Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 22, 1897, Sonntags-Blatt., Image 8

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    Die Schrift des Todten.
Von Jul. Mag.
i
(Fooisetzum3) I
Des-wogen flästerte sue jetzt leise, ins-I
dem sie sich zu der Kranken nieder
beugte:
»Für-We nichts, Schwester Jch ban:
da und werde Dich befchirmen!«
Gegen acht Uhr kam Georg, um sichj
nach Klaudisnens Befinden zu erkundi- »
gen, und fast um dieselbe Zeit begann
auch die Schlacht, deren heftigste
Kämpfe in unmittelbarer Nähe statt
fanden. Das Dorf Garches spielte
eine wichtige Rolle in diesem letzten
verzweifelten Ausfalle der Pariser am
19. Januar 1871. Ein Theil des
Dorfes nebst der Kirche ging in Flam
men auf, und die Fabrik hatte es nur
ihrer günstigen Lage zu danken, daß
sie nicht das gleiche Schicksal erfuhr.
Den linken Flügel der Franzosen
tommiandirte General Binoy, das
Centrum stand unter Bellamare und
der rechte Flügel unter Ducrot, wäly
rend Trochu von der Sternwarte aus
die ganze Schlacht leitete.
Um acht Uhr Morgens drangen vom
Moanerien aus dieStreitkräfte des
französischen Centrums in dichten
Massen gegen Garches vor, während
gleichzeitig Vinoy’s Angrissslolonien
auf Montretout los-gingen. Der rechte
Flügel dagegen rückte erst nach einer
dreistündigen Verspätung über Pilzen
val vor. Diese Verspätung, die theils
durch mangelhaste Ausführung der
von- der Oberleitung erlassenen Beseh
le, theils durch das mörderische Ge
schützseuer der deutschen Batterien ver
ursacht wurde, sollte dem ganzen Aus
fall verhängnißvoll werden. Das
Centrum und der linke Flügel sahen
sich dadurch im Vorgehen gehemmt
und geriethen in’s Swanlen. Als sie
bei Garches aus die 10. deutsche Jn
santeriedivisions stießen, wurde ihr An
griss zum Stehen gebracht und ver
wandelte sich in ein langwieriges
Femtgeftcht
Deutscherseits wurden die 9. uns-d
21. Jnsanteriedivision als Reserve der
10., die Garde-Landwehrdivision und
das 1. bayrische Korps wach Versailles
herangezogen, doch brauchten die bei
den letzt-genannten Truppentheile gar
nicht mehr in den Kampf einzutreten
Yie Jranznserr vermochten nur die vor
-,MSMIIUÆ.
Saul-es- uegenokn Hoyen emzunetk
men, und es gelang ihnen auch, sich der
nur schwach besetzten Schanze bei
Montretout zu bemächtigen, weiter
aber kamen sie nicht.
Um zwei Uhr Nachmittags gingen
zwei Bataillone der Neunundfünfziger
vor und warfen die Franzosen bei
Garches zurück. Die Montrsetouti
schanze ward um elf Uhr Abends
durch Bataillone vom 47., 58. und 82.
Regiment wiedergewonnen. Der Rück
zug der Franzosen nach der Stadt ar
tete fast in eine Flucht aus; ihr Ber
lusst betrug gegen 7000 Mann, darun
ter an 1200 Todte. Auch die Sieger
hatten manchen Tapferen zu bestattem
30 Ofsiziere und 616 Man-n wurden
in den Verlustlisten bezeichnet
Zahl-reiche Bewohner von Garches,
» deren Häuser in Flammen ausgegan-i
gen waren, hatten während der:
Schlacht laut jammernd eine Zuflucht?
in der Fabrik gesucht. Letztere wurdej
ebenfalls von einer Granate getrosfen,s
die aber weiter kein Unheil anrichtete;j
das Wobnhaus selbst blieb ganz ver-;
schont. Aber der furchtbare Lärm der!
