Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 10, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

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    SMW
Beilage des ,,Anzeiger und Herold«
. P. Windolph, Herausgehen
«—Tf;«si--·.
Grand Island-, Nebt., den 10. September 1897.
II
No. 10, Jahrgang 1 s.
Die Htunde der Anthe.
Von Gottfried Böhm.
Der Lieutenant stöhnte. —- —— Eine
frühe Dämmerung senlte sich nieder
»aus die zerstörten Gefilde. Es war,
als schlösse der Himmel sein Auge vor
der Noth der Welt und den Gräneln
des Krieges. Dichte, schwarze Wol
lenllumpen eilten am Horizont hin,
gleich als hätten sie einem fernen Va
z terlande die unheilvolle Kunde von
dem frühen Tode einer Anzahl seiner
besten Söhne zugetragen. —— Den gan
zen Tag über war heiß gelämpft wor
den, der Donner der Geschütze hatte
die Luft erschüttert, und noch stiegen
aus verbrannten Dörfern Rauchwol
- en empor.
l Aber es war jeht still rings umher,
. unheimlich still. Die weißen Kreuze
des Kirchhofs starrten gen Himmel,
und zwischen alten Grabhügeln lagen
frische Leichen — ein ganzer Zug fröh
licher Jäger, deren erstarrte Hände
noch immer die Büchsen umklammer
ten, aus deren weißen Lippen aber
kein siegesfrohes »hurrah!« mehr er
tönte. Sie hatten sich zu weit von ih
rem Bataillon entfernt und waren ab
geschnitten worden; sie hatten gelämpft
k wie Löwen, aber die Wogen der Ueber
macht war-en iiber ihnen zusammenge- ;
schlagen und über sie hinweggerauscht.
Was hatten sie auch hier zu suchen ge
habt? — Es lag nicht im Sinne der
ertheilten Befehle, sich im Vollng des
Erlaireurdienftes derVernichtung aus
zusehem Der Lieutenant hatte es so
gewollt. Er war immer rücksichtslos
in Verfolgung feiner Ziele gewesen, ;
und in feinem schmächtigen Körper Z
fieberte ein maßloser Ehrgeiz. Frei
willige hatten sich ihm angeschlossen,
und er hatte sie —- in den Tod ge
führt.
Jn ihrer stillen Mitte ruhte er nun
schwer verwundet, zerschunden, gebro
chen, das Haupt auf einen Leichenstein
- gebettet. Aber das Streben, das ihn
I erfüllte und das die meisten für einen
; starken Willen hielten, war noch nicht
anz erstorben; noch glimmte ein
Funke davon in seinem halbgeschloffe
nen grauen Auge, und seine Lippen be
wegten sich.
»Alles todt?« stöhnte er.
»Nein! — ich lebe!« rief eine laute
Stimme, und unter einem Knäuel von
Leichen wühlt ein Arm sich hervor und
greift nach dem Haupt, das erft lang
sam und allmälig aus einer schweren
Betäubung zu erwachen scheint. Das
f Gesicht ist auffallend schön, aber die
fast beständig zusammengezogenen
Brauen werfen einen Schatten darauf.
Jetzt hat der Erwachte sich vollends
, überzeugt, daß er heil geblieben; er
springt von der Erde auf und streckt
die Arme in die Luft hinaus.
Der Lieutenant blickt auf die kräf
tige Gestalt, die in blonder Blüthe vor
ihm steht, und es war, als ob plötzlich
sein blasses Gesicht noch um einen Ton l
bliisser würde.
Der aus den Reihen der Todten
Auferftandene ift fein Feind, fein Tod
feind —-— er weiß es wohl. heiß und
füß ift die Liebe der Jugend, schwär
merifch ihre kurze Freundschaft, aber
heifz und bitter ift auch ihr Haß. Der
Lieuienant und der Einjährig - Frei
willige Thure haßien sich vom ersten
Augenblick an, da fie sieh sahen, mit
jenem instinktiven, leidenschaftlichen
Hasse, mit dein tiefe Wesens-verschie
denheiten fich gegenseitig ablehnen und
verneinen. Der Lieutenant ganz
Strammheit, Diseiplim Profa. der
Einjährige ganz Phantasie, Zier-fahren
heit, Auflehnung gegen das Befie
hende. Engherzige Lehrer nannten ihn
einen Taugenicht5, und feine eigene
Mutter wollte nicht an feine Zukunft
glauben.
