Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 19, 1897, Sonntags-Blatt., Image 15

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    neune-Anna
Roman von Joiet Trauunan
(19. Fortfetzunq.)
»Was habe ich von Jhnen zu er
warten, wenn Ethel uns entrissen wer
den folltei Würden Sie mir mein
Jahrgeld entziehen? Würden Sie mei
ne Ansprüche an Sie als erledigt erach
xen ?« fuhr Jris in nervöser Aufregung
ort.
»Madame!« erwiderte er mit Ent
rüstung; »Sie scheinen um sich selbst
weit besorgter zu sein, als um Jhre
Tochter. Jch muß es ablehnen, dies
Möglichkeit von Ethels Tod und die;
daraus entfpringendenFolgen auch nur !
einen Augenblick in Betracht zu ziehen. i
Sie foll, sie darf nicht sterben! Jch
bin jetzt ein alter Mann —- ich
könnte ohne sie nicht leben! Sie ist
das einzige Wesen in dieser weiten
Welt, das ich liebe. Adieu, Madame!
Wenn ich Jhret bedarf, werde ich Sie
holen lassen. "
Aergerlich und enttäuscht ging Jris
ihres Weges.
Die nächste Besucherin, die in dem
Herrenhause eintraf, war Mercy Poole.
Mit dem festen Schritt eines Grena
diers kam sie die Allee herauf marschirt
und sie suchte die alte Hoplins in
Dienstbotenquartier auf.
»Gilt es Leben oder Tod hier?«
fragte sie in ihrem gewöhnlichem iurks
angebundenen Tone.
»Es läßt sich noch nicht mit Be
stimmtheit sagen«, antwortete die alte
Harrshälterin ,,Jhre Dienerin wird
jedenfalls vorläufig bei uns bleiben
müssen. Sie lann nicht fortgeschafft
werden; es würde ihr sichersr Tod fein,
wie Doktor Vandine Ihnen gewis;
schon erklärt l«,at.«
»Ja«, sagte Mercy Psole mit leich
tem Flopfnicten ,,Grof3er Gott! Wa
hat das arme Ding nur gethan, dass,
Jemand daran denken konnte, sie zu
ermorden? llnd das bei den alten
Salzgrubenl Diese Tbat ist noch lau
fendmal schlimmer als die, die vor
Jahren an demselben Orte begangen
wurde.«
»Reden Sie nicht davon, Merch
Poole!« rief die alte Hopkins.
Die Wirthin der »Rosen-Herberge«
wandte sich plötzlich um und sagte
langsam: »Wenige Stunden, ehe diese
Blutthat begangen wurde, befand sich
ein Mann in dem Gasthofe, der zu der
Sängertruppe gehörte. Alle seine Ge
fährten waren abgereist, er allein blieb
zurück und richtete alle möglichen Fra
gen iiber Blartport nnd seine Bewoh
ner an mich. Er nannte sich Rgnaultz
ich möchte aber daraus schwören, daß
dies nicht sein wahrer Name sei. An
dem Abende, an dem der mörderische
Angrisf auf Misz Grehlock und meine
Dienerin gemacht wurde, bezahlte er
frühzeitig seine Rechnung und ver
-schwand dann. Beging dieser Mann
vielleicht das Mordattentat auf
Polltft Was führte Ethel Grenlod an
jenem Abend nach den alten Satz«-ru
ben?"
»Wir wissen so wenig darüber, wie
Sie«, antwortete die Haushalterin
Merch guckte die Achseln und schied,
wie sie gekommen war.
Tage vergingen, lange, lange Tage,
in denen der Tod über dem großen
Hause zu schweben schien. Von Tag
zu Tag nahm Doktor Vandines Ge
sicht einen ernsteren, besorgteren Aug
druck an. Von tiefster Seelenqual ge
sottert, schritt Godfreh Grehlock friih
und spät in seiner Bibliothek auf und
nieder, während Tante Pameta fast
wahnsinnig vor Schmerz von Zimmer
zu Zimmer lief. Noch immer ruhte
Ethel Greyloctg Kopf aus den ge
stickten Kissen ihres Eiderdaunenla
gerä; ihre Züge waren so verändert
und eingefallen, daß selbst die Augen
. eines Liebenden sie kaum wieder ers
kannt hätten.
. Polly tam zuerst wieder zum Be
wußtsein und kehrte langsam, aber
sicher zum Leben zurück. Jhre Lebens
zähigteit erwies sich jetzt ebenso groß
wie in den Tagen ihrer Kindheit. Ei
nes Morgens, als die alte Hopting
an ihrer Seite saß, schlug sie die
Augen auf und fragte mit matter
Stimme: »Ist Fräulein Gteylock vers
letzt?«
Ihr erster wiedertrhrender Gedanke
galt dem Mädchen, siir das sie sehon
zweimal bis zu den Worten des To
des gegangen war.
