,,—.-..-.-.—--—..—f ------ Ereyloclk gsood5. Roman von Ioses Trenmanw (16. FortseyungJ Es war noch so hell, daß ich alle Ge genstände um mich her deutlich erken nen konnte. Jch näherte mich dem Hause vorsichtig. ,,Welch’ ein reizender Platz!« dachte ich. »Wer wohl hier wohnen mag?« Jch gewahrte nun, daß eine Piazza an der Front des Hauses entlang lies; dort unter BL; :men und wilden Ranken hing eine Hängematte, in der eine Frau lag, die sich hin- und her schauielte. Ich Ver:nochte ihr Gesicht, das seit wärts gelehrt war, nicht zu sehen, ich konnte nur die hübsche Form ihres Kopfes, der mit dunklem Lockenhaar bedeckt war, erkennen. Ein wallen des Gewand von Gaze und Spitzen hiillte ihre Gestalt ein, und ein weißer Arm, der mit goldenen, juwelendesetz ten Spangen geschiniiclt war, hing nachlässig über den Rand der Hänge matte herab Eine sieberhaste Neugierde bemäch tigte sich meiner. Leise schlich ich über die Lichtung hin, leise näherte ich mich der Piazza. Jch war entschlossen, koste es, wag esJ wolle, die Züge der Gestalt zu erblicken, die dort in träger Ruhe lag. Jch hatte den Nasen schon halb über schritten, als eine auf die Piazza füh rende Thitr sich öffnete und eine cor pulente, brünette Frauensperson mit den Worten heraustrat: »Der Thau fällt schon, Madame; wollen Sie her einkommen» oder soll ich Ihnen einen Shawl bringen?" Die Gestalt in der Hängernatte erhob sich halb und erwiderte gäh nend: »Reiche mir die Hand, Hannaht Ich kann wohl nicht länger hier lie gen bleiben. Mein Gott, wie lang weilig ist es doch hier in der Rosen Villa!« Die dicle Braune half der Dame ans der Hängematte auf die Piazza stei gen, und nun standen Herrin und Die nerin vor meinen Augen. Mit stürmisch » pochendein Herzen fah und erkannte ich ; Beide. : Die Dame schritt hintend iiber den » Boden, indem sie seufzend meinte: »Ich » werde mir wohl eine Kriieke bestellen E müssen; es wird von Tag zu Tags schlimmer mit meinem Knie. — Sieh’ i doch Hannah! Um’s Himmels willen, . wer ist das?« Sie hatte mich ent deckt· Hannah trat an den Rand der s Piazza und blickte mich scharf an.; »Wer seid Jhr?!« rief sie, »was wollt I Jhr hier?« E Jch war wie gelähmt und vermochte kein Wort hervorzubringen. Sie hielt mich jedenfalls für eine Landstreicherin, denn im nächsten Au genblick fuhr sie zornig fort: »Fort mit Euch, oder ich hetze die Hunde auf Euch!« Tödtticher Schrecken bemächtigte sich meiner; ich wandte mich um und lief aus Leibesträften dem Gebüsch zu. Glücklicherweise erreichte ich den Pfad, der zu der Eingangspforte führte. Bald befand ich mich auf de: Land strasir. Meine Vermuthnng war zur Ge wißheit geworden —— ich wußte jetzt, daß ich Nan gefunden hatte! Leise schluchzend lenkte ich meine Schritte zur ,,Fi«at3en-Herberge« zurück. Elegante Equipagen rollten an mir vorüber, aber ohne darauf zu achten, schritt ich weinend und mit schwerem Herzen meines Weges weiter. Sollte ich mich jetzt der glücklichen Erbin von Grehloct Woods zu erken nen geben? Sollte ich Harmony-Lllley und Großmutter Scrag in ihrem schlummernden Gedächtniß wachrufeni Sollte ich ihre Geschichte dem engli schen Baronet und der Welt erzählen? Nein! Nein! Nein! Jn meinem tur zen, elenden Leben hatte ich erkennen gelernt, daß treue Liebe stets mit Lei den, Opfern und Entsagungen ver knüpft ist. ; »Ihr Gliick soll durch mich nicht ge- ’ stört werden«, murmette ich vor mich hin, indem ich weinend dem Städt chen zuschritt. »Ja jenen vergangenen Tagen, als wir Hand in Hand in den Straßen der Stadt umher wanderten und bettelten, pflegte ich zu sagen, daß ich gern mein ganzes Leben lang arm bleiben wollte, wenn ich nur sie zu ei ner Ladn machen könnte. Jetzt gilt es, meinem Wort treu zu bleiben. Sie soll Lady sein, sie soll ihren englischen Lord heirathen, ich aber will mein Le ben lang Anderen dienen! Ja, es ist Nan, meine theure, verlorene Schwe ster, und aus Liebe zu ihr will ich mein Gehemniß bewahren, bis ich sterbe!