Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 31, 1897, Sonntags-Blatt., Image 12

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    so- Q Dillgewth
i läuten das Neujaht ein . . .
szu jubelndem Feste
siend bei Becher uwd Kerzen
· schMI
tche Schaut der Gäste.
— das Neujahr bringen mag?
sc durch der Gläser Klingen,
s. hallt die Frage im Herzen
- nach
« es das Glück uns bringen? —
ocken läuten das Neujahr xin . . .
llen Kämmerlein droben
»Juki-im Hin altes Mütterlein,
It zufrieden, heiter, —
Z ja erfahren so manchen Tag:
Gott hilft weiter. 7
Wieder ein Zahn
« Von Gustav John
« swanzigMinuten wird ein neues
beginnen. Jn dem alldeutsch
«- ichen Salon sitzt eine tleine Ge
’ in- heiterer Stimmung bei
Das einfache, aber auserle
ahl ist vorüber.« Man befindet
- der denkbar besten, animirtesten
« Eben wird der dampfende
in die Gläser gefüllt. Noch
elstuwde —- und die Glaser
hell aneinanderilingen, um
"stertem Jubel das einziehende
aht zu begrüßen.
sind m erwartungsvoller Stim
Die bisher laut ge führte Un
ig verstummt Man denkt an
kommenden neuen- Zeitabschniit
, wird das neue Jahr bringen 2
I Ess Wünsche wird es erfüllen, wel
Emssfnungen begraben?
Obenan am Tische sitzt die Dame
Hauses Sie selbst hat für ihre
» Person schon längst mit dem
i abgeschlossen Was kann es ihr
EJJ geben? Jhr Mann hat sich alt
htterAdbokat ein hübsches Ver
-«-;·T..«:- erworben-. Er ist noch immer
"J»— » erksam und gut zu ihr, wie in
J-- ersten Tagen ihrer Ehe. Jhre
»- Nein, das Leben ist für ne
» Mcht so ganz todt. Sie hofft noch
iit ihre Tochter. Neben derselben
-« sdex junge Doctor Klaus. Die bei
«"j-L· Leutchen lieben sich Der junge
ji»«« ist schüchtern und traut sich nicht
Bewerbung hervor, denn er
mger und hat erst eine sehr ge
taxis. Sie denkt: was thut es!
Elsa doch eine hübsche Mitgift
« von der sie die erste Zeit und auch
vseht wohl leben können.
J; -.—:-« der Hausfrau sitzt ihr Gatte.
; « thut zieht Aehnliches durch den
"« Er denkt zurück an die golde
s k« seiner Jugend. Er sieht sich
Kreise begeisterter, frohherziger
sitt-new Was war er doch einst
s. forscher, brausetöpfiger Bur
Und elegisch summte er das alte
. lied:s »O alte Burschen-herr
, wohin bist du entschwunden!«
:- sper, hatte er sieh gedacht, wird
w den Frohn hergebrachter Ver
siigen. Er wird seinen eige
gehem es ganz anders machet-,
» Uebrigen. Unsd nun-Z Ein
«—«ges Lächeln umspielte seine
«, Lippen Er hatte ein Mäd
Jedermthed das er nicht sonderlish
«,bt das nicht sonderlirh schön,
? 7« Fxniderlich reich war. Er hatte es
« thei, weil er ein blutarmer, jun
Iri- war, sder nicht lange aus eine
Praxis warten konnte, und
;-er als Mitgift die ganze ausge
Clienstel iyres Vaters bekam . . .
Tiger konnte noch froh fein, daß es- so
sx . Jm Berlaufe feiner zwanzig
.-7 Sen Ehe hatte er erfahren, daß sie
M gut zu iym stand, baß sie
te und mit zarter Fürsorge
s.. Und dann sein Herzblättchen,
Ist-rede Elsa . . . Ein glückliches
n
»a
huscht über seine ernsten Züge.
ht Elsa, wie sie dicht neben dein
YaDoctor sitzt, der leise, aber ein
zsu ihr spricht. Sie bat die
esenlt, aber er weiß trotzdem,
lig leuchten. Die Beiden müs
lich werden . . .
der Tafelrunde erhebt sich jetzt
s r, bebrillter Herr von seinem
Er ist ein hochangesehener
ller. Er blickt durch seine gol
lle ruhig und freundlich über
nden. Wie er so feine Blicke
immter Ferne schweier läZ;1,
, daß er ein erfahrener Red
rnuß . . . Laute Bravo-Rufe
s ihn-. Er lächelt verbindlich
« mit einem der Punschlöffel
n Glas. Die flüsternden
ummen.
lieben Freuns « — beginnt
- , mit einem jener Blicke,
z durch das Auge sendet —
r, ich darf wirklich sagen-:
ben IreuwdelI Sie haben
t, den ganzen Rest des alten
Mit einer Rede auszufüllen
Jahres? Wie, glauben Sie
ß rnit dem Schlage Zwölf
Zeit anbrichtli Rein! Die
weiter ihren ruhigen, unauf-.
