Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 29, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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Ereyloclk gsood5.
Roman von Ioses Trenmanw
(16. FortseyungJ
Es war noch so hell, daß ich alle Ge
genstände um mich her deutlich erken
nen konnte. Jch näherte mich dem
Hause vorsichtig. ,,Welch’ ein reizender
Platz!« dachte ich. »Wer wohl hier
wohnen mag?«
Jch gewahrte nun, daß eine Piazza
an der Front des Hauses entlang
lies; dort unter BL; :men und wilden
Ranken hing eine Hängematte, in der
eine Frau lag, die sich hin- und her
schauielte.
Ich Ver:nochte ihr Gesicht, das seit
wärts gelehrt war, nicht zu sehen, ich
konnte nur die hübsche Form ihres
Kopfes, der mit dunklem Lockenhaar
bedeckt war, erkennen. Ein wallen
des Gewand von Gaze und Spitzen
hiillte ihre Gestalt ein, und ein weißer
Arm, der mit goldenen, juwelendesetz
ten Spangen geschiniiclt war, hing
nachlässig über den Rand der Hänge
matte herab
Eine sieberhaste Neugierde bemäch
tigte sich meiner. Leise schlich ich über
die Lichtung hin, leise näherte ich
mich der Piazza. Jch war entschlossen,
koste es, wag esJ wolle, die Züge der
Gestalt zu erblicken, die dort in träger
Ruhe lag.
Jch hatte den Nasen schon halb über
schritten, als eine auf die Piazza füh
rende Thitr sich öffnete und eine cor
pulente, brünette Frauensperson mit
den Worten heraustrat: »Der Thau
fällt schon, Madame; wollen Sie her
einkommen» oder soll ich Ihnen einen
Shawl bringen?"
Die Gestalt in der Hängernatte
erhob sich halb und erwiderte gäh
nend: »Reiche mir die Hand, Hannaht
Ich kann wohl nicht länger hier lie
gen bleiben. Mein Gott, wie lang
weilig ist es doch hier in der Rosen
Villa!«
Die dicle Braune half der Dame ans
der Hängematte auf die Piazza stei
gen, und nun standen Herrin und Die
nerin vor meinen Augen. Mit stürmisch »
pochendein Herzen fah und erkannte ich ;
Beide. :
Die Dame schritt hintend iiber den »
Boden, indem sie seufzend meinte: »Ich »
werde mir wohl eine Kriieke bestellen E
müssen; es wird von Tag zu Tags
schlimmer mit meinem Knie. — Sieh’ i
doch Hannah! Um’s Himmels willen, .
wer ist das?« Sie hatte mich ent
deckt·
Hannah trat an den Rand der s
Piazza und blickte mich scharf an.;
»Wer seid Jhr?!« rief sie, »was wollt I
Jhr hier?« E
Jch war wie gelähmt und vermochte
kein Wort hervorzubringen.
Sie hielt mich jedenfalls für eine
Landstreicherin, denn im nächsten Au
genblick fuhr sie zornig fort: »Fort
mit Euch, oder ich hetze die Hunde auf
Euch!«
Tödtticher Schrecken bemächtigte sich
meiner; ich wandte mich um und lief
aus Leibesträften dem Gebüsch zu.
Glücklicherweise erreichte ich den Pfad,
der zu der Eingangspforte führte.
Bald befand ich mich auf de: Land
strasir.
Meine Vermuthnng war zur Ge
wißheit geworden —— ich wußte jetzt,
daß ich Nan gefunden hatte!
Leise schluchzend lenkte ich meine
Schritte zur ,,Fi«at3en-Herberge« zurück.
Elegante Equipagen rollten an mir
vorüber, aber ohne darauf zu achten,
schritt ich weinend und mit schwerem
Herzen meines Weges weiter.
Sollte ich mich jetzt der glücklichen
Erbin von Grehloct Woods zu erken
nen geben? Sollte ich Harmony-Lllley
und Großmutter Scrag in ihrem
schlummernden Gedächtniß wachrufeni
Sollte ich ihre Geschichte dem engli
schen Baronet und der Welt erzählen?