»Nein«, antwortete die alte Haus
hälterim »Mis3 Ethel ist nicht verletzt,
allein sie ist lranl und besinnittinglog,
und auch Sie haben viel phantnsirt -
wohl insolge Jhres starten Blutverlu
stes. Wissen Sie, wo Sie sinds Jn
Grehlock Wechs. Sie wurden mit
Miß Ethel von den Salzgruben hier
her gebracht. Doch nun erzählen Sie
mir von jenem Abend! Es verlangt
uns Alle so sehr danach. die Geschichte
zu vernehmen, unser armer Liebling ist
bis seht noch nicht im Stande gewesen,
ein einziges vernünftiges Wort zu
sprechen.«
Pollh blickte die alte Hoptins mit
hohlen, scheuen Augen an. Dann«
suchte sie sich auf ihrem La er zu erhe
ben und sagte mit leiser, heiserer
Stimme: »Geben Sie mir meine lKlei
der! Warum hat man mich hierher ge
bracht? Jch tann nicht hier bleiben —
lch muß aus der Stelle nach der
«Kaien-herbeege« zuriiet —»— tch tann
Jst-en nichts sagen —- tem einziges
. «
r.
Die alte Haushältetin starrte die
Kranke verblüfft an. »Wer verwun
dete Sie bei den Salzgruben, Mäd
chen?" fragte sie, »und wie kam Miß
Grenlock mit aneri dort zusammen?
Sie miisfen mkr Alles sagen, und das
auf der Stelle!"
Ein seitiamer Ausdruck ging über
Pollys blutlofes Gesicht. »Fragen Sie
mich nicht!« keuchte sie; »ich werde
Jhnen nichts sagen — Sie können mich
nicht zwingen — ich will nicht —- ich
will nicht!«
Die Hausbälterin schickte sofort nach
Doktor Vadine.
»Dies erinnert mich an die alten
Tage im Hospitah Polly,« begann der
Doktor, indem er neben dem Bette der
Verwundeten Platz nahm. Du bist
wahrlich unter einem Ungiacksstern ge
boren. Sei nun aber ein gutes Kind,
! Polly, und fage mir, wer der Schurke
; ist, der Dich und Miß Greylock bei dem
Steinhaufen angriff!«
. Zum ersten Male in ihrem Leben
; orien- sie den Doktor mißtkauisch an.
; »Nicht fiir alle Schätze der Welt würde
J ich auch nur ein einziges Wort über
; jenen Abend reden!« rief sie mit einer
icheftigkeih die Doktor Vandine besorgt
! machte.
Seine Stimme hatte von jeher große
i Macht über sie gehabt; jetzt aber bat
und redete er vergeblich. Sie blieb un
beweglich
Endlich erhob sich Bandine halb är
gerlich nnd sagte im Geben: »Ich kenne
Dich, Polly; Du handelst gern edel
und großmüthig Mit Deinem
Schweigen suchst Du Jemanden zu
schonen; nicht Dich selbst, so viel ist
ficher.«
Eines Abends imSpiitsommer stellte·
sich auch in Etbelg Fieber die Krisis.
ein« Doktor Vandine und die Wärtei I
rin befanden sich allein im Kraiiken:’
zimmer· Vor der Tbür schritt God
frey GreylorL von tiefster Seelenqualj
gefoltert, im Corridor auf und nieder.
Galt es Leben oder Todi Jn dieser
schrecklichen Stunde empfand er eg tie
fer denn je, daß er se.ne Enkelin mehr
als feinen Familienstolz, mehr als sei
i nen Reichtlnrm, mehr als die ganze
k Welt liebte
dem Erkerfenster am Ende des Cor
ridors schien des Mondes- Silberlicht
herein; ein Nachtvogel sang unter den
Kastanienbäumen der Aller; der von
dem Wohlgeruch der späterenxVeilchen
geschwängerte Wind drang durch das
ossene Fenster und wehte den unglück- ;
lichen Mann wie ein Hauch des Him-!
mels an. Galt es Leben oder Tod?
Diese Frage martete unablässig das-»
Gehirn des Greises, lastete mit der
Wucht eines Felsens aus seinem Her
zen und erschwerte ihm das Athemn.
,.Rette sie, o Gott!« betete er vor sich
hin, »und nimm mir statt ihrer alles
Andere, was ich besit,c!«
Die Thiir des Kranienzimmerg
ging aus, und Doktor Vandine trat
heraus-.
Godsrey Greylock rang nach Fas
sung. »Ein-den Stel« keuchte er. »Ist
es Leben oder Tod?«
Vandines Gesicht erschien siir einen
Augenblick wahrhaftig schön. »Gott
sei Dckbl!« antwortete er; ,,es ist Le
»Hi
Lstodsreh wantte nach dem Fenster
und ris; den angelehntew Laden weit
auf, alg wäre er dem Ersticken nahe.
