Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 15, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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    tDer Glutin-Gen
Von G. P. Hat-um«
Ezra Timmins war ein lrästiger
Mann von 40 Jahren, der 15 Jahre
in dem LHroßen Geschäfte von Ham,
Baron, ard Fc Co. Buchhalter gewe
sen war. Er hatte mit seiner Frau
10 Jahre in demselben hause in der
Eddh Street gewohnt und hatte sich
Geld gespart, denn seine Bedürfnisse
waren mäßig, seineVergniigungen ein
sach und seine Passionen gering. Seine
Vergnügungen bestanden in einer ge
legentlichen Whistpartie, bei der Frau
Tinnnins stets sein Partner war.
Doch er hatte auch Sorgen und zu
diesen gehörte in erster Reihe eine maß
lose Furcht vor Einbrechern, nnd eine
dumpfe Angst, seine Nichte und Mün
del, die hübsche Constanze Timmins,
die einzige Person in seinem Hause,
könne sich schließlich an einen unnühen
Menschen wegwerfen und ihn heira
then.
Um sich vor Einbrechern zu schützen,
hatte er eine Bekanntschaft mit einem
Polizeibeamten angeknüpft, dem er für
den Fall, daß es ihm gelänge, einen
Cinbrecher bei der That zu ertappen,
wahrhaft fürstliche Belohnungen in
Aussicht gestellt hatte. Er hatte eine
Alarmglocke in seinem Schlafzimmer
und eine Bogelslinte, aus der Frau
Timmins, aus Furcht, erskönne sich
selber erfchießen, regelmäßig die Pa
tronen herauszog. So manche schlaf
lose Nacht schlich er im Dunkeln um
sein Haus herum und suchte einen
Eindringling, dessen Schritte er gehört
zu haben glaubte. Er las alle Artikel
in den Zeitungen, die von Einbrechern
handelten, und überraschte seine Frau
und Nichte durch seine Kenntniß der
verschiedenen Einbeuchsmethoden. Er
brachte sie zur Verzweiflung, wenn er
ihnen tagtäglich zehnmal erklärte, er
wäre vollständig darauf gefaßt, eines
Morgens beim Erwachen das Haus
ausgeraubt und Constanze ermordet zui
finden.
Constanze war ein liebenswürdiges
Mädchen, die Tochter eines älteren
Bruders von Ezra Timmins, der nach
Jamaica gegangen, dort eine Pflan
zung gekauft, das gelbe Fieber betom- ·
men und mit Hinterlassung eines aus
gedehnten Besitzthums gestorben war
Sie war etwas tolett und hatte einen
ganzen Hofstaat von Anbetern, die ih-.
rem Onkel oder ihrer Tante aber nur
selten gefielen. Waren sie jung, so;
sagte Onkel Ezra, sie wären »Grün-»
linge« und sollten nicht ohne Kinder-«
mädchen ausgehen; waren sie dagegen
alt, so meinte er, sie gehören in dieT
Altersversorgungs - Anstalt. Con«
stanze lachte über diese Reden, und
wenn ihr Onkel dem oder jenem das
Haus verbot, so traf sie ihn einfach an
derswo, wenn sie sich gerade siir ihn
interessirte.
Unter den wenigen Bewunderern,
die man nicht gut dem Rindermädchen
anvertrauen konnte, befand sich der
Oberst Pitblado. Er hatte Constanze
in einer kleinen Gesellschaft tennen ge
lernt, und ihre Schönheit und Lebhas
tigkeit hatten Eindruck auf ihn ge
macht. Mit seiner gewöhnlichen Um
sicht hatte er sich nach ihrem Vermögen
erkundigt, und aus der Ausdauer, mit
der er sich um ihre Gunst bewarb,
lonnte man ersehen, daß das Resultat
dieser Ertundigungen befriedigend
ausgefallen war.
Zu seinem Leidwesen lud ihn Con
stanze nicht zu sich ein« sondern hat ihn
vielmehr, augenblicklich nicht zu kom
men.
»Sie sehen, Oberst Pitblado,« sagte
sie, »ich interessire mich siir Sie, und
darum möchte ich Sie nicht verlieren.
Mein Onkel aber, der sonst der beste
Mensch von der Welt ist, hat eine Anti
pathie gegen die Leute, die mir ihre
Huldigungen darbringen. Jch bin
überzeugt« wenn Sie in unser Haus
kämen, er würde sich mit Jhnen zan
ken, und mit unserer Bekanntschaft
wäre es aus«
Der Oberst schmollte, doch es ließ
sich nichts dagegen machen. Das ein
zige Zugeständnis, das Constanze
machte, bestand darin, daß sie einmal
in der Woche die Thür offen lassen
wollte, nachdem ihr Onkel zu Bett ge
gangen war. der Oberst tonnte dann
hereinkommen und sich mit ihr ein
paar Minuten in dem dunkeln Eß
zimmer unterhalten.
