Ereytokti Monds Roman von Josef TWUM (11. Fortsetungd »Es ist sehr unvorsichtig von der Vorsteherin, einen solchen Lehrer für eine Schule voll romantischer Mädchen zu halten; er ist hübsch genug, um je dem weiblichen Wesen den Kopf zu verdrehen.« Ethel lehnte sich zurück und erheu chelte ein gleichgiltiges Gähnen. »Ich kann eigentlich hübsche Männer nicht leiden« Großman sagte sie möglichst unbefangen, »Schönheit ist eine Gabe, die ausschließlich dem weiblichen Ge schlecht vorbehalten sein sollte. —- Sage niir doch,« fuhr sie fort, indem sie mit verdächtiger Hast zu einem anderen Gegenstand überging, »erwartet uns Tante Pamela in Greylocl Woods ? hatte sie tein Verlangen, mit Dir zu kommen, um mich abzuholen?« »Beide Fragen beantworte ich mit Ja; ihr Gesundheitszustand verbot es ihr, mich zu begleiten, ihr neuer Arzt protestirte gegen die Neise.« »Ihr neuer Arzt? Wo ist Doctor Jarvis?« »Er starb schon vor mehreren Mo naten. Ein junger Mediziner aus New York, ein gewisser Doktor Richard Vandine, hat seinen Platz in Blackport eingenommen.« »Ein junger Arzt? Oh, das ist ja prächtig, da habe ich Jemanden zur Unterhaltung!« rief Ethel; ,,ift Tante Pamela ihm gewogen ?« »So sehr, daß sie ohne seinen Rath gar nicht eristiren kann; er darf sich liictlich schätzen, daß er gleich beim eginn seiner Laufbahn eine solche Patientin erhielt.« »Dies- ist mir auch um Tante Pa melas willen sehr lieb, Großpapa,« sprach Ethel. »Ich werde ihn sofort zu meinem Sklaven machen,« fügte sie scherzend hinzu. Und nun begann sie« den Alten mit Fragen über die alte Hopiins« die Dienerfchaft, die Hunde, die Pfauen, lurzum über alle lebenden und leblosen Dinge zu Greyloct Woods zu bestiirmen. »Ich glaube zwar, ich habe schon vor drei Tagen nach allen diesen Dingen gefragt,« fuhr sie fort ; »allein ich weiß nicht wie es kommt, ich muß immer und immer wieder fra gen. Und dann Mama -—— fast hätte ich sie vergessen —- ist sie von Europa zurückgekehrt; ist sie wieder in der Ro sen-Villa?'« Die Stirn des alten Herrn um wöllie sich, wie es stetg der Fall war, wenn seine Schwiegertochter erwähnt wurde. »Nein«« antwortete er; »das haus ist geschlossen; sie ist noch im Ausland; ich weiß nicht« wo sie ist; - ich stehe in keinem Briefwechsel mit ihr.« »Sie schrieb mir zwei oder drei Mal das Jahr," sagte Erhel; ,,ihr letz ter Brief war von einer Stadt in Ti- . rol, wo sie die Bäder für ihr verletztes Bein gebrauchte; sie schien teine Hoff nung auf Wiederherstellung zu hegen ; sie schrieb, sie habe ganz Europa durch reist und leine Linderung gefunden-« Greylock zuckte die Achseln. Seit er die Sorge für seine Enkelin übernom men, war es sein Bestreben gewesen« Mutter und Tochter von einander ge trennt zu halten« und da leine von Bei den sich nach dem Umgang mit der An deren zu sehnen schien, so war ihm die Lösung dieser Aufgabe nicht eben schwer geworden. Iris hatte ern fchones Einkommen. Das Leben einer Einsiedlerin war nicht nach ihrem Geschmack gewesen; sie war auf Reisen gegangen nnd sehnte sich nicht in ihr Gefängniß, wie sie die Rosen-Van nannte, zuriici. s So war denn die kleine Ethel zur Jungfrau herangewachsen, ohne viel von ihrer Mutter gesehen zu haben. Von der Geschichte der Letzteren wußte sie so viel wie Godfreh Greylock und nicht mehr. Ethel liebte ihre Tante Pamela und thrannisirte sie; sie fürch tete ihren Großvater und verehrte ihn zugleich. Jn ihren Augen war er der vortrefflichfte, der edelste Mann. Daß er Jris Grehlock mied und sie nicht lei den mochte, daß er sie auf alle erdenk liche Weise von ihrer Tochter fern zu halten suchte, bereitete der Tochter nicht den geringsten Kummer, da ihre Liebe zu der Mutter