Nein! Nein! Nein! Jn meinem tur
zen, elenden Leben hatte ich erkennen
gelernt, daß treue Liebe stets mit Lei
den, Opfern und Entsagungen ver
knüpft ist. ;
»Ihr Gliick soll durch mich nicht ge- ’
stört werden«, murmette ich vor mich
hin, indem ich weinend dem Städt
chen zuschritt. »Ja jenen vergangenen
Tagen, als wir Hand in Hand in den
Straßen der Stadt umher wanderten
und bettelten, pflegte ich zu sagen, daß
ich gern mein ganzes Leben lang arm
bleiben wollte, wenn ich nur sie zu ei
ner Ladn machen könnte. Jetzt gilt es,
meinem Wort treu zu bleiben. Sie soll
Lady sein, sie soll ihren englischen
Lord heirathen, ich aber will mein Le
ben lang Anderen dienen! Ja, es ist
Nan, meine theure, verlorene Schwe
ster, und aus Liebe zu ihr will ich
mein Gehemniß bewahren, bis ich
sterbe!«
« 21. (r a p i t e l
Monsieur Negnault, der Unver
gleichliche Tenor der ,,·Orpl)eus Con
cert-Con1pagnie«, betrachtete seine hüb
sche, duntle Gestalt in dem zerbroche
nen Spiegel des Antleideziiiimers, ehe
er die kurze Treppe hinaufstieg, die zur
Bühne führte. »Wie sind doch die
Mächtigen gefallent« murmelte er da
bei vor sich hin, indem er eine Rose in
dem Knopfloch seines eleganten Rotte-Z
beseitigte. »Wie tief haben wie uns
doch erniedrigt, meine Stimme und
«ich! War es deshalb, daß ich in den
glücklichen Tagen meiner Jugend und
meines Neichthurns unter den besten
Letztern studiertet Gerechter himmell
Jch war damals der Besitzer von Mil
l·.onen. Jetzt wandere ich mtt einem
Trupp lumpiger Bäntelsänger durch
das Land. Jeh bedarf nur noch einer
Drehorgel und eines Affen, um meine
Schmach zu vervollständigen."
Er roch an der Rose, bog ihre grü
nen Blätter etwas mehr seitwärts und
fuhr lächelnd fort: »Nun, ohne Geld
wird man nicht fertig, ein leerer Beutel
ist ein unwiderlegliches Zwangsmittel.
Die wandernde Truppe machte es mir
wenigstens möglich, mich nach Plack
port zu begeben, wo ich mit meiner
schönen, unvergleichlich-en Geli.bt;n (i««e
und dieselbe Luft athmen kann. J
werde sie sehen — und werde sie für
immer zu der Meinigen machen.« —
Es war der Concert-Abend; ein
zahlreiches Auditorium hatte sich in
der Stadthalle von Blackport einge
funden. Soeben erklangen die letzten
Töne eines Duetts, und im nächsten
Augenblick tam das Sängerpaar die
Treppe herab. Jetzt war es an Reg
nault, die Bühne zu betreten und sein
erstes Lied zu singen. '
Jn tadelloser Toilette, behand
schuht und Parsiirmirt, machte der
hübsche Tenor seine Verbeugung vor
dem Auditorium und lies; seine Blicke
rasch über die zahlreichen Gesichter hin
schroeisen. -
Ja, sie war da mit ihrem Großvater
und Sir Gervase, der neben ihr saß.
Die Aristotratie von Greylock Woods
hatte sich wirklich eingefunden, um den
Vorträgen der wandernden Sänger
truppe zu lauschen.
Dies war Ethels Werk; mit vieler
Mühe und einschmeichelnden Bitten
war es ihr gelungen, den stolzenMann
hierher zu locken. »Ich weiß es, Groß
« para, es ist eine thörichte Laune«, hatte
sie gesagt; ,,allein ich will, ich muß ge
hen! Und wenn Du mich liebst, so
kommst Du mit mir.«
,,Wahrhaftig, Ethel, solch’ schlech
ten Geschmack hätte ich Dir nie zuge
traut«, hatte ihr Großvater strenge ge
antwortet; »Du willst Dich unter den
Pöbel von Blackport mischen und einer
; Bande Vagabunden zuhören, von de
nen wahrscheinlich kein Einziger auch
; nur einen Ton correlt fingen tannt
Jch tann Dich nicht begreifen!"
Nichtsdestoweniger ging er schließ
lich doch mit ihr. und Sir Ger
oase, der in letzter Zeit gleichsam ihr
Schatten gewesen war, begleitete sie;
ebenfalls-. i
So tam es denn, daß die drei ersten :
Gesichter, auf die Regnaults Blick fiel,:
die der drei Zuhörer aus dem Herren
« hause waren. Etwas weiter entfernt,
in derselben Reihe, sesselten zwei an
dere Personen seine Aufmerlsamteiit
Mrs. Iris Grenloct und deren Die
nerin. Der Dämon der Langweile
hatte die Herrin der Rosen-Van an
diesem Abend hierher geführt; mochte
das Concert noch so schlecht sein, bei
der Einsamkeit und Monotonie ihres
Lebens in der Van schien es ihr eine
willlommene Abwechselung
Geschmintt, gepudert und in ausfäl
liger Abendtoilette saß Jrig da und
beobachtete hinter ihrem Atlagfiicher
die Gesellschaft aus dem Herrenhausr.
