Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 27, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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    —
Treue.
Von s. Stelle-.
«· 10
Ein sonniger Frühlingstag. Linde
Lust, ein sanft losender Wind, gliiels
verheißend, berauschend.
Lächelnd beugt sich eine graziiise
Mädchenge alt über einen Strauß
herrlich du tender Veilchen. Es sind
ihre Lieblingsblumen und passen zu
ihrem ganzen sonnigen Wesen, zu den
tveuen blauen Augen und der biegsa
men Gestalt. Man könnte sie selbst ein
Veilchen nennen, so reizend ist sie. Kei
sre Schönheit, noch nicht einmal hübsch,
aber von jener undesinirbarenAnmuth,
die nur Wenigen eigen. Jhr ganzes
Sein ist Güte und Grazie. Sie braucht
keine rauschenden Vergnügungen, um
liicklich zu sein, nur ein Stückchen
gimmelsblain ein wenig Sonnenschein,
dazu Vogelsang Iund Blumenduft.
Heute ist ihr ein Strauß Veilchen
gesandt worden, herrlich duftende Par
daveilchen, mit liictlichem Lächeln be
trachtet sie dieselgem sie kennt denSpen
der derselben. er ist’s, der Herrlichste
von allen.
Bei einer Freundin hatte sie ihn ten
nen und lieben gelernt und seit einigen
Tagen ist sie seine Braut. Kein Mensch
ahnt etwas von dem Glücke der Bei
den, denn er muß auf Wunsch seiner
Eltern noch einJahr fort, weit fort, als
Schiffsarzt, sich allen Gefahren und
Strapazen eines solchen aus einer See
reise aussetzen. Sie aber lann nichts
thun als ihm ihre Treue bewahren und
in untvandelbarer Liebe auf ihn war
ten. Nicht ungeduldig und sorgenvoll,
nein, hoffnungsfroh und muthig. Ih
ren Frohmuth wollte sie bewahren, den
er irnnwr so an ihr geliebt.
Zwarwürde der Abschied schwer,
sehr schwer werden, heiß traten ihr die
Thränen bei dem Gedanken in die Au
en. Schon als kleines Kind hatte dies
ort für sie die traurigfte Bedeutung,
ihr wurde von jeglichem, woran sie ihr
kleines Herz gehängt, der Abschied
schwer. Nun noch vier Wochen und sie
mußte Abschied nehmen auf ein volles
Jahr von dem, der ihr der Liebste auf
der Welt war. Tapfer und standhaft
rnußtesie sein und ihm den Tren
nungsschmerz erleichtern. O, könnte sie
mit ihm, als fein Weib, ihm zur Seite
stehen und Freud und Leid schon jetzt
mit ihm theilen.
EP
sp
Aver nein, fort mit den trüben Ge
danten, noch ist er hier« noch lann sie
ihn sehen, noch ist es Frühling, wonni
gr Frühling mit Sonnenschein und
eilchen. Ach, seine Veilchen! Debat
sarn seht sie sie ins Wasser, steckt sich ein
paar davon in den Gürtel, dann geht
sie fort, zu ihm’, mit Glück im Herzen
und einem Glücksschimmer in den Au
gen.
Vorüber sind die vier Wochen, vorbei
ist der Abschiedsschmerz, verblüht find
die Veilchen, aber hell und leuchtend ist
die Liebe in ihrem erzen, siegesbe
wußt die Hoffnung, reue und Sehn
gicht aber folgen ihm weit übers Meer.
öglich hat sie den Atlas vor sich lie
gen, studirt eifrig die Zeitungen und
hofft und wartet.
Mit Jubel holt sie sich seinen ersten
Brief selbst von der Post, dann ant
wortet sie ihm, wie nur ein liebendes
junges Menschenkind antworten lann
in der ersten heimlichen Liebeszeit Hin
und her fliegen die Briefe, fast jede
Woche erhält sie Nachricht und ebenso
oft schreibt sie ihm. Die schönsten Luft
fchlösser werden gebaut und der Re
frain eines jeden Briefes ift: »Ach wäre
es doch erst Frühling.«
Der Sommer kommt mit Gluth und
Rosen, das zarte junge Frühlingsgrün
wird dunkler, die Luft ist oft erstickend
schwer,'Kirfchen und Stachelbeeren rei
fen und alles ist Duft und Sonnen
ichs-XII
LZH Wellen Olc Mo!cll, olc IOlCllck
färben-sich gelb, ein Monat nach dem
andern geht dahin, bald ift es Herbst.
Schwer hängen die Früchte an den
Bäumen, das Laub nimmt eine bunte
Färbung an, still wehen die Blätter ab J
nnd allmälig wird es Winter, ialtet, I
strenger Winter-.
