Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 22, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

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    oe gewissert hatte, daß sie allein seien
mkfjtbhntu
»Ach, Luzie, wenn Du wüßtest. . . ."
»Ich habe ja Alles gehört und e
sehen. hätte er Dich zum Trin en
zwingen wollen, dann wäre ich sofort
hervorgetreten, um Dir beizustehen.«
Sie leerte den vergifteten Jnhalt des
Glases wiederum in- eine Flasche aus,
die sie im Laus-e des Tages zu Cour
«lan-de trug, während Georg so lange
ihre Stelle bei Klaudine vertrat. Der
Agent begab sich damit alsbald zu dem
Chemiler nach Versailles, der nach be
endeter Analyse erklärte: »Nochmals
Arsenit, Herr Courkande, aber dies
mal die doppelte Dosis.«
»Montmayeur scheints sich beeilen zu
wollen, um rascher zum Ziele zu kom
men,« dachte der Agent, dann sagte er
laut: »Ich bitte Sie, wiederum einen
kurzen Bericht für mich aufzusetzenX
Als Johann von Montmayeur sich
am Vormittage, wie es seine Gewohn
heit war, bei Luzie nach dem Ergehen
der Schwester erkundigte, vernahm er,
daß teine neuen Störungen in ihrem
Befinden eingetreten seien. Er er
wähnte, daß Klaudine, während er bei
ihr wachte, klares Wasser der Citro
nenlimonade vorgezogen habe, und
agie, ob sie nachher noch das neben
i stehende Glas mit Limonade ge
trunken habe. Luzie verneinte das nnd
berichtete, ihre Schwester habe kein
Verlangen mehr geäußert zu trinken,
der Inhalt des Glases sei daher heute
Morgen weggeworfen worden. I
.
»J«clclj(cc Olc Illlk llcuc cilllollLlUN s
rieth der Chemiter. »Ich halte es nichts
ftir gut, daß die Kranke das Wasser
ohne jeden Zusatz trinkt. Vielleicht
hatten Sie die Limonade etwas zu siisz
gemacht, so dasz daher die Abneigung
unserer Patientin gegen den Trank
stammte. Anders tasn ich mir diese
nicht erklären. Lassen Sie die Limo
nade lieber etwas herber fein.«
Jnnerlich war er wiithend. Sollte
ihm das Mädchen doch entschlüper?
Nein, und wenn der Zufall sich gegen
ihn und fiir sie erklärte, so mußte er
eben iiber alle Zufälligkeit den Sieg
davontragen. Er hatte ihren Tod be
schlossen, und sie sollte sterben!«
Montmayeur wollte in der folgen
den Nacht die Sache mit einem Schla
ge zu Ende führen, denn sobald Klau
dine so weit genesen war, daß sie das
Bett und die Fabrik verlassen konnte,
hatte er ja Alles von ihr zu fürchten.
Er durfte jetzt auch kühner vorgchen,
weil er in Erfahrung gebracht hatte,
daß der deutsche Stabsarzt aus Gar
ches seit Beginn des Waffenstillstandes
nach Versailles berufen worden war,
um in den dortigen Lazarethen thätig
zu sein. Wenn also Klaudine den
Trank zu sich nahm« so war weit und
breit kein Arzt zu haben, der ihr bei
stehen und die charakteristischen Symp
tome der Arsensikvergiftung wahrneh
men konnte. Die Sache würde sehr
schnell vorüber sein, und Klaudine wie
vordem seine eigene Mutter, begraben
werden, ohne daß man der Todesup
sache genauer nachforschte. .
Als Klaudine in der Nacht wach
wurde, während Montmaheur noch bei
ihr war, beging sie nicht abermals die
Untlugheit, zu trinken zu begehren.
