Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 24, 1897, Sonntags-Blatt., Image 14

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    er Gericht
- nalroman von Paul Oskar Höcker·
—
( Fortsetzung)
meiner nahen Freundschayt mit
- Verstorbenen sowie meinen sonsti
innigen Beziehungen zu — zu dem
R se von der Tann ist es erklärlich.
« ; ich über einzelne Punkte Schwei
« bewahren will.'«
Nein, das ist weder Jhr Recht noch
.i-te Pflicht!« rief nun der Auditeur·
·d- nn sogar die nächsten Anverwand
des Todten haben der Wahrheit
’ äß ausgesagt, was sie wußten, und
. sogar beschworen! Alle —- Herr von
Tann zum Beispiel, Frau v Zeck!
-" welchem Rechte wollen also Sief
si: Jhrer Zeugenpflicht entziehen )« F
Bollrath athmete tief und schwer auf.
is Auditeur wußte also noch nichts
- dem Falscheid der Unglücklichen. I
»Und Sie wollen mich also eben
siss vereidigen?« fragte er gespannt. »
Tampahusenz runzelte die Stirn. »
»Seit-er müssen wir von einer Ver
i gung absehen. Aber wir fordern
, « Jhnen dennoch die Wahrheit
W der glauben Sie es mit der Mannes
- " etwa vereinbaren zu können, daßi
- uns Lügen auftischen?«
",Herr!« schrie Sendlinget aus
ie haben kein Recht, mich zu he-?
"tmpfen! Hüten Sie sich! Jch werde
« Hie zur Verantwortung für diese«
i itte ziehen!«
I· Sie stehen hier vor Gericht!« sagte
« Auditeur streng. »Ich kann Sie
s Jst beleidigen —- nur beschuldigemj
No heraus jetzt mit der Wahrheit!« s
rotzig schüttelte Vollrath den Kopf. j
Kein Wort sollen Sie aus mir her- .
betommen!« i
Wie, Sie wollen die Zeugenaus- i
überhaupt verweigern?«
. I
·’ »Ja? Af· . — » . i
» »Wrnen Sie, daß ores einem»
onldbekenntniß gleichkommt?« .
«« »Ich bin doch wohl als Zeuge vor- L
den, nicht als Angeklagter, Herr
diieur; Sie scheinen das zu ver
l
i
,««,«.—, Es ist schon vorgekommen, daß ein
· ske eines Verbrechens verdächtigerE
« als der Angeklagte, und daß
noch in der Spruchsrtzung den Un-? »
s- Iidigen sreisprach und sich an den;
« « "chtigen Zeugen biett.'« «
, »Was sollen diese Worte?'«
-«Jhnen beweisen, daß man auch
so viel Vertrauen zu Jhnen hat,
·« n Sie nicht aus der Stelle erklä
« ,daß Sie der Wahrheit gemäß ein- ;
» hen wollen, wie Sie die Zeit in
s s"s« Schreckensnacht verwandt haben. «
Oollrath Sendlinger schüttelte fest
Kopf -
« »Ich kann es nicht!« L
s »Nun denn, so will ich Jhnen sagen
E .. » en man Sie beschuldtgt: Sie selbst
F : -- den Gistmord an dem Lieute-:
·«s. t v. Meerheimb begangen!«
E «Was?« schrie der Schiffsbaumei
« « aus« über das Ungeheuerliche dieser
, klage ganz sassungslos. »Ich —;
»k« « i en Freund ermordet?« Er brach in ]
F . « des Lachen aus. »Ich würde Jhren
E « stand bezweifeln, meine Herren, »
nn ich nach dem Tone, den Sie bis (
t anzuschlagen beliebten, nicht hätte.
- ehmen müssen, daß Sie es auf eine !
s» sultirung abgesehen haben Aber?
«- 7 werde mich zu schützen wissen!« j
»Schüßen Sie sich lieber durch eint
- « üthiges Geständniß!« nahm nun i
yrhoser das Wort, der dicht an den
ssbaumeister herangetreten war. »
denken Sie, daß jede Secunde, die
« jetzt noch zögern, Sie nur noch
» sit-« belasten wird!«
z »Belasten?« fragte Sendlinger initl
-hn. »Es ist mir zu erbärmlich, zu
» drig, dieses Ansinnen —- deshalb
ich Jhnen keine Rede!«
P·Sie wollen auch jetzt noch bei Jhrer
- ; ·«Zerung beharren?'«
i
i
s
.·, a.«
I-,Run denn, so verhaste ich Sie im
men des Königs wegen des dringen
« » Verdachts, von dem Sie sich nicht
« « einem einzigen Wort sreizumachen
J-« nchen wollen!«
. "-;-i,Sie wollen mich sestnehmen — in’s s
st » ersnchungsgesängniß absiihren las
«Jawohl!«
» nn Sie werden mich bald genug
· -.i r sreiaeben müssen. Denn wenn
» ich selbst nicht reden werde, weil
wichtiger innerer Grund mir s ver
» ,so wird doch ein anderer Ent
ngszeuge sür mich eintreten —i
« da man mich in so nichtswürdiger !
