Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 24, 1897, Sonntags-Blatt., Image 15

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    Ereytokti Monds
Roman von Josef TWUM
(11. Fortsetungd
»Es ist sehr unvorsichtig von der
Vorsteherin, einen solchen Lehrer für
eine Schule voll romantischer Mädchen
zu halten; er ist hübsch genug, um je
dem weiblichen Wesen den Kopf zu
verdrehen.«
Ethel lehnte sich zurück und erheu
chelte ein gleichgiltiges Gähnen. »Ich
kann eigentlich hübsche Männer nicht
leiden« Großman sagte sie möglichst
unbefangen, »Schönheit ist eine Gabe,
die ausschließlich dem weiblichen Ge
schlecht vorbehalten sein sollte. —- Sage
niir doch,« fuhr sie fort, indem sie mit
verdächtiger Hast zu einem anderen
Gegenstand überging, »erwartet uns
Tante Pamela in Greylocl Woods ?
hatte sie tein Verlangen, mit Dir zu
kommen, um mich abzuholen?«
»Beide Fragen beantworte ich mit
Ja; ihr Gesundheitszustand verbot es
ihr, mich zu begleiten, ihr neuer Arzt
protestirte gegen die Neise.«
»Ihr neuer Arzt? Wo ist Doctor
Jarvis?«
»Er starb schon vor mehreren Mo
naten. Ein junger Mediziner aus
New York, ein gewisser Doktor Richard
Vandine, hat seinen Platz in Blackport
eingenommen.«
»Ein junger Arzt? Oh, das ist ja
prächtig, da habe ich Jemanden zur
Unterhaltung!« rief Ethel; ,,ift Tante
Pamela ihm gewogen ?«
»So sehr, daß sie ohne seinen Rath
gar nicht eristiren kann; er darf sich
liictlich schätzen, daß er gleich beim
eginn seiner Laufbahn eine solche
Patientin erhielt.«
»Dies- ist mir auch um Tante Pa
melas willen sehr lieb, Großpapa,«
sprach Ethel. »Ich werde ihn sofort zu
meinem Sklaven machen,« fügte sie
scherzend hinzu. Und nun begann sie«
den Alten mit Fragen über die alte
Hopiins« die Dienerfchaft, die Hunde,
die Pfauen, lurzum über alle lebenden
und leblosen Dinge zu Greyloct Woods
zu bestiirmen. »Ich glaube zwar, ich
habe schon vor drei Tagen nach allen
diesen Dingen gefragt,« fuhr sie fort ;
»allein ich weiß nicht wie es kommt,
ich muß immer und immer wieder fra
gen. Und dann Mama -—— fast hätte
ich sie vergessen —- ist sie von Europa
zurückgekehrt; ist sie wieder in der Ro
sen-Villa?'«
Die Stirn des alten Herrn um
wöllie sich, wie es stetg der Fall war,
wenn seine Schwiegertochter erwähnt
wurde. »Nein«« antwortete er; »das
haus ist geschlossen; sie ist noch im
Ausland; ich weiß nicht« wo sie ist;
- ich stehe in keinem Briefwechsel mit
ihr.«
»Sie schrieb mir zwei oder drei
Mal das Jahr," sagte Erhel; ,,ihr letz
ter Brief war von einer Stadt in Ti- .
rol, wo sie die Bäder für ihr verletztes
Bein gebrauchte; sie schien teine Hoff
nung auf Wiederherstellung zu hegen ;
sie schrieb, sie habe ganz Europa durch
reist und leine Linderung gefunden-«
Greylock zuckte die Achseln. Seit er
die Sorge für seine Enkelin übernom
men, war es sein Bestreben gewesen«
Mutter und Tochter von einander ge
trennt zu halten« und da leine von Bei
den sich nach dem Umgang mit der An
deren zu sehnen schien, so war ihm die
Lösung dieser Aufgabe nicht eben
schwer geworden.
Iris hatte ern fchones Einkommen.
Das Leben einer Einsiedlerin war
nicht nach ihrem Geschmack gewesen; sie
war auf Reisen gegangen nnd sehnte
sich nicht in ihr Gefängniß, wie sie die
Rosen-Van nannte, zuriici. s
So war denn die kleine Ethel zur
Jungfrau herangewachsen, ohne viel
von ihrer Mutter gesehen zu haben.
