Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 04, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    J - Weite Blätter.
rbst!
Ein Zauberstab schien das sommerq
J grüne Laub berührt zu haben, daß es
? leuchtete gleich Korallen und Bern
«T stein. Silberne Fäden spann-en sich
von Zweig zu Zweig und die Sonne
umglänzte Alles mit so heiterenl
Strahlen, als sollte sie erwecken, ver
jüngen und nicht dem Tode Geweihtes
zum Abschied küssen — — 4
« räulein Wand-a VonCarnsap fchrittl
« au geregt unter den großenKastanien-!
bäumen ihres Garten-s aus unsd nie-l
zu ihren Füßen, — still schwebten die
herbstlichen Blätter neben ihr zu Bo
ImnSie hielt einen Brief, den sie am
Morgen empfangen hatte und nun bes
veits zum drittenmal-e las —
»Mein hochverehrtes, gnädiges Frau-l
lein!
Vermuthlich haben Sie es nicht er-.
wart-et diese Jhkmk einst sehr wohn-c
kaneite Handschrift noch einmal in die
sem Leben zu erblicken. Gehört sie
doch einem für Sie längst Verscholle
nen an. Ob auch einem von Ihnen
Vergessng Mein Herz sagt »nein«.
-—— mein Verstand, den ich als meinen
allerbesten Freund schätzen gelernt ha
be, dagegen ,,ja«! Diese Fehde zwi
schen einem jung gebliebenen Herzen
. und einem bedächtisg erwägenden Ver
stand zu schlichten, haben teun von al
len Menschen auf Erden nur Sie,
mein hochberehrtes Fräulein, Macht
und Kraft. Und deshalb appellire ich
an ein-e jener Eigenschaften die ich
einstmals an- Jhnen so hochschätzte —
an ihre Ehrlichkeit-. Hat mein Ver
stand das Richtige getroffen, fo wei
sen sie den alten heimgekehtten Glo
bustrotter einfach von Jhrer Thür —
behält mein Herz recht — —- Ach
Wandu, warum soll ich es Ihnen ver
schweigen, sdies Herz hat ja das An
denken an Sie als sein Bestes gehegt
all die Jahre! Meine erste Handlung,
ais ich die Heimath betrat, war —
nach Ihnen zu forschen. Jch mußte
erfahren, daß Sie einsam geblieben
seien, daß jene Jhre überstürzte Ver
lobung nicht zu einem unlösliche-n
Bünndnisz geführt habe. Wart-du« ein
halbes Menschenleben hin-durch habe
ich es versucht, in der neuen Welt die
alte zu vergessen — mit Allem, was
darauf war —- — Ob es mir gelun
« gen? Durch mein-e Träume, wenn
·. diese schön sind, huscht noch heute das
, süße Trotzlöpfchem mit den großem
. bachendenSonnenscheinaugem das mir
einst mein Glück in Scherben vor die
Füße geworfen hat, — ich höre das
Rauschen frühlingsgrüner Kastaniem
an denen sdie Blüthensackeln angezün
det sind — — Knapp und klar, mein
verehrtes Fräulein, ich alter Thor lie
be Sie noch immer, und habe die Ab
sicht, Ihnen heute Vormittag meine
unterthiinigste Aufwartung zu ma
chen, um Sie zu fragen —- zu fragen
—- Doch das geht besser mündlich.
k- »Es-»s- « -«
- .z...;»,-z-3z. FU
Einzig der Jhre
Otsried Gerlach.«
Dieser Brief tnisterte gleich gewen
ten Blättern zwischen den zitternden
Händen des Fräulein Man-da v. Car
nap. Eine Falte des Unmuthes ver
iieste sich zwischen ihre-n Brauen.
Also als süßes Trockköpfchen stellte
der heimgekehrte Freirnd sich die einst
Geliebte immer noch vor?
Die wilden goldenen Locken waren
in bedenklich nachgedwnkeltem Zustan
de längst zahm und glatt in Zöpfe ge
slochten worden, der Sonnenschein
hatte sich aus den etwas verblaßt-en
Blauaugen versliichtet Und was das
Huschen anberraf — du lieber Gott!