Der Oberst machte sich diefe Er
laubniß zu Nutze und fo fafzen sie
eines Abends in dem Vorzimmet Con
ftanze erzählte eben mit leiser Stimme,
welche furchtbare Angst ihr Ontel vor
Einbrechern hätte·
»Ist er denn jemals beraubt wor.
den?« fragte der Oberst.
»Ich glaube, als er noch Kind war,
brachen Diebe in das Hand ein, in wel
chem er lebte, Und einer der Bewohner
wurde getcdtet. Er erwachte von dem
Knall eines Schusses und hat den
Schreck niemals überwunden«
»Dann begreife ich auch feine
Angft,« versetzte der Oberst. »Es ift
auch etwas Furchtbares, mitten in der
Nacht mit einem Manne zustimmen-iu
ftofzen, den man nicht fehen kann und
der alles zu gewinnen und recht wenig
zu verlieren hat, wenn er einem das
Leben nimmt.«
»Oh!« rief Conftanze, »fchon der
Gedanke erfüllt mich mit folcheni Ent
feyen, daß ich jetzt vor Einbrechern
ebenfo große Angft habe, als mein
Onkel. Ich glaube, wenn ich einen in
meinem Zimmer fähe, ich ftitrbe vor
Anafi.«
»Ich hoffe, daß dies nicht der Fall
fein wird.« verfeste der Oberfl, »aber
auch ich würde über eine solche Begcg
nung nicht gerade erfreut sein.«
Jn diesem Augenblick machte sich
draußen an der Thiir des Eßzimmers
ein leises Geräusch bemerkbar. Die
beiden Liebenden lauschten und hielten
ängstlich den Athem an. Die Diele
tnarrte und nach einer kleinen Pause
vernahmen die scharfen Ohren des
Obersten einen leisen Schritt aus der
Diele des Baumes, in dem sie sich be
fanden. Es war sicher eine dritte Per
son im Zimmer.
Diese Person schlich langsam näher
und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um
zu lauschen, ob sich auch Niemand
regte. Das war sicher der lang er
wartete Einbrecher.
- Constanze fiel auf dern Sopha laut
los in Ohnmacht. Der Oberst, dessen
Kampfinstintte erwacht waren, sprang
auf und schlich leise aus den Eindring
ling zu, den er nicht sehen konnte. Nur
des Schurken Athem tonnte er hören,
und das veranlaßte ihn, den seinen an
zuhalten. Er hätte Tausende um eine
Waffe gegeben, doch nicht einmal sein
Stock war ihm erreichbar. Er mußte
sich mit seinen Fäusten begnügen, wäh
rend der Verbrecher jedenfalls Pistol
und Messer bei sich führte. Während
ihm das noch durch den Kon schoß,
kam des Einbrechers Fuß in Berüh
rung mit einem Stuhl. Der OberstI
zögerte nun nicht länger, sondernI
sprang mit einem Satz auf den Ein
dringling zu. Er war direkt aus ibn
losgestiirzt und hatte ihn bei dieser
Gelegenheit dirett aus die Erde ge
worfen. Dann packte er ihn mit bei
den Armen und setzte sich aus ihn.
Der Einbrecher versuchte, sich zu be
freien, wahrscheinlich um von seinem
Messer Gebrauch zu machen, doch der
Oberst,der jetzt um sein Leben kämpfte,
ließ nicht nach. Als der Kampf schwä
cher wurde, beugte sich Pitblado über
den Einbrecher und flüsterte ihm zu:
»Schurte! Wenn Du Dich nicht
ruhig verhältst, so ziehe ich mein Mes
ser und stoße es Dir durch die Rippen.
Nur eine Bewegung und Du bist ein
todter Mann.'«
Der Einbrecher erwiderte ieinWort,
nur Pitblado’s Ohren glaubten einen
schweren Seufzer zu hören. TrotiiM
nahm er noch immer nicht die Hände
von der Kehle des Verbrechers fort,
sondern überlegte, was er thun sollte.
Er dachte daran, um Hilfe zu rufen,
; doch dann hätte er seine Anwesenheit
s in diesem Hause erklären müssen, und
« Constanze wäre compromittirt gewe
sen. Das ging also nicht« Uebrigens
vermuthete er, sie hätte sich in ihr Zim
mer gefliichtet, während sie ohnmächtig
«an dem Sopha lag. Was sollte er
; thun? Sollte er die ganze Nacht auf
J dem Einbrecher sitzen bleiben?