nur fehr lauer Art war. - Der Wagen hatte die Eisenbahnsta tion erreicht und die Reise wurde so gleich fortgesetzt. Unter lebhafter Un terhaltung fuhren Ethel und ihrGrofz vater in dem luxuriösen Salonwagen dem fernen Blackport zu und sahen durch das Fenfter den Regen herab strömen und den Abend herannahen. Das Mädchen hatte etwas entdeckt, was Niemand, selbst die längst verstor bene Gattin des ehemaligen Bankiers nicht zu entdecken vermocht hatte, näm lich den Weg zu Godfreys Herzen. Jhr einfacher Reise-Anzug schien ihre au ßerordentliche Schönheit zu voller Gel tung zu bringen, und die sonst so lal ten und gleichgiltigen Augen des alten Mannes ruhten mit zärtlicher Liebe « und Bewunderung auf ihr, wie sie in ungezwungener Haltung und voll der natürlichften Anmuth ihm gegenüber a . s seJVies war die schönste Blume, die je auf dem Stamme der Grehlocks ge bliiht hatte, Und eine Zukunft stand ihr bevor, die ihrere Schönheit würdig war. Er hatte Vieles für fie geplant —- ihre Verheirathung mit dem Ver wandten sollte neuen Glanz über den Namen Greylock ergießen. Er zweifelte seinen Augenblick daran, daß sie dein Titel »Ladh Greyloct« in dem alten Stammsitz der Familie, drüben über dem Meere, Ehre machen würde. Es war spät geworden, als die bei den Reisenden den Bahnhof von Blackport erreichten. Die Epuipage von Greylock Woods wartete bereits auf sie, und in wenigen Augenblicken waren sie auf dem Wege nach dem Herrenhause. Die Veränderungen, von der alle Dinge früher oder später betroffen werden, hatte auch Blackport endlich heimgesucht. Seit jener Nacht, in der die kleine, wilde Hummel als angela dener Gast erschienen war, um bei ih rem Großvater zu speisen, hatte ein großer Umschwung stattgefunden. Die Sommerfrischler waren wie eine Ar mee mit fliegenden Bannern über das alte Städtchen hergefallen und hatten «es in Besitz genommen. Phantastische Villen waren allenthalben am Strande und auf den Felsenhiigeln wie Pilze emporgeschossen, hübsche Equipagen rollten durch die einst so schläfrigen Straßen, schmucke Kausläden zierten jede Straßeneckr. Nur zwei Plätze hatten dem Anprall der Neuerung wi derstanden, Pooles Gasthof und-Gren locl Woods. Die Capricen der Som merfrischler, die Jnvasion eines gan zen Heeres von Vergnügungssiichtigen und Erholungsbediirftigen, die An tunft und Abfahrt der Excursions dampser und Bahnziige vermochten in keiner Weise den Gleichmuth dieser beiden so sehr verschiedenen und doch gleich conservativen Häuser zu er schüttern. Godfreh Grehlock und seine Enkelin fuhren unter den Tannen- und Ka stanienbäumen die Hauptallee hinauf « und hielten endlich vor der Thür des Hauses. Einen Augenblick darauf stand Ethel in dem hell erleuchteten Salon, von den Armen ihrer Großtante um schlossen, die sich vom Sopha erhoben hatte, um das geliebte Kind zu bewill tommnen. »Mein theukes nimm rief Miß Pa- T mela, »so bist Du denn endlich zu uns zurückgekehrt! Jch bin herzlich froh,’ daß Niemand in der Rosen-Van ist, der uns unsere Ansprüche auf Dich streitig machen könnte. Wie schön Du bist! Du bist ja seit den Weihnacht5 feiertagen noch viel reizender gewor den! Das Herz blutete mir, da ich Godfrey nicht begleiten durfte, um Dich abzuholen, allein Doktor Vandine hatte es mir verboten; er glaubte, daß die Reise zu anstrengend für mich sein würde.« »Pamela! Vergiß nicht, daß wir hungrig und müde sind,« unterbrach Godfrey den Redestrorn seiner Schwe ster; »gestatte uns nur, daß wir uns von dem Staub der Reise saubern, und dann lass’ uns speisen; nachher tannst Du nach Herzenslust mit der Kleinen plaudern." Ethel begab sich nach einer Reihe von Zimmern, die ihr Großvater siir sie hatte neu möbliren lassen, und machte Toilette; sie warf einen flüchti gen Blick auf all’ die Pracht und Herr lichleit um sie her und seufzte tief auf. »Was fiir eine Treibhauspflanze Großpapa aus mir machen möchte !