—- es würde der bebabig gerundeten
Gestalt des Fräuleins wohl ziemlich
schwer gJalleti sein! Sie mußte sich
eben damit begnügen-, durch schmeich
lerische Träume zu huscheni —
Daß er es noch so genau wußte,
Otsried, wie über jener Abschiedsscene
die Kastanien gebläht hatten!
Fräulein v. Carnap blieb sinnen-d
stehen. Die Vergangenheit umrauschte
sie und neben- ihr fiel Blatt aus Blatt,
leis, unaufhaltsam, wie von Geistern
zu Grabe getragen —- —— —
Dise aller-allererste Erinnerung
des smh verwaisten Kindes, ldas Er
wachen seines Verstandes zum Be
wußtsein des Leben-ö, des Daseins,
» Initpfte sich an den Knaben Otfried.
Ein Wildsmsg von Gottes Gnaden,
war die klein-e Wanda eines schönen
W von einem Steg in den Bach
der die nahen Wiesen ihres
Our-d Erziehets dtnchvaufchte
Schon tauchte daigo tdhtmige Köpf
Hm unt-, da sithkte dtecletne sich
ich- Mdktch tm W Hast-schont
- M, spdm enden Schultern ge
W
packt. Ebenso under-machen wie ste im
Feuchten gelegen, lag sie plstlich wie
der aus dem Trocknen Zornige, dunkle
Augen starr-ten sie an, ein paar kräf
tige Schimpsworte flogen in ihre Oh
ren-und ihr sonderbarer Retter war
verschwunden Ein Wiedersehen hatte
erst zwei Sommer später stattgefun
den, und zwar imWipsel eines Kirsch
baums, der vom Nachbargrundstiick
herüberragte, um mit seinen rothen
Früchten aus der kleinen Wanda eine
Eva zu machen. ,,Kirschenspa·t3!« hatte
ihr eine grollende Knabenstimme zuge
rufen, dieselbe, die sie damals nach der
Rettung aus Wassernöthen gescholren
hatte. Zornig war die Kleine zwischen
den Aesten niedergeglitten, aber leider
an der falschen Seite —- sie befand sich
im Bereich ihres seindlichen Freundes
Als sie den Jrrthum bemerkte, streckte
sie zunächst ihrrothesZiingselchen mög
lichst zwischen den Lippen hervor, so
dann sing sie an, hitterlich zu weinen.
Diesem Naturereigniß gegenüber der
wandelde sich der jugendliche Grobian
in einen aufmerksam-en Ritter. Er
tröstete die wildhaarige Kleine, hing
ihr Kirschenzwillinge über die Ohren,
ashmte, um sie zu erheitern, Vogelstim
men nach, machte sich Zu ihrem Pferde,
bis sie schließlich hell ausjauchzte vor
Verwng
Ton und Stimmung dieser Weg-eg
nungen wurden charakteristisch fiir die
ganze Kinderzeit der Beiden. Sie
stritten sich und bekämpften sich voll
bitteren Trotzes wo sie einander tra
fen. Aber jedem Zank folgte eine Ver
söhnung. die immer süßer wurde. je
reisender War-da sich entfaitete, je be
deutsender Otsrieds Verstand sich ent
wickelte. Die Studienzeit des jun-gen
Menschen hat nichts an dem seltsamen
Liebesirotze, den« er gegen seine einsiige
Spielgesährtin und sie gegen ihn hegte,
zu ändern vermocht.
Und ein-es Tages war dem langen
Krieg ein Waffenstillftawd gefolgt. Es
schien, das blühende junge Paar wür
de sich fürs Leben finden. Bald dar
auf habilitirte sich Otfried als Privat
dozent an der Universität der Lan-res
hauptstath Er gedachte, Wanda its-·
sein Weib zu sich zu holen. Aber an
dem Tage, da er um das geliebte Mäd
chen anzuhalten beabsichtigte. fand er
»Trotzköpfchen« besonders ungnädig
ausgelegt. Irgend eine Kleinigkeit
hatt-e ihren Starrsinn geweckt. Voll
Spott und Hohn wies sie den Antrag
zurück, den sie doch längst erwartet und
ersehnt hatte, und den sie keineswegs
abzulehnen gesonnen war.