Von der Geschichte der Letzteren wußte
sie so viel wie Godfreh Greylock und
nicht mehr. Ethel liebte ihre Tante
Pamela und thrannisirte sie; sie fürch
tete ihren Großvater und verehrte ihn
zugleich. Jn ihren Augen war er der
vortrefflichfte, der edelste Mann. Daß
er Jris Grehlock mied und sie nicht lei
den mochte, daß er sie auf alle erdenk
liche Weise von ihrer Tochter fern zu
halten suchte, bereitete der Tochter
nicht den geringsten Kummer, da ihre
Liebe zu der Mutter nur fehr lauer
Art war. -
Der Wagen hatte die Eisenbahnsta
tion erreicht und die Reise wurde so
gleich fortgesetzt. Unter lebhafter Un
terhaltung fuhren Ethel und ihrGrofz
vater in dem luxuriösen Salonwagen
dem fernen Blackport zu und sahen
durch das Fenfter den Regen herab
strömen und den Abend herannahen.
Das Mädchen hatte etwas entdeckt,
was Niemand, selbst die längst verstor
bene Gattin des ehemaligen Bankiers
nicht zu entdecken vermocht hatte, näm
lich den Weg zu Godfreys Herzen. Jhr
einfacher Reise-Anzug schien ihre au
ßerordentliche Schönheit zu voller Gel
tung zu bringen, und die sonst so lal
ten und gleichgiltigen Augen des alten
Mannes ruhten mit zärtlicher Liebe «
und Bewunderung auf ihr, wie sie in
ungezwungener Haltung und voll der
natürlichften Anmuth ihm gegenüber
a .
s seJVies war die schönste Blume, die
je auf dem Stamme der Grehlocks ge
bliiht hatte, Und eine Zukunft stand
ihr bevor, die ihrere Schönheit würdig
war. Er hatte Vieles für fie geplant
—- ihre Verheirathung mit dem Ver
wandten sollte neuen Glanz über den
Namen Greylock ergießen. Er zweifelte
seinen Augenblick daran, daß sie dein
Titel »Ladh Greyloct« in dem alten
Stammsitz der Familie, drüben über
dem Meere, Ehre machen würde.
Es war spät geworden, als die bei
den Reisenden den Bahnhof von
Blackport erreichten. Die Epuipage
von Greylock Woods wartete bereits
auf sie, und in wenigen Augenblicken
waren sie auf dem Wege nach dem
Herrenhause.
Die Veränderungen, von der alle
Dinge früher oder später betroffen
werden, hatte auch Blackport endlich
heimgesucht. Seit jener Nacht, in der
die kleine, wilde Hummel als angela
dener Gast erschienen war, um bei ih
rem Großvater zu speisen, hatte ein
großer Umschwung stattgefunden. Die
Sommerfrischler waren wie eine Ar
mee mit fliegenden Bannern über das
alte Städtchen hergefallen und hatten
«es in Besitz genommen. Phantastische
Villen waren allenthalben am Strande
und auf den Felsenhiigeln wie Pilze
emporgeschossen, hübsche Equipagen
rollten durch die einst so schläfrigen
Straßen, schmucke Kausläden zierten
jede Straßeneckr. Nur zwei Plätze
hatten dem Anprall der Neuerung wi
derstanden, Pooles Gasthof und-Gren
locl Woods. Die Capricen der Som
merfrischler, die Jnvasion eines gan
zen Heeres von Vergnügungssiichtigen
und Erholungsbediirftigen, die An
tunft und Abfahrt der Excursions
dampser und Bahnziige vermochten in
keiner Weise den Gleichmuth dieser
beiden so sehr verschiedenen und doch
gleich conservativen Häuser zu er
schüttern.
Godfreh Grehlock und seine Enkelin
fuhren unter den Tannen- und Ka
stanienbäumen die Hauptallee hinauf «
und hielten endlich vor der Thür des
Hauses. Einen Augenblick darauf stand
Ethel in dem hell erleuchteten Salon,
von den Armen ihrer Großtante um
schlossen, die sich vom Sopha erhoben
hatte, um das geliebte Kind zu bewill
tommnen.
»Mein theukes nimm rief Miß Pa- T
mela, »so bist Du denn endlich zu uns
zurückgekehrt! Jch bin herzlich froh,’
daß Niemand in der Rosen-Van ist,
der uns unsere Ansprüche auf Dich
streitig machen könnte. Wie schön Du
bist! Du bist ja seit den Weihnacht5
feiertagen noch viel reizender gewor
den! Das Herz blutete mir, da ich
Godfrey nicht begleiten durfte, um Dich
abzuholen, allein Doktor Vandine
hatte es mir verboten; er glaubte, daß
die Reise zu anstrengend für mich sein
würde.«
»Pamela! Vergiß nicht, daß wir
hungrig und müde sind,« unterbrach
Godfrey den Redestrorn seiner Schwe
ster; »gestatte uns nur, daß wir uns
von dem Staub der Reise saubern, und
dann lass’ uns speisen; nachher tannst
Du nach Herzenslust mit der Kleinen
plaudern."
