Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 01, 1897, Sonntags-Blatt., Image 14

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    « ickk
.
« - alroman von Paul Ostae Höcker.
(-. Fortsetzung)
, er haßte sie ebensosehr wie den
« ffsbaurneisterl Denn wenn sie hier
der Abgeschiedenheit so sorglos in
Tag hinein lebte. während in Kiel
furchtbares Gerichtsdrama bevor
d, so konnte ihre Trauer um den
etnordeten Vetter nichts als Komö
sein.
ns sah ein, daß er schnell handeln
II e, wenn er entscheidend eingreifen
so te. Nur eine Setunde überlegte er,
Mit ließ er Dagrnars Gepäck fallen
d rannte nach dem Oberdeck, von
Im aus er, der Vorschrift nicht ach
Md, ohne Zögern die Commandobrücke
III Capitäns betrat.
Kurz und bündig bat der Matrose
Un Urlaub.
Der Capitiin, der das Anlegen an
, rücke soeben beaufsichtigte und von
zu Zeit durch das Sprachrohr nach
« Maschine einen Befehl ertheilte, sah
nur brummend um. Der Mann am
" euer riß die Augen weit auf, als er
Ue Dreistigleit des deutschen Matrosen
Punkte.
»Iman —- jetzt schon? Wo Sie erst
M paar Fahrten mitgemacht haben Z«
regte der Capitän ihn in seinem här
en Tone.
hans Gödecte stammelte etwas von
III-r wichtigen Entdeckung —— einer
in, die fech dem Gericht entzogen
» —- er müsse vom Schiff herunter,
st gebe es ein Ungliickl
Der Capitän ließ ihn nicht ausreden.
Soeben polterte die rechte Bordwand
n einen Pfahl; man hörte ein paar
Insestellte fluchen.
.Scheren Sie sich zum Henker!«
Mterie der sonst gutmüthiqe Schiffs
, ret. »Und lassen Sie sich nicht wie
an Bord blicken!«
Jm Nu war Hans Gödecke von der
omrnandobriicke herunter. Er kam ge
· de noch zurecht, als Dagmar Peter
iiber die bewegliche Brücke aus den
—J-T teg trat. Hastig packte er ihr Gepäcl
Uf« die Schulter Und folgte ihr.
Der Steuermann rief ihm zu, er
Ue das Gepäcl am Brückenkopf nie
. etzen und zum Kran zurückkehren,
Doch er gehorchte nicht, sondern blieb
icht hinter der jungen Dame, die sich
ktaschen Schrittes der nächsten kleinen
Anlegetreppe näherte.
Inzwischen hatte auch Karla von
tu Tann ihr kleines Boot dorthin ge
lenkt. Ein Junge nahm ihr das Ruder
Ob und sprang an ihrer Stelle ins
4svvt Karla aber ertlomm hastig die
Keine Treppe, eilte auf Dagmar zu,
Md gleich darauf hielten sich die beiden
jungen Mädchen schluchzend in den Ar
M
-«Ikeines tümmerte sich um den Ge
riiger. Jn hurtigem Tempo schrit
sie Arm in Arm dem Lande zu.
. Die Unterhaltung war deutsch ge
Fkhrt hans Gödecle entging lethort.
.Wie du mich ausathmen machst
Durch dein Kommen, Dagmar! Jch
kaubte schon, du wolltest nach den
aurigen und unfreundlichen Tagen
BBerlin gar nichts mehr von mir wis
sen! Und wie ich mich nach einem Wort .
ei M dir gesehnt habe! Aber keine ein- »
" zige Zeile erreichte mich, bis ich endlich
auf den Einfall kam, an deine Kaperr
er Adresse zu telegraphiren, um
- deinen Aufenthalt zu ertunden.'«
« ,Wie, dadurch erst erfuhrst du, Kar
to, daß ich in Christiania im Hause des
« owessors Tirsäus seit meiner Abreise
sen Berlin weilte? Aber ich habe dir
zwch zweimal von hier aus geschrieben!
« Zuerst nach Bergen. dann nach Vitoer
Im ·Hardang«erfjord!«
X »Das erste, was ra) von oir ver
« Inahny war gestern dein Telegramm
aus meine Anfrage.«
«, »Aber das ist mir unerllärlich! Dach
laß dich jetzt erst betrachten, meine arme
s Freundin!«
Hi Karla nickte ihr traurig zu. »Ja,
IX arm — arm — bettelarm! Das ist das
Z; rechte Wort!. .Jch habe aucb zu al
F lern«Ungli-1ck nocb meinen Vater ver las
s; ten.'
»Wie, der Admiral —
·,Jst bei bester Gesundheit, beruhige
dich nur; aber im Herzen ist es leer
« Imd kalt und öde bei ung- beiden gewor
g Un. Macdonald steht zwischen uns.
