Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 22, 1897, Sonntags-Blatt., Image 14

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    g genilleksiurn
Romanvondanstitichten
Ersttc such
(Fortsetuna.)
Dante Gott für das deinige, erwi
derte er ernster-. Wie weit habe iches
mit meinen-, ich kann wohl sagen mehr
als mittelmäßigen Talenten und
i Kenntnissen gebracht? Bis zum Ha
« benichts, der mit 27 Jahren ein neues
Leben beginnen muß. Das leichte Blut,
der sri muthige Sinn, der sich über
alle iderwärtigkeiten des Lebens
hinwegseht, die unermüdliche Elastici
tät —- ja, das hört sich ganz gut an;
wenn dieses leichte Blut nur nicht
manchmal zum Sieben käme! Dann
kocht es in den Adern, braust es im
Gehirn und sprengt alle Fesseln der
Vernunft, Selbstbeherrschung und Ge
wohnheit; ich bin nicht mehr ich selbst,
zwei Menschen ringen in mir, der eine
sagt mir, daß ich in’3 Verderben renne,
und der andere folgt trotz alledem in
wilder Hitze nur seiner Begierde, stär
ker als mein eigener Wille. Und da
ran werde ich, sobaldmich eine tiefe
Leidenschaft faßt, zu Grunde geben,
wenn nicht ein Engel mich davor be
wahrt; und die klugen Leute mit den
trägen Herzen und stampfen Sinnen,
die nie irren können, werden iaaent
Der Krug gebt so lange Zum Wasser,
bis er bricht, und wie man sich bettet,
so schläft man! Kindisch alberne
Sprichwörterweisheii . . .. wenn es
nicht in und über ung stärkere Mächte
gäbe als wir selbst sind, wenn ein jeder
allein der Schmied seines Glückes sein
könnte, so sollte der erste Unglückliche
noch geboren werden.
Alle Hagel! fluchte der Graf kopf
schüttelnd, er hatte den Freund nicht
verstanden. Möchten mal bei meinem
Rittmeister und Kamerad Wiebelitz
’rangehen, fuhr er,nach der Uhr sehend,
fort. Könnte vielleicht noch zwei Stun
den Dienst loswerden, weißt du, könn
ten dann deine Herschaften eine Strecke
zu Pferde begleiten. Habe schon Evas
tochter in den Adler bestellt.
Jmmerzu, sagte Buchrodst, seine
ernste Stimmung gewaltsam abschijt
telnd. Gehen wir also!
Kamerad von Wiebelitz war gern
bereit, den Nachmittagsdienst für Al
tenegg zu übernehmen, der Rittmeister
ohne Weiteres damit einverstanden.
Als die Offiziere aus des letzteren
Wohnung traten, stießen sie auf den
Landrath mit seinen Damen. Das
Dinet im Hotel zum Adler, dem ersten
Neustadt’s, verlief ebenso heiter als
das Frühstück. Es ließ sich leicht be
merken, daß die Mädchen noch nicht
wußten, welche Wendung das Schick
sal ihres Vetters genommen, denn sie
sprachen davon, im Herbst den in der
Nähe stattfindenden Manövern beizu
wohnen und Konrad im Biwat zn be
suchen, eine Aussicht, die in dem Gra
fen einen Sturm des Entzücken-s er
regte, bis es ihm einfiel, daß ja zu je
ner Zeit Buchrodt gar nicht mehr zum
Regtment gehören würde. Dieser selbst
wurde gegen das Ende des Mahles
schweigsam, weniger weil er mit zu
ernstenGedanken über sich selbst beschäf
tigt gewesen wäre, sondern viellmehr,
weil seine Aufmerksamkeit in ganz an
derer Weise gefesselt wurde: von sei
nem Platze aus konnte er einen Theil
des kleinen Nebencabinets übersehen
und dort speiste, ganz allein, eine Da
me, von einer ausländisch aussehenden
Kammerfeau bedient. Sie mußte eine
Fremde sein, da er, seit fünf Jahren
in Neustadt in Garnison, jede Dame
aus der Umgegend kannte. Und eine
- derartige Schönheit ersten Ranges
wäre ihrn am wenigsten entgangen.
