Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 24, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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    —
xtuf dunkler Bahn.
Von Carl Treumaun.
Das Bergglöckchen läutete. Sein
Klang nemaltnte die Bergleute an den
baldigen Beginn der Frühschicht. —
Die leichtbeschneiten Gassen der al
ten Berastadt waren noch von der tie
fen Ruhe der Nacht umfangen; aber
schon leuchtete hier und da ein schwa
chen Lichtschein in den Fenstern auf.
Bald schallten die ersten Tritte anfech
render Bergleute fernher durch die
stillen Gassen.
Der aaukelnde Schein der Gruben
blenden huschte gespenstisch an den«
Wunden der Häuser hin, in flüchtigen
Umrissen riesengroße Schattenbilder
zeichnend —- In den Schall der Tritte
der schweren, eisenbeschlagenen Holz
sttefel, die so hart und rasselnd auf
dem holprigen Straßenpflaster klan
3U,»Mtschte sich immer häufiger das
erausch der sich öffnenden und wie
dev schließenden Hausthüren, und ei
ner kleinen Völlerwanderung glei
chend, ergoß sich der Strom der an
sahrenden Bergleute durch die Gassen,
immerzu der einen Richtung folgend,
in der. unweit der Stadt, die Schachte
der »Himmelfahrt« lagen.
«Nach einer- in schwerer Gemüthsber
stimmung fast ganz schlaflos ver
brachten Nacht hatte sich der Hauer
Ernst Walter von seinem Lager erho
ben. T- Wäbrend die jugendliche
Schwagerin Frida Mühling, die seit
dem Tode der Gattin dem kleinen
haushalte vorstand, den Morgenkassee
bereitete, leate er die von der» schwefeli
gen Grubenluft getränktenGrubentlei
der an.
Jn gewohnter Fürsorge goß er aus
der dem Spinde entnommenen Glas
flasche Oel in die Lampe der Blende
und aab auch dem in der Zschärper
tasche aufbewahrten Reservefläschchen
neue Füllung
Nachdem er noch eineTasse des dam
pfenden Kaffees getrunken und den
von der Schwägerin indessen gefüllten
Brotbeutel unter den Falten des
Berakittels an der Brust untergebracht
hatte, trat er seine Wanderung nach
der Grube an·
»Frida, vergiß ja nicht, daß Rudi
heute eine Stunde früher zur Schule
muß,« äußerte er noch im Fortgehen.
»Glück aui!«
»Nein, Schwager, ich werd’s nicht
vergessen und Nudi rechtzeitig wecken,«
beruhigte ihn diese. »Glücl auf! und
tomm’ aeiund wieden!«
Jn trübem Sinnen schritt er die
wohlbekannten Gassen entlang, vor
über an dem altehrwürdigcn Donaths
tburm. um bald die Stadt hinter sich
zu lassen.
Das Herz war ihm so sorgenvoll
und schwer und die stolze Hoffnungs
sreudiateit, die ihm noch vor wenigen
Tagen die Seele bewegte, war nun da
hin aui immer. — Er hatte so zuver
sichtlich gehosst und gewöhnt, daß in
dem verwaisten Heim für ihn und die
armen muttenlosen Kleinen ein neues
bescheidenes Glück erblühen werde.
Von Tag zu Tag hatte er sich vorge
nommen, die Entscheidung herbeizu
führen und die so still und segengreich
waltende Schwägerin, die den verwai
sten Kindern im wahren Sinne des
Wortes eine zweite Mutter geworden
war, zu bitten, ganz und fürs alle Zei
ten die Stelle der heimgegangenen
Schwester einzunehmen, aber immer
und immer wieder hatte ihn eine eigen
thiimliche Zaghaftigkeit abgehalten,
das entscheidende Wort zu sprechen. —
Und nun — nun war es zu spät! —
Es war am letzten Sonntage, als
der jüngere Kamerad, der mit ihm in
der Grube vor Ort arbeitete, ihm einen
Besuch machte, um sich sein-n Dom
pfaff, der so gelehrig war und das
«Steh’ ich in finstrer Mitternacht« be
reits so allerliebst bfeifen konnte, ein
mal anzusehen
Wie es dabei gekommen, er wußte es
nicht: die Herzen der beiden jungen
Leute hatten sich gesunden und waren
in Liebe ftir einander erglüht. — Und
gestern. alö der Kamerad seinen Besuch
wiederhoite. war ihm offenbar gewor
den, was ihn mit tiefem Schmerze er
füllte und alle die schönen Pläne und
blühenden Hoffnungen mit einem
Schlage vernichtete.