« « 21. (r a p i t e l Monsieur Negnault, der Unver gleichliche Tenor der ,,·Orpl)eus Con cert-Con1pagnie«, betrachtete seine hüb sche, duntle Gestalt in dem zerbroche nen Spiegel des Antleideziiiimers, ehe er die kurze Treppe hinaufstieg, die zur Bühne führte. »Wie sind doch die Mächtigen gefallent« murmelte er da bei vor sich hin, indem er eine Rose in dem Knopfloch seines eleganten Rotte-Z beseitigte. »Wie tief haben wie uns doch erniedrigt, meine Stimme und «ich! War es deshalb, daß ich in den glücklichen Tagen meiner Jugend und meines Neichthurns unter den besten Letztern studiertet Gerechter himmell Jch war damals der Besitzer von Mil l·.onen. Jetzt wandere ich mtt einem Trupp lumpiger Bäntelsänger durch das Land. Jeh bedarf nur noch einer Drehorgel und eines Affen, um meine Schmach zu vervollständigen." Er roch an der Rose, bog ihre grü nen Blätter etwas mehr seitwärts und fuhr lächelnd fort: »Nun, ohne Geld wird man nicht fertig, ein leerer Beutel ist ein unwiderlegliches Zwangsmittel. Die wandernde Truppe machte es mir wenigstens möglich, mich nach Plack port zu begeben, wo ich mit meiner schönen, unvergleichlich-en Geli.bt;n (i««e und dieselbe Luft athmen kann. J werde sie sehen — und werde sie für immer zu der Meinigen machen.« — Es war der Concert-Abend; ein zahlreiches Auditorium hatte sich in der Stadthalle von Blackport einge funden. Soeben erklangen die letzten Töne eines Duetts, und im nächsten Augenblick tam das Sängerpaar die Treppe herab. Jetzt war es an Reg nault, die Bühne zu betreten und sein erstes Lied zu singen. ' Jn tadelloser Toilette, behand schuht und Parsiirmirt, machte der hübsche Tenor seine Verbeugung vor dem Auditorium und lies; seine Blicke rasch über die zahlreichen Gesichter hin schroeisen. - Ja, sie war da mit ihrem Großvater und Sir Gervase, der neben ihr saß. Die Aristotratie von Greylock Woods hatte sich wirklich eingefunden, um den Vorträgen der wandernden Sänger truppe zu lauschen. Dies war Ethels Werk; mit vieler Mühe und einschmeichelnden Bitten war es ihr gelungen, den stolzenMann hierher zu locken. »Ich weiß es, Groß « para, es ist eine thörichte Laune«, hatte sie gesagt; ,,allein ich will, ich muß ge hen! Und wenn Du mich liebst, so kommst Du mit mir.« ,,Wahrhaftig, Ethel, solch’ schlech ten Geschmack hätte ich Dir nie zuge traut«, hatte ihr Großvater strenge ge antwortet; »Du willst Dich unter den Pöbel von Blackport mischen und einer ; Bande Vagabunden zuhören, von de nen wahrscheinlich kein Einziger auch ; nur einen Ton correlt fingen tannt Jch tann Dich nicht begreifen!" Nichtsdestoweniger ging er schließ lich doch mit ihr. und Sir Ger oase, der in letzter Zeit gleichsam ihr Schatten gewesen war, begleitete sie; ebenfalls-. i So tam es denn, daß die drei ersten : Gesichter, auf die Regnaults Blick fiel,: die der drei Zuhörer aus dem Herren « hause waren. Etwas weiter entfernt, in derselben Reihe, sesselten zwei an dere Personen seine Aufmerlsamteiit Mrs. Iris Grenloct und deren Die nerin. Der Dämon der Langweile