Als Luzie das Fläschchen mit seinem
Inhalte wieder dem Agensten brachte,
fragte sie ihn mit Thriinen in den
Augen, ob er denn noch immer nicht
geeinbkg Beweise gegen Montmayeur
»Ich suyle es, daß das Leben meiners
Schwester an einem Faden hängt, "
fügte sie mit liebender Stimme hinzu, s
»denn dieser Mensch ist zu Allein
föhtgk i
,,Harren Sie nur noch bis morgen
aus« " bat Courlande. «Spätestens!
dann ist die Prüfung zu Ende, die Sie;
Beide so heldmmiithig bestanden ha
«. ben, zugleich aber auch unser Ziel er- E
recht: Montmayeur entlarvt unsd Do- :
riat gerettet!«
»Sie haben die rechten Worte gefun
den, um mich wieder auszurichten. Jch
werde auch Klaudine gut zureden, daß
sie wacker aushält«
Caurlande eilte sofort nach Versail
les, wo ihm Sarlat als das Ergebnis;
seiner Untersuchung mittheilte, daß
diesmal genügen-d Gift in der Limo
nade gewesen sei, um zwei Menschen
zu tödten.
»Ich bitte wiederum um eine turze
Auszeichnung leees Besundes,« sagte
der Agent und steckte, als der Chemiker
seinem Wunsche nMetommen war,
alle drei Berichte zu- sich.
»Kann man denn immer noch nicht
erfahren. um was es sich handelt?
forschte der Alte Wiertg, woraus
Courlcmde ihn mit den- Worien be
schwül-Unit
«Noch nicht« Herr Satt-t, Ist M
W
ein wenig Geduld, dann sollen Sie in
Alles eingeweiht werden.
Dann begab sich der Agent nach dem
Hause des Untersuchungsrichter, da er
gestern den Bescheid erhalten hat-te, daß
dieser ihn heute empfangen werde.
Moraines trug den linken Arm noch in
der Binde; et erkannte den Besucher
sofort wieder und streckte ihm die Rech
te mit den Worten entgegen-: ,,Seien
Sie mir bestens willkommen-, Herr
Con-rlande. Jch denke noch mit Ver
gnügen an Jshren ausgezeichneten Eng
nnc zurück, den Sie mir so graßmiithig
überließen Doch nun! nehmen Sie
Platz, denn Sie haben mir ja, wie Sie
schrieben, wichtige Dinge mitzutheis
len.«
Der Agent berichtete nun· Als er
geendet hatte, sagte Mora«ines: »Das
sindallerdings wichtige Nachrichten
Doch Sie haben sich da in ein Spiel
eingelassen, das doppelt gefährlich ist.
Zumal wenn man einen Man-n wie
Montmayeur zum Gegner hat. Was
auch das Ergehntiß Jhres verwegenen
Unternehmens sein mag, ich muß Sie
dieserhalb tadeln, Herr Courlnnde5
wie leicht hätten Sie dadurch den Tod
des jungen Mädchens verschulden tön
nen!«
Der Agent senkte schuldbewußt den
Kopf, indem er lleinlaut erwiderte:
»Ich bin mir dessen sehr wohl bewußt
und lann zu meiner Entschuldigung
nur anführen, daß alle erdenllichen
Vorsichtsmaßregeln getroffen sind.
Ware stinudine durch meine Schuld"
ein Ungliick widerfahren, ich hätte mir
eine Kugel durch den Kon geschossen!«
Moraines betrachtete mit Antheib
nahme den kleinen Man-n- mit seiner
leidenschaftlichenVorliebe fiir alles Un
gewöhnliche, Romanhafte. Er mochte
ihn nicht noch mehr niederdrücken, son
dern sagte blos:
»Das wiirde die Aerrnste indessen
nicht wieder lebendig gemacht haben-—
Doch nun zur Hauptsache. Sie haben
Jhr Ziel in der That erreicht. Mont
maryeur ist verloren. «Wie gedenken
Sie nun fernerhin vorzugehen?«
»Das weiß ich im Augenblick noch
nicht ganz genau. Jch möchte diesen
Nichtswiirdigen so vollständig über
fiihren, daß ihm nicht die geringste
Ausrede möglich bleibt, und ich hoffe,
auch dahin zu gelangen.«
,,Bald?«
,,Morgeni, Herr Moraines, und eben
deswegen lag mir sehr daran, Sie noch
heute zu sprechen. Zunächst wollte ich
Sie vorher in alles bisher Geschehene
einweihen und Ihnen dann erklären,
daß nunmehr die Reihe an ihnen sei.
