Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 15, 1897, Sonntags-Blatt., Image 15

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    Treylocti Wooda
Roman oon Joses Treus-mitn.
(14. Fortsetzung)
»Oh!« stammelte Polly, ,,eine Blon
dinet Jn allen Romanen,die ich gelesen
habe, ist es immer die blonde Schön
heit, die ihrer Rebenbuhlerin den Lieb
haber wegschnappt; sind Sie — sind
Sie schon lange mit ihr bekannt?«
Die jungen Steeles waren der Bon
bons wegen einander in die Haare ge
rathen; sie machten einen entsetzlichen
Lärm; allein weder Dick noch Polly
achteten darauf.
,,Gerade seit einer Woche,« antwor
tete der junge Doctorx »und ich gebe
Dir mein Wort darauf, daß ich wäh
rend dieser Zeit unaussprechliche Qua
len erduldet habe. Sie ist mein Him
mel und meine Hölle; ich tann nur noch
an sie denten und dennoch ist mir jeder
Gedanke eine Folter·«
»Weiß sie darum?« fragte Polly mit
matter, heiserer Stimme, als cob das
Leben in ihr erstürbe, während ihre
Stirn noch immer an die Fensterscheibe
gedrückt war.
»Ob sie es weiß? — Nach einer Be
Ianntschast von nur einer Woche? Jch
denke wohl nicht«
»Nun, warum verzweifeln Sie
bann?«
»Mein Gott! Sie ist schon so gut
wie verlobt —- mit einein englischen
Baronet, einem Verwandten ihrer Fa
milie. Welche chance hat wohl ein
armer Yankee - Doktor neben einem
solchen Nebenbuhler? Der Henker hole
ihn!«
Polly schwieg lange; vielleicht war
es die hoffnungslosigkeit Dicks. was
ihr den Mund verschloß. Endlich sagte
sie mit leiser, aber fester Stimme:
»Wer die Dame auch sein mag, Doctor,
Sie sind ihr ebenbürtig. Und wer ihr
Freier auch sein mag, sie kann, sie wird
nicht grausam gegen Sie feint«
»Diese Worte klingen sehr schmei
chelhaft, Pollh," erwiderte Diek lä
chelnd; »aber Du hast eine viel zu hohe
Meinung von mir. Jch bin vollkom
men überzeugt« daß sie sehr grausam -
gegen mich sein wird, wenn ich Narr
genug bin, ihr Gelegenheit dazu zu ge
ben; kommt es aber dazu, so wüßte ich
nicht, wie ich das Leben ertragen
sollte.«
»Oh!« rief Pollh, ,,oh, wie leid thun
Sie inir.«
»Du gutes, braves Kind!« versetzte
Dick, gerührt von ihrem Tone. »Komm
nun, ich will Dich nicht weiter mit inei
nen Sorgen quälen; laß uns nun von
Dir selbst reden. Beim Himmel! Du
wirst immer schwächer und hagerer!
Polly, dieses Leben ist zu hart sitt
Dich. Kommt Dir der Aufenthalt in
des Doktors Hause nicht sehr eintönig
vor?«
»Allerdings,« erwiderte sie zögernd.
»Sage mir doch, hat man noch nie
von Lohn mit Dir gesprochen Z«
»Nein,'« stainmelte Pollu
Er vergaß einen Augenblick sein
eigenes Weh über die Entrüstung, die
sich seiner bemächtigte. »Das geht denn
doch über Alles! Neun Jahre lang bist
Du die Sklavin dieser Familie gewesen
und hast nichts dafür erhalten alsDein
kärgliches Brod und Tante Emilicns
abgelegte Kleider! Diese Menschen
haben nicht den geringsten Begriff von
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Pollhl Es ist Zeit, daß wir Deiner
Sklaverei ein Ende machen; Du be
darsst einer Veränderung undDu sollst
sie haben!«
Polly sah so wehmüthig und flehend
zu Dick auf, daß sein Herz bei dem An
blick der verlassenenWaise weich wurde.
»Dies ist die einzige Heimath die ich je
hatte,« antwortete sie; »was würde
aus mir werden« wenn ich sie verließe?«
Diek Vandines Gesicht nahm einen
ernsten Ausdruck an. «Pollh, ich tann
Dir etwas bieten," sagte er; »es ist
allerdings nicht viel, doch ist es weit
besser als die endlose, unbezahlte Skla
venarbeit in diesem Hause. Hier wür
dest Du eine Leiche sein, ehe Du Dein
zwanzigstes Jahr erreichtest. Was
denkst Du davon, diese Stadt gegen
einen Landort wie — wie —— Btackport
zu vertauschen?«
,,Blackport?« leuchte sie, »der Ort,
wo Sie wohnen?«
,,Ja,« antwortete er mit gutmiithi
gem Lachen. »Du wirst dort Sonnen
schein in Hülle und Fülle, sowie auch
gesunde Seeluft finden, gerade die
Dinge, deren Du am meisten bedarfst.