Aber mit furchtbarem Ernst hatte
sich Otfried zum Gehen gewendet.
Gleich einem Schwur rief er es Wanda
zu: ,,Niemals siehst Du mich wieder!«
Die Locken schütteln-d und einen über
müthigen Knicls machend, neckte sie:
»Dann habe ich ja Freiheit, mich zu
verloben, mit wem ich willk« Otfrieds
Zähne tnirschiem »Keinien andern
als mich wirft Du je im Leben heira
then!«
Und er ging, ohne ihr ein Wort, ei
nen Blick des Abschieds zu gönnen
Vergseblich erwartete Wanda in den
nächsten Wochen ein Zeichen des Ge
denbens von dem geliebten Verhaßten.
Maßlos bäumte sich ihrTrotz auf. Sie
stürzte sich inVergnügungm aller Art,
tollte, lachte und bezauberte alle Welt.
Zwei Monate später war sie die
Braut eines Rittrneisters und—sanibte
Otfrieb die Art-zeige dieser Verlobung
zu. Er stattete äußerst förmlich fei
nen schriftlichen Glücktvunsch ab. Ein
Vierteljahr später schloß er sich ei
ner Expedition in den dunklen Erd
theil an. —— —
Wie deutlich sichWanda noch an den
versunkenen Frühling ihres Lebens
erinnerte! An jene Abschiedsscsne un
ter den blühenden Kastanien! Ein Re
gen weißer und rosiger Blüthen war
über sie niedergesunien und hatte ihre
glühenden Wangen gestreift.
Sie schrak zusammen. Kühl unb
weich fiel es ja auch heute um sie her
und küß-te ihr brennendes Gesicht·
Welle Blätter! Welte Blätter! Sie
stieß mit dem Fuß in das dürre Laub
hin-ein« daß es hoch aufsirudelbe, dann
blickte sie wach dem Ende des Ganges
hin, dorthin, wo einst ihr Glück für
immer verschwunden war.
Aber toat da nicht eine hohe Gestalt
in den Glanz hinein, der unter den
somienbeglänztem goldig und weht-e
leuchtetens Bäumen wogte?
Einen hetzschlag lang Wie es der
Einsam, ihre Jugend sei wirklich
zurückgebehtt und die lange Trennung
mer ein Traum wesen. ;
Da bemerkte sädaß der Nähertonkt
irrende sinkt-e md zögerte
Alles Blut schoß ihr zum setzen.
Ein martert-der Verdacht ern-achte in
Pin- roaummsccuektei wies-f
scheu unt wusch-W hatte sich
W
der Anwesende die lang Etsch-te vor
gestellt, und nun, nun erschrak er an
ihn! Es konnte nicht anders sein!
: Schnell gefaßt und von dem nie in
ihr ersiotbenen Troß ihrer Natur ge
leitet, streckte Wand-a beide hönde aus,
ließ den Brief zu den welken Blättern
niederflattern und ging dem Heimge
lehrten entgegen.
Dabei lachte sie, lachte, daß ihr
Thränen kamen. »So sehen wir bei
den Alten uns wieder! Sie tragen
eine blaue Brille und einen- großmäch
tigen Bart. dafür aber hat sich ver
muthlich Jht Haupthaar empfoh
len — —«
Als er mit einer gewissen Feierlich
teit der Bewegung den Hut vor ihr
liiftete, konnte Wanst-a sehen, daß dem
nicht so war, daß sein Haar dunkel
und dicht stand.
Beschämt verstummte sie.
Er nahm seine Brille ab, und sie
schaute in seine guten, treuen Augen,
in sein Gesicht, das wohl männlich,
aber nicht alt geworden war.
Gereizt und geärgert, daß sie nicht
Recht behalten hatte, fuhr sie fort:
»Aber so sehen Sie mich doch nur an,
Otfried, was ich fiir eine behäbige alte
Jungfer geworden bin. Alles Gold
ist sort von meinem »Troßti5pfchen—«
»Wie es scheinst, auch aus Jhrem
Herzen,« sagte er vorwurfsvoll. Er
blickte sie finster an. »So habe ich mir
das Wiedersehen nicht vorgest-el1t.