Dann lehnte er sein graues Haupt an
den Fensterpsosten und brach in Thra
nen aus. Sein Liebling sollte also
leben!
Als Ethel das Bewußtsein wieder
erlangte, sah sie ihren Großvater neben
ihrem Bette tnieen und hörte ihn leise
zärtliche Worte murmeln. Sie wurde
nicht mit Fragen bestürmt wie die ar
me Pollh; nichts wurde gestattet, wag
sie ausregen konnte. »Ihr Leben
schwebte noch immer an einem Faden.
Eine geraume Weile schien sie sogar zu
schwach, sich des tragischen Ereignisses
bei den Salzgruben zu erinnern;
allein die Tage vergingen, und die
junge Erbin kam allmälig wieder zu
Kräften.
Eines Morgen-, als Godsrey Gren
locl wieder in das Krankenzimmer trat,
um sich nach ihrem Besinden zu erkun
digen. streckte Ethel ihm flehend ihre
schneeweiße Hand entgegen und stam
melte: ,,Groszpapa, ich möchte eine
Frage an Dich richten.«
Stunde um Stunde verging. Zu
i
i
l
»Sprich, mein Liebling!«
»Wer fand mich an jenem schreckli
chen Abends Wer brachte mich nach
Haus«-"
»Ich selbst fand Dich, EtheL und
brachte Dich nach Hause-R
Ein Ausdruck wilden Entsetzens
prägte sich in ihrem eingefallenen Ge
ficht aus· »Allein, Großpapa?« leuchte
fie· »Wie entiam ich jenem Manne le
bendig? Es trat Jemand zwischen uns
-—-- Du warst es nicht!«
Sein Herz hö.te beinahe aus zu
schlagen. »Welchem Manne, mein
Kind-Z«
Sie schlang ihre Arme um seinen
Hals und schluchzte: »O, Großpapa,
willst Du rnir versprechen, mir zu ver
zeihen, wenn ich Dir Alles gefiehei Jch
verdiene DeineVerzeihung nicht, Groß
papa, und dennoch kann ich ohne sie
nicht leben.«
»Sprich, EthelL Rede frei heraus!"
Die Wärierin hatte sich in ein Ne
benzimmer zurückgezogem und die Bei
den befanden sieh nun allein. Eihel
lehr-Oe ihr Haupt an ihresOroßvaierg
Schulter und erzählte ihm Alles. »
Er hörte ihr Gesiändniß ohne eines
Geberde des rnes oder Unwillens
an. Er war o nahe daran gewesen,
seinen Liebling zu verlieren, daß er
ihr troß des großen Unrechtes, das sie
begangen, nicht zu zürnen ver
mochte.
Als sie ihre Mittheilung beendigt
hatte, umarmte er sie und sagte mit
völlig ruhiger Stimme: »Ich will Dir
leine Vorwürfe machen, Ethel; Du
hast Deine Thorheit schwer genug
büßen müssen, armes Kind. Jndem
Du den Mann, den Du liebst, von Dir
triebst —- denn es ist mir jetzt vollkom
men klar, daß Du Sir Gervase wirt
lich liebst. —- Hast Du Dein ganzes
zutiinftiges Glück zerstört. Regnault
zu suchen, um ihn zur verdienten
Strafe zu ziehen, ist wohl auch zweck
loJ g: worden. Er befand sich in der
Kutsche, die an jenem Abende in der
Nähe der alten Salzgruben an mir
vorüberfuhr; ohne Zweifel hat er
längst schon einen sicheren Zufluchtsort
gesunden. »Weißt Du auch, wer Dich
vor seinem mörderifchen Dolch erret
tete, Ethel?«
»Ich weiß es nicht; es iam so plötz
lich. Jch erinnere mich nur des Er
fcheinens eines bleichen Gesichtes in der
Dunkelheit und des Aufblitzens eines
Dolches. Dann vernahm ich einen ent
schlichen Aufschrei; wir wurden von
einander gestoßen, und Jemand em
pfing den für mich bestimmten Stoß
Ich fühlte das heiße Blut auf meinem
Gesichte und wurde ohnmächtig!«
Godfreh Grehlocls Züge nahmen ei- z
nen ernsten Ausdruck an, indem er ihr«
erzählte, wessen blutbedeckten Leib er»
über dem ihrigen liegen fand. «
»Wie froh bin ich, daß Du sie hier
her brachtest, Graßpapa!« rief litt-el,
« »daß Du sie hier verpflegen ließest!