Gang, nur der Zeiger auf
lati unseres Lebens hat
f seine Runde beendet.
« seinen hat das wohl seine
Aber für die Gesammt
« wäreja genan fo, als
Wagsfliege jedem .—.n-.
E te feiern, cks Ærde der
Trunk aus dem Kruge
»MTIIÆIW«· Jch
.- g
--«
habe nur noch fünf Minuten zu spre
chen, muß mich daher kurz fassen. Jch
glaube, das Neujahrsfest wird in unse
rer Zeit nur noch gefeiert, damit wie
der einmal die Herzens irn gegenseitigen
Wohlwollen schlagen, damit sich die
Bande der Zusammengehörigieit fester
knüpfen. Jch glaube-, das Neujahr
wird pefeiert, damit es das Herz des
Unglücklichen mit neuen Hoffnungen
erfülle, damit der Glückliche nicht über
mäthig werde-und sich frage: Wird dein
Glück auch im folgenden Jahre beste
hen? . .. Wer überdentt nicht im
Dämmern ides tagenden Jahres die
Ergebnisse des alten, versinkenden3
Wer zieht nicht seine Bilanz? Wohl
uns, wenn wir einen Ueberschuß hin
übernehmen können in’s nächste Jahr !
Das Neujahr, es ist eine Mahnung,
daß wieder ein-mal eine Seite im Buche
unseres Lebens beschrieben ist« Es
mahnt uns, daß wir die wenigen Sei
ten dieses Büchleins inhaltsvoll und
mit Bedacht beschreiben sollen. Denn
ist einmal das Büchlein Vollgeschrieben.
dann kommt der große Antiquar Tod
und klappt das Büchlein zu und stellt
es unbarmherzig in seine Bibliotf:et,
die die Menschen Friedhof nennen. So
ein Lebensbüchlein beginnt gewöhnlich
mit einem süßen, lyrischen Gedicht
Wünschen wir, daß es nie mit einer
Elegie schließe! Jch könnte noch Vie
les sagen . . .'«
Jn diesem Augenblick wird der Red
ner unterbrochen. Langfam hallen
zwölf feierliche Schläge durch die
Nacht. Einige Augenblicke ist Alles
still, und man siehst nur ernste Mienen.
Jkn nächsten Moment aber bricht der
Jubel los. Hell klingen die Gläser an
einander, und Alles trinkt sich frohge
Iuth zu. Der verneinen-te Redner von
vorn-hin aber ruft mit feierlicher
Stimme: D
»He-eh das neue Jahr! Hoch. hoch.
hoch! Dies-mal lasse ich es gelten, denn
es hat uns bereits etwas Erfreuliches
gebracht!«
Und er wies lächeln-d auf ein glück
liches Paar, auf Elsa und Dr. Klaus,
die der Hausherr eben als Verlobte
präsentirte . . .
Und der großeAntiquar stand drau
ßen in sder stillen, weißen Neifsahrs
nacht und wartete . . .
Rein Freund cstinkter
Sylveftermdumoresie von T. Szafransii.
Wenn ich sage ,,mein Freund«, so ist
damit eigentlich zu viel gesagt, denn
mein Freund Hilarius, Besitzer einer
großen Lederhandlung, war keines
Menschen Freund. Und doch hatten
ihn Alle gern. Wenn er in seinem
alten taffeebraunen Ueberrock mit den
langen, schleniernden Schößen, den
fchiibigen Klapphut tief in die Stirn
gedrückt, von seiner Wohnung in der
Georgenlirchstraße (Berlin) über den
Alexanderplatz hinweg nach seinem
»Geschäft« in der Klostersiraße stelzte,
da war er allerdings ungenießbar.
Wer ihn auf diesem Wege anzuspa
chen sich ertühnte, konnte sich eines der
ben Anichnauzers gewärtigen.
»Bin kein Tagedieb, hab’ zu thun!
Serous!« knurrte es dann aus dem
struppigen Urwalde seines Bartes her
vor, und beichleunigten Schrittegs eilte
er davon, beide Hände auf dem Rücken z
und ohne den verblüfft bestehenden
»Tagedieb« auch nur eines Blickes zu
würdigen.
Mein Freund Hilarius war früher
ein hochbegabter Schriftsteller gewesen.