Meines derartigen Verbrechens be- -
. i«
jiUnd wer soll dieser Entlastungs
« - seini« fragte der Staatsanwalt
n.t
»
;- och immer hosste Vollrath, daß
« abenteuerliche Verdacht nur des
"· ( aus ihn gewälzt worden sei, da
er über den Meineid der Frau v
seine Aussagen ganz genau mache;1
et wollte und konnte es noch nn- -
Ieicht fassen daß die alte Dame
- « den schweren Kampf wirklich al
Mte aussechten lassen; immer
, hoffte er, daß seinen Anlliigetn
entschlüpsen werde, das ans
- Karlas Tante gemachtes Ge
bezogen werden konnte. Er
Mienen derberren scharf im
ti. Zeit hat es in der hand,
Its-siegt« sagtedder Schiffs
ern
W dieses Reinen
Wallerdinas einen
—
tiefen Eindruck. Aber sie sahen einan
der rnit dem deutlich zur Schau getra
genen Ausdruck höchster Empörung an.
»Frau v. Zeck soll Jhnen aus Jhrer
Klemme helfen Z« fragte der Staatsan
walt scharf, die Brauen finster zusam
menziehend. »Das ist ein sehr feiner
Schachng von Ihnen, Herr Schiffs
baurneister. Seltsam, daß gerade sie
die einzige ist, die Ihnen zu helfen ver
mag!«
»Und warum seltsam?" erwiderte
Vollrath mit ebensolcher Betonung.
»Nun, weil ich dann Jhr bedauerli
ches Unglück höchst auffällig finden
muß, Herr Sendlinger. Denn Frau v.
Zeck ist gestern Abend an einem Herz
schlag gestorben!«
Ein entseßter Aufschrei drang aus
Sendlingers Munde.
»Todt — Frau v. Zeck todt? Aber
das ist ja unmöglich!«
»Jhre Verwunderung erscheint mir
urn so sonderbarer, als das Dienstver
sonal der Verstorbenen ausgesagt hat,
daß Sie bei dem Tode der alten Dame
zugegen waren!«
»Das ist nicht wahrl« brauste Voll
rath auf. »Ich verließ Frau v. Zeck
allerdings in einem Augenblick, in dem
sie hochgradig erregt war, aber von
ihrem Tode wußte ich bis zu dieser
Secunde nichts!«
Der Staatsanwalt schüttelte zornig
den Kopf. Die Hartnäckigleit des
Leugnenden schien ihn zu reizen.
»Ein seltsames Zusammentreffen!
Und von dieser alten Dame erhofften «
Sie also eine Entlastung? Deshalb!
«also haben Sie Frau v. Zeck gesternj
wohl ausgesucht? So ahnten Sie alsok
gestern schon, daß man gegen Sies
heute jenen Verdacht äußern würde?j
Wissen Sie, daß es der Kniff gewohn- s
heitsmäßiger Verbrecher ist, sich Gut-s
lastungsbeweise zu verschaffen. noch l
bevor man sie in den Antlagezustandz
versetzt hat?« I
»Herr Staatsanwalt meine Geduld
hat ein Ende. Jch habe als Bürger
!
i
einen obersten Gerichtshof, der mich ge- -
gen Jhre Jnsamien schützen wird!«
»Schweigen Sie!« herrschte ihn
Mayrhoser an. »Sie sind durchschaut!
Raffinirter ist noch selten ein Verbre
cher zu Werke gegangen! Jch will
Ihnen sagen, wasSie gestern bei Frau
v. Zeck wollten: Sie gedachten sie zu
einem Meineid zu zwingen!«
Höhnisch lachte Sendlinger aus.