Ernster Gesang tönte jetzt an sein
Ohr; er war in der Nähe des Huthau
fes angekommen, woselbst sich in der
Betstube die ansahrenden Genossen bes
reitiz zum gemeinschaftlichen Gesang
und Gebet versammelt hatten.
Gesällia rückten die bereits Dasitzew
den zur Seite, als er die Betstube be
trat und der zunächst Sitzende reichte
ihm die Lampe. damit er die seine, die
draußen im Winde verlöscht war, das
ran anzündr. Mechanisch griff seine
band nach einem der aus dem Fenster
gesimse lieaenden Gebetbücher und er
suchte, auf einer der rohgezimmerten
holzbänte Platz nehmend, die Lied
nummer auf. Aber es wollte heute
nicht recht gehen mit dein Singen; die
Kehle war ihm wie zugeschniirt. Wäh
rend er sonst mit einer gewissen Freu
digkeit seine kräftige sonore Männer
stimme zu den Klängen der tleinen
Bergorael ertönen ließ, starrte er
heute stumnk und gedantenschwer auf
das Buch nieder.
Nachdem die Morgenandacht beendet
und das Verleien der einfahrenden
Mannichast durch den diensthabenden
Untersteiger vorgenommen worden
war, ainaen die Leute auseinander, um
sich für das Cinsahren vorzubereiten.
Während die jungen Leute —- Gru
Ienjungen und Bevglnechte —- von den
Gängsteiaern die ihnen in den ver
schiedenen Grubenbauen zugedachten
Arbeiten zugewiesen erhielten, gingen
die Häuer hinüber zum Hutmanne, um
die in der Bergschmiede frischgeschärf
ten Bohrer in Empfang zu nehmen
und um die nöthigen Sprengmateria
lien zu fassen. — Für den Hutmann
und seinen Gehilfen gab es eine Weile
alle Hände voll zu thun, denn die Be
dürfnisse waren gar mannigfaltige,
und Alle wollten möglichst schnell ab
geferstigt sein. ——— Nach einem kurzen
dauernden lebhaften Durcheinander
rufen und Drängen war jedoch der
ersteAnsturm glücklich überstanden und
bald waren die Wünsche auch des letz
ten Häuers befriedigt.
Jn vlaudernden Gruppen standen
sie nun dort im Treibehause um die
Schachtmündung herum und einer
nach dem andern ergriff die Sprossen
der Fahrt lLeiter) und trat bei dem
matten Scheine der an dem Halstu
men auf der Brust hängenden Blende
die Einfabrt an. —- —
Ernst Walter hatte den Abstieg aus
der steilen Fahrt bereits bis zur fünf
ten Gezeugstrecke zurückgelegt, ohne nur
ein einziges Mal zu rasten.
Jn großen Tropfen rann ihm der
Schweiß, langsam unter- der schweren
Filztappe hervorguellend, von der
Stirn und den Schläfen hernieder,
und die Last der stählernen Bohrer, die
er in zwei Bündeln an dem über die
Schulter gehängten Strick trug, drückte
schwer und schmerzhaft.
Auf den Bänken, die zum Ausruhen
im Hintergrunde des Füllorts ange
bracht waren, hatte bereits eine größere
Anzahl Kameraden Platz genommen,
und Walter tam ein paar Augenblicke
lang in Zweifel. ob er versuchen sollte,
noch einen Platz dort zu finden, oder
ob es nicht aersathener sei, bis zur
nächsten Gezeugstrecke zu fahren. —
Das starke Ruhebedürfniß überwand
jedoch schnell alle Bedenken; langsam
schritt er, die nasse Stirn mit dem
Schweißtuche trocknend, nach denRuhe
bänten hin.
Ein paar junge För»derleute, die mit
dort saßen, räumten ihm ihre Plätze
ein und setzten die Einfahrt fort.
Die Blende zu seinen Füßen auf den
Boden stellend, nahm Walter Platz
unter den Kameraden, die eben in leb
hafter Unterhaltung begriffen waren.
Man sprach gerade von Unglücksfällen
in der Grube, und der eine Häuer
schilderte eben den schrecklichen Un
glücksfall, der sich vor etwa einem
Jahre auf dem benachbarten Schachte
ereignet hatte. Ein Paar Zimmer
linge hatten, trotz des bestehenden
strengen Verbotes, die Fördertonne
zum Ausfahren benutzt. Das Förder
seil zerriß; die Fördertonne raste, im
fürchterlichen Sturze Alles zertrüm
mernd. hinab in die Tiefe und die
leichtsinniaen Arbeiter fanden dabei ei
nen entsetzlichen Tod.