Die Menschen gehen eilig ihres We
ges, die kleinen Vögel sind längst fort
gezogen und nur die Sperlinge suchen
nach den Krumem die eine mitleidige
Hand ihnen hingestreut, tiefer Schnee
liegt überall und ein eisiger Wind fegt
durch die Straßen.
Vor einem hellslackernden Kamm
seuer sitzt eine junge Mädchengestalt,
ein welles Beilchenstriiußchen in der
Hand. Dies Sträußchen hat sie im
Frühling erhalten« im Fräblingi
Sie schließt die Angen. Und verges
sen sind all die einsamen Monate, ver
gessen die furchtbare Angst, seitdem ihr
lehier sehnfuchtsvoller Brief unbeanti
wottet geblieben. Wie schnell fliehen die
Stunden, wie reiht sich ein Tag an den
anderen, ein Monat folgt dem anderen
und dann ist wieder Frühling, er ist
wieder bei ihr, bleibt bei ihr,leinMensch
kann ihn ihr entreißen.
Da fällt ihr Blick auf die weilen
Veilchen in ihrer Hand und sie seufzt
schwer und bang. »Ach, wiire es nur
erst Frühling, läme er nur bald«. ruft
sie klagend.
Die Tage vergehen eintJnig und
trübe, das Leuchten in ihren Augen
wird schwächer, ihr Frohsinn liifzt nach
und bleich und schmal werden ihre
Wangen. Immer noch vergeblich war
tet sie auf Antwort. Reinen Augenblick
Fweiselt sie an seiner Treue, aber häu
sia schnürten ihr ein furchtbares Angst
gesiihl und marternde Sehnsucht die
Brust zufammen.
Doch Woche auf Woche verrinnt und
lie bleibt obne Nachricht. Jbr Muth
sinkt, vte trüben Gedanken verlassen sie
nicht« sie kann ihnen nicht entfliehen.
2.
Wieder ist’i Frühling, wieder blü
Tn die Veilchen und wieder zieht die
offnung ein in so manches müde
Herz. Die hoffnung! Die belebt den
Kranken, sie erhält den Zweifelnden
und stützt den Sorgenvollen.
Auch in ein trauriges, sehnendes
Müdchenherz kam sie verstohlen mit
dem ersten belebenden Sonnenstrahl.—
Nur noch wenige Tage, dann war es
vorbei mit allem Grämen nnd Sorgen,
dann kommt er zurück. Sie malt sich
das Wiedersehen aus in den leuchtend
sten Farben. Oefter schon ist sie hinaus
gewandert, bis a«n das Haus seiner El
tern, sein heimathshaus. Aber einzu
treten hat sie nicht gewagt ihr Glück ist
ja noch ein heimliches, sie hat ihm ihr
Wort gegeben, vor seiner Rückkehr kei
nem davon zu sprechen. Dies Wort ist
ihr heilig, sie hält es trotz Angst und
Sehnsucht.
Es wird Mai. Leise und zaghaft,
»wenn auch ein wenig unvorsichtig, wagt
sich schon eine Rosentnospe ans Licht.
ZDer Nachtfrost kann ihr junges Leben
zerstören
s Der so viel gepriesene Wonnemonat
jbringt manchen Reif und Frost und ei
snem sehnenden Menschenkinde brachte
ler den ersten schweren Kummer.
I Endlich, nach qualvollemWarten er
shält sie einen Brief.
»Von ihm,« jubelt sie freudig.
Doch tief enttäuscht sieht sie eine
fremde Handschrift, voll banger Ah
nung öffnet sie das Schrei«cn.
Seine Mutter schreibt ihr, rührend,
ergreifend.
Noch voll von dem eigenen Schmerz
und doch zitternd um den Kummer, den
sie ihr verursachen muß.
Langsam und schonend berichtet sie
ihr, daß ihr Sohn, der aesund und
lebensfroh gegangen, als Unglücklichesr
wiedergetehrt ist, der das Licht seiner
Augen bei einer Explosion unwiderruf
lich verloren hat.
Liebevoll sucht sie zu trösten, sdie
Mutter, die selbst so trostbediirftia ist.
Und weiter schreibt sie, ihr Sohnhabe
ihr von seiner Liebe erzählt, sie ersucht,
ihr alles zu schreiben nnd ihr dasWort,
das sie einem Gesunden gegeben, zu
rückzugehem
Die Buchstaben schwammen vor den
Augen der Lesendem kraftlos sanken
ihre Hände in den Schoß undin ihrem
Kopfe hämmerte es.
