Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 30, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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    «.t
Ein Wirt-ersehen.
Novellette von M. Dberberg.
Tiefe Stille herrscht in dem präch
tlgen Wohngemach, in das die unter
gehende lSonne ihre letzten, rothgoldii
aen Strahlen wirst. wei Personen
·nd anwesend; trotzdem ört man nichts
als den Pendelschlag der Stutzuhr auf
dem Kaminsims nnd die regelmäßigen
Uthem"zlige eines auf dem persischen
Teppich schlafenden Nensundlijnders»
Da hallt ein Seufzer durch das Zim
mer. Tie Frau mit dem feinen, blas
sen Gesicht, die, liber eine Sticlerei ge
beugt, am Fenster sitzt, hat ihn ausge
Boßem Erschrocken, als hätte sie ein
nrecht gethan, blickt sie nach der am
Schreibtisch sitzenden Männergestalt
hinüber· Ja den finstern, stolzen Zit
gen verändert sich nichts —- beruhigt
wendet sich die Frau ab.
Sie tann höchstens einige vierzig
ählenz trotzdem ist ihr Haar bereit-z
chneeweiiz. lks legt sich aber noch in
dichten Wellen um die tlassiich geformte
Stirn und verleiht mit seinem schim
mernden Silberglanz dem edlen Gesicht
einen eigenartigen Reiz.
Baron von Salten wußte eigentlich
sehr wohl, weshalb seine stille, gedul
dige Gattin so schwerniiithig war.
Plötzlich steht er auf und legt feine
dand auf ihren Arm. Frau Mode
leine zuckt zusammen und sieht ver
mindert in das eigenthiinilich erregte
Gesicht ihres Mannes.
»Sage mir doch, tann ich gar-nichts
sür Dich thun-« fragt er mit seltsam
weicher Stimme·
»Ich danle Tir, Georg. Jch fühle
mich ganz wohl,«« entgegnet Madeleine
leise nnd matt.
cl’I)-.s«-I-:..-« Inn-«- -.. c--4 m»
- »san«-wu- ue., uqss LI- (»1s, »Hu
sollst bald gesund nnd kräftig werden.
Jch möchte mit Dir eine Reise
eine weite Reise unternehmen. «
Jbr Blick belebt sich. Forschend
sieht die Baronin in die Augen ihres
Gemath Du wolltest —t« stam
melt sie fast athemlos.
»Ja, mir beide wollen sie suchen,
unsere (sditha!«
»(5«ditha!« schreit Madeleine auf.
Seit-fünf Jahren ist der Name nicht
mehr genannt worden. Und nun
sprach ihn der sinftere, harte Mann
selber ang. Madeleine ringt saf
snngålos nach Athem. Jhr Gesicht
ist noch um einen Schatten bleicher ge
worden, ihre Augen gliihen. Jetzt
ergreift sie mit zitternden Händen den
Arm ihres Gatten.
»Gemei, wenn es zu spät wäre! Wenn
mir sie nicht mehr finden!«
Er zuckt zusammen· Hat er sich
nicht schon selbst diese Frage vorge
legt?
»Es find jetzt drei Jahre her, dasz
wir nicht-J mehr von ihr . .. und War
den gehört haben,« fahrt Madeleine
Infgeregt fort. »Seit drei langen
Jahren sind sie vollkommen verschul
ien. Vielleicht ist sie todt —- im Elend
nmgeloininenl«
Tie letzten Worte kamen langsam,
abgebrochen über MadeleineS Lippen
und erstorben in einem Hauch. Jhre
Hände sanlen schlaff herab, und wie
gebrochen fiel die ganze Gestalt in sich
zusammen
Entsept reifzt der Baron sie in seine
Arme
»Maoeieme,«" ruft er in Verzweif
iunqx »Modeleine, höre mich doch!
Jrh belornme ja Nachricht, und wir
keier dann beide sofort, wir suchen
ie!«
Ihr bleicher Mund flüstert etwas-.
Jsditha W Hans-— wir finden sie
nicht mehr. . .
Ein rother Tropfen erscheint auf
den iarblosen Lippen; mit einem leier
Seufzer sintt ihr Kon zurück. .
« s . I
Der Tagen dem man sein Weib
sur Ruhe getragen hert, ist sehr arbeits
eeich für Baron von Saiten. Er sitzt
schon stundenlang an seinem Schreib
tisch, stöbert in alten Papierem sinnt
und griibelt wieder
Endlich ist er fertig. Einige adress
firte, versiegelte Barschen liegen vor ihm.