Was ihn bewogen hat, die Feder mit
dem Ledermefser zu vertauschen, hat;
er Niemandem anvertraut. Erst vor;
einem Jahre als er mir auf meinerj
gemüthlichen Bude den seit Jahren:
üblichen Sylvesterbesuch machte und
der dampfende Punsch seine Zungei
gelöst hatte, da erfuhr ich das »Ge
heimniß seines Lebens«.
,,—— —- — Und wenn Du mir,« so
erörterte er im Anschluß an ein so
eben durchgehecheltes Gesprächsthema, »
»unter 27 heiligen Eiden versicherst,i
daß Du Zu Anfang Deiner gottver- ;
. Federfuchserei mit 30 Thalern
monatlichern Salair noch Ersparnisse.
gemacht hast, so ist das Dein Eid;
wenn ich aber beschwören wollte, daß
es mir unter den gleichen Umständeni
gelungen wäre, desgleichen zu thun, so
wär-e das Meineid, und der wird nach
Paragraph153 des Reichsstrafgesetz- ·
buches mit Zuchthaus bis zu zehn Jah
ren bestraft Also ich wohnte damals
in einem elenden Dachstiibchen; dort
Eins ich gearbeitet, s— gelebt und ge
ie t "—«. T
--.-·. -- -..--- - ·
Und er erzählte weiter: »Als ich
zum ersten Male die Scheiben meines
Fensters mit dem Rockärmel abwischte,
da bemerkte ich drüben ein gleiches
Fenster. Das ,,vis-å-vii-i« schien mir
nicht gerade erbaulich, denn es waren
da gewisse Toilettenstiicke ausgekiänqLZ
Aber plötzlich sah ich — eine Hand,
ach was —- eine Hand! — Ein Händ
chen erblickte ich, so klein, so sein, so
zart! Meine Begierde, die Besitzerin
dieses Miniaturpsötchens von Ange
sicht zu Angesicht zu sehen, sollte sich
bald erfüllen, denn es dauerte gar
nicht lange, da schaute ein süßes Köpf
chen zum Fenster hinaus, spähten zwei
lichtblaue Augen umher, ob denn dies
Spatzen nicht bald kämen, ihr Früh
stück zu holen.
Und die Sratzen kamen, nmslatter
ten drängend und standalirend das
kleine Fenster —- und mein Herz flat
terte mit. Es war geschehen! Von
nun an lag ich täglich. in stiindlich
aus der Wacht die Arbeit blieb liegen
und der Dalles wuchs mit meiner
Liebe. Doch was will das sagen
Ein Blick meines holden via-dienen ein
Gruß von drüben machte mich reich,
stolz und glücklich.
Jch wohnte bereits drei Wochen in
meiner Dachstube, als mich eines schö
nen Tages mein Zimmernachbar mit
seinem Besuche beehrte. —- Lexilon, ich
sa» Dir, solch’ eine consiscirte Visage
ha e ich in meinem ganzen Leben nicht
wieder gesehen.
Er stellte sich mir vor als Heinrich
Amadeus Nessel, früher Reisender in
Stiefelwichse und Appretur - Utensi
iien, jetzt dramatischer Dichter. Einige
seiner Werte wären bereits von denä
größten Theatern zurückgewiesen wor- ;
den. Er bringe mir, als Collegen,«
vertrauensvoll das jüngste Kind seiner
Muse, ein nur sünsattiges Trauerspiel 1
mit Prolog und Epilog
Jch schauerte zusammen und lenkte
aus ein anderes Thema, nämlich aus
das liebliche visit-vix dessen Blick so
eben wie ein Sonnenstrahl herüber
blitzte. Es bielt nicht schwer, aus dem
redseligen Reisenden siir Stielelwichse
und Aprretur - Utensilien alles Wis
senswerthe herauszubringen Wie das
aufgezogene Räderwert einer Uhr, ge
schmiert durch die persönliche Begeiste
rung fiir den Gegenstand. schilderte er
mir die holde Laura drüben als die
condensirte Essenz aller weiblichen
Vorzüge.
Sie war die Tochter eines armen
Musiklehrers und Eomponisten, dessen
gesammelte nachgelassene Werke sich
aus zwei unversotgte Töchter, Laura
und Minna, beschränkten
Heinrich Aniadeus Nessel und ders
glückliche Vermiether meiner Dach- ;
stube hatten sich als gegenwärtige Zu- s
künftige der beiden Mädchen betrach-s
iet. Mein »sanster Heinrich« minntei
die Laura, der andere lauerte aus diel
"·Minna. und dieser andere, ein Mecha- I
nikuå, hatte auch vor zwei Monaten
die Minna als eheliches Gesponsti
heimgesiihrt. Nessel meinte, er hättet
ihm die Sache schon nachmachen kön-!
nen, wenn er, wie er stolz betonte, sich i
herbeilassen wollte, vom Prgasus her-s
abzuiteigen und die mehr praktische.
und einträalichere Beschiistigung eines
Reisenden siir Stiefelwichse und Ap
bretur - Utensrlien wieder auszuneh
men.