Blind, sie kann es nicht fassen. Er
k in dessen Augen sie so oft von Liebe und
zGliick gelesen, die sie so oft aufblitzen
ssah voll Zuversicht, die sich mitleidig
Itröstend beim Abschied in die ihrigen
!gesenit, er blind.
l Der ihr der Liebste aus der«.Welt, er
sollte in tieferNacht durchs-Leben gehen,
sollte sich niemals mehr mit ihr über
alles Schöne und herrliche der Welt
freuen, undenkbarx
Sie ist fassnngslo5, aus allen Him
zmeln gestürzt, ihr, dem srohsinnigen
ZSonnenkiude ift das erste herbe-Leid ge
schehen —- — · « . .
Doch das Mitleid nnt ihrem Gelieb
ten iiberwiegt ihren Kummer. Sie will
zu ihm, ihn ihrer unwandelbaren Liebe
oersichern, er bedarf ja jetzt ihrer mehr
als je.
Da fällt ihr Blick auf die welken
Veilchen. Die Erinnerung überwältigt
sie und fassungslos schluchzend glaubt
sie sterben zu müssen. — — —
Dann will sie zu ihm. Vorher iauft
sie noch Veilchen, einen großen Strauß.
B.
Jn einem von Sonne durchslutheten
Gemach sitzt ein junger Mann. Seine
Augen sind don einer blauen Brille be
schattet.
Vor ihm kniet ein bleiches Mädchen.
Der Mann hält wie segnend seine
Hände auf dem Scheitel des Mädchens.
Betäubender Veilchenduft erfüllt das
Zimmer und hoffnungslose Verzweif
lung prägt sich in den Zügen beider
aus.
»Mach’ uns doch den Abschied nicht
so schwer, lebe wohl, Gott schüße Dich,«
ruft der Mann trostlos.
»Nein, ich gehöre zu Dir, ich lasse
Dich nicht,« sagte das Mädchen ent
schlossen.
»Geh, ach geh doch,« ruft der Mann
stöhnend, »Du sollst, Du darfst nicht
an einen Unglücklichen geleitet sein.
Und wovon sollen wir leben, wovon?«
Da zieht ein verzweifelter Ausdruck
über das Gesicht des Mädchens.
Daran hatte sie noch nicht gedacht.
Er hatte mit dem Licht seiner Augen
auch noch seine Existenz eingebüßt
So sehr sie auch dachte, ihr fiel kein
Ausweg ein und mit Verzweiflung riß
sie sich endlich los.
»Ich bleibe Dir treu, oerzage nicht,
auf Wiedersehen.«
Mit diesen Worten verließ sie ihn.
Dann stand sie draußen, wie ge
lähmt an Leib und Seele.
»Wind und arm.« Diese Worte
marterten sie unaufhörlich.
Begegnete sie einem lachenden Men
schen, so hätte sie ihm laut aufweinend
zurufen können:
»Wind und arm! Weißt Du, was
dies bedeutet? Weißt Du, was es heißt,
verzichten zu müssen auf den Anblick
der schönen, lachenden Gotteswelt, im
Dunkeln zu bleiben sein Leben lang,
nachdem man die Sonne gesehen, das
Glück erschaut? Weißt Du, was es
heißt, auch noch arm zu sein, sich sorgen
zu müssen um die Zukunft? Weißt Du,
was es heißt, ein herrliches Glück vor
Augen zu haben und plö lich hinaus
estoßen zu sein. Vetla en von der
Toffnung todestraurig die Gegenwart
und düster die Zukunft?
Rein, Du weißt es nicht, denn wenn
Du es wüßtest, Du könntest nicht la
chen.«
4.
Der Unglückliche aber saß allein.
Und sie flutheten auf ihn ein die Ge
danken. Ach er konnte ihnen nicht ent
fliehen. Und so hoffnungs-, hilflos und
verlassen sollte er bleiben sein Leben
lang?
»Nein, nein,« schrie er laut, »ich er
trage es nicht! Herrgott, laß mich nicht
verzweifeln, schicke mir einen Hoff
nungsstrahl.«
Seine Eltern, seine junge, lebensfri
xche Braut standen vor seinerSeele und
chfließlich aus Neigung erwählter Be
ru .
Sein Beruf, der Traum war ausge
träumt. Umsonst die schönen Studien
jahre, umsonst sein Streben, sein Rin
gen, vorbei der Traum von Glück!
»Nein,« rief er nochmals aus, »ich
ertrage es nicht, o wäre ich doch gestor
ben, nur nicht blind sein. O könnte ich
noch einmal die Sonne sehen, noch ein
mal meinen Eltern der fröhliche Sohn
sein, meiner Braut in die treuen Au
gen schauen und sterben —- nur nicht
blind sein.«
Da vernimmt er Schritte, eine sanft
streichelnde Hand fährt ihm tosend iiber
das Haar, ein thränenüberströmtes
Antlitz neigt sich zu ihm herab und leis
flüstert eine milde Stimme:
»Mein Sohn, mein lieber armer
Sobn.« ·
US in feine Mutter.