Er legt sie in ein Fach, verschließt eg
undstectt den Schlüssel in ein Convert,
das erebenfalls adreisirt und versiegen
Nun öffnet der Baron ein Kästchen,
aus dem er einen Nevalver nimmt. Er
anterzieht die Waffe einer sorsiiltigen
Prüfung und legt sie vor sich aus den
Tisch. Ein Zug tiefen lttraines liegt
Jus dein bleichen Gesicht. Er zieht
einen Brief ans der Tasche, den erheute
sriih erhalten hat« Tag lioiioertttraat
ven Stempel New Wort. Er faltet das
Schreiben auseinander und liest wohl
schon Zum zwanzigsten Male:
»Weder Freund —- eS thut mir rin
endlichleid, Tit keine befriedigende-re
Antwort aus Deine Zeilen geben in
können. Jch habe nichts weiter er
fahren, als daß ein gewisser Hans
Warden mit Frau und stino hier in
New York einige Zeit gelebt hat. Seit
anderthalb Jahren hat man nichts mehr
oon den Leuten gehört, sie sind voll-;
kommen verschollen—-——« »
Da offnetoer Diener leise die Thür
und meldet:
,,l5ine Dante wünscht den Herrn
Baron zu sorechen.««
Eine Dankes lir will niemand
sehen. Eine matt abwehrende Oanobei
wegung, und der Diener entfernt sich.
Mit unnatürlich starrem Blick sieht
ihm der Baron nach. Noch immer
haften seine Augen auf der duntlen
Portierr.
Do wird diese wieder zurückgescho
ben, und eine tief verschleiern Frau
steht an der Schwelle. Der Baron
bliat wie vergeiftert auf die Erschei
MINI.
Plötzlich tonunt Leben in die statnens
hafte Gestalt des schianken Weibes.
Sie stürzt vorwärts mit flehend erhe
benen Armen, dann bricht sie lautloe
» vor dem Manne in die Knie. »Vater!«
; »Editha!« schreit er aus. »Mein
. Kindl«
H Mit einer leidenschaftlichen Bewe
: gnng reißt der Baron das junge Weib
J an seine Brust —- ein heißer Thritneni
» strorn löst endlich die furchtbare Span
J nung seiner Nerven.
F Die beiden Menschen halten sich
lange eng umschlungen —- iein Wort
kommt von ihren Lippen.
Da löst sich der Baron von der Um
armung los. Schweigend fiihrt er
sein Kind vor das Bild seiner Gattin·
»Ich weis; es..· o meine arme
Mutter!« sliisterte Editha mit-leisem
Schluchzem
Tiefe Stille herrscht wieder im Ge
mach.
Ta wendet sich Edithas blonder
Kopf ein wenig zur Seite, und mit,
« niedergeschlagenen Augen fragt sie leise: E
»Du verzeihst ihm?... Er darf kom
mens«
Ter Baron nickt stumm. Die Arme
der jungen Frau schlingen sich einen
Moment um den Hals des Vater-J,
dann verläßt sie raschen Schrittes das
» Zimmer
; Und in wenigen Minuten erscheint
’sie wieder und mit ihr ein traustop-«
figes Biibchen, gefolgt von einer hohen,
k schlanke-n Maunergestalt.
F Und zum ersten Male reichen sich
Tdie beiden Männer die Hand- Siei
Ewechseln kein Wort, aber der Blick,
Tden sie tauschen, ist beredter als alle
. Worte.
AAA
s f
3 Wunder Schlag.
(Mttnchener GerichtsseeneJ
Wegen eines Vergehens der Beleidi
gung war der Schneidermeister Xaver
f Z gegen den Realitätenbesitzer Georg
Y llagbar geworden, und stand hiezu .
Termin an. Die Streittheile waren!
persönlich erschienen, den Klagsmiter-l
grund bildete der übliche Diskurs in
; feucht- fröhlicher Bierlaune.
s Richter: Meine Herren! Bevor wiri
i in die Verhandlung eintreten, möchte?
ich Sie daraus aufmerksam machen, :
daß es siir mich immer peinlich ist,
s wenn Männer hier erscheinen, um ihre
angegriffene Ehre gewissermaßen
durch ein gerichtliches Urtheil repari
- ren zu lassen. Gewöhnlich wurde eine
derartig vermeintliche Beleidigung am
Biertische verübt, besteht aus einigen
« gegenseitigen Schimpsworten und
» dürfte eher als grober Unfug bezeich
Hnet werden, weil, wie ich denke, eher
I die Streitlust, als die Absicht, an der
. Ehre zu tränken, vorherrscht. Jch rathe
deshalb zu einem Vergleich und stelle
an den Kläger die Frage, ob derselbe
- hiezu geneigt wäre.
s Klager: Ja wohl, a grober Unfug
i3’ aa no’ g’wesen und a G’schästsschä
digung extra dazua. Die Ehrenkran
"tung hat außerdem mehrer wia a;
Stund dauert und is’ vor einer gan
« zen Stuben voll Leut vorlemma, des- !
wegen mueß er vor mir Abbitt leisten
: und dreimal muesz der Widerruf in
sämmtliche Blätter.