Da ging das Duett zu Ende, und
Regnault erschien auf der Bühne. Beim
Anblick des hübschen, dunklen Tenors
fuhr Jrisz heftig zusammen und faßte
Hannah Johasons Arm mit lrampfi
hafter Heftigteit —- Fnrcht und Ent
setzen spiegelten sich in ihren Zügen.
Regnaulig Blicke begegneten den ihri
gen. Sie lonnte nicht fliehen, sie wagte
nicht zu schreien· Er erkannte sie; das
Feuer, das aus seinen Augen blitzte,
verrieth es ihr.
War er gleichfalls bewegt? Ja, es
schien so, denn das Notenblatt zitterte
in seiner behandschuhten Linien; doch
nur einen Augenblick währte seine Er
regung. Rasch ermannte er sich und
stand nun in tadelloser Ruhe da, die
Blicke auf Ethel Grehlock geheftet, als
ob ihr Gesicht das einzige in der über
bollen Halle gewesen wäre. Jm näch
sien Moment erschallte seine Stimme
rein und tlangvoll wie eine silberne
Trompete.
Er sang nur iiir sie und ergoß
seine ganze Seele in die Verse Tennhs
sons:
»Komm« doch in den Garten, Mand,
Die finsterc Nacht ist dahint«
Er legte leidenschaftliche Freude
und fast dfimonifches Frohlocken in die
Worte:
»Las;, vornehmer Freier, Dein Sens
Zen und Girren,
Sie wird ja doch nimmermehr Dein;
Doch mein, doch mein, irh schwör’ e:
s den Göttern,
« Für immer, fiir immer mein!«
Sir Gervase hätte in der That sehr
I stmnpfsinnig fein müssen, wenn er
nichts Ungewöhniiches in diesem Sän
get und in der thuth seines Sanges
entdecit, wenn er nicht wahrgenom
men hätte, daß seine ameritanische
Consme vor unterdrückter Aufregung
zitterte und jeden Augenblick die Farbe
wechselie.
»Sie kommt, meine Taube, meine
- Liebe,
Sie kommt, mein Leben, mein Glück!«
Welcher Triumph aus diesen Versen
sprach! Ethel schauderte zusammen
und erschrak. Wantte ihr Muth, zö
gerte sie, Rang, Reichthum, Heimath
und Freunde ihrer Liebe zum Opfer!
zu bringen? Nein, so seige konnte sie
nicht sein; wo wahre Liebe herrscht, ist
kein Raum fiir die Furchtt
- Dcis Lied war zu Ende; hundert
stimmiger Beifalleuf und lautes hän
dellatschen belohnten den Sänger.
Kaum war der Applaus verhallt, als
Sir Getvase einen Schrei der Ueberra
schung ausstieß und Jris zu Hilfe eilte,
die ohnmächtig in ihren Sitz zurückge
sunten war
Sie wurde in’s Freie hinaus-getra
genuud die Gesellschaft aqu dem Her
renhause folgte ihr. Fächer und Riech
fläschchen brachten die Dame bald wic
der zum Bewußtsein zurück.
Sobald sie die Augen öffnete, sagte
sie zum Bat-auch ,,Haben Sie die Gü
te, Sie Gervase, meine lkquipsige hier
her zu beordernz sie wartet irgendwo in
der Nähe.«
Tscr Baronet beeilte sich, ihremWiw
sche nachzukommen
Ethel beugte sich besorgt iiber ihre
Mutter. ,,Mama, Mama, was fehlt
Dir? Du bist wohl nnwol)l, laß’ mich
mit Dir nach Hause gehen!«
Iris schaute ihre Tochter mit durch
bohrendem Blick an; ein dämonisches
Lächeln spielte um ihren Meint-»wich
rcnd sie erwiderte: »Es ist kein Raum
für Dich in der Equipagr. Bleibe hier,
ich brauche Dich nichtl Jch fiihle mich
wieder ganz wohl, es war nur dieWir
tung der schrecklichen Hitze in der Halle, T
mein Kind. Noch ein Wort, Ethel!«»
Sie zog ihre Tochter näher zu sich her- -
an und flüsterte ihr boshaft in ’s Ohr:
»Du falsche Katze! So hintergehst Du
Deinen Großvater? Ein falsches Spiel
treibst Du mitDeinem adeligen Freier?