« Er tastet nach ihrer Hand und in
schmerzlichem Schweigen sitzen Mutter
nnd Sohn, lange, lange
Als seine Mutter gegangen, ist fein
Entschluß gefaßt. —
Nach langem Suchen findet er seinen
Pistolentaften, jetzt hat er die richtige
Waffe und nun —- nicht mehr gezöi
gert.
Da steht das Bild seiner reisenden
Braut, wie er es seit einem Jahr im
Herzen getragen, vor seiner Seele. Er
hört wieder ihre Stimme, zitternd vor
Trennungsweh sagen: ,,Leb wohl,
wenn derFriihling kommt und dieVeil
chen blühen, dann sehen wir uns wie
der.«
»Nein, ich kann nicht leben, schon um i
ihretwillen nicht,« sagt er fchmerzlich,3
»ich vernichte ihr sonniges Dasein. So I
ist’s ein kurzer, scharfer Schmerz, in i
das Unabänderliche muß und wird sie T
sich sit-um« ’
Tiefer Schmerz Prägt sich in seinen ;
Zügen aus. Seinen Eltern, denen et »
Stütze sein wollte, deren Stolz er gewe- «
sen, ihnen mußte er dies anthun. »
»Stütze, Stolz,« er ruft es bitter. ’
Eine-Last bin ich ihnen nur noch, dnrch
meinen Anblick allein bereite ich ihnen ·
täglich, stündlich neuen Kummer.« ’
Entschlossen setzt er die Waffe an. .
Da ftiehlt sich ein Sonnenstrahl
durchs Fenster und er fühlt den war
men, belebenden Hauch Draußen zwit
fchert ein Vogel und der Veilchrnduft
umzieht feine Sinne ?
Er feufzt schwer.
Draußen Frühling und Sonnen
schein und ich soll weiterleben in Nacht
und Finsterniß. »Nein, nein, es kann
nicht sein. Kein Zaudern mehr! Lebt
wohl ihr Lieben, leb’ wohl Du herzige
Braut, ich muß Frieden haben, Frie
den!«
Laut und schrill fällt der Schuß
durchs Haus und erschüttert die ah
nungslofen Eltern.
o.
Inzwischen ist die Hoffnung zu der
jungen Braut gekommen und hat leise.
leise Zwiesprache mit ihr gehalten. —
Sie fand einen Ausweg!——Seine Brie
fe! —— Alles in denselben lebte. Die
Personen, die er geschildert, erschienen
ihr vertraut, die Ereignisse lebendig.
Sie hatte ihm einst begeistert ge
schrieben: »Deine Briese sind mir Bil
der. Alles von Dir Geschilderte sehe ich
greifbar deutlich vor mir, sie sind
werth, gedruckt zu sein.«
Sie holte sie hervor, einen nach dem
anderen. Der Letzte fesselte sie besonders
Er hatte ihr darin einen Sturm ge
schildert, so lebendig, daß sie ein Grau
- sen beim Lesen packte.
Jhr Entschluß war gefaßt.
Sie brachte den Brief einem Freunde
ihres Vaters, der Redacteur einer viel
gelesenen Zeitung war.
Sein Urtheil ließ sie aufjubeln.
,,Großartig, mein Freäulein,« rief
derselbe begeistert, »das packt einen ja
förmlich, hier ist Talent, ein großes
Talent.«
Sie konnte vor Erregung kaum die
nöthigen Dankesworte ftammeln. Zu
ihm, ihm, war ihr einziger Wunsch,
ihm das Vernommene mittheilen, ihm
ein Theilchen Hoffnung wiederbringen
und ihn ausrichten.
So eilt sie an das Haus ihres Ge
liebten. Leise geht sie durch das kleine
Gärtchen und tritt in das bekannte
Zimmer. Sie will ihn über-raschen.
Das Zimmer war leer. Sie geht an
die nächste Thür. Todtenftille.
Ein ihr unerklärliches Angstgefiihl
schnürt ihr die Brust zusammen.
Da öffnet sich eine andere Thür und
bleich, um Jahre gealtert, tritt ihr feine
Mutter entgegen.
Leise zieht sie das erschrockene Mäd
chen mit sich in die Laube und hier
theilt sie ihr vorsichtig und gefaßt das
Schreckliche mit.
Die noch eben so hoffnungsfrohe
Braut hört todtenbleich das Entsetz
liche mit an, kaum kann sie es fassen.
l »Ist noch Hoffnung?« fragt sie ton
os.