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Während er sich noch fragte, was zu
« thun sei, stieß der Mann unter ihm ein
dumpfes Stöhnen aus« Der Einbu
cher bewegte die Lippen und murmelte
schließlich:
»Wenn Sie mich loslassen, dann
zeige ich Ihnen. . . .«
»Ja, das glaube ich,« versetzte Vit
bkado und hohnlachte, »Sie würden
uns schöne Dinge zeigen, Pistolen und
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Messer· Doch nein, ich werde Ihnen
die Pforte zum Jenseits zeigen.«
Der Oberst hörte wieder einenSeuf:
zer, dann fuhr der Mann fort:
»Ich zeige Ihnen. . . .«
,,Habe ich Jhnen nicht gesagt, daß
ich nichts sehen will?«
,,Geben Sie wenigstens von meiner
Lunge herunter, damit ich Athem ho
len tann,« bat der Einbrecher.
»Ja, ja, Sie würden so tief Athein
holen, daß Sie mir bei der Gelegen
heit ein Messer in die Brust stoßen,
nicht wahr? Jch danie! Jch denke
eben darüber nach, wie ich Sie ums
bringen soll.«
»Oh,-oh, oh!« kam es von dem an
der Erde liegenden Körrer.
, »Was Sie für ein unlogischer
Mensch sind," meinte der Oberst, ,,wie
können Sie sich nur einbilden, ich
würde Sie am Leben lassen!«
»Schonen Sie mein Leben!" stöhnte
der Einbrecher.
»Wie käme ich dazu?«
»Ich —-« ich zeige Ihnen auch, wo
das Silberzeug liegt.«
»Das wollten Sie thun ? fragte der
Oberst erstaunt.
»Das thue ich, ich gebe Jhnen mein
Ehrenwort darauf.«
»Aha,« versetzte Pitblado, »Sie wol
len theilen. Nein, das geht nicht.«
»Ja, wag wollen Sie sonst?«
»Was ich will?« gab der Oberst zu
rück, ,,nun denn, Sie sollen nicht einen
Zahnstocher behalten.«
,,Nehmen Sie sie alle, nehmen Sie
sie alle. Nur lassen Sie mir Con
stattzer Tausbecher.«
»Wahrhastig!« murmelte Pitblado,
»Sie sind ein recht romantischer Ein
brecher.«
Während dessen war der Oberst zu
der Ertrnntniß getommen, daß die Si
tuation nicht so sortdauern konnte. Er
konnte doch nicht bis zum nächsten
Morgen aus des Einbrechers Rücken
sihen bleiben,und mußte aus jeden Fall
zur nächsten Polizeistation gehen.
Wenn er nur ein Licht gehabt hättet
—-—Jn diesemAugenblict kam ein schwa
ches Stöhnen vom Sopha her·
,,Allmächtiger Gott!« murmelte der
Oberst, »er hat einen Eomplicen.«
Wieder ertönte ein Laut vom So
pha, und Pitblado sah, daß es Zeit
war, zu handeln. Der »zweite« tonnte
jeden Augenblick seinem Complieen zu
Hilse eilen. Pitblado hatte am Ein
gang des Zimmers am Kamin eine
Feuer-junge und eine Kohlenschaufel
bemerkt. Mit heftigem Satz sprang er
aus die Füße, ließ den Einbrecher srei,
iannte nach dem Kamin und ergriff
die Feuerzange·
Ein wilder Schrei ertönte vorn So
pha, und schnell steckte der Oberst ein
Streichholz an. Bei dem schwachen
Lichte sah er zu seinem Entsetzen Con
stanze auf dem Sopha sitzen, während
der Einbrecher unbeweglich an der
Erde lag. Hatte er den Schurken etwa
getödtet.
Ein zweites Streichholz zündete das
Gas an und Constanze sprang aus den
Einbrecher zu, nahm seinen Kon in
ihre Arme und rief:
»Sie haben meinen Onkel getödtet!«
,,Jhren Onkel? Ach, das ist ja der
Einbrecher!«
»Der Einbrecher ist ja eben mein
Onkel undSie haben ihn todt gewürgt.
Er ist leblos. Oh, helfen Sie mir, ihn
zu sich zu bringen«
Der an der Erde liegende Mann
kam wieder zum Bewußtsein und mur
melte, als er Constanze sah:
»Laß ihn das ganze Silberzeug neh
men, Constanze, bis auf Deinen Tauf
becher. Wenn er unser Leben schont,
wollen wir keine Anzeige machen.«
Es dauerte nicht lange, Herrn Tim
mins auf das Sopha zu bringen, und »
da er nicht verletzt war, so brachte ihn
ein von Constanze’s zarten Händen
tredenztes Was Wein bald zu sich.