Sie lachte von Neuem, aber nur,
weil sie nicht weinen, ihre Schwäche
nicht zeigen mochte.
«,,Ah —- Sie glauben wohl, ich alter
Troston würd-e in Jhre Arme flie
gen, Worte istammelndie meinen Jah
ren nicht geziemen, kurz herauss, eine
lächerlich sentimentale Szene auffüh
ren ——«
- . « .- - .«- .- --..
Ul· lllllckokllccs slc Delllclyc hellng
»Die Jugend haben Sie vielleicht ab
gelegt, Wanda, Ihren Hohn, Jhren
verwundenden Trotz nicht.«
Sein dunkles Gesicht röthete sich bis
in die ernste Stirn hinaus. Mit star
kem Griff erfaßte er beide Hände der
vor ihm Stehenden und dann sprach
er zu ihr mit einer Stimme, vor der
sie erschrak, so tief und bebend war sie:
»Wanda, in den langen Jahren der
Einsamkeit ist mir«’s deutlich gewor
den, woran einst unser Glück scheiterte,
s—— an meiner Schwäche Jhnen gegen
über-! Aber weiß Gott, nicht noch ein
mal sollen Sie mich kraftlos sehen!
Unter Jhrem Lachen verstecken Sie ja
nichts als Thränenl Jshr Herz, in
dem ich ja doch festgewachsen bin, wol
len Sie vor mir verbergen, weil Sie
in thörichter Eitelkeit glauben, ich
könnte Sie nicht mehr so hübsch fin
den, wie damals in blühender Jugend
Wären Sie etwa als mein Weib nicht
auch gealtert? Und hätte ich Sie des
wegen minder geehrt? Wanda, mit
der ganzen Kraft meiner Seele hab’
ich Jhre Seele geliebt, endlose Jahre
hindurch, -—— und solche Liebe, meinen
Sie, könne scheitern an der Klippe
elend-er Aeußerlichleit?«
Sie senkte den Blick und löste ihre
Hände aus den sein-en. Dann tastete
sie nach den welken Blättern, die ihr
im Haar hingen.
»Die passen sür mich,« stammelte
sie, ,,nicht der Brautlranz, den Sie
über meine Stirn legen wollen.«
»Und legen werde!« beharrte er.
»Ich zwinge Sie jetzt zu einem späten
Glück, wie ich Sie damals zu einem
frühen, jauchzenden, göttergleichen
hätte zwingen müssen. Der Trotz er
soll endlich weichen. Jch will es!
Hörst Du, ich will es!«
Seine Stimme schmolz unter den
besehleiwen Worten.
Sie stand regungslos. Sie kämpf
te. kämpfte Und dann breitete sie
beide Arme aus.
»Otfried,« rief sie, »Deine Jugend
hab’ ich Dir vergiftet,mich selber elend
maßlos elend gemacht. Nichts als eine
Mauer wollt’ ich ja ausrichten zwi
schen uns durch jene thörichte Verlo
bung, die Dich über’s Meer trieb.
Kannst Du mir verzeiheni«
Und sie weinte an seinem Versen-.
Er küßte ihr die Thränen fort und
lächelte sie an »Meine Verzeihung
wende ich Dir einst aus meinem Ster
bebette geben, wenn Du mir das Le
ben süß gemacht haben wirst —«
»Du sollst aber nicht vor mir ster
ben!« musrmelie sie. Er verschloß ihr
den Mund. »Trohlopf!« waran
er —- — —
Jn glückseligem Schweigen schmieg
te sie sich an ihm der groß, gut und
mild zu ihr nieder-blickte
Geistethast leise fiel das Purpur
lausb um sie her. M hoch und kro
nenstolz standen die Baume. denen ei
detderlsstenifilhrtr. —
Msosiandentüdiezmivlenschm»
Mist-m MM Hof-subb
WMternicht cM diewecl
von ihrem Lebensbaum gefallen wa
ren.
.- .--.- .. .sp.—...— .....·
Das Recht des Henker5.
