Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 15, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

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    E immer geliebte Mädchen entlasten
i te.
Er dachte auch jetztwieder an- Luzic,
während er schlaslos dem Morgen ent
gegenharrise, der ein-e schwere Entschei
dung bringen mußte. Ein aus der
Richtung von Paris herüberschalleni
des Geräusch iilnidigte den Anmarsch
neuer Truvpenthetie an, aber die mei
sten Franetireurs hörten es nicht, sie
schliefen fest auf dem eisialteni Boden.
Walter Bourreille konnte nichi
schlafen-· ihm gingen zu viele Gedanken
durch den Kopf, die ihn wach hielten.
Er hatte die halbe Nacht noch vor sich
und war so nahe bei Garches. Sollte
es nicht möglich sein, vor Tagesan
bruch Luzie zu sehen und zu sprechen?
Wenn er sich vorher mit ihr ausges
thnt hatte,wiirde er morgenmii ganz
anderen Gefühlen in denKamps gehen.
Ungefährlich war die Sache ja nicht,
aber er kannte hier herum von Jugend
auf jeden Pfad und jeden Graben,
war auch durch die früher unter
nommenen Streisziige ziemlich genau
über die Stellung der preußischen
Vorposten und Feldwachen unterrich
tet. Zuletzt siegte die Sehnsucht, Lu
zie wiederzusehen, und alle Bedenllich
leiten.
» Er erhob sich leise und ging der
, osteniette zu, nachdem er vorher ein
«Ziindhölzchen angesteckt und gesehm
hatte, daß es zwei Uhr Morgens war.
Er hatte also mindestens noch zwei
oder drei Stunden vor sich, in denen
er bequem durch die Cernirnngålinie
nach Garches und wieder zurück gelan
gen konnte.
»Ich muß mich etwas vertreten, ich
bin ganz steif gefroren,« sagte er zu
seinen Kameraden, der hinter einem
Baume Posten stand.
»Nimm Dich in -Acht, Bourreille,
die Preußen sind nicht weit,« antwor
tete Jener.
»Ach was, mir sollen sie nichts an
haben,« meinte Walter, indem er wei
ter schritt.
Der Andere schaute ihm kopfschüt
telnd nach und glaubte jeden Augen
blick, im Vorgelände würden Schüsse
gegen den waghalsigen Spaziergänger
abgeseuert werden« allein Alles blieb
still wie zuvor.
Jn der That war Walter Bourreille
gänglich unangefochten durch die
preußischen Vorpostenietie hindurch
gelangt; einmal hatte er eine seind
liche Patrouille kommen sehen, vor der
er sich in einem Graben versteckte, und
wiederholt hatte er kürzere Srecken
aus händen und Füßen zurücklegen
müssen. Um das-Dorf Garches war
er in einem weiten Bogen herumge
gangen und jetzt glücklich bis zur Fa
brik gelangt. Wie aber dort hinein
gelangen, ohne den Preußen in die
hände zu fallen? Er hätte sich des
wegen nicht so viele Sorgen zu machen
brauchen, wenn er gewußt hätte, daß
die sämmtlichen in der Umgegend zer
streut liegenden Truppen bereits am
Abend zusammengezogen worden wa
ren. Deswegen lag die Fabrik jetzt
ganz dunkel und todt vor ihm; das
Wohnhaus derGebriider Montmayeur
konnte er nicht sehen, da es durch die
abrit verdeckt wurde. Er hatte sich
m eine vielleicht hundert Schritte von
leyterer entfernte Baumgruppe geschli
chen, um erst zu relognosziren und ei
nen Plan zu entwersen, und lag dort
zwischen dem Unterholz und dem Erd
boden, um gegen jede Entdeckung ge
sichert zu sein.
Wuyreno er ausmellsam noch Dem
Gebäude, in dern er schon so furcht
bare Stunden durchlebt hatte, in
iiderschaute, öffnete sich drüben plötz
lich eine Thür, und zwei Personen er
schienen in derselben. Die eine blieb
aus der Schwelle stehen — es war eine
Frau, so viel Walter in der nächtlichen
Dunkelheit unterscheiden konnte. Die
andere, ein Mann, verließ das Haus
und entfernte sich eiligen Schrittes in
der Richtung nach Garches. Er tam
ziemlich dicht an Walter vorüber, der
jetzt Johann v. Montinayeur in ihm
erkannte; dann verschwand er im
Dunkel.