Ethel begab sich nach einer Reihe
von Zimmern, die ihr Großvater siir
sie hatte neu möbliren lassen, und
machte Toilette; sie warf einen flüchti
gen Blick auf all’ die Pracht und Herr
lichleit um sie her und seufzte tief auf.
»Was fiir eine Treibhauspflanze
Großpapa aus mir machen möchte !«
sagte sie, »und wie sehr mein Herz an
all’ diesem Luxus hängt! Werde ich
Selbstverleugnung genug besitzen, das
Weib eines Mannes zu werden, der
für sein tägliches Brod zu arbeiten
hat ?«
Alg sie ihre Toilette beendigt hatte,
begab sie sich hinab, um mit ihrem
Großvater und mit Tante Painela zu
speisen. Um ihre Lippen spielte ein
Lächeln; ihr Herz aber war von einer
schweren Last niedergedrückt
Als die Mahlzeit vorüber war und
Miß Paniela sich nach ihrem Zimmer
begeben hatte, begann Godfreh Gren
lock von dem Geenstand zu sprechen,
mit dem sein Geist sich fortwährend
beschäftigte. ,,Ethel,« sagte er, »Du
weißt —-- denn ich habe schon früher
mit Dir über diese Angelegenheit gere
det —, wie sehr mir Deine Bemüh
lung mit Gervase Grehlock am Herzen
liegt; jahrelang war dies mein höch
ster Wunsch. Schon vor langer Zeit
schlug ich dem Baronet diese Verbin
dung vor, und er hatte nichts dagegen
einzuwenden; im Gegentheil, er er
klärte sich bereit, aus alle meine Wün
sche einzugehen."
,.Sehr gütig von ihm,« murmelte
Ethel, indem sie mit einem Anflug von
Unmuth den Kopf zurückwarf.
»Sie Gervase ist jung und hübsch ;
er hat einen alten Adelstitelz Du bist
jung und mehr als hübsch, Ethel, und
Dui besitzest ein großes Vermögen;
nichts könnte passender sein, als eine
solche Heirath«
Er schien auf eine Antwort zu war
ten« allein Ethel blieb stumm.
Du verdienst etwas Besseres als
einen gewöhnlichen Mann zu Deinem
Gatten,« fuhr der Alte fort; »Du ver
dienst Rang und Würden, und die sol
len Dir zu Theil werden. Die Zeit
der Ersüllung meiner Wünsche naht
heran; Sir Gervase kommt von Eng
land herüber, um feine zutiinftige Ge
malin zu sehen und um sie zu freien«
Ethel schwieg noch immer.
Nach einer Pause fuhr Mr. Grehlock
fort: »Gestern erst erhielt ich vom
Baronet einen Brief, worin er mir
schreibt, daß er in den nächsten Tagen
von Liverpool abreisen werde; wir
lönnen ihn wohl sehr bald hier in
Blackport erwarten.'«
Ethel sah wohl ein, daß ihr Groß
vater eine Antwort von ihr erwarte ;
sie ermannte sich daher zu dem einen
Worte: ..Wirtlich?«
Mr. Grenlock blickte seine Enkelin
mit grossen Auaen an und saate dann
»Sir Gervase soll es begreifen — und
ich glaube, ich habe es ihm deutlich ge
nug zu verstehen gegeben —- dafz ich
ihm, indem ich ihm meine Enkelin zur
Gattin gebe, mehr Ehre erweise, als er
mir durch das Eingehen auf meinen
Plan erweisen kann. Du und ich sind
ebenfalls Grehlocksz daß er den Adels
titel der Familie besitzt, ist einfach ein
Zufall der Geburt.«
,»,Ja, Großpapa,'« antwortete EtheL
»Ich halte den Baronet für einen
prächtigen Menschen, einen passenden
Lebensgefährten sürDich, in jeder Hin
sicht würdig, Dein lünftiges Geschick
zu leiten. Jn Deiner Verheirathung
mit ihm werde ich endlich einen Trost
für den Kummer finden, den Deines
Vaters Heirath mir einst bereitete.
Sicherlich brauche ich dem Kinde, das
mich liebt und das Beweise genug von
meiner Liebe hat, nichts weiter zu sa
gen. Und nun, Ethel, begib Dich zur
Ruhe; Du siehst bleich und müde aus
und bedarfst der Erholung.«
Sie küßte ihn mit eislalien Lippen
und begab sich dann nach ihremSchlaf
gemach. Um ihrem gepreßten Herzen
Luft zu machen, slüsterte sie auf dem
Wege var sich hin: »Oh, wenn Groß
papa doch nur wüßte, wie unmöglich
es für mich ist, seine Wünsche zu er
füllen; es wird ihm das Herz brechen,
wenn er es erfährt; er wird mich ver
stoßen, wie er meinen Vater verstieß!«
16. Capitel.
,,Großpapas Geschmack ist in allen
Dingen englisch,« sagte Ethel, während
sie sich in einem ländlichen Armstuhl
zurücklehnte und ihre schönen Augen
über die Nasenpliitze und Gärten von
Grehlock Woods hinwandern ließ; sei
ner Ansicht nach ist nichts, wie es sein
soll, wenn es nicht im Geschmack der
britischen Aristolraten ist. Was den
ten 2Sie von all’ diesen Dingen, Doc
tar .« -
Der Angeredete stand neben dem
Stuhl des jungen Mädchens. Es war
der ehemalige Student Dick Vandine,
der schon vor einigen Jahren sein Doc
tor-Examen bestanden.