Regnault, Dein Gesanglehrer im Pen
sionat, scheint sehr in Dich verliebt zu«
sein. Pfui! Pfui!«
Bald darauf fuhr sie mit Hannah
; Johnsoli nach Hause.
s Godfrey Greyloek, der mit Ethel und
l Sir Gervase zurückblieb, blickte seine
Enkelin unwillig an und sagte: »Wol
len wir in den Saal zurück, oder hast
Du genug von diesem Vergnügen?«
Für Ethel bedeutete diese Frage:
»Soll ich Regnaults Gesicht nochmals
erblicken? Soll ich seine Stimme noch
) mals hören? Soll ich auf eine Gele
zgenheit warten, mit ihm zu reden?«
s Sie antwortete indessen rasch entschlos
sen »Ich bin bereit, Mama zu folgen;
fes ist wirklich erftictend heiß in dem
Saale.«
s So stiegen die Drei denn in
ihre Equipage und fuhren nach dern
Herrenhause zurück. Als Reanault
abermals auf der Bühne erschien, er
blickte er zu seinem nicht geringen Ver
drusse nur leere Sitze statt der Gruppe
oonGesichtern, von denen eines vor sei
nen feurigen Blicken tief erröthet, wäh
rend das andere vor Schrecken erblaßt
war
Schon seit Monaten war es ihm be
kannt, daß Ethel die Tochter Jris
Grehlocks war » die junge Erbin
hatte ihm oft von ihren Verwandten
erzählt —— doch erst, als er an diesem
Abend die Ohnmacht der Dame ge
wahrte, wurde ihm die ganze Bedeu
tung dieses Umstandes klar und er
erkannte, auf wie gesährlichem Grund
er sich befand. Nur ein Zusammen
wirken glücklicher Umstände konnte ihn
in den Besitz des schönen Mädchens
setzen. Eines trar gewiß —— er hatte
keine Zeit zu verlieren, rasches Han
deln allein vermochte zum Ersrlg zu
führen. Zögerte er, so mußte er
sicherlich allen feinen Hoffnungen ent
sagen.
Nachdem das Concert zu End- war,
begab er sich mit den übrigen Mitglie
dern der Truppe nach der ,,.5tat3en
HerbergeC um auf seinen Lorbeern
auszuruhen und an der Mahlzeit Theil
zu nehmen, die Mercy Poole fiir die
»Orpheus - Eumpagnie« vorbereitet
hatte.
Jm Hausflur begegnete er Pollh,
die eben die Treppe hinauf eilerx wollte
um einen Auftrag ihrer Herrin zu be
sorgen Jn seiner übermüthigen Laune
ergriff er sie beim Arm, starrte ihr
frech in s Gesicht und rief:
»Halloh! Ein Paar Nehaugent Mei
ncr Treuh man könnte Sie beinahe
hiibsch nennen, liebes Kind. Bringen
Sie mir ein Glas oranntwein·«
Polly antwortete i dem sie sich von
ihm loszumachen suchte: »Jn diesem
Gasthofe werden keine Spirituofen ae
halten«
»Nicht? Nun, so geben Sie mir statt
des Branntweins einen Kuß.«
Jn diesem Augenblicke trat Jemand
von der Straße rn den Gasthof her
ein. Eine starte Hand befreite Pollh
aus den Händen des Sänger-« und
schleuderte diesen so heftig zurück, daß
er gegen die Wand taumelte.
»Nehmen Sie sich in Acht, Bursche!«
ries Dr. Vandine ——- denn dieser war
der unvermuthete Beschützer Polth - «
heftig. »Dieses Mädchen ist meine
Freundin.«
Sie wars ihrem Befreier einen
dankbaren Blick zu und eilte dann
sort, um sieh eines Auftrages zu entle
digen.
Regnault hatte sich rasch wieder er
mannt und trat auf Dr. Vandjne zu.
»Diese lleine Stubenmagd ist Jhre
Freundin -« fragte er höhnend »Sie
haben wirklich einen samosen Ge.
schmack! Bitte, wer sind Sie denn eis
gentlich«t«
»Ein Mann, der Frauen zu verthei
digen und die Frechheit eines Schurken
zu züchtigen verstei,i«, erwiderte Diel,
vor Zorn erglühend.
Beim Himmel Sie sind sreigebig
mit Jhren Ec vlirnenten!« brauste
der Andere jetzt aus; »wenn Sie mik
nicht aus dem Weg gehen, so werde
ich mir die Freiheit nehmen, Sie ohne
Weiter-es auf die Straße hinaus zu
T werfen." « «
Meren Poole, welche die zornian
Stimmen vernommen hatte, erschien
ICBt im Hausslur. »Keinen Streit,
meine Herren!« rief sie, indem sie zwi
schen die Beiden trat, worauf Vandine
achselzuclend sich die Treppe hinausw
gab, während Regnault den übrigen
Mitgliedern der Truppe in’s Speise
zimrner folgte.