Sicherlich habe ich die Rettung meine:
i Lebens ihr zu verdanken!«
J »Noch dem, was Du mir erzähltest,
kann kein sziwe fel darüber herrschen «
s »Sie muß in der Nähe gewesen sein
E und meine Gefahr bemerlt haben, wo
j rnuf sie großmüthig ihr eigenes Leben
’ preisgah, um mich zu retten. Und
« dazu noch eine Fremde! Edle Tinten
beschränken sich auf keine Klasse oder
Rangstuse, Großpapa!«
»Seht wahr, mein Kind«
»Wie gut es von Polly war, trotz
aller Deiner Fragen über diesen Hei
genstand Schweigen zu beobachten!
Es ist augenscheinlich, daß sie entschlos
sen war, mich nie zu verrathen. Jst
sie völlig wieder hergestellt? Jst si« im
Stande, hierher zu kommen? Jch
wünsche sehr, sie zu sprechen.«
»Vandine sagt, TO sei immer noch
. seht schwach; er kennt das Mädchen
i schon seit Jahren und scheint sich sehr
für sie zu interessiren Du brauchst
nur zu tlingeln, wenn Du sie sehen
willst. Sie tehrt heute nach der Katzen
Herberge zurück. Jch habe die Kutsche
bestellt, um sie gegen Mittag wegbrinis
gen zu lassen. Aus Gründen, die uns
unbekannt sind, fühlt sie sich so uns
alüctlich unter diesem Dache, daß der
Doktor erklärte, sie müsse durchaus
nach dem Gasthofe zurückkel)re«s, wenn
sie wieder völlig hergestellt werden
solle.«
»Sie will nach der »Katzen - her
berge zurück, ohne ei:i Wort mit mir
gesprochen zu haben?« fragt: Ethel.
»Ich kann das nicht zugeben, Gros;
beda. Du gedenk·k sie doch für ihre
edle That zu belohnen.2«
»Gewiß, das ist längst beschlossene
Sache,« bestätigte Her alte Herr. »Was
sie vor allen anderen Dingen bedarf, ist
wahrscheinlich Geld. Du bist von mir
ermächtigt, mein Kind, ihr zu geben«
toag Dein Herz für gut findet.«
Er ilingelte und fünf Minuten spä
ter stand Pollh, zur Rückkehr nach dem
Gasthof gekleidet, in dem prächtigen
Gemach, das mit dem größten Luxus
ausgestattet war. Das arelle Licht
des Tages war dutcks oenetianische Ja
lousien gedämpft, wiihrend die in japa
nischen Töper blühenden Moschugg
tosen einen lieblichen Wohlgeruch ver
breiteten.
Polly machte einen eigenthümlichen
Eindruck in dieser Umgebung Die
ärmlichen Kleider hingen lose an ihrem
abgezehrten Körper herab; ihr fleisch
loses Gesicht mit den großen Augen
und den rabenschwarzen Haarslechten
hatte einen schmerzlichen Ausdruck
Sie schien erschrocken und verlegen.
Die jungeErbin streckte ihr die Hand
entgegen. ,,Treten Sie näher, Pnlly,«
bat sie mit sanfter Stimme; ,,sürchten
Sie sich nicht! Jch habe soeben erst
Ihre brave, ausopsernde That vernom
men und ich danke Jhncn, daß Sie
mein Geheimnisz so treu bewahrten.
Jch habe indessen meinem Großpapa
Alles mitgetheilt.«
Polly war nahe bei Godsrey Gren
loet stehen geblieben, daß ihre dürftigen
Kleider seine eleganie Toilette streifien.
Sie ergriff indessen die ihr gebotene
Hand nicht, die Ethel ihr entgegen
streckte, was dem siolsen Millionär sehr
lieb war, da er nichts so sehr haßte,
wie persönliche Berührung mit Leuten
untergeordneten Ranges.
»Wie blaß und lrankSie aussehen!«
suhr Ethel sori. »Sie haben um mei
ncilvillen viel gelitten! Wie kann ich
Jhnen je dafür danken? Doch nun
sagen Sie mir, wie lamen Sie an je
nem Abend nach dem Steinhaufen?«
Polly’s tiesliegende Augen senkten
sich. Godsrey Greylock sah, daß sie
vor Schwäche zitterte, und er deutete
mit dem Finger aus einen Stuhl am
Fuße des Bettes-. Sie ließ seine sros
stiae Geberde unbeachtet. Es war ihr
nur darum zu thun, die Unterredung
so bald wie möglich zu Ende zu brin
gen, und indem sie darüber nachdachte,
wie sie dies am besten bewertstelligen
könne« vergaß sie, Ethels Frage zu be
antworten. .
.Aommen Sie doch zu sich, May-s
chen!" ries der alte Greylock ungedul
dig. »Hören Sie nicht, was meine
Enkelin sagt? Sie wünscht eine Er
tlärung über Jhre rechtzeitige An
kunft bei den Salzgruben an jenem
Abend.«
Polly fuhr erschrocken zusammen.