Die etwas scharf, aber sehe regelmäßig
.-2L -L-I --f-I-—-ÄL--- ----- L·- I---l
III-U kas- stWIIICSGIIPII UUZIV UIL Obst-Isl
gebogene Nase, die schwarzen, sehr
großen und glänzenden Augen, über
welche sich lange Wimpern wie ein
Schleier senkten, die vollen, tiefrothen
Lippen, der farblose, bräunliche Teint
—- es lag etwas eigenthiimlich Fesseln
des in diesem fremdartigen Typus, der
Buchrodi lebhaft an die gluihäugigen,
blassen Schönheiten Granabas und
Sevillas erinnerte. Sein fast akus
dringlicbes Hinsüberstarren blieb von
ihr, wie es schien, nicht unbemerkt,
denn sie streifte ihn mehrere Male prü
fend mit den funkelnden Augen und
wandte sich dann, scheinbar unabsicht
lich, so, daß er nur noch ibre schsn ge
rundete, volle Schulter erblicken konnte.
Diese Mißachtnng wie er es nannte.
verdroß den bisher von den Frauen
W; er beschloß, sie zu emi
W. Wie aber bereits bei nächster
W sein-en Strebt ein wenig
M Seide, was ihm wenigstens den
Anblick des a la Titus frisirten dun
keln haarez und eines schmalen Strei
fens der Wange gewährte, aus deren in
feinem Bmzeton schimmernde Daut
die lange seidige Wimper einen- zittern-.
den Schatten warf. Den feinen
Frauentenner entzückte selbst die tadel
tose Schönheit solcher scheinbaren Klei
nigteiten.
Der Landrath ließ die Rechnung
kommen und den Wagen vorfahrem
Während des Auftrages fragte Kon
rad verstohlen den Kellner nach der
Dame; dieser kannte sie nicht, fügte je
doch hinzu, es müsse etwas sehr Vor
nehmes sein, sie habe einen Miethwa
gen bestellt, wohin, wisse er leider noch
nicht, die Kammersrau spräche gar
nicht deutsch und der Bediente sehr
schlecht.
Auf der Straße hielt neben dem
Breal auch die erwähnte Droschte.
Ein Diener in einfacher Livree, blau
mit blau, machte sich darauf mit eini
gen sehr eleganten Reiselofsern zu
schaffen
Kennst du die Livre? fragte Kon
rad, den jetzt eine fieberhafte Neugier
ergriffen, seinen Oheim.
Dieser verneinte gleichzeitig, ebenso
Graf Altenegg
Die Ofsiziere ritten zu beiden Sei
ten des Wagens, aber selbst als er fast
unhörbar auf der glatten Landstraße
dahinrollte, wollte das Gespräch nicht
mehr recht in Gang, die frühere Heiter
keit nicht zurücklommen. Den Land
rath beiümmerte das Unglück und der
Leichtsinn seines Neffen, woran dieser
selbst freilich weit weniger dachte, als
an die seltsam schöne Unbekannte
Clara blickte in ihrer gewohnten
Schweigsamleit traumerisch vor sich
hin, nur ab und zu flog ein forschender
Blick zu Konrad hinüber, als suche sie
den Grund seiner Verstimmung zu er
uuquk aus-trug uuuc km ccllllc MS
Tages in der Unterhaltung bereits sein
möglichstes geleistet, seinen nicht eben
reichbaltigen Stoff vollkommen er
schöpft und erkannte es sehr danlbar
an, als Elli in ihrer munteren, frischen
Weise das ihm zunächst liegende
Sportthema anschlag. Eine leise Un
behaglichkeit lag auf und Zwischen al
len, die erst wich, als der Landratb die
jungen Herren aus ein rasch ausziehen
des Gewitter aufmerksam machte. Es
wurde Abschied genommen Und dabei
die Einladung zum nächsten Sonn
tag nochmals wiederholt und ange
nommen.