Zu später Stunde erst zogen sich die
Mitglieder der »Orpl)cus - Trnppe«
zur Nachtruhc zurück. Regnault allein
verweilte noch einige Minuten im
Speisezimmer. Eine Melodie vor sich
hinsunnncnd, schritt er einige Male aus
und nieder; dann begab er sich in das
anstoszende Gemach,· in dem Mercy
Poole und Polly saßen.
,,Pontius Pilatus«, sprang von ci
ner Matte auf, zischte den Eindring
ling wüthend an und verschwand in ei
ner entfernten Ecke. ,,Robespierre«
spitzte sein eines Ohr, richtete den übrig
gebliebenen Stumpf seines Schwanzes
hoch aus und flüchtete sich, von sämmt
lichen »Borgias« gefolgt, unter den
I Stuhl seiner Herrin.«
; »Beim Himmel!« ries Regnault
Jnmiisirt aus. »Was finde ich hier?
; Eine ganze Legion Katzen, und alle
j verrückt, wie es scheint!«
-.-..
t
»Sie sehen hier meine Familie",
» antwortete Merrh Poole trocken. »Wer
behauptet, daß die Katzen keinen Ver
stand besitienlt Mir scheint, daß sie
sich vortrefflich aus die Charaktere der
Menschen verstehen. Diese Thiere he
gen schon auf den ersten Anblick ein
Mißtrauen gegen Sie; ihr Benehmen
sagt deutlich, daß mit Jhnen etwas los
ist·«
Regnault warf sich in einen Stuhl
und erwiderte lachend: »Merkwürdige
Geschöpfe! Nun, ich denke, daß mit den
Meisten von uns etwas los ist. Doch
sagen Sie mir, Frau Wirthin, kennen
Sie eine Familie Namens Greylock in
Blackport? Es sollen sehr reiche Leute
sein, wie ich höre.«
Polly hatte sich eben erhoben, um sich
nach der Küche zu begeben; bei diesen
Worten blieb sie jedoch plötzlich stehen,
wandte sich unbemerkt um und machte
sich im Zimmer zu schaffen.
»Ja«, erwiderte Mercy Poole, indem
sie dem Fragenden einen forschenden
Blick zuwarf. »Ich kenne die Grey
locks. —- Sie auch?«
Er zog ein Cigarren-Etui aus sei
ner Tasche, indem er mit nachlässiger
Höflichkeit fragte: »Sie gestatten wohl,
mir einen Glimmstengel anzuziinden?«
Dann setzte er mit gleichgiltiger
Miene hinzu: »Ich habe früher ein
mal die sliichtige Bekanntschaft eines
oder zwei der Familienmitglieder ge
macht.«
»Der jungen Erbin wohl?« fragte
Merch mit scharfer Betonung.
»Nicht doch!«
»Dann kennen Sie also den Al
ten?«
»Gott bewahre!«
»So ist nur noch die hübsche Witt
we übrig, Robert Greylocks Wittwe.«
Regnault blies eine Rauchwolke aus
und blickte träumerisch den blauen
Ringeln nach, die sich iiber seinem
Kopfe hinzogen. »Ja, ich kannte sie,
oberflächlich nur, es ist schon Jahre
l)er«, entgegnete er; »sie stand damals I
aus sehr gespanntem Fuße mit ihrem
Schwiegervater. Jetzt scheint die Har
monie zwischen den Beiden hergestellt
zu sein.«
»Das Kind versöhnte sie. Die Witt
we bezieht ein schonesl Einkommen Von
dem Alten«
,,Wirklich? Das freut mich. War
es nicht irgendwo in der Nähe, daß ihr
Gatte Selbstmor' beging?«
Mercn Pooles Gesicht nahm einen
finsteren Ausdruck an. »Er wurdei
todt gesunden«, antwortete sie.
Regnault entloctte seiner Eigarre ei- ;
nige mächtige Rauchwolken, dann brach
er in ein lautes Gelächter aus. »Ich
habe alle Ursache, den Burschen in gu
tem Andenken zu bewahren!« erklärte
er; »als ich die Nachricht von seinem
Tod erhielt, freute ich mich könig
lich.«
»Was3?!« rief Mercy Poole.
»Ich hatte guten Grund, ihm zu
grollen«, fuhr der Sänger fort. »Am «
Mittag des Tages-, an dem er Selbst
mord begina, gab er mir die tüchtigste
Tracht Priigel, die ich in meinem Le
ben erhielt.«
Eine lurze Pause folgte auf dieses
offene Geständnis3.