Noch immer unter dem Einfluß des
- Erlebten stehend, murmelte er:
»Ich bin nur mit knapper Noth dem
Tode entronnen. Es war mir, als
hörte ich Geräusch in diesem Zimmer
und trat ein, als sich ein riesenstarier
Mensch aus mich stürzte und mich fast
getödtet hätte, als Du erschienst und
ihn fortscheuchtest.«
»Das ist nicht ganz richtig, lieber
Onkel. Während Du in der beiden
miithigsten Weise mit dem Einbrecher
kämpftest, ging Oberst Pitblado ge
rade vorüber, trat durch die Vorder
thiir, die der Einbrecher offen gelassen
hatte, ein, jagte den Burschen fort und
rettete Dich. Die Herren gestatten, daß
ich sie einander vorstelle — Herr Tim
mins ———« Oberst Pitblado.«
sit Its
II
Acht Tage später empfahlen sich
« Constanze Timmins und Oberst Vit
blado als Verlobte. Wie sich dieSache
aber eigentlich in jener »Mordnacht«
zugetragen, ——-- das hat der gute Onkel
« nie erfahren.
i
Ein Yettken
Berliner Stizze von Max Kretzer.
Eines Vormittags, als die Kanzlei
räthin Tessel allein zu Hause war,
tlingelte es äußerst zaghast an der
Korridorthiir, so daß sie sofort daraus
ihre Schliisse zog. Jhr Mann war
Armenvorsteher, und so nahm sie an,
es fei irgend ein Petent, der zur un
rechten Zeit käme.
Als sie öffnete, stand ein junger, an
ständig gekleideter Mann vor ihr, der
aus den ersten Blick durchaus nicht den
Eindruck eines Almosenbediirstigen
machte. Dag Ehrenamt ihres Man
nes jedoch hatte die Kanzleiriithin mit
der Zeit zurMenschenkennerin gemacht.
Aug der Art und Weise, wie der junge
Mann demüthig vor ihr stand, verle
gen den Hut in der Hand drehte, den
er nicht mehr aufzusetzen wagte, wie er
sie scheu anblickte und zuerst kaum die
Worte sand, entnahm sie sofort das
Richtigk.
Etwas ärgerlich dariiber, gestört
worden zu sein, deutete sie auf dac
Schild neben der Thürklingel, auf dem
die Sprechstunden in Armenangele
genheiten verzeichnet waren.
Aber sofort klang es bittend zurück:
»Wenn es nur die kleinste Gabe wäre. .
Jch habe seit gestern Mittag nichts
genossen.« ,
Also ein richtiger Bettler! Jhr
Aerger steigerte sich noch, denn trotz
dem sie eigentlich von Natur eine her
zensgute Frau war, hatten trübe Er
fahrungen sie mißtrauisch gemacht.
Jm vergangenen Winter hat man ihr
vom Corridor einen Pelzmantel ge
stohlen, als man die Mildthätigkeit
an einem ähnlichen Fechtbruder bethä
tigen wollte Seit der Zeit war sie
vorsichtig genug, jeden ,,Verd«cichtigen«
durch die Thiir abzufertigem
»Es gibt nichts," sagte fie etwas
hart. Aber als sie eben die Thiir zu
schlagen wollte, knurrte leise die Trep
pe, und ein bärtiger Mann wurde
sichtbar, der sehr eilig die letzten Stu
ffen nahm, den Hut ein wenig lüstete
und sofort fragte:
,,Hat er bei Jhnen gebettelt, Frau
Tessel?«
Der junge Mensch zudte zusammen
und sah sie so flehentlich an, als hinge
von ihrer Antwort sein ganzes Schick
fal ab.
Frau Tessel erfaßte sofort den Vor
gang. Wenn sie Ja sagte, so würde
der Mensch von dem bärtigen Manne.
den sie als einen Geheimpolizisten der
Revier - Polizei kannte, mit nach der
Wache genommen werden, um dann
dem Strafrichter vorgefiihrt zu wer
den. Sie überlegte nicht lange. Ohne
die Frage zu beachten, sagte sie gleich
giltig imGeschäftstone: »Ich sehe doch,
daß ich tein Kleingeld habe, um die
Rechnung zu bezahlen. Kommen Sie
einen Augenblick herein, ich werde
wechseln lassen.«
Und ohne von dem Kriminalpolizi
sten, der einige Worte der Entschuldi
gung hervorbrachte, weitere Notiz zu
nehmen, ließ sie den Bettler eintreten
und schloß die Thür.
Der Corridor war eng und dunkel,
und da sie das Bedürfniß nach Licht
empfand, öffnete sie die nächste Thür«
die zur guten Stube führte, und nö
thigte den »Besuch« dort hinein.