Jeder Tag wird mir eine Woche, ein
Jahr sein, auf Parole, werde Sonntag
gar nicht erwarten können, versicherte
der Graf und faßte die dargebotenen
Hände der Damen so vorsichtig zärt
lich, als fürchte er, sie in seiner breiten
Faust zu zerbrechen. Empfehle mich
bis dahin gehorsamst auf Wieder
sehenl Er beugte sich tief auf den Hals
seines Pferdes herab und suchte in
Clara’s Augen zu lesen. Mechanisch
wiederholte sie: Aus Wiedersehent
aber ihr Blick ruhte dabei nicht auf
ihm, sondern auf Konrad.
Der Wagen rollte, die Schleier von
den Hüten der Mädchen wehten wie
grüßend. Altenegg drückte die rechte
Faust aus die linke Seite seines blauen
Rockes und stieß ein tieerRGebtumme
aus, was er seufzen na
Was hast du den«-II IYM Buch
todt « «
Bis Sonntag —- « " ·
alle Hagel! murm
Ich verstehe Wen !
Auch nicht —- auf Parole, verstehe
mich selber nicht mehr, schadet aber
nichts« .,he du verwünschte Bestie,
was soll denn das zumDonner —- das
letztere galt seiner hochbeinigen engli
schen Fuchssiute, welche sich unruhig
baumen begann und durchaus nicht
wenden lassen zu wollen schien.
Buchwdt lächelte. Er war selbst
ein viel zu guter Reiter, um nicht zu
bemerken. daß Altenegg dieses Cour
bettiren geflissengich durch das zuafeste
Untiegen oer Schenkel vermuthete
durchschaute auch sosort den Zweck die
ser kleinen Kriegslist: aus unauffäl
lige Weise dem entschwindenben Wa
gen noch länger mit seinen Blicken sol
gen zu können. Indem er selbst um
kehrte, durchzucke ihn ein jähes Tri
umphgefijhl, soeben kam die Droschke
mit dem blauen Diener neben dem
Kutscher aus dem am Flusse des Hit
gels gelegenen Dörfchen hervor und
begann mit ihren mageren Gäulen
schwerfällig emporzuklimmen. Ein
kurzek Ueberlegen, ein rascher Ent
schluß —- sein wild-es Blut pulsirte
schon wieder im Sturmtakt —, er
mußte die Schöne, die ihn so seltsam
gefesselt hatte, wenigstens wiedersehen,
wvmisglich eine Anknüpfung zu einem
späteren Verkehr erreichen, ihren Na
men erfahren.
Graun-. . . . so höre doch, du kannst
so längst nichts mehr sehen. . . . was
meinst du: kommen wir schneller aus
sur Me- pvex hist nach de- Sigm
Der wies aus einen- schmalen Feldweg,
der sich aus der Höhe, wo sie hielten,
von der Landstraße abpoeigtr.
Natürlich aus dem Schriemwege,
.alte Geschichte, antwortete der Gras.
Und ich behaupte das Gegentheil.
Mein Liebezpfeil gegen deine Evas
tochter, Ziel: Adler; Preis: sechs
Flaschen Moel! Eins, zwei, drei,
los! rief Buchrodt, hieb seinem Rap
pen die Sporen ein und jagte bergab
wärts, daß ihm der Gras einen lauten
Fluch nachsandte.
Alle Hagel, mich soll der Teufel rei
ten, wenn du nicht Hals und Beine
brichst, Konrad!
Dieser hörte nicht. Dasselbe ab
rathende, wie die Ahnung künftigen
Unheil-Z betlemmende Gefühl, das ihn
gestern erfaßt, als er sich mit Baron
Nicolai zum Spiel niedersetzte, stieg in
ihm empor, und wie gestern war sein
Leichtsinn stärker, seine trotzige Leiden
schaft taub; er wäre nicht umgekehrt
und hätte der Tod statt des blauen Be
dienten neben dem Kutscher gesessen.
Ein flüchtiger Blick rückwärts bewieä
ihm das Gelingen seiner List: Altenegg
galoppirte den Feldweg entlang und
verschwand soeben in einer Terrain
falte. Als wolle das Schicksal selbst
ein unsinniges Begehren begünstigen,
tam ihm ein Zusall zu Hilfe. Jn Er
wartung eines ausnahmsweise reich
lichen Trinkgeldes hatte der Droschken
lutscher jedenfalls schon vorher zu tiei
in’S Glas gesehen, der schwersällige
Wagen schwankte von einer Seite deE
Weges zur andern, bis er mit lautem
Krachen an einen Prellstein ansuhr
und sich scharf aus eine Seite neigte.