Plötzlich fuhr Mercy Poole von ih-:
rein Stuhle auf und trat hochansge
richtet vor Regnanlt hin. »Er gab
Ihnen eine Tracht . rügel an dem Ta
ge, an welchem er starb?« wiederholte
sie langsam, indem ihre schwarzen Au
gen durchbohrend at s dem Sänger has
teten; »und Sie hegten deshalb einen
Grrll gegen ihn? Dss klingt unheim
lich, denn Robert beging nicht Selbst
mord er wurde ermordet!«
»Winli.h?« ertviterte Regnault in
gleich-;tltigem Tone. »Wer ermordete
ihn denn?«
»Das weiß Nieniand.«
»Und uerniuthlich kümmert sich auch
heute Niemand mehr darum,« setzte
Regnault hinzu, indem er die Asche
vor. seiner lkigarre abstieß.
»O doch«, antwortete die Wirthin
langsam, »es lebt Werigstens eine Per-: I
son, die sich seTlet jetzt, nach siebzehn
Jahren, noch darum kümmert." «
»Wahrhaftig, dann war Greylock
glücklicher als die meisten seiner Mit-«
menschen!« rief der Sänger; »gewd·hn- H
lich genügt eine kürzere Zeit, um uns!
aus der Erinnerung unserer Nächstens
und Theuersten zu streichen.«
MercyPoole ballte ihre braunen, seh
niaen Händez »Die Stunde wird kom
men, da Gottes Gerechtigkeit den Mör
der an das Tageslicht bringen wird!«
sagte ske dumpf. «
»Ihr Glaube ist stark«, meinte Reg
nault lachend. ,,Mord will an’s Licht«,
isi ein Sprichwort, das sich überlebt
hat. Jn unseren Tagen glaube Nic
manb mehr daran. Die Wege der Ge
rechtigkeit sind jetzt so krumm und ver
schlungen, daf; es schwer ist, die Schul
digen zu erseichen Der Mörder, der
17 Jahre lang im Siande war, sich der
c-.··«:1«echtigkkit zu entziehen, müßte ge
radezu ein Jdici sein, wenn er sich jeåxt
noch fangen licize.«
»Sie haben mir gesagt, wie Sie
heifzen«, begann Mercy Poole nach ei
ner kurzen Pause von Neuem, »ich
habe es aber wieder Vergessen.«
«Regnanlt ist mein Name.«
»Er ist mir fremd.«
»Ohne Zweifel·«
»Wo waren Sie,« fuhr die Wir
thin mit stammenden Augen fort,
»in der Nacht, als Robert Greylack
starb?«
Regnault blickte die Amazone ver
lüfft an und antwortete dann lachend:
,,Wollen Sie seinen Tod etwa mir in
die Schuhe schieben? Jch war in jener
Nacht viele Meilen weit von hier, und
obwohl ich Greylock von ganzem Her
zen haßte, erwies sich sein unzeitiges
Ende doch als das größte Unglück mei
nes Leben-k«
»Sie weichen meiner Frage aust«
rief Merch. »Wo waren Sie in der
Nacht, als er erinordet wurde?«
»Das geht Sie nichts an! Sie zwin
gen mich, Jhnen eine unhöfliche Ant
wort zu geben. Allein«, sagte er gäh
nend, indem er seine Cigarre wegwarf,
,,es ist schon spät und ich will jetzt zu
Bette gehen.«
»Bleiben Sie!« erwiderte Mercy
Poole, »nur noch ein Wort-! Wenn die
Leute jene dumme Selbstmordgeschichte
nicht so leichtgläubig hingenommen
hätten, so wäre ein gewisser Jemand
sofort der That verdächtig geworden
und nichts hätte ihn dann retten kön
nen.«
Regnault hatte durchaus keine Lust,i
weiter auf den Gegenstand einzugehen,i
allein der furchtbare Ausdruck ihrer
Augen entrang ihm die Frage: »Und
wer war das?«
»Der Mann, der mit Robert Gren
locks Weib entfloh.«
Regnanlt stieß die Katzen, die im
Wege lagen, bei Seite und schritt der
Thijr zu. Ehe er das- Zimmer verließ,
sagte er noch: »Der arme Teufel!
Ohne Zweifel wurde er für diese Thor
heit schwer genug bestraft. Er muß
indessen ein Tausendkünftler gewesen
sein, wenn er den Gatten in Blackport
tödtete und zu der gleichen Zeit mit der
Frau New-York verließ. Frau Wir
thin, es ift klar, daß Sie das Zeug zu
einem Detektiv nicht besitzen.«
Jm Hinausgehen winkte er Polln
zu, die ihm auf den Haukflur folgte.