Die Frau war ihm von Weitem ge
solgt und kam jetzt gleichfalls näher,
Jenem noch immer nachs uend· Sie
schien mit Ungeduld au seine Rück
lehr zu warten und athinete aufgeregt,
wie Walter deutlich hören konnte, der
längst in· ihr seine Geliebte erkannt
hatte. Länger duldete es ihn in sei
nem Versteck nicht; er richtete sich em
por und eilt-e mit den Worten: »Lu
ziet Mein geliebtes Mädchen!« aus
sie zu. "
Sie stieß einen leisen Schrei aus
und schien fliehen zu wollen, aber er
war schon dei ihr, umschlang sie und
küßte sie, indem er ihr zuflüsterte:
»Ich bin es ja, Luzie, Walterz habe
doch leine Furcht! hast Du mich
k 1
Idenn nicht gleich an der Stimme er
tannti«
- »Du hier, Walters Großer Gott«
iwaö haft Du gewagt! Einmal habe
sich Dich zu retten vermocht, zum zwei
stenmale dürfte es unmöglich sein.«
»Ich hielt es drüben nicht länger
aus, Luzie. Jch mußte hierher eilen,
lum Dir zu sagen, daß ich Deine
cSchuldlosigkeit erkannt unsd Dich im
(mer geliebt habe und immer lieben
.werde!«
I »Du hältst mich also nicht mehr
Fsür schuldig? Wer hat Dir denn
gesagt ———
» »Ich erhielt in Paris einen Brief
von einem gewissen Courlande.«
I »Dem darfst Du glauben, denn er
;ist unser Freund, der es sich zur Auf
gabe gemacht hat den Mord an Dei
nem Vater aufzuklären« Sie hielt
tn-,ne um eine Weile angestrengt in der
l Richtung nach Garches hin zu horchen,
so daß Walter fragte:
; »Was hast Du denn, Luzie?«
i »Ach, Du weißt ja natürlich nicht-—
Les Bernadettes ist niedergebrannt —
Klaudine schwer verwundet!«
« »Das arme Mädchens« sagte er
theilnehmend, ohne des eigenen Ver
mögensverlusteö durch den Brand mit
seinem Worte zu gedenken.
· »Sie ist bei uns in der Fabrik, und
der deutsche Stabsarzt hofft, sie am
Leben erhalten zu können. Aber vor
hin hat sie sich im Wundfieber den
Verband von ihrerWunde gerissen, die
aus’s Neue zu bluten anfing, und ist
dann wieder in eine Ohnmacht gefal
len. Herr Johann v. Montmayeur ist
nach Garches geeilt, um den Doktor
zu holen, während Herr Georg so
lange bei der Kranken ist. Doch Du
darsft nicht länger hier weilen, Wal
«ter, jeder Augenblick kann Dir Gefahr
breiten-n «
!