Es war fünf Uhr Nachmittags; der
schöne Pakt von Grehlvck Woods
schwärmte von eleganten Gästen, Da
men in den kostbarsten Kleidern und
Pariser Hüten, und Herren, die aus
sahen. als ob sie aus einer Modezeit-«
schrift ausgeschnitten worden wären.
Ballschlagen, Croquet und Bogenfchie
ßen bildeten die Hauptbelustigungen.
Auf dem Rasen war ein Tanzboden
errichtet worden und in einer Laube,
von blühenden Rebengewinden verbor
gen, saß ein Orchester. Gewandte Auf
wärter huschten mit Champagner und
anderen feinen Weinen hin und her.
An einem rings von Blumen umgebe
nen Bufset wurden Erfrifchungen in
’ Gestalt von Salaten und kaltem Ge
flügel, Gänfelebervasteten, Zungen
G·-«1--«-e, Charlotte Russe und anderen
bei solchen Gelegenheiten üblichen De
litatessen fervirt.
»Es ist himmlisch —- göttlich!«
stammelte Dr. Dick, ohne auch nur die
geringste Ahnung zu haben, was er
sagte.
Ethel lachteschallhash
»Sie sind ja ein sehr enthusiastischer
Bewunderer von Gartenpartien, Doc
tor: finden Sie auch Geschmack am
Ballschlagen, Croquet und Bogen
schießen-«
«utetn," antwortete er, tnoem er die
Enden seines rothen Schnurrbarteg
iiber die Winkel seines unschöneu
Mundes herabzog.
»Jn diesem Punkte haben wir den
gleichen Geschmack,« sagte Ethel lä
chelnd. »Schon in der Schule, wo das
Maß der Unterhaltungen uns knapp
zugetheilt war, haßte ich diese einfäl
tigen Spiele. Lieben Sie aus dettt
Grase ausgebreitete Matten, um ent
psindliche Füße vor Feuchtigteit zu be
wahren -— lieben Sie die Erzeugnisse
der französischen Küche, die unter den
Bäumen servirt werden, während man
sich weit bequemer drinnen an der Ta
fel niedersetzen könnte, wenn es nur
der dumme englische Geschmack er
laubte? —- Nein? —— Sie schwärmen
nicht siir solche Dinge? Nun, so nen
nen Sie um’6 Himmels willen unsere
Gartenpartie nicht himmlisch und
göttlich.«
Dick erröthete bis über die Ohren.
»Meine Worte lassen sich wenigstens
aus einige Gesichter hier anwettden,«
murmelte er vor sich hin, indem er
seine Blicke aus die Erbin von Gren
locl Woods heftete.
Er war auf Miß Pamelas Einla
dung zu dieser Gartenpartie gekom
men. Noch kaum eine Stunde war
verflossen, seit er Ethels Bekanntschaft
gemacht hatte, allein diese kurze Zeit
war vollständig hinreichend gewesen,
ihn zu ihrem willenlosen Sklaven zu
machen.
Sie trug ein reisendes Hütchen mit
einer wallenden Feder und ein blaues
Kleid; an ihrem Busen prangte ein
dustender Blumenstrauß; ihr zarter
Teirtt, ihr goldblondes, leicht geträu
seltes und geschmackroll arrangirteg
. Haar und ihre großen, dunkelblauen
Augen hatten Vandine völlig bezau
bert. Es schwindelte ihm, wie er so
in ihren Anblick versunken dastand.
Wiederholt wandte er sich von ihr ab,
doch nur um sich stets wieder zu ihr
zurückzuwenden und mit fortwährend
steigendem Staunen und Entzücken
aus diese malellose Schönheit zu star
ren. Ethel hatte Miß Pamelas jun
gen Arzt vollständig unter ihre herr
schast gebracht.
»Wie sich meine arme Tante in ihrer
Rolle als Wirthin abmüht!« sagte sie
endlich. ohne die lehte Bemerkung des
fjungen Arztes zu beachten. »Kennen
ISie viele von oen zeuren hier, Doc
i tor ?« -
»Nein,« antwortete er; ,,wie sollte
ich auch? Sie sind insgesammt reiche
Leute, und ich — nun, ich mußt die
Stufenleiter des Gliickes erst noch er
tlimmen.«
»Ist Blackport ein günstiger Ort
dazu?« fragte sie, indem sie nachlässig
s mit ihrem Fächer spielte.