:
I
i
l
»Ich — sie — zu einem MeineidZs
Ach, das ist wirklich absurd!«
»Man-hat einen Theil Ihrer Unter
redung gehört!« fuhr der Staatsan- ·
walt fort. »Als Jhr Gespräch hitzig zu
werden begann, hat die Gesellschafterin
der Frau v. Zeck sich bis zur Thiir ge
wagt. Da sie nach Jhrern Weggang
ihre Herrin mit demTode ringend aufs «
fand, schickte sie nicht nur zum Ar,th
und zum Geistlichen, sondern auch zu
meinem Vertreter, dem Staatsanwalt
schafts - Substituten, der mir vor einer
Stunde Vortrag gehalten hat. Jhmz
ist von dem Gesellschaftssräulein an
vertraut worden, sie habe zwar wegen vI
der schweren Vorhänge, die die Thür«
bekleiden, nur einzelne Aufrufe verneh
men können, sie glaube aber mit voller
Bestimmtheit angeben zu können, daßs
Herr Sendlinger ihre arme Herrin
durch ein Ausgebot dringlicher Reden:
und durch allerlei schwere Drohungen T
zur Abgabe eines Meineids habe zwin- ;
gen wollen. Nun, Herr Sendlinger,j
was haben Sie daran zu erwidern?«
Der unglückliche Schiffsbaumeister
athmete hastig; seine Augen schossen
Blitze, seine Wangen waren getöthet.
»Man hat da ein dichtes Netz um
mich gezogen!'« sagte er mit verächtli
chem Lächeln. »Aber glauben Sie
nicht« daß ich den Muth verliere. Jch
gebe zu, daß ich mich durch mein
Schweigen über gewisse Punkte ver
dächtig gemacht habe. Die Aussage
»der Frau v. Zeck vor Gericht würde
heute genügen, um meine Unschuld klar
zu beweisen. Da ssie so jäh gestorben
ist —- zu meinem Unglück, zu ihrem
Glück, denn sie stand davor, ein schwe
res Unrecht eingestehen und sühnen zu
müssen —, so bleibt mir nur noch eine
Entlastung!«
»Wir kennen sie!« sagte Mayrhofer
hart. »Sie hofsen aus eine Entlastung
durch Fräulein von der Tann!«
Hoch horchte Vollrath auf.
»Woh» wissen Sie das?«
»Es tommt uns nicht überraschend,
daß Sie sich auf Fräulein von der
"Tann berufen» Haben Sie doch verg
sucht, sie zu bestimmen, das-. sie vosr
Gericht aussage: sie habe Sie in jener
L Nacht begleitet, als Sie sich vom »Gu
E sium« nach Hause begaben!«
; »Und das entspricht auch der Wahr
iheit!'« sagte Sendlinger mit großer
f Ueberwindung. .
s Zorniges Gemurmel ging durch die
i kleine Hörerschaft, der sich inzwischen
auch der Präses des Kriegsgerichts bei
gesellt hatte.
»Das wollen Sie uns glauben ina
chen?«
»Nicht weiter in diesem Tone!« ries
Vollrath erbittert. »Ich ertrage ihn
nicht länger —- und ich dulde ihn auch
nicht!«
»Weil Ihnen das Gewissen schlägt,
und weil Sie sich entlarvt sehen!« don
nerte ntn der Staatsanwalt. »Ich
will Ihnen nämlich zu verstehen geben,
wie wir hinter diese Schliche ekommen
sind. In Ihrem Papierkorb Fand man
mehrere Entwürse zu Briesen, die Sie
vorige Nacht an Fräulein von der
Tann geschrieben haben. Ich bin
sicher. daß die Abschrift des einen in
die dände der jungen Dame gelangt
is. Die anderen, die wir zerrissen und
th bet- der Don-suchten vors
fanden, geben deutlichen Anhalt, wo
raus Siees abgesehen hatten: Fräulein
von der Tann sollte, da Sie sich von
Frau v. Zeck mit Jhrem Ansinnen ab
gewiesen sahen, einen Meineid leisten!
Sie sollte dasGegentheil von dem aus
sagen, was Frau d. Zeck beschworen
hatte. Nur wenige Worte sind es, die
Sie da in der Eile, von Furcht gepei
nigt, hingeworfen haben —- Sie müs
sen ein seltsames Vertrauen zu der
mitleidigen Schonung des Fräuleins
von der Tann haben, wenn Sie glau
ben, daß die Anrusung ihrer Seelen
grösze sie zu einem Verbrechen zwingen
könne!«
Schwer athmend, verzweifelnd, ohn
mächtig —- so verharrie Bollrath
Sendlinger bei diesen Antlagen.
Konnten die wirren Zeilen, die er an
Katla in seiner Noth schicken wollte,
aber doch immer wieder verwars, wirk
lich in so entsetzlicher Art gedeutet wer
den?
»Nun, glauben Sie, wie und was
Sie wollen —- die Aussage des Fräu
leins von der Tann wird ja ergeben,
wieviel Stichhaltiges an Ihren Be
schuldigungen ist!«
»Wir werden —- nach Jhrer Be-'
hauptung, daß Sie die Liebe der Dame
besitzen — ihre Aussage nur mit Vor
sicht ausnehmen tönnen.«
»Herr Staatsanwalt!« rief Vollrath
außer sich. »Sie gehen über Jhre Be
fugnisse! Es ist ein Frevel, wenn Sie
hier vor fremden Ohren den Namen ei
ner unbescholtenen Dame in dieser»
Weise verunglimpsen!«
»Noch weniger aber ist es ehrenhaft,
daß ein Mann die Dame, die er zu lie
ben vorgibt, zu einem Verbrechen zwin
gen will-—ja, daß er sie überreden will,
sich durch ihre Aussage um ihren guten
Ruf zu bringen!«
»Und das wollen Sie mir unterschie
ben·?« brachte Vollrath keuchend her
vor.