Richter: Nun iiber letzteres Verlan
gen läßt sich noch reden, einstweilen ge- «
sniigt, daß Sie vergleiche-bereit sind.j
; Sie bestehen also auf leinem Urtheile2j
Z Klagen Was? Koa Urtheil? Lieberf
jaus drei Urtheil bestehn i! Vier WochaT
! Arrest is’ das Wenigste, auf was i be- -
steh —- siir was hani g denn Stadel
i heim baut, wenn i fragen dars? Die
FAbbitt und dös Einriicken in die Blät- .
E ter is ja nur d’ Nebensach. Mir losteti
i doch selber die ganze Kriminalsach jetztl
l scho bald zwanzg Mart, nacher der
cVerdruß, die Schand, dös Ausbläcka
Iund der Zeitverlust —- da müeßt i;
schön d rauszahlen. i
I Richter: Gut! Jhre hochgespannten
. Erwartungen werden sich kaum be
. wahren Wie ist nun die Sache herge
gangen? Der Kläger hat Platz zu
nehmen!
s
I
l
!
i
BeklagteU Baums eayrn nur da
Hiehen, Herr Staatsanwalt! J ihua
mi leichter, wenn er noch a mal dabei
fteht, der Huateren Sie sehn ja, daßY
t
er darauf warten thuei, daß er die;
Such no' a mal wieder hört. —- Hier
fiel derKliiger ein: »Den Huaterer an
streichen, sag i, Herr Altuar! Dös is
a neue-G’schäst3schädigung, i bin a,
Schneider und loa Hitaterer!« Nuns
mußte sich der Kläger zurücklegen
Bellagtert Na, es ig’ g’rad so schön,
wenn der Pappler a wengl im Hinter
grund ig, hinten is er allerweil. Also
am 20. April war a Wetter net zum
sagen. Unseroaner hat seine Reißtna
thias nnd sunstige faden Sachen. Da
lunnft vor lauter Fadeß vergehn und
wag willst thuan? Abends gehst in dein
rnnchiges Bräuhans, trinlst dein alten
Plamp, ißt a Brockl was FROan a
Haku und dergleicha nnd wennst a
mal recht wehleidig gähnst, nacher
trollst wieder hoam ——s so a Leben is
nacher aa a Leben nnd wird oan beim
Sterben ang’rechnet. Manchmal wird’s
besser, wenn Oaner recht dumm daher
reden thunt, da gibt’g a Heiz, nnd in
der Beziehung is der Xaverl Montier.
Reden -' vom Krieg, von der Politik,
von der Pest in Indien, vom Kaiser
von China oder vom tappeten Brunnen
am Lehel —- überall is er dabei Und
da hören's nur: Aus a Wort, meine
Herren! J bin no’ lang net sirti,Herr
Nachbar! Jetz’n limm i, wenn Sie ge
stattenl Und wenn er ausg’soßt hat,
na san g so g’seheid wia zuvor»
Richter: Gut! Den Hergang am 20
April wollen wir erfahren.
Beile-gier: Da san mer auf dieBaus
ern. an Viehstand, die großen Kartof
fel excedera kemma und da hat der
Xaverl wieder das Wort ergriffen und
hat g’sagt, daß er von dene Wissen
schaften mehret versteht wia Unser
oaner, weil er am Land aufg’wachsen
is. Dös Wort hat er wieder a guete
Stund g’habt, und indem, daß mir
Aslles fad worden is, hab i g’sagt:
Moanst, Du Bauernterl, daß Unser
oaner net grad so am Land aufg’wach
sen is oder hat uns vielleicht a See
tuah im Meer auszog’n? Um die ganze
Münchnerstadt herum is Land und
frag a mal an Bauern, der die ersten
neuen Kartoffel in d’ Stadt eina
fiihrt, was er sür’n Strich verlangt,
ob er net woaß, was s’ kosten? Unter
die Bauern um die Stadt herum und
dene in Niederbahern is a großer Un
terschied. Unsere Bauern rauchen Ci
garren, stehen um Achte auf und ra
deln in gelbe Schuah in d’ Stadt eina,
weil’s die Kundsebaft b·suachen mües
sen. Die bauen überhaupt nur mehr
Gemiis’ und Salat und schwärmen fiir
Sonn- und Werttagåruah Unsere
Münchener san alloanig noch a g’sun
der Schlag! Wir arbeiten in Fabri
ken und Werkstätten das ganze Jahr
auf Hautsdrein und am Sonntag ge
hen mer aufs Land aussa und lassenI
dene Bauernwirth unser schönes Geldl
fiir a saueres Bier und a zachesFleisch !