Der Lieutenant hatte befchiossen,ihn
zu bessern, Und vorn erften Tage an,
da Thure in die Armee eintrat, unter
nahm der Officier einen nimmer ru
henden Kampf gegen feine Unbotmii
fzigieit. Gehörie er doch zu denen, die
da glauben, die miiitärifche Erziehung
könne allen Verirürnrnungen des Kör
pers, des Geistes und des Charaiters
abhelfeni
Allein zum erften Male fah er sich
einem Wefen gegenüber, bei dem feine
bewährteften Mittel nicht verfingen.
Er mochte ruhig fein und eisig kalt,
ftreng confequent und unerbittlich ge
recht; er mochte tviithen, fo viel er
wollte, ihn mit Strafen aller Art quä
len und des letzten Reftes von Freiheit
berauben »s— Thure fuhr fort, sich auf
iuiehnen und zu proteftiren, fei es auch
fchlieleich nur durch den kühnen Blick
feines Auges, durch eine gewisse Ueber
iegenheit feiner Haltung, durch ein
ganz blasses, faft unfafzbares Lächeln,
das um feine Lippen spielte, wenn der
kleine Lieutenant säbeirasselnd an ihm
vorbeiftoiziete.
Thure war natürlich fehr weit da
von entfernt, die gute Absicht anzuer
lennen,"di,e dem Verhalten feines Jn
ftruetion eieri zu Grunde lag; er
Malt ihn den Gefpriichen mit den
Kameraden einen Pedanten, einen
»Zopf«, und nannte die Behandlung,
Jdie ihm widersuhr, eine unwiirdige,
standeswidrige und hundemiißigr. Jn
der That gab es bald keine Demüthi
gung mehr, die ihm erspart blieb, und
der Lieutenant war ein Meister darin,
sie immer gerade dann und dort zuzu
fügen, wenn und wo sie am empfind
lichsten war.
Jm Kasernenhose schien Thure frei
lich kaum mehr etwas zu fühlen, sein
Ehrgefiihl schien stumpf geworden zu
sein; er ertrug Alles mit der gleichen
unzugänglichen Miene und hielt sich
dadurch schadlos, daß er im Kreise sei
ner Kameraden seinem Unmuth itber
den verhaßten Vorgesetzten in den un
zweideutigsten AusdrückenLuft machte.
Aber der Lieutenant wußte ihn auch
außerhalb des Kasernenhofes zu tref
fen, und leider traten zuletzt auchnoch
Verletzungen intiinster Natur hinzu
und vergifteten das kranke Verhältniß
noch mehr. Es hieß, daß der Lieute
nant und der Einjiihrige für ein und
dasselbe Mädchen schwärmten, siir die
kleine Fiii Bruch die sehr hübsch und
munter war und nur den einen Fehler
hatte, daß sie gern über Alles lachte
und die Widerspenstigleit und
Schwärmerei des schönen großen Ein
jäbrigen ebenso komisch sand, wie die
Strenge und«den Zorn des häßlichen
kleinen Lieutenants.
Niemand konnte es angenehm sein«
eines schönen Abends wegen einer an
geblichen Jnsubordination im Ange
sichte des Gegenstandes seiner schwär
merisrhen Verehrung angeschnauzt zu
werden; aber Thure nahm diese pein
liche Seene besonders tragisch, und
seitdem kannte sein Haß gegen den
Lieutenant teine Grenzen mehr. Hun
dert wahnsinnige Rachegedanken wog
ten durch seine Brust, und er verzehrte
sich förmlich in ohnmächtiger Wirth.
Seinen Feind todt und vernichtet vor
sich im Staube zu sehen, war ihm die
liebste Vorstellung und er trug sich mit
dem Gedanken an unmögliche Duelle
und unwahrscheinliche Schicksal-Brom
dungen. -— —
Jetzt war das Unwahrscheinlichste
lzur Wirklichkeit geworden; der er
sehnte Augenblick war plötzlich einge
treten: der Lieutenant lag blutig, zer
schunden und gebrochen zu seinen Fü
ßen; das Schicksal hatte ihn in seine
Hand gegeben; er war ohne Zeugen, er
konnte ihm zufügen, was immer die
Leidenschaft ihm einflüsterte, die
Stunde der Rache hatte geschlagen!