Von dem einen Unglücksfalle lani
man auf andere zu sprechen und fast
Jeder wußte etwas zu erzählen. So
tam es, daß eine tiefernste Stimmung
sich der Leute bemächtigte.
Ernst Walter, dessen Gemüthsstini:
mung so wie so schon völlig niederge
drückt war, fühlte sich unbehaglich bei
solcher Art Unterhaltung.
Mit dem üblichen Gruße »Gefunde
Schicht!« verließ er bald wieder seinen
Platz und schritt zum Fahrschachte hin,
um weiter zu fahren.
Nach turzer Zeit hatte er seinen Ar
beitsblatz, einen in der siebenten Ge
zeugstrecke gelegenen Querschacht, er
reicht.
Sein jiingerer Gesell (Kamerad) war
bereits vor- ihm eingetroffen, ebenso ein
zum Kartenlaufen beorderter Förder
mann.
Beide hatten sich aus vorhandenen
alten Pfostenstiiclen ein primitiveg klei
nes Lager zucechtgemacht und waren,
von den Anstrengungen des Einfah
rens ermüdet, fest eingeschlafen.
Der« Lichtschein von Walter’s Blende
überstrahlie das Gesicht des ruhig
schlummernden Gesellen Max Rau.
Wie er so des jungen Genossen blü
hendes Antlitz sah, auf dem es wie der
sonnige Abglanz eines stillen, leuchten
den Gliiekes lag,«guoll das Gefühl einer
tiefen Erbitterung in Walter’s Herzen
aus und er empfand etwas, wie einen
tödtlichen Haß gegen den, der ihm al
les selige Hoffen und alles Glück der
Zukunft geraubt.
Sein tlarer Verstand und sein aus-.
geprägter Gerechtigkeitssinn gewannen
aber bald wieder die Oberhand.
Was konnte dieser dasiir,"daf; er nun
so glückverlassen und hoffnungsarm
der Zukunft gegenüberstand? — Trug
nicht er mit seiner Zaghaftigteit allein
die Schuld an dem Verhängnisse?
Hätte er dem jungen Genossen ge
genüber nur einmal von seinen Plänen
und seinen Hoffnungen gesprochen, ge
wifi wäre es dann nicht so gekommen,
wie es nun geschehen war.
Mar Rau würde niemals seine
Blicke zur tiinstigen Gattin des Freun
des und Arbeitsgenossen erhoben haben
und eine gegenseitige Annäherung der
jungen Leute wäre von vornherein aus
geschlossen gewesen.
Um noch ein wenig zu rasten, hatte
Waltek sich ebenfalls einen Sitz aus
Pfostenstiieten zurecht gemacht; es litt
ihn jedoch nicht lange in der Unthätig
keit. Er weckte die Anderen und ge
meinsam begannen sie die Arbeit.
Vor Ort hatte sich der durch die
Sprenaarbeiten der vorher-gegangenen
Nachtschicht entstandene Pulvergualm
sast gänzlich verzogen.
Während der Fördermann die los
gesprengten Gesteinsmassen zurück
—
riiumte. um sie dann mit dem Lauftar
ren bis dahin zu fördevn, wo sie in die
Hunte (Förderwagen) geladen werden
»lonnten, trafen die beiden Häuer ihre
Vorbereitungen zum Beginn der
Bohrarbeiten.
« Bald schallte, in lustigem Doppel-»
schlage, der Klang der Bohrfäustel
»durch die nachterfüllten Räume der
JTieir.
; Das Gestein war sehr quarzreich
»und hart, und wie unermüdlich die
;Bohrenden auch das schwere Fäustel
, schwangen, nur sehr langsam und all
mälig grub sich das Bohrloch seinen
Weg in das harte, spröde Felsgestein.
Mar Rau, der die trübe Gemüths
stimmung des Gesellen anfänglich nicht
beachtete, ver-suchte wiederholt, wäh
rend der das Fäustel schwingende Arm
ausruhen mußte, ein Gespräch anzu
lniipfen, er erhielt aber jedesmal so
targe, ausweichende Antwort, daß er
mit einiger Verwunderung über den
Mißmuth des sonst doch so zugängli
chen Freundes, bald alle weiter-en Ver
suche aufgab.
So spann sich denn die mühselige
und eintönige Arbeit des Bohrens in
Schweiasamleit weiter.
Als der aufsichtführende Gängstei
ger erschien, war das eine Bohrloch
ziemlich niedergebracht; in jeder
Schicht waren gewöhnlich zwei zu boh
ren.