eh logite in einem altmodischeu Gast-«
of, der von einer sonderbaren, aber
höchst achtungswerthen Frau gehalten
wird. Vor zwei oder drei Tagen hörte
ich zufällig Miß Poole sagen, daß sie
eines Mädchens bedürfe, um den Gä
sten aufzuwarten, ihr beim Nähen be-:
hilflich zu sein und dergleichen. Wie
ich bemerkte, ist die Stelle keine glän
zende, jedenfalls aber toeit besser als
die jetzige. Wenn es Dir recht ist, so
iannst Du mich noch heute Abend nach
der Herberge begleiten; ich selbst bringe
Dich dahin, mein armes Rind. Merch
Poole wird Dich gut behandeln und
Dir Deinen redlich verdienten Lohn
zahlen. Die Arbeit kann nicht hatt
fein. denn der Gasthof ist nie über
füllt.«
Wenn Dick dem Mädchen die glän
zendste, luxuriöseste Stellung angebo
ten hätte, fo hätte ihre Ueberraschung,
ihr Staunen nicht größer sein können.
Mit ihm zu gehen, unter einem Dache
mit ihm zu wohnen, ihn tä lich zu
sehen, Lohn zu erhalten und ch eine
kleine Summe zu ersparen, damit sie
eines Tages die Mittel hätte, die un
vergessene Nan aufzusuchen —- ihr
Glück war zu groß! Thränen liefen
über ihre Wangen nieder. »Es ist
Wehk, als ich zu glauben vermag,« flü
sterte sie; »ich fürchte, die Steeles wer
den mich nicht gehen lassen.«
.,,Meinst Du?« erwiderte Dr. Van
dme lachend; ,,iiberlaß das mir, Polly!
Alles, was Du zu thun hast« ist, Deine
Siebensachen zusammenzupacken und
Dich in Bereitschast zu halten, noch
heute Abend mit nach Blackport abzu
reisen.«
Ein Kampf mit den Verwandten
war unvermeidlich, alleinDick war ent
schlossen, ihn männlich für die Waise
durchzukämpfen.
Was zwischen dem jungen Ar i and
den Steeles verhandelt wurde, uhr
Polly nie; sie erhielt nur den Auftrag,
ihre Sachen zu packen, eilte nach ihrer
Dachkammet und begann, ihre wenigen
irdischen Besitzthiimer in ein Köfferchen
zu leaen, das man ihr zur Verfügung
gestellt. Sie war im Begr:ise, die enge
Straße, die lärinende Kinderschaar
und die endlose, unbezahlte Sile-Jenae
beit hinter sich zu lassen, doch ach! nseht
das- Weh ihres Herzen-I- —— nicht die
ewige Sehnsucht und Verzweiflung,
von der sie schon so lange gefoltert
war. Diesen Gefühlen lonnte sie nicht
entrinnen; sie sank vor ihrem Bette auf
die Kniee nnd schluchzte, als ob ihr das
Herz brechen wollte-.
19 K a p i t e l.
Sie hatte ihn einen Dummiops ge
nannt, ihn insultirt, für einen Krämer :
von Blackport gehalten und draußen I
im Platzregen stehen lassen, während er
ihr Pferd hielt. Und es war der Ba
ronet —- ihr englischer Freier!
Kein Wunder, daß ihr fein Gesicht.
fo bekannt vorgekommen war; befasz
ihr Großvater doch mindestens ein hal
bes Dutzend Photographien von ihm·
Sie war stumm vor Aerger und Ver-—
druß über sich selbst. Zum Glück ver
rieth er durch keine Miene, daß er ihre
Bekanntschaft bereits gemacht hatte,
sondern begrüßte sie wie eine völlig
Fremde. »Willkommen im Yankees
land und in unserer Eremitage!« stam
melte sie endlich mit tiefem Erröthen.
»Ich danke Jhnenz ich habe mich
schon lanae auf das Vergnügen dieses
Augenblicks gefreut. Endlich wird mir
das Glück zu Theil, meine schöne Cou
sine, von der ich schon so viel gehört
habe, zu erblicken«
»Wie steif und förmlich!« dachte
Ethel bei sich selbst, »wenn er mir nur
nicht zu langweilig ist.«
»Sir Gervase ist nicht zu Fremden,
sondern zu Verwandten gekommen,«
sagte Godfren Grehloek; »wir müssen
ihm zeigen, daf; die Gaftfreundschaft
der neuen Welt durch die der alten
nicht übertroffen werden kann; wir
leben nicht ganz und gar wie Ereniiten
hier.«
Der junge Aristokrat warf lächelnd
ein, daß man sich eine solche Einsiedelei
wohl gefallen lassen könnte.