hatte die Herrin der Rosen-Van an diesem Abend hierher geführt; mochte das Concert noch so schlecht sein, bei der Einsamkeit und Monotonie ihres Lebens in der Van schien es ihr eine willlommene Abwechselung Geschmintt, gepudert und in ausfäl liger Abendtoilette saß Jrig da und beobachtete hinter ihrem Atlagfiicher die Gesellschaft aus dem Herrenhausr. Da ging das Duett zu Ende, und Regnault erschien auf der Bühne. Beim Anblick des hübschen, dunklen Tenors fuhr Jrisz heftig zusammen und faßte Hannah Johasons Arm mit lrampfi hafter Heftigteit —- Fnrcht und Ent setzen spiegelten sich in ihren Zügen. Regnaulig Blicke begegneten den ihri gen. Sie lonnte nicht fliehen, sie wagte nicht zu schreien· Er erkannte sie; das Feuer, das aus seinen Augen blitzte, verrieth es ihr. War er gleichfalls bewegt? Ja, es schien so, denn das Notenblatt zitterte in seiner behandschuhten Linien; doch nur einen Augenblick währte seine Er regung. Rasch ermannte er sich und stand nun in tadelloser Ruhe da, die Blicke auf Ethel Grehlock geheftet, als ob ihr Gesicht das einzige in der über bollen Halle gewesen wäre. Jm näch sien Moment erschallte seine Stimme rein und tlangvoll wie eine silberne Trompete. Er sang nur iiir sie und ergoß seine ganze Seele in die Verse Tennhs sons: »Komm« doch in den Garten, Mand, Die finsterc Nacht ist dahint« Er legte leidenschaftliche Freude und fast dfimonifches Frohlocken in die Worte: »Las;, vornehmer Freier, Dein Sens Zen und Girren, Sie wird ja doch nimmermehr Dein; Doch mein, doch mein, irh schwör’ e: s den Göttern, « Für immer, fiir immer mein!« Sir Gervase hätte in der That sehr I stmnpfsinnig fein müssen, wenn er nichts Ungewöhniiches in diesem Sän get und in der thuth seines Sanges entdecit, wenn er nicht wahrgenom men hätte, daß seine ameritanische Consme vor unterdrückter Aufregung zitterte und jeden Augenblick die Farbe wechselie. »Sie kommt, meine Taube, meine - Liebe, Sie kommt, mein Leben, mein Glück!« Welcher Triumph aus diesen Versen sprach! Ethel schauderte zusammen und erschrak. Wantte ihr Muth, zö gerte sie, Rang, Reichthum, Heimath und Freunde ihrer Liebe zum Opfer! zu bringen? Nein, so seige konnte sie nicht sein; wo wahre Liebe herrscht, ist kein Raum fiir die Furchtt - Dcis Lied war zu Ende; hundert stimmiger Beifalleuf und lautes hän dellatschen belohnten den Sänger. Kaum war der Applaus verhallt, als Sir Getvase einen Schrei der Ueberra schung ausstieß und Jris zu Hilfe eilte, die ohnmächtig in ihren Sitz zurückge sunten war Sie wurde in’s Freie hinaus-getra genuud die Gesellschaft aqu dem Her renhause folgte ihr. Fächer und Riech fläschchen brachten die Dame bald wic der zum Bewußtsein zurück. Sobald sie die Augen öffnete, sagte sie zum Bat-auch ,,Haben Sie die Gü te, Sie Gervase, meine lkquipsige hier her zu beordernz sie wartet irgendwo in der Nähe.« Tscr Baronet beeilte sich, ihremWiw sche nachzukommen Ethel beugte sich besorgt iiber ihre Mutter. ,,Mama, Mama, was fehlt Dir? Du bist wohl nnwol)l, laß’ mich mit Dir nach Hause gehen!« Iris schaute ihre Tochter mit durch bohrendem Blick an; ein dämonisches Lächeln spielte um ihren Meint-»wich rcnd sie erwiderte: »Es ist kein Raum für Dich in der Equipagr. Bleibe hier, ich brauche Dich nichtl Jch fiihle mich wieder ganz wohl, es war nur dieWir tung der schrecklichen Hitze in der Halle, T mein Kind. Noch ein Wort, Ethel!