Der Steigen fand nichts Besonderes
vor und verließ bald wieder das Ort
lhorizontal getriebener Grubenbau),
nicht ohne daß er noch zur größten
Vorsicht beim Besetzen der Bohrlöcher
und beim Schiefzer ermahnt hätte.
Das Niederbringen des zweiten
Bohrloches wurde durch die kurze Mit
tagspause unterbrochen. —- Die Leute
machten sich’s auf ihren Pfostenstücken
bequem und verzehrten das mitge
brachte Buttetbrot.
Zur Stillung des quälenden Durstes
diente der in einer Blechflasehe mitge
führte lalie Hasses
Nach dem Essen streckten sie die mü
den Glieder auf den Pfosten aus, um
noch ein wenig zu ruhen. — Die Zeit
der Mittagspause ging aber schnell
vorüber: überall in den Grubenbauen
fing es aus’s Neue an, zu hämmern
und zu arbeiten.
Nachdem die Bohrliicher auf die ge
nügende Tiefe gebracht waren, ging es
an die Arbeit des Besetzens (Ladens)
derselben.
Die mit Sprengvuloer gesüllteHülse
wurde vorsichtig in das Bohrloch ein
geführt und gegen den Boden dessel
ben fesiaedrürtt. Die in das Pulver
der Hülfe gesenkte, mit einem schwachen
Schilfröhrchen umtleidete und mit
ihrem Oebr über den Rand des Bohr
loches hervorragende Schießnadel hatte
die Aufgabe, den Zündgang freizuhal
ten. .
Mit dein Stamvfer wurden über der
Pulverhülse die den Besatz bildenden
Lehmwolgern sesigerammt, bis sie das
Bohrloch bis an den Rand füllten.
Hierauf wurde die Schiesznadel aus
dem Bohrloche entfernt und die Mün
dung des Zündganges mit einem ge
schnitzten Holzpflöckchen abgeschlossen.
Der Schilf-künden an dessen einem
Ende das zum Anbrennen und Ent
zünden des Bohrloches dienende Stück
chen Schwefelfaden angebracht wurde,
durfte erst vor dem Abbrennen jedes
einzelnen Bohrloches eingeführt wer
den.
Bald war die Arbeit des Besetzens
gethan. Ein eigenthümliches Knacken
im Gestein zeigte an, daß in anderen,
entfernteren Grubenbauen das Schie
ßen oder- Svrengen bereits begonnen
hatte.
Nachdem man alles Gezay, Holz u.
s. w. weaaeräumt und die nöthigen
Sicherheitsoortehrungen getroffen hat
te, konnte auch hier das Sprengen vor
genommen werden.
Walten als der ältere Hauer, hatte
mehr unten. nach der Strosse zu, ge
bohrt. Seine Bohrlöcher waren zuerst
zu sprenam — Nachdem der andere
sich bereits ein Stück zurück begeben
und hinter der Sicherheitsblende feiner
aus starken Hölzern hergestellten und
zum Schutze vor sortgeschleuderten Ge
fteinsftiicken dienenden Thür)Pofto ge
faßt hatte, steckte er den Schilfziinder
aus« brannte den Schweselfaden an
und beaab sich dann unter dem vorge
fchriebenen Warnungsrufe »Angesteclt,
’s brennt!« mit raschen, aber umsichti
gen Schritten zu dem Gesellen, Inn hier
still zu verharren, bis ein lautes-, dvns
nerndes Getöse anzeigte, das; die
Sprengung sich vollzogen hatte, wenn
anders diese nicht versagte, was bis
weilen geschah, und nur der leichte
Schlag des Sünders hörbar wurde.
Als Walter feine beiden Bohrlöcher
glücklich abaebrannt hatte, kam die
Reihe an Max Rau. —-- Ein dichter,
undurchdringlicher Pulver-qualm, der
feine Woaen bereits bis in die Nähe
der Sicherheitsblende wälzte, erfüllte
den Raum vor Ort. da Rau an das
Abbrennen feiner Vohrlöcher ging.
Der hinter der Sichersheitsblende
harrende Walter hörte noch, wie der
Gesell sich eiligst vom Ort entfernte.
Mitten in dem Ausrufe ,,Angesteckt, s
brennt!« ---— aber brach der Gesell
plötzlich ab: ein Geräusch, als ob Je
mand übev ein Hindernisz ftolpere und
hinstürze, wurde hörbar und ein angst
voller, wimmernder Hilferuf tönte an
des Erfchrectten Ohr.