« Run, du lennstihn ja von der Begekx
me in Kiel und von jeiscr mir so un
;— endlich peinlichen Scene in unserem
- Hause in Berlin ber. «
eber Dagmars Antlitz huschte ein
tieri. »Ich beweise dir eine große
Ueberwindung, indem ich deinem Rufe
.Denn der Gedanke, deinem Va
- und dessen Schützling nach allem
xi gefallenen noch einmal gegenüber
"s zu sollen, ist mir wirklich furcht
» Aber dein Telegramm war so
"s-"«ngend, so bestimmt-J
»Ja, Dagmar, bestimmt und ent
— sscn Denn für mich giebt es seit
- i- rn kein Schwanken mehr Jch habe
furchtbare Auseinandersetzung
dem Vater gehabt und bin zu ei
sesten Entschluß gekommenf
ie beiden Damen waren ans Land
- . hanc Gödecke schritt, die
—. heradfenkend, hinterdrein. Jn
ctwgima tümmerten sie sich bei oe
III due päckiräger Erst als
- » Ist bemerkbar machte,
" halb nach ihm um
, cns eine dicht am Strand
sumbald liegende schmucke
: M: wrpoethin kommt das
, was das Blut heiß
m erst-new Er befand sich
.— —. - l l -. llllwllltlllllllll .
tn einer namenlosen Ausreaung Je
den Augenblick trieb es ihn, das Gepäck
fortzuwerfen, vorzustiirzen und Dag
mar Petersen aus der zärtlichen Um
schlingung der Mitschuldigen Sendun
gers los-zureißen. Aber das Gespräch
der beiden ging weiter, und er lauschte
in fieberhafter Spannung.
»Das Ausbleiben deiner Briefe,«
fuhr Karla fort, »dermag ich mir jetzt
zu erklären. Sie sind von Macdonald
unterschlagen worden. O, es ist nicht
das einzige, was ich ihm vorzuwerfen
habe! Er hatte es schlau eingefädelt,
um mir jede Verbindung mit der Hei
math abzuschneiden. Den Vater hat er
ganz in der Hand. Unter dem Vor
wand, er habe ihn schonen wollen, hat
er ihm bis zum gestrigenTag sogar den
Tod der Tante Zeck verschwiegen. Ein
Telegramm hatte das jähe Ende der
alten Dame nach Bergen an seine
Adresse gemeldet, aber er hielt uns in
Vitöer in der Einsamkeit fest; er be
sorgte die sammte Correspondenz des
Vaters, und nichts gelangte in meine
Hände —- von meinen Freunden und
von Vollrath. Jch glaube, daß Voll
rath mir zürnt. Wie konnte ich ahnen,
daß die Briefe, die ich dem Wirth in
Vitöer anvertraute, durch Macdonalds
Hände gehen würden! Auch auf der
Reise hierher befand ich mich unter
Macdonalds steter Ueberwachung. Ge
stern nun, als ich ganz zufällig ein
älteres deutsches Blatt in die Hände
bekam und unter den Todesanzeigen
die Meldung von Tante Astas Ableben
las, da dämmerte mir der Zusammen
hang, uns-; ich beschuldigte Macdonald
offen des Diebstahlsl Mein Vater trat,
nachdem Macdonald eine heuchlerische
Erklärung abgegeben hatte, sofort aus
dessen Seite und verbot mir, je wieder
eine Zeile an Vollrath Sendlinger ge
langen zu lassen. Er nannte ihn einen
Schurken, einen Verbrecher—was weiß
ich —, qebrauchte Ausdrücke, die mir
die Ueberzeugung aufzwangen, daß es
zwischen meinem Vater und mir end
gültig aus sein müsse!«
»O Karla, aber das ist ja unfaß
bar!«
»Ich sandte sofort das Telegramm
an dich ab, um dich zu bitten, daß du
mir beistehst. Denn ich bin entschlossen,
meinem Vater zu erklären, daß ich ohne
Zögern nach Kiel reisen und Vollraths
Schuh anrusen werde. Ich gehöre zu
ihm —- nicht mehr zu meinem Vater,
der es fertigbrachte, mir«den Verdacht
ins Antlitz zu schleudern, daß Ewald
von der Hund Vollraths getödtet wor
den sei!«
»und Jhr Vater hat recht Fräulein
von der Tann,« schrie plötzlich derMa
trose. »Sendlinger ist der Mörder mei
nes unglücklichen guten Herrn!«
Einen Augenblick lang tiefes
Schweigen. Die beiden Damen hatten
sich entsetzt nach dem Matrosen umge
sehen. Karla hielt die Hand ihrer
Freundin fest, sie zitterte über und
über; ihre Augen blickten starr und wie
irre.
»Wer sind Sie?'« stammelte sie end
lich.