« sagte sie, »und wie sehr mein Herz an all’ diesem Luxus hängt! Werde ich Selbstverleugnung genug besitzen, das Weib eines Mannes zu werden, der für sein tägliches Brod zu arbeiten hat ?« Alg sie ihre Toilette beendigt hatte, begab sie sich hinab, um mit ihrem Großvater und mit Tante Painela zu speisen. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln; ihr Herz aber war von einer schweren Last niedergedrückt Als die Mahlzeit vorüber war und Miß Paniela sich nach ihrem Zimmer begeben hatte, begann Godfreh Gren lock von dem Geenstand zu sprechen, mit dem sein Geist sich fortwährend beschäftigte. ,,Ethel,« sagte er, »Du weißt —-- denn ich habe schon früher mit Dir über diese Angelegenheit gere det —, wie sehr mir Deine Bemüh lung mit Gervase Grehlock am Herzen liegt; jahrelang war dies mein höch ster Wunsch. Schon vor langer Zeit schlug ich dem Baronet diese Verbin dung vor, und er hatte nichts dagegen einzuwenden; im Gegentheil, er er klärte sich bereit, aus alle meine Wün sche einzugehen." ,.Sehr gütig von ihm,« murmelte Ethel, indem sie mit einem Anflug von Unmuth den Kopf zurückwarf. »Sie Gervase ist jung und hübsch ; er hat einen alten Adelstitelz Du bist jung und mehr als hübsch, Ethel, und Dui besitzest ein großes Vermögen; nichts könnte passender sein, als eine solche Heirath« Er schien auf eine Antwort zu war ten« allein Ethel blieb stumm. Du verdienst etwas Besseres als einen gewöhnlichen Mann zu Deinem Gatten,« fuhr der Alte fort; »Du ver dienst Rang und Würden, und die sol len Dir zu Theil werden. Die Zeit der Ersüllung meiner Wünsche naht heran; Sir Gervase kommt von Eng land herüber, um feine zutiinftige Ge malin zu sehen und um sie zu freien« Ethel schwieg noch immer. Nach einer Pause fuhr Mr. Grehlock fort: »Gestern erst erhielt ich vom Baronet einen Brief, worin er mir schreibt, daß er in den nächsten Tagen von Liverpool abreisen werde; wir lönnen ihn wohl sehr bald hier in Blackport erwarten.'« Ethel sah wohl ein, daß ihr Groß vater eine Antwort von ihr erwarte ; sie ermannte sich daher zu dem einen Worte: ..Wirtlich?« Mr. Grenlock blickte seine Enkelin mit grossen Auaen an und saate dann »Sir Gervase soll es begreifen — und ich glaube, ich habe es ihm deutlich ge nug zu verstehen gegeben —- dafz ich ihm, indem ich ihm meine Enkelin zur Gattin gebe, mehr Ehre erweise, als er mir durch das Eingehen auf meinen Plan erweisen kann. Du und ich sind ebenfalls Grehlocksz daß er den Adels titel der Familie besitzt, ist einfach ein Zufall der Geburt.« ,»,Ja, Großpapa,'« antwortete EtheL »Ich halte den Baronet für einen prächtigen Menschen, einen passenden Lebensgefährten sürDich, in jeder Hin sicht würdig, Dein lünftiges Geschick zu leiten. Jn Deiner Verheirathung mit ihm werde ich endlich einen Trost für den Kummer finden, den Deines Vaters Heirath mir einst bereitete. Sicherlich brauche ich dem Kinde, das mich liebt und das Beweise genug von meiner Liebe hat, nichts weiter zu sa gen. Und nun, Ethel, begib Dich zur Ruhe; Du siehst bleich und müde aus und bedarfst der Erholung.« Sie küßte ihn mit eislalien Lippen und begab sich dann nach ihremSchlaf gemach. Um ihrem gepreßten Herzen Luft zu machen, slüsterte sie auf dem Wege var sich hin: »Oh, wenn Groß papa doch nur wüßte, wie unmöglich es für mich ist, seine Wünsche zu er füllen; es wird ihm das Herz brechen, wenn er es erfährt; er wird mich ver stoßen, wie er meinen Vater verstieß!