»Sie dürfen nicht gleich gehen, sonst
werden Sie vielleicht doch noch gefaßt,«
sagte sie. »Kommen Sie mit nach der
Küche, dort können Sie etwas essen.
Sie können ja dann die Hintertreppe
benutzen. Jch weiß, daß es Polizei
vorschrift ist, auf alle Bettler zu fahn
den . . . Haben Sie denn ein festes
Obdach?«
Schon halb auf dem Wege, ihm bor
anzugehen, blieb sie wieder stehen und
blickte ihn fragend an.
Wie beschämt fah er zu Boden.
Dann schüttelte er mit dem Kopfe und i
erwiderte tleinlaut: »Ich bin vor drei
Tagen aus dem Gefängnisse entlassen
worden. Für die ersparten Arbeits
pfennige habe ich mir etwas Sachen
getauft. Gestern früh schon stand ich
ganz blank da. Die letzte Nacht habe
ich im Freien geschlafen.«
Das Wort »Gefängniß« hatte sie
zusammenschrecken lassen, so daß sie
s unwillkürlich mit einer Seitenschwen
kung einige Schritte von ihm zurück
wich. Gott sei Dant, daß Olga, die
kräftige Oftpreuszin, gerade mit ihrem
Korbe hereintrat.
Frau Tessel athmete anf. Sie be
kam ihre Ruhe wieder und fühlte das
Bedürfniß, den bösen Alp durch Spre
chen zu verdrängen. Während sie ihn
fragte, wie lange er »gesessen« habe
und die Antwort erhielt, daß es ein
Jahr gewesen sei, nahm sie unwillkür
lich ihre goldene Uhr, die auf dem So
phatisch lag, an sich und verschloß sie
in der Schublade des Wäscheschrantes
Er begriff ihr Vorgehen sofort und
sagte leise im Tone des Vorwurfs:
,,Gn«cidige Frau haben nichts zu be
fürchten, ich habe niemals in meinem
Leben gestohlen. Jch habe auch nicht
wegen Diebstahls gesessen, noch aus ir
gend einem anderen ehrlosen Grunde.
Niemals würde ich mich an fremdem
Eigenthum bereichern, lieber würde ich
Hungers sterben. Wahrhaftig, ich
tann’s Jhnen schwören, es war heut
das erste Mal, daß ich gebettelt habe.
Aber ich hielt es vor Hunger nicht
mehr aus«
Sie war flüchtig roth geworden und
gerieth etwas in Verwirrung, während
sie sagte: »O, so war das ja nicht ge
meint. Jch dachte im Augenblick gar
nicht an Sie, sondern —«
Aus feinen Worten hatte soviel in
nerliche Entriistung geklungem daß sie
ihm glaubte. Um ihre Ausrede wieder
gut zu machen und ihm den Beweis zu
geben, daß sie ihm traue, wollte sie ihn
gleich hier vorne seinen Hunger stillen
lassen. Laut rief sie Olga heran, die
sie dann im Flüstertone rasch verstän
digte.
Das Mädchen machte große Augen,
tischte dann aber schleunigst einige kal
te Speisen auf, dazu ein Glas Bier.
»Lassen Sie es sich gut schmecken,«
sagte die Kanzleiräthin und lud ihn
mit einer Handbewegung ein, Platz zu
nehmen.
Dann ging sie hinaus, trat an das
Fenster des Schlafzimmers und blickte
sinnend zu dem Stückchen blauen Him
mel hinauf, das sich oben an den Dä
chern der Hinterhäuser abzeichnet. Es
waren trübe Gedanken, die sie spann
und die sich um ihren Sohn drehten,
um den Einzigen, der ihr und ihrem
Manne viel schlaslose Nächte bereitet
hatte, an dem aber beider Herz mit
inniger Liebe hing.
Man hatte ihn Kaufmann werden
assen, weil man hoffte, er würde sich
dadurch bei seinem gefälligen Wesen
schneller eine Lebensstellung schaffen,
als wenn man ihn auf die langweilige
Laufbahn eines Subalternbeamten
drängte. Thatsächlich kam er denn
auch in einem Bantgeschäft, in das er
eingetreten war, schnell vorwärts-, was
wohl nicht zuletzt seiner hübschen Er
scheinung und seiner wirklichen Intel
ligenz zu verdanten war. So genoß
er bald großes Vertrauen bei seinem
Chef, das ihm aber eben seiner Jugend
wegen zum Verhängniß wurde.