Schon wollte Walter dem von schwe
rer Lebensgesahr bedrohten Gefährten
zu Hilfe eilen, da war es ihm, als ob
eine unsichtbare Macht ihm dieSchritte
hemme und eine Stimme ihm zuraune:
»Laß ihn doch umkommen, der dir deii
ganzes Lebenzgliiek zerstört! Werts-. er
nicht mehr trennend zwischen eu.«;
steht, wird sie doch noch die Deine!«
Aber nur einen Augenblick währte
es, daß Walter diesem lähmenden
Banne aehorchte.
Mit einem kräftigen Ruck riß er sich
los von den sündhaften, selbstsüchtigen
Gedanken und Regungen und in der
nächsten Secunde schon stürmte er vor
wärts, die Blende tief zu Boden hal
tend, denn der erstickende Pulverdampf
hüllte Alles mit seinem Schleier ein.
Er fand den hilseheischenden Genos
sen wimmernd zwischen den losge
sprengten Gesteinsstiicken liegend vor.
Nur ein vaar Schritte weiter sah er
vor Ort die blaue Flamme des Schwe
selfadens lodern.
Hier galt kein Besinnen, hier that
schnelles Handeln noth; an Secunden
nur hina hier das Leben!
Schnell beugte er sich zu dem Ge
stiirzten nieder und hob ihn mit träf
tigen Armen empor.
»Raff’ dich auf, Gesell,« mahnte er
dringlich, ,,sonst sind wir Beide ver
loren!«
Der aber stöhnte vor Schmerz und
vermochte sich kaum aufrecht zu er
halten. «
»Gott, o Gott, ich kann ja nicht! —
»Ich glaub’, ich habe das Bein gebro
j chen!«
Weiter und weiter fraß indeß die
gieriae Flamme an dem kurzen Schwe
felfaden; — Walter dachte daran und
ein Schauder durchrieselte seinen Kör
per. —- Ja, wenn er die Flamme lö
schen iönntel —- Allein sie befand sich
zu hoch.
,,Rette du dich, Gesell, um deiner
Kinder willen! Meiner mög’ sich der
Herraott erbarmen!« tönte es jetzt an
sein Ohr. Aber hastig gab er zur
Antwort: Niemals-! — Das geschieht
nimmer, daß ich dich treulos im Stich
lasse! Geschwind —- leg’ deine Arme
um meinen Hals, ich muß dich tra
gen!«
Jener that, wie ihm geheißen wor
den, und mit der Aufbietung aller«
Kräfte suchte Walter auf seinen Ar
men den Berletzten aus dem gefahrvol
len Bereiche zu bringen.
Nur mühsam vermochte der Fuß sich
seinen Weg zu bahnen in der tiefen
Finsterniß. —-- Das Licht der Blende
war bei den heftigen Bewegungen er
loschen.
Mit keuchendersBrust taumelte Wal
ter so vorwärts mit seiner Last; ——— da
plötzlich ging ein blitzartiges Aufleuch
ten durch die Finsterniß — ein don
nerähnliches Getöse solgte und die
durch den Sprengschuß losgerissenen
Gesteins-störte sausten durch den nacht
erfüllten Raum.
»Barmherziger Gott!« kam es wie
ein leiser- Klaaelaut von den Lippen
Ernst Walter’"5 und schwer sank er mit
seiner Last zu Boden.
»Gesell, Gefell,« rief Max Rau, der
eigenen Schmerzen nicht achtend, mit
anasterfüllter Stimme, ,,bist du ge
trosfen?«
Ein leises Stöhnen nur gab ihm
Antwort.
Qa tauete er suchend mit der Hand
Iumhen ers erfaßte das von der stopf
bedeckung entblößte Haupt dec- zu Bo
den aesunkenen Retterg Aber scheu
! und erschreckt zog er die Hand zuriiclt
ssie hatte eine tlaffende Wunde berührt,
; aus der das warme Blut hervorquoll.
s Da nahten eilende Schritte und
durch den woaenden Pulvergualm und
die arauenvolle Nacht brach der Licht
schein einer hellen gelben Blende. «
Der Steiger eilte herzu, von dem För
dermann herbeigerufen. Der Letztere
war von den Hauern weiter vorn, wo
der Querschlag mit einem anderen
Streckenort sich kreuzte, postirt worden,
um etwa daher kommende Personen
des Schießens wegen zurückzuhalten
Er hatte die Hilferufe vor Ort eben
falls vernommen und den gerade in
der Nähe befindlichen Steiger darauf
aufmerksam gemacht.