Jch bin ja nur der einfache Agent, Sie
aber sind der Vertreter der Gerechtig
keit, die den Schuldigen trifft und be
straft. Wird Jhnen Jhre Wunde be
reits erlauben, mich morgen nach Gar
ches zu begleiten?«
»Diese Wunde soll mich nicht hin
dern, meine Pflicht zu thun-, darauf
tännen Sie sich verlassen. Sie dürfen
auf mich zählen, wann immer es seit«
»Ich danke Ihn-en und werde Jhnen
baldmöglichst Nachricht geben.« ——
Courlande begab sich zu Fuß nach
Garches zurück. Er brauchte Zeit, um
mit sich selber iiber die weitere Art des
Vorgehens in’s Klare zu kommen. Der
kleine Mann war bei aller zur Schau
getragenen Zuversichtlichteit doch nichts
weniger als ruhig. Dieser Mont
mayeur war ein gar zu gefährlicher
Gegner; er fürchtete irgend eine un
vorhetgesehene, ganz raffinirte List,
durch die er ihm doch noch mrschlüpfte.
WSchon oft hatte er an- Georg von
chonrmayeur gedacht. Die Schwestern
hatten ihm berichtet, daß dieser noth
wendig um das Verbrechen seinesBru
ders wissen müsse. Sein Stillschwei
gen machte ihn daher in gewisser Hin
sicht mitschuldig, doch seine Krankheit
und Schwäche bitdeten auf der anderen
Seite entschuldigensde Momente für
ihn. Jedenfalls war er, wie auch Lu
zie unsd Klaudine bezeugten, ein von
Grund aus ehrenwerther und rechtlich
denkender Mann, den nur die Furcht
vor dem Bruder hinderte, diesem ener
gisch gegenüber zu treten. Courlande
hatte von Luzie erfahren, daß Johann
v. Montmsayeur heute in geschäftlichen
Angelegenheiten nach Paris gegangen
sei.
Nach dem Waffenstillstandsvertrage
bildeten die Borposten der Einschlie
ßungsarmoe wie bisher eine vollständi
ge Kette um Paris, aber die Einwoh
ner hüben und drüben- dursten be
stimmte Straßen und Brücken — in
diesem Falle die von Sevreö benutzen,
um herein oder heraus zu gelangen,
nur mußte sich jede Person durch einen
vorzuzeigenden Passirschein auswei
en.
Courlmrde beschloß, die Abwesen
heit Montmaheuks zu beim-ten, um
zur Fabrik zu gehen, in der er bisher
nur entml gewesen war, ak- er Letzte
I
den Brief ihrer Schwester überbrachtr.
Georg kannte ihn daher nicht. Er
empfing den Fremden höflichc in- der
Meinung, ihn führe irgend eine ge
schäftliche Angelegenheit her. »
»Ich bedaiure, mein Herr,'« sagte er,
»daß Sie gerade heute gekommen sind,
wo mein Bruder nach Paris gegangeni
ist. Er leitet die Fadr’it, denn ich selber;
bin leider schon seit Jahren trank unds
gänzlich unvermögend, mich darumd
zu tümmern.« !
»Ich bin auch nicht in geschäftlichen;
Angelegenheiten gelommen,« verfehtei
der Agen«t, »und wollte gar nicht Ih
ren Herr-n Bruder, sondern Sie allein
sWn.«
,,Mich? Ja, womit kanns ich Ihnen
dmns dienen?«
Courlande zögerte einen Augen«blick,;
bevor er Antwort gab; das Herz pochtet
ihm doch etwas ängstlich, denn es kami
ihm noch ein-mal zusm Bewußtsein, wie
gewagt das Spiel sei, in das er sich
einzulassen im Begriff sei. Allein es
gab tein Zurück mehr und so erwiderte
er: »Ich setze voraus, daß uns hier
Niemand belauschen kann, denn was
ich Ihnen anvertrauen möchte, ist nicht
fiir fremde Ohren bestimmt.«
»Sie dürfen ungescheut reden,« gab
Georg befremdet zurück.