Dieser alte Mann mit seinem kalten,
strengen Gesicht und seinem hochmüthi
gen Wesen flößte ihr Furcht ein.
Sie trat einen Schritt von ihm zu
rück und stammeltex »Ich hatte ein
Gespräch im Gasthof mit angehört und
Ursache, Regnault sür einen schlechten
Menschen zu halten« Jch fürchtete, er
möchte schlimme Absichten gegen Miß
Grehlock haben; ich folgte ihm dann
heimlich nach den Salzgruben·«
»Ach ja,« sagte Ethel nachdenklich,
»Sie überbrachten mir seinen Brief
und wußten wohl um den Inhalt.
Warum aber setzten Sie Jhr eigenes
Leben aufs Spiel, um das meinige zu
retten, Pollh?"
Diese warf einen scheuen Blick aus
den gefürchteten alten Mann, dessen
stechender Blick sie durchbohren zu wol
len schien, und dann platzte sie unwill
kürlich mit der Wahrheit heraus
»Weil ich Sie liebe!« .
Ethel blickte das Mädchen erstaunt
und gerührt an. »Sie lieben nun-l«
sagte sie, »und doch habe Eh Sie eist
zweimal gesehen, Polly! Was that ich
. denn, um Jhre Liebe zu t)erdi:.1:n3-’«
; »Sie brauchten gar nichts zu tliun,«
serwiderte die Andere; »ich s-.1l)Sie,
, und ich liebte Sie!«
»Es ist eine ernste Sache, einem ans
dern Menschen sein Leben zi- herren
ten,« meinte die Erbin. »Sie kamen
nach dem Steinhaufen, um mir zu hel
fen, wenn eH nothwendig sein sollte —--—
Sie standen nicht an, selbst den Todes
stos; zu empfangen, der mir zugedacht
war. Ich staune über Ihren Muth
und Ihre Opferfiihigieit, ich finde
keine Worte, um Ihnen nei:ien Dank
auszudrücken« Thränen ersiickten
Ethels Stimme. Nach eine-: Patie!
fuhr sie fort: »Grofipapa sum izh mun- ;
schen sehnlichst, Sie zu belo?"):1-:n,«tåisllh!s
Wie können wir dies am besten inuusl
Sie wollen das Hang doch nicht heute
schon verlassen? Sie sind noch sehr
schwach, viel zu schwach, uns tha- Ulr
beit im Gasthof wieder anzuirsten."
l »Mercy Poole ist sehr gütig gegen
mich, sie wird mir nicht mehr Arbeit
zumuthen, als ich zu leisten vermag,
Miß Greylock,« versetzte die Andere.
»Dennoch bitte ich Sie, wenigstens
noch eine Zeit lang hier »in Vleiben,«
fuhr die Enkelin des Millionärs weiter
fort; »Sie haben uns unendlich Vir
pflichtet. Wie können wir unsere
Schuld am besten abtragen? Sollen
wir Ihnen Geld geben? Oder Tollen
wir Ihnen behilflich sein, einen endi
ren Lebenslan zu erwählen? Viel
leicht möchten Sie gern — denn Sie
haben ein ganz i««elligenteg A stehen
— etwas Besseres sein als eine Diene:
rin? Vertrauen Sie sich iiiir en wie
— wie —— eine Schwester.«
Polly richtete die Blicke arii den
mächtige-n sammtenen Teppich; il;re
Züge verriethen keine Sbur voi: drin
stampf, der in ihre-n Herzen ir-:Ellf«eic.
Der stolze, alte Mann fixirte sie isoch
imme— mit seinen kalten Iluginn nnd
ihre Furcht vor ihm nahm jeden Au
genblick zu.
»Sie sin«v sehr gütig,Miß 6)renlcck,«
stammelte sie endlie·.; »ich innß alter
heute nach dem Gasthof ,;ririji-tkelicen.