Schlacht drang zu der Kranken, dies
Fenster bebten ohne Unterlaß bei demj
Krachen der Feuerschlünde, und est
waren- ewtsetzliiche Stunden, die Luziej
und Geotg an Kladinenss Lager ver
brachten. Trotzdem trat bei dieser
das Wundfieber nicht mehr so stark
»auf, und gegen Abend, als der grause
Lärm draußen verstummte, sank auch
RIaudine in friedlichen Schlummer
Jeyt erst konnt-e Luzie daran den
« ten, sich nach Frau Doriat umzusehen,
wegen deren sie in großer Besorgnisz
war. Unter dem Verwande, etwas
frische Lufrt schöpfen zu wollen, eilte
sie, nachdem Georg ihr versprochen
hatte, die Kranke nicht zui verlassen-,
davon, traf aber schon nach wenigen
Schritten aus Courlande, der vor dar
W aus der Lauer- stand und ihr
Mittbeiltr. daß die Gärtner-ei unver
sehrt geb-sieben- seL Nachdem er ihr
Wlö Vorsicht rmd Wachsamtett
empfohlen hatte, kehrte ste an dasBett
Is.
Das War von Port- wst M
L
den Mißerfolg des letzten großen MS
salleö besiegelt. Eine dumpfe Ver-.
zweisimvg bemächtigte sich der ausge
hungerien Stadi. Die Uebetgabe Ließ
sich nicht länger hinauöschiebem aber
da Trochu geschworen hatte, niemals
eine solche zu unierzeichnen, so gab er
den Oberbesehl asn Vinoy ab.
Bei den Belagerungsituppen wußte
man, daß es sich nur noch um einige
Tage handeln könne,und auch snach der
Fabrik war diese Kunde bereits ge
drungen. Hier hatte sich Klaudinens
Zustand inzwischen zu Luzims und
Geotg’s größter Freude entschieden
zum Besser-en gewendet, wenn auch
noch immer s orgs amePflege und große
Vorsicht nöihig war
wusc- quuc »I( asqub uuus vklll Un
stoßenden Zimmer-, das früher die alte
Frau v. Montmayeur bewohnte, ganz
geöffnet, nachdem Johann auf ihren
Wunsch den Schrank, hinter dem er
damals die Unterredung der Schwe
stern belauscht, beiSeite geschoben hat
te. Wenn die Schwester schlief, hielt
Luzie sich in diesem Gemach auf.
Georg kam sehr häufig, um sich wach
dem Besinden der Kranken zu erkun
digen, für die er die eifrigste The-il
nahme an den Tag zu legen suchte. Er
hatte sich auch schon erboten, Luzie im
Nachwachen abzulösen, was diese aber
immer ablehntr. Wieder-holst kam er
auf diesen Punkt zurück.
,,Fiinfzehn Nächte wachen Sie nun
schon,'« sagte er ,und wenn Sie auch
bei Tage ein paar Stunden schlafen,
so können Sie das unmöglich länger
durchführen. Man sieht es Ihnen ja
an, wie angeriffen Sie sind, Sie wer
den sich selbst trank machen.«
»Es ist nicht so schlimm,« meinte sie
darauf, »auch während der Nacht fehlt
e smir nie an Gelegenheit, ein Schläf
chen zu machen. Sobald Alaudine sich
regt, werde ich gleich wach.«
»Fräulein Luzie, ich kann und darf
nicht zugeben, daß Sie si chvollstiindig
aufreiben; lassen Sie uns also eine
gütliche Vereinbarung treffen. Hier
steht ja noch das Bett meiner Mutter.
Daraus werden Sie sich bon fest ab
jede Nacht mindestens einige Stunden
niederlegen und schlafen. So lansge
werde ich »dann Jhne Stelle bei der
Kranken einnehmen, und wenn Sie
wach werden, und sich genügend aus
gerwht fühlen, mögen Sie mich wieder
abldsern wenn Sie nicht anders wol
len. Aber davon gehe ich nicht ab.«
szise blieb nichts Anderes übrig,
arg auf Wesen Vorschlag einzuschm.
da sie durch fortgesetzte WeigerungVer
oachr zu erregen surchtete
Es war gegen 10 Uhr Abends-, als
Jothann in dass Krankenzimmer trat.