Ein mittelallerlicheg Sittendild von
Win. Schriefer.
Wohl lag das Häuschen des Waf
Ifenschmieds Ebert, eines ehrsamen
Wittwers, in dem engsten, düstersten
Viertel der Stadt, und dieStuben des -
selben waren niedrig unsd finster, aber
Iwer da von derGafse aus in die Werk
Tstatt hinein-trat und traf neben dem
iMeisters dessen siebzehnjähriges Töch
sterchen Linchen und blickte ihr in das
süße Mariengesicht, dem war es, als
fülle eitelHiMMeISglanz und Freuden
licht den rußgeschwärzten Raum. Das
wußten alle Bürgersiihne im Umkreis
und wären gernegelomnien,sich in dem
goldigen Geleuchte zu sonnen und mit
einander zu wetteifern, die schöneLicht
spenderin heimzuführen in ihre Be
hausungen, die ähnlichenstders ent
behrten, aber sie wagtens es nicht vor
den stolzen Rittern, die täglich bei
Ebert verkehan unter dem Vorwande,
ihre Waffen bedürften der Ausbesse
rung, in Wahrheit jedoch, die Schöne
zu berücken. Da waren gar freche
Jungherren darunter, im Waffen-har
nisch aus Ringen, die zahlten desMei
stets Leistungen mit zehnfachem Werth
und wähnten, wenn sie die vollen Beu
tel schütteln-d schwangen und auf den
Zahltisch hin-schmissen, das Recht zu
haben, das herzige Mädchen in die ro
sigen Wangen zu lJieifen oder ihm gar
ein Küßchen zu rauben, in der Hoff
nung auf einstige reichere Beute; da
waren wieder andereRitter, üppig und
fein, in schellenbehcmgenen Wämsern
aus Sammt, mit Aermeln daran, so
weit, daß sie bis auf die Erde streiften,
»die Füße in langen Schnabelfchuhen,
diese Meister der Minne suchten durch
auserlesene Worte, süßer denn.Honig
meth, zu gleichem Endziel zu kommen,
aber was sie bewirkten mit all ihrem
Streben, war einzig allein, daß Lin
chen gar eitel wurde, bis ihr gar bald
der reichste und vornehmste Jüngling
zlll Llcocsckwlockullg zu gering Wäc
Tsieses jähe Auswuchern von Hof
fahrt in der Seele des Mädchens mach
te Niemand größere Sorge als Wal
ter, dem ersten Gesellen des Schmieds,
einem sauberen Burschen, der vor ei
nem Jahr, aus weiter Ferne gekom
men, bei Meister Eber-i in Dienst ge
treten. Wenn er am Feierabend, vorn
Ruf-e der Arbeit gereinigt, einherginsg
so frisch und so munter, mit den lan
gen, lichten Locken, und den treuherzig
blickenden Blauaugen, würde jedes
»Mädchen, das noch keinen Liebhaber
Ehatth sich glücklich geschätzt haben, von
ihm umworben zu werden; aber die
Eine, um die er allein in der Stille
warb, aus tiefstem, treuestern Empfin
den, war Schön - Linchen, und diese
gerade blickte stolz aus ihn herab. Er
bemerkte es in bitterem Harme, doch
änderte das seine Liebe nicht. und er
verzieh der Bethürten den Hochmuth
an dern sie ja schuldlos war, der nur
von ihrer Umgebung künstlich hervor
geufen worden. Vergebens machte er
Linchen aufmerksam, wie wenig ihr
Stolz zu ihrem einfachen Stande pas
se und daß dieses Mißverhältniß eine
große Gefahr mit sich bringe. Das
nichts Böses ahnende Kind verstand
seine zartsinnige Warnungen nicht.