»Jhre Absicht ist durch diese Brief- s
entwürfe tlar erwiesen. Jetzt handelt ;
es sich nur darum, abzuwarten, ob«
Fräulein von der Tann Jhren Forde:
rungen entsprechen wird.«
,.Meinen Forderungen? Sie hat,
seitdem sie Kiel verließ, keinen Brief
von mir bekommen!«
»Das bestreiten wir!« sagte der
Staatsanwalt kalt. »Sie sehen als-As
daß es Jhnen schwer sein wird, Jhrem «
Entlastungszeugen Glauben zu ver
schaffen. Denn die eine Zeugin ist für
immer stumm, die andere aber müßte
die Todte eines- Meineids bezichtigen
und selbst die Unwahrheit sagen, wenn
sie ung- Ihr Märchen von der gemein- «
samen nächtlichen Wanderung glauben
machen wollte!«
»Warten wir es ab! «sagte Vollrath .
turz. »Ich muß« jetzt aber —- so furcht- ?
bar es mir ist — darauf bestehen, daß -
Fräulein von der Tann vor den H
Schranken erscheint, um hier der;
Wahrheit gemäß auszusagem daß siek
Zeugin war bei der Begegnung, die ich ;
mit ihrem Vetter hatte.« ?
»Fräulein von der Tann ist heute in
aller Frühe nach Norwegen abgereist.s
Sie haben ein seltsames Unglück in der
Wahl Jhrer Zeugen. Oder sollte man z
es als Glück bezeichnen können, da diej
Gnadenfrist, die Jhnen dadurch ge- ’
währt werden muß, eine um so längere
ist?«
Vollrath Sendlinger maß den
Staatsanwalt mit einem entsetzten, zu
gleich zornigen Blick. erwiderte aber
nichts· Was nützte es, seinen Antlä- j
gern zu betheuern, daß er von der he- j
Z reits erfolgten Abreise Karlas erst in
I diesem Augenblick erfahren, daß er sie
; zur Stunde noch immer in Berlin ge
glaubt hatte?
; Jedenfalls müssen Sie sich bis zur
sWiedertehr des Fräuleins von der
iTann gedulden!« fuhr der Staatsan
’ walt fort. »Die Reise, die Sie heute
früh — vermuthlich gleichfalls nach
Norwegen, ioie die in Jhrem Fahrplan
angestrichene Route verräth —- antre
ten wollten, müssen Sie also verschie
ben. Jhr erstes Zusammentreffen mit
Fräulein von der Tann wird hier vor
Gericht stattfinden!«
Der Schiffsbaumeister hatte einel
eisige Miene angenommen. Er sah
eine furchtbare Leidenszeit vor sich;
doch er wollte sich nicht als Schwäch-s
ling zeigen, er wollte, was ihm dass
Schicksal aufgebürdet, mannhaft er-i
tragen. f
»Commissiir Weindei!« rief Mayrs’
hoser dem vor der Thür harrendenI
Beamten zu, »bringen Sie den Herrn
Schiffsbaumeister Sendlinger nach
dem Untersuchungsgesiingniß!«
Sechzehntez Capitel.
-Der Präses des Kriegsgerichts be
gab sich mit dem Protokoll über die
Vernehmung des Schiffsbaumeisteri,
die mit dessen Verhaftung geendet hat
te, zu dem Gerichtsherrn, um eine
Vertagung der Spruchsitzung zu bean
tragen.
Die übrigen Richtertlassen des
Kriegsgertchtö warteten ein« zwei
Stunden —- endiich ward ihnen die
Kunde, daß die Verhandlung in Sa
chen Scheuerrnanns doch noch am heu
tigen Tage zu Ende geführt werden
sollte.
Sie währte bis gegen Mitternacht
nnd endete, wie nach der sensationerre
genden Verhaftung Sendlingers nicht
anders zu erwarten gewesen war, mit
der Freisvrechung des Zahlmeisters
von der Antlage des Gistmordeö.
Gleichzeitig mit seiner Freisprechung
wurde auch seine haftentlassung aus
gesprochen. Denn wegen seiner übri
gen beiden Vergehen konnte er nur im
Disktnltnarverkahren abaeurtheilt wer
den. VI wurde thut II Mundung
Gödeckes —- die er ossen eingestanden
hatte — und die dienstwidrige Ber
wendung von Amtsgeldetn zur Last
gelegt.
