Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 20, 1896, Sonntags-Blatt., Image 7

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    Sonntags - Blatt.
—
MP Windolpl), Hemusgelien
Grund Island-, chr., den 20. November 1896.
»-—,:E
Schwester Marie.
Von Reinhold (sronl)eitii.
»Vorwärts; Jungens!« rief derLieu
tenant seinem Zuge zu, indem er sich
den Säbelgurt fester zuzog, »bleibt
nicht auf einem Haufen, sonst seid Jhr
vielleicht alle verloren.«
Seine Stimme llang frisch und
fcharf, und wenn er vielleicht auch et
was blasser aussah wie gewöhnlich, fo
ließ er doch nichts von innerer Aufre
gung merken. Und die Soldaten folg
ten seinerAnordnung, schwerfällig und
verdrossen, fie waren fo ermüdet, daß
sie ganz willenlos den Befehl ausführ
ten. Niemand sagte ein Wort, Jeder
behielt den Anderen im Auge. damit er
nicht zurückblieb oder wohl gar im
Sumpfe stecken blieb. Denn den Tod
fürchteten sie nicht, oder doch viel weni
ger, als daß sie in dieser Einöde ver
lommen müßten, den wilden Thieren
zum Opfer, oder den noch viel wilde
ren, erbarmungslofen Menschen.
Schmuszig waren sie alle und ihre zer
rissenen Kleider sprachen beredt von
den Strapazen, die sie erduldet hatten.
Märsche und Gefechtstage auf Atchin
gehören wahrlich nicht zu denAnnehm
lichleiten des Lebens, aber nun noch
gegen Abend diese Aufgabe, —-«- ein un
wegfames, fumpfiges Gelände abzuw
chen, in welchem man jeden Augenblick
Versinken konnte, hungrig, müde und
der wahnsinnige Durst; da fluchte auch
schon Einer, der an dem dornigen Ge
strüpp hängen blieb.
»Donnerwetter, die reene Jummis
miofk inn: mi- lvi nnix in Its-alm- «
ertönte es in unversiilschtem Berliner
Jargon. »Bei hätte ict man frieher
wissen sollen, wie scheen wäre ick bei
Muttern geblieben.« Sein Neben
rnann, der ihn offenbar gar nicht ver
stand, half ihm aus den Dornen Und
stolpernd und murmelnd ging es wei
ter.
»Halten Sie sich weiter links, Lim
tenant,« sagte der alte Sergeant, der
dicht hinter dem Offiziet ging, in
schweizetischem Dialekt. «Nechtg kann
Niemand sein, da würden sogar diese
Ieichtfiißigen Spitzbuhen ersaufen.
Aber links, das Bambusgestriipp sieht
verdächtig aus.«
Der Sergeant war ein Mann von
riesiger Gestalt, aber mager wie eine
Stecrnadet, sein rurzgeschorenes Haar
war schneeweiß, ein dichter schwarzer
Schnurrbart beschattete seine Lippen.
»Wenn Sie glauben,« sagte der Os
sizier. und rief dann: »Halb lintg!«
indem er mit dein Säbel aus das Ge
büsch zeigte .
Langsam schwenkten dieMannschasi
ten ein und gingen in gerader Linie
vorwärts.
Nur noch wenige Schritte - s-— ein
wildes, satanisches Geheul — und eine
Salve, hart, scharf und dröhnend,
überschüttete die kleine Truppe mit ei
nem Hagel von Blei; Blätter und
Zweige fielen wie ein Regen aus sie
nieder. Jrn Laufschritt eilte die Re
serve heran, blindlings wurde in das
Gestrüpp hineingeschossen.
Der junge Lieutenant lag aus dem
Rücken, den Säbel in der krampshast
geschlossenen Faust, die Augen starr
geöffnet, leichter Blutschaum war ihm
vor den Mund Ctreten Wie ein
Raubthier stürzte sich der Sergeant
aus ihn und hob ihn aus wie ein Kind
und in langen Sätzen eilte er mit ihm
aus der Feuerlinie, bis sie beide nie
derstiirzten
I Of s
Blend-end und goldig ergoß sich der
Lichtstrom der Morgens-inne durch die
weitgeössneten Fenster in den langen
Krankensaab sAn den beiden Längs
seiten standen die eisernen Bettgestelle
mit ihre-n schneei ensinnern der schar
se Dust der Med tamente und allerlei
Besinsettiontmittel ersiillten die Lust.