»Wiffen Sie den Weg nach Grehlock
Woodg, mein Kind?« fragte er.
»Ja«.
»Ich möchte der jungen Dame dort
eine Botschaft zufenden.«
»Ich will fie überbringen;«
»Besten Dank, mein Kind! Um
Jhretwillen Verzeihe ich dem Burschen
mit den groben Fäusten — er ist wohl
« Jhr Liebhaber — der mich vorhin so
unceremoniijs angriff.«
»Er ist nicht mein Liebhaber,« erwi
derte Polly, den Feon schüttelnd.
»Nicht? Dann ist er zweifellos
übergefchuappt«, sagte Regnault la
chend. »Morgen Früh werde ich Ihnen
einen Brief anvertrauen, den Sie je
doch Miß Greyloci selbst iiberliefern
müssen, keinem anderen Menschen,
verstehen Sie mich? Sie dürfen mir
keinen Streich spielen.«
»Ich würde das siir unter meiner
Würde halten« Sir.«
»Mif3 Grehlork wird Jhnen ohne
Zweifel eine Antwort übergeben. Ich
werde morgen im Gasthof bleiben.
Sagen Sie Ihrer Herrin keine Silbe
davont«
»Ich werde schweigen.«
Regnault begab sich die Treppe
hinauf, und Polly kehrte in daOJ Zim
mer zuriici, fand aber nur noch die
Rat-en dort. Jhre Herrin war ver
fshwunden
Hinaug nach den alten Salzgrnben
eilte Mercy Poole beim bleichen Licht
des Moride5. Ihre hohe, schwarze Ge
ftalt schien beflügelt. Sie hatte ihren
niedrigen Hut tief iiber das Gesicht ge
zogen nnd ihre sehnigen Hände agit
ten wild in der L«st umher. Hatte sie
den Mörder ihres Geliebten endlich ge
fanden?
Dichte Nebelwolken lagerten sich über
die Salzwiefem doch hell schienen die
Sterne droben am nächtlichen Himmel.
Sie schlug den oft betretenen Pfad
ein, der nach dem Steinhaufen führte,
warf sich neben diesem nieder und blieb
regungslos-, das Gesicht der Erde zuge
kehrt, dort liegen. ,
Dort stolperte Polly eine oder zwei
Stunden später über sie und suchte sie
aufzurichten.
»Gott sei Dank, das-. ich Sie endlich
gefunden habe. Misz Poole!« rief sie.
IJch habe Sie überall gesucht. Das
Kiichenmädchen sagte mir, Sie würden
wahrscheinlich hier sein; es fürchtete sich
aber,.mit mir zu kommen —- wegen der
Geister."
Merey Poole sprang Vor-. 11der Erde
auf, ihr Gesicht, war so blei «: und ges
spenstig wie der Nebel, der kköer der
Salzwiese schwebte. »Wer txst mich?«
sagte sie wild.
»Ich — Polly««
»und fürchten Si sich nicht « ««
vor Geistern?« — 7
»Nein, ich fürchte mich vot nOchchE —.
antwortete das Mädchen; Mit-VI
konnte nicht schlafen gehen, bisch i H
in Sicherheit wußte.« . Ei»;.
Ijkexcy Poorc blickte auf das net-J
volle, besoi gte Gesicht des jung-n Miit »
chens nieder und sagte dann geküh: E
»Ich danke Ihnen, mein Kind " »-"·«I
»Das Gespräch mit jenem Mann
hat cie wohl aufgetegt?« fragtcPocz»«-«
»Jchwi1ßie,dafz er ein fchlechtj «
Mensch ist, ich wußte es vom Auch
blick 011,als ex ten Gasthof bete-s
Aber kommen Sie, Mis; Boote, gehIsk
Sie jetzt mit mir nach Hause! W( »
wollen Sie denn nur an diesem eik
samen Platze?« -
»Mit dem Todten sprechen«, ans-H
ioortete Mercy Poole. »Als Sie
anredeien, glaubte ich seine Stimme zi
vernehmen.« «
,,Nicht doch!« rief Polly beben
»Wir können nicht mit den Todten r
den, so lange wir selbst am Lebe
sind.«
»Meine-n Sie? Jch thue es oft. Si «
hen Sie dieses Steinmonumentcs Ji ;
errichtete es mit meinen Händen- i,
mitternächtlicher Stunde zum Andre-,
kcn an einen, der auf dem Flecke, ax
dem Sie eben ftehen,ern1ordet wurd-, -
Und eine lange, lange Unterredun «
hatte ich mit ihm, während ich mit de« .