Als der Steiger sich zu dem schwer
verletzten Häuer niederbeugte, um ihn
vorsichtig emporzurichten, ging ein
schweres Nöcheln über dessen Lippen
ind mit einem letzten trarnpfhaften
Zücken und Sichdehnen des ganzen
Körpers war dag mit dem strömenden
Blute langsam ver-siegende Leben ent
loben. — —
Jn dem Bergftifte hatte man drei
Tage später den Verunglückten aufge
bahrt
Weinend drückte Max Rau, der sich
aus feinem Krankenzimmer hatte her
über traaen lassen, dem braven Kame
raden und Lebensretter noch einmal
die treuen Hände.
Tieferschüttert legte er in die Rechte
des Todten das Gelöbniß ab, den ar
men verwaisten Kindern ein zweiter
Vater zu sein und nie zu vergessen,
was er dem Opfertode des Heimge:
gangenen fchulde.
Eine von dem Obersteiger geführte
Abtheiluna Bergleute in Paradetracht
mit der umflorten Knappfchaftsfahne,
und mit dem Bergmusikchore an der
Spitze bildete das letzte Ehrengeleite
des wackeren Häuers und unter den er
greifenden Klängen des Anacker’schen
Trauermarsches aus dem herrlichen
und unfterblichen Bergmannsgruß
trug man ihn hinaus. —
Leb’ wohl, leb’ wohl du Bergmanns
kind!
Du hast vollbracht den Lauf.
Treu wareft du und brav gesinnt,
Drum rufen wir: Glückaufl
i —Mquche Menschen leben
nur —- um für andere zu sterben.
see Magen deg Zeanoiimten
Humoresle ron 11. Fen.
Max Alterns Magen knurrte.
Tar- irar nich I Neues fär dessen
Besitzer, der ihm gewöhnlich in solchen
Fallen folgendermaßen Vernunft pre
digte: »Du möchtest was, ich auch,ab3r
da ich nichts habe, belonimst Du auch
nichts-. Punktum!«
Das war zwar unsteeitig logisch,
aber ein seit zehn CLnnTen fasetider
Magen hat gar keinen-Sinn fiir Logik,
und mit einem tüchtigen feieessteat ist
ihm weit eher beizukommen als mit
den herrlichsten S-.hlkissen. Wenig
stens gehörte der Magen des KaisdIdas
ten Blum zu dieser materiellen Sorte,
und da er seit acht Uhr früh, wo ihm
ein sehr dünner Kassee mit einem klei
nen Brödchen, gleichsam tzzxr zur An
sicht, vorgelegt war, hungerte, so ließ
er sich diesmal nicht niit dem actnöhn
lichen energischen Punttum adscrtigen«
fondern erhob feine Stimme lau-setv
drohender, und er oerfiigte iter eine
sehr kräftige Ausdrucks-Ieise
Blum ging aus die Straße, sein bö
ser Genius führte ihn vor die Anklage
einer Delitateßwaarcn - Handlung
Da sah er Lachsschinken und links-sc
hriiste,« aefpickte Oasen Spsrgel
Mixed Pickles und GänseleberrahetetL
Das Wasser lief ihm bei den: Zinsn
blick im Munde zusammen.
Nähe ein.
Nein, er würde nicht hineingehen,
noch aus siinszehn Pfennig. Er wollte
nach Hause, aber der Hunger bannte
ihn an die Tl)iirschwelle.
Es mußte heute da drin was Beson
deres los sein, die Kellner rannten in
ihren glänzenden Fracts beinahe ganz
weiße Servietten unter dem Arm, mit
einer noch nicht dagewesenen Geschäf
tigleit über Treppen und Gänge.
Einer der fliegenden Geister be
merkte den unschliifsig Draußenstehen
den. Ein prüfender Blick flog iiber
den Kandidaten. Cylinder, schwarzer
Anzug, natürlich, der gehörte mit zu
dem Verein »Fidelitas«, der heute im
großen Saal tafelte. Er kam zwar
eine halbe Stunde zu spät, das Essen
hatte schon um sechs Uhr begonnen.
deswegen stand er jetzt jedenfalls auch
so unschlijsfig draußen und wußte
nicht »ob oder nicht ob«. Aber Jean
war nicht umsonst seit drei Jahren
Qbertellner in ,,Weißen Hirsch«, und
ehe f-« der Kandidat noch recht bewußt
war, was eigentlich mit ihm vorgegan
gen, saß er, gedrängt von Jean und
dem Anderen, ohne Kaisermantel und
Hut an einer langen Tafel inmitten
einer fröhlichen, aus älteren und jün
geren Herren und Damen bestehenden
Gesellschaft und erercirte nach, d. h. er
genoß schleunigst Suppe und Fisch, um
mit den Anderen, die bereits bei einem
herrlichen Rostbraten mit Maktaroni
angekommen waren, gleichen Schritt
halten zu können. Und bald hatte er
das Ziel mit Hilfe des Anderen spie
lend erreicht und sah sich nun vor sei
nem Teller mit Rostbraten. Jetzt erst
dersuchte er es, zu ermitteln, wohin
ihn das unzweifelhaft giitige Geschick
verschlagen hatte.