,,Zunächst gestatten Sie mir, da ich
Ihnen persönlich unbekannt bin-, die
Bemerkung, daß ich eine Empfehlung
an Sie habe.«
»So? Von wem den-n?«
»Ich bin ein Freund von Fräulein
Luzie T.hibaude.«
»Eine bessere Empfehlung könnten
Sie in meinen Augen nticht finden.«
»Und von Fräulen Klaudine.«
Der Fremde sagte das mit einer so
eigenthiimlichen Betonung, daß Georg
sich dadurch verletztfiihlte Er versetzte
daher in abweisendem Tone:
»Nun lassen Sie mich aber endlich
hören, was Sie hierher führt«
»Das soll geschehen,« gab Courlande
zurück, ohne sich asus dser Fassung brin
gen« zu lassen. »Sie liebens Fräulein
Klaudine, nicht washr?"
»Mein Herri« fuhr der Krante auf.
»Ich bitte, bleiben Sie ganz ruhig
und seien Sie überzeugt, daß mich die
besten Absichten leiten. Vorher jedoch
mußte ich die Lage llarstellm Deswe
gen wiederhole ich: Sie lieben Fräu
lein Klsaudine, unsd folglich muß Al
les, was sie betrifft, Jhnen nahe ge
M «
»Gewiß, das thust es auch, allein
was bezwecken Sie mit Ihren Andeu
tun-gen?«
»Sie zu veranlassen, auf Ihrer Hut
zu sein, Fräulein Klaudine droht eine
große Gesahr.«
»Eine Gefahr«-» stammelte Georg
und zitterte dabei dermaßen, daß der
Agenit wohl einsah, er müsse ihn behut
sam aus das vorbereiten, was er ihm
mitzutheilen habe.
»Ich höre, daß Jhr Bruder sehr viel
Theilnahme siir die Kranke zeigt. Er
löst Fräulein Luzie beim Nachtwachen
ab unsd bereitet selbst Tränle für die
Patientin. Wahrscheinlich hofst er, der
alle Geheimnisse der Chemie kennt,
dadurch ihre Genesung beschleunigen
zu können. Aber so gelehrt er auch
ist, so kann er sich doch leicht dabei
täuschen und etwas als Heilmittel an
sehen, das vielmehr schädlich ist.«
Georg war leichenblaß und hörte
mit steigender Angst zu. Er glaubte
aus den Worten des seltsamen kleinen
Mannes eine Anschuldiguwg herauszu
bören, die indessen so entsetzlich war,
daß er immer noch hoffte, sich geirrt
zu hast.
Ek- I , Ist-. s t
»Oui«-full Isl- illll HUL Klule Uclullll1,
daß mein Bruder für die Kranke Ge
tränte bereitet. Woher wollen Sie
den-n das- wissen?« stainmelte er.
»Ich glaube wohl, daß es Ihnen
unbekannt ist, denn sonst würden Sie
wohl schon näher untersucht haben,
was er ihr giebt.«
»Nun, und dann?«
»Dann würden Sie ohne Zweifel
gefunden haben, daß es mindestens
sehr unvorsichtig ist, solche Mittel wie
Jhr Bruder anzuwenden«
»Und was sind das für Mittel? So
reden Sie dacht«
»Das weiß ich nich-t, aber Sie kön:
nen sie ganz leicht selbst untersuchen,
wenn Sie heute Abend, anstatt schla
fen zu gehen, sich von Fräulein Luzie
in ithrem Zimmer verbergen lassen-, um
von dort aus Jkyren Bruder zu beob
achten. Jch werde sie benachsrichtigm
und sie wird Ihnen dann schon sagen,
wie Sie sich verhalten müssen.«
»Was werde ich Fürchterliches ent
decken?« dachte Georg. »Sollte Johann
Gift —? Doch nein-, der Mann-— irrt
sich, dergleichen ist ja undmtbar.«
Er anstwortet dann-, daß er alles
Nähere mät Luzie vereinbaren werde;
kaum aber hatte Courlande das Zim
Ier May als der Unglückltiche wie
L H
vernichtet auf einen Stuhl sank und
das Gesicht mit deni Händen bedeck
te. Ohne Zweifel deutete der- Fremde
dasean hin, daß Johann damit um
ginge, Klaudine zu vergiften. Aber
aus welchem Grunde? Wenn er daö
junge Mädchen für so gefährlich an
sah, dann konnte es nur deswegen
sein, weil sie sein Geheimniß kann-te.