» »Ich hoffe es,« erwiderte er heiter ;
; »aus alle Fälle habe ich in der Katzen
Herberge meinen Anker geworfen.«
»Jn der Katzen-Herberge?« wieder
holte Ethel Grehlock verwundert; »was
ist denn das für ein Platz?«
»Es ist der alte Gasthof, der früher
unter dem Namen ,,Povles Jnn« be
kannt war. Die Bewohner der Stadt
gaben ihm seinen neuen Namen, da
die Wirthin, Miß Mercy .Poole, eine
besondere Vorliebe für Katzen hat;
sie hält wohl ein volles Dutzend oder
noch mehr von diesen Vierfiißlern im
Haus«
»Nicht übel; ihr Geschmack beweist
deutlich, daß sie eine alte Jungfer is .«
»Die Leute von Blaclport erzählen
sich, daß sie in ihrer Jugend eine Lieb- !
schaft gehabt, die unglücklich geendet i
habe, und daß sie seit jener Zeit, und -
namentlich seit dem Tode ihres Va
ters, des alten Wirthes, sehr launen
haft geworden sei «
·h »Bitte, erzählen Sie mir mehr von
i r.«
»Ich wage es nicht zu versuchen,
denn um Merch Poole würdigen zu
können, muß man sie sehen «
»Und die Katzen?«
,,Dasselbe läßt sich von diesen sa
gen.«
»Ich werde Großpapa bitten, mich
morgen nach dem Gasthof zu bringen,«
sagte Ethel, indem sie nachdenklich auf
die Figuren ihres Fächers blickte; »ich
brenne vor Verlangen, die Bekannt
schaft dieser Katzen zu machen; in mei
ner Kindheit sah ich einst Merch Poole,
und ich erinnere mich ihrer noch sehr
wohl.«
Vom Westen her sandte die Sonne
warme Lichtfluthen durch die Bäume;
der Südwind säuselte sanft durch die
Blätter; buntgefiederte Vögel flatter
ien über die üppigen Rasenvläße hin,
auf denen Palmen und Aber-Stauden
prangten; frohes Gelächter erschallte
aus den Sommer-Pavillons und Ro
sen-Lauben, heitere Stimmen ließen
sich von allen Seiten vernehmen.
,,.5;)d«ren Sie!« sagte Ethel plötzlich,
»was spielt denn das Orchester da ?«
Eine eigenthiimliche, leidenschaftliche
Musik erklang durch die Lüfte. Die
Blätter der Bäume und Sträucher
rings umher schienen bei ihren wehmü
thigen Accorden zu vibriren. Zu seiner
größten Bestürzung wurde der Doktor
gewahr, daß der bemalte Fächer den
zarten Händen der Erbin entfallen
war. Sie lauschte mit gespannter Auf
merksamkeit auf die Musik, und heiße
Thränen rollten iiber ihre schönen
Wangen herab. Jn der Nähe ihres
Stuhles stand eineGruppe von Gästen.
Vandine hatte die Geistesgegenwart,
rasch zwischen diese und Ethel zu tre
ten, deren Aufregung sonst sicherlich be
merkt worden wäre.
Sie nictte ihm ihren Dank zu.
»Bliclen Sie mich nicht an,« bat sie
mit halb erstickter Stimme.
Er wandte sich von ihr ab; doch
fühlte er zu seinem Leidwesen, daß die
schöne Erbin von Greyloct Woods
einen geheimenstummer nähren mußte.
Sobald sie ihre Fassung wieder eini
germaßen erlangt hatte, wagte er es,
sie anzublieten
»Was war e5?« stammelte er verle
gen. »Die -—— die —— Musil?«
»Ja,« antwortete sie mit erzwinge
ner Heiterkeit. »Wie ich diese rühren
den Melodien hasse; man fühlt sich da
bei erregt, wie ein verliebtes Schul
mädchen!«
Dr. Vandine citirte halblaut die
Verse Tennyson"5:
»Sie sagte nur: der Tag ist schaurig;
Er tommt nicht, sagte sie,
Wie ist mein Herz so traurig, trau
«
klg —
»Verschonen Sie mich damit,« bat
sie ihn lächelnd; ,,derartige Poesie ist
nicht nach meinem Geschmack! Wahr
haftig, Doktor, Sie sollten Tante Pa
mela eine Matte bringen; sie steht nicht
gern aus dem Grase, und unter diesen
Bäumen ist der Rasen ganz feucht; sie
wird sich erkälten.«
Er war entlassen.