Georg, der so lange bei den Schwestern
verweilt hatte, verabschiedete sich jetzt,
um schlafen zu gehen, und drückte auch
seinemBruder dieHand, als ob er ihm
hätte sagen wollen:
»Jn Deinem Herzen scheint also das
menschliche Gefühl noch nicht ganz er
storben zu sein.«
Der Aeltere schien ihn zu verstehen
uer lächelte seltsam. Klaudine war
seit mehreren Tagen bereits wieder bei
völlig klarem Bewußtsein, nur das
Sprechen fiel ihr noch schwer. Als der
Chemiler an ihr Lager trat, wendete
sie den Kopf nach ihm hin und sagte
mit leiser Stimme:
»Meine Schwester hat mir gesagt,
daß Sie daran bestanden haben, sie
beim Nachtwachen abzulösen. Das ist
sehr freundlich von Ihnen, aber mir
thut es leid, daß ich Ihnen so viel Last
mache.«
,,Seien Sie versichert, daß es sehr
gerne geschieht, Fräulein Klaudine."
»Es ist ja aber gar nicht mehr noth
wendig, daß Nachts noch Jemand bei
mir ist. Jch fühle mich bereits viel
besser.«
»Der Stabsarzt wünscht asber noch
nicht, daß wir Sie allein lassen-.«
»Ich glaube- daß ich jetzt einschlaer
werde.«
»Um so besser, dann werde ich es
mir dort in dem Sessel am Kamin be
quem machen unsd Fräuleins Luzie mag
sich berushigtoen Herzen-s eben-falls nie
derlegen.«
Während Johann zum Kamin trat,
in dem eins leicher brannte, neig
te sich Luzie zu der Schwester, indem
sie that, als ob sie deren Kospkiisen
glättete, und flüsterte ihr zu:
«Habe nur keine Angst und schlase
ruhig. Ich werde wachen, daraus
kannst Du Dich verlassen!«
Dann sagte sie Mommayeun
»Sollte meine Schwester irgend et
was bediirsm, so kloper Sie nur agn
die Mr, ich werde dann gleich bei der
band sein«
Hieraus verschwand sie Mel-asiat
tner, dessenThürsiejschochmttsoweit
zart-achte daß eine breite Spalte offen
blieb. Sie legte sich aus-kleidet aus«-»
L
Bett, unier dessen Kopfkissen sie einen ’
geladenen Revqlver schob, den Cour
lande ihr für sen aus-ersten Fall ein- .
gebändigt hatte. «
s Johann v Montmayesur trug einen
Meinen Tisch vor den Sessel am Ka
min und stellte die Lampe whatan de
ren Licht er durch einen Schirm so Ver
deckde, daß es die Kranke nicht zu be
lästigen vermochte Dann setzte er
sich, schlug ein mitgebrachies wissen
schafiliches Werk auf und fing an, da
rin zu lesen, oder that wenigstens so.
Tiefe Stille herrschte im Haufe.
Draußen aber heulte der Wind; das
Wetter war umgeschlagen, die strenge
Kälte gewichen, und der Regen schlug
gegen die Fenster.
Nachdem rast eine Stunde verstrichen
war, legte der Chemiler sein Buch
nieder und richtete einen durchdringen
den Blick auf die Kranke. Sie schien
zu schlafen und regte sich nicht. Das
Gesicht des armen Mädchens war eben
so bleich wie das Kissen, woraus es
ruhte.
Er streifte die Pantosseln, die et an
hatte, von den Füßen und schlich auf
den Strümpfen an das Bett. Jn die
sem Augenblicke schlug Klaudine die
Augen aus und sah ihn an. Er sit-blie,
wie unter den bloßen Blicken des jun
gen Mädchens ihm ein kalter Schauer
von dem Nacken durch das Rückgrat
lies.
Gleich daraus schloß sie die Augen
wieder und er lehrte geräuschlos zu
seinem Sessel zurück.
