Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 27, 1896, Sonntags-Blatt., Image 13

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    t - - —.
trat, da war der Schein verschwunden.
Niemand war unterdeß in dem Zim
mer gewesen als unser Stubenmäd
chene Der Herr ließ den ganzen Raum
durchsuchen, unä erft,als«nirgends ein-e
Spur von dem Schein zu entdecken
war, sagte er zu Annemarie, sie möchte
doch gestehen, das; sie den Schein ge
nommen habe; die Versuchung sei ja
auch, da sie verlobt sei und Geld zu ei
ner Ausstattung benöthigte, sehr groß
fiir sie gewesen; es solle ihr auch gar
nichts geschehen, sie möchte nur ihre
Schuld bekennen.
»Ich bin unschuldig, ich bin un:
schuldig!« betheuerte Annemarie im
mer wieder und lief dann verstört da
voll
Wir mußten Annemarie’g Sachen
durchsehen, san-den aber den Schein
nicht.
Daraus liess der Herr noch die Ne
beneäume seines Arbeitgzimmer5, alles
unter eigener Aufsicht, durchsuchen.
Als man s in dem einen das Sefa
abriiclte, lag der Schein, halb zertnab
beri, an der Scheuerl-eiste.
»Das lann nur Mignon gethan ha
ben«, sagte der Herr, und als man das
Bologneserhündchen unserer Herrin
holte und ihm den Schein zeigte, ver
kroch er sich schnell, bei ihm immer das
Zeichen eines bösen Gewissens-. Nun
sollten wir Annemarie holen, denn der
Herr wollte ihr in unser aller Gegen
wart sagen, wie leid es·ihm thäte, sie
durch falschen Verdacht getränkt zu
haben. Sie sollte als Entschädigung
dafür eine Aussteuer und ihr Bräuti
gam einen Posten in der Fabril als
Aufseher erhalten. Aber Anneinarie
war nirgends zu finden Schließlich
sagte der alte Gärtner, sie sei ihm vor
hin verstört im Pakt am Weiher be
gegnet. Nun gingen sie mit Haken und
Stangen hinaus an den Teich. End
lich fand man sie; aber alle Belebungs
versuche halfen nichts mehr. Und ’H
war so ’n gutes Mädchen, und sie hätte
nun den Franz, den braven Menschen,
heirathen können.
Sehen Sie, Kathrin, der Mensch
soll nie Hand an sich selbst legen, das
Glück kann jede Minute kommen.
Sind Sie übrigens trank, Kathrin?
Sie sehen recht blaß aus, gar nicht
mehr wie früher."
»Mein, tco oin ganz gesund-; jagte
Kathrin, nahm ihren Korb Fische und
ging.
Ja, ja, Kathrin, der Mensch soll nie
Hand an sich selbst legen, das Glück
tann jede Minute kommen! klang es
vor ihren Ohren. Heute Abend hatte
sie ja allem Leid ein Ende machen wol«
len! Wie aber, wenn Gott nun auch
siir sie das Gliict in Bereitschaft hielt,
wie siir jenes Mädchen? Wenn er sie
nur durch eine dunkle unsd lange Lei
denszeit schicken wollte, um sie nachher
desto mehr zu belohnen? Sie wollte
ja leiden, arbeiten und dulden, aber die
Frau des Gehaszten werden, nein, das
konnte sie nicht! -—- —
Der Spätherbst war mit seinem Ge
folge bon Feuchtigieit und Nebel ge
kommen. Kathrin war gegen alles
gleichgültig geworden. Aber sind solch
neblige Tage auch für Menschen, denen
es ums Herz herum warm und wohlia
ist, gar nicht so übel — - denn der alles
verhüllende Nebel draußen läßt ihnen
das Flämmlein der echten, rechten Her
zensreudigkeit um so heller erstrahlen
—- so ist solch Wetter, noch dazu, wenn
es Monate anhält, siir traurige Her
zen doppelt bedrückend Deshalb oth
mete Kathrin trotz ihres Kummers doch
aus. als die Wintersturme einsetzten
Wenn das Mädchen dann oben aus
den Dilmn stand, wo der Wind ge
waltig um sie herumtoste, war ihr so
wohl, wie ihr überhaupt noch sein
konnte. Dann hatte sie etwas, woge
gen zu kämpfen, wie tapfer wollte sie
sein. Aber. immer nur dulden! Wie
sie das Wort haßtet Die Stürme leg
ten sich, und es wurde eine Weile ruhi
ger aus der Insel. Nur in Kathrin's
Herzen nicht, denn im Frühjahr sollte
Hochzeit sein. Sie wagte gar nicht
mehr, aus ein Hindernisz zu hoffen.