Wiewobl das meinem idealen Ge
müthe sehr zuwider war entschloß ichf
mich dennoch, der schönen Lanra eine
Visite in machen. Ich radirte meinen !
Papiertraaen sorgfältig rein und?
saßte mir ein Herz, um selbiges hin-I
überzutragen. Mit bebenden Knieen
erilomrn ich die sechs Stiegen undI
stand vor ihrer Thür. Jch klopfte !
und zwar so laut, daß drinnen »Hu-i
ein« gerufen wurde. ;
Vielleicht weißt Du, wie Einem zul»
Muthe ist, wenn man sich plötzlich dem l
Gegenstand seiner Neigung geaeniiber- j
sieht und im kritischen Augenblicke zu!
dem Bewußtsein kommt, daß von der;
wobl einstudirten Anrede nicht deri
blasse Schimmer einer Ahnung übrig
geblieben ist.
So ainefs mir!
Heiliger Brabma! Ich sage Dir,
helle Schweißtropfen traten mir ans
die Stirn und gewaltsam tastete ich in
meinem Gedächtnisse nach dem verlore- l
nen Faden jener Anredr. Verrweiselt l
irrte mein Blick in dem schmncken
Stäbchen umher, um plötzlich aus derz
Staffelei haften zu bleiben. Ein Gei- :
stesfunie durchblitzte meine Gedacht-J
nißöde und derdichtete sich zu den ae-T
mütbstiesenWortent »Sie malen wirk- ;
lich sehr schön, mein Fräulein!«
Heute noch sehe ich, wie es da um
den kleinen süßen Mund zudte nnd
wie dann plötzlich ein Lachen ertönte.
ein Lockenbelles fröhliches Kinderla
chen, das mich nnwiderstehlich zwang,z
«mit einzustirnmen. s
Und so lachten wir Beide herzlich
bis wir schließlich uns die Hand ga
ben und ein vernünftiges Gespräch ein- :
leiteten. i
Was mir zu Ohren kam, entzücktei
mich. Auf meine zarte Frage nämlich.
ob sie oft an »Heinrich« denke, be
merkte sie, daß dies geschehe, so oft sie
einen Pinsel in die Hand nehme.
Der Leitstern aller meiner Gedan
ken war von nun an der Gedanke ans
Heirath.
Neujahr stand vor der Thür, undl
es war mein fester Entschluß, der
Holden mit meinen Glückwiinscheni
auch mein Herz zu Füßen zu le
AM — — —
»Mensch, Freund, einzig mitfüh
lende Seele!« schindste Hilarius. Die
Rührung und Erinnerung überwäli
tigte ihn. Ich tröstete mit leisem Zu
spruch.
Und da kam es denn in abgebroche
nen (Sät3en beraus, daß das Unge
heuer-, der sanfte heimich von seinem
Pegasus aus Stiefelwichse umgesattelt
war und so das praktische Herz der
schönen Laura gewonnen hatte.
Als meinFreund Hilarius den wich
tigen Neujabrsbesuch machen wollte,
wurde er von einem »glücklichenBraut
paare« empfangen.
«- - «
Seiidem hat mein Freund hilatius
nicht eine Zeile inebr geschrieben. Er
ward Lederiausmann en gros und en
detail und erlebte als solcher die stolze
Freude, siinf Heirathsveemitilet die
Treppe hinunterwersen zu können. »
f
—DieUngenügsame. Frau:
»Seit Deiner Rückkehr von der Reise
hast Du mir noch nicht einen Kuß ge
geben.« Mann: »Ja, aber ich habe Dir
doch erst im letzten Briefe 1000 Küsse
acichickt.«
Der Yetrjahrswuitsch. J
»Nein, Maina ,diese Schändlichkeit
übersteigt aber doch alle Begrissel" tief
die hübsche, neunzehnjährige Mimi
Stein, mit hochrothen Wangen undl
zerzausten Stirnlöckchen in das Em-l
Psangszinrmer ihrer elterlichen Woh
nung stürzend und in ihrer Erregung
völlig außer Acht lassend, daß die
Mutter nicht allein war.