Obwohl Klaudine wußte, daß ihre
Schwester in unmittelbarer Nähe und
zu ihrem Schutze bereit war, so hielt
sie dennoch ein unsagbares Entsetzen
in seinem Banne. Luzie hatte geglaubt,
ihr nicht verschweigen zu dürfen, was
Courlande ihr gesagt hatte, und das
war genügend gewesen, um ihre eiwe
namenlose Angst einzujagen. Sie be
saß nicht die Energie und Entschlossen
heit ihrer Schwester und war ja au
ßerdem körperlich noch sehr schwach.
Es waren daher fürchterliche Augen
blicke, die sie jetzt durchlebte. Jedes
wensn Montmayeur nur der-Kopf erhob
oder eine Bewegung machte, fühlte sie
ihr Herz unruhig gehen
Endlich aber siegte die Müdigkeit
doch über ihre Angst — sie schlief wirt
lich ein. Es schlug aus der Uhr Ein-s.
dann halb Zwei. Montmayeur schloß
aus ihren ruhigen, gleichmäßigen
Athemziigen, daß Klaudine sest schla
se· Abermals näherte er sich ihrem
Bette, beugte sich tief über sie und ge
wann die feste Ueberzeugung daß sie
in der That schlummere. Dann schlich
nicht und atbmete gleichfalls ganz
gleichmäßig: beide Schwestern schliefen
offenbar.
grun renne er an ritauomeng Lager
zurück, wo aus demNachttischchen meh
rere Flaschen und Gläser standen« Er
wußte, da die Kranke, wenn sie wäh
rend der acht über Durst klagte, nach
der Verordnung des Arztes Citronen
limonade zu trinken bekam. Er selbst
hatte die Früchte aus Versailles geholt
und Luzie bereitete den Labetrunk je
den Tag frisch. Auch jetzt war ein
Glas noch zur Hälfte damit gefüllt.
Montmayeur zog ein Fläschchen aus
der Tasche, das mit einem weißenPul
ver gefüllt war, welches gestoßenem
H Zucker ähnlich sah. Er schüttete etwas
von diesem Pulver in das Glas unsd
rührte die Limonade mit einem Löffel
um. Während dessen schlies Klaudine
friedlich weiter, sie lonnie nichts ge
sehen und gehört haben. Er schlich an
zdie Thijr des Nebenizimmers, überzeug
ste sich durch einen raschen Blick, daß
jer nicht minder vorsichtig zu derThijr.
Jm Nebenzimmer verbreitete einNacht
ilicht eine schwache Dämmerung er sah
Luzie angelleidet aus dem Bette liegen
und gewahrte, daß chre Augen ge
schlossen waren. Jedoch da schien ihm
noch nicht zu genügen. Er schlüpste
durch den geniigend breiten Spalt und
schlich auch an ihr Bett. Sie regte sich
auch ihre Schwester noch so ruhig wie
vorhin aus ihrem Bett-e lag, und be
gasb sich dann wieder aus seinen- Platz
vor dem Kamin
Gegen drei Uhr Morgens erwachte
Klaudine und öffnete ihre Augen. Jm
Art-fange betrachtete sie Montmayeur
mit ängstlicher Neugierde als ob sie
ihn nicht erkenne oder sich fragte, was
er hier bei ihr thue. Schon aber war
er an ihrem Lager und srwgste in theil
nehmeridem Tone: »Nun, wie siihlen
Sie sich sent, Fräulein Klaudiriei« «
,,Danle, gut. habe ich lange go«
»Was-Mk T«
! »Ein paar Stunden Wollen Sie
nicht etwas treu-ken, der Hals wird
Ihnen trocken Morden seini«
! Sie mußte alle Selbstbeherrschirng
;znsammemiehnien, tun anscheinend ru
hig zu erwidern: »Bei-Ewig habe ich
swch seinen Durst. Ich will die Li
smonade erst spiiter Wf Damit
—
L
Ließ sie ihren Kopf wieder auf dasKiss
sen sinken, mn nach einenWeilk fort
Iusaixkene »Aber Sie werden jedi miis
oeseim Here von Mmätnayeut, es ist
sen, daß Sie sich von Luzie ablösen
iassenk
»O nein. Sie schläft. Jch würde
mir ein Gewissen daraus machen sie
zu weiten-«
Jn diesem Augenblick trat das jun
ge Mädchen bereits indes Zimmer
und sagte: Jch bin schon wach wie
Sie sehen. Und Klaudine hat recht:
es ist jetzt sür Sie Zeit zum Schlafen.