Nacher gibt’s solchene Kameel wia der
Xaverl, der jammert über’n Nieder
gang des Bauernstandes, wenn amals
d’ Kartoffel billiger werden oder wenn s
a Seminel um a Loth größer wird.I
Die Bauern dagegen jammern net um ?
an Schneider, der mit seiner Familie’
leben möcht. Die kaufen ihre Kleider
vom Hausirer und von die Wander
lager, weil’s da viel schlechter, aber
wenig billiger san und lachen anHand
wertsmann aus. . . . Deswegen bist du
a tramhappeter, hirntappeter Schnef
ter, den’s draußen bei die G’scheerten
net sollen auslassen haben. Dös war
also die Ehrentränkung und da nehm
i koa Pfefferkörndl z’ruck und wenn i
lebenslänglich krieg —- i schwärrn amal
für die Stadtleut.
Richter: Wenn ich das »hirntappet«
ungefähr begreife, so ist mir doch der
Ausdruck ,,tramhappet« unverständ
lich. Liegt hierin etwa die vom Klä
ger behauptete GeschäftsschädigungZ
Beklagter: O nein, Herr Staatsan
walt! »Tramhappet« is dasselbe wie
»hirntappet«'! Das will nur sagen, a
hölzerner Riegl steckt zwischen Hirn
und Verstehstmich. Wissens wir
Münchner san a g’sunder Schlag und
haben unsere eigene Sprach, körnig
und deutlich, aber verstehn muasz mer
Uns.
Mögen Ich beantrag 3’wegen der
Deutlichkeit und den Korn, was da
drin liegt, ertra vier Wochen Stadel
heim, weil i denn doch koa Schneider
bin, der an Riegl im Fion hat, und
weil i die Landwirthschaft net beleidi
gen lassen mag
Beklagter: Sei ftad, Xaverl! an
landwirthschaftlichen Schneider gibt’s
einfach net. und wenn du mit aller
G’walt oaner sein willst, nacher wirst
von unserer G’sellschaft ausg’schlosfen
und mueßt im Gebirg lauter Bocks
lederne z’samma nähn nacher kannsti
der Landwirthschaft was nützen. I
Nachdem ein nochmaliger Vergleichs
vorschlag an der Hartnäckiakeit dess
Klägers scheiterte, wurde Urtheil er
lassen und erhielt der Betlaate fünf
Maik Geldstrafe Entriistet iiber die
ses milde Urtheil, erklärte der Klager,
an die höhere Instanz gehen zu wollen,
weil ihm selber die angethane Beleidi
gung bereits mehr gekostet hätte.
Der historische Schweine-reinen
Weit eher, als der Echwanenritter in
der mittelalterlichen lssbendichtnng iuml
Stainrnvater des Hauses Brabaut erho
ben wurde, war er schon in sranzosisehen
Liedern mit dein Geschlechte Gottfriedz
von Bouillon vertniivft worden« Um
diesem Helden des ersten Kreuzntgesden
Nimbns einer iibernatiirlichen Herlunst
zu verleihen, sehobften die «Troitiusrse5,
so urtheilte man, ein-J dem Fiillhoru
der Sage und machten den Schweinen
ritterHelvag, wie er in den sranzosi
schen lsven heißt, zum Großvater Gott-s
sriedz von Bouillon. Tieser bis- ierigen
Auffassung, wonach der Eibwanenritter
in muthischesz Tunlel zurintreicht, tritt
J. F. D. Blote in der Zeitschr-ist siir
romanische Philologie neuerdings ent
gegen, indem er die sagenhaste triesialt
des Echwanenritters mit einer histori
schen Personlichleit identifizirt Er
gelangt dazu aus genealogischem Wege,
und zwar ausgehend von Gottfried-Z
jiingerein Bruder Baldnin, dem nach
herigen K onig von Jerusalem, der mit
Godehilde, der einzigen Tochter eines
Herrn von Voeni in der Normandie,
vermahlt war. Ter lltrofzvater dieser
Modehilde war tlloger l. von Toeni
(gest. ca. Wilh, und in ihm glaubt
Blote den ursprünglichen Eihwanenrits
ter annehmen zu mussen. lsr stutzt sich
dabei aus folgende mit den Elementen
der Enge übereinstimmende und im
Einzelnen begründete Argumente: Ro
ger von Toeni siihrte ein Sehwanenzeis
chen, er befreite die bedrangte vermit
tiveie Mrasm von Bareelona von ihren
Feinden, bekam alsz Belohnung deren
Tochter zur Frau und zog nachher aus
uns unbekannten Gründen wieder in
seine Heimath zurück. Diese Züge
seien dann später mit Verwischung der
Namen und Lertliehteit anderen Ver
hältnissen angepaßt, das Kommen und
Gehen des Ritters, sowie das Verbot
get Frage besonders ausgearbeitet wor
M.