«» Sie zog ihre Tochter näher zu sich her- - an und flüsterte ihr boshaft in ’s Ohr: »Du falsche Katze! So hintergehst Du Deinen Großvater? Ein falsches Spiel treibst Du mitDeinem adeligen Freier? Regnault, Dein Gesanglehrer im Pen sionat, scheint sehr in Dich verliebt zu« sein. Pfui! Pfui!« Bald darauf fuhr sie mit Hannah ; Johnsoli nach Hause. s Godfrey Greyloek, der mit Ethel und l Sir Gervase zurückblieb, blickte seine Enkelin unwillig an und sagte: »Wol len wir in den Saal zurück, oder hast Du genug von diesem Vergnügen?« Für Ethel bedeutete diese Frage: »Soll ich Regnaults Gesicht nochmals erblicken? Soll ich seine Stimme noch ) mals hören? Soll ich auf eine Gele zgenheit warten, mit ihm zu reden?« s Sie antwortete indessen rasch entschlos sen »Ich bin bereit, Mama zu folgen; fes ist wirklich erftictend heiß in dem Saale.« s So stiegen die Drei denn in ihre Equipage und fuhren nach dern Herrenhause zurück. Als Reanault abermals auf der Bühne erschien, er blickte er zu seinem nicht geringen Ver drusse nur leere Sitze statt der Gruppe oonGesichtern, von denen eines vor sei nen feurigen Blicken tief erröthet, wäh rend das andere vor Schrecken erblaßt war Schon seit Monaten war es ihm be kannt, daß Ethel die Tochter Jris Grehlocks war » die junge Erbin hatte ihm oft von ihren Verwandten erzählt —— doch erst, als er an diesem Abend die Ohnmacht der Dame ge wahrte, wurde ihm die ganze Bedeu tung dieses Umstandes klar und er erkannte, auf wie gesährlichem Grund er sich befand. Nur ein Zusammen wirken glücklicher Umstände konnte ihn in den Besitz des schönen Mädchens setzen. Eines trar gewiß —— er hatte keine Zeit zu verlieren, rasches Han deln allein vermochte zum Ersrlg zu führen. Zögerte er, so mußte er sicherlich allen feinen Hoffnungen ent sagen. Nachdem das Concert zu End- war, begab er sich mit den übrigen Mitglie dern der Truppe nach der ,,.5tat3en HerbergeC um auf seinen Lorbeern auszuruhen und an der Mahlzeit Theil zu nehmen, die Mercy Poole fiir die »Orpheus - Eumpagnie« vorbereitet hatte. Jm Hausflur begegnete er Pollh, die eben die Treppe hinauf eilerx wollte um einen Auftrag ihrer Herrin zu be sorgen Jn seiner übermüthigen Laune ergriff er sie beim Arm, starrte ihr frech in s Gesicht und rief: »Halloh! Ein Paar Nehaugent Mei ncr Treuh man könnte Sie beinahe hiibsch nennen, liebes Kind. Bringen Sie mir ein Glas oranntwein·« Polly antwortete i dem sie sich von ihm loszumachen suchte: »Jn diesem Gasthofe werden keine Spirituofen ae halten« »Nicht? Nun, so geben Sie mir statt des Branntweins einen Kuß.« Jn diesem Augenblicke trat Jemand von der Straße rn den Gasthof her ein. Eine starte Hand befreite Pollh aus den Händen des Sänger-« und schleuderte diesen so heftig zurück, daß er gegen die Wand taumelte. »Nehmen Sie sich in Acht, Bursche!« ries Dr. Vandine ——- denn dieser war der unvermuthete Beschützer Polth - « heftig. »Dieses Mädchen ist meine Freundin.« Sie wars ihrem Befreier einen dankbaren Blick zu und eilte dann sort, um sieh eines Auftrages zu entle digen. Regnault hatte sich rasch wieder er mannt und trat auf Dr. Vandjne zu. »Diese lleine Stubenmagd ist Jhre Freundin -« fragte er höhnend »Sie haben wirklich einen samosen Ge. schmack! Bitte, wer sind Sie denn eis gentlich«t« »Ein Mann, der Frauen zu verthei digen und die Frechheit eines Schurken zu züchtigen verstei,i«, erwiderte Diel, vor Zorn erglühend. Beim Himmel Sie sind sreigebig mit Jhren Ec vlirnenten!« brauste der Andere jetzt aus; »wenn Sie mik nicht aus dem Weg gehen, so werde ich mir die Freiheit nehmen, Sie ohne Weiter-es auf die Straße hinaus zu T werfen." « « Meren Poole, welche die zornian Stimmen vernommen hatte, erschien ICBt im Hausslur. »Keinen Streit, meine Herren!