Endlich fiel ihm die Feneipz in d:r .
sein ganzes Vermögen bestand ja nur »
Die Vereinstnitglieder der ,,Fideli
tas« waren durchgängig brave Bür
gersleute, die hier zusammengetommen
waren, um ihr Stiftungssest zu feiern.
Das hatte Blum bald aus den Reden
der Umsitzenden herausgehört.
War er nun auch nicht eine Leuchte
der Tischgesellschast, so unterhielt er
sich doch während des Tellerwechselns
sehr gut mit seinen beiden Nachbarn,
älteren Herren, von denen der eine
Seifensieder. der andere Cigarren
hiindler war.
Blum, dem der guteWein die Zunge
gelöst hatte, gab sich, gegen seine son
stige Gewohnheit, so, wie er war, ohne
alle falsche Bescheidenheit. Er sprach
offen über alles, was er wußte, konnte
und wollte, und da er ein geweckter
Kon war und viel gelernt hatte, so
imponirte er seinen beiden Nachbarn
derartig, daß der Seifensieder endlich
meinte:
,,Hör’n Sie, so ’nen jungen Men
schen hab’ ich mir schon lange je
wiinscht. Wenn ich sage mir,« ver
besserte er sich gleich darauf, »so meine
ich meine zwei Jungen. Se sind ja
nich dumm, und komme- auch in der
Schule flott mit, aber ich möcht’ doch,
daß sie noch ’n bischen mehr weghätten
als die Anderen, wissen Se, versteh’n
Se?«
Schwer zu verstehen war das nicht.
und als der biedere Seifensieder nun
fortfuhr: ,,Ueberlegen Se sich die
Sache mal, wissen Se, versteh’n Se,
und wenn’s Ihnen paßt, na, denn
kommen Se mal morgen zwischen zwei
und drei Uhr zu mir, hier ist meine
Adresse.«
Mit großer Umständlichteit holte
der Seifensieder aus einer alten, dicken
rothen Brieftasche eine Visitenkarte mit
Adresse. Schon im Begriff, dieselbe
einzuhändigen, hielt er plötzlich ein
und sagte: »Ja so, danach hab’ ich ja
noch gar nicht jefragt, am Ende sind
Sie zu aut für so was.« Als der
Kandidat darauf energisch gegen sein
,,zu gut sein« Protestirte, sagte Herr
Hieronymus Müller lebhaft: »Na,
seh’n Se, denn is es ja gut, heutzutage
muß ein einfacher Mann, wie ich’s
bin lder einfache Mann hat«-, drei
fünfstöckige Häuser in der 37"7edrich
strasre in Berlin durch Erbs-«-ft be
kommen), vorsichtig sein, wi«3n Se,
versteh’n Se, und man möcht’ sich doch
nicht gern von so ’nem junger Lassen
reinleaen lassen. der die Weickeit mit
, if
cchesseln gegessen hat und alles des-is
steht und alles weiß. Auf-Sie geht esg
natürlich nich, Herr Kandidat,« schlosi
der Alte seine Rede und Blum antwor
tete o-ffenherzig:
»Auf mich hab’ ich’s auch nicht be-·
zogen, Herr Müller, denn ich bin
durchaus kein Alles-wissen ich muß
Ihnen sogar gestehen, daß sich in diesem
Augenblick über eine ganz einfache
Sache nachdenke und nicht damit in’s
Reine komme.«
Müller fühlte sich durch das Ver
trauen des Kandidaten geschmeichelt
und sagte gönnerhast:
»Na, man los, junger Mann, viel
leicht kann ich Jhnen helfen, wissen
Se, verstehn Se, man hat doch auch
schon was in der Welt gesehn Also,
was wissen Se nich?«
Jn normalem Zustand wäre es dem
Kandidaten nie möglich geworden, das
auszusprechen, was er in der nächsten
Minute in harmlosestem Tone sagte,
aber mehrere Gläser Wein hatten ge
nügt, um in ihm einen abnormen Zu
stand hervorzurufen, und so sagte er
nun trocken:
»Ich hab’ keine Ahnung davon, wie
ich l;ier meine Zeche bezahle!«
Müller sah ihn einen Augenblick
prüfend an. Er dachte, der Mensch
wolle ihn u«7,en. Dann sagte er achsel
zxxctend:
»Das ist doch Sache des Vereins!«
»Ja, aber ich hin nicht Bereinsmit
glied.«
Und nun setzte er Herrn Müller mit
lnavpen Worten alles auseinander-.