Sobald sich eine Gelegenheit dazu
bot, begann tithel den Engländer mit
kritischer Aufmerksamkeit zu betrach
ten. Er erschien ihr ganz und gar wie
gewöhnliche Sterbliche: ziemlich hiibsch
von Person, war er in seinen Manier.n
einfach und durchaus nicht affektirt; er
sprach wenig, seine Augen aber verrie
then eine scharfe Beobachtungegaben
»Dies ist nicht der Mann,« dachte sie,
»dem man mit einer Falschheit im Her
zen oder einer Lüge auf den Lippen
cntgegentreten möchte-« '
Verschiedene Gäste aus den Hotels
und Villen von Blackport speiften an
diesem Tage in Godfreh Grehlods
Haufe. Auch Dr. Vandine befand sich
unter den Eingeladenen. Er hatte noch
keine Ahnung von der Ankunft des-Wa
ronets, bis er den Salon betrat und
von Miß Pamela den Gästen vorge
stellt wurde.
Der joviale gutmüthige Dick wurde
plötzlich fteif und kalt wie ein Stein;
das Wesen und Benehmen des Baro
nets jedoch flößte ihm bald wieder Be
ruhigung ein. Seinem Aussehen nach
hätte dieser Pair leicht fiir einen La
denbesitzer von Blaekport oder fiir ir
gend einen anderen anspruchslosen
amerikanischen Gentleman gehalten
werden können.
»Nun, darf ich gratuliren?« flüsterte
Vandine mit betrübter Miene Ethrl zu
»Es ist durchaus keine Eile noth
wendig,« antwortete sie trocken.
Bei Tische erhielt Dr. Dick zu seiner
unaussprechlichen Freude seinen Platz
neben der schönen tkrbin angewiesen.
Die Laune des Augenblicks gab dem
Mädchen ein. ihren Tischnachbar mit
außerordentlicher Artigleit zu behan
deln. Nie war sie ihm so freundlich,
so aninuthig erschienen. Jhr träume
risches Lächeln, das ihren Haaren ent
strönrende Varsüm, die graziösen Be
wegungen ihres Halses und ihrer mit
Juwelen bedeckten Finger bezauberten
und verwirrten ihn vollständig. Sie
war sich des Unheils, das sie stiftete,
entweder nicht bewußt, oder innerlich
zu sehr erregt, um darauf zu achten.
Godsren Grehlock blickte unwirsch
drein, Misz Pacnela wart ihrer Nichte
besorgte Blicke zu; Sir Gervase aber,
der sich mit seinem Wirthe ruhia über
englische Politil unterhielt, widmete
seiner lchönen republilanischen Cousine
wenig Beachtuna: augenscheinlich war
es ihm völlig gleichailtig, an wen sie
ihre Artigteiten berschwendete.
»Bah!«« dachte Ethel, indem sie ihn
verstohlen beobachtete, ,,er hat einen
guten Appetit, aber kein Gefühl; er ist
wie alle Anderen seiner Familie —-«
langsam, schwerfällig, conventionell.
Er ist nach Amerila gekommen, uml
Geld zu heirathen, um den sinlenden
Wohlstand der englischen Greylocks
mit dem Reichthum des amerikanischen
Zweiges der Familie wieder aufzu
bauen; es ist eine Convenienzehe, was
er sucht — nichts weiter; sein Herz
gird nie um eines Weibes willen bre
en.«
Auf der anderen Seite des jungen
Doktors saß ein invalider Richter aus
einem der Hotc!s, der ihn mit endlosen
Fragen über alle möglichen und un
möglichenKranlheiten und Krankheits
Symptome belästigte.
Vandine, der sich lieber mit seiner
schönenNachbarln unterhielt, sagte end
lich ungeduldig: »Mein werther Herr,
Sie gefährden nur Ihre Verdauung,
wenn Sie bei Tisch von solchen Din
gen reden· Sie verweiten zu viel bei
Jhren Beschwerden; denken Sie nicht
so viel an diese; manche Krankheit ver
danlt iknen Ursprung einzig und allein
der Einbildung.« Dann wandte er sich
zu Ethcl und fliisterte ihr leise zu:
..Dieser Mann ist mit fix-en Jdeen voll
gepfropft; der Himmel helfe ihm und
Allen seinesgleichen«
Ethels Gesicht nahm schließlich einen
ernsten Ausdruck an. ,,Fixe Jdeen?«
erwiderte sie mit leiser Stimme; »ich
kann dieses Wort nie vernehmen, ohne
mich eines ernsten Anfalls dieser Art
zu erinnern, mit dem ich selbst behaftet
war; ich litt selbst einst,obwohl in ganz
verschiedener Weise, an diesem wesen
losen Uebel.«
»Sie?« rief Vandine.