« rief sie, indem sie zwi schen die Beiden trat, worauf Vandine achselzuclend sich die Treppe hinausw gab, während Regnault den übrigen Mitgliedern der Truppe in’s Speise zimrner folgte. Zu später Stunde erst zogen sich die Mitglieder der »Orpl)cus - Trnppe« zur Nachtruhc zurück. Regnault allein verweilte noch einige Minuten im Speisezimmer. Eine Melodie vor sich hinsunnncnd, schritt er einige Male aus und nieder; dann begab er sich in das anstoszende Gemach,· in dem Mercy Poole und Polly saßen. ,,Pontius Pilatus«, sprang von ci ner Matte auf, zischte den Eindring ling wüthend an und verschwand in ei ner entfernten Ecke. ,,Robespierre« spitzte sein eines Ohr, richtete den übrig gebliebenen Stumpf seines Schwanzes hoch aus und flüchtete sich, von sämmt lichen »Borgias« gefolgt, unter den I Stuhl seiner Herrin.« ; »Beim Himmel!« ries Regnault Jnmiisirt aus. »Was finde ich hier? ; Eine ganze Legion Katzen, und alle j verrückt, wie es scheint!« -.-.. t »Sie sehen hier meine Familie", » antwortete Merrh Poole trocken. »Wer behauptet, daß die Katzen keinen Ver stand besitienlt Mir scheint, daß sie sich vortrefflich aus die Charaktere der Menschen verstehen. Diese Thiere he gen schon auf den ersten Anblick ein Mißtrauen gegen Sie; ihr Benehmen sagt deutlich, daß mit Jhnen etwas los ist·« Regnault warf sich in einen Stuhl und erwiderte lachend: »Merkwürdige Geschöpfe! Nun, ich denke, daß mit den Meisten von uns etwas los ist. Doch sagen Sie mir, Frau Wirthin, kennen Sie eine Familie Namens Greylock in Blackport? Es sollen sehr reiche Leute sein, wie ich höre.« Polly hatte sich eben erhoben, um sich nach der Küche zu begeben; bei diesen Worten blieb sie jedoch plötzlich stehen, wandte sich unbemerkt um und machte sich im Zimmer zu schaffen. »Ja«, erwiderte Mercy Poole, indem sie dem Fragenden einen forschenden Blick zuwarf. »Ich kenne die Grey locks. —- Sie auch?« Er zog ein Cigarren-Etui aus sei ner Tasche, indem er mit nachlässiger Höflichkeit fragte: »Sie gestatten wohl, mir einen Glimmstengel anzuziinden?« Dann setzte er mit gleichgiltiger Miene hinzu: »Ich habe früher ein mal die sliichtige Bekanntschaft eines oder zwei der Familienmitglieder ge macht.« »Der jungen Erbin wohl?« fragte Merch mit scharfer Betonung. »Nicht doch!« »Dann kennen Sie also den Al ten?« »Gott bewahre!« »So ist nur noch die hübsche Witt we übrig, Robert Greylocks Wittwe.« Regnault blies eine Rauchwolke aus und blickte träumerisch den blauen Ringeln nach, die sich iiber seinem Kopfe hinzogen. »Ja, ich kannte sie, oberflächlich nur, es ist schon Jahre l)er«, entgegnete er; »sie stand damals I aus sehr gespanntem Fuße mit ihrem Schwiegervater. Jetzt scheint die Har monie zwischen den Beiden hergestellt zu sein.« »Das Kind versöhnte sie. Die Witt we bezieht ein schonesl Einkommen Von dem Alten« ,,Wirklich? Das freut mich. War es nicht irgendwo in der Nähe, daß ihr Gatte Selbstmor' beging?« Mercn Pooles Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. »Er wurdei todt gesunden«, antwortete sie. Regnault entloctte seiner Eigarre ei- ; nige mächtige Rauchwolken, dann brach er in ein lautes Gelächter aus. »Ich habe alle Ursache, den Burschen in gu tem Andenken zu bewahren!« erklärte er; »als ich die Nachricht von seinem Tod erhielt, freute ich mich könig lich.« »Was3?!