Es würde ihr also doch nichts anderes
übrig bleiben als in den Tod zu gehen,
den-n ein schnelles Ende war besser als
ein langes Leben an Peter'e Seite.
Aber sie wollte die schreckliche That so
lange als möglich hinausschieben
Nun kamen die Frühfingsstiirme
Dauihoch schlugen die Wogen und leck
ten gierig an den Dimen, immer von
neuem ver-suchend, Sand und Land in
die Tiefe zu reißen. Es war eine ge
sahrliche Gegend siir verschlagene
Schiffe, den-n es gab im Umkreis der
Insel sehr viele Sandbiinke und slache
Stellen im Meer. Deshalb hatte die
Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchi
der auch aus der Insel eine Station
errichtet nnd ein Rettungsboot an -
schafft. Rat-hrin’s Vater, Wi m.
Peter und all die übrigen Männer der
Jnsel setzten, wenn ein Schiff in Noth
war, ohne jegliches Bedenken ihr Leben
ein, um den Bedrohten Hülfe zu brin
gen. Wie Kathrin dann für das Le
ben ihres Vaters und Wilhelm’s zit
terte! Selbst Peter erschien ihr in
solchen Augenblicken weniger verächt
,lich; denn feige war er wahrlich nicht
Hund stand in der Gefahr seinen Mann.
? Die Jnselbewohner hatten dieses
JJahr besonders häufig ihr Leben zur
:Rettung Schiffbriichiger eingesetzt.
Heute ftiirrnte es schon nicht mehr, son
dern es tobte orianartig in den Lüften.
Mehrere Schiffer standen am Ufer und
sahen durch ihre Ferngläser auf die
See hinaus. Da trat schnell-en Schrit
tes der Sohn des Leuchtthumwächters
zu ihnen und berichtete, daß draußen
aus dem Risf ein Schiff festgefahren
sei. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich
die Nachricht auf der Jnfel. Schnell
war die Bemnnnung des Rettungs
bootes versammelt und bereit, hinaus
zufahren in das tosende, fchiiumende
Element. Manche Frau zitterte in
banger Sorge um das Leben ihres
Gatten, aber sie wäre keine echte, rechte
Schifferfrau gewesen, hätte sie gebeten:
Bleib’ zu Hause. Denn hatten die ar
men Menschen, die da draußen in den
Eliaaen und Masten hingen, nicht auch
Miitter, Frauen, Schwestern und
Bräute, die um ihr Leben bangten?
;Und mit welcher Todesangst mochten
zdie Schiffbrüchigen auf Rettung har
iren! Aber freilich, so grauenvoll wie
heute war das Meer laum je gewesen.
Es war, als wolle es in seiner Wuth
alles hinuntserziehen in sein-en kochen
den, gären-den Schlund. Bedeutete da
ein Rettungsversuch nicht den Gang in
den sich-ern Tod? Und wo so wenig
Aussicht war, bis zu den Gefährdeten
vorzudringen, hieß es da nicht, ganz
unniitz noch mehr Menschenleben auf’s
Spiel setzen? Manches Aug-e bat nun
doch den Gatten, Bater oder Bruder:
Laß ab, bleib’ nur heute Hut-hause unid
der Mund hätte es gern ausgesprochen
— aber die Frauen und Mädchen
zwuszten alle, daß eine solche Bitte an
der Gntschossenheit der Männer ab
prallen würde, und, daß dem so war
blieb doch auch wieder der höchste Stolz
zder Frauen
I unter oen wraochen am Strande ve
sfand sich auch Kathrin. Ihr Vater
lstieg als Erster in- » Boot.