Jn dem am folgenden Tage von der
vorgesesten Behörde anberaumten Ter
min wurde das zweite Vergehen als
das schwerere angesehen; es wurde mit
sechs Wochen Hast bestraft, während
das erstere mit vierzehn Tagen Arrest
gesühnt werden sollte.
Scheuermann war ties unglücklich,
wußte er doch, daß damit gleichzeitig
die Unmöglichkeit seines längeren Ver
bleibens im Amte ausgesprochen war.
Er wartete daher seine Entlassung
nicht ab, sondern lam, noch bevor er
seine Strafe antrat, um seinen Ab
schied ein.
Jetzt war es also aufs Neue zwei
felhaft, ob die schon so weit hinausge
schobene Heirath mit Käthe überhaupt
zu Stande kommen werde, Das arme
junge Mädchen war sehr unglücklich,
erhielt aber einen Tröster in der Ge
stalt des wackeren Oniels Tobias.
Der alte Schiffer, der sich die bitter
sten Selbstvorwürfe machte, da er ein
sah, daß er durch seine Berzögerung
bei der Rückgabe des geliehenen Geldes
an dem Unheil die Hauptschuld trug,
wollte so viel als möglich zur Lösung
der Wirrnifse beitragen.
Das Transportgeschäft, das er sitt
eine Kieler Firma aushilssweise über
nommen hatte, war von gutem Erfolge
begleitet gewesen. Die Frachtgelder,
die er fiir die transportirten Güter be
zog, reichten hin, um die Caution sür
die nächste Fahrt selbstständig leisten
zu tönnen. So sah Tobias Gödecle
die Aussicht vor sich, ein blühendes
Transportgeschäst sein eigen zu nen
nen. Sein Antrag ging nunmehr da
hin, daß Scheuermann sein Theilhaher
werde, nachdem er aus dem Milliar
dienst ausgetreten sei. Er sollte aber
nicht immer in Kiel bleiben, sondern
auch nach den anderen Stationen rei
sen, zwischen denen der Transport
stattfand, um neue Kunden anzuwa
ben und die geschäftliche Seite zu erle
digen, während Gödecte den praktischen
Theil übernehmen wollte.
Ontel Tobias dachte auch schon da
ran, für später einen Schleppdampfer
zu miethen, um die Küstenfahrt schnel
ler ausführen und dadurch häufiger
wiederholen zu können. undKäthe war,
nachdem sie noch erfahren, daß ihr
Bräutigam auf den Vorschlag des al
ten Schiffers eingegangen war, auszer
sich vor Freude· Endlich lachte wieder
ein Sonnenstrahl in dag so lange Zeit
umdiisterte Hauf-.
Auch fiir Hang Gödecke, der am 1.
April zur Reserve entlassen wurde, er
öffnete sich durch die geschäftliche Un
ternehmung seines Vaters, die anfangs
nur Angst und Unglück gezeitigt hatte,
eine frohere Aussicht Er sollte, so
bald das Geschäft erweitert werden
tonnte, einen Theil der Traneporte
selbstständig aus-führen. Da er aber,
um zum Steuermannseramen der
Handelsmarine zugelassen zu werden,
ein noch zu wenig erfahrener Matrose
war, so schielte ihn sein Vater vor
täuiia noch auf Reisen.
Hans- Gödecte lizfz sich von einer dä
nischen Gesellschaft anheuern und be
fuhr in den nächsten Wochen die
Strecke Kopenhagen - Gotl)enburg
Ehristiania.
Einmal ward ihm aus seiner Reise
noch eine Zustellung vor das deutsche
Eonsulat in Kooenhagem wo er erfuhr,
daß seine commissarische Vernehmung
in der Anllagesache gegen den des
Gistmords angetlagten Schiffsbau
meister Sendlinger stattfinden solle.
Er vermochte nichts anderes vor der
Gerichtscommisfion anzugeben, als
was er schon vor dem Untersuchungs
richter des Kriegsgerichts auggesagt
hatte.
Die Antlagesache rückte nur langsam
vom Fleck. Obwohl alle Welt von der
Schuld des falschen Freundes über
zeugt war, so beharrte dieser doch nach s
,wie vor bei feinem Leugnen. Er be
ries sich auf dieEntlaftung durch Fräu- i
lein von derTann· Die Untersuchungs- ;
behörde bot alle Mittel auf, um dieser«
hauptzeugin habhaft zu werden, aber»
nirgends war etwas über ihren Ver
bleib in Erfahrung zu bringen. We
der vermochten die Dienstboten im von
der Tann’schen hause in Berlin etwas
darüber auszusagen, noch wußten sich
die zur Bestattung der alten Dame ein
tressenden Verwandten die Abwesen
heit und das gänzliche Schweigen
Karlas und ihres Vaters zu deuten.