Der Lieutenant war sast in demselben
Augenblick zur Stelle. schwang sich aus
dem Sattel und bals der Dame aus
steigen. Sie schien übrigens durch den
Unsclll Weniges ckschkkckl Als Unmu
tbig, und wies den plötzlich erniichter
ten und verlegene Entschuldigunaen
stammelnden Rosselenteran, den Scha
den sofort zu beseitigen.
Darüber dürften denn doch Stun
den vergehen, meine Gnädigste, be
merkte Buchrodt. Die Achse ist voll
ständig zersplittert, und da in den
nächsten Minuten das Gewitter los-bre
chen wird, wollen Sie mir erlauben.
Sie nach dem Dorfe zurückzuführen
Zugleich stellte er sich vor.
Sie dankte mit einigen freundlichen
Worten und nahm seinen Arm. Ein
flüchti es Erröthen bewies ihm, daß
auch se ihn wiedererkannte. Als sie
das kleine Wirthshaus erreichten, fie
len bereits die ersten Tropfen. Eine
erstickend dumpfige Luft schlug ihnen
aus der niedrigen Stube entgegen
Die Dame riß ein Fenster auf, setzte
sich auf eine der hölzernen Wand
biinke, kreuzte die Arme über der Brust
und blickte stumm, als sei sie allein, in
das rasch zunehmende Dunkel hinaus·
Nicht ein«Schatten von Furcht zeigte
sich in ihren Zügen, als jetzt der erste
Blitzstrahl blendend niederzuckte, ein
Donnerschlag das Haus erbeben ließ
—" und wie heftig und immer heftiger
auch das Unwetter tobte, sie beugte sich
nur, wie um es genauer beobachten zu
können. ein wenig vor, das schöne Ant
litz völlig unbewegt, doch in den Au
gen ein eigenthiimliches, scharer Leuch
ten, das mit den Blitzen zu wetteifern
schim
Schon bei ihrem Eintritt hatten die
Wirthsleute das Zimmer verlassen.
Buchrodt war allein mit ihr. das Glück
ihm günstiger, als er selbst im tollsten
Uebermuth gehofst hatte; und doch
fand er keines seiner lecken Worte, wel
che ihm sonst einer schönen Frau ge
genüber vonselbst von den Lippen fie
len. Dein Eindruck der Persönlichkeit
stets sehr zugänglich, glaubte er noch
nie einen so fesselnden und tiefen em
pfunden zu haben. Nicht mehr allein
die plastische Vollkommenheit der Ge
stalt, der fremdartig schöne, stolze
III-.- EIUJU L:-t-- ,
sue-ne way-un »Es-L Ougc luut c-, Wu
ihn erregte, weit mehr noch die aus ih
nen lagernde eisige Ruhe, die sie im
Halbduntel wie aus bräunlich ange
hauchtem Marmor geformt erscheinen
ließ, und deren Kontrast zu den weit
geöjsneten dunkeln Augen, in denen je
der Blitz ein gleiches grelles Funteln
erweckte, als sprühe aus einem erstarr
ten Körper eine übernatürliche, dem
Naturseuer verwandte, wilde Flamme,
als sollten sich bei-de vereinigen in einer
gewaltigen Lohe, und —- Buchrodt
hatte den Gedanken noch nicht vollen
det, als mit betäubensdern Donner
schlage ein Blitzstrahl so dicht vor dem
Fenster herniedersuhr, daß sich die
JStube in ein Glutme verwandelte.
Er sah die Dame ausspringen und die
iArme ausbreiten. zum ersten Male
Tentrang sich ein Ausschrei ihren Lip
fpeih mehr wie wilder Judel als Ent
sseten klingend. Mit einem Sprunge
swar Vachrodt an ihrer Seite und lylelt
lsie umfasst Er zitterte stärker als sie,
»O
:l
alles Blut stürzte ihrn jäh zu setzen
ein fremdes wildes Gefiin durchbraufte
ihn, heiß und flammend —- die Dame
trat an das geöffnete Fenfter und
machte fich dadurch auf leichte, freund
liche Wetfe aus seinen Armen frei.