Jn demselben Moment näherte sich
Godsren Greylock dem Stuhle seiner
Enkelin.
»Wie? So traurig, liebe lithel?«
rief er, während der talte Blick, den er
dem Doctor zuwars, zu sagen schien:
»Warum vergeudest Du Deine Zeit mit
diesem unbedeutenden Menschen ?« Er
zog ihre Hand rasch durch seinen Arm
und sprach: ,,Ftoinm’, mein Rind, das
geht nicht an, Du wirst von unsern
Gästen Vermißt.« Jm nächsten Augen
blick war er mit ihr verschwunden
Der Doktor hob eine der Matten
aus und begab sich damit zu Misz Pa
mela.
»Sie haben sich mit meiner Nichte
unterhalten".2« sagte die alte Dame,
während er die orientalische Matte un
ter ihren Füßen ausbreitete.
»Ja,« erwiderte Vandine.
Miß Painela war dem jungen Arzte
aufrichtig zugethan; sie hielt es daher
siir ihre Pflicht, ihm eine zeitige War
nung zu eriheilen.
»Jedermann hier ist von ihr ent
zückt,« sagte sie, »ich hoffe, Sie werden
dem Kinde den Kopf nicht verdrehen;
auch hoffe ich, daß tein thörichter
Schmetterling sich die Flügel an einem
Verbotenen Feuer verfengen wird. Es
ist zwar allgemein bekannt, daß Ethel
fchon so gut wie verlobt ist, mit einem
englischen Baronet, ebenfalls einem
Grehlock.«
Ja, es war bekannt. Vandine hatte
es schon vernommen; nichtsdeftoweni
ger ging ihm bei Miß Pamelas Wor
ten ein Stich durch’s Herz. »Es ist
jammerschade,« rief er aus, »daß der
Baronet keine Lebensgefährtin in sei
nem eigenen Lande finden kann. Be
trachten Sie alle jene Herren dort, die
sich um Miß Grehlock drängen; derGe
danke, daß sie bereits vergeben, ist sehr
hart für sie selbst und noch mehr für
die jungen Herren —- diese abscheuliche
englische Verlobung!«
»Ich selbst bin nicht für derartige
Verbindungen,« erwiderte Miß Pa
mela; »allein wir Greylocks sind halb
englisch, wie Sie wissen; mein Bruder
hat sich nun einmal die Sache in den
Kon gesetzt, er meint, daß sie dem Fa
milientitel zur Zierde gereichen werde.«
»Sie würde einem Thron zur ierde
gereichen!« rief der Doctor leiden chaft
lich aus.
Miß Pamela betrachtete den jungen
Mann mit besorgten Blicken.
»Ich fürchte, Doctor, daß Sie sich
hier schlecht amüsiren; wollen Sie nicht
am Ballspiel theilnehmen, oder sich
einer der Spielpartien auf der Piazza
anschließen? Es sind Dutzend-: von
prächtigen Mädchen unter meinen Gä
sten; soll ich Sie einigen vorstellen?
Vielleicht tanzen Sie gern; das Orche
ster beginnt eben einen Walzer zu
spielen.«
»Dante!« antwortete Dick traurig.
Wie konnte er, mit Ethels herrlicher
Gestalt vor Augen, an andere Mädchen
denken? Um seinen Frohsinn war es
geschehen. Sie war von jungen Män
nern förmlich umschwärmt und er sah
keine Möglichkeit, sich ihr zu nähern.
Jedermann machte ihr, wie einer Kö
nigin, den Hof; was hatte er noch zu
hoffen? Ethel selbst hatte ihn augen- s
scheinlich ganz und gar vergessen; sie l
hatte seinem Herzen eine tiefe Wunde
beigebracht und war dann, unbeküm
mert um seinen Schmerz, ihren Weg
weiter gewandelt. Miß Pamela konnte
sich als Wirthin nicht ausschließlich
mit ihm beschäftigen, und so fand sich
der Doktor bald allein unter Leuten,
an denen ihm nichts lag und die sich
nicht um ihn kümmerten. Er faßte
daher einen kühnen Entschluß und
schlug den Weg nach Hause ein, der
ihn an der Rosen-Villa dorbeibrachte.