Er lernte ein leichtsinniges Mäd
chen kennen, das ihn ganz in ihre Netze
zog, trotzdem sie bereits einen Bräuti
gam besaß, einen Mechaniker, der
durchaus die besten Absichten mit ihr
hatte, und der ihr wohl gut genug zum
Heirathen erschien, nicht aber zum
Amiisiren
Was vorher so manchanderer ge
than hatte, das that deg Kanzleiraths
Sohn. Er rnißbrauchte seine Ver
trauengstellung und ließ sich zu Unter
schlagungen hiiireißen, um sich mit sei
ner Geliebten immer tiefer in den
Strudel dek- Berlmer Lebens stürzen
zu können. Betrug folgte auf Betrug,
big endlich die Entdeckung eintrat. ..
Frau Tessel schauerte leicht zusam
men Noch stand ihr jener schreckliche
Tag mit allen Einzelheiten vor Au
gen, wo sie ihn, den sie mit Schmerzen
zur Welt gebracht hatte, als gemeinen
Verbrecher hinter den Schranken er
blickte. Fürchterliche Tage hatte sie
damals durchlebt, und der Kanzleii
rath, der in Ehren grau geworden war,
hatte mehr als einmal daran gedacht,
seinem Dasein mit Gewalt ein Ende
zu machen.
Allmiihlich jedoch hatten sie sich be
sleißigi, das Unvermeidliche in Erge
benheit zu tragen, wurden sie nur noch
von der einen großen Hoffnung erfüllt,
den Verirrten nicht zu den Berlorenen
rechnen zu dürfen, sondern ihn nach
seiner Heimlehr als einen reuigen
Menschen wiederzusehen, dessen höchste
Ausgabe es sei, den Leichtsinn seiner
Jugend durch ein neues Leben verges
sen zu machen.
Langsam waren ihre Augen feucht
geworden, und sie verwünschte fast die
sen Menschen da vorn, der ihr plötzlich
durch sein Geständniß solche Seelen
qualen bereitete. Als sie wieder nach
vorne ging, erblickte sie etwas Seltsa
mes. Sie sah, wie der Gesättigte,
wohl in der Annahme ganz ungestört
zu sein, aufmerksam eine Photographie
betrachtete, die er von der Marmor
platte des Spiegels genommen hatte.
Kaum hatte er das Rauschen des Klei
des gehört, als er vor Schreck zusam
menfuhr und hastig das Bild zurück
stellte.
Er drehte den Hut wieder in den
Händen und stammelte einige unzu
sammenhängende Worte, aus denen
Frau Tessel etwas wie eine Entschul
digung entnahm.
Als fände sie durchaus nichts Auf
fallendes darin, fiel sie ihm sofort lä
chelnd in das Wort: »O, das thut
nichts. Es ist mein Sohn, der augen
blicklich in Amerika weilt.«
Diese Ausrede pflegte man stets
Leuten gegenüber anzuwenden, die in
die Familienverhältnisse nicht näher
eingeweiht waren. Plötzlich wurde sie
unruhig, denn sein erstauntes Auf
blicken überraschte sie. Es war ihr.
als glitte ein leises Lächeln über seine
blassen Züge. Wie der Blitz kam ihr
ein unheimlicher Gedanke, der so stark
auf sie einwirlte, daß ihrAthem schnel
ler ging. Sie fühlte die aufsteigende
Hitze in ihrem Gesichte und das er
regte Schlagen ihres Herzens. Sosort
aber beherrschte sie sich, indem sie sichI
zu einer ruhigen Rede zwang. s
Sie ließ sich auf einen der rothen
Plüsch - Fauteuils nieder und begann
mit zitternden Lippen, unter dem Ein
fluß großer Neugierde: »Was haben
Sie eigentlich verbrochen? Sie Hin-s
nen sich mir offen anvertrauen . . .« i
»Ich habe meine Braut erschossen,
weil ich von ihrer Untreue überzeugt
war,« erwiderte er ruhig, diesmal den
Blick fest auf sie gerichtet. »Sie hatte
mich schwer beleidigt, und so konnte
ich mich im Augenblick nicht mehr mä
ßigen. Jch wurde wegen Todtschlags
eingeklagt, und man billigte mir mil
dernde Umstände zu. Jch habe schwer
gefühnt.«
Während er den Kon wieder gesenkt
hielt, glitt sein irrender Blick aber
mals nach der Photographie, doch
diesmal scheu, als müßte er noch viel
mehr sagen, wozu er aber nicht den
Muth hat. Plötzlich fügte er mit ge
senkten Augen hinzu: »Ihr Herr Sohn
war nicht derEinzige, mit dem sie mich
hinterging.«
Sie wollte etwas sagen, aber der
schreckliche Eindruck des Augenblicks
hatte ihr die Worte genommen. Und
da er die Empfindung hatte, etwas
Entsetzliches angerichtet zu haben, so
begann er wieder, fast bittend:
»Ich habe nicht gewußt, daß hier
seine Eltern wohnen, ich sah auch gar
nicht auf das Thürschild. Jch zog
blindlings an der Klingel Wahrhaf
tig. es ist so Nun kann ich es Ih
nen aber sagen, gnädige Frau —— Jhr
Sohn denkt Tag und Nacht an Sie
und weint im Stillen mehr um seine
Eltern, als Sie es glauben. Während
der täglichen Spaziergänge haben wir
uns kennen gelernt. Nicht er hatte
Schuld, sondern sie, die ich getödtet
habe Haben Sie tausend Dank
für das Gute, das Sie mir heute er
wiesen haben.«
»Kommen Sie heute Abend wieder,
wenn mein Mann hier ist. Sie sollen
nicht untergehen,« war Alles, was sie
hervorzubringen rermochte.