»Ja,« sagt die Mutter, traurig lä
chelnd, »die Kugel hat nur eine Rippe
gestreift, die edleren Theile sind, wi
die Aerzte glauben, unversehrt geblie
ben. Wenn alles gut geht, können wir
ihn uns erhalten. Aber, ob er dies als
ein Glück ansieht, das mag Gott wis
sen,« schloß sie seufzend.
Da leuchteten wieder die Augen der
jungen Braut.
»Er wird und muß genesen,« sagte
sie zuversichtlich, »und wir Alle werden
noch glücklich sein.« — Sie nahm die
schwer geprüfte Mutter in den Arm
und herichtete ihr alles.
Und wie Sonnenschein zog es über
das Antlitz der Mutter, sie trar ja auch
wieder zu ihr gekommen, die schöne, die
beglückende Hoffnung.
6.
Es ist Juli, ein schöner warmer
Sommertag. Jn der fast vollständig
mit wildemWein umrankten Laube sitzt
ein junges Paar. Der Mann sieht ein
wenig bleich aus, als ob er von einer
Krankheit genesen. Das junge Mädchen
neben ihm aber hat brennend rothe
Wangen. Soeben hat sie die längste
Rede ihresLebens gehalten, athmet nun
wie befreit auf und sieht erwartungs
voll zu dem auf, dem ihre Beredsamteit
gegolten.
Auf den Zügen des Mannes liegt ein
fast vertlärtes Lächeln und wortlos
zieht er das junge Mädchen an sich.
»Dant, tausend Dant,« sagt er end
lich, tief gerührt. »Ja, ich nehme Dein
Opfer an. Wenn Du denn Dein schönes
Leben durchaus an dasjenige eines Un
glücklichen, eines Blinden ietten willst,
nun, so sei es. —
Was in meinen Kräften steht, Dir
Dein Leben noch ein wenig leicht, ein
wenig froh zu machen, Dir sie ein we
nig zu vergelten, die unendliche Liebe
und Treue, die Du mir im Unglück be
wahrt haft, es soll geschehen.
Jetzt erst sehe ich ein, wie schlecht, wie
frevelhaft es von mir war, dieses, fiir
mich noch so unendlich viel Glück ber
gende Leben leichisinnig von mir wer
fen zu wollen«
Mit einem Jubelruf umschlana sie
ihn und eine Weile herrschteStille, tiefe
Stille, tiefe heilige Stille zwischen dsen
Beiden.
Dann fuhr der Mann fort:
»Du aber, mein Lieb, sollst nicht ent
täuscht werden, ich fühle es, Du darfst
hoffen und alauben an mein Talent.
Nicht vergeblich habe ich studirt, gelebt
und -— gelitten.
Meine erste Novelle aber soll Treue
heissen.
Sie soll Denjenigen. die nicht mehr
alauben an Liebe, an Treue, sie soll sie
ihnen w«iederaeben, den Glauben, das
Vertrarren —- es giebt noch Treue!«
Folgen der Eifersucht
Erzählung-von Adolf Wilhelm.
Dire junge Gräfin Charlotte von
J ..... » eine schöne und geistreiche
Dame, war nur erst zwei Jahre ver
heirathet, aber schon nahm sie an ih
rem eleganten Manne eine Gleichgü
tigkeit wahr, die sie mit Schmerz und
Eiferfucht erfüllte. Während der
Gotte feine Clubs besuchte, wie er vor
gab, blieb die Gattin, die sich sonst
häufig an der Seite ihres Gatten
zeigte, allein in ihrem Hotel
,,Werden wir den nächsten Donner
stag in der Oper den Maslenball be
suchen, lieber- Franz?« fragte sie eines
Tages- beim Mittagstische den Grafen.
,,Nächsten Donnerstag? Mein liebes
Feind, der Mastenball trifft mit der
Clubgesellschaft zusammen, die ich un
möglich versäumen kann, da ich zum
lsomite «geh·ore.«
,,Ftönntest Du Dich, mir zu Liebe,
nicht davon frei machen?« fragte die
Gräfin.
Der Graf führte so triftige Gründe
an, daß die Gräfin, eine taltvolle
Dame, nicht weiter in ihn drang und
schwieg. Früher hatte sie ein Opfer
gebracht, wenn sie ihren Mann auf den
Ball begleitete, wo die fashionable
Welt von Paris sich versammelte, und
jetzt weigerte er sich, ihr den kleinen
Wunsch zu erfüllen.