«Sollt ich nicht wiederkommen, so
griiß’ Deine Mutter«, rief der sonst je
der weichern Stimmung abholde
Mann dem Mädchen zu· Peter trat
Ischnell aus seine Braut zu und gab ihr
seinen Kuß. Als Kathrin eine schwache
Bewegung des Unwilleng machte,
raunte er ihr zu: »Freu’ Dich nicht zu
früh, ich komme wieder.«
Wilhelm hatte dem Vorgang finster
zugeschaut. Jhm wäre es gerade recht
gewesen, wenn das Boot heute mit al
len darin versank. Ging der oerhaßte
Nebensbrihler dann doch auch mit zu
Grunde. .
Und fest faßte der Mann das- Ruder
und holte aus, als wollte er all seinen
Zorn und Schmerz durch mächtige tör
perliche Anstrengung iibertäuben.
Jetzt tänzelte das Boot auf dem
Jtamm einer Woge, um im nächsten
Augenblick in einem Wellenthal zu ver-»
schwinden. Alle Männer arbeiteten
angestrengt, aber keiner sprach ein
Wort· Der Sturm peitschte denSchis
fern Wasser in s Gesicht unsd oft kamen
große Sturzwellen iiber Bord Ob
gleich Jeder seine Kräfte bis auf s äu
ßerste anstrengte, tarn das Boot nur
sehr langsam vorwärts Aber unver
sdrossen arbeiteten die Tapferen weiter.
Zwei der Männer mußten unausgeg
setzt das hereindringende Wasser aug
schöpfen. Endlich, nach langer, an
strengender Fahrt konnten die Reiten
den das Schiff mit unbewassneten Au
gen erkennen. Nur der vordere Theil
dessele und die Masten ragten noch
aus dern Wasser, und in den Raaen u.
Tauen hing die Mannschast. Der An-:
blick derGefahy in der die armenMen:
schen schwebten, feuerte die Männer ini
Rettungsboot zu neuen Anstrengungen
an, und nach Verlauf einer bangen
halben Stunde war das Boot endlich
in unmittelbare Nähe des Schiffes an
gelangt. Aber es brodelte und wirbel
te um die Brigg herum wie in einem
Herentessei. Das Fahrzeug war auf
dem Riff, aus- dem Kathrin neulich ihr
junges Lebens- und Liebesgliick begra
ben hatte, aufgefahren. Das Schiff
tonnte sich jeden Augenblick auf die
Seite legen, und somit war das Anle
gen des Bootes siir desseansassen mit
höchster Lebensgesahr verknüpft. End
lich lag das Boot an der Seite des
Schiffes Die Leute, die seit gestern
Abend in den Raan hingen, hatten
seine Kraft mehr, allein in das Boot
zu gelangen-; sie waren von Kälte und
Misse so erstarrt, daß sie herunterge
holt werden mußten. Garn wäre Wil
helm mit auf dieMaften geikettert, um
die Verungliickten zu holen, aber heute
lautete das Kommando für ihn und
ein-en Kameraden: Jm Boote bleiben!
Die anderenMänner, unter ihnen auch
Peter, kletterten auf das Wrack. Dann
ging es in- die Wasnten und Raaen hin
auf. Wie da die Augen der Leute, die
gerettet wurden, aufleuchtetenl
Endlich waren die Schiffbrüchigen
alle heruntergeholt bis auf denSchiffs
jungen, der hoch oben in den Mafttorb
getlettert war. Er mußte vor Schreck
nnd Gnauen irrsinnig geworden sein,
denn anstatt wie die ander-en die Retter
in stumsmer und desto riishrender
Dankbarkeit zu begrüßen, kratzte erPe
ter und schlug nach ihm.
»Die andern wolle mich braten und
essen und Du willst mich nun schlach
ten!« schrie der arme Kabe in tödtli
eher Angst. Peter suchte den Knaben
mit Gewalt zu umfassen. Aber er
hatte dessen Kraft unterfchätzt. Der
Jrre schlug witthend nach seinem Arm.
Jn dein Bestreben, den Jungen fest an
sich zu drücken und dadurch unschädlich
zu machen, läßt Peter ein Tau gerade
in dem Augenblick los, da der Junge
einen starken Stoß gegen feine Brust
führt. Peter, der auf schwankender
JRaa stand, verliert das Gleichgewicht,
und in furchtbaremSturze, mit gellen
dem Schrei, fallen beide aus der Höhe,
der Junge in die tosende See, Peter
Tauf das vordere Deck des Schiffes. Er
lschiittert sehen dieMänner, wie sich die
lWelIen über dein Knaben schließen.