» a,« antwortete sie lächelnd; »doch
dürfen Sie nicht etwa glauben, daß ich
mit Hypochondrie behaftet war. Meine
Schwäche war ganz eigenthiimlicher
Art. Als ich noch ein kleines KindJ
war, sagt Mama, hatte ich eine Krank- .
heit und war lange Zeit von Fieber
phantasien heimgesucht Die Bilder,
die sich während jener Periode meines
armen Koper bemächtigten, dieGesich
ter, die ich in meinem Delirium er
blickte, quälten mich später noch Jahre
lang, wie Erinnerungen an wirkliche
Dinge-«
,,Seltsam!«
»Nicht wahr? Als Arzt wissen Sie
sich die Sache vielleicht zu erklären. Da
war besonders eine Gestalt, die mich
wie ein häßliches Gespenst der Nacht
meine ganze Kindheit hindurch ver
folgte. Es war eine in Lumpen geklei
dete alte Hexe mit drohend geschwun
genem Krückstoch eine unheimliche
Kreatur, deren graues Haar in wirren
Strähnen um ihr Gesicht hing, und
deren Auge in boshaster Wuth fun
kelte; sie schien mich beständig zu ver:
solgen.«
»Es ist klar, daß Sie nicht völlig
von Ihrer Krankheit genesen waren,«
entgegnete Dr. Dick; »Jhre Phantasien
entsprangen einem krankhaften Zu
stande des Gehirns-Z«
»Wahrscheinlich; doch erschien mir
Alles so wirklich, so ganz wie Dinge,
die ich einst gesehen und gekannt
hatte!« fuhr Ethel träumerisch fort.
»Da war ein zerbrochener Stuhl und
ein kahles, schmutzigeg Zimmer, in dem
ich von der Hexe gefangen gehalten
wurde, und andere häßliche Dinge, die
ich jetzt vergessen habe. Da war auch
ein Engel, der neben mir wandelte und
mich tröstete und küßte; doch merkwür
diger Weise war mein Engel stets in
Lumpen getleidet, anstatt in schöne,
weiße Kleider.«
,,Zogen Ihre Verwandten keinen
Arzt zu Rathe?« fragte Dr. Dick.
Ethel antwortete mit bitterem Lä
cheln: »Nein; Mama turirte mich mit
tels einer anderen Methode. Es wurde
mir streng verboten, mit irgend Je
mandem über diese Gespenster meiner
Fieberphantasien zu sprechen. Unge
horsam trug mir Ziichtigungen ein; ich
wurde zum Schweigen und zur Ver
gessenheit geztvungen. Dies war Ma
mas Methode, jenen Ideen zu begeg
nen, und sie erwies sich als erfolgreich.
Nach einiger Zeit erschien mir die Hexe
und der Engel und alle die anderen
Dinge unbestimmt, wie in Nebel ge
hüllt und schwanden endlich wie Phan
tome dahin.«
Das Diner war zu Ende. Als Ethel
sich nach dein Salon begab, schob die
alte Hoptins ihr ein Billet in die Hand.
Es enthielt die Worte: »Wie ich höre,
ist Sir Gervase angekommen; ich wün
sche morgen bei Dir zu speisen und
meine Bekanntschaft mit ihm zu erneu
ern; verschafse Deiner armen Mama
die nothwendige Einladung von ven
Manne, der Dir nichts versagt, wie ab
stoßend er auch gegen Andere sein
mag.
Noch nie hatte Iris ihren Fuß in
das Hurenhaus gesetzt. Was Godsreh
Greylocl wohl zu einer solchen Bitte fa
gen würde? Die Zeit war indessen
giinstig Um ihren Gwßveter in guter
Laune zu versetzen, entsaltete Ethel
alle ihre Liebenswiirdigleit und Unter-:
haltungseiabe in dem Salon; sie tvar
so freundlich geaen Dr. Dick, daß er
wieder neue Hoffnung zu schöpfen bei
oann; sie ergötzte alle Anwesenden mit
ihrem Gesang und Spiel: sie unter
hielt sich in der zwanglosesten und an
muthiasten Weise mit Jedem, ausge
nomnen dem Vatonet, dessen Gleich
giltiateitihrer Kälte nichts nachgab.