Jnspdiesem Falle aber mußte auch Lu
zie darum wissen und dann war es ja
ganz undenslbar, daß diese Johann
liebe und seine Frau werden wolle. Da
schien es ihm doch eher wahrscheinlich,
daß dieser Courlande sich ganz und
gar irre.
Als erschwerender Umstand fiel ishsm
wieder ein, mit welcher Dringlichkeit
ihn Luzie stets gebeten hatte, wenn sie
sich sür einige Zeit entfernen- mußte, ih
re Stelle bei Klaudinse zu vertreten und
diese leinen- Augenblick allein- zu lassen.
Aber wie konnte sie dann andererseits
zugeben, daß Johann bei JhrierSchwe
ster wache?
»Nun, heute Abend werde ich Ge
wißheit erlangen,« sagte er sich, schau
derie aber schon vorher bei dem Ge
danken an das, was er möglicherweise
erfahren werde. Wenn er nun entdeck
te, das; Johann »in der That Klaudine
zu vergiften beabsichtige, was sollte er
dann thun-?
Als er Luzie begegnete, sagte er zu
ihr:
»;;-ch iyaoe vorhin einen seujarnsen Be
such empfangen«
Sie sah die Todesqual, welche er
litt, war aber selbst ebenso blaß wie
er. Leise antwortete sie:
»Auch bei mir war Herr Cmrrlande,
er hat mir alles gesagt.« ·
,,Seien Sie barmherzig, Luzie, und
sagen Sie mir, ob das wahr ist, was
dieser Mann behauptet. Er hatte ja
seine Beschuldigung nicht in klaren
Worten ausgedrückt, aber schon der
Verdacht ist sast noch schkimmer, wie
die Wirtl«ichtet.«
»Ich kann Ihnen jetzt noch nicht
verrathen. Heute Abend sollen Sie
selbst urtheilen.«
»Nun gut, also heute Abend!« ent
gegnete er mit bebender Stimme, wäh
rend er verzweislungsvoll den Kopf
auf die Brust sinken ließ.
20.
Am Nachmittag warGeorg v. Mont
maheur wie gewöhnkich, in- dem Kran
lenzimmer erschienen-, während er aber
ssonst Klaudine zu unterhalten unrd zu
zerstreuen suchte, saß er heute schweig
sarn unsd trübselig bei ihr Er wagte
nicht von dem zu reden, was ihn wie
sein Alp drückte, wußte er ja selbst nicht
einmal, ob Klaudine eine Ahnung von
Ider ihr nach Courlande s und Luzie s
Bersicherungen drohenden Gefahr hat
te; und von gleichgiltigen Dingen ein
iGespräch zu führen, konnte er nicht
über sich gewinnen.
Gegen sieben Uhr Abends begab er
jsich in das Erdgeschoß hinunter und
Jversiigte sich in das Wohnzimer, wo er
iseinen Bruder bereits vorfand, der so
Heben von Paris zurückgekehrt war
i Nach Georg’ s Entfernung zündete
Luzie die Lampe an, öffnete das Fen
ster und blickte spähend in die draußen
bereits alles umthiillende Dunkelheit
zhinein. Alsbald löste sich von« der den
Garten umschließenden Mauer eine
Gestalt ab, die mit einem weißen Ta
Eschentuchse winkte. Es war der uner
; müdliche Agent, der sich dort verborgen
jhielt, um im Falle der Noth sofort bei
Zder Hand zu sein. .
I Luzie hatte das verabredet-e Zeichen
« bemerlt, das er ihr gab und fühlte sich
nun wesentlich beruhigt; die Nähe ei
Hnes tveu ergebenen unkd muthigen
f Freundes gab ihr die Stärke, die sie so
jnöthig brauchte.