I Dan eilen sie zu dem tödtlich ver-letz
ten Peter. Wie sie ihn aufheben, schreit
der Mann in wahnsinnigem Schmerz:
E»Riihrt mich nicht an, eg ist aus mit
inir!« Aber ungeachtet feiner Qual
schaffen ihn die Jüngeren in das Ret
tungsboot Dak- Wract neigt sich im
mer mehr auf die Seite und die Schif
fer suchen nun so schnell wie möglich
»aus seiner Nähe zu kommen Peter
LIMt entsetzlich Der alte Olaffen ist
; iniiht, ihm eine möglichst bequeme
"Lage zu verschaffen, und indem er
sieht, wie das Gesicht des Unglücklichen
immer mehr verfällt, sagt er: »Wenn
:Du noch etwas auf dem Herzen hast«
Peter, sag’g.« Und dieser erzählt ihm
»mit brechender Stinune, auf welche
Weise er sich das Wort seiner Tochter
zu erzwingen verstanden habe.
,,Griith ziathrin von mir und bittet
sie, mir zu verzeihen,« schloß er seinen
Bericht.
Nun lani der Tod und Olafsen
driiclte Peter die Augen zu.
Der Sturm hatte etwa-J nachgelas
sen, aber es war immer noch harte Ar
beit, an’s tand zu kommen.
War das ein Jsirbel der am Strande
Stehenden, als sie des Bootes wieder
ansichtig wurden. Heißer Danl zog
durch Raihrincs Seele, als sie ihren
"Vater und Wilhelm der Gefahr ent
; ronnen sah. Aber wo war er, vor dein
sie immer grauend erzitterte? Endlich
Zwar das Boot am Strande angelangt.
"DieMänner sprangen heraus und tru
Jgen einen Todten an’s Lan-d Wer
war es, den man da trug? Rathrin s
jVater lam und sagte: »Peter ist todt,
Ier hat uns alles erzählt «
Kathrin fragte nicht wie und wo er
«ftarb, sie fühlte nur, daß eine ungeheu
re Last von ihrerSeele genommen war
Q, wie es ihr nun wohlthai, wieder in
jaltem, tindlich gläubigem Vertrauen
zu Gott beten zu können Wie schau
;rig, daß Peter an derselben Stelle wo
ler sich gegen sie so unbarmherzig ge
zeigt hatte, gerichtet worden war! Ja,
l Gottes Wege sincd wunderbar!
I Als Kannen nach mehreren Wochen
wieder den Weg nach den« Dünen ein
schlug, stand wie damals wieder Wil
helm plötzlich vor ihr und sagte: »Ich
verstehe jetzt selbst nicht, wie ich Dich je
fiir treulos und falsch halten konnte.
I,Ach Kathrin, ich war ja auch so sehr,
lsehr unglücklich. Dich als Braut eines
Anderen zu sehen. Berzeihft Du mir?«
; »Ich lann es noch nicht ganz, Wil
T;helm denn Deine Worte thaten mir
-datnals in all’ meine-r Qual sehr weh.
Aber ich denke, die Zeit wird mich’s
lehren."
i
Of
i Die Frauen Heinrich s Vlil.
lsin Eisenbahn Abenteuer von (5. F.
——s--.