Die Küchenthür llappte. Dann
ging Frau Tessel mit ethobenem
Haupte an ihrem Dienstmädchen vor
über, schritt wieder dem Borderzim
mer zu und riegelte sich ein. Und wäh
rend sie am Fenster stand, das Bild ih
res Sohnes betrachtete, rannen ihr
heiße Thränen über die Wangen,
Thrijnen, wie sie nur den Augen einer
Mutter entströmen können . . . .
—- svf
cHauptmann Erozavesm
Aug dem Rumänischen von Maximilian W.
Schross.
Um einen mit Theetassen besetzten
Tisch herum sitzt die Familie Leusteanu
und lauscht den Worten des Haupt
manns Grozavescu Er erzählt ihnen
schreckliche und unglaubliche Aben
teuer, welche er selbst mitgemacht hat.
Frau Leusteanu nnd ihre Töchter er
warten mit Unaeduld das Herannahen
der Altitternachtsstunde um mit eini
gen Freundinnen aus der Nachbar
schaft auf ein Costiimsest zu gehen, wel
ches der Bojar Fertezoi in dieser Nacht
veranstaltet. Die Costiime liegen bereit
aus einem Kanapee Aber big um Mit
ternacht konnten sie noch den Erzäh
lungen des Hauptmanns Grozavegcu
zuhören, denn um diese Zeit erwartete
man die Ankunft der Fräulein Stoco
nete, welche aleichsallg das Costümfest
besuchen wollten.
»Was nun tommt,« sagte derHaupt
knann mit energischem Tonfalle, «hat
sich in meinem fünsundzwanzigsten Le
bensjahre zugetragen Jch war damals
Unterofficier und verliebt bis über die
Ohren in ein Mädchen.«
»Wie hieß sie?« fragten die Damen
im Chor.
»Sie kennen Sie nicht. Wie gesagt,
ich liebte dieses Mädchen und bat sie
um ein nächtliches Rendez-bpus. ie
willigte ein, jedoch unter der -
dingung, daß der Ort des Stelldicheins
der —-—- Friedhof sei! . . .«
»O!!!« riefen die Zuhbrerinnen
»Gegen Mitternacht legte ich meins
Gala - Uniform an, schnalle einer
scharfgeschliffenen Säbel um, steckte ,
in jede Tasche einen Revolver» setzte E
dag Käppi mit dem Federbusch auf. ·
nahm eine Signalpseife und ging denn H.
Orte unserer Zusarnmentunft entge- «
gen. Schwarz war die Nacht wie die «
Seele eines Sünders.
»Bei der Kirchhofsmauer angekom
men, übersprang ich dieselbe, doch als
ich mich nun allein sah in einer Welt
von Kreuzen, Gräbern und geheim
nifzvollen Schatten, blieb ich wie ver
steinert stehen. Aus dem dunklen
Eingang der Friedhofscapelle schienen
die Gespenster der Todten hervorzu
iommen und einzeln an mir vorüberzu
gehen mit ihren grinsenden Schädeln,
den Körper eingehiillt in den dunklen
Mantel der Nacht.
»Einen Augenbkick zögerte ich, dann
jedoch faßte ich Muth, zog den Säbel
und marschirte vorwärts. Es schien
mir, als sähe ich in einiger Entfernung
etwas Weißes, das sich bewegte. Jch
lenkte meine Schritte dorthin, aber als
ich den Platz erreichte, wo ich meineZoe
zu finden hoffte, erblickte ich nur ein
Grabdeninml aus weißem Marmor.
Doch nicht genug damit erhielt ich,
während meine Blicke auf den Stein
geheftet waren, plötzlich einen heftigen
Schlag in’s- Gesicht, welcher-mich von
Kon bis zu Fuß erbeben ließ. Ein
Käuzchen oder eine Eule —- ich weiß es
nicht mehr genau — - welche sich auf dem
Grabstein zur Ruhe niedergelassen
hatte, bestrafte meine unbegrenzte Ver
wegenheit, ihre Ruhe in folcherStunde
zu stören, indem sie mit ihrem Flügel
mit ganzer Kraft mir einen Schlag ins
Gesicht ertheilte.«
»Entsetzlich!« riefen die Mädchen
gleichzeitig aus.