Das Haus war schon seit einem
Jahre geschlossen; jetzt aber, als Dick
Idie hübsche Eremitage erreichte, ver
kündete das Oeffnen der Fensterläden
und das Hin- und Herhuschen der
Dienstboten, daß die Rückkehr der Her
rin der Villa jeden Augenblick zu er
warten war. Auf der rebenumrankten
Veranda stand ein Käfig mit dem grü
nen Papagei, den Miß Paniela einst
der kleinen Ethel zum Geschenk ge
macht hatte. Als Dr. Dirk vorüber
schritt, neigte der Vogel den Fion seit
wärts und rief mit heiserer Stimme:
»,,Wo ist Polth«
’ Bandine fuhr unwillkürlich zusam
men. Das Bild einer gewissen Pollh,
der geduldigen, vielgeprüften Polly,
tauchte plötzlich in seinem Geiste aus
und blickte ihn mit großen, dunklen
Augen an. Er zuckte die Achseln und
schritt weiter, doch bis- in den Schatten
des Gehölzes hinein Verfolgte ihn die
gellende Stimme des Vogels: »Polly
wartet! Pollh wartet!«
Endlich erreichte er einen Abhang.
Er warf sich auf das duftende Gras
und lauschte. Aus der Ferne drangen
die Klänge der Musik matt an sein
Ohr, eine Amsel sang auf einem Aste
über seinem Haupte und eine kleine
Schlange huschte pfeilschnell an ihm
vorüber durch das Gras. Lange Zeit
lag Dr. Diel, die Blicke zum Himmel
gerichtet, da, und dachte an das strah
lende Gesicht eines Mädchens mit gol
denen Haaren -— eines Mädchens, das
zu einer Fürstin geschaffen schien, und
aus dessen Beilchenaugen eine Fluth
von Thränen hervorbrach. Seine
Stunde war gekommen; sie hatte sein
Herz im Sturm erobert. Dick, der
arme Doctor von Blackport, war zum
ersten Mal in seinem Leben leiden-:
schastlich verliebt, und zwar in die
reiche Erbin, in die Enkelin jenes hoch
müthigen Godfrey Greylock!«
»Und was das Schlimmste an der
Geschichte is,« murmelte er vor sich
hin, ,,sie ist für einen Anderen be
stimmt. Der Henker hole den Englän
-der! Warum kann er nicht zu Hause
bleiben und sich aus der Aristokratie
seiner eigenen Jnsel eine Frau wäh
len? Jch wünschte, der Dampfer, auf
welchem er herüberlomnit, möchte ihn
llaftertief im Salztoasser begraben!
Beim Himmel, manche Menschen sind
doch gebotene Glückstinderl Um wen
aber weinte sie diesen Nachmittag?
Sicherlich nicht um den Baronet, einen
Mann, den sie nie gesehen hat. Jhre
Mutter hat sie seit Jahren nicht gese
ben; pflegen Mädchen von ihrem Alter
; um abwesende Mütter zu weinen? Bei
Gott, wie reizend sie ist! Schon der
»erste Blick verkündet, daß sie adeliges
iVIut in den Adern hat. Selbst wenn
i lein Baronet im Wege stände, hätte ich
i doch keine Aussicht sie zu gewinnen!«
. Jn den halb süßen, halb bitteren
i Träumen eines Liebenden Verloren, laq
I er noch lange unter den Bann-rn. wäh
rend der Tag dahinschwand «·-1d has
JZwielicht hereinbrach. E lich ak
;wahrte er, daß es rings un« ihn her
’ dunlel wurde: rasch sprang r-- auf und
schritt den Pfad bis zum Saume des
Gehölzes hinab. Dann sprang er über
eine niedrige Mauer und gelangte aq
diese Weise aus die Landstraße. z
Es war spät; in den«-Tatzen - Det
berge« mochten Patienten aus ihn war
ten. Blaclport war leider ein sehr ge
sunder Ort; dennoch wurden Dr. Diel
Dienste hie und da in Anspruch ge
nommen. Am westlichen Himmel et-l
glänzte dieMondsichel; die untergegans
gene Sonne hatte noch eine schwache
Röthe zurückgelassen, und da und dort
schwirrten einige Sumpsvögel durch
die Abendluft. Ob die Gäste Godsreh
Grchlocks bereits aufgebrochen waren,
er wußte es nicht; nirgends war eine
Spur von ihnen zu entdecken. Er stieg
den Hügel hinab und näherte sich den
Salzgruben.
Mit diesem Gebiete war nie eine
Veränderung vorgegangen; kein Som
merfrischler näherte sich i m; keine un
ternehmende Hand bemä tigte sich der
alten Gruben; nur die Schuppen, die
früher dagestanden, waren niedergeris
sen worden, unbekannte Hände hatten
einen großen Hausen Schutt auf dem
Fleck errichtet, auf dem Robert Gren
lock in jener verhängnißvollen Nacht
fein junges Leben ausgehaucht hatte.
Die Bewohner von Blackport mieden
den Platz; seit einiger Zeit war das
Geriicht im Umlauf, daß es dort spuke.