« 16. Capitel. ,,Großpapas Geschmack ist in allen Dingen englisch,« sagte Ethel, während sie sich in einem ländlichen Armstuhl zurücklehnte und ihre schönen Augen über die Nasenpliitze und Gärten von Grehlock Woods hinwandern ließ; sei ner Ansicht nach ist nichts, wie es sein soll, wenn es nicht im Geschmack der britischen Aristolraten ist. Was den ten 2Sie von all’ diesen Dingen, Doc tar .« - Der Angeredete stand neben dem Stuhl des jungen Mädchens. Es war der ehemalige Student Dick Vandine, der schon vor einigen Jahren sein Doc tor-Examen bestanden. Es war fünf Uhr Nachmittags; der schöne Pakt von Grehlvck Woods schwärmte von eleganten Gästen, Da men in den kostbarsten Kleidern und Pariser Hüten, und Herren, die aus sahen. als ob sie aus einer Modezeit-« schrift ausgeschnitten worden wären. Ballschlagen, Croquet und Bogenfchie ßen bildeten die Hauptbelustigungen. Auf dem Rasen war ein Tanzboden errichtet worden und in einer Laube, von blühenden Rebengewinden verbor gen, saß ein Orchester. Gewandte Auf wärter huschten mit Champagner und anderen feinen Weinen hin und her. An einem rings von Blumen umgebe nen Bufset wurden Erfrifchungen in ’ Gestalt von Salaten und kaltem Ge flügel, Gänfelebervasteten, Zungen G·-«1--«-e, Charlotte Russe und anderen bei solchen Gelegenheiten üblichen De litatessen fervirt. »Es ist himmlisch —- göttlich!« stammelte Dr. Dick, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was er sagte. Ethel lachteschallhash »Sie sind ja ein sehr enthusiastischer Bewunderer von Gartenpartien, Doc tor: finden Sie auch Geschmack am Ballschlagen, Croquet und Bogen schießen-« «utetn," antwortete er, tnoem er die Enden seines rothen Schnurrbarteg iiber die Winkel seines unschöneu Mundes herabzog. »Jn diesem Punkte haben wir den gleichen Geschmack,« sagte Ethel lä chelnd. »Schon in der Schule, wo das Maß der Unterhaltungen uns knapp zugetheilt war, haßte ich diese einfäl tigen Spiele. Lieben Sie aus dettt Grase ausgebreitete Matten, um ent psindliche Füße vor Feuchtigteit zu be wahren -— lieben Sie die Erzeugnisse der französischen Küche, die unter den Bäumen servirt werden, während man sich weit bequemer drinnen an der Ta fel niedersetzen könnte, wenn es nur der dumme englische Geschmack er laubte? —- Nein? —— Sie schwärmen nicht siir solche Dinge? Nun, so nen nen Sie um’6 Himmels willen unsere Gartenpartie nicht himmlisch und göttlich.« Dick erröthete bis über die Ohren. »Meine Worte lassen sich wenigstens aus einige Gesichter hier anwettden,« murmelte er vor sich hin, indem er seine Blicke aus die Erbin von Gren locl Woods heftete. Er war auf Miß Pamelas Einla dung zu dieser Gartenpartie gekom men. Noch kaum eine Stunde war verflossen, seit er Ethels Bekanntschaft gemacht hatte, allein diese kurze Zeit war vollständig hinreichend gewesen, ihn zu ihrem willenlosen Sklaven zu machen. Sie trug ein reisendes Hütchen mit einer wallenden Feder und ein blaues Kleid; an ihrem Busen prangte ein dustender Blumenstrauß; ihr zarter Teirtt, ihr goldblondes, leicht geträu seltes und geschmackroll arrangirteg . Haar und ihre großen, dunkelblauen Augen hatten Vandine völlig bezau bert. Es schwindelte ihm, wie er so in ihren Anblick versunken dastand. Wiederholt wandte er sich von ihr ab, doch nur um sich stets wieder zu ihr zurückzuwenden und mit fortwährend steigendem Staunen und Entzücken aus diese malellose Schönheit zu star ren. Ethel hatte Miß Pamelas jun gen Arzt vollständig unter ihre herr schast gebracht. »Wie sich meine arme Tante in ihrer Rolle als Wirthin abmüht!« sagte sie endlich. ohne die lehte Bemerkung des fjungen Arztes zu beachten. »Kennen ISie viele von oen zeuren hier, Doc i tor ?