständig in Anspruch.
Daß Tante Pamela hiermit nicht
einverstanden und die ,,unverständige«
Lebensweise ihrer Nichte, deren Gleich
giltigkeit gegen gesellschaftliche Ver
gnügungen und totale Mißachtung all’
der Dinge, die eine reiche und hübsche
Erbin von Rechts-wegen interessiren
sollten, beständig und lebhaft tadelte,
machte auf Ethel gar keinen Eindruck.
»Ich bin nun einmal nicht wie an
dere Mädchen, Tante,« sagte sie zu
ihrer bejahrten Verwandten; »ein Leo
pard kann sein buntgeflecktes Fell nicht
wechseln, und gerade so unmöglich
würde es sein, eine Weltdame aus mir
zu machen. Uebrigens,« fügte sie lä
chelnd hinzu, »will es mir scheinen,
daß wir Beide recht glücklich in unse
rer Abgeschiedenheit von der Welt
sind.«
,,Allerdings!« stimmte die alte Dante
herzlich zu. »Aber Du stehst Dir selbst
damit im Licht, Ethel; es ist geradezu
Unsinn, wenn ein Mädchen in Deiner
Stellung solch’ nonnenhaftes Leben
führt. Du denkst eben weniger an
Dich als an Andere,« fuhr sie fort, in
dem sie dieWaise zärtlich anblictte, »der
Himmel weiß, daß Du das beste, edelste
Herz von der Welt hast!«
Ethel-Polly liebte ihr Besitiihum —
das reichgeschrniickte, stattliche Haus
und dessen großartige Umgebungen.
Sie machte wederBesuche, noch empfing
sie solche; nichtsdestoweniger hatte sie
sich in der verhältnißmäßig kurzen
Zeit, die sie aus ihrem Erbe weilte, be
reits zahlreiche Freunde erworben: die
Armen, Kranken und Vetümmerten.
Auf Meilen in der Runde war sie all’
Denen, die des Trostes und der Hilfe
bedürftig waren, wohlbekannt.
Regelmäßig trafen von Zeit zu Zeit
Briese von Lady Greylocl ein, die von
Glück förmlich überströmten, den Ba
ronet als den edelsten Mann und liebe
vollsten Gatten, ihr englisches Heim
als ein wahres Paradies schilderten.
Am Ende des Jahres aber lief die er
freuliche Nachricht in Greylock Woods
ein: das Ehegliici der jungen Gatten
war durch die Geburt eines Sohne-J
und Erben gekrönt worden.
Der idyllische Friede auf Greylock
Woods aber sollte bald einem Leben
voll Sorgen und Mühseligleiten wei
chen. Das kleine Blackport wurde
durch den Llugbruch eines gefährlichen,
ansteckenden Fieber5, das seine Opfer
anfänglich besonders in den Hütten
der Fischer suchte, in Schrecken gesetzt;
die Hitze deSSommers war unge wohn
lich stark und anhaltend gewesen,
schädliche Miasnien stiegen unter der
Glutb der Sonne aus den sumpfigen
Marschen auf und trugen Tod und
Verderben in die dürftigen Behausun
gen der Armen.
s-- «
Doctor Bandme weilte Lag nnd
Nacht an den Stätten des Leidens-; er
schien in dieser Zeit der Noth weder der
Ruhe noch des Schlafes zu bedürfen.
Er war der einzige Arzt im Orte und
hatte, trotzdem der Umfang seiner
schwierigen Praxis von Tag zu Tag
wuchs, keine Hilfe zu erwarten, da die
Epidemie sich auch über die Nachbar
städte verbreitete und die dort wohnen
den Doctoren vollauf in Anspruch
nahm; nicht einmal Firanienwärter
waren auszutreiben. Dazu kam noch,
daß die Bevölkerung von Blartport im
Allgemeinen recht arm war, und dasz
es demzufolge in dem Heim der Kran
ten oft an den nöthigsten Bequemlich
keiten fehlte.
Eines Abends wurde Bandine zu
sehr später Stunde noch zu der Behau
sung eines Frofchfängerg gerufen, die
am Rande der sumpfigen Marschen
lag, an einer verlorenen, einsamen
Stelle und, von den letzten Strahlen
des untergehenden Mondes beleuchtet,
einen selbst in diesem traurigen Erd
winkel ungewöhnlich düsteren und un
freundlichen Eindruck machte. Die
verfallene Hütte beherbergte ein halbes
Dutzend elender, mutterloser Kinder,
die fämmtlich im Banne der schreckli
chen Krankheit lagen, ohne daß ein
Mensch zu ihrer Pflege dagewesen
Watt.