Jch kann nicht langer hier bleiben;
dies ist tein Platz für :nich. Geld
brauche ich kaum und ich taiige zn
nichts als meiner gegenioärtigrn Ar
beit; ich war stets nur eine Dsrnerin.«
Ethel sank mit getäuschter Miene iii
ihr Kissen zurück. »Sie sind lieroisch,
Polln,« sagte sie mit matteni liij(l;elii,
»aber Sie sind auch uiivernijsiftäg.«
Godfrey Greylock machte eine unge
duldige lsjeberde »Das ist eine unan
genel,me Geschichte,« sagte er; ,e- ist
meiner Enkelin p:inlich, irkiind Je
niandem als Schuldnerin gegeiiiibcrzui
stehen, namentlich einer «llerioii, die sich
in sozialer Beziehung tief unter ilsr be
findet. Jch niuß darauf befiel-en,
Mädchen, daß Sie etwas anne’niie-i,
was eine passende Entschädigung ciir
den Dienst, den Sie ihr geleistet kraus-n,
genannt werden kann. nehmen Sie
hast« —- mit diesen Worten sitz-ob er
ihr einen Streifen Papier In die Hand
——- »und wenn Sie unter Ihrr-r eiaenen
Bekanntschaft Freunde haben, so bera
then Sie mit ihnen, wie Sie den besten
Gebrauch von einer solchen Summe
machen können. Sollten Sie ii- Zu
kunft weiterer Unterstützung bedürfen,
so können Sie sich jederzeit in mich
wend«n.«
Polln bliette nicht nnf den Eifer-, kcr
eine größere Sunnnessteid remaini
tirte, als sie je in ilsrein Leben gesehen
hatte, sondern auf den hoch nutnigen,
alten Aristolratcn, der ihr seine Frei
gebigkeit auszubedingen suchte. triuhig
zerriß sie das Papier in kleine Clurle
und ließ sie auf den Boden sailrn
»Bei-zähen Sie, Sir,« antvmute sie
mit leiser, fester Stimme. »Ein dieser
Angelegenheit müssen Sie mir ineknen
eigenen Willen lassen. Jch wünsche
nicht, daß Sie sich mir verpflichtet füh
len; auch kann ich Ihr Geld nicht an
nehmen. Sie blicken mich an? Nun, ich
brauche Jhre Hilfe nicht, ich lann mich
selbst durch meiner Hände Aktien cr
nähren. Vergessen Sie den Dienst,
den ich Jhnen geleistet habet tht
weiß, daß es nicht mein Bursch ist,
daß Sie sich daran erinne: . Und
nun erlauben Sie mir, Jhnen und
Miß Greylock Lebewuhl zu sagen.«
Godfrey Greylock war stumm vor
Zorn und Staunen. Dass eine arme
Dienstmagd es wagen konnte, diesen
Ton gegen ihn anzustimrnen und ihmj
seinen Check zerrissen ooe die Fuße zu
werfen, wart-ihm etwas ganz Unerhosp
tes·
Ethel öffnete die-Augen wieder nnd
sagte mit mattemLächeiict »Ach, Pollh,
es gebricht-Ihnen nicht an Stolz!
Was soll mit Ihnen geschehen? Einn,
Sie müssen natürlich Iehren eigenen
Weg haben. Nur um Eins mönxte ich
Sie bitten: Sollten Sie je der Hilfe
bedürfen —- roollen Sie dann —;u mir
kommen?«
,,J-a,« antwortete Polln nin erst-Leiter
Stimme, ,,ja!«
,,Geben Sie mir Ihre Hand dar
auf,« bat Ethel.
Die rauhe Hand des- Dienstmagd
ruhte einen Augenblick in der sammt
toeichen der jungen Erbin.
,,Leben Sie wohl, Pollh,« sagte Letz
tere, »und vergessen Sie nicht, das; ich
stets Jhre Freundin sein werde«
»Leben Sie wohl, Miß Greylock; ich
danke Ihnen für Jhre Güte«
So verließ Polly denn mit leeren
Händen das prunivolleGex:i-qu. Gery
locks Kutsche brachte jie nah der
»Katze-n - Herberge« zuweil, wo sie still
und ruhig ilxee täglichen Arbeiten wie
der Verrichtete, ais- Ib nichts vorgeset
len wäre Weder Mcrcy Poole noch
Dr. Bandine bestiirknten sie mit Fra
gen.
Letzterer betrachtete Polly mit Bei
fall und Bewunderung »Ich sehe,«
sagte er, »daß Du entschlossen bist, eine
Heldin zu sein. Bravo, mein Kind.
Jn welchen Wirbelstrom von Gefahren
wirst Du Dich zunächst stkirzen7-«
Dann fuhr er fort, indem sein Gesicht
einen ernsten und traur:qm Fiuodrncts
annahm: »Gott sei Dank, reif-, Dn dan
Muth hattest, sie zu retten, Polle Sie»
kann nie die Meinige werden; nichts-:
destoweniger werde Lch Dis-h sit-T dxese
That segnen, so lanae ich let-e· Einige
nähere Umstände der Geschichte sind
mir bekannt. Jhr Angester wa: ein
verschmähter Liebhaber Der arme
Teufel! Natürlic, may er toll und
das ist kein Wunder, da er sie ver-i un
s«
hatte.
Pollh fühlte sich durch diese Worte
im tiefsten Herzen verwundet »Dr·
Vandine,« sagte sie, »Sie lieber-. Miß
Grehlock, und aus«- diesem Grunde lin
ich froh, daß ich den Stoß empfing,
der ihr galt. Jch schulde Ihnen so
viel, daß die Person, die Ihnen :l,euer
ist« auch mir theuer jein uiuß.«
. »Du schuldest mir nichts!« rief Dr.