Aus den Betten lasen sie mii ihren
wachis Gesichtern, tief in die
Matea gedruckt, die unseren- farb
nde spielten zitternd an den
Decken und die Finger steckten -
haft vor unbewußten innerlichen
Schmerzen Jn einer Ecke hatten ein
paar Rekonvaleszenten ihre Betten zu
sammengeriiclt,siehockten auf denKopf
polstern und spielten mit ihren fetti
gen, kaum erkennbaren Karten um ihre
wenigen Pfennige so sorglos, als wäre
nicht um sie der Tod verbreitet, und
keiner von ihnen hörte das Aechzen der
Todverwundeten und Schwerlranken.
Einer von ihnen fah auf.
»Donnerwetter, der Major da drü
ben ist todt!«
Die Anderen wandten sich um.
»Man soll ihn herausfchaffem da-»
mit ein- Anderer Platz kriegt,« meint-e
einer der Spieler, und ohne das Spiel
weiter zu unterbrechen, brummte er
mürrisch: »Wer giebt?«
Sie warfen keinen Blick auf das
verzerrte Gesicht des Todten, dessen
magere, eingefallene Konturen man
deutlich unter der straff gezogenen
Bettdecke erkennen konnte
Ein Arzt und eine fromme Schwe
ster erschienen in Begleitung mehrerer
malaiifcher Dionen das Betttuch wur
de an den vier Zipfeln aufgehoben und
lautlos bewegte sich der traurige Zug
aus dem Krankensaal hinaus —— die
Schwerlranlen und Schwerverwunde
ten merkten nichts, die Uebrigen spieen,
wie es althergebrachter Aberglaube
war, dreimal hinter sich aus --—— einen
Augenblick wurde die Stille noch un
heimlicher und dräuender, der Tod
war mit seinem schwarzen Fittich über
die Stätte hinweggerauscht, unhör
bar, aber wahrnehmbar wie der Flü
gelschlag der unheimlichen großen Fle
dermäuse jener Gegen-den
Der Spieler, der den Tod des Ma
jork, eines altenFeldwebelS von zwan
zig Dienstjahren, zuerst bemerkt hatte,
warf die Karten fort und sagte:
»Man soll lieber nicht spielen, wenn
die Schwester Marie in den Saal
kommt, sie sieht es nicht gern; wes
halb soll man sie betrüben, sie ist so
unendlich gütig zu uns alten Sün
dern!«
»Was daran liegt,« raisonnirte ein
Anderer, »ich habe die Erfahrung ge
macht: ob Kaiserin oder Bettlerin —
die Weiber sind Alle sentimentaler Na
tur!«
Und als ob er die Quintessenz aller
überlegenen Lebensweisheit entdeckt
hätte, wars er die Karten auf die Bett
decle und drehte sich geringschätzig
herum.
NOTI- hmä nsivbs In nnOCOZlHUOIIIFK
und so undankbar,«entgegnete der An
dere, »etle Du dalagst mit Deinem zer
hauenen Kopf und tein Mensch einen
Psisferling siir Dich gab, da durfte
doch auch kein Anderer an Dein Bett
kommen und Dich so linde und leise
verbinde-n als Schwester Marie
,aber so sind die Kerle, kaum können sie
Idann wieder die Karten halten und
das Schnavsglas vielleicht, dann ver
Fgessen sie das Gute, das ihnen geschah
sMöchtest wohl lieber von dem Sterbs
arzt verbunden sein?«
»Der Teufel hole die Pslasterschmie:
irer, die mit uns umgehen, als ob wir
gesiihllos wären wie die Steine, « ent
Igegnete der Erste etwas beschämt,
I» »mich ärgert nur, daß sie sich mit mir
und mit uns überhaupt nicht mehr ab
giebt, sie ist ganz versessen in den klei
inen Lieutenant da driiben, den sie uns
hierher gelegt haben; das kann ich
Euch aber sagen, wenn Einer schon
seine Besinnung mehr hat und er spuckt
fortwährend Blut, dann ist es aus mit
ihm, das habe ich mehr wie hundert
Mal gesehen.«
»Du weiszt was Rechtss übrigens
soll sich der Junge sehr brav gehalten
haben und ein hübscherKnl ist er übri
gens auch — also hat sie Recht, wenn
sie sich in ihn vergasst. Oder Du hät
test wohl gern gehabt, daß sie sich in
Dein altes Tabackspseifengesicht ver
liebt hätte?«
«War sriiher auch ein schmucker
Bursch,« ertönte die brummige Ant
wort zustiich »aber nun- laßt das Ge
schwist, wir wollen weiter spielen!«
Und Ue Spieler vertiesten sich wie
den in ihre Karten.