Mit tMm-Athemzuge sog sie die fri
fche, würztge Luft ein, einzelne Regen
tropfen spritzren auf ihr dunkles Haar,
in welchem fie blitzend wie Diamanten
hängen blieben.
Es ist vorüber, sagte die Dame, den
Kon zurückwendend; der ftärtfte
Schlag war auch der letzte, die Natur
liebt effeltvolle Altschliisse wie ein er
fahrener dramatischer Dichter. Mir
war, als müsse ich in Feuer vergehen
wie Semele, —- sie lachte leise, es
llang ein wenig scharf und spöttisch,
nichtso gut wie der weiche tiefe Ton,
in welchem sie sprach — welch ein Ber
gleich, lachen Sie nicht darüber? Aber
ich fürchte wirklich, ich habe Sie durch
meinen Schrei erschreckt und danle
Jhnen abermals fiir Jhren Beistand.
Dessen Sie nicht bedurften, antwor
tete Buchrodt, neben sie tretend. Er
hätte gern ein Wort iiber ihre Furcht
lofigleit hinzugefügt, doch konnte er
dieser Frau berbrauchte Complimente
sagen? Die Phrafen erstarben ihm
auf den Lippen.
« Jch habe gelernt, allein zu stehen im
Sturm —— ein leiser Seufzer schwellte
ihre Brust —- da, sehen Sie, die glück
lichen Blumen, o wie beneide ich sie!
Der Regen strömte noch unvermin
dert. Unbarmherzig schlugen die
schweren, gleichsam auf Fäden gereih
ten Wassertropfen die lnospenden Ro
sen und Flammenblumen des Gärt
chens zu Boden, lniclten die zarten,
kaum entwickelten Triebe.
Fragend blickte der Lieutenant feine
Uquyuru un, cl verslllllv slc ruchl
Gewitter imFriihling, fuhr sie, dies
bemerkend, fort. Jst es nicht benei
denswerth, dieses Blumenlos?....zu
sterben in unentweihter Frische, ehe
schwitle Sommertage sie verwellen
lassen, ehe lüsterne Schmetterlinge sie
berauben oder der lalte Herbst sie mit
grausamer Langsamleit entbliittert,
wenn nicht vorher die grobe Hand ei
nes Bauern sie bricht, um sie nach tur
zem Spiel achtlos in den Staub zu
werfen! O, Sie lächeln —- tveil Sie
mich nicht verstehen, Glücklicher, Sie
besihen noch den Enthusiasmus, die
goldene Hoffnungssreudigkeit der Ju
gend, die sich tampslustig nach den Lei
denschaften des heißen Lebenssommers
sehnt. Ach, es ist ein ungleicher Krieg,
in welchem der arme Sterbliche selbst
siegend verliert! Denn was ist alles
Glück, das wir mit unserm Herzblut
erobern? Ein Phantom, das unter
der zugreisenden Hand zerrinnt, ein
Glas Champagner, von dem der
prickelnde Schaum verflogen, die bit
tere Erlenntnisz, daß alles eitel! Jch
glaube nicht, daß Salomon bereits ein
Greis war, als er sein schmerzliches
Wort sprach: das wahre Alter ist zu
frieden, weil es nur noch eine Hofs
nung hegt und in diesernicht getäuscht
werden kann. Aber mit starken, be
gehrenden Sinnen noch zu sehen, daß
die glänzenden Sonnen, nach denen
man begierig haschte, nichts sind als
slittervergoldete Pappscheiben, zu
schmachten und doch wissen, daß alles
trügt, Glaube, Liebe und Hoffnung,
Treue und Vertrauen, Ruhm und Ehr
geiz, hinter sich den Nebel, durch den
die Schattenbilder unwiederbringlich
verlorenener Jugend schreiten, vor sich
eine nackte, lalte Einöde, das Herz in
langsamer Qual erlaltend, verstei
nernd —- sie unterbrach sich, als sie aus
Buchrodt’s Lippen einen aufsteigenden
Einwurf bemerkte — nein, sagen Sie
mir nicht, daß ich noch jung sei, das
wahre Alter rechnet nicht nach dem
Tausschein . . . . Kriegsjahre zählen
doppelt, sagt ihr Herren vom Militär
wohl, und nach Goethes Autorität
beißt Mensch sein ein Kämpfer sein·
Wir alle kämpfen um das Eldorado
und gewahren nur zu spät, daß wir eg
in demselben Augenblick verlieren, in
welchem wir diesen Kampf beginnen...,
fürwahr, es stirbt als Knabe, wen
die Götter lieben!