F »Es ist nicht so schlimm. Die
Preußen in der Fabrik scheinen ja Alle
zu schlafen.«
. »Dort ist Niemand Sie sind gegen
sAbend sämmtlich nach Garches abge
riickt, aber sie können jeden Augenblick
zurücktornrnen.«
»Sei ganz ruhig, sie sollen mich
nicht fangen. Zuerst sage mir, ob Du
mich noch immer liebst.« -
»Qb ich Dich liebe, Walter?« mur
melte sie mit unbeschreiblicher Zärtlich
teit. »Du darfst nie wieder daran
zweifeln.«
»Und Du verzeihst mir?«
»Was hätte ich Dir denn zu ver
zeihen? Der Schein sprach ja gegen
mich!«
»Ja, das ist wahr, und deswegen
mußt Du mir noch Eines sagen, wenn
ich morgen ruhigen Herzens in den
Kampf gehen soll. Weßhalb hast Du
damals Deine Pslegemutter verlas
sen?«
,,Bis vor wenigen Tagen hätte ich
Dir das nicht sagen dürfen, Walten
Jch hatte mir eine Ausgabe gestellt,
deren Lösung in ersterLinie das tiefste
Geheimnis; erforderte. Deswegen woll
te ich vor Frau Doriat und Dir, so
wie Paul und Heinrich gegenüber lie
ber schuldig erscheinen, als jenes Ge
beimnisz preis-geben Jetzt tann ich es
Dir anvertrauen, wenn Du mir schwö
ren willst, daß Du nichts thun wirst,
um die Ausführung meines Vorha
bens zu «verhindern.«
2 »Ich schwor-e es Dir, Luzie!«
; »Nun, so höre. Der Mann, der
Deinen Vater ermordet hat, ist Jo
hann v. Montmayeur. Du kannst
Dir nun also selbst die Frage beant
worten, ob es möglich und denkbar ist«
daß ich jenen niederträchtigen Mörder
iliebe! Er aber ist wie toll in mich
iveriiebt und dadurch hoffte ich ihn zu
einem Geständniß zu bringen, auf
Grund dessen ich ihn den Gerichten
über-liefern und meinen Pflegevater
kDoriat retten könnte.
f «Jn dieser Hoffnung bin ich schein
Zbar auf seine Werbung eingegangen.
Nun wirst Du meine bisherige Hand
Zlungstveise verstehen.«
s Walter stand mit geballten Fäusten
neben ihr und schien in der Richtung
nach Garche3, wohin er Montmayeur
hatte gehen sehen, dabonstiirzen zu
wollen.
Sie packte ihn am Arm und sagte
mahnend: »Vergiß nicht, Walter, was
«Du mir soeben geschworen hast! Klau
dine und ich haben das Geheimnisz un
ter den härtesten Prüfungen bewahrt
—(- Du mußt das auch thun, sonst ist
Doriast rettungslos verloren!«
»Aber warum zeigst Du den Mör
der denn nicht einfach beim Gericht
an?«
»Wir haben ja .teine Beweise gegen
ihn.«
Mit hastigen Worten gab sie ihm
eine kurze Schilderung der Ereignisse,
nach der er sie von Neuem stitrmissch
küßte, indem er murmelte:
» s
»O, Du Gutes Wie bitter unrecht
haben wir Dir gethan!«
»Ich habe Euch Allen längst Verge
ben,« sagte ste, sich ihm entwindend.i
»Nun aber ist es die höchste Zeit stir!
Dich, Walter.« » «
»Ja, ich gehe schon,« antwortete eri
resignirt. »Na-r noch einen letzten«
Kuß gteb mir auf den Weg mit.««
EineMinute nachher schlich sichWal
ter wieder vorsichtig in der Nichtungs
davor-, aus der er vorhin gekommen
war, während Luzie langsam nach der
Fabrik zurückkehrte. Kaum warens
Beide aus der Baumgmppe herausge-;
treten und nach entgegengesetzter Rich-;
tung auseinander gegangen, als nichts
weit hinter ihnen sich im Unterholz ein!
Mann vom Boden aufrichtete. Erj
folgte Luzien, aber mit wantenden
Schritten, so daß es fast scheinen konn-l
"te, als ob er betrunken wäre. Es wars
Monwtmaheur der das junge Mädchen;
einholte, als sie gerade wieder in die»
Fabrik eintreten wollte
»Ist der Doktor nicht gleich mit Ih
nen gekommen?« fragte sie ängstlich .