Arbeit beschäftigt war. Ich will Si«
aber nicht erschrecken. Reichen Sie mi« —
die Hand, Kind —- es fchwindelt rni ;
— führen Sie mich nach Hausei« Un
ohne ein weiteres Wort zu reden, er.
griff sie die Rechte des Mädchen«
und schritt mit ihm nach der in is
tiefen Schlummer liegenden Stadt zug«
rück.
Polly betrachtete ihre Herrin unter ,
weg-Es wiederholt mit bekümmerten Bli-’s«
cken und suchte vergebens eine Antwor
auf die Frage: ,,War Mercy Poole, bi.
Wirthin der ,,Katzen- Herberge« , wahn sz
sinnig?«
22. Capitel.
« Zu früher Stunde am folgendes-H
’ Morgen klopfte eine vom Kopf bis zi,
den Füßen schwarz gekleidete und dich s
verfchleierte Frau an die Thür des»
Poole schen Gast hoff-. .
Polly dffnete l,
»Ich wünsche Monsieur Regnault
von der Orpheus- Conzert- Compagnie
zu sprechen«, sagte die Dame,oh:ie dett «
Schleier zu lüften. »
,,Treten Sie ein, Madame!« unt-i
wortete das Mädchen. Sie führte di
Dame in den Parlor und— eilte dan «
die Treppe hinauf, um Regnault z
rufen. 1
Der Gerufene war bereits auf und
angekleidet Als Polly ihm den
Wunsch der Dame mitgetheilt hatte,å.
begab er sich die Treppe hinab und er
schien vor der Dame, die er unent-;E
schlossen in dem Parlor stehend fand-Z
Mit der einen Hand hielt sie sich ank:
einem Stuhle fest, während sie mit deer
anderen ihr Kleid emporhielt, um sich;
vor der Berührung mit den Katzen zuå
hüten »Madame«, sagte er trockeUJT
,,wem habe ich diesen unerwarteten Be--s:
such zu verdanken?« )
Sie schlug ihren Schleier zurück. Esizj
war Iris Grehlock. «
,,Ah!« sagte Regnault trocken; WILL
ich Dich gestern Nacht im Conzert er
blickte, da wußte ich, daß diese Begeg-:
nung unvermeidlich war.«
Die Beiden blickten einander finsterth
an.
»Ich kann nicht ruhen« sagte Jris,1
»big ich mit Dir gesprochen habe; was
führt Dich in diese Stadt, und unter
falschem Namen? Ich glaubte — ichi
hoffte, das-, Du todt seiest «
Regnault drehte die Spitzen seines «
Schnurrbarte5. «Verbindlichsten Dant, «
Mrkx Grenloci. Du hast, wie ich Ver
muthe, diesen Namen wieder angenom- «
men? Soviel ich weiß, ist es jetzt der
einzige, den Du rechtmäßig führen
kannst. Deine Aufrichtigkeit rührt
mich; ich lag, wie Du weißt, in New
Orleang schwer krank am gelben Fie
ber darnieder, allein ich bin mit dem
Leben davongelommenz ich bin nicht so
leicht todt zn machen. Ich kam hier- v
her, um gegen Bezahlung zu singen,
nnd —---- verzeihe mir -—-- Regnault ist -
kein angenoinniener Name; ich habe ihn
«einsach umgestellt Du kanntest mich
friiher als Arthur Regnault Kenhon
—s jetzt heifzt ich Arthur Fienyon Reg- ·
nault«
Iris mufzte sieh setzen; sie sah bleich -
und entrüstet auc- »Die Jahre sind
fast spurlos an Dir ooriidergegangen«,
sprach sie
»Ich kann Dir dieses Kompliment
mit Zinsen zuriiitzahlen« erwiderte er
mit einer spotnsd en Terbeuaung »Du
siehst wahrhaftig kaum fiinf Jahre
älter aus alg an dem Tage da wir ge
brochenen herzeng von einander schie
den Die Zeitungen meldeten mir den
ztraurigen Unfall, welche- der Lauf
E bahn der Ballettänzerin für immer ein
Ende machte; allein Mre cis Grey
loek scheint sich unter den Verwandten
s ihres tief betrauert n Gatten vortreff
t lich conseroir rt zu habe n
Jrig machte eine nngeduldige Ge
berde.- ,,Sind wir sicher vor Horchern?««
fragte sie.
Fortsetzung folgt.)
—— Begründete Furcht. —
»We5k)alb haben Sie denn so große
Furcht vor der Heirath?« Witzblatb
redaktcur: ,,Wissen Sic, mein Blatt
hat immer so viele Schwiegermutter
witze gebracht.«