Inzwischen saßen die Gebrüder
’!lJion-tmayeur einander am Tische im
IWohnzimmer gegenüber. Es waren
geschäftliche Interessen, die Johann
’nach Paris geführt hatten. Er war
darauf bedacht, die Fabrik möglichst
. bald wieder zu eröffnen, um dann oth
;r1e Säumen an die Ausbeutung seiner
I Erfindung zu gehen. Das fitr den An
Lfang erforderliche Betriebskapital be
ifansd sich ja in seinem Besitz; es lag im
; mer noch unberührt in der Kassetste aus
idem Grunde des alten Brunnens im
;Hofe. Er mußte mit dem Ergebnsisz sei
ner heutigen Verhandlungen wohl zu
frieden sein, denn er schien vortrefflich
aufgelegt und speiste mit gutem Appe
.tit. Georg dagegen rührte keinen Bis -
sen an und sah blässer und elender
aus als jemals. Als sein« Bruder das
gewahr-te, fragte er ihm
»Im-ist Du Dich wsiseder schlechter
hmte?«
»Es geht mir nicht gut."
»Ich will Dir sagen, woher das
kommt. Du bist die lente Zeit Abends
zu lange ausgehtieben um Klaudine
F I J
Gesellschaft zu leisten. Das ist nichts
fiir Dich, Du bist das nicht gewöhnt
und kannst es nicht aushalten-. Gellf
bei Zeiten ins’s Bett.«
»Ja, Du magst wohl recht haben.
Es wird besser sein, wenn ich gleich
schlafen gehe.«
Er stand auf unsd stieg die Treppe
empor, ohne daß Johann- sich weiter
um ihns gekümmert hätte. Anstatt aibser
sich auf sein« Zimmer zu begeben, trat
er wieder bei den Schwestern ein« Lu
zie führt-e ihn in- das Zimmer, in dem
sie schlief und an das noch ein-e Kam
mer stieß, die früher als Garderobe ge
dient hatte. Sie hatte ein-en bequemen
Sessel hineingestelltund sagte, auf dien
selben deutend:
»Hier können Sie sich’5 bequem ma
chen bis ich Sie hole.«
Er setzte sich zitternd nieder und
trocknete sich mit dem Taschentuch den
kalten Schweiß von der Stirn.
»Berlieren Sie nur den Muth nicht,«
bat das junge Mädchen
»Wäre ich doch nur schon todt!«
,,Vergessen Se nicht, Georg daß —
was auch kommen möge —- Klaudine
Sie von Herzen lieb hat Und auch
immer lieben wird.«
Mit diesem Troste ließ sie ihn al
lein. Bald nach neun Uhr kam Jo
hann v. Montmaheur und ließ sich, wie
an den vorhergehenden Abenden, mit
einem Buche am Kamin nie-der, woraus
Luzie sich in das andere Zimmer zu
lriickzog.
Johann von Monrmayeur empfan
eine lebhafte Unruhe Die Dosis Arse
sniL die er gestern Nacht genommen,
hätte das Mädchen unbedingt tödten
müssen, folglich hatte diese überhaupt
nicht getrunken, und Luzie die Limo
nasde arn Morgen weggegosss.en Er
wollte diesmal wtieder dieselbe Menge
Gift verwenden, so daßKlaudine, wenn
sie davon trank, unbedingt verloren
i war. Wenn sie nun aber keinen Durst
I in der Nacht verspürteund wieder nicht
ltrankkki Und wie lang-e sollt-e das so
weiter gehen?«
Klaudine fühlte sich durch das Sekt
same nnd Unnatürliche der Lage—ein
Bruder beobachtet den anderen, um
ihn bei dem seigsten und erbärmlichsten
aller Verbrechen zu über-raschen —- so
aufgmgt, daß sie länger als sonst wach
blieb.