« - »Nein,« antwortete er; ,,wie sollte ich auch? Sie sind insgesammt reiche Leute, und ich — nun, ich mußt die Stufenleiter des Gliickes erst noch er tlimmen.« »Ist Blackport ein günstiger Ort dazu?« fragte sie, indem sie nachlässig s mit ihrem Fächer spielte. » »Ich hoffe es,« erwiderte er heiter ; ; »aus alle Fälle habe ich in der Katzen Herberge meinen Anker geworfen.« »Jn der Katzen-Herberge?« wieder holte Ethel Grehlock verwundert; »was ist denn das für ein Platz?« »Es ist der alte Gasthof, der früher unter dem Namen ,,Povles Jnn« be kannt war. Die Bewohner der Stadt gaben ihm seinen neuen Namen, da die Wirthin, Miß Mercy .Poole, eine besondere Vorliebe für Katzen hat; sie hält wohl ein volles Dutzend oder noch mehr von diesen Vierfiißlern im Haus« »Nicht übel; ihr Geschmack beweist deutlich, daß sie eine alte Jungfer is .« »Die Leute von Blaclport erzählen sich, daß sie in ihrer Jugend eine Lieb- ! schaft gehabt, die unglücklich geendet i habe, und daß sie seit jener Zeit, und - namentlich seit dem Tode ihres Va ters, des alten Wirthes, sehr launen haft geworden sei « ·h »Bitte, erzählen Sie mir mehr von i r.« »Ich wage es nicht zu versuchen, denn um Merch Poole würdigen zu können, muß man sie sehen « »Und die Katzen?« ,,Dasselbe läßt sich von diesen sa gen.« »Ich werde Großpapa bitten, mich morgen nach dem Gasthof zu bringen,« sagte Ethel, indem sie nachdenklich auf die Figuren ihres Fächers blickte; »ich brenne vor Verlangen, die Bekannt schaft dieser Katzen zu machen; in mei ner Kindheit sah ich einst Merch Poole, und ich erinnere mich ihrer noch sehr wohl.« Vom Westen her sandte die Sonne warme Lichtfluthen durch die Bäume; der Südwind säuselte sanft durch die Blätter; buntgefiederte Vögel flatter ien über die üppigen Rasenvläße hin, auf denen Palmen und Aber-Stauden prangten; frohes Gelächter erschallte aus den Sommer-Pavillons und Ro sen-Lauben, heitere Stimmen ließen sich von allen Seiten vernehmen. ,,.5;)d«ren Sie!« sagte Ethel plötzlich, »was spielt denn das Orchester da ?« Eine eigenthiimliche, leidenschaftliche Musik erklang durch die Lüfte. Die Blätter der Bäume und Sträucher rings umher schienen bei ihren wehmü thigen Accorden zu vibriren. Zu seiner größten Bestürzung wurde der Doktor gewahr, daß der bemalte Fächer den zarten Händen der Erbin entfallen war. Sie lauschte mit gespannter Auf merksamkeit auf die Musik, und heiße Thränen rollten iiber ihre schönen Wangen herab. Jn der Nähe ihres Stuhles stand eineGruppe von Gästen. Vandine hatte die Geistesgegenwart, rasch zwischen diese und Ethel zu tre ten, deren Aufregung sonst sicherlich be merkt worden wäre. Sie nictte ihm ihren Dank zu. »Bliclen Sie mich nicht an,« bat sie mit halb erstickter Stimme. Er wandte sich von ihr ab; doch fühlte er zu seinem Leidwesen, daß die schöne Erbin von Greyloct Woods einen geheimenstummer nähren mußte. Sobald sie ihre Fassung wieder eini germaßen erlangt hatte, wagte er es, sie anzublieten »Was war e5?« stammelte er verle gen. »Die -—— die —— Musil?« »Ja,« antwortete sie mit erzwinge ner Heiterkeit. »Wie ich diese rühren den Melodien hasse; man fühlt sich da bei erregt, wie ein verliebtes Schul mädchen!« Dr. Vandine citirte halblaut die Verse Tennyson"5: »Sie sagte nur: der Tag ist schaurig; Er tommt nicht, sagte sie, Wie ist mein Herz so traurig, trau « klg — »Verschonen Sie mich damit,« bat sie ihn lächelnd; ,,derartige Poesie ist nicht nach meinem Geschmack! Wahr haftig, Doktor, Sie sollten Tante Pa mela eine Matte bringen; sie steht nicht gern aus dem Grase, und unter diesen Bäumen ist der Rasen ganz feucht; sie wird sich erkälten.« Er war entlassen. Jn demselben Moment näherte sich Godsren Greylock dem Stuhle seiner Enkelin. »Wie? So traurig, liebe lithel?