« rief Mercy Poole. »Ich hatte guten Grund, ihm zu grollen«, fuhr der Sänger fort. »Am « Mittag des Tages-, an dem er Selbst mord begina, gab er mir die tüchtigste Tracht Priigel, die ich in meinem Le ben erhielt.« Eine lurze Pause folgte auf dieses offene Geständnis3. Plötzlich fuhr Mercy Poole von ih-: rein Stuhle auf und trat hochansge richtet vor Regnanlt hin. »Er gab Ihnen eine Tracht . rügel an dem Ta ge, an welchem er starb?« wiederholte sie langsam, indem ihre schwarzen Au gen durchbohrend at s dem Sänger has teten; »und Sie hegten deshalb einen Grrll gegen ihn? Dss klingt unheim lich, denn Robert beging nicht Selbst mord er wurde ermordet!« »Winli.h?« ertviterte Regnault in gleich-;tltigem Tone. »Wer ermordete ihn denn?« »Das weiß Nieniand.« »Und uerniuthlich kümmert sich auch heute Niemand mehr darum,« setzte Regnault hinzu, indem er die Asche vor. seiner lkigarre abstieß. »O doch«, antwortete die Wirthin langsam, »es lebt Werigstens eine Per-: I son, die sich seTlet jetzt, nach siebzehn Jahren, noch darum kümmert." « »Wahrhaftig, dann war Greylock glücklicher als die meisten seiner Mit-« menschen!« rief der Sänger; »gewd·hn- H lich genügt eine kürzere Zeit, um uns! aus der Erinnerung unserer Nächstens und Theuersten zu streichen.« MercyPoole ballte ihre braunen, seh niaen Händez »Die Stunde wird kom men, da Gottes Gerechtigkeit den Mör der an das Tageslicht bringen wird!« sagte ske dumpf. « »Ihr Glaube ist stark«, meinte Reg nault lachend. ,,Mord will an’s Licht«, isi ein Sprichwort, das sich überlebt hat. Jn unseren Tagen glaube Nic manb mehr daran. Die Wege der Ge rechtigkeit sind jetzt so krumm und ver schlungen, daf; es schwer ist, die Schul digen zu erseichen Der Mörder, der 17 Jahre lang im Siande war, sich der c-.··«:1«echtigkkit zu entziehen, müßte ge radezu ein Jdici sein, wenn er sich jeåxt noch fangen licize.« »Sie haben mir gesagt, wie Sie heifzen«, begann Mercy Poole nach ei ner kurzen Pause von Neuem, »ich habe es aber wieder Vergessen.« «Regnanlt ist mein Name.« »Er ist mir fremd.« »Ohne Zweifel·« »Wo waren Sie,« fuhr die Wir thin mit stammenden Augen fort, »in der Nacht, als Robert Greylack starb?« Regnault blickte die Amazone ver lüfft an und antwortete dann lachend: ,,Wollen Sie seinen Tod etwa mir in die Schuhe schieben? Jch war in jener Nacht viele Meilen weit von hier, und obwohl ich Greylock von ganzem Her zen haßte, erwies sich sein unzeitiges Ende doch als das größte Unglück mei nes Leben-k« »Sie weichen meiner Frage aust« rief Merch. »Wo waren Sie in der Nacht, als er erinordet wurde?« »Das geht Sie nichts an! Sie zwin gen mich, Jhnen eine unhöfliche Ant wort zu geben. Allein«, sagte er gäh nend, indem er seine Cigarre wegwarf, ,,es ist schon spät und ich will jetzt zu Bette gehen.« »Bleiben Sie!« erwiderte Mercy Poole, »nur noch ein Wort-! Wenn die Leute jene dumme Selbstmordgeschichte nicht so leichtgläubig hingenommen hätten, so wäre ein gewisser Jemand sofort der That verdächtig geworden und nichts hätte ihn dann retten kön nen.« Regnault hatte durchaus keine Lust,i weiter auf den Gegenstand einzugehen,i allein der furchtbare Ausdruck ihrer Augen entrang ihm die Frage: »Und wer war das?« »Der Mann, der mit Robert Gren locks Weib entfloh.« Regnanlt stieß die Katzen, die im Wege lagen, bei Seite und schritt der Thijr zu. Ehe er das- Zimmer verließ, sagte er noch: »Der arme Teufel! Ohne Zweifel wurde er für diese Thor heit schwer genug bestraft. Er muß indessen ein Tausendkünftler gewesen sein, wenn er den Gatten in Blackport tödtete und zu der gleichen Zeit mit der Frau New-York verließ. Frau Wir thin, es ift klar, daß Sie das Zeug zu einem Detektiv nicht besitzen.