Montrnayeur gewahrte es und fragte
endlich: »Weshalb schlafen Sie denn
heute gsar nicht ein, Klaudine? Jst
Jshnen das Lampenlicht unangenehm,
so werde ich es auslöschen.«
»O nein, ganz und gar nicht. Es
s würde mir im Gegsentheil etwas fehlen,
xwenn dser matte Lampenschein dort
zverschwände Ich glaube, das; ich jetzt
Zauch bald einschlafen wer-de.«
s Es wsar aber drei Uhr Morgens, als
sfie thatsächlich entschlummUerte
i ,,Endlich!« murmelte Johann Er
beobachtete sie längeres-seit und erst als
er glaubte, daß sie ganz fest schlafe,
ischlosz er sein Buch und trat an ihr
sBetL Der größeren Vorsicht halber
schlich er auch diesmal erst an die fast
zur Hälfte offen stehende Thür des
Neben-Ammers, unt n«a«chznsehen, ob
Luzie auch schlafe. Sie lag aus ihrem
Bette, anscheinend ins festem Schlum
mer. Sobald Montmayeur aber von
dem Eingange wieder verschwunden
war, schlüpfte sie in die Kammer zu
Gen-ra.
»Kommen Sie!« flüsterte ste.
Georg hatte in fieberhafter Aufre
gung dies-es Augenkblicksgebarsrt Eben
deswegen aber war er jetzt derartig er
schöpft, daß er reicht aufzustehen ver
mochte. Er machte ein-e verzweifelte
Anstrengung und sagte dann ebenso
leise: »Ich kann nicht!«
»Ich werde Ste stützen,« entgegnet-e
Luzie und umfaßte seine schmächtig-e
Gestalt. Von ihr fast getragen, näherte
er sich geräuschlos der Thür, denn er
hatte sich vorheresbensalls seiner Schuhe
entledigt. Er kam noch zeitig genug,
um sehen zu können, wie sein Bruder
das weiß-e Pulver in den Labetrunk der
Kranken mischte. Dann fijhrte ihn
Luzie eiligst wieder in sein Versteck, um
sich ebenfalls nicht minder rasch wieder
san ihr Bett zu legen
Es ioar die höchste Zeit gewesen.
Montmaveur glaubte in dem an
stoßenden Gemach ein Geräusch ver
nommen zu haben und kam zum zwei
tenanale an die Thür, um nach Luzie zu
sehen. Sie schien aber ihre Lage noch
gar nicht verändert zu haben, usnid so
setzte er sich beruhigtwieder an den Ka
min unsd las. Ein-e halbe Stunde
nachher erschtisen Luzie dann, als ob sie
eben erst wach geworden, um iikyn ab
zulösen·.
Als er hinausgegangen und seiin
Schritt aus dem Flur iverhallt war,
schloß sie die Tshiir hinter ishm atb und
rief tns das Wgemacht hinein-: »So,
jeht stnxd wer alles-w«
Nun kam Georg aus seinem Versteck
F - —
hervor, eine Beute der tiefsten Ber
zweislunsg und körperlichen Ermat
tung. Mit schwankende-n Schritten
ging er leise an den« Nachttsisch neben
Klaudinens Bett, ergriff dort das dart
aufstehende Glas rmd führte es mit ei
ner raschen Bewegung an seine Lip
pen. Luzie konnte es ihm tawm noch
entreißen
,,Ungliicllicher,was wollen Sie den-n
thun«
»Ich will das für Klaudinxe bestimm
te Glass leeren. Jch habe Durs .«
»Sie wiissen gut genug, daß Sie sich
damit in den Tod trinken«
. »Und ist der Tod nischt für mich ein-e
Erlösung? Geben Sie mir das Glas,
«Luzie!«
,,Nimmermehr.«
,,.Haben Sie Erbarmen msit mir.