Eines Tages beobachtete er mit
wachsender Besorgniß, daß Linchen ei
nem ganz fremden Ritter, der im Ge
folge des Königs von Portugal in die
Stadt getomrnen war, untd der alltäg
lich kostbare Waffen bei Meister Eber
hart bestellte, jenes Gehör zu leihen be
gann, um das alle einheimische Ritter
schaft vergebens gebuhlt. Traurig trat
er deshalb zu dernMädchen und sprach:
»Warum beachtest Du, süßes Linchen,
jenes Mannes Werden, der es unmög
lich ehrbar mit Dir meint, während
Du mir, dessen Redlichkeit zu prüfen
Du stündlich Gelegenheit haft, nicht
Ifdas leiseste Vertrauen schenkst?«
Hochaufgerichtet und mit heißer,
Nin abwesenden Portugiesen zusteh
mender Empfindung entgegnete Lin
chen: »Wie soll sich den Grad Deiner
PLiebe erkennen, Walten da es Dir kein
Opfer ist, um die Meisterstochter zu
freien? Jener Fremde aber wirft Ho
M und Ehrgeiz hinweg, damit meine
nst ihn beglücke, und für solchen
Liebesbeweis sollte ich ihn- nsicht über
aus fchäheni Ja, zum ersten Mal lie
be ich iquf glühender Sake, ich liebe
Fähn- der mich gelehrt. was wahre Liebe
s »Ach. daß its-Dich nicht besser bekeh
ren kannt« rief Walten nnd das M
toampfte sein Vers zufammen. Wisse
denn, Thövirr. daß ich bereit sein mäss
dethch in meines-me zu ziehen- wenn
W
I Du m tew macht-me Wesen auf
Erden wärest, las meirk Liebe ist so
gewaltig, daß ich um Dich freite, hätte
;sich der Tod Dich schon zmn Tanze be
Jstimmt!«
- Linchen wandte sich schaudern-d ab,
lder Gegensatz ihrer blühenden Jugend:
szu solchen Worten war ein« zu großer,
sie erschienen ihr als ganz abscheulich
Wenige Tage später liindigte Walter
seine Stelle und wanderte aus der
Stadt.
2.
Monate sind vergangen. Der Kö
nig von Portugal mit all’ seinem Ge
folge ist wieder heim in sein Lan-d ge
zogen, und seit dem Tage, an dem dies
geschah, ist das strahlend- Licht erro
schen, daß in der Werkstatt des Mei
sters Ebert so Viele Bewunderer gezo
gen. Unheimliche Blässe hat die Rö
the auf Linchens Wangen verdrängt,
und wenn es manchmal scheint, als
lehre die frühere Rosenherrschast zu
rück, so sind es heimliche Thränen, die
solche Röthe gemalt. Keines Ritters
«Scherz vermag es mehr, dem bleichen
Mund ein Lächeln abzugewinnen, und
nicht lange dauert es, da ist die Arme
»iiberhaupt nicht mehr zu bewegen, des
4Vaters Gewölbe zu betreten. Welt
.feindlich verbirgt sie sich im ihre Stube
und geht auch nie aus, selbst anSonip
Etagen, wo alle Bürgersmädchen zur
zMesse gehen, schließt sie sich diesen nicht
san. Dieses Gebaren fällt auf und
Flenlt die allgemeine Aufmerksamkeit
Jaus die Verborgene. Nichts aber ist
gschärfer, als die Blicke der Frauen für
«ihesgleichen, nur die Spitze ihrer Zun
sgen geht noch darüber. So kommt es,
jdasz wach wenigen Wochen ein seltsa
mes Zischelw die Stadt durchsährt,
von einem Ende zum anderen, unsd es
1zwiihrt vom Morgen bis in die Nacht
kund kehrt wieder am anderen Tage
und verliert sich nimmer und nimmer.
IJmmer lauter tönt es und hat einen
garstigen Klang, als käme es aus
zlauter Herzen voll Kälte und grausa
Imer Schadenfreude. Schon weiß die
Iganze Stadt, was es bedeutet, nur
zMeister Ebert nicht und seine Gehil
Hsen, die selten die Wertstadt verlassen.