Sie schwieg, das lockjge Haupt leicht
an das Fenstetkreuz lehnend. Welch
ein Weib.» Konrad Buchrodt schüt
telte den hübschen blau-den Kopf- der
Contrast zwischen dieser wunderbar
schönen, noch jugendlich blühenden Ge
sialt und ihrer pessimistischen Lebens
aussassung erschien ihm denn doch zu
seltsam. Prüsend schaute er sie an, ob
sie scherze. . . nein, dazu blickte sie zu
ernst, zu ergriffen.
Und was wäre denn der Kern die
ses Leben-. der Reiz, der uns daran
fesselt, selbst wenn die Jugend ent
schwunden ists
Gelassen Sie mir diese Antwort,
bat sie, und es lag in ihrem Blick et
was, was das lauen beruhigte Blut
suchtede wieder selbst puliiten ließd
Es gicvt grad-na- nqw, weiche acht
fiir ihr ganzes Leben einen Schimmel
der Jugend zu bewahren wissen, unt
ich glaube, Sie gehören zu diesen.
Die Jugend ifi die Liebe, sagte er«
durch diesen Blick keck werdend.
Kind —- Berzethung, doch ich mus
Sie fast so nennen: wissen Sie denn
was Liebe iiti
Jch glaube, daß ich es zu fühlen be
ginne. Das übermiithige Wort wa1
ebensowenig mißzuverftehen als de1
feurige Angenstrahl, der es begleitete
Jn das bräunliche, farblose Antlit
der Dame schoß eine jähe Rötde, di1
sich bis an den herrlich geformter
Hals- und Nackenansatz fortsetzte, ihr
Augen funkelten wie vorher, als si·
sich dem Bliß entgegen zu werfer
schien. um die tiefrothen Lippen zuckt(
es.... da trat die Kammerfrau eit
und ritchete an sie einige Worte in ita
lienischer Sprache, von welcher Buch
rodt nicht mehr verstand, als sich be
einer Reise durch «Jtalien in sechzig
Tagen« nach dem Gsell Fels lerner
läßt. Er glaubte etwas von Carrozzt
zu hören. Ganz recht, denn die Dam
antwortete, jedenfalls mit Rücksicht au
ihn, deutsch: Gewiß nehme ich der
Wagen, so einfach er fein mag. Jac
ques soll sofort anspannen lassen unt
den Kutscher aus der Stadt ablohnen
Vergeßt nichts vom Gepack! — Dann
als die Dienerin das Zimmer verließ
wandte sie sich an den Dragoner-Lieu
tenant zurück, mit jenem verbindlichei
Lächeln, das dem wohlerzogenen Ge
sellschaftsmenfchen als beständig
Maske dient: Mein Diener hat einer
Wagen aufgetrieben, so daß ich mein
Fahrt fortsetzen lann, da auch der ilie
gen nachliißt . . .. Wie seltsam dies
deutsche Luft ist! Seit flinf Jahrei
zum ersten Male athme ich sie wiede·
und sofort verlockte sie mich zum Phi
tosophiren. Es ist wahr: wenn vre
Deutsche zusammentreffen, gründen st«
einen Turn- oder Gesangverein; sint
es ihrer nur zwei, so zerbrechen sie sid
die Köpfe über verzwickte Probleme
wobei sie natürlich stets entgegengesetz
ten Auffassungen huldigen und ni«
einer den andern bekehren wird. Unl
wie sehr sind wir, die wir uns dat
Volk der Denker nennen, von Aeußer
lichteiten abhängig! Ein Deutschet
Dorfwirtshaus, ein dito Gewitter unt
Sonnenuntergang —- wer, dem eir
Tropfen deutschen Blutes in den Ader
fließt, könnte sich einer sentimentaler
Schwärmrei enthalten und des Ver
suches, daraus in geistreicher Gesell
schaft —- sie begleitete das Complimen
mit einem bezeichnenden, etwas toter
ten Augenaufschlag —— ein philosophi.