Der Lieutenant stöhnte. »Wir sind
schlecht ausaeiommen bisher,« sagte er
mit einer häßlichen Verzcrrung seines
Gesichtes »Sie waren ein schlechter
Soldat im Frieden, aber seit heute
halte ich sie fijr einen anständigen
Kerl: Sie werden mich nicht lange lei
ben lassen·«
Ldures Deri tma an lauter Zu po
chen, seine fragenden Blicke fiarrten
iuf den Leidenden hinab, der sich vor
Schmerz die Zähne in die Lippen
bohrte.
»Was wollen Sie von mir?« fragte
er tonloii.
Der Lieutenant deutete auf das ;
Herz. ,.."-iiele.-1 Sie gut,« sagte er. I
»Mein Revolver ist noch geladen.«
Dann schloß er die Augen.
Er verlangte den Tod, der seine
hoffnungslosen Leiden abkiirzen sollte,
er verlangte den Tod von der Hand
feines Feindes-!
Thure lief es kalt durch den Leib.
»Das kann ich nicht,« entgegnete er.
»Warum nicht?« fragte der Lieute
nant barsch.
Thure schwieg Wenn man ihn hier
träfe und neben ihm den todten Lieute
nant mit einem Kolbenschlag über der
Stirn und einer Kugel mitten durchs
Herz —— müßten ihn nicht Alle des s
feigen, heimtiickischen Meuchelmordes
an einem Vorgesetzten zeihen —- ihn, !
der ihm so oft in den Augenblicken des
überschäumenden Zornes mit halben
Worten und bedeutungsvollen Gebre
den den Untergang angetiindigt und
noch kurz vor dem Ausniarsch gedroht
hatte, daß er ihn bei der ersten besten
Gelegenheit niederschießen werde?
Aber es waren nicht dieseBesorgnisse
allein, die es ihm unmöglich erscheinen
ließen, dem Ansmnen des Lieutenants
zu willfahren; ein Widerstreben seiner
innersten Natur hielt ihn ab.
Der Lieutenant hatte die Augen
wieder geöffnet, und in dein scheuen
Blick. mit dem er den Tod erbat und
zugleich davor zurückschrak, lag etwas
ungemein Schreckliches. Thure wandte
sich unwillliirlich ab. Eine laute !
Selbstantlage pochte an die Pforten i
seines Gewissens: er hatte geslucht und i
gehaßt, er hatte mit seinen wilden i
Wünschen die Wege dessen betreten, von ;
dein da geschrieben steht: »Sein ist die s
Nachtt« —- Nun kehrte der verbrccheri
sche Gedanke dieSpihe gegen ihn selbst. i
»Ich kann nicht,« sagte er; »ich kann i
nicht!·« z
»Ich befehle es Jhnenl'· drängte der
Lieutenant«, dessen Qualen von Minute
zu Minute wuchsen. »
»So etwas tonnen Sie nicht befeh
len.« fuhr Thure auf. »Das« bin ich
nicht zu thun schuldig.«
»Wollen Sie mich lehren, was ich
besehlen kann, und was nicht? —- Das
ist so Jhre Art! — Nichts als Raison
niren. und Widerspenstigteiti — Und
weil ich Jbren steten Widerstand zu
brechen-wußte, wollen Sie sich jetzt an«
mir rächen und sich an meinen Schmer
zen weiden. O pfui! . . .
Die Zornader schwoll auf der Stirn
des Jünglings. ,,Solche Motive kön
nen nur Sie unterlegen« — hatte »
sagen wollen, aber er besann sich, daß
er einen schwer Verwundeten vor sich
habe, der im Wundfieber sprach.
»Sie regen sich zu viel auf,« sagte
er begütigend, indem er niederkniete
und dem Lieutenant das Blut von der
Stirn wischte.
»Ich werde hier verschmachten müs
ien oder von den Wölfen aufgefressen
werden, denn es gibt noch Wölfe in
dieser Gegend Frankreichs.«
Ein Anflug vonLiicheln huschte iiber
Thure’s Gesicht bin. »Ich werde Sie
nicht verlassen,« sagte er fest. »Wollen
Sie einen Schluck Wein?«
Der Lieutenant setzte die Feldflasche
I an die Lippen und sog den Jnhalt mit
- gierigen Ziigen ein. Dann dankte er
mit einer kaum sichtbaren Neigung des
Kopfes-.