Unter allen Gästen war er der Einzige,
auf den ihre Schönheit und Anmuth
keinen Eindruck »in machen schienen. J
Nachdem die Gesellschaft sich Vekah.- s
schiedet hatte, näherte sich Ethel mits
schwerem Herzen, aber lächelndem Ge
sicht ihrem Großvater Hier bot sich
ihr eine vortreffliche Gelegenheit, ihm
ihre Liebe zu Regnault zu gestehen, ihn
urn Verzeihung zu bitten und seine
Einwilligung zu ihrer Verbinduna mit
dem Manne ihrer Wahl zu erstehen;
allein Ethel kann-even wollte nicht
sprechen; ihre Lippen vermochten kein
Wort über den Gegenstand, der ihrem
Herzen am nächsten lag, hervorzubrin
gen. Nach einigem Zögern begann sie:
»Ich komme mit einer Bitte, Groß
papa.«
»Sie ist Dir gewährt, mein Kind,"
antwortete der alte Herr.
Nun trug sie deannfch ihrer Mut
ter nach einer Einladung auf den fol
genden Tag vor.
Godfrey Greylocls Stirn zog sich
zwar in Falten; nach lurzer Ueberles
gung sagte er indessen: »Nun sei-« es;
um Deinetwillen will ich Deine Mutter
an meinem Tische empfangen. Tante
Pamcla soll die Einladung schreiben,
und Du tannft sie morgen friih nach
der RoseiiWilla hinübersenden.«
Nun folgte die Bitte Um die weite
ren fiinftaufend Dollars das Jahr.
Ethel trng diese f:an:::ielnd vor, denn
sie selbst fiihlte das- Ungebiihrliche einer
solchen Forderung.
»Sie thut wohl daran, Dich zu ihrer
Fürsprecherin zu machen,« sagte Gov
fren Grenlock mit bitterem Lächeln; »sie
ist habgierig und verschwenderisch, und
doch —- wiederum Deinethalben — sie
soll haben, was sie verlangt. Ob sie
wohl weiß, wie viel sie Dir zu verdan
ken hat? Sage ihr, daß ihr Einkom
men verdoppelt ist, und vergiß nicht,
ihr begreiflich zu machen; daß sie Dir
dafür zu Danl verpflichtet if ·«
Mit thränendenAugen schlang Ethel
ihre Arme um seinen Hals und drückte
; ihre frische, junge Wange an seine alte,
» verwitterte; »Du bist zu gütig gegen
uns Beide, Großpapa —- zu gütig!«
sagte sie schluchzend; »wir sind bei
Weitem nicht so dankbar gegen Dich,
wie wir sein sollten!« Mit diesen Wor
ten verließ sie ihn und begab sich nach
ihren eigenen Zimmern.
Das Frühstück wurde am folgenden
Morgen auf der breiten,kühlen Piazza,
mittensmter den tropischen Pflanzen,
eingenommen. Ethel nickte Sir Ger
vase zu, als er, mit dem Hüte in der
Hand, die Stufen heraufschritt und
seinen Platz am Tische einnahm. Er
kam eben von einer Morgenpromenade
im Part zurück. Er erwiderte ihren
Gruß höflich und unterhielt sich dann
ausschließlich mit Godfreh Greylock
und Miß Paniela.
Nach dem Frühstück wurden Pferde
vorgeführt und der Gebieter von Gren
lock Woods erhob sich mit seinem Gast
und s er Enkelin zu einem Morgen
ritt. Orin Reitknecht folgte ihnen in
respektvoller Ferne.
Sie ritten durch den kühlen grünen
Pakt und kamen endlich zu einer mit
wilden Reben umranltcn Pforte. Der
Reitlnecht stieg ab, öffnete sie und die
kleine Kavalpade galoppirte auf d".
sandige Landstraße hinaus, die zu dem
halbmondförmigen Strand hinab
führte.
Ethel streichelte ,,Sultanas Mähne
und dachte an ihren Ritt vom vorher
gehenden Tage. Ob Sir Gervase
wohl auch daran dachte? Sie warf
ihm einen ungeduldigen, forschenden
Blick zu. Nein, er unterhielt sich mit
Godfreh Greylock. Was für einMann
war daz? War er wirklich mit der
Absicht, sie zu freien, nach Amerika ge
kommen? »Wie, wenn meine Be
fürchtungen überhaupt grundlog wä
ren?" dachte Ethel, indem sie sichMühe
gab, das Lachen zu unterdrücken. So
lange er bei seinem gegenwärtigen Be
nehmen gegen sie verharrte, hatte sie
allerdings keine Ursache, sich zu benu
ruhigen.
So ritten sie durch das- alte Städt
chen und längs des silbernen Halb
monds zurück zur heißen, sandigen
Landstraße
Plötzlich galoppirte Godfreh Gren
lock, der über das Schweigen und die
gegenseitige Zurückhaltung seiner En
telin und des Baronets verftimmt ge
worden, mit dem Reitknecht voraus-.
Ethel befand sich nun allein mitSir
Gervasr. ,,Darf ich fragen, wie lange
Sie schon in Blactport waren, als wir
uns gestern begegneten?« fragte sie
endlich mit eisigein Tone.