Vor kurzer Zeit fieuerte ich in Ber
xlin mittels einer Droschte dem Anhal
ltersBahnhof zu und hatte dem wackern
Rosselenler einen reichlichen Backschisch
in Aussicht gestellt, wen-n er mich noch
zeitig genug dahin beförderite, um den
Schnellng nach Frankfurt a. M» der
früh 8 Uhr 25 Minuten abging, be
nutzen zu können. Jn sder Wilhelm
straße hatte sich aber, als wir aus der
Kochstrasze ausbogen, eine unentwirp
bare Wagenburg gebildet,tveil ein halb
l I
umgestiirzter Rollwagen seine Kisten
und Kasten so geschickt über den Fahr
damm gestreut·hatte, daß kein Gefährt
mehr passiren konnte. Da saß ich nun
kurz vor dem Ziele sest — leider mit
der Ueberzeugung, dieses auch zu Fuß
nicht mehr rechtzeitig erreichen zu kön
lnen, abgesehen davon, daß ich noch ei
:nen ziemlich schwer-en Handkoffer zu
ttragen gehabt hätte. Was half’3? Jsch
sließ umkehren nach dem von mir eben
äverlassenen Hotel ganz nahe dem
jBahnhof Friedrichstraße, frühstückte
Idafelbst und benutzte nun den Zug 1
Uhr 27 Minuten über Nordhauien
Bsebra. Diese Zeilen schicke ich nur
Ivoraus, um darauf hinzuweisen, daß
fich meinen mit den bekannten zwei
,Reichsmarl bezahlten Platz im D-Zuge
lin etwas ärgerlicher Stimmung ein«
jnahm und einen Herrn, der mir schräg
gegenüber saß, gar nicht beachtete. Nur
Zsobiel sah ich, daß er ernste sZiige in
»dem bleichen ganz harmlosen Gesicht
jhatte unsd schwarze Kleidung nebstt
weißem Halstuch trug. Jn meine Zei
tung bertieft, bemerkte ich fast gar
nichts von den kleinen Stationen,
durch die wir mit unheimlicher Ge
schwindigkeit dahinjagten, bis unser
Zug nach etwa 2jstündiger Fahrt in
Giisten einlief. Hier kamen verschie
dene Reisende — von Magdeburg her
—hinzu und in unser Coupe wies- der
«Sch-asfner einenFremden, an dem man
leicht genug den Amerikaner erkannte.
Kaum rollten wir weiter, als der
Fremde, der es nicht für nöthig gehal
ten hatte, sich mit einem Gruße einzu
führen, schon anfing, auf mich einzu
sprechen Jch gab kaum eine Ant
wort; der Ueberseeische ließ sich da
durch nicht einschüchtern und schien
meinen Widerwillen, auf ein Gespräch
einzugehen, kaum zu bemerken, wäh
rend der andere, der Schwarze, mich
mit einem Blicke ansah, als wollte er
sagen: »Ich bemitleide Sie, einen sol
chen Schwäher als vis-avis zu baben.«
Da der Arneritaner nun einmal nicht
zur Ruhe zu bringen war, faltete ich
endlich mein-e Zeitungen mißmuthig
zusammen. -
Jcllll lclM MUO clllkycspkllcy Mll Dem
sonst übrigens recht gebildeten und be
lesensen Fremden zu Stande, ein Ge
spräch, das sich um allerlei Gegenstän
de, vorzüglich um die sozialen Unter
schiede zwischen Amerika und Europa
drehte und zuletzt die Eheverhältnisse
in beiden Erdtheilen behandelte, die der
Amerilaner bei uns, selbst in den
höchsten Kreisen, als recht nachah
mungswerthe l)instellte· Jch führte
dagegen BrighamYoung und die Viel
weiberei der Mormonen an. Er erwi
derte darauf. man solle doch nicht ganz
vergessen, daß z.B. der englische König
Heinrich Vill. auch »sieben« Frauen
gehabt habe.
»Entschuldigen Sie!« erwiderte ich.
»Ohne jenen Herrscher und Haus
tyrannen in Schutz nehm-en zu wollen,
muß man doch sagen, daß er seine
Frauen nicht gleichzeitig gehabt und
auch nur nach schweren Kämpfen mit
der Geistlichleit bekommen hat. Uebri
gens handelte es sich nur um sechs
Frauen.«
»Er hatte deren sieben.«
»Nein, nur sechs.«
»Bitte um Verzeihung, mein Herr.