Beide verstummten eine Zeit lang.
Man hörte nur noch das Rauschen der
Blätter im Abendwind und die schnel
len tiefen Athemziige des schwer Ver
wundeten. Thure überlegte, was zu
thun sei. Er hatte nie bei einem Ster
benden gestanden, und die Feierlichteit
des Augenblicks machte ihn seltsam be
klommen. »Niemand hier?« rief er
laut, wie um sich selbst von den hem
menden Eindrücken zu befreien. —
Alles todtenstill! — Hoch nein! —
Jetzt wurden deutlich in derFerne wie
der Schusie vernehmbar. . ..
»Fran«zoien!« sliisterte der Licute
nant mit geschlossenen Augen«
Tbure nahm sein Gewehr auf und
lickte finster um sich· Das Geräusch
tam näher, man hörte etwas wieCom
mandorufe. . . .
,,Gehen Sie,« befahl der Lieutenant,
der wieder zum vollen Bewußtsein ge
, kommen war. ,,Gehen Sie, sonst wer
; den Sie gefangen genommen,und dann
ist Jhr halber Ruhm dahin!«
»Ich bleibe bei Jhnen,« entgegnete
der Einjährige.
Die Stimme des Lieutenants sank
wieder zu einem heiseren Geflüfter
herab. »Wisfen Sie, wie die Francti
reurg ihre Gefangenen behandeln? —
s— — Machen Sie, daß Sie fortkom
men!«
Mit diesen drängenden Worten
stand in einein auffälligenWiderspruch
die· rarnp fhaste Fes tigteit, mit welcher
der Lieutenant "Thure’s Handgelent
umspannte und zurückhieli.
»Ich bleibe bei Jhnen,« wiederholte
der Einjährig Freiwillige.
»Nein, gehen Sie! Gehen Sie so
gleich! —- Jch will kein Opfer von Ih
nen, ich kann iein Opfer von Jhnen
annehmen!« —- Nun packte ihn ein hef
tiger Schüttelfroft und seine Zähne
schlugen aufeinander. Endlich wurde
er wieder etwas ruhiger, schloß die
Augen und sprach wie im Traume
weiter: »Ich weiß nicht, ob ich immer
ganz gerecht gegen ihn war, ganz ge
recht; ob ich mich niemals zu weit hin
reißen ließ aus Gründen, die nichts
mit dem Dienst zu thun hatten. Jenes
Verteufelte AlkädchengesichU — Nein,
ich will teinOpfer don ihm, ich brauche
lein Opfer von ihm —- O, Gott! . . .
Ein Blutstroin ergoß sich über feine
Lippen und er wurde blaß wie eine
Leiche.
Der Schall der im regelmäßigen
Schritte anriickendenTruppen kam nä
her und näher.
»Jetzt kommen sie,« sagte der Lieute
nant kaum hörbar.
,,Lassen Sie sie kommen!« rief der
Einjährige wegwerfend. »So lange
ich Tebe, soll Jhnen kein Haar ge
krümmt werden-"
Der Lieutenant blickte zu dem Ein
jährigen auf, und in seinen Auge-:
strahlte ein ungewohnter Glanz, etwae
wie Bewunderung und Dantbarteit.
Aber Thure sah nichts davon. Wie
immer hatte ihn die Gefahr tolltiiljn
und unternehmend gemacht. Er war
aufgesprungen und auf einigen locke
ren Steinen an der Kirchhofmauer
emporgctlettert. Er glaubte seinen
Augen nicht zu trauen, das waren ja
deutsche Truppenl —- Aber in sein Ge
sicht trat nicht der Ausdruck freudiger
Ueberraschung; ja er schien über seine
Entdeckung förmlich zu erschrecken.
Was wird der Lieutenant nun wieder
alles gegen ihn vorbringen? Welcher
unniöglichen Substdinationswidrigi
leiten wird er ihn in seinem kranken
Gedankengange zeihen? Ungehorsa::
vor dem Feind? Bei den überspanm
ten Vorstellungen des Lieutenants von
absoluter Disciplin schien ja alles
möglich! —- Wenn man sich still ver
hielte, wenn man die Abtheilung an
sich vorüber-ziehen ließe?«Doch pfui ! —
Welch schnöderGedankel — ,,Hurrah!«
—- ries er mit treischender Stimme.