Mä- -Z--;
M«-h sc- »st« c««-»
.«. ....,,.g. «...,,.-, « We .»»......,
die in des Meisters Hauswesen die
ZStelle der lHausfrau vertritt, die hört
zes aber zuletzt an des Nacher Brun
Enen. Empört iiber die stunde, ohne
ssie glauben zu können und ohne sie ib
Zrem Dienstherrn zu verrathen, eilt sie
jhinauf in die Kemenate zu Linchen
Fund indem sie das Mädchen von Kovs
;zu Füßen in’s Auge faßt, erlennt sie,
twag sie bisher nicht beobachtet, unsd
inichts als der Ausrust »Mein Gott,
Eso ist es denn wahrl« entsährt ihr voll
jBestiirzung Aber Linchen, dieSchan
; de und den strengen Vater siirchtend,
Ziügh sie lügt zum ersten Mal in ihrem
;Leben. »Es- ist nicht wahr! Jch weiß»
Enichh was Du willst! Wie kannst Du
jso niedrig von mir denken! Wenn ich
idem Vater sage, wie abscheulich Du
ibist, jagt er Dich aus dem Hausei«
i Da schwieg die alte Hanne ver
schüchiert und verbarg, was sie wußte,
in sich.
B.
- Eine Wegestunde außerhalb der
sStadtrnauer in den Donau - Auen ist
Feine Stelle, wo einFluszarm einen tlei
lnen See bildet. Trauerweiden umge
ben ihn und strecken ihre Aesie mit den
niederhängenden Zweigen weit iiber
den regungslosen Wasserspiegel hin
ein. Es giebt keinen einsameren,
weltverlorenen Ort, als dies einer ist.
Monate lang wird er von keinesMens
schen Fuß berührt. Selbst das Ge
wild und die Vögel der Landschast
scheinen ihn zu meiden· Hier hat die
Schwermuth ihr Bett aufgeschlagen
Nur heute —- esist ein- trüberHerbst
abend — stört ein außergewöhnlicher
Ton diese Einsamkeit Nur Munde-n
lang währte er und klang, als wäre
etwas in den See gefallen, der auch an
einer Stelle, nicht weit ab vom Ufer,
immer größer werdende Ringe zieht,
und wenn wir die Böschung oberhalb
eineFrauengestalt, die aus demStrunk
eines vorn Sturm niedergerissenen
Baumes ruht, mit weit zurückgeboge
nein Leib, die Arme vorgestreckt untd
bavegungslos, die Augen weit ausge
rissen und starr nach der Stelle der
Kreise gerichtet, erfüllt von einem so
suchtbaren Grauen. als sähen- sie dort
ein Gespenst sich langsam aus derTiese
erheben. Einige Minuten währt die
Regungslosigleit der Entgeisieten und
schon lange sind die Ringe da unten
verschwunden endlich sinkt das Mäd
chen vorwärts aus ihre Kniee nieder.
Die weißen hände faltend und zum
Himmel bebend, betet sie: »Vert, da
droben, vergielk mir-, was ich that, Du
weißt es, ich konnte nicht anders. Wie
bitt-te ich die Verachtung und den Hohn
aller Leute, wie die surchtbareSchmach
zu ertragen vermocht-i Wahr-sinnig
M
btitte die Schattensqu der Alter-ge
nossmnens mich gemacht. Niemals böt
te ich es mehr gewagt, dem Vater un
ter die Augen zu kommen, der so hoch
geachtet dasteht und durch mich so ewi
ehrt geworden. Durch mich! Und ich
habe doch nichts Böses verbrochen-, nur
Liebe gespendet sijr Liebe. Du großer
Erbarmen nicht wahr, Du vergiebst
mir? Jch habe an Deinen Himmel ge
glaubt, soll ich mir dasiir das Leben
zur Hölle werden lassen?«
Lan-ge betet sie so vor sich hin, bis
ein neues Geräusch sie erschreckt. Ha
stig erhebt sie sich. Ein vom Alter ge
krümmt-es Weib, eine Reisigtvelle aus
dem Rücken, husmpelt an ibr vorbei
und grinst sie an, öffnet weit den
zehn-tosen Mumd und grüßt: »Guten
Abentd, Jungfer Linchen, gutenAbenid,
wie, so spät in der Au, so allein? Ei,
ei, so allein . . . .«
4.