Dick. «Schwat3e leiien Unsinn, Pollu!
Uebrigens, liebes Mind, thut eö ni«r
im Herzen weh, Dich lo bleich und
schwach zu sei-n. Dein heldenmüthi
ger Geist wohnt in einein sehr gebt-ch
lichen Körper; als Trixi Arzt muß iih
Dir anbesehlen, mehr auf Teine Ge:
sundheit bedacht zu sein«
Er hatte keine Ahnung, "-us.lch’ un
sägliches Elend er selbst dem Mädchen
bereitete-. Pvlly’g heimliche Liebe war
iioch immer ein Gebekmniß, das er biLJ
jetzt nicht errathen heite, und das ihm
vielleicht siir immer verborgen blieb.
Jn Bezug aus Regnault wurden
keine weiteren Sspjriite gethan, sondern
im Gegentheil die ganze Geschicht so
gut wie möglich vertuscht. Inzwischen
schwand der Sommer dahin. Die gro
ßen Salzwiesen lagen braun und kahl
da, und kalte, herbstliche Winde zogen
iiber sie und den nahen Strand da
hin.
Ethel schwebte jetzt wie ein lieblicher
Geist im großen Herrenhause von
Greylock Woods umher. Zuweilen
wandelte sie aus den Terrassen, aus den
Arm des alten Mannes gelehnt, der,
nachdem er ihr alle Fehler und Thor
heiten verziehen hatte, sie jetzt mehr als
je zu lieben schien. Manchmal fuhr sie
mit ihm durch den immer kahler wer
denden Park oder am melancholischen
Strande entlang. Wer sie beobachtete,
konnte ohne Mühe in ihren Zügen ei
nen wehmüthigen Ausdruck entdecken,
der indessen nicht die Nachwirkung
ihrer Krankheit war. Jhre Kraft und
Gesundheit kehrten wieder zurück und
mit ihnen ihre frühere Schönheit;
dennoch schien sie sehr verändert.
Eines Tages sand Dr. Vandine die
junge Erbin am Piano sitzen, in dem
selben Zimmer und an demselben Fen
ster, wo sie vor vielen Wochen die Wer
bung des Varonets zurückgewiesen
hatte· Wiederum stolzirte der präch
tige Psau aus der Terasse draußen hin
und her. Welle Blätter wirbelten
durch die Lust und sammelten sich auf
der äußeren Fensterbriistung an. Mit
wunderbar klarer, aber unaussprech
lich wehmuthvoiler Stimme sang Ethel
beim Eintritt des Doktors ein Lied
von der Liebe Qual und Leid.
Vandine blieb regungslos stehen, bis
die Schlußstrophen des Liedes verhall
ten:
»Und doch, wiewohl sie Leiden
Allezeit zum Lohne gibt,
Nie mag von Liebe scheiden,
Wer einmal recht geliebt.
Er trägt die heißen Schmerzen
Viel lieber in der Brust,
Als daß er nie im Herzen
Von solchem Glück gewußt.«
Jetzt trat Dr. Dicl entschlossen zum
Piano und sagte in ärgerlichem Tone:
»Es wird heutzutage viel sentimenta
ler Unsinn von dieser Sorte geschrie
ven. Ich bedaure, Sie heute so bleich
zu sehen, Miß Greylock; Jhre Gene
sung macht nicht die günstigen Fort
schritte, die ich erwartet hatt:.«
Sie zog ihre Finger largsam von
den Tasten zurück und stam: selte: »Es
kommt von diesem trostlosen Oktober
Wetter.«
»Ist das Alls-IV
,,Seien Sie nicht zn stteng «
das schöne Mädchen; »ich fürchte
j setze Ihre Geduld aus eine ftarkePr
Doktor VandineX
»Ja, «erwiderte er; »allein Sie
nen mich nicht täuschen. Denken
sich die Qual, die ich erdulde, wens s
Sie nach einem fernen Liwh .
schmachten sehe, während Sie g«
Einen, der Jhnen nahe ist, der
Ihnen steht —- taub und blind fikt
Jhr cntriisteter Blick sagte ihm t —
lich, daß er jetzt noch weit wen
Hoffnung habe als bei seiner e·- -
Liebesertlärung vor einigen ME-« s«
ten
»Hm ein Mann nicht das-R
zweimal —-—ja zwanJig Mal feine L «
zu gestehen?!« rief er leidenschaf
aus. »Sie brauchen indessen nich ·
antworten-ich habe Sie nutzlos
geregi. Sie bedürfen meiner Dis
nicht länger; es wird besser für «
sein« wenn ich Sie nicht wieder
Meine einzige Sicherheit besteht in
That darin, mich von Ihnen feri
halten« ·
Ethel erhob sich mit Würde
sagte: »Sie haben Recht, Doktor L .
dine, kommen Sie nicht mehr hie
Mehr als dies brauche ich nicht zu
gen —- weniger wäre fast falsche S
nung.«
Vandine ging, und Ethel war
alle ihre Anbeter los.