Wahrscheinlich war es, daß der Admi
ral in Begleitung seiner Tochter über
Bergen in das Jnnere von Norwegen
gereist war.
Das Gericht machte sich natürlich
seine besonderen Gedanken über diese
fluchtartige Abreise der Hauptzeugin
Sendlinger hatte ohne Zweifel Karla
zu bestimmen gewußt, daß sie sich bereit
erklärte, ibe den wichtigen Alibibeweis
zu verschaffen. Denn dasz zwischen den
Beiden eine rückhaltlose Verständigung
zu Stande gekommen sein mußte,
hatten die stattgehabten Erhebungen
schon längst ergeben. Es war also
vorauszusehen daß Karla von der
Tann, die sich vor die Wahl gestellt
sah, entweder einen Meineid zu schwö
ren oder aber den Geliebten dem siche
ren Untergang entgegengehen zu sehen,
die Krast der Entscheidung nicht in sich
fühlte und deshalb irgendwo im Aus
lande sich verborgen hielt. Allgemeine
Verwunderung erregte es nur, daß
herr von der Tann, der biedere, durch
und durch ehrenhafte alte Admiral
aleichfalli nichts von sich hören lies- —
—
sa, das er man einmal vom Tode set-E
ner Schwester Notiz genommen hatte. z
Daß er die Absicht hatte, den Schisss- i
baumeisier zu schonen, konnte man
nicht annehmen; denn man erinnerte
sich jetzt, dasz Sendlinger gelegentlich
der Bestattung Ewalds von dem alten «
Admiral durchaus nicht liebevoll be
handelt worden war; hatte der
Schisssbaumeister doch nicht einmal j
Zutritt zur Kapelle während der Ein
segnung erhalten. .
Lauter Räthsel waren das, die we
der die Zeitungen noch das Publikum
zu lösen wußten. Das Gericht abers
schwieg über die Erzeugnisse der Unter
suchung.
Es vergingen mehrere Wochen, ohne
daß man in sonst unterrichteten Krei
sen von einer Häusung der Jndieien
beweise hörte; endlich aber ersuhr man,
daß trotz des hartnäckigen Ableugnens z
des Angellagten und trotz des Aus-«
bleibens der sogar öffentlich ausgerufe
nen Entlastungszeugin die Verband-,
lung gegen Sendlinger vor dem ;
Schwurgericht der soeben beginnenden Z
Session ausgenommen werden sollte. !
Man brachte der Verhandlung ro- ;
szes Interesse entgegen. denn der ro- !
cesz hatte jenen pilanten Beigeschmack,i
der in jedem auch noch so erschüttern
den Liebesdrama von der sensations-;
bedürftigen Menge gewittert wird. !
Um all’ diese Geschichten iümmerteT
sich Hans Gödecke, sobald er mit dem;
Militär nichts mehr zu thun batte,i
auch nicht im Geringsten. Gewiß be- ?
wahrte auch er seinem armen Herrn;
ein warmes Angedenken, aber an dies
eigene Leidens-seit und an die surcht-å
bare Qual seines Vaters und des ans,
ihm selbst fast »zum Verbrecher gewor-Z
denen Zahlmeisters sowie an die armek
Vase und seinen Oheimdachte er nur;
selten und dann mit Grausen zurück
Mit vollen Zügen genoß er nach dem-;
steten Zwang des Dienstes bei derz
Kriegsmarine die größere Freiheit am i
Bord eines Handelsdampsers Es war ?
der Salondampser »Rutland«, aus den
ihn der Heuerbaas geschickt hatte. Der F
Dienst war aus dem mit modernem;
Coinsort ausgestatteten Schisse sehri
leicht; dazu lam, daß der Eapitän des;
,,Rutland« ein prächtiger Mensch war,Z
der von seinen Leuten zwar Fleiß.g
Sauberleit und unbedingten Gehorsam Z
forderte, aber im Uebrigen. besonders;
während der Nastzeiten im Hasen, auch .
nicht die geringste Anstrengung bean-;
spruchte. Das Recht, selbstständig übers
seine Freizeit verfügen zu dürfen, war;
für Hans Gödecte etwas ganz Unge-J
wohntes, denn bei der Kriegsmarine’
bedeutet der Aufenthalt in einem Ha-J
fen gewöhnlich nur eine Steigerung der
Arbeit. ?