»Ich bin Hans Gödecke, der frühere
Bursche Jhres Vetters-. Jch war oft km
Hause Jhrer Verwandten, der Frau v.
Zeu, die nun gleichfalls schon der Ra
sen deckt, und ich habe durch das Ver
brechen jenes heimtiickischen Schurken,
den Sie Jhren Verlobten nennen-«
»Halten Sie ein!« schrie Karla per
zweifelt auf.
Der Ton war so erschütternd, daß
dem Matrofen das Wort auf derZunge
erstarb. «
Dagmar war händeringend aus den
Burschen zugeschritten. »Aber wie kön
nen Sie es nur über sich bringen,«
sagte sie in heftiger Bewegung, »eine
Leidende, eine Unglückliche so brutal zu
überfallen?«
»Ich sagte nicht anderes, als wag
die lautete Wahrheit ist, und was auch
das Gericht glaubt!«
»Das Gericht?«
. »Herr Sendlinger sitzt im Rieler
: Untersuchungsgesängniß und sieht in
: den nächsten Wochen seiner VII-urthei
s lung durch das Schwurgericht entge
; gen!«
s Namenloseg Entsetzen prägte sich in
, den Zügen der beiden Frauen aus· Jn
)
i
i
slicgender Hast bestürmten sie den Ma
trosen, aus-zusagen, was er wußte.
Hans-Eisdecke brachte kalt und finst::
vor, toaS er den vielsachen Verhand
lungen entnommen hatte.
»Und Vollrath Sendlinger schmet
! terte sein Antläger nicht in Grund und
Boden?« stieii Karla fast heiser hervor.
»Ist die Anklage —- bei aller Jnsarnie,
die darin liegt -— nicht etwa ganz sinn
los und unmöglich, da ich selbst ins
Vollraths Begleitung war von demAu- s
genblick an, da er den Ball verließ, bis s
zu der Sekunde, in der wir beide den ,
Unglücklichen in seinem verhängt-Hy
vollcn Zustand sah-en ?«
Ein höhnisches Lächeln trat aus Gi
dectes Lippen. »Ja, das behauptet cr
freilich; aber das Gericht schenkte de:
Aussage der Frau v. Zect mehr Glau
ben, die noch kurz vor ihrem Tode im
Zeugenverhör unterm Eide ausgescat
hat, daß Sie den Heimneq in ihrer-n
Wagen rnit ihr und dem Lieutenant zu
sammen zurückgelegt bätten.«
»Und hat man Sie nicht darüber
vernommen? Sie mütsen an jenexx
Abend doch bemerkt haben, mit wem
Ihr Herr fort inst«
Der Matro e uckte die Achseln. »Ich
weis den dem A nd nichts —- rein aar
nichts mehr. Man hatte mich betrunke
gemacht. Das Untersuchunasqerickt
wußte das nnd ließ mich deshalb auekf
gar nicht zum Schwur- zu.«
»Aber mein seuaniß wird den Un
Cliickiicheu doch entlasten!«
· »Sie Indes sich ia vor Gericht nich
.- ..—--.
d it lassen, ka Mit Fisch Billet
en onhe
»Entslohe·n?« siteszstarla zornig her
vor. »Aus Angst nm meinen Vater, den
ich nicht allein in der Gesellschaft jenes
elenden Schleichers reisen lassen wollte,
bin ich ihm gesolg t. "
»Das Gericht hat mehrmals Aus
rufe erlassen aber weder Jhr Vater
noch Sie selbst haben lich gemeldet.«
»Weil ich nicht wußte, dasz man mei
nen Bräutigam verhaftet hat-"
»Aber Jhr Vater wußte es doch, der
Staatsanwalt Mahrhofer betonte es
ausdrücklich —- ich erinnere mich ganz
genau.«
»So tann ich nur annehmen, daß
Macdonald auch die Zuftellungen des
Gerichts an uns unterschlagen hat. Er
wollte Vollrath Sendlinger vernich
ten.«
Der Matrose schiittelte den Kopf.
»Solang Herr Sendlinger so hart
näckig leugnete und sich auf Jhr Zeug
niß berief, konnte er nicht abgeurtheilt
werden —- das mußte Herr Macdonald
wissen.«
»Aber etwas anderes gedachte er da
mit herbeizuführenf rief Karla heftig
athmend, »die Verzweiflung meian
Verlobten! Denn Vollratb Sendlinger
mußte verzweifeln —- an mir, an der
ganzen Welt, da er keine Nachricht von
mir bekam! Und daraus hatte es Mac
donald abgesehen .vielleicht gehofft,
dasz die Verzweiflung den Unglücklichen
zur Selbstvernichtung treiben würde.