Znnemariw Dichten
Von L. Glaß.
»Bitte, bitte! ich möchte so brennend
gern einen Dichter kennen lernen!«
Blaue schmachtende Augen, flehende
Stimme unterstutzten diese Bitte, aber
der junge Mann, an den sie gerichtet
ward, versuchte beiden zu widerstehen.
Er zupste an seinem Bärtchen, als ha
be dasUebles gethan und fah so gräm
lich aus, wie es sein frisches junges
Gesicht überhaupt fertig bringen
konnte.
»Ich habe noch nie einen lebendigen
Dichter gesehen,« klang es noch einmal
um ein gut Theil llagender in das
Schweigen hinein.
»Weil man keinem den Dichter von
außen ansieht, Annenmrie.«
Annemarie lachte. »Ich ganz gewiß!
Jch unter allen Umständen, dem echten
seh ich’s unter Tausenden an! Warum
soll ichDeinen Julius Heider nicht len
nen lernen, Du sagtest doch, er sei so
nett —«
,,)»«eloer."
»Und bringst uns sonst all Deine
netten Menschen.«
»Weil ich zu gutmüthig bin.«
,,Joachim!«
Jetzt waren sie beide ärgerlich, das
blonde schlanke, aus dem Grund seines
jungen Herzens ein ganz klein Bischen
sentimentale Bäschen und der breit
schultrige Vetter.
Zwei Minuten lang waren sie böse
aus einander, dann trafen sich ihre Au
gen und beide lächelten.
»Bitte, bitte!« sagte sie wieder.
Er hob die Hände anklagend zum
Himmel: »Richtig auf dem alten Fleck!
O Weiber, Weiber zäh und beständig!«
»Als ob Beständigkeit keine Tugend
wäre!«
»Er würde Deiner Mama schlecht
gesallent« lautete Joachim’s letzter
Trumps.
»Wenn er nur mir gefällt!" stach sie
eigensinnig sein Coeuraß.
»So?« —- Der Mann erwachte wie
der in Joachim. »Nun gar nicht, und
überhaupt nicht. Das fehlte noch!
csolch ein Mensch!"s yiir unser einen ist
er ganz nett; man lernt von ihm —
aber fiir Euer eins — Gott behüte!
Als ob man das Lamm dem Wolf in
den Rachen wiirse. Sie nennen ihn
den erotischen Julius. Nun weißt
Du’5, guten Morgen«
Joachim stürmte nach dem Gymna
stum, dessen Quarta er heute mit einem
sehr reichlichen akademischen Viertell
und ungewöhnlich strengen Erzie- s
lunas - Versuchen beglüdte — An
nemarie setzte sich in die Geigblattlaube
und sah nachdenklichen Gesicht-is in die
seinen Federwölkchen am Himmel.
»Der erotische Julius-? Was mein
ten sie denn damits Das war ja merk
würdig, er mußte wohl besonders viel
ron Liebe versteh-en? Natürlich! Ein
deutscher Dichter! — das gehört doch
dazu wie langes Haar und schwärme
rische Angen. Er mußte noch etwa-J
Besonderes sein——vielleicht, dasz er sich
sehr schnell verliebe und dasz ihn jede
wiederlieben müsse? —- Ja! das- war-II
Und Joachim fürchtete ——- ader das
wäre ja himmlisch! Liin Dichter!
Wenn sich ein wirklicherDichter in An
nemarie Fiohlhaas verlieben würdet
Einer, der sie aus die Nachwelt brächte,
wie Goethe seine Lili und Friederike——s
himmlisch! himmlisch! Und das- wollte
ihr Joachim nicht gönnen?«
Zwei Tage darauf war Casinocon:
cert. Annemarie saß voll prickelnder
Unruhe inmitten der IHonoratiorem
töchter am »Jungsernstand«, Joachim
beim Löwenbräu an der Löwenecte im
lebhaftesten Gesprache mit dem neuen
Manne des Städtchens-.
Annemarie fühlte ein Zittern bis in
die Fußspitzen, als plötzlich hinter ihr
Joachims Stimme sagte: »Liebe Base,
hier bring ich Dir unsern neuesten
Menschen: Doktor Julius Heider, mei
ne fiir Poesie stark einpsängliche Vase
JLlnnemarie RohlhaagN
Annemarie war roth bis zu den
Scheitellöckchen, ehe sie nur die Augen
aufschlug zu dem Mann ihrer Sehn
sucht. Dann kam zunächst eine kleine
Enttäuschung —- keine Locken, sondern
das Haar ganz kurz, als sei die Rasen
schcere daruber gerollt, keine sch wär-ne
rischen Blicke, sondern Augen, die ent
schieden etwas teck in die Welt guckten.