Der Vater der armen kleinen We
sen, ein halb blödsinniger Trunken
bold, lag schwer berauscht auf einem
Haufen Seegras vor der Hütte, sein
Handwertszeug —- das Netz zum
Froschfang und den Sack aus Segel
tuch —- neben sich.
Vandine versuchte es, ihn wachzu
rütteln, und blickte rathlos um sich,
als ihm dies nicht gelang. Der nächste
Nachbar wohnte mehr als eine Meile
entfernt, die kranken Kinder bedurften
dringend der Wartung, und in der
Hütte, deren Jnneres ein trauriges
Bild der Armuth und Berwahrlosung
bot, war nicht einmal ein tühlender
Trunk sitr die stöhnenden, sich unruhig
hin- und herwälzenden Kleinen zu
finden.
Der junge Arzt sah sich zuerst nach
Wasser um, und es glückte ihm auch,
nach eifrigem Suchen eine Quelle nahe
dem Hause zu entdecken; dann brachte
er, so gut es ging, die diirftige Lager
ftatt der Kranken in Ordnung, flößte
ihnen die nothige Medicin ein und be- »
tieg schließlich sein Pferd, um wieder I
sortzureiten
»Ich werde ihnen eine Wärterin
schicken,« murmelte er, indem er noch
einen bedauernden Blick aus die un
glückliche Nachkommenschaft desFrosch
sängers warf.
Aber dieser Vorsatz war leichter ge
faßt als ausgeführt. Obgleich Dici die
halbe Nacht über herumlief, um eine
barmherzige Seele zu finden, die sichl
der Pflege der verlassenen Kinder ge-;
widmet hätte, so blieb doch all’ sein
Mühen vergeblich, und schweren Her
zens stand er endlich von weiteren Ver
suchen ab.
Am nächsten Tage eilte er wieder
nach der Hütte. Als er in die Nähe
kam, bemerkte er mit Erstaunen, daß
aus dem Schornstein eine dünne
Rauchsiiule in die klare Luft empor
stieg. Rasch öffnete er die Thür, trat
auf die Schwelle und blieb, aufs An
genehmste überrascht, stehen. An
Stelle der wüsten Unordnung und des
jammervollen Elends von gestern er
blickte er heute — Sauberkeit, Sreisen,
einen Ueberfluß von neuen Kleidern,
Eis, eingemachte Früchte und, was
das Beste von Allem war, eine Kran
kenwiirterin, die geräuschlos von einem
Kinde zum anderen eilte nnd mit der
sicheren und zarten Sorgsamkeit, die
ein ausschließliches Erbtheil des Wei
bes zu sein scheint, Um die Kranken be
Inijht war.
»Welcher Engel des Himmels ist
hier gewesen?!« rief Vandine aus-, als
er seine freudigeRtihrung und sein Er
staunen etwakz bemeistert hatte.
Jn diesem Augenblicke erhob sich eine
schlanke Mädchengestalt in einfach
dunklem Gewa«.de, die bisher, unbe
merkt von dem junaen Arzte, in einer
halbdunklen Ecke des Raumes an dem
Bette eines der kranken Kinder gesessen
hatte.
Der junge Arzt zog rasch und höf
lich den Hut; sein wettergebräuntes,
halb von einem röthlichen Vollbart be
decktes Gesicht zeigte keine sonderliche
Bewegung, aber seine Stimme bebte
leicht, als- er sagte:
»Ich finde keine Worte, um Jhnen
für diese so rechtzeitige Hilfe in der
Noth zu danken; wie kommen Sie
hierher, Misz Greylock?«
Er hatte Ethel - Polly erkannt.
Jhre Figur hatte an Rundung und
Fülle gewonnen, und in ihrem Gesicht
mit den großen, dunklen Augen und
dein regelmäßigen, scharfgeschnittenen
Profil war trotz der unverändert bril
ueiten Färbung der Haut nur wenig
zu finden, das an Großmutter
Seragg Enkelin erinnerte. Auch ihre
Hände, die damals- roth, rauh und ar
beitähart gewesen, waren nun von ei
ner sannnetartigen Weiche und mar
morweis3. Dick bemerkte, daß sie keine
Ringe trug, und dachte unwillkürlich:
»Was für schöne Hände sie hatt Wie
eS scheint, findet sie jetzt noch ebenso
viel Vergnügen wie früher daran, dort
zu helfen, wo Hilfe noth thut.«
»Ich hörte zufälliger Weise heute
Morgen von der traurigen Lage dieser
armen Wesen,« erwiderte Ethel ruhig.