»Aber-, Kind«, fiel die Prosessorin
Stein der kleinen Ungestümen ver-wei
send in’s Wort, »siehst Du denn gar
nicht -—'«
»Ach, verzeihen Sie, Herr Doltor«,
bat Minii erschrocken und schlug die
dunkelblauem thränensunkelnden Au
gen schüchtern zu dem großen, schlan
len, jungen Manne aus, der bei ihrem
siiirmischen Eintreten ausgesprungen
war und jetzt, verlegen sein dunkles
Schnurrbärtchen streichend dastand,
ohne zu wissen, ob er schleunigst seine
Abschiedgverbeugnng machen oder der
Tochter des Hauses erst den üblichen
Neujahrzlvunsch aussprechen sollte,
»aber sehen Sie nur. lann so etwas ei
nen nicht außer Rand und Band
bringen«
Damit hielt sie dem jungen Mann
eine Neujahrslarte hin, iiber die sich
allerdings ein neunzehnjiihriges Mäd
chengemüth nicht so leicht mit philoso
phischem Gleichmuth hinwegsetzen
konnte. Eine Gruppe junger Damen
nahm mit sichtlichem Wohlgefallen die
Huldigungen verschiedener Adonisse in
Unisorm und Civil entgegen Und
blickte dabei spöttisch triumphirend
nach einer lächerlich ausgeputzten weib
lichen Figur im Hintergrunde, die mit
neidischen verbissencr Miene die Ge
seierten durch ihre Lorgnette niusterte.
Unter dem sinnigen Gemälde standen
in augenscheinlich verstellter Hand
schrift die hsaarstriiubenden Verse:
»Die Indus jedem Ball Dich aus ’neu
YJiann thust spitzen.
III-an lacht nur über Dich und läßt
Dich kläglich sitzen.
Und den Du it tout jnsix als Gattin
willst begliiden,
Der kehrt Dir sung-— misnsi. verliebte
Maid, den Stücken«
»Das ist allerdings ein sehr sader
Scherz, mein gnädiges Fräuletn'«,
meinte der- als »Herr Doktor« Angem
dete.
»Fader Scherzt« ries Mimi heftig,
den dicken, bernsteingelben Zops, der
ihr bei ihrem Zornausbruch über die
Schulter geglitten war, wieder aufne
stelnd. »Bitterer Ernst ist es der Ab
senderint Nicht genug, daß sie mir je
desmal, wenn wir uns sehen — und
leider bringen die Verhältnisse das
sehr ost mit sich — irgend etwas Ver
letzendes sagt, das mich siir den gan
zen Tag verstimmt, meistens stichett sie
über meine Kleinheit —- rnuß sie mir
nun auch gleich den eosten Tag im
neuen Jahr verderben. Mir wurde
ans dem letzten Ball schon angst und
bang, weil ich zufällig mal ein einzi
ges, armseliges Kotillonboutett mehr
hatte als sie, und ich dachte bei mir
selbst: Wie sie setzt wohl wieder gegen
Dich anspinnt? Doch daß sie es so arg
machen würde —«
»Aber, bitte, wer ist denn diese ge
heimniszvolle ,,sie'«? Die liebenswürdige
Absenderin wir-d doch ·schwerlich ihre
Visitentarte beigelegt haben. Wie tön
nen Sie also wissen —«
,,«O, die Handschrift ist, obgleich
verstellt, unverkennbar, und dies see
griine Briespapier bat sie erst neulich
mit mir zusammen getauft. Zu·dunrm
von ihr, ein Couvert davon an mich zu
benutzen!«
»Aber den Namen, mein gnädigstes
Fräulein. Jch kenne doch so ziemlich
alle jungen Damen, die in Jhrern
Hause vevtehren. Vielleicht bietet sich
mir einmal die Gelegenheit, Jhrer
»Freundin« zu zeigen, wie ich über der
gleichen härnische, versteckte Angriffe
deute. Diese Art Damen sind mei
stens überaus empfindlich gegen männ
lichen Jadel.« « »
i- k- -·
,,Nein'«, sprach Mimi mit Entschu
denheit, und ihre kleine, zierliche Ge
stalt schien förmlich zu wachsen unter
einem heroischen Entschluß, ,ich will
nicht am Neujahrsiage Böses mit Bö
E sem vergelten. Es heißt ja, wie man
das Jahr beginnt, so beendet man ei
auch. Aber wissen soll das Gränel —
ach nein, das wollte ich nicht sagen —-·
; also wissen soll sie wenigstens, dasz sie
« ertanni ist. Meine Tante Hersniinei
die jetzt bei uns zu Besuch ist, wird!
mir derne die Adresse machen, und
dann will ich ihr sofort durch einen
Diensimann den malitiösen Wunsch
zurückschicken Ganz gewiß verräth sie
sich, sobald sie mich wieder trisst, und
dann lann ich ihr einmal ordentlich sa
gen, wie mir’s ums Herz ist.«
»Das ist eine samose Jdee, die Ih
vem Köpfchen alle Ehre macht«, ries
herr Dr. phil. Viktor Bernardi.