Er handelte —- so glaubte er — wi
der seinen persönlichen Bortheil, aber
er erfüllte seine Pflicht, und das Be
wußtsein dessen gab seiner Haltung
eine Festigteit und Würde, die jeden»
Verdacht von ihm fern hielten. Dies
anrückende Compagnie trat durch das s
schwarze Gitterthor in den Kirchhof. (
Der Lieutenant hatte versucht, das
Hnrrah Thure’s nachzurufen, aber es
war nur noch wie ein leiser Hauch über
leine Lippen gedrungen. Mit unge
duldiger Geberde winkte er den Haupt
mann zu sich heran.
Thüre’s Gesicht versteinerte sich.
Jetzt also wurde die letzte, schwerste
Anklage geaen ihn erhoben, jetzt wurde
er als der Widerspenstigste der Wider
spenftigen denuncirt!
Der Lieutenant hatte sich mit über
menschlicher Anstrengung noch einmal
aufgerichtet. Er öffnete den Mund.
aber die Sprache versagte ihm. Doch
seine weißen Hände irren zitternd und
hastig über seine Brust bin, er reißt
sich mit einer letzten Kraftanstrengung
das Eiserne Kreuz ab und hält es nach
Thure hin.
Was sein Mund nicht mehr ver
mochte, sagte der bittende Blick, den er
auf den Hauptmann richtete, sagte das
geisterhafte letzte Niclen seines Haup
tes, das dann zum ewigen Schlummer
niedersank.
Und der Hauptmann verstand sehr
wohl diese stumme Geberdensprache.
»Nun, wenn e r Sie vorschlägt, müssen
Sie es doppelt verdient haben,« meinte
er, zu Thure gewendet.
Thure wollte protestiren, er wollte
gen, daß ihm der Sinn nicht nach
ßeren Anerkennungen stehe; abr
auuu iljm versaate die Stimme; ein
schwerer Druck liegt auf seiner Brust
und ein unbekannteg Etwas schnürt
ihm die Kehle zu. Das Gefühl der
Schuld, die Erinnerung an die geheg
ten bösenGedanken ist in dem Bewußt
sein der erfüllten Pflicht untergeaan
gen: der alte Haß hat sich aufgelöst in
einen neuen Schmerz.
Sie hatten einen Mantel über dieI
Leiche des Lieutenantsö gebreitet und
beteten leise. Der Wind erhob sich
kälter· die Dämmeruna ward tiefer;
am Himmel ging der Abendftern auf
und sandte einen Strolrl des Friedens
lxetnieder auf die streitende Welt.
——-..-.—
per gandsmamn
Tc1:tsrh-an1eri7anilrtic Stisze von W. v.;
Echterbrand. « ;
»J0Whl Herr Landsmann-A
"st)ie Stirn des alten Behrend ver
sinsterte«sich, und er schickte dem bis-l
diensteten Kellner, der scheinbar mit
dem Titel ,,Landstnann« ein-: Art
Band zwischen seinem anscheinbaren
Selbst und dem reichen, stadtsbetamH
ten Brauen zu knüpfen Versuchte, einen l
unwilligen Blick nach. Biber er sagte!
nichts in Erwiderung j
Als- sein Schoppen Martgxsifler an l
ihm hingestellt ward, da nibpte er ixcrz j
Zeit zu Zeit daran, schwieg »in-r r:n-x)s
immer beharr-lich. J
»Na, alter Freund, so na«iids:-kji«l,- .
ertönte die heitere Stimme seines III-i «
senfreundes Mangscld. »Ehe SpsnnJ
über die Leber gelansenI«
Herr Behrend raffte si:h arti ti-:
mußten triibe Gedanken genas-In s.«in.
die ihn beschäftigt hatt-Jn, denn seit-.
fiir gewöhnlich Liebenden braut-en Un
den blieben düster, als-·- cb sie ins
Schacht der Vergangenheit traurig
rBilder erblickten.