»Ich konnte ihn bis jetzt nicht auf- !
finden, « entgegnete er mit seltsam ver- «
änderter Stimme. ,,Kehren Sie jetzt
zu Jhrer Schwester zurück, ich will
nochmals nach Garches gehen. Man
suchte den Doktor und ich werde mit
ihm kommen, sobald er gesunden is.«
»Ach ja, thun Sie das, bitte,« ver
setzte Luzie und fügte noch einigeDan
iesworte hinzu, nicht ahnend, daß e5’
Montmayeur gar nicht eingefallen
war, nach Garches zu gehen. Jhm
konnte ja gar nichts Erwiinschteresk
begegnen, als daß Klaudine an denl
Folgen dieses neuen Zwischenfalles
zstarb, da wollte er sich wohl hüten, den
jArzt herbeizurufen. Er war daher
nur zum Schein von der Fabrik so
weit fortgegangen, bis ihn Luzie nicht
mehr sehen konnte, und dann langsam
wieder umgekehrt. Dabei hatte er in
der Nachtstille Stimmen vernommen,
sich leise und vorsichtig der Baum
gruppe genähert und den ganzen letz
ten Theil desGespräches zwischenWal
ter und ihr belauscht. »
Eine furchtbare Wuth, ein namen-;
loser Grimm erfüllte Johann v.Mon-t-«
Imaheun Also er war der Nat dieses
«Weibes gewesen, das ihn nicht liebte,
sonden aus tiefster Seele haßte und
·nur nach dem einen Ziel trachtete, ihn
zu verderben! Aber es sollte ihr nicht’
gelingen, er wollte über sie und Allei
triuinptyiren
Kaum hatte Luzie die Thiir hinteri
sich geschlossen, als er in der Richtung
davonstiirzte, in der er Walter Bour-«
reille hatte fortgehen sehen. Der junge-;
Man-n konnte noch gar nicht weit ge-:z
kommen sein, und in der That sah«
Monxtmaheur schon- bald die Umrisse.
»seiner Gestalt vor sich aus dem Dunkel.
hauftauchen Er gewahrte recht gut
ldaß Walter einen Verfolger hinter sich
Ewiihnte und sich zu verstecken suchteJ
iaber Montmaheur ließ ihm keine Zeiti
Idazu.
« — - - m sw so i
»wu: greulich Herr Jouurreiuy »u- -
ten Sie doch,« rief er ihm schon aus
einiger Entfernung mit gedämpftet
Stimme zu. s
Walter erwartete den Heraneileniz
den, und als er ihn erkannte, sagte ers
blos: i
»Sie, Herr von Montmayeur?«
Die übrigen-Worte, die ihm aufz
die Lippen lamen, drängte er mit Ge I
walt zurück, des Schwur-es eingedenk,l
den er Luzie geleistet hatte. I
Jener aber flüsterte ihm, als er her- «
angekommen war, hastig zu: »Jl)rej
Pfegeschwester liegt im Sterben unt-«
möchte Sie gerne noch einmal sehen.
Deshalb hat mich Fräulein Luzie Jus —
nen nachgeschickt.«
Walter zögerte einen Augenblick Er
hatte die unbehaglicheEmpfindung, als -
ob ihm eine Falle gestellt werde. Allein .
dann fiel ihm wieder ein, wag Luzie
von ihrer Schwester gesagt hatte, und»
so entschloß er sich denn mit Mom
maheur zu gehen-. Freilich konnte er;
nur wenige Minuten bei der Sterben s
den weilen, denn er mußt-e sich beeilen,«
wieder zu seinen Kameraden zurückzn »
kommen, aber ihre Bitte durfte er doan
nicht unerfiillt lassen. ,
»Bitte, gehen Sie voran,« sagte ers
kurz. »Ich folge Ihnen« !
Der Fabrilbesitzer schritt rasch vor
aus, seine Augen blitzten und um sei
ne Augen spielte ein grausames Lii
cheln. Er öffnete die Thür, durch die
auch Luzie vorhin wieder in dieFabrit
gegangen war, indem er sagte: »Fal
gen Sie mir, so gut es geht. Jch habe
leider keck-n Licht bei mir. Hier kommt
eine Treppe.«
Beide tasteten sich die Stufen empor
bis in den ersten Stock. Walter wun
derte sich zwar, daß man die Verwun
dete hier in der Fabrik und nicht in
dem Wohnshcmse untergebracht habe
aber das war wohl nicht and-ers zu
. 4L-!
machen gewesen. So folgte er denn
seinem Führer über den langen Gang
und trast in ein Zimmer, dass dieser ge
öffnet hatte. Von Neuem überlam ihn
der Argwohn, der zuerst in ihm aus
getaucht war.