Gegen diese Art Strapazen sind wir
Frauen doch widerstandsfähiger als
die Männer.«
»Ich ruhte mich aber noch nicht im
Geringsten ermüdet-«
»Nein nein, jeht bleibe ich hier —
ich bestehe daraus!«
»Nun gut. wenn Sie es so wollen,
muß ich ja gehorchen —- aber nur unter
einer Bedirtgung?«
»Und die ist?«
»Daß wir es von jeht ab jede Nacht
in dieser Weise halten, so lange es
nöthig ist. Sie lagen sich zunächst nie
der, und ich nehme Jhre Stelle so
lange ein, bis Sie sich ausgeruht ha
ben.« .
»Gut, ich nehme es an.«
Dan ging er. Die Schwestern
horchten mit angehaltenem Athem auf
die sich draußen entfernenden Schritte.
Endlich stieß Luzie mit vor Abscheu
bebend-er Stimme die Worte hervor
»O, der Elende!«
»Ich habe wirklich geschlafen,« sagte
Klaudine, »aber ich bin fest überzeugt«
daß et mir unterdessen Gift hier in
das Glas gethan hat. Er nöthigte
mich so dringend zum Trinken, als ich
wach geworden war.«
»Mit eigenen Augen habe ich es ja
gesehen! Er glaubte, ich schliese eben
falls, nachdem er bis vor mein Bett ge
kommen war, um sich davon zu über
zeugen. Aber ich schlüpste gleich hinter
ihm bis zur Thür, so daß mir keine
einzige von seinen Bewegungen ent
ging. Dann beeilte ich mich, wieder
auf mein Bett zu kommen, und das
war gut, denn er schaute nochmals
durch die Thür, nachdem er seriig
war. —- Also hat Courlande doch
recht behalten!«
Sie nahm eine kleine Flasche, goß
den anhalt des Glases hinein und ver
tortte sie, um sie dann in einem Wand
schrant auszubewahrens. Das Glas
spiilte sie wiederholt aus und stellte es
leer aus das Nachttischchen.
Früh YJtorgens, wie gewöhnlich,
kam der Stabsarzt. Er brachte die
Kunde mit, dasz in der verflossenen
Nacht Punkt zwölf Uhr das Feuer aus
beiden Seiten eingestellt worden sei,
als Einleitung eines dreiwöchentlichen
Waffenstillstands behufs Einberufung
einer französischen Nationalversarnm
lung, mit welcher der Frieden abge
schlossen werden sollt-e. Die Heilung
der Kopfrvunde Klaudinens fand er
über Ermatten gut fortgeschritten; er
gab seiner Patientin die Erlaubniß,
aufzustehen, sobald sie sich kräftig ge
nug dazu fühl-, und wünschte ihr fer
nes gute Genesung, da sie ärztlicher
Beihiilse nicht melyr bedürfe.
Erst nach Verlauf mchrerer Stunden
erschien auch Johann v. Monimaneur
in dem Nebenzimmer. Er bemühte sich,
ganz ruhig und gelassen zu erscheinen,
aber sein-e Hände zitterten und seine
Blicke richteten sich scheu zur Seite, als
er Luzie fragte: »Nun, wie siebt’s?«
Wie bat sie den Rest der Nacht ver
bracht?«
Auf Courlande’s Anweisung ant
wortete Luzie. »Nicht gut. Sie war
unruhig und klagte mit einem Male
über heftige Magenschmerzen und
Breninen im Halse. Für eine Stunde
vielleicht, aber es hat sie vöwig herun
ter-gebracht Das Fieber scheint wie
der zugenommen zu haben. Jch bin
sehr in Unruhe-«
»Dazu liegt kein Grund vor, liebe
Luzie. Es handelt sich biet offenbar
nur um eine ganz vorübergehende
Störung des Befindertss.«
Er trat an dste Mr und schien die
Kranke zu beobachten. Vor Allem aber
richteten sich seine Blicke auf das leer
auf dem Rachttischchen stehende Glas.