Dieser nichtswürdige Schurke!«
Die drei Menschen standen mit blei
chen Mienen, zitternd vor Erregung,
bei einander. Verwirrt, rathlos sahen
sie sich an.
Da klang von dem »Rutland« her
das erste Abfahrtszeichen. Karla schral
aus ihrem Schmerz plötzlich jäh empor
Sie zeigte nach dem Schiffe hin und
sagte abgerissen: »Das ist s —- mit
dem Schiff muß ich fort-sogleich —
ihn retten!«
»Aber du kannst doch nicht fort von
hier —- wie du gehst und siehst,« wandte
Dagmar zaghast ein.
»Ich muß, ich muß! Leb wohl, Dag
mar! Verzeihe mir, was ich thue! Es
ist ein Unrecht an dir, aber bedenke ..... «
Sie konnte nicht weiterreden. Jhr
Blick glitt nach dem Brückenkopf; dort
sah sie, daß das Schissspersonal soeben
damit beschäftigt war, das letzte Ge
päckstiick mittels des Krans an Bord
zu schaffen.
Karla riß sich von der Freundin los
und eilte mit fliegendem Gewand und
teuchendem Atbem nach der Brücke zu
rück, starr den Blick aus das mächtige
Schiff richtend, dessen Gepäcklute
soeben geschlossen wurde.
Sie schrie nach dem Schiffe hin —
rnachte Zeichen — da aellte das zweite
Signal der Damvspseife übers Wasser
herüber.
Hans Gödecke war noch ganz betrof
fen von dem, was er erlebt. Er war im
Zweifel, ob er hinter Karla herstürmen
und gleich dieser versuchen solle, ob er
noch an Bord komme. Aber er gedachte
des zornigen Abschieds, der ihm ge
worden; wußte. daß-ers mit dem Ca
pitän des »Nutland" endgiiltig ver
dorben hatte· Nun, gleichviel, er würde
auch wo anders untertommen, wenn
ihm erst seine Sachen vom Bord des
»Rutland« durch den Heuerbaas aus
geliefert worden waren. —Tiesaus
athmend wendete er sich an Dagrnar.
»Sie glauben gleichfalls an Send
lingers Unschuld-" fragte et diese zö
geend.
Dagrnar sah ihn entsetzt an. »Noch
dem seine Braut so gesprochen und ge
handelt —— sollte es noch einen Zweile
geben ?"
Hans Gödede hatte bemerkt, daß die
Passagiere am Bord des »Rutland«
auf dein Oberdecl zusammengelausen
waren und zu der Capitiinsbriicke hin
aufriesen. Richtig, das Schiff hielt
noch immer, trotzdem das zweite Sig
nal schon geqeben war. Und jetzt öffnete
sich die Pforte wieder, rasselnd wurde
die Brücke auf den Steg geschoben, und
schnellen Schrittes eilte die schwarze
Frauengestalt an Bord.
Dagmar und Hans sahen die Brücke
wieder verschwinden; gleich darauf !
stampfte der Koloß den weis-en Gischts
auf, so daß weit hinaus das stille blaues
Fjordwasser brodelte und zischte und
breite Welle mit blendendem Schin1-l
mer am Strande hinaufliesen·
- Der Matrose hatte in tiefen Gedan
1 ten dem sich entfernenden Schiffe nach- s
geblielt. Jetzt fuhr er sich mit demj
handriiclen über die Stirn und sagtei
zu Dagmar: »Das Kieler Gericht wird I
annehmen, daß sie kommt, um einens
Meineid zu schwören.« Dagmar wollte«
ihn unterbrechen, doch Hans fuhr fort:
»Ich habe ja selbst Mitleid mit ihr,
aber tann man ihr helfen? —- Kommen
Sie mit zu ihrem Vater; es ist nun
wohl unsere Schuldigteit, ihn auszu
klären-«
Dagrnar raffte sich entschlossen zu
sammen·
»Gut denn —- ich folge Jhnent«
Siebzehntes Capitel.
Dagmar Petersen hielt es für an
gebracht, die Abreise ihrer Freundin
telegraphisch an das Landgericht in
Kiel zu melden; hans Eisdecke erklärte
sich bereit, die Depesche auszugeben; ·r
übernahm auch den Austrag der jun
gen Dame, ihr Gepäck nach dem näch
sten Gasthofe zu dringen. hani mußte
sich, so sehr er sich anfangs sträuben
wollte, von der Fremden mit den nöthi
en Mitteln versehen lassen, dann in
get Eile war es ihm nicht möalich ge
wesen, sich seine kleinen Ersparnisse
aus seiner Kleiderliste zu holen.