»Mehr aber noch,'· suhr er mit Wärme
fort, »bewundere ich die hochherzige
Standhasligteit, mit der Sie den Na
men Ihrer Feindin miri gegenüber ver
schweigen.«
»Ich meine, Herr Doktor-", entgeg
nete die Professorin lächelnd, ,,Mimi
thiite am besten, den albernen Wunsch
sorsort in’s Feuer zu stecken und der
Absenderin in keiner Weise zu zeigen,
daß der Pfeil getrossen hat.«
»Nein, nein, liebe Mama«, beharrte
Mimi, »diese tleine Genugthuung lann
ich mir nicht versagen. Glaube mir,
es ist siir beide Theil das beste, denn
wenn ich mich ihr gegenüber einmal so
recht ausgesprochen habe, verzeihe ich
’ihr vielleicht auch dieses, gerade sos
wie — wie — schon so manches an
dere.'« —- -— —- »
Die kleine Miini ist doch ein aller- -
liebstes Mädchen, dachte Bernardi, in
dem er die Hauptstraße hinterging, um
seine Besuchstournee sortzusetzen.
Wirklich, ich hätte nicht gedacht, daß
so viel in ihr steckt, und es« thut
mir jetzt leid, daß ich sie in der letzten »
Zeit so arg vernachlässigt habe.
Allerdings hatte unser Doktor alle
Ursache, renige Betrachtungen in Be
zug aus die »kleine Mimi» bei sich an
zustellen. Längere Zeit war» sie ihm.
bei jedem gesellschaftlichen Zusammen
treffen der Gegenstand ausfallender
Galanterien gewesen, vielleicht noch et- s
was mehr, denn man hatte bereits auf
dem Drachensels, oder in schlichten
Worten, in der Saateele, wo sich -«,,die
Mütter« zu guten Reden zusammen-—
zusinden pflegten, allerlei gernunielt·
Aber da war dem Verliebten plötzlich
eine neue, alänzendere Erscheinng in
den Weg getreten, die Mimis beschei
denere Reize in den Schatten gestellt
hatte, und dann — ja, wie es so zu
gehen pflegt. Man hatte ja bis jetzt
noch kein bindendes Wort gesprochen,
höchstens vielleicht dann und wann ein
enipsindungzvolles, und was-I will das
sagen? Ebenso wenig wie ein gele
gentlichet zärtlicher Blick. Aber ein
Mann in Amt und Würden sollte doch
im Verkehr mit jungen Damen Acht
aus Worte und Blicke haben, denn eine
Tändelei, die man etwa einem Stu
denten hingeben läßt, wird bei ihm
ganz anders beurtheilt. Alles dies
ging dcrn Doktor jetzt durch die Seele,
und so in fiel veriunlen wandelte er
seines Weges, daß er eine junge, hoch
gewachsene Dame in anssallender, aber
höchst tleidsainer geschmackvoller Tot
lette, die schon längere Zeit neben ihm
lxergeschritten war, nicht bemerkte, bis
ein silberbelles Richern ihrerseits-H ihn
aus seinen Betrachtungen ausschreclte.
»Mein gnädicsstes Fräulein«, rief
er, verwirrt de« Hut ziehend, wie ist essZ
möglich, das-, ich für das Glück Ihrer
Nähe kein Auge gehabt habet Aber,
ich — ich —"
»Sie rechneten gewiß gerade aus«
mit wieviel Neujahriåvisiten Sie sich
noch abstrapaziren müßten, wie?« Die
junge Dame hielt sich totett, wie zum
Schutz gegen die Kälte. ihren weißen
Mufs vors Gesicht, so daß ihre dun
keln Augen und schwarzen Haarwellen
zur wirkungsvollsten Geltung lamen.
»Ich bin auch aus Gratulationkbesuche
aus. Martia behauptet, sich nicht gut
zu befinden, und so muß ich an ihrer
Stelle —- schauderhaft langweilig —
meinen Knix bei einem Dutzend al
ter Schachteln und Kollegentanten
machen.«
»O wie schade! Und ich bin gerade
aus dem Wege nach Jhrem Haus«
»Sagen Sie »war"," bestimmte
Fräulein Edda Bertram —- als solche
stellen wir sie dem Leser vor —- mit
einem totetten Ausblick, »denn Sie
werden doch nicht so ungalant sein,
Ihren Besuch jetzt zu machen, wo Sie
wissen, daß ich abwesend bin? Jch we
nigstens ignorire unser Zusammentref
fen durchaus und erwarte fest, dasz Sie
mir zum nitssrzwmtssn the Glück
wünsche in aller Form darbringen.«
Hieraus nickte sie dem jungen Mann
einen graziösen Abschiedsgrnsz zu und
bog schnellsüfzig in eine Rebenstraßei
ein, seelenvergniigt in demBewußtseimi
der zappelt unrettbar in deinem Netzs
nnd entgeht dir nicht.