Sie hatt-e also getrunken-, wie auch
aus Lasten-B Bericht her-vorging und
triumphivenb blitzte es in seinen Au
gen auf.
»Sie dürfen unbesorgt setn,« sagte
er im Hinauggchen noch. »das ist wei
ter nicht. Sollten sich aber wider Er
warten jene Zufiikie wiederholen dar-n
werde ich sofort nachGarchoi eilen, um
den Arzt zu holen«
Luzie sandte ihm einen Blick nach,
Ins dem miversshnlicher M, mit tief
ster Verachtung gemischt- lvtcch. Sie
konnte während des ganzme
bei Klaudine bleiben, da die W aus
Durchs, W früher den Dautbaslt
ser Gebrlider Montmaheur vetsvkgk
Mie, jetzt wieder regelmäßig erschien»
rm zu kochen und die sonstige Arbeit
pu vernichten. Als nachlpr Georg
lam, um sich nach dem Befinden des
zeliebten Mädchen-z zu erlundigen,
sagte Luzie zu ihm: »Sie fühlt sich
heute wieder schlechter und ich ginge
Im liebsten gar nicht von ihrer Seite
fort. Aber ich muß nothwendig ein
mal ist-W Dorf hinüber, deshalb mäs
sen Sie mir versprechen, daß Sie bei
ihr bleiben, bis ich wiederkomme Sie
dürfen sie nicht einen Augenblick allein
lassen, hören Sie wohl?"
»Seien Sie völlig unbesorgt, ich
rverde meinen Platz nicht während ei
ner Selunde verlassen.«
Luzie eilte nach Garches, um Cour
lande aufzusuchen, der sein- Quartier
immer noch in dem halb zersallenen
Häuschen hatte. Als das junge Mäd
chen ihm Bericht erstattet hatte, gerieth
der sonst so ruhige uncd laltbliitigePo
lizeiagent doch in gewaltigelsrregung
obwohl die Angelegenheit ganz den
Verlauf nahm, den er vorher-gesehen
hatte.
Ae -. -— - ·
»Man Die nur Fels aus Jytck
Hutt« mahnte er. »Ich zittere, wenn
ich daran dmle., daß durch mich Ihre
Schwester sich in dieser furchtbaren
Gefahr befindet. Es ist doch eine un
geheure Verantwortlichkeit die da
durch aus mir lastetl Ein Augenblick
der Nachlässigkeit oder Betgeszlichleit
kann Jhrer Schwester das Leben lo
sten. Also wachen Sie unablälsig
über dieselbe.«
»Verlasien Sie sich ganz aus mich,
Herr Courlande!« tröstete Luzie ihn
und zog hieraus das Fläschchen hervor,
in das sie den Inhalt des Glases ge
füllt hatte.
»Ich danke Jhnen,« sagte er. »Das
ist ein kostbar-es BeweisstiicL Jch will,
gleich nach Versailles gehen und die
Flüssigkeit untersuchen lassen. Kehren
Sie jetzt zu Jhrer Schwester zurück,
grüßen Sie dieselbe aufs Herzlichste«
von mir und sagen Sie ihr, sie möge
nur noch ein paar Tage weiter so ta-.