« rief er, während der talte Blick, den er dem Doctor zuwars, zu sagen schien: »Warum vergeudest Du Deine Zeit mit diesem unbedeutenden Menschen ?« Er zog ihre Hand rasch durch seinen Arm und sprach: ,,Ftoinm’, mein Rind, das geht nicht an, Du wirst von unsern Gästen Vermißt.« Jm nächsten Augen blick war er mit ihr verschwunden Der Doktor hob eine der Matten aus und begab sich damit zu Misz Pa mela. »Sie haben sich mit meiner Nichte unterhalten".2« sagte die alte Dame, während er die orientalische Matte un ter ihren Füßen ausbreitete. »Ja,« erwiderte Vandine. Miß Painela war dem jungen Arzte aufrichtig zugethan; sie hielt es daher siir ihre Pflicht, ihm eine zeitige War nung zu eriheilen. »Jedermann hier ist von ihr ent zückt,« sagte sie, »ich hoffe, Sie werden dem Kinde den Kopf nicht verdrehen; auch hoffe ich, daß tein thörichter Schmetterling sich die Flügel an einem Verbotenen Feuer verfengen wird. Es ist zwar allgemein bekannt, daß Ethel fchon so gut wie verlobt ist, mit einem englischen Baronet, ebenfalls einem Grehlock.« Ja, es war bekannt. Vandine hatte es schon vernommen; nichtsdeftoweni ger ging ihm bei Miß Pamelas Wor ten ein Stich durch’s Herz. »Es ist jammerschade,« rief er aus, »daß der Baronet keine Lebensgefährtin in sei nem eigenen Lande finden kann. Be trachten Sie alle jene Herren dort, die sich um Miß Grehlock drängen; derGe danke, daß sie bereits vergeben, ist sehr hart für sie selbst und noch mehr für die jungen Herren —- diese abscheuliche englische Verlobung!« »Ich selbst bin nicht für derartige Verbindungen,« erwiderte Miß Pa mela; »allein wir Greylocks sind halb englisch, wie Sie wissen; mein Bruder hat sich nun einmal die Sache in den Kon gesetzt, er meint, daß sie dem Fa milientitel zur Zierde gereichen werde.« »Sie würde einem Thron zur ierde gereichen!« rief der Doctor leiden chaft lich aus. Miß Pamela betrachtete den jungen Mann mit besorgten Blicken. »Ich fürchte, Doctor, daß Sie sich hier schlecht amüsiren; wollen Sie nicht am Ballspiel theilnehmen, oder sich einer der Spielpartien auf der Piazza anschließen? Es sind Dutzend-: von prächtigen Mädchen unter meinen Gä sten; soll ich Sie einigen vorstellen? Vielleicht tanzen Sie gern; das Orche ster beginnt eben einen Walzer zu spielen.« »Dante!« antwortete Dick traurig. Wie konnte er, mit Ethels herrlicher Gestalt vor Augen, an andere Mädchen denken? Um seinen Frohsinn war es geschehen. Sie war von jungen Män nern förmlich umschwärmt und er sah keine Möglichkeit, sich ihr zu nähern. Jedermann machte ihr, wie einer Kö nigin, den Hof; was hatte er noch zu hoffen? Ethel selbst hatte ihn augen- s scheinlich ganz und gar vergessen; sie l hatte seinem Herzen eine tiefe Wunde beigebracht und war dann, unbeküm mert um seinen Schmerz, ihren Weg weiter gewandelt. Miß Pamela konnte sich als Wirthin nicht ausschließlich mit ihm beschäftigen, und so fand sich der Doktor bald allein unter Leuten, an denen ihm nichts lag und die sich nicht um ihn kümmerten. Er faßte daher einen kühnen Entschluß und schlug den Weg nach Hause ein, der ihn an der Rosen-Villa dorbeibrachte. Das Haus war schon seit einem Jahre geschlossen; jetzt aber, als Dick Idie hübsche Eremitage erreichte, ver kündete das Oeffnen der Fensterläden und das Hin- und Herhuschen der Dienstboten, daß die Rückkehr der Her rin der Villa jeden Augenblick zu er warten war. Auf der rebenumrankten Veranda stand ein Käfig mit dem grü nen Papagei, den Miß Paniela einst der kleinen Ethel zum Geschenk ge macht hatte. Als Dr. Dirk vorüber schritt, neigte der Vogel den Fion seit wärts und rief mit heiserer Stimme: »,,Wo ist Polth« ’ Bandine fuhr unwillkürlich zusam men. Das Bild einer gewissen Pollh, der geduldigen, vielgeprüften Polly, tauchte plötzlich in seinem Geiste aus und blickte ihn mit großen, dunklen Augen an. Er zuckte die Achseln und schritt weiter, doch bis- in den Schatten des Gehölzes hinein Verfolgte ihn die gellende Stimme des Vogels: »Polly wartet! Pollh wartet!