»Seit dem Abend zuvor,« antwor
tete er ruhig, »ich tam mit einem ver
späteten Zuge an und logirte mich für
die Nacht in einem Hotel ein.«
»Sie hätten mir sagen können, wer
Sie waren,« meinte Ethel verdrießlich·
Ein sartastischeg Lächeln spielte um
seine Mundwintel, doch antwortete er
ernst: »Unter den eigenthümlichen
Umständen, unter denen wir uns be
gegneten, hatte ich nicht den Muth
dazu.«
»Was dachten Sie wohl von mir?«
fuhr sie fort. »Doch nein; Sie brau
chen mir nichts zu sagen! Entschuldi
aen Sie - Großpapa hat sich ja un
sichtbar gemacht; ich muß ihn einho
len.«
Sie gab »Sultana« die Peitsche und
galoppirte davon. Der Baronet folgte
ihr nach.
Sie hatte eine Stelle erreicht, wo die
Landstraße eine Curve um ein sum
psiges Stück Marschland beschrieb.
Wiederum gab sie ,,Sultana« die
Peitsche, und die Stute sprang von
dem sicheren, festen Grund in die
Marsch hinab, über die sie mit der Ge
schwindigkeit eines Vogels hinflog.
Der Baronet zögerte keinen Augen
blick, zu folgen. Doch hatte der
Sprung bei ihm ein unerwartetess Re
! sultat. Das Pferd, das er ritt, war
weit schwerer als »Sultana« und auch
sein eigenes Körpergewicht war ziem
lich bedeutend.
Mitten aus der Wiese blickte Ethel
Jzurück und sah ihren Cousin im
Schlamm festsiecken ——- das Pferd, das
» ihn trug, war bis zum Sattelgurt im
Morast versunken. Statt umzuletilcn
und ihm zu Hilfe zu tonuuem ocser
ihm auch nur einen Ausweg anzudeu
ten, brach die Erbin von Greylcsck
Woods in ein schallendes Gelächter
aus und sprengte davon. Bald hatte
sie die rebenumrantte Pforte erreicht,
und wenige Minuten später befand sie
sich- im Hurenhaus
,,Wo ist der Baronet, mein Kind?«
fragte Grehlock, der eben erst zurückge
tehrt war.
»Ich ließ ihn im Marsch zurück,«
antwortete Ethel; ,,er steckt fest im
Morast und kann weder vorwärts noch
rückwärts; Du wirst wohl thun,Groß
papa, Jemanden abzuschicken, um ihn
herauszufischenz es ist ein nasser und
unangenehmer Platz für so viel Rang
und Würde.«
Glücklicherweise war Sir Gervase
im Stande gewesen, sich selbst aus
dem Sumpf herauszuarbeitem allein
er kam ärgerlich und übler Laune,über
und über mit Koth und Schlamm be
deckt, nach dem Herrenhause zurück.
Die stolze Erbin von Greylock
Woods hatte ihm einen schlimmen
Streich gespielt. Doch siehe, als die
Klingel das Signal zum Gabelfrüh
stück gab, tam sie, schneeweisz gekleidet,
die lange Treppe herab und sah so
hold und unschuldig aus, daß sein Un
wille aus der Stelle dahinschwand.
Sie ging stracks auf ihn zu und reichte
ihm die Hand mit den Worten: »Ver
zeihen Sie mir, lieber Cousin; ich schä
me mich wirklich meiner Ungezogen
heit.«
»Von Herzen gerne,« erwiderte er,
, indem er ihre Hand mit Wärme
drückte.
»Es war sehr, sehr unartig von
mir!«
,,Reden wir nicht weiter mehr da
von.«
Beim Diner erschien Iris Greylock
zum ersten Mal im Herrenhaus und
setzte damit ihrem Sieg über Godfrey
die Krone auf. Pünktlich zur festge
setzten Zeit hinlte sie in den Salon, in
Seide und Brokat gehüllt, mit blitzen- !
den Diamanten in den Ohren, an den ?
Fingern und am Busen, während ihre
dunklen Locken ihr hübsches blasses
Gesicht umwallten.
Godfrey Grehlocl und Miß Pamela
empfingen sie kalt, aber höflich.