e
i d
Er aber lag aus seinernSchmerzens
lager, und wenn er einen lichten, fie
bersreien Augenblick hatte, so sah er
Alles, was um ihn vorging, wie durch
einen Schleier-. Bisweilen hörte er
auch Gespräche, aber es schien ihm im
mer, als ob er träume. Nur wenn sie
mit ihrem stolzen, aufrechten Gange
durch den Saal schritt, so war es thin,
als ob et etwas fühlte wie einen sanf
ten, kühlenden Flügelschlag Und wenn
sie mit ihren zarten, schlanten Händen
ihm die Decke glatt strich, so überiam
ihn ein Gefühl unnennbaren Wohl
seins, trotz seiner Hilslosigkeit fühlte er
sich nicht ganz verlassen. Seine Au
gen folgten ihr unbewußt, er ahnte ihre
Nähe.
Und dann kam langsam die Gene
sung Seine ungebrochene jungend
liche Natur hatte den Tod besiegt; Alle,
selbst die Anste, sagten, es wäre ein
Wunder geschehen. Wie er allmälich
erstarkte und zu neuenKräften gelang
te, desto stärker wurde das Gesiihl der
Zuneigung und Hingebung zu ihr.
Und doch hatten sie eigentlich bisher
nur wenige Worte gewechselt. Aber
die wenigen Worte, die sie zu ihm ge
sprochen hatte, waren unendlich sanft,
noch sanfter wie ihre Hände. Eines
Tages aber hatte er sie gefragt, wie es
doch käme, daß ein junges Weib eo
ganz den Freuden des Lebens entsagen
könne, wie sieBesriedigung finden tön
ne in dem schweren Beruf, den so leicht
doch Niemand freiwillig übernehmen
möchte. Sie hatte nur wenig und
ausweichend geantwortet; es war ihm
als hätte sie leicht geseuszt, als sie ihn
mit ihren schwermiithigen, grauen Au:
gen einen Augenblick anschauie
CYTII L.« L« . LPI1...
Olc UUV IV act-l Ul cluclll Illusioqu
Lazaketb. Bisweilen sind die Kran
kenhäuser übersiilltundalle Betten sind
besetzt, überall, aus allen Korridoren
wälzen sich Schwerkranke nnd Ver
wundete auf ihren Schmerzenslagern.
Dann aber kommen wieder Zeiten, wo
der Engel der Genesung seinen Einzug
zu halten scheint, dann fällt dass gol
dige Sonnenlicht mit leuchtenden
Strahlen in die leeren Gemächer und
aus den eisernen Bettgestellen krümmt
sich Niemand in unsagbaren Schmet
zen. So war es auch hier. Fast Alle
waren sie wieder ausgeschwärmt zu ih
ren Truppentheilen, neuen Gefahren,
neuen Strapazen, neuen Krankheiten,
vielleicht dem Tod entgegen Er aber
machte die ersten Gehversuche. Durch
den sonnendukchgliihten Part, wo die
kagmde«n, blaugriinen Palmen leise
flüsterten im Morgenwinde, und
Abends, wenn sich die Nacht mit ihren
geheimnißvollen Schwingen auf die
Gefilde senkte. Und häufig sah er sie
auf diesen Spaziergängen und sie blieb
stehen, wenn sie ihn erblickte, und sagte
ihm freundliche Worte und fliifzte ihm
milde Hoffnung in’s Herz. Aber eines
Abends, als er auf einer der lauschigen
Bänke saß, da faßte ihn jenes qual
volle HeimathsgefiihL es übertam ihn
eine unbezwingliche Sehnsucht nach
Frieden, nach Gesundheit, nach Men
schen, die er lieben dürfte, und die ihn
wieder liebten. Und er vergaß für
Augenblicke die schmerzende wunde
Brust, er sehnte sich nach etwas Unbe
kanntem, etwas Großem, wie ein
Mensch Aehnliches noch nie erlebt
r hatte.