Siebenmal hatte er die Reise nun;
schon zurückgelegt Das Schiff war
selten in all« seinen Theilen aefüllt,z
denn die eigentliche Neisezeit sollte erst T
beginnen. Für die achte Reise schiens
die Betheiligung aber reger aus-zufal-;
len; denn in Christiania lagen schon«
mehrere Anmeldungen für die erstes
Klasse vor. i
Bei der Abfahrt fiel dem Matrosens
eine hübsche junge Dame aus, die ers
schon früher einmal gesehen habenz
mußte, wenigstens kamen ihm ihre Ge- ;
sichtszüge bekannt vor; auch des hell-IF
blonden; feingeträuselten Haares und;
der tiesblauen Augen erinnerte er sichs
Er hatte aber in den ersten Stunden;
der Fahrt gerade Dienst, also vergaßs
er die Erscheinung E
Als er frei war, begegnete er der;
jungen Dame wieder aus dem Prome- !
nadendeck. Es war ein wundervollers
Maitagz golden lag das Sonnenlichts
auf dem zerrissenen und zertlüfteten,!
zum Theil bewaldeten und mit schö-«
nen Villen und schmücken Därsern be
setzten Strande des weiten FjordH
Schnell eilte der elegante DampferI
durch das tiefblaue Wasser, weißes
Kämme aufwiihlend. Es war tühls
: am Bord. Dennoch lustwandelten die;
Paare fast ununterbrochen in fröhlicher ?
Stimmung über das Deck.
Nur Gödeeles Bekannte schritt ein
sam her und hin. Sie war schwarz
gelleidet. Hans zerbrach sich den
Kopf darüber, wo er die junge Dame
früher einmal gesehen haben mochte.
Plötzlich zuckte der Matrose bei einem
Blick aus ihren schönen Augen, der ihn
zufällig streifte, jäh zusammen. Er
wußte nun, wer es war —- wer es sein
mußte: das Modell jener eolorirten
Büste, die auf dem Schreibtische seines
herrn gestanden hatte! «
Nun erinnerte er sich auch des Na
mens. Er hatte ihn ja häufig auf den
Briefen gelesen, die er für seinen herrn
hatte bestellen müssen: Dagniar Peter
sen, die Braut seines ermordeten
Herrn, war est
Eine tiefe Rührung beschlich den
ehrlichen Matrosen. Es drängte ihn,
mit der Unglücklichen zu reden, und
doch hielt ihn eine seltsame Scheu u
riict: es war noch immer der soldatische
Respect vor der Stellung seines ver
storbenen Herrn. Aber im Stillen
machte er sich so« feine Gedanlen über
das seltsame Wiedersehen.
Wo tani Fräulein Petersen her?
Lebte sie denn nicht mehr in Kopenth
gent Und wo wollte sie hin? Sie war
der einzige Passagier, der in Tänsberg
ans Land gese t werden sollte. Thus
berg lag zwar ehr prächtig am Fjord,
aber ej war doch ein sehr stiller Auf
enthalt, zumal jetzt, lange vor Beginn
der Badezeitl
Ob sie über den Fortgang des Pro
cessei in Mel unterrichtet warf Ob sie
eine Ahnung davon hatte, daß einer,
den man in die nächste Berührun mit
dem an ihrem Bräutigam ver bte
i
l
i
«
Mord gebracht hatte, tn ihrer nachnen
Nähe verweilte?
Seine ganze Leidens-en rtiekte ihm
wieder vor’s Auge, und Haß nnd Groll
erfüllten ihn gegen Vollrath Sendlin
ger, den verrätherifchen Freund Meer
heimbs, der aus Eifersucht — und noch
dazu aus einer ganz unbegrundeten
Eifersucht —- einen Mord aus sein Ge
wissen geladen hattet Aber tiefer Groll
erfüllte ihn auch gegen Meerheimbs
Cousine. Wäre es nicht richtiger und
muthiger gewesen, wenn sie den Uebel
thäter, der sich auf die Entlastung
durch sie berief, frei und rücksichtslog
des furchtbaren Frevels vor dem Ge
richt besichtigt hätte, statt daß sie feig
das Land verließ und auf keinen Auf
ruf antwortete?
Der Matrose wurde aus feinem tie
fen Sinnen durch den Ruf des zweiten
Steuermanns ausgefchreckt, der ihm
befahl. die Signalflagge zu hissen.
Hastig sprang er nach dem Heck, ne
stelte den schmalen blauen Zeugstreifen
an die Schnur, und gleich darauf flog
das Signal am Top in die Höhe. Es
war das Zeichen, daß an der nächsten
Station ein Boot zur Abholung von
Passagieren heranrudern müsse. Die
Zahl der Wimpel bestimmte die Zahl
der verlangten Boote. —
Laut klang der Ruf der Dampfpfeife
über’s Wasser. Die promenirenden
Damen, die sich, nichts ahnend, in der
Nähe der Maschine befunden hatten,
treischten vor Schreck laut auf.