Der jungen Künstlerin die alsbald
den Weg ru Karl-is Vater antra
W
wurde dte er Gang recht schwer. Die
unerquickl Steue, deren Karla vor
GödectesO ten Erwähnung gethan,
hatte in dem unliebenswiirdigen Em
pfang bestanden, den der Admiral so
wohl als Macdonald der trostbediirfti
gen Braut Ewald in Berlin bereiteti
hatten. Dagmar war dabei nicht eins ;
mal mehr mit dem Plan umgegangen, I
längeren Aufenthalt in Berlin zu neh- i
men. Sie wollte schon am zweiten oder
dritten Tag wieder in ihre heimath zu
rück.’Trotzdem trugen die beiden Her
ren eine schroff ablehnende haltung
gegen die Bildhauerin geflissentlich zur
Schau.
Als Dagmar das von Karla be
zeichnete Haus betrat, nahm sie sich fest
vor, Herrn von der Tann die erforder
lichen Mittheilungen nur in streng ge
schäftlichem Tone zu machen. Einem
Auftritt, wie er in Berlin stattgefun
den, wollte sie sich kein zweites Mal
aussetzen.
Doch die Aufwärterin des Pensio
nats erllärte der Aniommenden, daß
Herr von der Tann schon frühzeitig
mit Hern Macdonald zursammen zum
Angeln nach der Jnsel Tjömö gefahren
sei. Da die Frühstückszeit nahe war,
seien die Herren aber jeden Augenblick
zurückzuerwarten.
Dagmar ließ sich also einstweilen in
Karlas Zimmer führen, wo sie am
Fenster Platz nahm und das herrliche
Fiordbild bewunderte, das sich ihrem
Blick darbot.
Der Hafen von Tönsberg war in !
südlicher Richtung, nach den Inseln
Nötterö und Tjömö hin, von Fahrzeu
gen starl belebt. Dagmar erinnerte sich,
davon gehört zu haben, daß Tönsberg
die Heimath kühner Seefahrer sei, die s
von hier aus auf den Walfisch- und!
Robbenfang in das Eismeer geheiJ
Das Bild der Stadt hatte ein sehr;
charakteristisches Gepräge: gilt doch J
Tönsberg fiir die älteste Stadt Not-«
wegens. Der verwitterte Thurm, der
von der Jnnenstadt zu Dagmar her
übergriißte, stammte sogar aus derZeit i
Harald Harfagers
Es war eine Viertelstunde vergan
gen, als Dagmar Schritte auf dem
Corridor vernahm. Sie hörte die
Stimme Macdonalds, der sich von sei
nem Begleiter soeben mit den Worten
trennte: »Laß dich nicht stören, Väter
chen; ich werde die Person selbst abset
tigen —- gewiß eine Bittstellerin oder
etwas ähnliches! Ueberlege dir inzwi
schen unseren Plan. Frisch gewagt ist
halb gewonnen. Wenn du zustimmst,
schwimmen wir schon heute Abend am
Bord des »Polarstern" dem Norden zu
Dagmar vernahm weiter, daß Herr
von der Tann ein paar matte Beden- »
ten äußerte, im ganzen aber Macdo-i
nald zustimmte. I
Hastig eilte sie zur Thür, trat auf;
den Corridor hinaus und rief dem al- J
ten Herrn zu: »Ich habe mit Jhnen
selbst zu sprechen, Herr Admiral; ichs
ließ mich durch die Aufwärter-in Jhnen
melden, nicht Herrn Macdonald.« «
Der alte Seemann sah sie erstaunt
an. »Wie kommen Sie hierher —- zu
meinerTochter, John Churchill, warum J
sagtest du mir nicht«-« i
»Aiimmere dich nicht weiter um die
Sache, Papa!« sagte Macdonald in ge
zwungen leichtem Tone, ihm das Wort
abschneidend, »ich werde dir schon mit
theilen-—«
»Ich bestehe darauf, Sie selbst zut
sprechen, Herr von der Tann!« wieder- ?
holte Dagmar fest. »Ich hoffe. daß Sie !
sich in diesem Falle nicht wieder be-"
vormunden lassen werden!«
Die frischere Stimmung, die der alte
Seemann mit heimgebracht zu haben
schien, angeregt durch das auswan
ternde Gespräch und die tühnen Pläne
seines gewandten Begleiter-Z, war im
Nu verflogen.
»Ich erkläre Ihnen, mein Fräulein,
dasz ich mich von niemandem bevor
munden lasse!« erwiderte er gereizt.
»Und es liegt ganz in meinem Belieben,
darüber zu bestimmen, wen ich empfan
gen will und wen nicht! Da ich aber
nicht weiß, was mir nach unserer offe
nen Aussprache in Berlin noch mitein
ander zu verhandeln hätten, so verzichte
ich auf die Unterredung.«
»Auch wenn ich im Auftrag Jhrer
Tochter tomme«.8«
»Karla kann direkt mit mir unter
handeln.«
Der Admiral wandte sich kurz ab
und wollte in sein Zimmer «eintreten.