»Einem Geschichte,« I.1-.irtn:lke (-«
dann halb sür sich. »Wie so ein Ietzt
Eincn doch dass Geschehene wieder s-.
lebendig vor die Seele ruft.·
»Was denn I«
»Nun, so erzähle doch, wenn ci:.
Geschichte darin liegt.«
»Grab’ sie ans, Deine ErzixliirrsgI
So scholl es in bun ein Cloer t:r.·.
ihn herum.
Der alte Behrend strich sieh den er
arauenden Bart.
,.Meinctwegen,« sagte er dann,
»wenn’s Euch interessirt. Quar un
der Sache an und fiir sich cigsnilxch
nicht viel ist. Gleichviel — Ums-:
Jhr’s wollt« —
,,:’ta, ja, nur los,« brüllte cZ
»Gut denn. So bött.«
I sit
II
»Jch war damals schon .ingefähr
20 Jahre alt nnd hatte mir den Wind
schon tüchtignm die Ohren wehen les
sen. Reich war irh zwar noch nicht,
aber doch schon wohlhabend, und nahm
eine gesicherte, gcachiete Stellung in der
Stadt ein. Da wurde ich dringender
Geschäfte halber nach Sau Francisco
gerufen. Jch war noch niemals dort
gewesen. Die Stadt und ihre Umge
bung waren mir sremd und interessir
ten mich, und nachdem ich das drin
gende nein Geschäftliche erledigt für
den ersten Tag meiner Anwesenheit
schlenderte ich im Geschäftstheil de:
unteren Stadt umher, indem ich die
bedeutenderen Gebäude —- damals gab
es noch wenige wirklich stattliche dort
— musterte und die größeren Läden
mir ansah. An der Montgomerh
Str-eet, als ich mir das Gewühl vor
der Börse anschaute, stieß mich plötz
lich Jemand am Arm, und zugleich
hörte ich eine Stimme, die mich deutsch
anredete. ,,Jnteressanies Treiben hier,
Herr Landsmann, nicht wahr,« sagte
der Fremde.
»Ich drehte mich rasch um und
fixirsie den Mann scharf. Wie ein
Bauernfänger oder Abenteurer sah er
eigentlich nicht aus; aber schäbig und
heruntergekonimen. Was mich aber
kibgestofzen und stutzig gemacht hatte,
das war die Anrede, Landsmann.
Gegen das Wort hatte ich seit langem
einen Widerwillen, schon seit der Zeit,
als mich, kurz nach meiner Landung in
New York, ein Kerl, der vor einem
Kleiderladen an der Chatham Streit
stand und dessen Wiege offenbar nicht
in Deutschland, sondern in Rußland
oder Galizien gestanden hatte, so ange
redet. Und seitdem habe ich häung
gefunden, daß wenn in Amerika Je
mand als Landsmann angesprochew
wind, man ihm das Fell über die»
Ohren ziehen will. Qurzum, die An- »
rede gefiel mir nicht, und ich drehte
dem Mann, kurz entschlossen, den »
Rücken und schickte mich an, weiter zu»
gehen. Der aber ließ nicht locker. Er »
haftete sich an meine Sohlen und folgte
mir auf Schritt und Tritt immer un- i
ermüdlich aus mich einsorechend. Eri
eriählte mir von San Francisco, von’
seinem Leben und Treiben, von deni
vielen ,,iips« und »i10wns« seiner Be
wohner, von den Silber- und Goldmi
nen und den Crösussen derselben Ers
erzählte ganz unterhaltend, ost sogar
witzi g und amiisant, und seinen Schil
derungen slocht ev die komischsten
Anecdoten ein aus dem Privatleben der i
mir bis dahin nur dem Namen nachj
bekannten Millionäre, den Fair unds
Marien etc Er verbreitete sich dann
über das Theater, über die Kunst, über
die Zeitungen, die Hotels, die Sitten
und Gewohnheiten der-« Einwohner, in
dem er sich die ganze Zeit dicht an mei
ner Seite hielt. Wenn ich nicht gerade
zu brutal sein wollte, konnte ich den
Mann nicht abschütteln. Die Laute
der Muttersprache auch, hier in diesem
vielsprachigen Gewimmel, am User des
Stillen Meeres-, so weit von der Hei
math, umschrneichelten mein Ohr, und
der Mann war wirklich unterhaltend,
darüber konnte kein Zweifel sein. Er
mußte eine gründliche Bildung genos
sen haben —- seine Sprache und Aus
dructsioeise verriethen das-. Jch stand
an einer Ecke still und sah mir den
Mann etwas genauer an. Er hielt
meinen diirchdrincienden Blick ans,
sann-. mit der Wimoer zii zucken. Die
«T-’-riifiing fiel trotzdem nicht zu seinen
Gunsten ans-. Er war noch sung, aber
"(iis schweifiingen oder Entbekirungen
— — vielleicht beides ——— hatt en schon tiefe
Tini-eben in dexn jungen, Zeichen ide
fi;1«:t gegraben, und uni die MiindwE n
Zel laii ein schlaffer, müder Zug.