sches System zu zirnrnern2
Betroffen starrte Buchrodt sie an
das war nicht mehr das leidenschaft
liche, tiefempfindende Weib, das der
bittern Schmerz um ein verfehltes Le
ben im herzen trug, sondern eine kühl·
und spöttische Weltdame . .. Die fein
fte Kotetterie hätte kein besseres Mitte
finden können, ihn noch mehr zu fes
feln, und sie schien sich ganz natürlirt
zu geben« Er murmelte, um feine Er
regung zu verbergen, etwas von Stim
mungen.
Das ist es, Stimmung! sagte di»
schöne Frau ein wenig überlegen. Nur
wir Deutsche haben diesen Begrif«
rein. .. Stimmung, Romantik, Poesie
ein Mondscheinabend —- Eichendorff
die Jugensdgeliebte am Arme eine
Fremden — Heinrich heine, ein sonni
ger Frühlingsmorgen —- Uhlawd, eins
tolle Champagnernacht, in der mai
unbequeme Erinnerungen zu erträn
ken sucht —— Christian Giinther, es is
eben alles voetische Stimmung in uns
am meisten, wenn wir m der That ver
stimmt sind Jch her-sichere Ihnen, in
t-. .-t- Mk -
austrank-(- gluuscll IIUW Mut-c IWII sc
bildete Leute, wir Deutsche beschäftig
ten uns hauptsächlich damit,Schweine
fleisch. Sauerkrcmt und Kartoffeln zi
verspeisen, zu exerciren und in düfteri
Wäldern, die lange Pfeife im Munde
Philosophie auszubriiteih Und wem
dieses Bild auch arg übertrieben ist, ir
den Grundzügen ift es doch richtig.
Sie hatte bei ihrer lebhaften Red(
die Handschuhe abgestreift und zeigt(
auffallend kleine und wohlgepflegtq
Hände, nach denen Bucheodt sehr eifrig
spähte. Er konnte unter den drei ode1
vier Ringen, die sie trug, keinen Trau«
ring entdecken. Das gab ihm fein(
uternehmende Keckheit wieder.
Stimmung? Mein berühmter schnei
diger Kamerad würde es »stilvoll« nen
nen; und welchen Stil erkennen Si(
mir zu?
hackländer und Strachwiy, Lebens
freudigkeit, Nomantik und ——, es wa
ren einige Augenblicke vergangen, eh·
Jie diese Antwort gab, und der fein(
Spott in ihren Zügen wieder einer
Imildem träumerischen Weichheit ge
wichen, die auch aus ihren Augen
strahlte; jests unterbrach sie sich mit
dernt Ausruf: Ah, da kommt der Wa
gmesks einfaches murrsch-s Schweiz-»
I-f
wiigelchen rollte vor die Thiir, hochbe
packt mit Koffern und Schachteln. Die
italienische Kammerirau und Jarquet
mit abgezogenem hute standen dane
ben. Der Regen hatte nachgelassen,
. von den Bäumen tropsten noch große,
funkelnde Perlen. zwischen den Wol
ken, die sich wie die verschiedenfarbigen
Felder eines Fächers zufammenschoi
» ben, begann schon wieder die blitzende
« Frühlingssonne hervorzulugen.
Wie schnell ist mir diese Stunde ver
; flossen, ich habe nie eine ähnliche er
E lebt, seufzte Buchrodt, seiner Dame den
. leichten Mantel umlegend. Er streifte
d dabei ihre Hand und Schulter, und es
r durchzuckte ihn wie ein eleltrischer
: Schlag. Werden wir uns wiedersehen.
Vielleicht — wenn die Götter es
: Wollen!
Darauf vertraue ich nicht, sie sind
neidisch. Auch giebt es fiir mich nur
noch eine Göttin, und wenn sie wollte
—- aber ich fürchte, sie verlacht den
Thörichten nur. Er stand dicht vor
ihr, seine leuchtenden blauen Augen
tief in die ihrigen senkend, und be
merlte mit höher schlagendem Herzen,
wie das Feuer seines Blickes abermals
das Noth auf ihren Wangen entzün
dete.