Die alte Reisigausleserin ist voraus
nach dem Stadtthor gewackelt und hat
dort der Wache erzählt, daß sie sehr
wohl gesehen, was Lsinchen isn das
Wasser geworfen Nun liegt des
Massenschmieds Töchterlein in der
häßlichen Tiefe des Thortbnrmes und
bat voll schrecklicher Reue dem Richter
Alles bekannt. Jn größter Bestät
zunq ist Meister Eber-i zu ilyr geeilt
und lniesiillig hat sie ihn um Ver
zeihung gebeten, aber der Mann, der
gar viel bielt auf seinen guten Namen
und die Tugend seines Kindes, hats
furchtbar gegen sie getobt und nim
mer, nimmer verhallt aus dem Gehör
des Mädchens sein letzter, gräßlicher
Fluch.
mne Woche tbater brach der Richter
den Stab über Linchen; sie wurde ver
urtheilt zum Tode durch das Schwert.
Weit hinaus in das Land eilt diese
traurige Kunde.
Wo bleiben jetzt die Ritter, die einst
um Linchenz Liebe gebuhtt, wo die
Bürgergsöhne, die nach ihrem Besitze
geschmachtet? Jst denn Niemand, der
ihr Hilfe bringt? Niemand?
Ein neues. böses Ereigniß beschäf
tigt die Aufmerksamteit des Volkes.
Des Scharfrichters erstearecht ist ini
Streit um ein-e Dirne von fremden
Soldaten erschlagen worden; der
Freimann bedarf eines Ersatzeg des
selben.
Da tritt ein Bursche bei dein Hen
ter ein und in· seinem fahlen Gesicht
brennen versengend die blau-en Augen.
»Nimm mich zu deinem Knecht, Mei
ster Hans!« spricht er und streckt dem
Freimanne die Hand entgegen-« Die
ser zögert, einzuschlagen »Wer bist
du?« fragte er. »Was hast du Uebles
gethan, daß du teine Ehre mehr
schätzt? Denn du weißt wohl, daß
mit dem Augenblick, da ich deine
Rechte ergreife« du wie die Pest von
allen ehrlichen Menschen gemieden
wirst? Nur Verbrechen um sich der
Justiz zu entziehen, wählen den Hen
terberus!«
»Ich heiße Walter Vogt«, entgeg
nete der Jüngling, »und bin ehrlicher
Waffenschmied. Jch habe nichts Ar
ges vollbracht, um demKreis der Ehr
baren zu entfliehen, aber dieweil sie
meinen Schatz ehrlos machten, mag
ich nicht besser als er sein. Schlag
ein, Meister, unsd schone meiner nicht!«
5.
Das Armesiinderglöctlein läutet.
Durch engeGassen,durch dichtes Men
schengedränge windet sich der Zug dem
Markte zu. An der Spitze reitet der
Richter in rothein Scharlachgewand.
Jhm folgen zu Fuß in schwarzseides
nen Kleidern die zwanzig Rathsmäns
ner der Stadt, jeder über der Brust
ein goldene-«- Ehrentet-tlei-n. Hieraus,
begleitet von betenden Mönchem ge
führt von dem Bitttel, in weißem
Hemde, das Goldhaar ausgelöst, die
Hände gebunden, das zitternde,
schwankende Linchen. Sie sieht nicht
nach rechts, nicht nach links, sie weiß
nicht, daf; hinter ihr Waltet geht, ihr
ehemaliger Freund als Freitnecht, das
breite Blantschwert iiber die Achsel ge
schultert, das ihr seines, weißes hals
chen durchschneiden soll.
Wie ein Schatten schreitet sie vor
wärts. Sie hat täne Besinnung, tei
ne Empfindung mehr, ihr Körper tft
ohne Seele. Sie gehört seht-schon zu
den Todten, zu was noch der Schlag
mit dem Schwert? .O wie ist es nur
möglich, so große Schande ertragen zu
töring« — das ist das Einzige, was
sie noch fühlt —- wäre sie doch ihres
Adel-ers schon ledig, damit er begra
ben würde, und die Menschen nicht
Wes-h llisstern nach ihr Usnweism
; an ihm liegt ja allein aller
Makel, ihr Ureigetvstes, Ewige- ist
M tmd schuldlos, wie das Sonnens
Ste vernimmt wie im Traume die
Laute der Gasser und wähnt daß alle