Jch erwarb mir einst auf der Schule
in Hartfort, Connecticut, im Fache der
Geschichte stets die erste Gen-sur. Wir
Amerikaner bekümmern uns überhaupt
mehr um die Geschichte Europas, als
Sie hier um die Amerila’s, und ich
weiß zufällig ganz bestimmt, daß
Heinrich Vill. sieben Ehefrauen ge
habt hat«
, »Und ich versichere Jhnen,« antwor
tete ich, »daß er nuir sechs hatte, und
«zwar der Reihe nach Katharina von
Aragonien, Anna Bol-eyn.. «
i ,,"Selbst wenn Sie alle Namen nen
nen, verlaß’ ich mich auf mein gutes
Gedächtnis-, und bleibe dabei, daß es
ihrer sieben waren. Doch, es giebt ja
jetzt auch hier so viele Sportsmen
ich setze fiir meine Behauptung so viel
ein, wie Sie wollen«
»Verzeihen Sie, mein Herr, es
kommt mir nicht in den Sinn, Jhnen
Geld abzugsewinnen. Ich versichere
Jhnen nochmals-, daß ich Recht habe.
Jeder reisere Schullnabe würde Ihnen
dasselbe sagen.«
»Ich oertraue darin aber keinem
Schullnaben, ja nicht einmal Ihnen,
den-n ich bin unbedingt im Rechte.«
Diese Halssiarrigkeit reizte mich
und ich beschloß deshalb, dem rechabe
rischens Gentleman eine Lektion zu er
theilen.
»Nun wohl, mein Herr, " bemerkte
ichn leichthin, »so mögen Sie Recht ha
»Wollen Sie wetten?« fragte er
»Ich halt-e so viel, wie Sie wiinschem
Jch setze alles, was ich bei mir habe,
dafür ein, daß mich mein Gedächtniß
I
l
nicht trügt, und der Herr hier — er’
wies damit nach dem dritten Passa
gier — wivd so freundlich sein, die
Einsätze einzunehmen und die Sache
zur Entscheidung zu bringen« !
»O, ich muß dringend bitten,« erwi- »
derte der schweigsameMan-n. «. . .nein, «
sehen Sie von mir ab. Es verstößt ge-»
gen meine Grundsätze,irgendwie bei ei- I
ner Wette betheiligt zu sein« I
»Dies ist keine eigentliche Wette.
Jch trete nur für die Treue meines Ge- «
dächtnisses ein, dieser Herr für die des
s-einigen.« Nun wendete er sich wies
der an mich: »Gilt’s einen Hundert
markschein?«
Jch nickte zustimmend, denn der
Mann langweilte mich, und ich war
entschlossen, ihn sein Rsechthaben büßen
zu lassen.
»Hier, bitte,« fuhr er, an unseren
Mitreisenden gewendet, fort, »nehmen
Sie diese Banknote, mein Gegner wird
Jhnen auch eine solche geben, und wer
von uns nun Recht hat, der streicht die
beiden Scheine ein.«
»Ich muß Sie aber nochmals er
such-en«, erwiderte dieser —- offenbar
ein Landgeistlichser osder ein Lehrer —
»mich ganz aus dem Spiele zu lassen.«
»Nun, mein Herr,« sagte ich zu dem
Ameriianer, »wenn Sie’s einmal wol
len, so sei’s denn! Jetzt bitt’ ich Sie
aber auch, wendete ich mich nun an den
Herrn in der anderen Ecke, »das
Schiedsrichteramt anzunehmen«
»Wenn Sie es wünschen«. antwor
tete er lächelnd, »so mag’s einmal
sein.«
»Ich danke Jkynen«, sagte der Ame
ritaner mit einer leichten Verbeugung,
indem er dein Schweigsamen einen
Hundertmarkschein übergab, und ich
diesem ebenfalls einen solchen einhän
digt-e.
»Wie soll die Entscheidung aber ge
troffen werden?« fragte ich.
»Nun, meine Herren«, erklärte un
ser Reisegefährte, »ich glaube dazu im
Stande zu sein. Zur Erklärung diene
Ihnen, daß ich Gnmnasiallehrer bin
und eben ein-e neue Stellung in Fulda
antreten will . . . .«
»Hu syuioaw unterbrach Ihn der
Amerikaner, »das ist mein heutiges
Reiseziel auch. Jch bin Architekt und
wollte mir dort die alte Michaelskirche,
die, wenn ich nicht irre, aus dem 9.