Sie träumen schon wieder Roman
tit, mein Freund. und wenn wir uns
wiedersehen sollten, so würden Sie,
fürchte ich, arg enttäuscht werden. Es
ist etwas anderes, sich im nüchternen
Kerzenlicht eines Salons gegenüberzu
stehen, als unter dem Blitz undDonner
eines Friihlingsgewitters. Was uns
heute noch begehrenswerth erscheint, ist
morgen ein bloßer Schatten, nicht
werth, daß wir die Hand darnach aus
strecten, und übermorgen vergessen, un
q
i
i
ukgcguugcu tm OUUMI Ucv RUND,
s auf dessen Strome sich nur die frische
Jugendtraft obenschwimmend erhält
und ich habe sie verloren, ich bin eine
alte Frau, die viel erlebt und gelitten.
Sie werden nicht viel Mühe haben,
mich und diese Stunde zu vergessen.
Nie, nie! versicherte der Lieutenant
feurig, die ihm gereichte Hand on die
Lippen führend, ein wenig länger, als
dies die Etitette erforderte, und als er
sie freigelassen verdroß es ihn, die Ge
legenheit, nach dem bedeutunggvollen
Ringe zu sehen, nicht benutzt zu haben.
Gewiß, ich werde Sie wiedersehen.
Um mir und fich selbst zu zürnen,
I daß die Folge nicht halten kann, was
Sie sich vielleicht davon versprechen.
Nein. es wäre zu schade um diese schöne
, Erinnerung! Darum bitte ich, küm
, mern Sie sich nicht um mich, bis viel
leicht ein zweiter Zufall uns zusam
menfiihrt. Was Lohengrin von seiner
I Gemahlin fordert, werden Sie einer
gleichgültigen Fremden nicht verwei
gern. Wer ich sei und wo ich mich hin
gewandt . . . . Sie verstehen?
Das wohl, doch fürchte ich, meine
moralische Kraft langt zu dieser Ent
sagung nicht aus.
Ach,sund wenn es sein müßte« wenn
ich nicht allein das Recht, sondern auch
.- die Pflicht hätte, sie zu verlangen! rief
sie heftig, und es klang wie Schmerz
und Zorn durch ihren Ton; dann, als
sie seine Bestiirzung bemerkte, fügte sie
weicher hinzu: Glauben Sie nur, es
muß so fein, mein Freund. haben
Sie Dank und leben Sie wohl und
vergessen Sie —- Frau Melittat
So eilig schritt sie hinaus, daß, als
er ihr folgend in die Thitr trat, die
Pferde bereits anz'ogen.
, Ich have Jhr Wort, Herr Linne
- nant Konrad Buchrodt, kein Forschen,
" tein Suchen s—- das Unheil, nicht das
" Glück führt die Menschen zusammen.
; Jhr Taschentuch wehte in ihrer
; Hand. Jetzt entfiel es ihr und schwebte
, langsam wie eine vom Winde getra
, gene große, weifze Blüthe nieder. Noch
; ehe es die Straße berührte, hatte der
Lieutenant es erfaßt. Was ihn bis
, jeyt in seinem Abenteuer bedrückend
; berührt, fast wie betlernmende Gewit
; tetfchwiile, verschwand vor dem golde
nen Sonnenschein, der frischen Luft,
. dem aufsteigenden Uebermuth. Er
z preßte das feine, duftende Spidengh
- webe an seine Lippen, schob es zwi
; schen die Knöpfe feines Rockes und
- lachte in kecker Zuversicht hinter dem
Wagen her:
- Dieer Tuch zum Pfand, daß ich
Dich wiedersehe!
(Fortseßung folgU
Schlechier Trost
Frau: »Welch’ ein Unglück! Die
Gerichtsfession ist geschlossen und mei
ne Ehescheidungsklage ist bis nach Ab
schluß der Gerichtdferien verlegi wor
dens«
Advokat: «Seien Sie froh, denn
Ihr Mann wird fortfahren, Sie wäh
st r- in: WIT- m gis
kenn r e se « nor n
sttgfeinP a