»Wenn sonst irgend etwas- hier ge
braucht wird, soll die Wärterin es so
gleich besorgen. Das arme Blatt
port! Es ist eine böse Zeit über seine
Einwohner gelommen.«
»Ja,« antwortete Dick ernst, ,edie
Zahl der Fieberlranken in der Stadt
hat sich heute Morgen wieder vergrö
f-,ert.«
»Wie können Sie es nur möglich
machen, ganz allein für so viele Pa
tienten zu sorgen?« fragte Ethel mit
einem Blick voll so warmer Theil
nahme, daß der junge Arzt sich an die
Polly früherer Zeiten erinnert fühlte·
»Ich habe in den Nachbarorten um
Hilfe gebeten,« versetzte er, »aber leider
ohne Erfolg, da das Fieber auch dort
überall ausgebrochen ist. Glücklicher
weise genügt für den Nothfall meine
Kraft —- wenigstens vorläufig. Aber
Sie, Mis; Grehlock —- tvisfen Sie nicht,
dasz die Krankheit in hohem Grade an
steckend ist? Dadurch, daß Sie Platze,
wie diesen hier, besuchen, setzen Sie sich
der größten Gefahr au5.«
Ethel lächelte ruhig und sagte: »Ich
fürchte mich nicht!«
»Das hätte ich allerdings- ohne Ihre
Versicherung wissen können,« entgeg
nete er mit einem tiefen Athemzuge.
Dick begleitete sie dann bis zu ihrer
Equipage, die in der Nähe hielt, et
kundigte sich höflich nach Misz Pamela
Greylock und blickte dem davonrollen
den Wagen lange nach.
Es war dies das erste Mal gewesen,
daß die Beiden sich während jener
schrecklichen Tage der Krankheit und
des Todes trafen, aber nicht das letzte
Mal. Jn jedem Hause, wo Mangel
und Armuth «herrschten,- fand er sie
wieder. Wochen und Wochen hindurch
kämpften der junge Doktor und die
reiche Erbin Schulter an Schulter ge
gen den furchtbaren Gegner; er mit
der Kunst und Gewissenhaftigkeit des
Arztes — sie, indem sie siir tüchtige
Krankenwärterinnen und fig-: die zahl
losen Hilfeleiftungen sorgte, die einzig
und allein mit Hilfe des csjcldes ver
schafft werden können. Nur Vandine
selbst wußte, wie viele Leben sie ihm
—I
retten half, wie vtele er ohne thr«
Beistand niemals hätte retten könne-J
Sie fprachen wenig mit einandj
wenn sie bei der Ausübung ihres edl
Werkes zusammentraer. Er war t»
einfache, sich von seinen pflichttreu
Collegen durch nichts unterscheiden
Arzt —- fie, die reichste Dame der ga
zen Gegend, zeigte sich ebenso zurü
haltend in ihrer Art und Weise, t-!
sie großmiithig und tapfer war. K
nes von ihnen machte den Versuch,«.
sich selbst gezogenen Grenzen zu üb«
schreiten oder auf die vertraulichen L·
ziehungen von früher anzuspielen. ,
Eines Nachts traf Dicl das ef·
Mädchen in einer Hütte am Meere
strande. Sie saß am Lager eir
sterbenden Weibes.
Die knochige, gelbe Hand der L
denden hielt die schmale, weiße Reis
des Gastes fest umklammert, als ob
die letzte Hoffnung auf Erden wä
an der sie sich festhalte.
Miß Grehlock hatte eine Bibel ,
der Hand und las der Kranken dara «
vor; der sanfte Wohllaut ih
Stimme wirkte tröstend und beru
gend auf die an der Schwelle i
dunklen Jenseits stehende zittert
Seele.