Jhre Zuversicht wan teineswegs un
beariindet. »Ein reizendes Geschöpr
rnonologisirte der statterhaste Knaben
lehrer, und seine reuigen Umwandlun
gen waren plötzlich wie weggeblasen.
»Vielleicht ein bissel totett, auch dürfte
sie etwas weniger »s- etwas weniger —
nun, leck, in ihrem Verkehr rnit Män-.
nern sein. Aber das giebt sich sobalds
sie die Frau eines Pödagogen ist, derJ
schon mehr als ein gutes Erziehung-IS- J
resultat aufzuweisen hat« Uebrigenss
muß ich ihr doch heute Nachmittag das T
Mißgeschick anvertrauen, das die arme»
kleine Mirni betrossen hat. Vielleicht
lann sie das Kind etwas ausheitern ;
sie ist ja ihoe beste Freundin.·' f j
Sonderbarerweise war Herr Doktor
Bernardi immer der Thatsache gegen
über tutzsichtig geblieben, daß gerade
die «beste Freundin« von dem Augen
blick an, daß er sie lennen gelernt, sich
bestrebt hatte, ihm die kleinen Schwä
chen Mimis, die ihm bis dahin entgan
gen waren, mit reizender Schaltbaftig
teit vor Augen zu führen. Daß Ed
dag brünette Schönheit nur noch mehr
neben den von ihr zerpflückten Reizen
der kleinen blonden Miini zur Geltung
lam. war das ihre Schuld? —- Auch
heute kam ihm nicht der Schatten ei
nes Gedankens, daß doch eigentlich
Edda es gewesen« die ihn von seiner- er
sten Liebe abgebracht. Jm Gegentheil,
mehr noch als je erschien sie ihm in
seiner, Reujahrsstimmung als das
Jdeal holder Weiblichteit, und indem
er mechanisch in den Familien, bei de
nen er seinen Besuch zu machen hatte,
die üblichen Neujahrsphrafen hinun
terteierte, tam immer mehr der Ent
schluß bei ihm zur Reise: heute will
ich dem Schwanten ein End- machen
und das neue Jahr soll mich, soviel
an miv liegt, als glücklichen Bräutigam
sehen.
Erschöpft von den vielcn pflicht
schuldigen Visiten, aber selig in dem
Gedanken an die Dinge. die da tum
men sollten, zog Vittor Bernardi am
Nachmittag die Klingel zu der Woh
nung des Justizrathes Vertraun
Edda empfing ihn in sorgsam ge
wählte-.- Haustoilette allein im Samt,
in reizend weiblicher Gefchiiftigleit am
Theetifch. Sie erschien fast noch ichs-—
ner als gewöhnlich, denn ihr malte-:
Elftnbeinteint wurde heute durch ein
warme-Z Roth gehoben und ihre gro
szen Augen strahlten ein Feuer aus,
daß die arme Motte, die sich ja die
Flügel bereits bedenllich versengt hatte,
nun blindlingö in die Gluth hinein
taumelte.
»Ach, Herr Doltor,« rief Edda beim «
Anblick des Sträufzchens aus weißem
Flieder, gefüllten Veiichen und Mar
schallnielrosen, das der Freierömann
ihr, seinem Programm getreu, mit
stummer Verbeugung überreichte, ,,wie
wohl thut einem ein soteher Neujahrög
gruß,wenn man gerade von derjenigen,
zu der man solch sestes Vertrauen ge
habt hat, in der perfidesten Weise um
die ganze friobe Neujahrgstimmung ge
bracht worden isl.«
»Auch Sie, Fräulein Edda", rief
Bernardi im Tone innigsten Mitge
fiil)ls, »wer könnte fo etwas übers-Herz
bringen«-«
»Der Neid, nur der empörendste
Neids Bitte, sehen Sie, ist es zu glau
ben?«
Der Doktor fuhr beim Anblick der
Karte, die Edda mit bebender Hand
aus dem Couvert zog, zurück, als habe
er einen Schlag in’s Gesicht erhalten.