Dagmar fah, daß es in den Zügen
Macdonalds triumphirend aufleuch
« tete.
»Und was unsere Reise betrifft«,
richtete der alte Herr erregt nochmals
an diesen das Wort, »so bin ich jetzt
völlig mit allem einverstanden. Ueber
nirnm die Regelung der Geschäfte hier
im Gasthofe und bestelle noch in dieser
Stunde die Plätze zur Nordlandsfahri.
Am Kap wird man dann vielleicht doch
endlich ungestört sein von diesen —— an
hänglichen Besuchern !«
Die junge Künstlerin, die sich so auf
dem Flur abgefertigt sah, preßte die
Lippen in ihrer Empörung fest aufein
ander, und Thränen des Zornes und
der Scham traten ihr in die Augen·
Doch noch einen letzten Versuch wollte
sie machen.
«Jhre Tochter tann aus detnGrunde
nicht rntt Ihnen direkt unterhandeln,
here von der Tann, weil sie nicht mehr
in Töniberg anwesend ist.«
Der Admiral wandte steh rasch nach
ihr um« »So? Und davon sollte ich erst
durch Sie erfahren L« -
Dagrnar war durch den charsen,
Phnischen Ton tief verlest S e wollte
est das Gespräch endgültig abbrechen;
da in diesem Augenblick aber assis
decke den Flur betrat. sagte noch
tue-: Dieser Landsmann von Ihnen
W
wtrv Z en vielleicht etn angenehmerer i
Bote I n. Jch erkläre mich jetzt aller- ;
dingö außer stande, meinen Auftrrgl
auszusiihren.« ?
Der deutsche Matrose war verwuns ;
dert stehengeblieben, als er gleich bei.
seinem Eintritt ins haus die wenigs
erquickliche Auseinandersetzung ver- l
nahm. i
»Berichten Sie dem Herrn Admi
ral!" sagte Dagmar zu ihm. »Mir ist i
es unmöglich!« ?
Hans hatte die Mienen der dreit
Leute scharf gemustert. Herr von der ;
Tann war ihm schon von dem Gemälde ;
her bekannt, das in der Wohnung fei- -
nes Herrn gebanan hatte; aber mit
Macdonald erging es ihm ähnlich wie
mit Dagmar: er entsannt .ich, ihn schon
einmal gesehen zu haben, wußte aber
nicht, wann und wo. Eine Täuschung
war ausgeschlossen, denn Macdonalds
Erscheinung war zu auffallend; auch
stimmte der blonde Vollbart und der
Ausdruck seines Gesichts volltommen
mit dem Bilde überein, das nun plötz
lich aus seiner Erinnerung aufmachte
Es war jetzt aber keine Zeit zum Nach
denken. Da Herr von der Tann deut-l
l
(
lich seine Ungeduld zur Schau
trug, sagte Hans turz ent
schlossen: ,,·’Ftäulein von der Tann
ist vor kaum einer halben Stunde am
Bord des ..-tiutland« nach Deutschland
zurückgereis .«
,,Wie?« rief der Admiral zornig.
»Meine Tochter wagt es ——« er sah sich
rollenden Auges um.
Auch MacdonaldsAusdruck wechselte
jäh. Entsetzen und Schreck entstellten
seine Züge· »Noch — nach Deutschland, .
sagen Sie? Etwa gar nach Stiel«—«
Er stockte. Seine Blicke forschten in
den Mienen der beiden Fremden
»Noch Meil« gab der Matrose zu- ’
rück. »Sie hat die erste Gelegenheit be- i
nutzt, um den wiederholten LadungenE
des Untersuchunggrichterg endlichFolge T
zu geben« !
»Den wiederholten Ladungen-« :
fragte der Admiral stockend. »John
Churchill, sagtest du mir nicht, daß das ;
Gericht auf unsere Anfrage hin geant
wortet hat: jede weitere Vernehmung
, sei überflüssig, da Vollratb Sendlin-i
i get auf Grund des von ihm beigeschaff- H
i ten Alibibeweises aus der Haft entsi
’ lassen sei?« T
Hans Gödecle lachte trotzig aus«
»Das hat Jhnen dieser Herr da er
zählt?« fragte er, Macdonald von oben
bis unten messend. »Nun wohl, so hat
er gelogen!'«
Ein zorniges Durcheinander erhob
sich. Da der Austritt Publikum aus
dem Gesindezimmer herbeigezogen
hatte, so hielt es Herr von der Tann
nun endlich für gerathen, in Karlas
Zimmer einzutreten.