Und dann saß er neben ihr. Redeten
also die deutschen Dichter? -s--- Von
Wohnunggsuche und Bisitentour, von
gutem Vier im Lordenbräu nnd schlech
tem Pslaster aus dem Markts— s- Gar-z
genau wie die anderen gewöhnlichen
jungen Herren?
Anneinarte fand Ihn beinahe tad.
Wenn Joachim ihn nur nicht den ero:
tischen Julius genannt hätte, sie wäre
nach den ersten fiins Minuten befrie-v
digt gewesen von diesem deutschen
Dichter. Die Bedeutung des schindet-en
den Veiwortg inuszte sich aber unde
dinat irgendwie heraus-finden
Ob sie von seinen Gedichten reden
mußte? Ob er das erwartete?-——Alier
da stand er schon auf, machte eine Ver-.
beuguna wie andere junge Männer
auch und ginq suriicl zn dem Tisch tnit
dem guten List-«enhrän. —
,,Nun, hast Du einen deutschenDichii
ter kennen aelernt, Bäschen,« sagte Jos
achim am folgenden Sonntag Morgen.
»Was Apartes? nicht wahr?«
Hätte Joachim nicht solch spitzbiibi«
sehe-Z Gesicht dabei gemacht, sie wiirde
ehrlich aennttvortet haben: »Ich bin
enttänscht.« So aber sagte sie: »Ihr
werdet ihn nicht ohne Grund den ero
tiscksen Julius nennen.«
Nachdenllich gan Joachim heim.
Mein Freund du hast eine Dummheit
aernackitl Mit Kuchen schreckt man die
Mäuse nicht von der Fallel Jent
mußt du handeln, wenn er dir nicht
trotz aller Versprechungen ins Gehege
kommen soll.
Und während et dies beschloß, traf
Annemarie den Gesährlichen bei Nach
bars Käthchen, die sich vorgenommen
hatte, im Laufe der nächsten vier Wo
chen von dem deutschen Dichter ange
sungen zu werden. Heute merkte man
auch, daß er ein Dichter war, heute
sprach er von Mondschein und Geis
blattdüften und sah dabei sehr geschickt
in vier Mädchenaugen zugleich.
Annemaries Herz hämmerte die
ganze Nacht; sie meinte, es sei noch nie
so hell gewesen, selbst zur Johannis
zeit, die Nachtigall habe noch nie so
wonnig geschluchzt — und wann je
mals hätten die Büsche des Gartens- so
stark geduftet, daß es ihr den Schlaf
verscheuchte?
Da raschelte es unten im Garten.
Sie lief an’s Fenster;—es war zu ebe
ner Erde, —- nichts zu sehn. Es ra
schelte wieder, sie öffnete und bog sich
spähend hinaus. Hinter der dichten,
verwilderten Hecke war’s, jetzt hob sich
ein Arm, eine-Hand wurde sichtbar und
etwagWeißeB flog herüber, mitten hin
ein in abgeblühte Maiblunien und
Vergißmeinnicht. Dann verklang ein
vorsichtiger Männerschritt in der Mor
genferne.
Annemarie lief ein Schauer über
den Rücken — »was war das gewe
sen?« Sie schlüpfte hinaus, sie lief
nach der Hecke; da lag es, weiß, rosa
umbunden, mii einem blinkenden Kie
sel beschwert: Ein Briefchen.
»Annemarie der holden,
Mit Haaren fonnengolden,
Mit Augen veilchenblau;
Der wonniglichen Frau.«
Flammend stieg ihr das Blut ins
Gesicht: da war das Ersehnte-—schon!
heute schon! angefangen von ihm, von
Julius Heider, dem deutschen Dichter.
Sie lächelte den Brief an, sie drückte
ihn an die Lippen, öffnete mit zärtli
chen Händen das Band und las:
Jch wollt es dir verschweigen,
Doch fürder kann ich’s nicht,
Jch muß mich zu dir neigen
Und meine Lippe spricht.
Jch sühl’s im tiefsten Grunde:
Mir dräut des Todes Nacht,
Dein Mund an meinem Munde
Hätt’ Heiluna mir gebracht.
Jch fühl’s inSturm und Wonnen:
. Dein Lächeln mild und lind
Jst meines Glückes Bronnen,
Du lichtgeboren Kind.
Will deinem Dienst mich schwören
Durch aller Tage Lauf,
Willst du mir zugehören,
Vlükt unsre Sonne auf.
Doch kannst du mich verschmähen,
Fahr ich in Nacht und Graus,
Les blast ein wildes Wehen
Mein flackernd Lichtlein aus.