»Wie heissen Sie?« frin ich.
,,Ls«tiar Weber,« antwortete cr
L·:o:n«ot.
»Was sind Sie nnd was wollen Sie
Ton mi:?« forschte ich weiter.
Daran erzählte er mir eine lange
Leidensaeschichte mit derselben Suada
nnd derselben Geste, die er bei seinen
isovberiaen Schilderunaen angewandt.
Dir sei der Sohn vermögender, hochae
icesIter Leute in der Frankfurter Ge
.Jend, erzählte er, und durch eine un
aliickliche Liebe und etwas Leichtsinn
nach Amerika gekommen, wo er sein
Giiick zu machen hoffte, sich aber
ariindlich getäuscht habe. Wenn er
nicht bon seinen Eltern jeden Monat
eine Unterstützung von 810 erhielte, so
wäre er schon längst hier verhungert,
denn nirgendwo sei’s ihm bisher ge
alijckt. »Es schlägt eben nicht bei Je-»
dem an, Herr Landsmann,« so schloß
r.
c If- Itc sit
»Landsmann!« schon wieder dieses
Wort, das mir so verhaßt. Ein
Schwindler, ein Gauner jedenfalls, so
sagte ich mir im Geheimen, und indem
ich fiir die dringend angebotene fernere
Esealeitung dieses Menschen dankte,
wollte ich gehen. Da sah mich der
Fremde aber mit einem Blick voll
Thränen an. "
»Herr Landsmann, helfen Sie mirs,
retten Sie mich,« so schluchzte er dann.
»Ich habe seit drei Tagen schon nichts
Wann-es im Magen, und zu meiner
Wirthin traue ich mich nicht davon zu
sagen, denn ich schulde ihr die Miethe
noch Haben Sie Mitleid mit mir —
ich will Jhnen alles bei Heller Und
Pfennig wieder erstellen.«
Ich blickte den Menschen nochmals
genau an. Die Musterunq fiel nicht
Z aixnfiiaer aus. Es lag etwas in sei
; :::n Zügen, das mir nicht gefiel —
T etwas Berstecktcs, Unaufrichtiges, et
I was das mir entschieden nicht gefiel,
j mich abstieß. Und dann mit seinem
3 ewigen ,,Landsmann« —- das Wort
——
i
i verdroß mich.
»Ich griff in die Westentasche nnd
suchte einen Silberquarter heraus; das
reichte ich ihm. —- Das ist Alles, was
ich fiir Sie thun kann,« brummte ich
dabei und drehte mich aus den Harten.
,,,,Aber, Herr Landsmann, seien Sie
doch barmherzig — ich leide wirklich
die äußerste Noth,« schrie mir der
Mensch nach.
»Den Teufel ist ihr Landsmaan —
lassen Sie mich ungeschoren,« rief ich
entrüstet und geärgert und schritt
schnellen Schrittes von dannen.
»An der nächsten Straßenecke drehte
ichmich rasch noch einmal um. Da
— da stand der Mensch noch — aus
demselben Flecke und starr-te den Him
mel an -- scheinbar das Bild der Ber
zweiflung Es schoß mir durch den
den Kopf, daß ich gegen den armen
Kerl vielleicht doch unbarmherzig ge
handelt hatte. Schon seine Anecdoten
vwaren mehr werth gewesen als diese
lumpiae Münze, die ich ihm gegeben.
Ob ich umkehrte und ihm etwas mehr
aab? eFast hätte ich’s gethan —da
klang mir’5 wieder in den Ohren, sein
»Aber, Herr Landsmann.« Nein,
brummte ich vor mich hin —- der Kerl
ifi ein Humbuqaer — ganz gewiß.