Als Dagmar und Hans ihm folgen
wollten, raunte Macdonald den beiden
zu: »Aber so begreifen Sie doch-Uns
Schonung für den alten Herrn habe
ich die aufregende Sache vertuscht! Ha
ben Sie Erbarmen mit ihm, er ist net
ventrantl Wollen Sie den Tod des al
ten Mannes?«
-
Der Matrose trug seine Abneigung
gegen das gleißnerische, verlogene We
sen des Schotten deutlich genug zur
Schau. Er blickte ihm drohend in die
Augen, während er sein Hirn mit der
Frage immerzu zermarterte, wo und
wann es gewesen sein möge, daß er die
sen hochngthigen und dabei doch so un
ruhigen licl zum erstenmal gesehen
hatte. Kurz bedeutete er Daginar, ihm
voranzugehen. Zugleich mitMacdonald
folgte er ibr dann in Karlas Zimmer,
dessen Thiir geschlossen wurde.
Der Admiral hatte sich an den klei
nen Arbeitstisch, der sich am Fenster be
fand, gestellt und sagte nun in hartem.
gezwungenem Tone: Ach habe Sie
nach dem Vorangegangenen nunmehr
zu bitten, daß Sie mir rückbaltslos sa
gen, was Sie über diesen Fall wissen-«
»Aber Papa«, seyte Macdonald ha
stig ein, »du wirst doch nicht im Ernst
hier so eine Art von Untersuchung ein
setzen wollen« wie?«
«Lasz diese Leute reden! Sie haben
mich in dir mitbeleidigt! Und sie wer
den sich hüten müssen vor meinemZorn.
wenn sie dir Unehrenhastes in die
Schuhe schieben!«
»Lassen wir diese Phrasen!« sagte
Dagmar mit gezwungener Ruhe. »Herr
v. Macdonald wird es bei seiner glän
zenden Rednergabe ja doch dahin brin
gen, Sie glauben zu machen, daß erSie
nur vor Aufregungen schonen wollte,
indem er alles unterschlug, was Sie
aus den wahren Gang der Untersu
chung hingeleitet hätte! Was er damit
bezweckte, liegt aus der Hand — er
wollte Sendlingerö Untergang. Karla
hat es sofort geahnt, wag ihr uner
iniidlicher Werber erhofste: er nahm
an, daß sein Nebenbuhler in ohnmäch
tiger Verzweiflung seinem verpfuschten
Dasein ein Ende machen werde. Ja,
darauf speiulirte er —— eine andere Er
llärung scheint mir’s nicht zu geben!«
Höhnisch lachte Macdonald auf.
,,Wirst du diesem Mädchen Glauben
schenken?« sra te er den Admiral, des
sen funtelnde licke bald ihn, bald die
beiden Anlliiger streiften.
»Sage, John Thurchhill«, versetzte
der alte here tiesaufatbmend, »trotzdem
du mußtest, daßSend · ger sich noch in
hast befindet, und weder Schuld
noch Unschuld klar bewiesen ist« woll
test du mich iiberre ist-Fahrt nach
dem Kap zu unterne men, so daß die
in Mel unser harrenden Richter aber
mals wochenlan ohne jede Kunde von
uns bleiben mu teni«
«Ja denn, wenn du’s wissen willst,«
brach nun Mardonald un eduldi los;
,tch beabsichtigte, dich mit m e "rm
liches see-eß nicht tät-act tu bei-elli
W
en, da ich wußte, tote sehr detne Sze
undhett unter den mannigfachen l-:
schütterungen schon elitten·hat.
»Daß du mir den od meiner armen
Schwester Asta verschwiegen hast, habe
ich dir vergeben —- wenn auch schweren
Herzens —- denn dort tonnte ich nicht
mehr helfen; es war ja auch kein trost
bediirstiger Angehöriger da als ich
selbst! Aber hier handelte es sich um
eine strenge Forderung der Gerechtig
keit! Dem Gesetz gegenüber war ich ver
pflichtet, aus den Ruf zu horen, und-es
ist mir unerklärlich, wie du es fertig
bringen konntest, mich in den Augen
der Richter so bloßzustellenl Was soll
das Gericht nur von mir denken?« »Es
wird annehmen, daß es auch in kaem
Willen gelegen hat, Sendlinger zu ver
derben!« sagte Dagmar bestimmt.
»Denn indem Sie Karla jede Verbin
dung mit der Heimath abgeschnitten
oder duldeten, daß Herr v. Macdonald
Sie und Jhr Kind in dieser Weise be
vormundete, war dem unglücklichen
Verlobten Karkas die einzige Entla
stungszeugin genommen worden!«
»Karla —- meine Tochter, sollte den
Beweis in Händen halten, dasz jener
Sendlinger unschuldig ist?"
Dagmar bejahte ernst. »Sie hat den
unschuldig Angeklagten von dem Au
genblick an, wo sie gemeinsam das Fest
an jenem Abend verließen, bis zu der
Secunde, in der sie Ewald trafen, nicht
verlassen und ist jetzt, endlich nach Riel
s«
gereist, um den Geliebten tu retten·
,,Sendlinger wäre unschuldig?«
sagte der Admiral tonlvs. »Nun, und
aus wen fällt denn jetzt der Verdacht?