Annemarie weinte. Stolz, Ent
zücken, Glück, Mitleid, Bangen — al
tes ftrömte in diesen Thränerf zusam
men. Nun war also ihr Leben ent
schieden, nun mußte sie des erotischen
Julius Frau werden, sonst blies ein
wildes Wehen sein flackernd Lichtlein
aus. Wie schön das klang und wie
herzbrechend traurig — und —- über
haupt eigentlich war das Alles sehr,
sehr traurig. Sie wußte gar nicht
recht, was für ein«Geficht sie machen
sollte, wenn er nun käme.
Einstweilen steckte sie das Gedicht in
die Tasche und sagte keinem Menschen
davon.
Mit dem Glockenschlag zwölf eilte
Joachim durch die Gartenthür.
»Guten Tag, Annemarie. Nun?«
Erstaunt sah sie ihn an.
»War es recht fo?«
,,Reck)t fo?« —
,,Nahm ich’s so allenfalls mit dem
Erotischen auf?«
»Mit? —-«
»V:eueia)t macht er oenere Verse —
vielleicht. Aber inniger empfunden
sind sie gewiß nicht.
Die Bohnen fielen auf die Erde,
Vlimemarie zog das Gedicht aus der
Tasche und fragte zitternd: »Du?«
»Aber Mie! kennst Du denn meine
Handschrift nicht mel)r?« «
Richtig, es war seine Handschrift;
nur weil sie an keinen andern gedacht
hatte-, als an den Julius Heiden war
i!)r das gar nicht zum Bewußtsein ge
kommen.
»Bist Du denn ein Dichter?« stam
meltc sie.
»Ja, Herzenstind, wenn es zurLiebe
ndttiig ist —— unbedingt.«
Anat-um bast Du mir denn das
nicht sriihcr gesagt?«
Er lächelte etwas verlegen. »Ich
wußte ja nicht, das; eiZ nöthig war; ich
dachte, der Schulamtskandidat geniige
dazu, und so richtig bis zum Reimen
einaelJeizt hat mir erst die Angst um
Den ——--- Julius und dabei l:ab’ ich mir
denn aleich alles vom Herzen geredet,
was schon wochenlang nicht zu Worte
kommen konnte. Ja Mie — so’n rich
tiaer Liebesjammer das ist wie unge
wohnte Flügel — man denkt man stat
tert sich ab und auf einmal trägt’5 ei
nen und man schwebt —«
»Bist in den Himmel,« flüsterte An
nemarie, ihm sonderbar bewegt in die
Augen sebend.
Ein paar Monate später waren die
Beiden ein Paar und der deutscheDich
ter Julius Heider dichtete dem Braut
paar ein schwungvolles Hochzeitscar
men — Annemarie aber fand ihren
,,Hauspoeten« über alle deutschenDich
ter. Mochten sie andere Frauen auf
die Nachwelt bringen.
Das Weis-kosten.
Zu den wenigst bekannten, aber da
Irum keineswegs brotlosen Künsten e
; hört die Kunst des Weinlostens it
: größten Künstler m diesem Fach findet
man in Frankreich, Deutschland und
England und es ist geradezu unglaub
lich, bis zu welchem Grad der Vollkom
menheit ein richtiger Weinkoster es
bringen kann; bloß durch das Kosten
ist der Mann im Stande, nicht bloß
die Abkunft, sondern mit völliger Si
cherheit den Jahrgang des Weins, so-—
gar die Lage, aus der er gewachsen ist,
anzugeben. Es erklärt sich daraus,
weshalb bei wichtigen Kaufabschlüssen
stets der Weiuloster zugezogen wird und
das entscheidende Wort zu sprechen haf.
Freiherr Giovanni von Patro weist
in seinem Buch: »Der Weinberfchnitt
oder die Coupage des Weins-C darauf
bin, dasz die erste Voraussetzung für
diese gewöhnlichen Sterblichen völlig
unbegreifliche Kunst eine natürliche
Anlage, eine angeborene besondere Ge
schiuactsempfindlichkeit sei, wozu abet
als Ergänzung jahrelange Uebung
treten musi. Nun darf man aber ja
nicht meinen, der Beruf eines Wein
losters sei etwas besonders Verführeri
sches und Lulullisches, und es wiire ein
grober Jrrthuin, sich die Weinkofter
ausnahmslos als behäbige Herren mit
leuchtenden Gefichtsvorspriingen vorzu
stellen ——— im Gegentlzeil, gerade diese
Kunst erfordert viel Lpferwilligkeit und
Selbstverleugnung Der Koster darf
junter keinen Umständen ein Gewohn
iheitstrinier oder -Raucher sein; das
; würde die Geruehs- und Geschmacksem
s psindung bedeutend abschwiichen Eben
s so muß er sich den Genus; stark gewürz
i ter, scharfer oder saurer Speisen streng
Istens versagen. Er mus; sorgfältig
i aus seine Gesundheit achten; schon ein
sgewohnlicher Schnupfen würde ihn in
sder Ausübung seiner Kunst behindern.