»Wie freut eg mich,« sagte Jris, zu
der Letzteren gewandt, ,,nach so vielen
Jahren unsere alte Bekanntschaft zu
erneuern! Sie haben indessen sehr ge
altert; ich würde Sie kaum wieder er
kannt haben, wenn ich Ihnen anders
wo begegnet wäre.«
Dann wendete Sie sich mit einer
zierlichen Verbeugung zu Godfrey und
sagte mit halb ironischem Lächeln:
»Mein theurer Herr Schwiegervater-,
ich bin überglücklich, die Friedenspfeife
mit Jhnen rauchen zu dürfen. Doch
nun. wo ist denn mein Reisegefährte?«
Mit kokettem Lächeln hinkte sie zum
Baronet, der ihr herzlich die Hand
drückte. »Ach, Sir Gervase,« rief sie:
,,nie werde ich jene angenehmen Tage
zur See Veraessen; Ethel weiß es be
reits, wie gütig und aufmerksam Sie
auf dem Dampser gegen mich waren;
allein ich habe es noch nicht verges:
sen, daß Sie meines Geplauders miide
wurden und mich so plötzlich am Lan
dunasplatze verließen Keine Ent
schuldigung! Zur Strafe dafür sollen
Sie heute sehr artig und aufmerksam
gegen mich sein.«
»Das wird ein Vergnügen, keine
Strafe für mich sein,« antwortete er
galant.
Iris benahm sich kokett wie ein
Mädchen von 16 Jahren. Bei Tische
erhielt sie die Unterhaltung fast allein
im Gange· Godfrey Greylock und
Miß Pamela beobachteten sie mit stil
ler Verachtung· Sir Gervase behan
delte sie wie ein verhätscheltes Kind·
Ethel sprach wenig während der
Mahlzeit; beängstigende Gedanken
raubten ihr den Appetit. Wenn Reg
nault jetzt plötzlich unter der Thiir er
schiene, was sollte sie thun? —-— Was
hatte sie zu thun gelobt? Sollte sie
ausstehen, mit ihm gehen und Allem,
wag ihr so lieb und theuer war, fiir
immer den Rücken kehren? War es
nicht an der Zeit« daß sie ihrem Groß
vater ihr Herz öffnete? »Heute nicht,«
sagte sie zu sich selbst, vor dem bloßen
Gedanken zurückfchreckend, »und mor
gen auch nicht: ich habe in der That
keine Veranlassung, mich in der Sache
tu überstiirzen.«
Als die Gesetlschast stets vom Tische
erhob, flüsterte Jris hinter ihrem At
lasfiieher Etbel die Worte zu: »Besten
Dank für die weiteren fünftausend
Dollarg; ich kann damit einiae meiner
Schulden tilgen. Aber pfui! Es
scheint knir, als ob Großpava’5 Pläne
zu Wasser werden sollten, Du und der
Baronet, Jhr kommt mir wie zwei in
entgegengesetzten Richtungen dahin
schwiinmende Eisberge vor; haßt Jhr
denn einander so sehr?«
Bevor Jris ihre Pony Equipage
bestieg, saate sie noch triumphirend zu
ihrer Tochter: »Ich werde wiederkom
men, so oft es mir beliebt.«
So end-te der zweite Tag seit der
Anlunst des Baroneth
Am dritten und vierten Tage nö
thigte Reqenwetter Jedermann, zu
Hause zu bleiben. Aus Rücksicht für
ihren Großvater sang und spielteEthel
und gab sich alle Mühe, dem Gaste den
Aufenthalt möglichst angenehm zu
machen.
Während dieser kurzen, aber zahl
reichen Beaegnungen unter vier Augen
machte Ethel einiae Cntdeckunas-". Der
Englander war ein vorzüalicher Mu
sitlennerx er hatte den Continert unt-,
den Orient durchreist, hatte als Frei
williger in Afghanistan und Sii
afrita getämpft und hatte Ehren unti
Narben mit nach der Heimath zurück ,
gebracht Er war ein Held, und wenrxs T
er auch zurückhaltend erschien, sr
wußte er doch fließend und mit Ver-LET
ständniß über eine Menge interessan- ;
ter Dinge zu sprechen. Sie fand in «
ihm einen vortrefflichen Gesellschafter ,
an den regnerischen Nachmittagen, ans
denen der Bart in Nebel gehüllt war -
und Holzfeus n den Kaminen dek»
Herrenhauses casselten; sie fing end- -
lich sogar an, ihn mit Stolz und Ist-«
wunderung zu betrachten.
Am Nachmittag des vierten Tages «
ereignete sich ein Zwischenfall Der ·
Regen ergoß sich in Strömen herab;
der Wind segte heulend die Alleen auf
und nieder. Godfrey Greylock hatte -
den Baronet mit nach dem Billard
ztmmer genommen, und Ethel wan
derte unmuthig imSalon hin und her;
sie wünschte, daß Sir Gervase zurück
komnien und mit ihr plaudern möchte,
denn sie fühlte sich gelangweilt.
Plötzlich ging die Thür aus, und
Dr. Bandine trat herein; er hatte Miß
Pamela, die mit einem Ansalle von .
Neuralgie behaftet war und ihr Zim
mer hütete, einen ärztlichen Besuch ab
gestattet.