« Endlich erreichte er einen Abhang. Er warf sich auf das duftende Gras und lauschte. Aus der Ferne drangen die Klänge der Musik matt an sein Ohr, eine Amsel sang auf einem Aste über seinem Haupte und eine kleine Schlange huschte pfeilschnell an ihm vorüber durch das Gras. Lange Zeit lag Dr. Diel, die Blicke zum Himmel gerichtet, da, und dachte an das strah lende Gesicht eines Mädchens mit gol denen Haaren -— eines Mädchens, das zu einer Fürstin geschaffen schien, und aus dessen Beilchenaugen eine Fluth von Thränen hervorbrach. Seine Stunde war gekommen; sie hatte sein Herz im Sturm erobert. Dick, der arme Doctor von Blackport, war zum ersten Mal in seinem Leben leiden-: schastlich verliebt, und zwar in die reiche Erbin, in die Enkelin jenes hoch müthigen Godfrey Greylock!« »Und was das Schlimmste an der Geschichte is,« murmelte er vor sich hin, ,,sie ist für einen Anderen be stimmt. Der Henker hole den Englän -der! Warum kann er nicht zu Hause bleiben und sich aus der Aristokratie seiner eigenen Jnsel eine Frau wäh len? Jch wünschte, der Dampfer, auf welchem er herüberlomnit, möchte ihn llaftertief im Salztoasser begraben! Beim Himmel, manche Menschen sind doch gebotene Glückstinderl Um wen aber weinte sie diesen Nachmittag? Sicherlich nicht um den Baronet, einen Mann, den sie nie gesehen hat. Jhre Mutter hat sie seit Jahren nicht gese ben; pflegen Mädchen von ihrem Alter ; um abwesende Mütter zu weinen? Bei Gott, wie reizend sie ist! Schon der »erste Blick verkündet, daß sie adeliges iVIut in den Adern hat. Selbst wenn i lein Baronet im Wege stände, hätte ich i doch keine Aussicht sie zu gewinnen!« . Jn den halb süßen, halb bitteren i Träumen eines Liebenden Verloren, laq I er noch lange unter den Bann-rn. wäh rend der Tag dahinschwand «·-1d has JZwielicht hereinbrach. E lich ak ;wahrte er, daß es rings un« ihn her ’ dunlel wurde: rasch sprang r-- auf und schritt den Pfad bis zum Saume des Gehölzes hinab. Dann sprang er über eine niedrige Mauer und gelangte aq diese Weise aus die Landstraße. z Es war spät; in den«-Tatzen - Det berge« mochten Patienten aus ihn war ten. Blaclport war leider ein sehr ge sunder Ort; dennoch wurden Dr. Diel Dienste hie und da in Anspruch ge nommen. Am westlichen Himmel et-l glänzte dieMondsichel; die untergegans gene Sonne hatte noch eine schwache Röthe zurückgelassen, und da und dort schwirrten einige Sumpsvögel durch die Abendluft. Ob die Gäste Godsreh Grchlocks bereits aufgebrochen waren, er wußte es nicht; nirgends war eine Spur von ihnen zu entdecken. Er stieg den Hügel hinab und näherte sich den Salzgruben. Mit diesem Gebiete war nie eine Veränderung vorgegangen; kein Som merfrischler näherte sich i m; keine un ternehmende Hand bemä tigte sich der alten Gruben; nur die Schuppen, die früher dagestanden, waren niedergeris sen worden, unbekannte Hände hatten einen großen Hausen Schutt auf dem Fleck errichtet, auf dem Robert Gren lock in jener verhängnißvollen Nacht fein junges Leben ausgehaucht hatte. Die Bewohner von Blackport mieden den Platz; seit einiger Zeit war das Geriicht im Umlauf, daß es dort spuke. Seltsame Gestalten waren bei Nacht hier gesehen, schauerliche Wehklagen vernommen worden. Hieran wurde Dr. Dick aus unc.ngenehme Weise er innert, als er bei einer plötzlichen Wen dung