Nimmt man etwa die Anklage gegen
den Zahlmeister wieder aus?«
»Wenn wirklich kein Unglückssall
vorliegen sollte,« ergriff Hang Gödecte
das Wort, »so wäre nach einem neuen
Schuldigen zu forschen, denn einstim
mig hat das Kriegsgericht den Zahl
meister Scheuermann freigesprochen!«
Herr von der Tann preßte die Hände
an seine Schläsen. »Ich vermag nicht
mehr zu denken -—— dieser Wust ver
wirrt, erdrückt mich!"
Der Matrose hatte, während cr
sprach, den Nebenbuhler Sendlingers
immer schärfer und drohender gemu
stert. »Ja, wirr und dunkel ist dieser
unheimliche Fall. Aber ich habe den
noch den festen Glauben an die Gerech
tigkeit des Himmels, daß der wahre
Schuldige sich verrathen mus; — sich
selbst vielleicht, und gerade durch die
Art, wie er der Entdeckung seiner
schmachwiirdigen That auszuweichen
sucht. — Herr Admiral, folgen wirJi,s
rer Tochter mit dem nächsten Schiff
wir alle vier —-— und hören wir, wel
chen Verdacht der Staatsanwalt nun
äußern wird!«
Macdonald sagte mit einem spötti
schen Lächeln: «Glauben Sie, daß die
Staatsanwälte nicht auch einer Be
hörde verantwortlich sind für die Ver
dächtigungen, die sie erheben?'«
»Da schon zwei Unschuldige der
Mordthat angeklagt waren, so könnte
die Behörde ja vielleicht den Versuch
machen, sich von jedem, der mit meinem
armen Herrn in Verbindung gestanden
hat, einen Alibitxweis beibringen zu
lassen!«
Der Admiral schüttelte hestig det
Kopf- »Wo soll«-» hinaus mit dieser
Rindereien?"
Hans Gödecle richtete sich hoch auf
Er ließ seine durchbohrenden Blicke
leine Sekunde von dem bleich geworde
nen Antlitz Macdonaldg. »Wenn die
Staatsanwaltschast nun zum Beispiel
auf den Gedanken käme, einen anderen
Bewerber um die Gunst des Fräuleins
von der Tann als den muthmaßlichen
Mörder Meerheiinbs zu bezeichnen?
Wenn sie zum Beispiel Sie, Herr v.
Macdonald, aussorderte, tich zu ver
antworten? Denn wie ich aus den
Arten ersehen habe, hat Jhnen Herr
von der Tann doch am Morgen des 20.
Februar die Mittheilung gemacht, dasz
seine Tochter sich am nächsten Abend
mit Ewald o. Meerheimb verloben sol
le. Und ist es denn nicht wahr, was
mir in iiiel erzählt wurde, daß Sie
früher einmal selbst Ansprüche ans die,
Hand des Fräuleins gehabt haben’5«
«Genug jetzt mit diesen sinnlosen
Verdächtigungen!« donnerte der Admi
ral, mit dein Fuß ausstatnpfend.
. »Wenn Herr v. Macdonald gegen mich
gefehlt hat, so giebt es Ihnen noch
» lange tein Recht, ihn zu beschimpfen!
Uebrigens kann auch nicht der Schat
ten eines Verdacht-Z meinen Freund
treffen, denn er ist erst in der Frühe
des 21. ebruar in Kiel eingetroffen!«
Der tatrose starrte den großen,
majestätischen John Churchill v. Mar
donald, der mit einem verdächtigen,
aber etwas irren Lächeln aus ihn nie
dersah, noch immer mit brennenden
Blicken an. »Ist das wahr, Herr-«
fragte er nun in heiserem Tone den
langsam vor ihm Zurückweichenden.
»Ich sollte Sie wirllich in dieser
Stunde zum erstenmal gesehen haben?
Entsinnen Sie sich meiner denn wirt
lich nicht —-- des Burschen vorn Lieute
nant v. Meerheimb?«
Die beiden anderen musterten das
Paar mit gespannten Blicken. Hans
Gödeele war dicht an den Hünen her
angetreten. Macdonald tastete mit den
Händen hinter sich. Plötzlich hielt er sich
an einem Sessel fest. Noch immer
schwebte aus seinen Zügen jenes irre
Lächeln; aber sein Antlitz war aschsahl
geworden.
«Jch —- lenne Sie nicht!' sagte ek
gepre t.
» I ist dir nur, ohn Thurchill?«
ries der Udtniral plö lich etwas be
sorgt. «
KLEMM-la solsy