» ,,Jch ging einige Schritte rückwärts,
als ich plötzlich fühlte, wie Etwas mei
« nen rechten Aermel streifte. Seitwärts
blickend,.glaubte ich das geheimnißvolle
Wesen, welches mich berührt hatte, zu
sehen. Da zückte ich meinen Säbel und
stürzte mich auf die schwarze Gestalt,
um sie in Stücke zu hauen; jedoch die
Klinge durchschnitt pfeifend die Luft,
ohne auf Widerstand zu stoßen. Nun
kam es mir zum Bewußtsein, daß Alles
nur ein Gebilde meiner Phantasie war
und ich steckte den Säbel wieder in die
Scheide. Zoe war nirgends zu er
blicken, sie hatte mich zum Besten ge
halten.
»Es blieb mir also nichts Weiteres
übrig, als auf dem Wege, auf dem ich
gekommen, wieder zurückzukehren;
doch ich hatte meine Verwegenheit noch
nicht theuer genug bezahlt. Jm Wei
tergehen stolperte ich über Etwas und
fiel in ein an jenemTage frisch geschau
selteg Grab, das am nächstfolgenden
Taae einen Leichnam aufnehmen sollte..
Dasselbe war ziemlich tief, und als ich
topfiiber hinabstürzte, glaubte ich einen
Augenblick, ich sei verdammt, nicht
mehr lebend aus jenem Friedhof her
auszukommen
Jedoch erhob ich mich sofort, und
obgleich es mir schien, als seien meine
Füße bei den Knien abgeschnitten, ge
lang eg mir schließlich, wieder oben an
zukommen, nachdem ich zweimal wie
von einer unsichtbaren Hand zurückge
stoßen worden war Als ich mich end
lich oben sah wurde mir schwarz vor
den Augen und ich wäre beinahe ohn
mächtig zusammengesunken.«
Die Damen sind sehr bewegt. Mit
großen Augen blickten sie den Haupt
mann an.
»Doch ich schleppe mich weiter und
ohne es zu bemerken, fühle ich eine
schlüpfrige Treppe unter mir, gleite
dieselbe hinab und befinde mich plötzlich
in einem Gewölbe, wo man die ausge
grabenen Knochen der Todten aufbe
wahrte. Ein Lämpchen brannte im
Hintergrunde des schauerlichen Rau
meg und beim Scheine desselben er
blickte ich große Hauer Gebeine, be
leuchtet von einem grünlichen Lichte.«
,,Entsetzlich!« flüsterte die Zuhörer
chaft.
,,All’ diese grinsenden Todtenschädel,
deren Augen wie schwarze, unheimliche
Lichter aussahem blickten mich an, als
hätte ich sie aufgeweckt aus ihrem
schweren, ewigen Schlafe. Und da hörte
ich plötzlich einen furchtbaren Schrei,
die Besinnung entschwand mir und
ohnmächtig sank ich nieder.«
Kaum hatte der Hauptmann diese
letzten Worte aesprochen, als sich gleich
zeitig alle Thüren des Salons öffne
ten und herein stürzten eine Menge Ge
stalten, die Teufeln, Engeln und Ge
spenstern ähnlich sahen. Sie kamen
schnell auf die starr Dasitzenden zu und
brachen beim Anblick der entsetzten Ge
sichter derselben in ein lautes Gelächter
aus. Der Hauptmann sank bewußtlos
zu Boden. Die Mädchen und Frau
Leusteanu sprangen aus und stießen
gellende Schreie aus. Sie glaubten ei
nen Augenblick, daß all’·die Phantome,
von denen der Hauptmann erzählt hat
te, nun gekommen seien, um sie zu
schrecken. Jedoch in Bälde erkannten sie,
daß die Teufel, Engel und Gespenster
niemand Anders waren, als ihre
Freundinnen, weiche costiimirt sich ein
gestellt hatten, um zusammen mit ih
nen aus den Costiimball des Herrn
Ferkein zu gehen.
Jedoch dauerte es ziemlich lange, bis
man den surchtloseu Hauptmann
Grozabescu wieder aus seiner Ohn
macht erwecken konnte ......
-.-.·
—-— Aussicht vorhanden.
uswei Damen verseindeten sichJ »Und
habt ihr einander auch ,,häßliche Per
son« genannt?« frug der Gatte der ei
nen. »Das nicht . . .« »Nein? Nun,
dann übernehme ich eure Versöhnung.«