Die arme Frau nahm an, daf; der
Graf ohne sie den Ball besuchen würde,
den er früher um keinen Preis ver
säumt hätte. Was die Eifersucht arg
wöhnte, machte Hermine von S·, eine
Freundin, zur Gewißheit
»Ich wette,« sagte Hermine, »daß
Dein Mann auf dem Balle nicht fehlt!
Die Clubs versammeln sich an solchen
Abenden nicht, da alle Mitglieder den
Mastenball besuchen.«
»Das wäre entsetzlich!« flüsterte
trauvig die junge Frau. »O, hätte ich
Gewißheit!« ·
»Ist Ps« «.
»Die zu erlangen touu nur« seyn-u
sein, meine arme Charlotte,« meinte
die Freundin.
»Aber wie?«
»Du kennst Deinen Mann am
Gang, an seiner ganzen Haltung, wie
er sich auch kostiimiren mag; ich besorge
zwei Einlaßkarten, und wir besuchen
als zwei einfache Dominos den Ball.
Eine Stunde genügt, um den Saal zu
durchspähen. Siehst Du ihn nicht, so
kannst Du Dich beruhigen, dann hat
ev die Wahrheit gesagt.«
»Besorge die Kostüme und Einlaß
Iarten.«
Der verhängnißvolle Donnerstag er
schien. Nach dem Diner, das um fiinf
Uhr eingenommen ward, küßte der
Gras seine Gattin und ging in den
Elub. Charlotte trocknete eineThräne,
ils sie sich in ihrem Boudoir allein
befand. Die Befürchtuna, den Gatten
in der Oper zu tressen, schnürte ihr die
Brust zusammen. Um zehn Uhr er
schien Herminex um els Uhr verließen
Beide Frauen das Hotei. Ein Fiaker
brachte ne nach der Oper. Dev Ball
war ungemein zahlreich besucht.
Prächtige Masken wogten in dichtem
Gedränge durch den glänzend erleuch
teten Saal. Charlotte ging mit klop
fendem Herzen an dem Arme der
Freundin; in jeder Maske glaubte sie
den ungetreuen Gatten zu entdecken.
Die beiden weiblichen Dominos, die
allein durch den Saal irrten, erregten
bald die allgemeine Aufmerksamkeit
»Hermine,« flüsterte die Frau, »der
Türke, der uns nicht aus den Augen
läßt, scheint mein Mann zu sein. Sieh’
nur, es ist seine Gestalt, bielleicht hat
er mich erkannt.«
»Das kann Dir nur lieb sein,« ant
wortete die Freundin; »in diesem Falle
weiß er, daß Du seine heimlichen
Schliche kennst. Er geht ohne Dich zu
Balle, folglich hast Du auch das Recht,
ohne ihn zu gehen. Doch sieh’ nur-«
jetzt nähert er sich jener Damengruppe
— er redet die Türlin an — wir wol
len ihu belauschen.«
Der Pascha ergriff die Hand der
Odaliske, einer reizenden, üppigen
Frauengestalt und zog sie in die Rei
hen der Tänzer; sie mischten sich in die
Mazurka, die soeben exekutirt ward.
Charlotte hätte darauf geschworen,daß
der Pascha ihr Mann sei und daß er
aus Rücksicht für seine Tänzerin das
iürkische Kostüm gewählt habe. Jhr
Schmerz läßt sich nicht beschreiben. Je
mehr sie den Pascha beobachtete, je
deutlicher glaubte sie ihren Mann zu
erkennen. Und wie zärtlich schlang er
seinen Arm um die schlanke, elastische
Taille der Odaliske, die leicht wie eine
Sylphe durch den Saal schwebte.
Plötzlich war das Tänzerpaar ihren
Augen entschwunden.
»Komm, komm,« flüsterte Hermine,
indem sie die Freundin mit sich fort
zog.
»Wohin?«
»Jn die Nische dort, welche der Pa
scha in diesemAugenblick betreten hatt«
Charlotte ließ sich willenlos fortzie
hen. Ehe die beiden Frauen die Nische
erreichten, die sich in einem Winkel des
großen Saales besar d, wurden sie von
einem Dutzend Polichinells und Hatte
quins umringt, die auf ausgelassene
Weise ihre Maskenfreiheit benutztenz
sie schlugen mit ihren klappernden
Vritschen auf einander los, quiekten,
schrieen und trieben das tollste Zeug.
Ein neuer Haufen komischer Masken
vergrößerte das Gedränge, und nach
wenigen Minuten waren die beiden
Frauen getrennt, die sich die tolle
Schaar zum Gegenstand ihrer Scherze
genommen zu haben schien. Die arme
Eharlotte fand sich allein in einem
« Kreise neckender Harlequins, die, Gri
massen schneidend, sie umtanzten. Ein
lautes Gelächter der zuschauenden
Masken begleitete diese Scene, die ab
sichtlich hervorgerufen zu sein schien.