« Jm Hinausgehen winkte er Polln zu, die ihm auf den Haukflur folgte. »Wiffen Sie den Weg nach Grehlock Woodg, mein Kind?« fragte er. »Ja«. »Ich möchte der jungen Dame dort eine Botschaft zufenden.« »Ich will fie überbringen;« »Besten Dank, mein Kind! Um Jhretwillen Verzeihe ich dem Burschen mit den groben Fäusten — er ist wohl « Jhr Liebhaber — der mich vorhin so unceremoniijs angriff.« »Er ist nicht mein Liebhaber,« erwi derte Polly, den Feon schüttelnd. »Nicht? Dann ist er zweifellos übergefchuappt«, sagte Regnault la chend. »Morgen Früh werde ich Ihnen einen Brief anvertrauen, den Sie je doch Miß Greyloci selbst iiberliefern müssen, keinem anderen Menschen, verstehen Sie mich? Sie dürfen mir keinen Streich spielen.« »Ich würde das siir unter meiner Würde halten« Sir.« »Mif3 Grehlork wird Jhnen ohne Zweifel eine Antwort übergeben. Ich werde morgen im Gasthof bleiben. Sagen Sie Ihrer Herrin keine Silbe davont« »Ich werde schweigen.« Regnault begab sich die Treppe hinauf, und Polly kehrte in daOJ Zim mer zuriici, fand aber nur noch die Rat-en dort. Jhre Herrin war ver fshwunden Hinaug nach den alten Salzgrnben eilte Mercy Poole beim bleichen Licht des Moride5. Ihre hohe, schwarze Ge ftalt schien beflügelt. Sie hatte ihren niedrigen Hut tief iiber das Gesicht ge zogen nnd ihre sehnigen Hände agit ten wild in der L«st umher. Hatte sie den Mörder ihres Geliebten endlich ge fanden? Dichte Nebelwolken lagerten sich über die Salzwiefem doch hell schienen die Sterne droben am nächtlichen Himmel. Sie schlug den oft betretenen Pfad ein, der nach dem Steinhaufen führte, warf sich neben diesem nieder und blieb regungslos-, das Gesicht der Erde zuge kehrt, dort liegen. , Dort stolperte Polly eine oder zwei Stunden später über sie und suchte sie aufzurichten. »Gott sei Dank, das-. ich Sie endlich gefunden habe. Misz Poole!« rief sie. IJch habe Sie überall gesucht. Das Kiichenmädchen sagte mir, Sie würden wahrscheinlich hier sein; es fürchtete sich aber,.mit mir zu kommen —- wegen der Geister." Merey Poole sprang Vor-. 11der Erde auf, ihr Gesicht, war so blei «: und ges spenstig wie der Nebel, der kköer der Salzwiese schwebte. »Wer txst mich?« sagte sie wild. »Ich — Polly«« »und fürchten Si sich nicht « «« vor Geistern?« — 7 »Nein, ich fürchte mich vot nOchchE —. antwortete das Mädchen; Mit-VI konnte nicht schlafen gehen, bisch i H in Sicherheit wußte.« . Ei»;. Ijkexcy Poorc blickte auf das net-J volle, besoi gte Gesicht des jung-n Miit » chens nieder und sagte dann geküh: E »Ich danke Ihnen, mein Kind " »-"·«I »Das Gespräch mit jenem Mann hat cie wohl aufgetegt?« fragtcPocz»«-« »Jchwi1ßie,dafz er ein fchlechtj « Mensch ist, ich wußte es vom Auch blick 011,als ex ten Gasthof bete-s Aber kommen Sie, Mis; Boote, gehIsk Sie jetzt mit mir nach Hause! W( » wollen Sie denn nur an diesem eik samen Platze?« - »Mit dem Todten sprechen«, ans-H ioortete Mercy Poole. »Als Sie anredeien, glaubte ich seine Stimme zi vernehmen.« « ,,Nicht doch!« rief Polly beben »Wir können nicht mit den Todten r den, so lange wir selbst am Lebe sind.