»Wo ist Klaudine?« fragte er unge
duldig.
Er hörte, wie Montmayeur dieThiir
abschloß, durch die sie eingetreten wa
ren, und sah, wie er dann mit einem
Zündhölzchen eine auf dem Tische ste
hende Kerze anzündete. Der Raum,
in dem beide sich allein befanden, schien
früher eine Art Bureau gewesen zu
sein; es standen ein paar Tische mit
Schreibgeräth und einige Stuhle da
rin.
.,Weshalb haben Sie mich hierher
gefiihrt? Wo ist Klaudine?« fragte
er mit erhöhtem Unwillen, und als er
sah, wie sich das Gesicht des Chemikers
daraus zu einem höhnischen Lächeln
verzog, vermochte er nicht länger an
sich zu halten. Vorhin, im nächtlichen
Dunkel, hatte er diese oerhaßten Züge
nicht erblickt; jetzt aber sah er sie vor
sich, und nun vergaß er den Eid, den
er Luzise geschworen hatte. Abscheu
und Verlangen nach Rache trugen in
ihm den Sieg davon. Er stürzte mit
dem Aufschrei: ,,E.lender Raubmör
der!« auf den Chemiler los, packte ihn
und suchte ihn zu Boden zu werfen.
Montmayeur hatte sich überrumpeln
lassen und schwankte im ersten Augen
blick; da er aber bedeutend stärker war
als sein Gegner, so gelang es ihm sehr
bald, sich von diesem loszumachen und
Walter gegen die Wand zu schleudern.
Dann zog er ein-en Revoslver hervor,
richtete die Mündung gegen ihn und
sagte laltbliitig: ,,Sobald Sie noch
einmal Miene machen, mich anzugrei
ken. schiene ich Sie ohne Gnade und
Barmherzigkeit nieder.«
»Du haft meinen Vater ermordet,
und das sollst Du büßen!« stöhnte
Walten
»Sie werden wohl daran thun, sich
Iarüber klar zu werden, daß Sie voll
ständig in meiner Gewalt sen-d. Sie
verdsen vorhin schon bemerkt haben,
daß ich Ihnen an Kräften überlegen
bin, dann habe ich diesen Revolver
hier, währen-d Sie waffenloss sind, und
endlich lockt jeder Schuß, den ich ab
feure, sofort die Preußen herbei, die
sich sehr freuen werden, den ihnen neu
lich entwifchten Gefangenen wieder in
ihreGewalt zu bekommen. Sie dürften
diesmal nicht viel Umstände mit Ih
nen machen.«
Diese Bemerkung brachte den jun
gen Mann wieder zur Vernunft. Er
faßte sich und fragte mit ruhigerer
Stimme
,,Weshalb haben Sie mich hierher
gelockt? Was wollen Sie von mir?«
»Ich habe Sie, wie Sie inzwischen
wohl schon selbst gemerkt haben wer
den, nicht hierher gelockt, um einem
Wunsche oon Fräulein Klaudine zu
genügen, die Von Jhrem Hiersein gar
keine Ahnung hat,« versetzte Mammo
heur höhnisch, »fondern vielmehr, um
eine Privatangelegenheit mit Ihnen zu
ordnen. Erst wenn das geschehen ist,
werde ich Jhnen jene Tbür öffnen.
Jeder Versuch der Widersetzlichkeit
aber kann Jhnen verhängnißvoll wer
den.«
»Was wollen Sie also von mir?«
Viederholte Walten
»Sie sollen mir eine Befcheinigung
Darüber ausstellem daß Sie die An
gaben der Schwestern Luzie udelau
vine in Betreff des Todes Jhres Va
ters für erfunden und durchaus un
glaublich halten.«
Waltet Bourreille lachte schneisdend
aus. ,,Gar nicht übel ersonnen, aber
lieber will ich mir die Hand abtyacken
lassen, ehe ich solche infame Lüge nie
derschreiben sollt«
»Ganz wie Sie wollen. Jch gebe Ih
nen fünf Minuten Bedenkzeit Wenn
sie abgelaufen sind, werde ich durch ei
nen Schuß aus dem Fenster die Preu
ßen herbeirufen und Sie ihnen aus
liefern.«
»Niederträchtiger Schmie!« knirsch
te Walter sich nur mit Mühe so weit
beherrschend, daß« er sich nicht aus’5
Jtewe ungeachtet desRevolvers auf die
sen Dämon in Menschengestalt stürzte.