Seltsame Gestalten waren bei Nacht
hier gesehen, schauerliche Wehklagen
vernommen worden. Hieran wurde
Dr. Dick aus unc.ngenehme Weise er
innert, als er bei einer plötzlichen Wen
dung des Fußpfades dem Haufen sich
näherte und aus dessen Gipfel eine Ge
stalt sitzen sah, die eher das Aussehen
eines Gespenstes als eines menschlichen
Wesens hatte; es war eine große,
schwarze, regungslose Gestalt, die man
in einiger Entfernung fiir einen riesi
gen, auf Beute lauernden Raubvogel
halten konnte.
Obwohl Vandine ziemlich getäusch
voll heraniam, gab die Gestalt kein Le
benszeichen von sich. Der Kopf war
aus die Brust herabgesunken, die Arme
hingen schlaff an den Seiten nieder
und der Körper war vorniiber gebeugt
» Die Haltung schien Schmerz und
H Furcht auszudrücken. So furchtlos
) Vandine sonst war, vermochte er sich
doch beim Anblick dieser Gestalt eines
geheimen Schauders nicht zu erwehren.
" Er machte einige Schritte vor dem
l Hausen Halt Und rief: ,,Halloh!«
Keine Antwort; keine Bewegung.
»Halloh! Wer da?« rief er noch lau
ter als zuvor.
Mit einem heiseren Ausschrei sprang
die Gestalt von dem Steinhaufen her
ab, sie näherte sich dem nächtlichen
Wanderer und er sah, daß es eine
Frau war; noch einige Schritte weiter
und er wußte, wen er vor sich hatte
»Verzeihung, Miß Poole,« sagte er·
»ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt
Meiner Treu, ich konnte Sie in der
. Entfernung nicht erkennen!«
Merch Poole war vom Kopf bis zu
den Fiifzen schwarz gekleidet; sie trug
einen Mannshut auf ihren Haaren, die :
schon stark mit Grau untermischt wa
ren; ihr Gesicht war tief gesurcht unt
gerunzelt, doch mehr von inneren Käm
pfen als vom Alter. Es war noch im
mer ein schönes Antlitz,gleich dem einer
Zigeunersiirstin, mit düsterem, fast un
heimlichem Ausdruck. Als Vandine es
näher betrachtete, entdeckte er, daß es
jetzt aschsahl war.
»Da Sie ein Doktor sind, so verste
hen Sie sich wohl auf die Symptom(
des Schreckens,« antwortete Merctz
trocken; »ich will daher nicht leugnenl
das-, Sie mich erschreckt haben; ja, dir
Leute der Stadt meiden allerdings dir
alten Salzaruben bei Nacht. Die Nar
ren! Man sollte meinen, es sei an der
Zeit, daß der Gespensterglaube aus
sterbe.«
Dr. Dick war der Ansicht, daß dii
Sprechende selbst große Aehnlichkeit
mit einem Gespenst habe. Was hatte
die Wirthin der ,,Katzen - Herberge««
an diesem unheimlichen, öden Orte in
dieser Abendstunde zu thun? War sit
etwa selbst der Spuk, den die Leute von
Blackvort von Zeit zu Zeit auf dem
Schauplatz der alten Tragödie erblickt
hatten?
»Dies ist ein schlechter Platz unt
eine unpassende Zeit fiir eine derartige
Unterhaltung, Miß Poole,« sagte
Vandine, der die Geschichte von Robert
Greuloctg Tode längst schon vernom
men hatte; ,,er ruft unangenehme Er
innerungen wach. Als ich Sie zuerst
erblickte, sahen Sie aus wie ein großei
Habicht mit zerschmetterten Flügeln.·
Sie heftete ihre großen schwarzer
Augen eine Setuude lang scharf aus
ihn; dann senkte sie sie zur Erde. Dei
junge Arzt war schon seit mehrerer
Wochen ihr Gast, und in dieser Zei-.
war eg ihm gelungen, sich ihre Gunf
zu erwerben. »Ein Habicht mit zer.
schmetterten Flügeln!« rief sie lachend
,,kein iibler Vergleich! Vor Jahren,«
fuhr sie fort, indem sie sich mit tragi
scher Geberde auf die Brust schlug
,,kam ein Freund von mir an diesen
Punkte um’S Leben. Die dummer
Leute von Blaclport schwatzen vor
Geistern, die hier umgehen tollen
«Mein Gott! Wenn sie nur die Ding.
sehen könnten, die ich- hier sehe! Wem
ich sage, daß er uni’s Leben kam, s1
meine ich, daß er meuchlings ermordet
wie ein Wild niedergeschossen wurde
ohne Erbarmen, ohne ein Wort de
Warnung, in der Mitternachtsstunde
aus demselben Fleck, aus dem Sie jeß
stehen !«
Fortsetzung solgt.)
—Prattische Definition
A·: »Was istGlatteiö?« —- B.: »New
man plötzlich auf dem Rücken liegt unt
itt ganz posit«