Pfer aus-halten wir seien jetzt dicht an
dem Ziel.·'
Jn Bersailles wohnte ein alter Che
miler, Namens Sarlat, der namentlich1
in det Gisstiunde als eine Autorität
galt und allen daraus bezüglichen ge-!
richtlichen Angelegenheiten als Such-i
verständiger zugezogen wurde. Auchi
die Pariser Polizeipräfektur bediente»
sich seiner häufig und Courlande wars
schon wiederholt bei ihm gewesen, usini
irgend einen- amtlichen Auftrag aus
zurichten. Sarlat erkannte ihn auch
sofort wieder und meinte: »
»Ah, guten Tag, Herr Courlande,
Branchen Sie mich einmal wieder?«
,,Jawohl!«
»un1 io besser, ich habe lange nichts(
mebr verdienen tönnen.« , l
»Das heißt, ich habe sitt den Art-i
genblick noch teinen amtlichen Auftrag
siir Sie, sondern komme in einer pri
vaten Angelegenheit.« j
»Na, das macht nichts,« sagte der
alte Chemiter. »Womit tann ich Jh-J
nen also dienen?« J
»Jndem Sie mir sagen. was in die-«
ser Flasche ist. Jch garantire Ihnen
ein nachträgliches Honorar, mit dem
Sie zufrieden sein sollen.« "
Der Alte nidte. Setzen Sie sich,
Herr Courlande. Jch will sogleich
an’s Wert geben« Dann begab er sich
in sein Laboratorium und es dauerte
ungefähr eine Stunde, bis er zurück
kam.
»Die Flasche enthält Citronenlimo-—
nade, der Arsenil zugeseszt ist,« theilte
er dem gespannt aushorchenten Agat
ten mit.
»Und in welcher Menge ist das Gift
beigemengt?« erkundigte sich dieser.;
»Wütde sie geniigen, um einen Wen-H
schen- zu tödten?« s
»Das nicht« aber sie reicht hin, um!
sine schwere Schädigimg des Organiö-s
mus herbeizufiihren.«
Courlande rieb sich die Hände»
»Man ist also doch kein Duinrntops,«
meinte er.
»Sind Sie einem Verbrechen aus der
Spur?« sragte Sarlat neugierig.
»Einem erst geplanten,« entgegnete
der Agieni. Aber ich tann Ihnen
heute noch nichts sagen, vielleicht mor
gen, wenn ich wiedettanmr. Machen
Sie mir, bitte, bis dahin einen Jurzen
Reiftlichm Bericht itber Ihre Ana
y e.«
Dann begab er sich nach dem Hause,
tn dein die Eltern des Herrn Materi
nes. der Junggeselle war, in Versatlles
wohnten. Er war bereits wiederholt
oott gewesen, um sich nach dem Unter
imbungtrtchter zu ersinnt-diesem und
hatte gehört, daß er bei Le Maus ver
daut-et worden set. Moraines habe
nsolge dessen Urlan erhalten Inn sei
ie Wunde daheim heilen zu lassen, und
verde von den Seinen zuriictertvartei.
F ——· l
Coutlansde erhielt nun diesmal den
Bescheid- daß der Unietsuchungstichtek
bereits Tags vorher angelangt fei, abet
noch das Bett hüten müsse, weniger
der Wunde wegen, als um sich von den«
schweren Strapazen-, die et durchge
macht hatt-, zu echolm Der Agent
ließ ein Briefchen an ihn zurück, in
dem er bat, Iihn möglichst bald em
pfangen zu wollen, da er ihm wichtige
Mittheilungen in der Angelegenheit
Doriat - Montmayeur zu machen ha
be. Dann kehrte er nach Garches zu
rück.
z»
In der Javrrr wiederholte sich heure
der Vorgang des gestrigen Abends.
Johann v. Montmayeur erschien isn
dem Krankenzimmer, sein Bruder ver
abschiedete sich unsd Luzie zog sich in
das Nebengemach zurück, wo sie sich
wiederum ganz angekleidet auf das
Bett legte. Von ihrem Bette aus ver
folgte Klaudine die Bewegungen dieses
Mannes, der — wie sie wußte —- ihr
den Tod geschworen hatte, und dann
schweiften ihre Blicke weiter zu der nwr
etwas bis zur Hälfte geschlossenen
Thür« hinter der die Schwester zu ih
rer Hilfe bereit war. Dieser Gedanke
stärlte sie einigermaßen- wieder, son
hätte sie gemeint, »vor-Entsetzen vergehe
zu müssen.