Würde er sonst diesen Ausdruck sont
während brauchen? Ein Gauner,
aanz sicher. Er hatte auch so etwas
in sich. Und ich entfernte mich.
»Ich blieb im Ganzen eine Woche in
San Franciscox amiisirte mich ganz
aut, erledigte mein Geschäft zu bester
Zufriedenheit, und hatte das Cursum
mentresfen mit Max Weber, oder wie
er sonst heißen mochte, ganz vergessen
Beaegnet bin ich ihm nicht mehr, ob
wohl ich in der Gegend, wo ich ihn ge
troffen, noch mehrmals gewesen bin.
Am Vorabend meiner Abreise, als ich
aelanaweilt in der Lobbh des Hotels
saß, kaufte ich mir die soeben erschie
nen-c Abendzeitunq und warf einen
Blick hinein. Fast das Erste, was mir
ausstieß, war ein Bericht von einem
Selbstmord dem mehr als gewöhnlich
dramatische Umstände zu Grunde la
uer-» Und am Schlusse hieß es: »Der
Verstorbene war in San Francisco
unter demNamen Max Weber bekannt.
Sein eigentlicher Name, wie die hinter
lassenen Briese und Papiere beweisen,
lautete anders. Thatsächlich war er
der Sprosse eines altberiihmten deut
schen Adelsaeschlechts. Sein Vater
nimmt noch heute Generalsrang in der
preufiischen Armee ein. Es ist kein
Zweifel, daß die dringendste, äußerste
Noth den bedauernswerthen Menschen
in den Tod getrieben hat; ev ist, man
kann beinahe sagen, verhungert, ehe er
Hand an sich legte. Und die Ironie
des Schicksals wollte es, daß zwei
Stunden nach seinem Tode die regel
mäßige nionatliclxe Geldanweisung von
seinen Eltern eintraf, die ihn dem
Elend entrissen hätte. Zugleich hören
wir Vom deutsch-en Consul hier, daß
dcr Verewigte der- Erbe eines kinderlos
verstorbenen Oheirns ist« und dafi die
ses Erbe schon seit Wochen auf ihn
wartete, ohne daß der- Consul die
Adresse des Mannes wußte. Die
Leiche wird anständig beerdigt wed
den«
»Das ungefähr waren die Worte,
Init denen der- lanae Bericht schloß.
»Ich scheue mich nicht zu gestehen,
daß mich tiefe Reue erfaßte. Durch
reinen filziaen Geiz hatte ich dies
infinunagvolle junge Leben auslöschen
helfen-, so sagte ich mir.
»Und das-s, meine Herren, ist der
(«’-)rund, warum ich seitdem mich be
sxrzsss mich nielst Dorn Schein blenden
·- «
iu lauer
J; e m p e l b u r g. Jnfolge Brand
siistuna wurde das Haus des Schnei
dernieisteriJ Tieks ein Raub der Flam
men. Tiets befand sich mit seiner Fa
milie besuchsweise in Stettin.
—Begriindung »... Das
Stück leidet an furchtbarer Ideen
armuth!« Autor: »Aber das ist ja
gerade das Naturalistische!«
—-—- Fatale Wirkung. »Wie
wirkte denn der Aufentlalt an der See
« auf Ihre (5te1:ial)li:i?« »Ach, sie hält
» mir ietzt nur noch gesalzene Gardinen
s rediatens
— Jn Eadiz hatte der
Hausknecht eines Gastyauses einem
gerade von Cnba angekommenen Jn
- genieur einen Haufen Banknoten ent
wendet. Aig die Sache bemerkt wur
de, suchte der Dieb zu entkommen.
Mehrere Polizisten und viele Personen
aus dem Publikum betheiligten sich an
der Jagd, aber Niemand konnte ihn
erreichen, denn der Dieb Warf ab und
zu ein 3e1ne Bantnoten hinter sich, die
die Verfolger dann bestrebt waren aus
zugreisen. Dadurch versperrten sie
aber in den engen Straßen den Nach
tommenden den Weg, kurz es gelang
auf diese Weise dem Manne, der of
fenbar dem Ausspruch des hesiod, daß
die Hälfte oft mehr ist als das Ganze«
huldigte, mit dem größten Theil des
Beute zu entkommen.