Dagmar Petersen schien allein un
berührt. Sie stand an der Brüftung
und schaute durch einen Feldftecher
nach dem Strande aus. Man sah in
der Entfernung von mehreren Kilome
tern zwischen einigen nackten, nur von
Leuchtthiirmen und Wächterhäusern
bestandenen Jnseln die Thurme und
Dächer einer kleineren Stadt. Am
Ufer wurden auch bald mehrere Land
hänser sichtbar, nach notwegischerBaus
art von rothgemaltern Holz ausgeführt,
mit weißen Fenster- und Thürrahmen
und ebensolchen Querbalken. Ein
freundliches Bild
Näher und näher kam das Schiff
dem Strande; es fuhr langsamer. Man
hörte deutlich das Stampfen der Ma
schine. Das Fahrzeug begann ein we
nig zu schwanien; rasselnd klirrten die
Ketten hinunter, die dieFallreepStrepae
festgehalten hatten.
Da wurde auf demWasser eine lleine
rothe Nußschale sichtbar. Man sah das
Aufblißen der aus dem Wasser aus
tauchenden Ruder, dann wurde auch
die schlanke schwarze Gestalt sichtbar,
die das Fahrzeug lentte; es schien eine
Dame zu sein.
Unwilltiirlich wandten sich alle Blicke
von dieser in dem Boot sitzenden Dame
in Trauer zu der jungen Dänin zuriick,
die nun das Taschentuch zog und nach
dem Wasser hinwinkte.
Einen Augenblick lang waren die
Passagiere imsweifel darüber, ob denn
die fremde junge Dame die Lenterin
des osfiziellen Landungsbootes sei,
da man sonst auf dem Wasser keines
erblickte. Kundige wiesen dann aber auf
die breite Landungsbriicke hin, die als
ein starter, wettetfester Steg von gut.
hundert Meter Länge in den Fiord
hinausragtr. An der mastbaumartig
sich vom Brückenkopf erhebenden Fah
nenstange war inzwischen gleichfalls
eine Signalslagge gehißt worden,
zum Zeichen, daß der Dampfer anlegen
solle.
Beim Nähertommen sah man auch,
daß umfangreiche Frachtstiicke der Be
förderung harrten. Ein großer Con
certfliigel befand sich darunter. Die
Fahrgäste machten allerlei ärgerliche
Bemerkungen, denn natürlich sahen
sie einen längeren Aufenthalt voraus.
Auch Hans Gödecke musterte die un
geheuren Gepäckstiicle scheelen Blickes.
Wenn das Einlanden auch mittels des
großen Schiffstrans vor sich ging —
er wußte, daß es bei so kolossalen
-Stiicken aller Kräfte bedurfte. Und
s gerade jetzt hätte er sich gern demFräu-s
lein Petersen genähert. Er konnte es
s nicht übers Herz bringen« sie so ziehen
I zu lassen, ohne ihr zu sagen —
. »He, Gödecke!« rief ihn in diesem
Augenblick der zweite Steuermann an.
i Der Matrose blickte verwirrt auf.
»Kosfer nach Tönsberg!« befahl ihm
der Vorgesetzte.
Jm Nu war Hans bei Fräulein Pe
tersen, die er um ihr Handgepäcl und
ihre Gepäetmarle bat.
Dagmar gab ihm, ohne ihn anzuse
hen, das Berlangtr. Sie nickte noch im
mer der Jnsassin des Bootes zu, die
neben dem Schiffe herfuhr und« dieses,
troh der schautelnden Bewegung der
aufgewiihlten Fluth, bis zur Lan
dungsbrüete geleitete. «
Jetzt tauschten die beiden Damen
Grüße aus, und es stieg dem Matrosen
jäh ins Herz herauf, als er die ernste
Stimme der unten auf dem Wasser
Schaulelnden vernahm.
»Fräulein Maria«-« entsuhr es ihin
unwillkürlich Ja, sie war es, die Cou
sinle des Todten, die Tochter des Admi
ra s.
Eine mächtige Bewegung ergriff
den Mater-sen Vor welch neuem Mith
sel stand er hier! Da sah er in fast
greifbarer Nähe die Zeugin des Ver
rechers, der flüchtig geworden war,
um nicht Sendlingers Anklägerin wer
den zu müssen! hans Gödecke fühlte ej,
wie der lang verhaltene Groll sein Verz
auswühlte. Was er in diesem Augen
blick gegen die fühllose, verblendeteBeri
wandte seines armen Herrn empfand,
waren Daß und Rachsuchtl
Entsetzung folgt.)
s- - · DA-«