Sie vergon einige Thränen und
stellte dann; um den ihr laste:
Druck abzuschiittelm ihrenPonyrsc
in dem sie, von den Hunden begli «
eine Fahrt durch den Park antrat.
« Nicht Weit von der Rosenidliilch
ihr plötzlich Hannah in den Weg
ersuchte sie durch ein Zeichen, Hat «
machen.
»Es freut mich Sie nach so la
j Zeit wiederzusehen, Mis; Etl)el, « s
sie mit einem boghaften Llirk aus
junge (f»·rrbin. »Sie find wolxil aus
i Wege nach der klioseiiiViila?«
I »Nein,« antwortete Ethel kurz
mit verächtlichem Tone. r
Hannah Johnston grinste. »W1
hastig! Und Sie haben Jhre th "
Mama seit Jhrer Krankheit nicht
sehen! Das nenne ich kindlich-e L
Es ist doch ein schönes Ding, Mr -
und Tochter einander fo zärtlich z
than zu sehen.« .
,,«’fort, Lancer!« rief Ethel
Pony zu; doch Lancer rührte sich «
von der Stelle, da Hannah Joh- (
dem Thiere nicht aus dem Wege r
»Ich hörte, Mis; Ethel, dsiiz
schwer krank-darnieder lagen und I
vielen Liebhaber Sie dem Tode
brachten,« sagte Sie mit höhnis
Lachen. »Der alte Mognl hatte
Wohl beinahe verloren? Run, es
noch schlimmece Dinge als- den
Es ware besser fiir Sie gewesen, t4
Sie Jhrer Krankheit erlegen wi .
Wir wollen sehen, ob S:e nicht
wenigen Wochen derselbcn Ai
sind!«
Mit diesen Worten machte sie
spöttische Verbeugung und enth
sich. Das Pferd setzte feirzeki Weg
Eine Ahnung bevorstehenden un
cles i..achte Osthelcs He13 hefziz pe:
doch schon ini nächsten Angst-.
lächelte sie über ihre Schwache-. L
freche Kreatur! Es trar thoricht,
ter iiber ihre Worte nachzudenken.
Der Ponh trnbte weiter unter
Fichten und Tannen und durch
Hohlwege, die jetzt mit welkem L"
angefüllt waren. Ein träumet-i «
Nebelflor milderte das Sonnen
Kein lebende-Z Wesen war weit
breit zu erblicken, ausgenommen
Vögel und Eichhörnchen, anf die
Hut-de vergeblich mit lautem G
Jagd machten.
Ethels Niedergeschlagenheit k
aus’g Neue zuriiek. Sie gedachte
Vergangenheit und bebte vor
sreudlosen Zukunft, die vor ihr .
Wo war er an diesem Herbsttax -
den sie von sich getrieben hatte, obx
sie ihn liebte? Weilte er noch im.
nen Westen, oder befand er sich ir
ner eigenen Heimath drüben über ·
Meeres Wenn er um den wc "
Sachverhalt wußte, so mußte es
verachten; wußte er nicht barm
i mußte er sie bis zum Ende seiner
für eine herzlose Fiotette halten. l
hatte für ihre Thormeit theuer E
müssen; mit allen ihren Träumen
einer glücklichen Zutunft war es;
über. Und doch war sie kaum achk
Jahre alt! !
(
--«.- .
Das Pferd traute gemachnch kc
Ethelg Kopf war auf die Brust h
gesunkenx sie umtete nicht der l:
grauen Gestalt, die von der Eing« ’
pforte her ihr entgegen schritt; it
eigenen traurigen Betrachtungen »
tiest, vernahm sie nicht das fre
Bellen der Hunde, die dem Anl
ling entgegensprangen.
Näher und näher larn die G
sich niit Mühe der ungestümen
tosungen der Hunde erwehrend. ·
lich blieb sie dicht vor dem Ponh s
»Um Vergebung!« sagte eine (
me, die Ethels Herz fast zum
stehen brachte.
Mit Gefühlen, die jeder Be ’
bung spotten, sah dass junge ME
ihren Vetter Gervase Greylock v
stehen.
Fortsetzung solgt.)
—- Orientiti. ——,,Na, jet
zwölf Uhr, Adolf, geh’ nach ,
sonst zeigt Dir Deine Frau dieZ
«—»Rem, urn die Zeit liegen di
im Nachttästchenl«
—— »Das Geld ist ein c
metall, wenn es — in die tl
Hände kommt.