Abeszener hatte ihn vollständig in sei
Iver Gewalt. Dabei wurde es drau
szen mit jede-m Augen-blicke lichter, und
schon trat, wie er durch das Fenster
sehen konnte, der Gipfel des Month
levien aus dem Nebel hervor, der über
der Ebene lagerte.
»Was soll ich denn schreiben?« frag
te er mit Thränen in den Augen, wäh
rend die verhaltene Wut-h seine Stim
me erbeben ließ.
»Es ist schön, daß Sie Vernunft an
nehmen. Bitte, setzen- Sie sich dort
htn,« versetzte der Chemikets, auf den
Tisch deutend, »dann werde ich dikti
ven.«
Walter rückte das Licht näher, legte
das Papier zurecht, tauchte die Feder
ein und schrieb wach dem DittatMonst
mayeurs Folgendes:
»Chemische Fabrik in Garches, den
19. Januar 1871.
Heute, am Morgen der bevorstehen
den Schlacht, erkläre ich, Endessunter
zeichneter, daß aslle Aussagen der
Schwestern Luzte und Klaudine Thi
baude tin Betreff des Herrn Johanns v.
Montmayeur und seiner Schuld am
Tode meines Vaters leere Erfindun
gen sind. Herr v. Monstmayeur ist
mein-Freund und vollkommen Unschul
dig an der ihm ansgedsichteten Unthat.«
Als er unter das Schriftstijck seinen
Namen gesetzt hatte, las Mowtmayeur
es durch, steckte es ein und sagte dann,
iwdem er ihm die Thiir öffnete: »So,
jetzt sind Sie frei!«
Der junge Man-n stürzte mite eine
Verwünschung aus den Lippen hinaus
und gleich darauf sah der Chemiker
ihn von der Fabrik über das freieFeld
hin eilen. Er hatte das Licht ausge
löscht und war an das Fenster getre
ten. Während er ihm nachblickte, bis
die Gestalt im Nebel verschwunden
war, kam ihm dser Gedanke:
»Dieser da und seine Kameraden,
die sich für das Vaterland tödten las
sen wollen, haben doch einen Zweck, ein
Ziel im Leben. Sie sind glücklich!«
ihm zuzuraunen: ,,Mache es wie sie,
stelle Dich in die Reihen der Kämpfer!
lKämpfe Seite an Seite mit dem Soh
ne Dein-es Opfers, bis Du ehrenvoll
fällst. Aber finster lächelnd schüttelte
Ier den Kopf. »Thorheit! Sentimsen
talität!«
M» C--.s, I-! ·«!.L-« F« k,:) M.I-«
Und eine geheimnißvolleSitimme schien E
Or akzuu stu, tuccuu us« W- Jan-seyn
haus, wo Luzie ihm bereits in angst
voller Erwartung entgegenkam Der
,Anblick des Mädchens-, dessen wahre
lGesinnung gegen ihn erst diese ver
hängnißvolle Nacht geoffensbart hatte,
stack-Ue srine LButh aufs Ikue an
und er vermocht-e es kaum über sich,
,i-hr mit geheucheltem Bedauern zu ver
-sichern, der Stabsarzt sei trotz aller
HBemiihungen unaufinsdbar gewesen
jDann ging er ins sein Schlafzimmer
und schloß sich ein. Er war in einer
entsetzlichen Gemüthsversassung und
wollte nichts mehr hören usnsd sehen, .
weshalb sein Ersies war, daß er sich
durch ein starkes Opiat Schlaf zu ver
schaffen suchte, was ihm auch gelang.