»Diese Karte«, rief er unzufammem
hängend, ,,wie ist es möglich —- nein,
ich musz irren — es- tann ja nicht
fein.«
»Nicht wahr, man sollte es nicht siir
möglich halten« daf; die beste Freundin
so falsch, so hinterliftig —«
»Aber um Gottes-willen, wen halten
Sie denn fiir die.Absendcrin?«
»Wen anders als Mimi Stein. Sie
war immer so neidisrh auf mich, haupt
sächlich weil -— nun, weil —« Edda
kämpfte sichtlich einen schweren Kampf
mit ihrer mädchenbaften Schiichlern
heit, endlich stammelte sie mit gesenk
ten Wimperm »Nun, warum sollte
ich es Jhnen nicht gestehen, Sie wis
sen ja, wie harinlog ich unsern Ver
teljr aufsasse, aber die kleine, unbedeu
tende Person war immer sauszer sich
vor Aerger, wenn Sie einmal mehr
mit mir getanzt hatten als mit ihr,
deshalb —«
»Aber, mein Fvärilein,'« rief Ber
naidi in einem Ton, wie Lidda ihn noch
nie von ihm gehört hatte, »wir ist es
möglich, daß Sie Ihrer bei alledem
beften Freundin solche Jnfamie zu
trauen!«
»Es ist ihre Handschrift«, entschul
digte Edda sich unvorsichtig.
»Wirtlich«.-« bemertte ihr Exbewun
derer ironisch, »wenn Sie sich da nur
nicht irren. Jch meinerseits möchte da
raus schwören, daß Fräulein Stein ei
ner solchen niedrigen Handlung durch
aus unfähig ist.«
»Prosit Neujahr, lieber Doktors«
erscholl in diesem Augenblick die Stirn
rne des Justizraths, den mit seiner bes
sern Hälfte durch die Portiere des Ne
bengemachs eintrat. Edda warf dem
Elternpaar, das eine erquickende Siesta
gehalten und nun die Absicht zu ha
ben schien, die ganze Welt mit Wohl
wollen zu umsangen, einen vernichten
den Blick zu. Was brauchten sie in die
sem Augenblick aus der Bildsläche zu
erscheinen.
»Aber nun rasch eine Tasse They
liebes Eddachen«, mahnte die Justier
thin, »e; ist bittertalt; unser guter
Doktor hat wohl auch schon einige
Sehnsucht-—«
,,Dante, danie, meine gnädigste
Frau··, lehnte »unser guter Dottor«,
der merkwürdig bleich geworden war,
die Liebenswiirdigleit der Hausfrau
ab. »Jndem ich Ihnen meine ergeben
sten Glückwiinsche ausspreche, musz ich
mich gleichzeitig empfehlen, da ich mich
schon zu lange bei Jhrer Fräulein
Tochter aufgehalten habe und nun noch
rasch einige durchaus nothwendige Be
suche erledigen muß.«
sMit diesen Worten trat er einensast ·
brüsten Rückzug an, ohne auch nur j
den Versuch zu machen, Eddas zarte
Fingerchen zum Abschied zu drücken.s (
Verwundert und geärgert blickte sie
ihmjach .
-- »s- »so-«
»Was hat denn der albernevjtentchP
war ihr Gedantengang, indem sic- an
den Theetisch trat, um ihren Pflichten
alg sorgsame Haugtochter zu genügen,
jetzt leider nur die Eltern als bewun
derndeg Publikum. ,,Launen? Das
könnte mir grade passen! Solch lleine
Scherze werde ich ihm schon abgewöh
nen, wenn er erst mein Mann ist. Wie
sonder-bar er sich übrigens geritte, als
ich von der lnirpsigen Miini sprach. —
Sollte etwa — Mimi Stein, wenn
ich so was glauben müßte, schielte ich
dir ,,verspätel« einen noch ganz an
dern Neujahrsgruß als den ersten, ei
nesn, bei dem du einfach starr wä
re t.« —- — —
Zwei Tage später aber erhielt Mi
mis ,,beste Freundin« einen ,,veespiite
ten« Neujahrsgruß, bei dem sie ihrer
seits erstarrte. Allerdings nur auf ei
nen Augenblick, bald genug tani wie
der Leben in das schöne Steinbild. Die
einfache, weiße Karte, der man nichts
Fürchterliches ansah, flog in Stücke
zerrissen aus den Fußboden, zwei zier
liche Fäßchen stampften ein paarmal
daraus herum, dann wurde eine Thitr
in's Schloß geschmettert —- und wehe
dem, dessen Verhängnis es war, Fräu
lein Edda Beriram in diesem Augen
blick in den Weg zu treten. Die
Karte aber hatte nichts enthalten als
die Miltheilung, daß Mimi Stein
und Vittor Bernardt Verlobte wa
ren. . .