Charlotte war dem Umsinken nahe; sie
fürchtete, »daß man sie erkennen würde,
oder vielleicht schon erkannt habe. Aus
ihre bittenden Gebärden antwortete
man durch Lachen. Der Tumult ward
immer ärger, da in diesem Augenblicke
ein neuer Maskenzug im Saale er
schien. Die Harlequins mußten be
rauscht sein. Da theilte die hohe Ge
sialt eines Mannes den Kreis; er trug
einen eleganten, schwarzen Domino,
eine feine Halbmaske und ein schwar
zes Bareit mit weißer Feder, die über
den Rücken herabwallte.
»Zurück!« rief er mit kräftiger
Stimme und durch die Löcher der
Maske sah man seine vor Entriistung
glühenden Augen. »Diese Dame steht
unter meinem Schutze!« Und zugleich
schob er die Harlequins beiseite. Ein
lautes Gemurmel erhob sich.
»Ich bitte, reichen Sie mir den
zlrm,Madame,« sagte der Domino ru
ig.
,,Fijhren Sie mich aus dem Saal,
mein Herr, ich beschwöre Sie,« flüsterte
die bedrängte Frau.
Der- Domino zögerte nicht. Fünf
Minuten später standen Beide an dem
Portal des Opernhauses. Charlotte
hing zitternd an dem Arme ihres
Schützers, sie vermochte kaum noch sich
aufrecht zu erhalten. Ein dichtes
Schneegestöber hatte sich erhoben, die
Nacht war rauh und kalt.
»Einen Wagen, mein Hero! Jch bin
« so erschöpft, daß ich nicht gehen kann!«
Der Domino rief nach einem Fiaker.
Das Unglück wollte, daß in diesem
Augenblicke kein Wagen aus dem Platze
war Der eiskalte Wind trieb eine
Fluth von Schnee aus die leichtgetlei
dete Frau.
»Hier können wir nicht bleiben!«
murmelte mitleidig der fremde Do
mind.
-- -- .-« -...
»Um Des Dlllllllclfo Willen, suykcn
Sie mich nicht wieder in den Saal zu
rück!«
»Aber Sie sind krank, Madame;
wohin wenden wir uns? Ach, dort
drüben ist noch ein Case offen, — fol
gen Sie mir -—— ich werde einen Wa
gen bestellen lassen!«
Die Gräfin liess sich führen. Jhre
kleinen, mit Atlasschuhen bekleideten»
Fäßchen mußten den Schnee durchwu- »
ten. Zitternd vor Kälte und Er
schöpfung tmt sie in das Casebaus,
wo sie halb ohnmächtig in einen Sessel
sank.
,,Madame, in diesem Zustande kön
nen Sie den Heimweg nicht antreten.
Sie miissen etwas genießen, Sie müs
sen sich kritischen. Erlauben Sie mir,
daß ich die Sorge fiir Sie übernehme.
Ich bitte Sie zu Gaste. Kellner, die
Speisekarte. Zwei Flaschen Cham
pagner!«
Charlotte wollte ablehnen: der
großmüthige Protektor ließ sie nicht zu
Worte kommen.
»Wir speian zukommt-, Mc s Y«
sagte er, »dann hole ich einen MS
und Sie fahren in Jhre Wohnung
Das Betragen des Dominos wirstv
liebenswürdig, so decent, daß Chl!
lotte sich der freundlichenGewalt fiitls -
zumal da sie annehmen durfte,
Fremde sei ein Cavalier Man spch
über die Ausgelassenheit, die fest ii
dem Operinballe herrschte; der Domnj
war entrüstet. Jn seiner Entrüstrt
verzehrte er Trüsfeln, Pasteien, ge
tenes Geflügel und Compots, kurz -
feinste, was die Speiselarte aufo
sen hatte. Dazu trank er einige F
schen Champagner. Die arme Gräsi
berührte einiges von den Speisen, re
nicht undankbar zu erscheinen. Na
einer halben Stunde hatte der Domickz
seine Mahlzeit beendet
»Wie fühlen Sie sich, Madamef
fragte er
»Mir ist besser.« it
G,ut so hole ich auf der Stei
einen Wagen.« it
»Aber, wie soll ich Ihnen dank»
mein Herr?«
,,Dadurch, daß Sie annehmen,
habe Ihnen auch nicht den gering
Dienst geleistet Was ich that, wii
jeder Cavalieri an meiner Stelle «
than haben«
»,O so krönen Sie das Werk Jh «
Großmnth dadurch, daß Sie mit ra :
einen Wagen besorgen.« '
»Ehe Sie noch eine Tasse TEI
aetrunken haben, werde ich zurücks
iehrt sein Gorgon, eine Tasse T«
mit Bisauit!« ,
Der Domino wischte sich den M r«
mit den Serviette nnd verließ ha«2;
den Saal Charlotte wartete
zwanzig Minuten, eine halbe Stu
—— der Schützer blieb aus«
»Der Fremde wird keinen Wag
finden konnen,« dachte sie, »er verz «
mir sicherlich, wenn er mich nicht m s
antrifft « «
Sie hüllte sich in ihren Domina, ,
sich zu entfernen. Deo Kellner trat-z
entgegen. »
»Mein Freund,« flüsterte Charl :
»wenn der Herr im Domino zurück «
kehrt, so sagen Sie ihm, ich lasse sz
gen meiner Entfernung um Entschs
digung bitten.« Ye
»Soll geschehen,« war die Antwotijz
»doch vorher bezahlen Sie.« TO
L
Die Grösin erschrak; sie« erinnäf
sich, daß sie kein Geld zu sich gest
da Hermine für alles gesorgt hatte
»Hier ist vie Rechnung-« fuhr Hi
Kellner fort; ,,jener Herr hat mich .