Luzie war inzwischen-wieder zu ihrer
Schwester zurückgekehrt und hatte die
noch immer im Fieber Liegende zu be
ruhigen und ihr einenNothverbandan
zulegen gesucht. Wie einen ihr zu
Hilfe gesandten Engel begrüßte sie den
jgegen sieben 11hr,als draußen noch
Alles in Nebel gehüllt war, in das
Krankenzimmer tretenden Stabsarzt
Der wackere Mann hatte fiir die beiden
Schwestern wirklich-e Theilnahme ge
faßt undtvar trotzdmn Qllks auf ri
nsen im Laufe des Tages zu erwarten
den größeren Fiarnpf hindeutete in der
Morgenfriihe rasch noch einmal zur
Familie geeilt, um nach Klaudine zu
sehen.
»Nimm hatte Doktor Eversmann,
so hieß der Stabsarzt, gehört, was
während der Nacht geschehen war, als
er zunächst einen neuen kunftgerechtsen
Verband anlegte. Luzie half ihm unsd
erzählte dabei, wie entsetzlich es ihr ge
wesen fei, daß man ihm diese Nacht
nicht habe auffinden können, da sie
mehrmals geglaubt habe, es gehe mit
der Schwester zu Ende.
»Man hat michnicht finden können?
Wer hat mich denn gesucht? fragte
der Stabsarzt erstaunt.
»Herr Johann von Montmayeur
selbst. Er war zweimal in Garches
und hat sich, wie er sagte, die erdenk
lichfte Mühe gegeben, Sie ausfindig
izu machen, indefz vergebeng.«
»Das ift mir unverständlich Jch
lhabe die ganze Nacht mein Quartier
«nicht verlassen. Da muß ein Mißver
sstänsdniß obwalten.« Er gab dann
znoch eine Reihe von Berhaltungsmaß
sregeln, die Luzie piinltlich zu halten
zversprach und schloß mit den Worten:
"«Geben Sie alle Stunden einen Löffel
von der neuen Ajtedizirk der es hof
fentlich gelingen wird, das Fieber ein
zudämmen Sobald es mir möglich
ist, werde ich wieder nach unserer
Kranken fehen.«
x Als der Arzt fortgegangen war,
neigte sich Luzie iiuer ihr-e Schwester
und küßte die arme Kranke. Sie wuß
te jetzt, daß Johann nicht gewollt
hatte, daß der Doktor in dieser Nacht
komme, weil er hoffte,Klau-dine würde
ohne dessen Beistand sterben.
Courlande hatte bei der letzten Zu
sammenlunft zu ihr gesagt: »Nachdem
Montmayeur die beiden Briitefe gelesen
hat« die Sie und Ihre Schwester nach
meinem Diktait geschrieben haben,
wird er auf ein neues Verbrechen sm
wen, um das erste zu verdecken Jhrer
—
glaubt er sicher zu sein«v weil er sich von
Jhnen geliebt währi«—der umsichtige
Agent konnte nicht ahnen, daß Monst
mayseur sehr bald über dies-en Punkt
anders denken würde —- ,,u-nd deshalb -
haben Sie selbst für Jhre Person
nichts von ihm ziu fürchten. Anders
aber steht es mit Jshrer Schwester»
Deren Anklage hat er zu fürchten, und
deswegen hege ich keinen Zweifel da
ran, daß er bei sich längst beschlossen
hat, sie zu tödten-, wenns ihm das
Schicksal nicht »die Mühe erspart. Er
wird sie natürlich nicht affen, mit
Dolch oder Revolder, zu tödten wagen,
sondern Gift, die Waffe der Feigen,
wählen, das ihrn als Chemiker ja je
derzeit zur Verfügung steht. Er. wiird
Versuchen, ihr zuerst kleine Dosen bei
zubringen, um so den Schein zu er
wecken, daß sie an eine natürlichen
Krankheit dahinsieche. Darum wachen
Sie Tag und Nacht über Fräulein
Klaudine, weichen Sie nicht von ishr
unid halten Sie Jhre Augen offen. Es
ist ein gewagtes Spiel, in das wir uns
eingelassen haben-, aber es bleibt uns
kein anderes Mit-tel. Und wenn Sie
nur den Muth nicht verlieren, dann
stehen wir, wie ich hoffe, auch bald am
Zielet«
Dies-e Nacht hatte Montmayeur nusn
offen-bar gedacht, Klaudine werd-e ohne
rasche ärztliche Hilfe wohl kaum den
Morgen erleben, und deswegen war er
entweder gar nicht in Garches oder
wenigstens nicht bei dem Stabsarzt,
dessen Quartier er ganz genau kann-ste
Wen-n er nun sah, daß ihre Schwester
noch lebte, dann würde er zweifellos
suchen, in der von Courlande angedeu
teten Weise sich der gefürchteten An
klägerins zu entledigen.