« »Meine-n Sie? Jch thue es oft. Si « hen Sie dieses Steinmonumentcs Ji ; errichtete es mit meinen Händen- i, mitternächtlicher Stunde zum Andre-, kcn an einen, der auf dem Flecke, ax dem Sie eben ftehen,ern1ordet wurd-, - Und eine lange, lange Unterredun « hatte ich mit ihm, während ich mit de« . Arbeit beschäftigt war. Ich will Si« aber nicht erschrecken. Reichen Sie mi« — die Hand, Kind —- es fchwindelt rni ; — führen Sie mich nach Hausei« Un ohne ein weiteres Wort zu reden, er. griff sie die Rechte des Mädchen« und schritt mit ihm nach der in is tiefen Schlummer liegenden Stadt zug« rück. Polly betrachtete ihre Herrin unter , weg-Es wiederholt mit bekümmerten Bli-’s« cken und suchte vergebens eine Antwor auf die Frage: ,,War Mercy Poole, bi. Wirthin der ,,Katzen- Herberge« , wahn sz sinnig?« 22. Capitel. « Zu früher Stunde am folgendes-H ’ Morgen klopfte eine vom Kopf bis zi, den Füßen schwarz gekleidete und dich s verfchleierte Frau an die Thür des» Poole schen Gast hoff-. . Polly dffnete l, »Ich wünsche Monsieur Regnault von der Orpheus- Conzert- Compagnie zu sprechen«, sagte die Dame,oh:ie dett « Schleier zu lüften. » ,,Treten Sie ein, Madame!« unt-i wortete das Mädchen. Sie führte di Dame in den Parlor und— eilte dan « die Treppe hinauf, um Regnault z rufen. 1 Der Gerufene war bereits auf und angekleidet Als Polly ihm den Wunsch der Dame mitgetheilt hatte,å. begab er sich die Treppe hinab und er schien vor der Dame, die er unent-;E schlossen in dem Parlor stehend fand-Z Mit der einen Hand hielt sie sich ank: einem Stuhle fest, während sie mit deer anderen ihr Kleid emporhielt, um sich; vor der Berührung mit den Katzen zuå hüten »Madame«, sagte er trockeUJT ,,wem habe ich diesen unerwarteten Be--s: such zu verdanken?« ) Sie schlug ihren Schleier zurück. Esizj war Iris Grehlock. « ,,Ah!« sagte Regnault trocken; WILL ich Dich gestern Nacht im Conzert er blickte, da wußte ich, daß diese Begeg-: nung unvermeidlich war.« Die Beiden blickten einander finsterth an. »Ich kann nicht ruhen« sagte Jris,1 »big ich mit Dir gesprochen habe; was führt Dich in diese Stadt, und unter falschem Namen? Ich glaubte — ichi hoffte, das-, Du todt seiest « Regnault drehte die Spitzen seines « Schnurrbarte5. «Verbindlichsten Dant, « Mrkx Grenloci. Du hast, wie ich Ver muthe, diesen Namen wieder angenom- « men? Soviel ich weiß, ist es jetzt der einzige, den Du rechtmäßig führen kannst. Deine Aufrichtigkeit rührt mich; ich lag, wie Du weißt, in New Orleang schwer krank am gelben Fie ber darnieder, allein ich bin mit dem Leben davongelommenz ich bin nicht so leicht todt zn machen. Ich kam hier- v her, um gegen Bezahlung zu singen, nnd —---- verzeihe mir -—-- Regnault ist - kein angenoinniener Name; ich habe ihn «einsach umgestellt Du kanntest mich friiher als Arthur Regnault Kenhon —s jetzt heifzt ich Arthur Fienyon Reg- · nault« Iris mufzte sieh setzen; sie sah bleich - und entrüstet auc- »Die Jahre sind fast spurlos an Dir ooriidergegangen«, sprach sie »Ich kann Dir dieses Kompliment mit Zinsen zuriiitzahlen« erwiderte er mit einer spotnsd en Terbeuaung »Du siehst wahrhaftig kaum fiinf Jahre älter aus alg an dem Tage da wir ge brochenen herzeng von einander schie den Die Zeitungen meldeten mir den ztraurigen Unfall, welche- der Lauf E bahn der Ballettänzerin für immer ein Ende machte; allein Mre cis Grey loek scheint sich unter den Verwandten s ihres tief betrauert n Gatten vortreff t lich conseroir rt zu habe n Jrig machte eine nngeduldige Ge berde.- ,,Sind wir sicher vor Horchern?«« fragte sie. Fortsetzung folgt.) —— Begründete Furcht. — »We5k)alb haben Sie denn so große Furcht vor der Heirath?« Witzblatb redaktcur: ,,Wissen Sic, mein Blatt hat immer so viele Schwiegermutter witze gebracht.«