Sie gewiesen, als er sich entferntejx
»An mich?«
»Meine Frau wird bezahlen, hat«-E
mir gesagt.« «
Hätte die Maske nicht das nie«
Gesicht der Gräfin bedeckt, so w« .
der Kellner gesehen haben, wie sie »
Scham erröthete, denn sie begriff, de
sie einem Abenteurer in die Hände fs
fallen war, der auf ihreKosten ein v-·
treffliches Nachtessen zu sich genom
hatte. Die Rechnung betrug 65 Fru
Es erschienen immer mehr Maskd
Der Kellner sah die Dame mit ar
wöhnischen Blicken an. "
»Nehmen Sie, nehmen Sie!« sag
die Gräsin, indem sie mit zitterndaz
Hand eines ihrer Anmbänder lösti
Morgen früh werde ich die Rechnung
bezahlen und den Schmuck zurücksm
dern.« ,
Charlotte athmete auf, als-sie in de ·
Freie trat. Eine große Gruppe Fiakd
hielt vor dem Opernhaus-e, in dem di
Ballmusik rauschte. Sie bestieg eine
Wagen und ließ sich nach ihrer Wol
nung fahren, wo der Thürsteher dei
Kutscher bezahlte. Kaum hatte sie ihr
Zimmer betreten, als auch der Gro
nach Hause kam. Sie hörte es» an der
Schließen und Oeffnen der Thüren
Wußte sie nun, ob er auf dem Oper-n
balle gewesen war? Sie verbracht
eine traurige Nacht. Schon friih ai
nächsten Morgen kam Hermine, ui
sich nach der Freundin zu erkundigerh
Charlotte erzählte ihr Abenteuer und
bat die junge Dame, da sie sich eines-—X
dritten Person nicht anvertrauen
könnte, das Arinband zurückzuholenx
Hermine nahm die Rechnung und suhj
ab. Nach kaum einer Stunde trat sic»
wieder zu der harrenden Charlotte ink
das Zimmer. z»
X
»Wo ist mein Schmuck?«
»Der« Kellner sagte mir verwundertsa !
daß der Herr, welcher diese Nacht die
i Zeche gemacht, den Schmuck siir seine
«Frau Vor einer Stunde mit 65 Fres
eingelöst babe.«
Die Gräfin ward bleich; sie hattet «
ein Armband verloren, das einenWerth
von sünszehntausend Franks hatte
Damit das Abenteuer- der Ballnachtz
nicht bekannt wurde, mußte sie den
Verlust ruhig erleiden
»Das sind die Folgen der Eifer
sucht!« rief sie aus«
Einige Tage später erfuhr sie, daß
der Gras zehntausend Francs in der
selben Nacht im Club verspielt batte.
»Das war eine thenre Nachtl« saate
Hermine, welche die Nachricht über-T
brachte. J
»Ich bezahle sie gern,« antwortete
Charlotte lächelnd, »denn icb habe nun
die Gewißheit, das; der schöne Pascha -
eine fremde Person war.«
Von dem schwarzen Domino bat
man nie wieder etwas gehört, aber -
Hevmine hat wohl nicht reinen Mund
gehalten, denn bald wisperten alle Sei-i s
long von der theuren Nacht. s
-.-- —.—-—---—
— Erklärlich. A.: ,,Fräulein,7s
Aeltlich behauptet, sie gehöre einer set-Cz
alten Familie an. —- B.: »Das glaubt
ich, sie hat fünf Schwestern, von denen
die jüngste 85 Jahre ist. «