Müller nnterbrach ihn zwar mit
einigen Worten: »Na, wissen Se, ver
steifn Se« —— aber er hörte sich dock
die Geschichte mit einem gewissen Mit
gesühl an, und als sein Nachbar ge
endet hatte, sagte er mit humoristischei
Theilnahme:
»Na, wissen Se, versteh’n Se, so’n:
Stücke sollen Se aber nich wieder mai
chen!«
Denen, die sich noch ferner für das
Schicksal des Kandidaten und seinej
Magens interessiren, kann ich die beru
biaende Versicherung geben, daß Her
Miiller nicht die mindeste Tochte
hatte, in welche sich der Kandidat mög
licherweise hätte verlieben können, das
also der würdige Seifensieder, da e
sonst mit Blum zufrieden war, ga«
ieinen Grund hatte, den Lehrer seine
Jungen hinausZucomplimentiren; in
GegentheiL er zählte nach kurzer Zei
beinahe mit zur Familie Und den
armen virhunqerten Menschen that’:
so wohl, ein behagliches Plätzchen zt
wissen, wo er hinaehörte, gern gesehet
war und was galt. Durch Müller’
Verwenduna erhielt der Kandidat ein
War bescheidene, aber feste Anstellung
die ihm eine geordnete Lebensweise er
neöalichte «
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Der gekränkt-te Waldk.
Auf dem Hofpartett war der alt
i Förster Grüninger nicht ausgewachsen .
wag er siir gewöhnlich erzählte, wa «
darum auch nicht für die Ohren vo1
Hofdamen berechnet — aber es hatt
den Vorzug wahr zu sein — — wie e
behauptete Hier eine merkwürdig
Hundegefeliichte, in derGriininger nich
die beneidengwertheste Rolle spielt —
und zwar nach verschiedenen Richtun
gen hin — die aber zeigt, daß ihm ebet
nichts, wie schon bemerkt, über di
Wahrheit geht. Möge er selbst berich
ten.
»Da hab’ ich einmal einen wunder
schönen, reinraffigen Dattel gehabt, be
dem eine Charaktereigenschaft ganz be
sonderg entwickelt war: die Ehrlichkeit
Schneidig aus der Spur, schneidig in
Bau, ein tüchtiger Hund durchausunk
ehrlich auch noch! Ein seltener Fall
gerade so serme Hunde stehlen häufi«
gern und gar ein Dactelt Aber nix
den hätt man in die feinste Speise
tammer setzen dürfen und nur zu sa
gen brauchen: »Waldl!« und er hätt
um die Welt nichts ungerührt. Nu
eins hat er g’habt: Schmeicheln hat e
nit können.
Da muß ich einmal —- ich bin Witt
wer ——— meine Wirthfchafterin wechselt
und von dem Augenblick an hat’s mi
der Ehrlichkeit beim Waldl bös ge
fpuckt! Alle Augenblick hat’s g’heißen
der Waldl hat einen Schinten, ein
Wurst, einen Bratenrest gestohlen,Ein
gemachteg aus-gefressen . . . kurz un
gut der Kerl ist mir in den Tod hinei
lzuwider geworden und eines Morgen
hatte ich ihm einen Tritt gegeben, da
er zum Haue- hinauszgeslogen ist. E
bat sich auch nicht mehr sehen lassen —
denn, wie gesagt, schmeicheln hat er ni
können. Ich bin ein vertrauensselige
letenfch aber wie ich die Wirthschaste
rin ein paarmal selbst darüber erian
l)ab’, das-, sie die grössten Patete zu
Rost geschleppt hat, die sie aus de
Speisetaunner gefüllt hat« hab’ ich doe
glauben müssen, was man allgemei
schon g’fagt hat: nämlich, dae ich nit
verträchtig von ihr bestohlen werde —
freilich lang hat’L« ’dauert bis ’5 sowe(
kommen ists-» sie hat halt so viel schmei
cheln können! . . . aber ’nausg’floge
ist sie schließlich doch!
Aber jetzt! was war denn das-? We
kam denn da, als die andere abgezoge
war, zur Thür herein?
Der Waldllll und wen zieht er at
Rock nach? ——-— meine vorige Wittl
fchafterin! Ich bin ganz starr. Zwe
mal geht er um mich herum us
schnuppert mich an . . . und dann . .
ich dank . . . und den Blick dazu!
Ja mei — ich hab’s dem Hund ntel
verdenken können —- ehrlich währt as
. längsten l«