des Fußpfades dem Haufen sich näherte und aus dessen Gipfel eine Ge stalt sitzen sah, die eher das Aussehen eines Gespenstes als eines menschlichen Wesens hatte; es war eine große, schwarze, regungslose Gestalt, die man in einiger Entfernung fiir einen riesi gen, auf Beute lauernden Raubvogel halten konnte. Obwohl Vandine ziemlich getäusch voll heraniam, gab die Gestalt kein Le benszeichen von sich. Der Kopf war aus die Brust herabgesunken, die Arme hingen schlaff an den Seiten nieder und der Körper war vorniiber gebeugt » Die Haltung schien Schmerz und H Furcht auszudrücken. So furchtlos ) Vandine sonst war, vermochte er sich doch beim Anblick dieser Gestalt eines geheimen Schauders nicht zu erwehren. " Er machte einige Schritte vor dem l Hausen Halt Und rief: ,,Halloh!« Keine Antwort; keine Bewegung. »Halloh! Wer da?« rief er noch lau ter als zuvor. Mit einem heiseren Ausschrei sprang die Gestalt von dem Steinhaufen her ab, sie näherte sich dem nächtlichen Wanderer und er sah, daß es eine Frau war; noch einige Schritte weiter und er wußte, wen er vor sich hatte »Verzeihung, Miß Poole,« sagte er· »ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt Meiner Treu, ich konnte Sie in der . Entfernung nicht erkennen!« Merch Poole war vom Kopf bis zu den Fiifzen schwarz gekleidet; sie trug einen Mannshut auf ihren Haaren, die : schon stark mit Grau untermischt wa ren; ihr Gesicht war tief gesurcht unt gerunzelt, doch mehr von inneren Käm pfen als vom Alter. Es war noch im mer ein schönes Antlitz,gleich dem einer Zigeunersiirstin, mit düsterem, fast un heimlichem Ausdruck. Als Vandine es näher betrachtete, entdeckte er, daß es jetzt aschsahl war. »Da Sie ein Doktor sind, so verste hen Sie sich wohl auf die Symptom( des Schreckens,« antwortete Merctz trocken; »ich will daher nicht leugnenl das-, Sie mich erschreckt haben; ja, dir Leute der Stadt meiden allerdings dir alten Salzaruben bei Nacht. Die Nar ren! Man sollte meinen, es sei an der Zeit, daß der Gespensterglaube aus sterbe.« Dr. Dick war der Ansicht, daß dii Sprechende selbst große Aehnlichkeit mit einem Gespenst habe. Was hatte die Wirthin der ,,Katzen - Herberge«« an diesem unheimlichen, öden Orte in dieser Abendstunde zu thun? War sit etwa selbst der Spuk, den die Leute von Blackvort von Zeit zu Zeit auf dem Schauplatz der alten Tragödie erblickt hatten? »Dies ist ein schlechter Platz unt eine unpassende Zeit fiir eine derartige Unterhaltung, Miß Poole,« sagte Vandine, der die Geschichte von Robert Greuloctg Tode längst schon vernom men hatte; ,,er ruft unangenehme Er innerungen wach. Als ich Sie zuerst erblickte, sahen Sie aus wie ein großei Habicht mit zerschmetterten Flügeln.· Sie heftete ihre großen schwarzer Augen eine Setuude lang scharf aus ihn; dann senkte sie sie zur Erde. Dei junge Arzt war schon seit mehrerer Wochen ihr Gast, und in dieser Zei-. war eg ihm gelungen, sich ihre Gunf zu erwerben. »Ein Habicht mit zer. schmetterten Flügeln!« rief sie lachend ,,kein iibler Vergleich! Vor Jahren,« fuhr sie fort, indem sie sich mit tragi scher Geberde auf die Brust schlug ,,kam ein Freund von mir an diesen Punkte um’S Leben. Die dummer Leute von Blaclport schwatzen vor Geistern, die hier umgehen tollen «Mein Gott! Wenn sie nur die Ding. sehen könnten, die ich- hier sehe! Wem ich sage, daß er uni’s Leben kam, s1 meine ich, daß er meuchlings ermordet wie ein Wild niedergeschossen wurde ohne Erbarmen, ohne ein Wort de Warnung, in der Mitternachtsstunde aus demselben Fleck, aus dem Sie jeß stehen !« Fortsetzung solgt.) —Prattische Definition A·: »Was istGlatteiö?« —- B.: »New man plötzlich auf dem Rücken liegt unt itt ganz posit«