Jahrhundert herrührt, ansehen. Dazu
miissen wir aber bis- Elm und von dort
zurückfahren. Der Durchgangszug hält
in Fulda nicht an.«
»Ganz recht, wir bleiben etwa eine
halbe Stunde in Elm.——Jch babe nun
zufällig eine kurzgefaßte englische Ge
schichte hier in der Reifetasche. Doch
auch ohne diese könnte ich die Frage
wohl entscheiden.«
»Nein, nein,« rief der Amerikaner,
»dann möcht ich’s auch gedruckt sehen.«
»Wie Sie wünschen«, erwiderte der
Lehrer. Damit öffnete er die Reife
taschie und entnahm dieser einen ziem
lich starken Oktavband. Darin schlug
er den Abschnitt auf, der von Heinrich
Vill. handelte und sällte —— wie ich
vorher wußte —— die Entscheidung zu
meinen Gunsten. Der Amerikaner er
bleichte ein wenig und ich . . . . nun, ich
lächelte ein wenig.
»Sie sehen, geehrter Herr«, begann
ich zu ihm, »daß Sie in Zukunft gut
thun werden« auch anderen Leuten ein
treues Gedächtniß nicht so unbedingt
abzusprechen.« «
Die ganze Sache hatte viel länger
gedauert, als ich es hier erzähle, denn
der Zug lief eben in Elm ein, als die
Entscheidung gefallen war.
»Da ich gewonnen habe, meine Her
ren«, fuhr ich fort, ,,werden Sie mir
gestatten, ehe wir scheiden, Jhnen noch
ein Glas Sherry zum Friedensfchluß
anzubieten· Kellneri . . . .« rief ich
schon zum Wagenfenster hinaus.
»Nein, ich danke, ich trinke nie so
schwere Weine,« erklärte der Lehrer.
»Und ich bin nicht diurstig,« sagte der
Amerikaner ärgerlich und kurz, wäh
rend er schon sein Handgepäck nahm
usnd das Coupe mit dein and-ern ver
ließ. ,,Gliicklich-e Reise. Jch danke für
die Belehrung!«
Ich verzichtete ebenfalls auf den
Sherry und setzte mich befriedigt
lächelnd wieder in meine Ecke. Der
Zug rollte weiter und eben wollt’ ich
die zurückerhaltenen zwei Hundert
marlscheine in meine Briseftafche ver
senken. Da bemerkte ich, daß diese sich
recht eigenthijmlich anfühlten und bei
näherer Betrachtung zeigte sich, daß ich
....d«er Betrogene war. Die Beiden
hatten unter einer Decke gespielt, mei
nen echten Schein genommen und mir
. . . . zwei falsche zurückgegeben
O- —
»Sie wollen meine Tochter heira
then? Es ist mein einziges Kind.«
,,Desto bessert Da giebt’s nachher
keine Erbschafts - Streitigkeiten!«
Ein mörderisches Paradies.
Es giebt im Kaukasus ein großes
Gebiet, das völlig verödet ist, obwohl
die Natur es, was Fruchtbarkeit uwd
landschaftliche Schönheit anbetrifft,
verschwenderisch ausgestattet hat. Nur
Jäger durchstreifen flüchtig die dichten
Wälder, die es bedecken, sonst wagt sich
selten Jemand hin-ein, aus Furcht vor
den tödtlichen Fieberdünsten, die dvrt
wie ein verborgener Feind aus den«
Menschen lauern. Diese Einöde von
Abkhasia liegt zwischen den Flüssen
Jnger und Kodor; auf ihre Ausdeh
nung kann man annähernd aus der
Thatsache schließen, daß der Englän
dier Freshfield, der ihr in seinem kürz
lich veröffentlichten Prachtwerke ,,The
Exploration os theCaucasus« (2 Bän
de. London, E. Arnold) eine ein
gehende Schilderung gewidmet hat«
mit seinen Begleitern sechs Tage zu ih
rer Durchqnerung gebrauchte. Ueber
den allgemein landschaftlichen Charak
ter dieses merkwürdigen Erdstriches
schreibt er: »Wie soll ich Denjenigen-,
die nise einen kaukasischen Wald und nii
ein Feld kaukasischer Wild-blusmen ge
sehen hoben, einen Begriff davon ge
ben? Jndem ich diese Zeilen nieder
schreibe, steigen vor meinem Auge ver
ftraute Bilder auf: Gewaltige Fichten
!und Erlen, undurchdringliche Dickichte
kvon Lorbeer und Azalea. Felder von
lAlpenblumem die ihre Blüthen über
den Kopf des Wunder-ers ausstrseuen,
währen-d er sich durch ihre hohen Sten
gel ein-en Weg bahnt; pfadlose Thäler
mit gseheimnißvoller Schwermuth und
wunderbarem Düfterscheinz weitaus
gedehnte herrliche Landschaften von
hohen Weideplätzen aus gesehen; hun
dert grüne Abhänge und- eiskalt-e Gi
pfel im Frühlicht, dazu die Riesenshaß
tigkeit der Scenerie in ihrer Gesammt
heit und der zarte Reiz ihrer Einzel
heiten. —- Welche Zukunft wird diesem
irucsuyecl Putaoles Descyleoen few-?