»Wie gütig Sie sind, Doctor, daß
Sie an mich denken!« sagte Ethel mit «
bezauberndem Lächeln; ,,an einem sol
chen Tage darf man sich glücklich
schätzen, irgend Jemanden zu sehen.«
Dr. Dicks Gesicht wurde merklich
länger.
»Wann denke ich nicht an Sie?!« ,
rief er aug; ,,keine Stunde, keinen Aus z
genblick lang verliere ich Sie aus mei
nen Gedanken!«
Ethel ergriff eine Feue2·,zange und
beschäftigte sich damit, die brennenden .
Holztlötze in dem offenen Kamin zu«
rütteln.
Das ist wahrhaftig mehr ais ich
bewiene,« antwortete sie lachend, allein
mit erröthenden Wangen; »ich sollte
eigentlich meine arme. Tante Pamela
unterhalten, anstatt meine Zeit hier
mit Nichtgthun zu vergeuden; allein
sie duldet mich nie um sich, wenn sie
; einen Anfall von Neuralgie hat. Re
J genwetter ist siir die Bewohner von
iGrehlock Woods etwas Schreckliches-;
j wir sollten in dieser Einsamkeit be
ständigen Sonnenschein haben«
i
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Dr. Dicl nciherte sich ihr. Sie warf
die Feuerzange weg und machte sich
mit den chinesischen Vasen auf dem
Kamingesims zu schaffen.
»Wo ist Jhr englischer Liebhaber?«
« sagte er.
»Sie meinen wohl Sir GcrvaseZ Ek
« ist nicht mein Liebhaber,« antwortete
sie; doch schon im nächsten Augenblick
J bereute sie ihre Worte.
» Das Blut kochte wie flüssige Lava
- in Vnndineg Adern und heraus platz
, ten seine Worte mit leidenschaftlicher
« Gewalt:
»Gott sei Dank! Nun denn, da Sir
Gervase mir nicht im Wege steht, sehe
ich nicht ein, warum ich. länger schwei
gen sollte. So lassen Sie mich Jhnen
denn gestehen, daß ich Sie liebe! Jch
wäre ein Feigling wenn ich weniger
sagte -—— wenn ich ein Dutzend Zungen
hätte, könnte ich Jhnen nicht mehr sa
gen!«
Ethel lehnte sich erschrocken an das
Kamingesims. Nichts konnte ihr un
willkomtnener sein als diese Erklä
rang
,,E·Z thut mir leid um Sie, Doktor
Vandine,« antwortete sie traurig;
»allein ich kann Ihnen nichts als Er
widerung für Jhre Liebe bieten —
nicht einmal Hoffnung«
Plötzlich ging dem armen jungen
Dnctor ein Licht auf. - -
»Ich verstehe,« stöhnte er; »Sie lie
ben einen Anderen?«
»Ja-« « schluchzte sie; »Gott helfe mit
—- ja!
Wer hatte die Thüre geöffnet? Wer
stand auf der Schwelle? Ethels Herz
pochte gewaltig und drohte dann still
zu stehen. Dr. Dick ergriss seinen
tht und schoß mit Blitzeseile an dem
Endringling vorüber, zur Thiir und
zum Hause hinaus.
Sir Gervase blickte Ethel an.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie
störte,« sagte er mit gesuchter Höflich
keit, »ich glaubte, Sie wären allein.«
Er hatte Alles gehört.
»Es ist keine Störung —— durchaus
teine,« antwortete sie mit glühenden
Wangen, worauf sie, von einem uner
klärlichen Schrecken erariffen, ilnn den
Rücken wandte und plötzlich das Zim
mer verließ
Der siinfte Tag nach der Ankunft
des Baronetg war Sonntag; Jeder
mann begab sich zur Kirche. Der
sechste Tag war Zeuge großartiger
Vorbereitungen im Hause und um das
Haus her Am Abend des siebenten
sand ein Ball statt, der erste, der seit
vielen Jahren in Greylock Woods ge
aeben wurde.
CFortsetzung solgt.)
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-«-- A u s V o r s i ch t. »Sagen
Sie mir, warum nur der Commercien
mtli seine alterndc Gemahlin mit
Brillanten so unsinnig beh"ängt?« -——
»Wie heißt unsinnig? Wann er. läßt
die Brillanten im Schmucktasten, kön
nen sie ihm gestohlen werden, feine
Sarah wird ihm auch mit die Brillan
ten nicht gestohlen.« .
Raffinirte Annonce.
Ich habe mich hierfelbst als Arzt nie
dergelassen.
Dr. med. Roswitha Hasentleim
Sprechftunden 10——12. H, jeden
Mittwoch Nachmittag für leichte
Kranke Kaiser und Kuchen gratit.