Dr. Vandine blieb, den Hut in i
Hand, erfüllt von einem unwillkür
chen Gefühle der Ehrfurcht, auf k
Schwelle stehen. Ethel blickte ni
auf; vielleicht hatte sie ihn gar ni
bemerkt. Er hatte volle Muße, die St
flexe des Lichtes auf ihren reich
dunklen Flechten und den zarten We
gen zu beobachten. Sie sah blaß u
ermüdet aus. Was für ein merkwi«
diges Leben sie doch führte, sie, in
ren Macht es gelegen hätte, sich f
häßlichen Anblick der Schattensei
des Lebens für immer fern zu halte
Ein eigenthümliches Gefühl kam ü
Vandine, als er so dastand und d
Tone ihrer klaren, ernsten Stim
lauschte. Die Luft des engen Raur
schien ihm schwül und drückend,
vermochte kaum Athem zu hol
Blitzartig kreuzten sich seine Gedan
in feinem Hirn, und plötzych war
ihm, als ob er die kleine Polly wie
vor sich sehe, wie sie, ein echter, z
lumvter Straßen - Araber, zum .
sten Male seinen Pfad kreuzte. Er
innerte sich, welch’ tiefgehendes Jnt
esse er stets an ihr genommen, er
dachte der Pläne, die er hinsicht
ihrer Erziehung und ihres Wohler
hens einst gefaßt, und die der Wert
’ ihres Schicksals zerstört hatte, n
ehe sie zur That geworden; er geda
auch jener stürmischen, kalten Wint.
nacht und der einsamen Straße,
welcher er betäubt und hilflos geleg
bis sie gekommen war und ihn gere ,
hat-e. Und dann wurde er aus die
Träumen plötzlich aufgeschreckt.
Miß Ethel ließ das Buch fallen 1
blickte ihn an; offenbar hatte sie se
Anwesenheit im Zimmer längst
merit.
»Jhre Hand ist lalt,« flüsterte
indem sie ihr dunkles Haupt leicht
gen die Kranke neigte.
Er beugte sich über das Bett. k
Seele der armen Frau war still 1
schmerzlos hinübergegangen zu
Gefilden deI ewigen Friedens, aber
Finger der Todten hielten die Hi
Ethels noch immer so krampfhaft r
schlossen, daß der junge Arzt sie
waltsam lösen mußte.
,,Kom1nen Sie mit,« sagte er da
»Sie können hier nichts mehr th
Kommen Sie, Miß Greylockt Wok
Sie denn auf sich selbst gar keine R1
ficht nehmen?-«
Bleich, sichtlich erschüttert st(
Ethel auf.
»Oh, Doctor Vandine! Wann w
diese furchtbare Zeit enden?« rief
schaudernd.—«
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,,«7«kassen Sie Muty!" Iroicere er
»Wir haben in dieser Woche kei«
neuen Fall von Fieber gehabt, und
denke, wir können annehmen, daß
Epidemie fast erloschen ist.«
Sie zitterte heftig. Er hob die
dem Fußboden liegende Bibel auf i
breitete dem jungenMädchen den M
tel aug schwerer, dunkler Seide um
Schultern· Dann traten die Bei
in die Nacht hinaus, die Sorge für
Todte deren Verwandten iiberlassen
Die Wogen rollten gegen den mo
beleuchteten Strand, so daß es wie ?
Schluchzen eines brechenden Herz
klanaz der Wind war zur Ruhe
gangen, und die weite Fläche der M
schen laa dunkel und still unter t
woltenlosen, sterntlaren Himmel.
»Ist Jhr Wagen nicht hier?« frc
der Arzt, sich nach allen Seiten r
bliclend.
»Nein.« erwiderte sic. »Ich habe
Hause angeordnet, daß ich erst um
Uhr abgeholt werden sollte; ich i
nicht so lanae warten; ich kann ja n
der Villa gehen « furchtsam bin
nicht, und außerdem gibt es in g
Blackport keinen Menschen« der 1
etwas Böses thun würde.«
Dict sah sie mit einem sonderba
Blick an.
(Fortsetzung folgt.)
—.f
An einen Wichtigthuer
Du weißt nicht, wie du drollig bist
Dein Pathos macht mich lachen,
Ja freilich, wer nicht wichtig ist,
Der muß sich wichtig — machen!
—- Vorher unglücklich.!
ter: ,,Pun, warum weinst Du wiede
—- Sohnchem »Die Mutter backt t,
che»n.« — Vater: »Ist das ein ?
gluct?« — Söhnchem »Aber nur
wenia.« .