(Fortsetzung folgt.)
- « -.- ------ —
Der kluge Sohn.
Jm fernen Morgenlamde lebte ein
reicher Mann, dem der Himmel zu
gleicher Zeit drei Söhne geschenkt hack
te. —- Als die-selben herangewachsm
waren, rief sie der Vater eines Tages
zu sich Und sprach zu ihnen: »Ihr seid
jetzt groß uind stark geworden und steht
miir im Geschäfte hiilsreich zur Hand.
Da Jhr Euch aber nicht immer so ver
t·r—aget, wie es Brüder eigentlich sollen,
unid da ich nicht weiß, wem von Euch
ich einmal das Geschäft übergeben soll,
da Jhr alle drei eines Alters seid, so
habe ich beschlossen dasselbe Demjeni
gen zu übertragen, der mir nach drei
Jahren die größte, ihm selbst gehörige
Summe Geldes aufweisen kann.« -—·
Set und Phrat waren mit demVor
schlage ihres Vaters Völlig einverstan
den, denn sie hatten« sich zu strebsamen
Kaufleuten herangebsildet und zogen ge
trosten Muthes in die Ferne.
Während jeder der beiden Brüder
bis in die späte Nacht hinein arbeitete,
dürftig sich kleidete, kümmerlich sich
nährte, und Heller zu Heller legte, trieb
sich Ali, der letztgeborene, in den
Wirthshäusern seines Heimathsortes
umher und machte Schulden über
Schulden. Ein Jeder borgte ihsm gern-,
denn man wußte, das; sein Vater der
reichste Mann der Stadt war. Die
ier war oerruot, daß sei-n ihm lieva
Sohns die Schwelle seines Hauses mied,
obwohl er die Mauern seiner Vater
stadt nsicht verlassen hatte. und mit
Bangen sah er der Zukunft entgegen
Kurz vor Ablauf der drei Jahre er
fuhr der Vater eines Tages, daß Ali
plötzlich von dannen gezogen sei, nach
dem er vorher sämmtliche Schulden gie
tilgt hatte. — Wohin er sich begeben,
wußte Niemand. —— ·
Als die verabredete Frist abgelauer
war, stellten sich Set und Phrat im
Hause ihres Vaters ein und breite-ten
vor diesem die Schätze aus, die sie im
Laufe der drei Jahre gespart hatten.
Sie hatten Beide fast gleich viel und
der Vater sprach seine Freude und Zu
friedenheit aus. Da trat plötzlich Ali
in’s Zimmer; reich inv Sammt untd
Sei-de gekleidet, strahlend von Brillaiw
ten; zwei Diener begleiteten ihn und
schütteten vor den Augen der über
raschten Brüder nnd des vor Verwun
derung sprachlos dasitzenden Vaters
den Jnhalt mehrerer Säcke aus eine-n
Teppich aus. Der Glanz des Gobdes,
das Feuer der Edelsteine blendete schier
die Umherstehenden und sreudestVa-h
lend rief der Vater sein-en Liebling zu
»Ich wußte es,« sprach er »daß Du
der Klügste bist und Du sollst auch ein
mal die Schalle Deiner Väter erben.
Dein-e Vriitder werden Dir gerne hülf
reich zur Seite stehen . . . . Aber sage
m-ir, wie Du es angefangen. so unentd
« liche Reichthümer in der kurzen Zeit zu
erwerben-?« —
,,Lächelnto beugte sich Ali zu seinem
Vater nieder und slüssterte ihm ints
Ohr: »Ich habe eine reiche Frau ge
heirathet!« (Fl· BL)