Von seinen ursprünglichen Bewohnern
ist kaum noch eine Spur vorhanden.
Man hat sie verbannt und ihre Woh
nungen wie ihre Gräber liegen verlo
ren in dser üppigen Pflanzenweli, die
nur Bären und Moskitos beherbergt
uned Fieberdiinste erzeugt. Das Volk,
das hier seit Beginn der Geschichte un
ter unveränderten Lebenbedinigungen
wohnte, ist zerstreut oder vernichtet.
Die Abthasianer sind vom Erdboden
verschwunden, ohne eine Geschichte zu
hinterlassen und kaum genügendes
Material fiir den Ethnolog-en, der fest
Ystsellen möchte, zu welchem Zweige der
großen Völkerfamilie sie gehörten.
Ein ehemaliger englischer General
Consul in Sukhum Kale, Gifforlv
Palgrave, der Aug-enzeuge ihres letzten
Kampfes war, hat den einstigen Be
wohnern ein Kapitel seines Buches
,,Eastern ftudies« gewidmet. Er schil
dert sie als von hoher Gestalt, mit hel
ler Gesichtsfarbe, hellenAugen und ka
ftanienbraunem Haar; indem er ihnen
besondere Vorliebe für athletische
Spiele nachrühmt, meint er, daß ihre
Neigung zu körperlicher Thatkraft auf
nordischen Ursprung deuten könne, da
gegen aber sprächen ihre Gesichtsziige
von orientalischer Regselmäßigkeit, so
wie der gutturale Reichthum ihrer
ISprache, die übrigens keine Aehnlich
keit mit irgend einem Dialekt habe.
In ihrem Charakter wäre eine Mi
schung von kindlicher Schlauheit uwd
Tapferkeit und Unternehmungsgeist
zu erkenn-en gewesen. »Niemals haben
sie,« wie Palgrave noch hinzufügt,
I,,dem gesprochenen Wort schriftlichen
lAusdruck verliehen: daher unsere völ
lig-e Unienntniß der Geschichte dieses
merkwürdig-en, nun untergegansgenen
Volksstammes.«
Auf die naheliegende Frage, ob dies
verödetse «irdifche Paradies« denn nicht
einst wieder beböltert sein wird, ver
mag auch Freshfieldkeine befriedigende
Antwort zu geben. Jn ihren Versuchen,
nach dem fruchtbaren Landstrich neue
Ansiedler zu locken, hat die rufsische
Regierung bisher nur sehr geringe Er
folge erzielt, weil sie es dabei an dem
nöthigen Eifer fehlen läßt. Deutsche
und giechifche Einwanderer kommen
freilich Vereinzelt an, aber sie leiden
dann bald mit ihren Familien unter
heftigen Fieberanfällem die ihnen die
Freude und Kraft zum Kolonisations
wert rauben. Die verführerisch-s
Natur steht immer, wie der Engländer
schreibt, ,,mit einem Becher des ver
hängnißvollen Giftes in ihren schön-en
Händen« für die neu-en Ansiedler be
reit. Die russische Befatzung in Lata
mußte entfernt werden, weil das Fie
ber unter den Soldaten zu viele Opfer
forderte. «
— DE
»Nichts nutz sind die Stadtleut’ und
alle ihre Sachen Schwindel! Jetzt hab’
i’ schon zwei Flaschen Jnsektenspulver
g’fgssen"— und immer noch beißks
mi .«