Selbst auf das Frühstück muß er ver
zichten, wenn er zur Ausübung feiner
itiunst berufen wird; in keinem Fall
idarf sein Friijistiiekstiseb Sünes odet
Gesalzenes oder Gepfefsertes oder Käse,
Obst u. s. w. aufweisen, noch weniger
eine Morgencigarrez das Alles würde
die giinstigste Zeit zur Weinkritik —
und das ist der Vormittag —- aufs
Schlimmste beeinflussen. Nach den
Mittags- und Abendmahlzeiten ist ein
zuverlässige-S Urtheil nicht mehr möglich.
Auch darf der Weinkoster nicht irgendwo
trinten, wo eg- ibn gerade geliistet, son
dern die Kost muß in einem Lokal, das
durchaus frische, geruchlose Luft ent
halt und geuiigend hell ist, vorgenom
men werden. »Im kühlen Keller sitz«
ich biet-« dass gieth also nicht für
»den armen Weintoster, so wenig wie
vielmehr wird aus guten Gründen diev
s»;-;al)l der vorzunehmenden Kostprobett
immer aufs allergeringste Maß gebracht.
Ter geschulte Gaumen würde sonst seine
limbsiudlichteiteinbüßen und der Ein
« drnck ein unsicherer werden. Ebenso
i must der Koster bei berschiedenen Weinen
seine bestimmte Elleilsensolge einlsaltem
l) weiße, Z) rothe, Z) starkgeistige, 4)
süße. Bei jeder dieser vier Klassen
must mit den alteren Jalirgijngen an-—
gefangen und mit den jiingsten geschlos
, ten werden, und im Einzelnen kommen
« wieder die leichteren oor den schwereren
Weinen, trockene vor den süßen, ertraks
tarme vor ertraltreichen, weniger herbe
vor selsr l)et·ben, bouauetarnie vor
; bouguetreichen, überhaupt geringere vor
besseren Weinen. Zu seinen fitnf Sin
nen braucht eigentlich der Weintostet
noch einen sechsten, nämlich den Sinn
Weines — kurz, es ist etwas Instink
tibesz um die Kunst des Weinkostens;.
andere Menschentinden
Laßt von diesem Feuerwein
Jmmer neue Flutlsen sinken.
Mir in"-J durstge Herz hineinl
v As
fiir die vernünftige Beurtheilung des·
eine nnbeschrijntte Durstbesriedigiing;.
Laßt mich trinken laßt mich trinken, s
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was-»
. -.,« -. . ,.».
nicht Jedem ist sie gegeben, nnd wer sie ,-·
hat, dem ist sie weniger Genuß als Arg .
beit, und niemals dars er singen wie .
Was thut Manda?
Jn der höheren Tischteisschiile einer
rbeinifchen Stadt bat die Lehrerin der
achten Klasse bei den kleinen Mädchen
solaendc lsrlundiguua angestellt: »Was
tbut Eure-Manni, wenn Paba brununt?«
Auf die Stellung der deutschen Frau ini
der betreffenden Provinz warfen dies»
LIlntworteu ganz verschiedene Streif-,
lichter-. »Wenn Papa luununt, danns
beult die Martia-« Kliiger scheint dies
Martia, die »dann immer gleich hinaus-s
gel)t«. ,,L:’«enn Papa anfängt, dann
Zeigt er auf die Tbiir und ruft: .Hiiiiius’"l
Und dann neben wir in die Kinder-sinds ·
nnd wissen nicht« wie esJ dann der Maine
ei«ael)t.« liin zartfiililender Vater! II
einer anderen vFamilie ,,(·iel)en Papst
und SUiama in ein andere-J Zimmer un
"iinech:u sehr laut, aber bald imiuc
lUiama am lautesten«. Wenn hie
Papa nun mit einer guten Stimme bi-f
aabi ist, wie lange werden sich die Nackt
barn diese-H Brnmmen nnd Gener
bruuuuen gefallen lassen? All-Z einei
andereu lieben ll indermund kam solaeniz s
Beoliachtuuat »Wenn Papa einsam
und zornia erd, so schneisitsljians
schnell etwa-J entzwei, d.iun erschrecktsi .
Papa, und gebt fort.« Ganz ve.
leugnet ibre Ltkciblichleit die Main«
welche »Wartet immerzu reden läsit;da« I
bort er am Ende aus«. Die kleine Mi
berichtete einfach: »Man-a sagt da
ganz leise: Männchens nud dabei si —
sie ibn so lieb an, nud dann sagt er es
nicht-J mehr-« Ein anderes tleis
Mädchen sagte: »Das; Papa brunn
das kommt bei uns nicht vor; das tZI
nur Maina!« -
IX