Sie kämpfte lange gegen denSchlumg
mer an; es war ihr, als ob sie in den
ewigen Schlaf sinken müsse, wenn sie
der Neigung nachäbe. Endlich aber
siegte die Müdigkeit doch und sie schlief
ern.
Als Montmayeur mit Sicherheit
annehmen konnte, daß Klaudine fest
schlafe, näherte er sich ihrem Lager, um
sie genau zu betrachten. Was ihm
Luzie berichtete, waren ja wohl die er
sten Symptome einer Arsenit- Ver
giftung gewesen, die er ganz genau
kannte, aber in dem Falle hätte doch
die Wirkung eine nachhaltigen und
länger nndauernde sein müssen. Auch
war das Gesicht der Kranken wohl
blaß, aber es trug keinen leidenden
Ausdruck mehr.
»Das ist doch seltsam,« dachte er
und nahm sich vor, die Dosis des Gif
tes heute zu verdoppeln Er verge
wisserte sich wiederum, daß Klaudine
fest und ruhig schlief, dergleichen ihre
Schwester, dann schüttete er das Ar
senik in das bereit stehende Glas mit
Limonade. -
US chlk zwei Uyk VMUVCL !
Klaudine erwachte und sagte, noch
halb vom Schlummer umfangen, ohne j
an Montmageurs gefährliche Nähe zu
denken: . «
»Ich habe Durst, Luzie, gieb mir (
doch zu trinken« «
Kaum aber hat-te sie die Worte aus
gesprochen, als ihr mit einem Schlage
die Erinnerung und das volle Be
wußtsein wiederkamen. Ein eisiger (
Schauer durchrieselte sie; sie glaubte
sich verloren. Montmayeur war be
reits herzu geeilt. Er nahm dasGlas, .
rührte den Jnhalt um und bot es ihr ’
zum Trinken. Mit fester Hand hatte "
er gerührt, auch jetzt zitterte seine Rech- f
te nicht. Das arme Mädchen war na- «
he daran, ohnmächtig zu werden, aber
die Nähe der Gefahr gab ihr einen ret
tenden Gedanken ein.
Sie nahm das Glas und fragte, in
dem sie ihrer Stimme möglichst viel
Festigleit zu geben suchte:
»Was ist das?«
»Citronenlimonade, die Sie ja jede
Nacht belommen.«
»Sie fängt an, mir zu widerstehen.«
»Dann wollen- wir morgen eine an
dere Limonade herstellen. Für den
Augenblick habe ich leider nichts An
deres. Nehmen Sie nur einen Schluck
davon, das wird sie ersrischen!«
»Ich möchte doch lieber klares Was
ser trinken!«
»Ja, ich weiß nicht, ob ich Ihnen
das geben darf.'« . ..
»Nu: einen Schluck! Nachher, wenn
ich wieder Durst bekomme, werde ich
die Limonade trinken«
Der Chemiter wagte nicht weiter in
Klaudine zu dringen. Er nathm ein
anderesGlas und schüttete etwas Was
ser hinein. Auch diesem Gift zuzu
setzen, ging nicht w hl an, denn erstens s
wäre der Geschma zu sehre hervovge- .
treten, und zweitens waren die Augen «
der Kranken auch fortwährend aus
seine Hände gerichtet.
Sie trank einen Schluck, setzte dann
das Glas hin und schloß wieder die
Augen. Er glaubte, dasß sie wieder
einschlafen wolle, und begab sich zu sei
nem Platze am Kamim Allein das
war ein Jrrthum; die entsetzliche Auf- T
regung dieser letzt-en Minuten hatte
das jun-ge Mädchen tiberwältigt. Sie
war bewußtlos geworden new kam erst
lange nachher wieder zu sich. Als sie -
die Augen aufschlug, stand nicht Mont- "
mayeur mehr weben ihrem Bette, son
dern- Luzie Sie war ebenso bleich wie
ihre Schwester, die, nachdem sie sich