Das Dasein ist mir unerträglich ge
worden, lassen Sie mich schnell damit
zu Ende kommen»!«
Da tönte vom Bett her ein-e sanfte
Stimme: »Und wes-halb dünkt Ihnen
das Leben eine so entsetzliche Last? Jst
es Ihre Schuld, wenn es unstet den
Mensch-en auch schlechte und Verworfene
giebt? Es giebt aber auch edle Gemü
Lthen arme Dulden, die man bemitlsei
det —«
,,B-emitleidsen Sie mich, Klaudine?«
»Mehr als das, Georg, ich liebe
Di-ch?«
»Trotz alledem?«
»Kann Dich Jemand für die Ver
brechen Deine-s Bruders verantwortlich
msachen?«
»Du bist ein Engel, Klaudinse,« rief
Georg weinend. »Du verdienst das
höchste Glück, idas ausf Erden giebt.
Mtich aber hat der Tod bereits gezeich
ne .«
»Du wirst noch ganz genesen.«
Er schüttelte den Kopf, antwortete
aber nicht. Bei sich dachte er: »Ich
will nicht genesen!« dann zeigte er auf
das verhängnißvolle Glas unsd fragte
kurz: »Was enthält es?«
,,Arsienik,« gab Luzie zurück.
,,Wi-«ssen Sie das ganz bestimmt?«
»Es ist durch amtbiche Untersuchung
bisher dreimal fest-gestellt worden.
Dies war das vierte Mal, daß Jhr
Bruder die siir Klaudine bestimmte
Limoniasde vergiftet hat.«
»Dann sagen Sie mir, was weiter
geschehen s oll,« versetzt-e er mit einer an
ihm ganz ungewöhnlichen Entschieden
hatt. »Ich füge mich then Anordnun
gen und bin zu Allem bereit. Klaudi
nens Leben darf nicht weiter gefährdet
sein!«
Johann -v. Monstmiayeur stand am
ander-en Moigen erst spät auf. Er
hatte wieder ein Schlafinittel nehm-en
müsse-n, um endlich etwas Ruhe zu fin
den.
»Vielleicht ist sie todt!« war sein
erster Gedanke, aber gleich daran sagte
er sich, daß Georg in diesem Falle je
denfalls gekommen war, um ithsn zu
holen.
»Wenn ne nicht todt ist, dann hat ne
wieder nicht getrunken!«
Und als zweiter Gedanke tauchte die
flüchtige und unbestimmte Ahnung ei
ner ihm gestellten Fall-e, einer drohen
den Gefahr in seinem Geiste auf. Doch
das war ja Unsinn, offenbar bildete
diese tshörichte Schwarzseherei dsie iibke
Nachwirkung »der künstlichen Schlaf
mittel, die ser aber längst nicht mehr zu
entbehren vermochte. Er wusch sich
und rsiß das Fenster auf, um sich an
der eiindringendsen kühlen Lust zu la
ben, dann kleidete er sich an. Wieder
holt lauschte er zwischen durch und
blickte aus dem Fenster, allein nich-is
Ungewöhnliches oder Verdachtiges war«
wahrzunehmen Die Fabrik stand leer,
die preußischen Soldaten hatten sie
verlassen, und auch ism Wohnhause war
alles still und eru·hig. Langsam und
leise stieg er die Treppe hinab, um zu
nächst im Wohnsimmer zu frühstiicken.
Der Raum war um diese Zeit sonsst
gewöhnlich leer, da Luzie oben bei ih
rer Schwester blieb, und Gieosrg meist
nsoch nicht ausgestanden war. Heute
dagegen war eine ganze Menge Mens
schen darin, denen er sich mit höchster
Beistosfsensheit auf einmal gegenüber
sah, nachdem er ahnungslos eingetre
ten war.
Ein Schrei der Ueberraschung nicht
mir, sondern gleichzeitig des Enstsetzens
entfuhr seinen- Lippen.
Sein erster Antrieb war, das Ge
mach schleunigst wieder zu verlassen,
aiber schon war es nicht mehr mögliich
Zwei Männer waren bereits zwischen
lithsn unid die Thür getreten und hatten
ihm den« Rückzug abgeschnitten.
Fortsetzung folgt.)
Kind: »Vater, wie unterscheidet sich
eigentlich konckab unsd konckret?«
Vater: »Konkav und konkret?
Weeßte, liebes Kind, det is unsjefiilyt
derselbe Unterschied wie zwischen Ju
stav und Jasthof!«