I Da schwebte sie vorüber mit ihrem
.leisen, unhörbaren Schritt und er fand
den Muth, sie anzurufen und sie zu
xbitien, neben ihm Platz zu nehmen.
Was er ihr sagte und erzählte, er wuß
te es selbst nicht. Aber er sah, dafz ein
Lächeln, ein bitteres Lächeln ewiger
Entsagung ihre Lippen Umfpielte, aber
aufmerksam hörte sie ihm zu. Plötz
lich jedoch fand sie, daß die Nachtluft
kühl wurde und daß seine Gesundheit
Schaden erleiden könne. Als er sich
erhob und ihre Hände drückte, da fühl
te er, daß der Druck leise, aber jäh er
widett wurde. Und Nachts träumte
er von einem Engel und es war ihm,
als ob seine Lippen fanft und zart von
einem anderen Lippenpaar berührt
würden.
s- i- i
Am folgenden Morgen erschien in
dem Saal eine malte Schwester mit
vergilbtem Großmuttergesicht und
Händen, die gekrümmt waren von
langer Arbeit und hart wie Krebs
scheeren. Sie hantirte mit jener ge
wohnheitsmäßigen Geschäftigkeit, die
keine Rücksicht nimmt auf die Gefühle
;Anderer. Sie kümmerte sich um Nie
Tmandeih aber sie sah instinktiv, wo et
was nicht ins Ordnung war. Lange
beobachtete der Lieutenant die hagere,
eckige Gestalt, und als sie in sein-e
Nähe kam, fragte er scheinbar gleich
giltig:
,,Wo ist Schwester Marie?«
»Ich weißnicht,«entgegnete die Alte,
ohne aufzubliclen.
Sie hatte auf alle Fragen nur die
eine Antwort: »Ich weiß nicht!«
Er aber wartete viele Tage, daß sie
zurückkommen sollte. Keiner wollte
oder konnte ihm Auskunft ertheilen.
An dem Tage jedoch, als :r neu ge
sträftigt und gesund diese Stätte des
iElends und der Schmerzen verlassen
isollte, fragte er den Oberarzt, der ihn
flange und freundlich anblickte.
s ,,Junger Mann,« sagte er endlich,
»Schwester Marie ist an jenem Mor
gen, seit welchem Sie sie Vermissen,
freiwillig mit einem Transport nach
den Mollukken gegangen. Sie werden
sie schwerlich wiedersehen!«
Der alte Arzt hatte Recht gehabt —
er hat sie niemals wiedergesehen -—
- - -
Zwischen zwei Etationcir.
Charles Rozan war aus das Ange
nehmste überrascht, alg er in das
’Coupee stieg, das der Schassner ihm
dienstsertig geöffnet hatte. Es befand
sich nur noch ein einziger Reisender in
dem kleinen Raum, und dieser Reisen
de war eine Dame-, die es sich unter ih
rer Reisedecte 1n der Eäe am Fenster
hübsch bequem gemacht hatte und deren
schlanke, gtaziöfe Formen feinem Sten
nerauge ungemein wol)lthaten. Rozon
ließ sich von seinem stammerdiener
noch seinen Hanloffer herabreichen und
in demselben Augenblick pfiff auch
schon die Lokomotive Und der Expreßs
zug setzte sich keuchend in Bewegung.
Die Sonne stand schon tief am Ho
rizont und färbte die Wolken mit ro
then und violetten Lichtern. Ein fri
scher Windhauch wehte durch das ges
öffnete Fenster herein und spielte mit
den weißen Schutzdeckchen der Kopf-—
polster. Rozan musterte feine Reisege
fährtin neugierig mit verstohlenen
Seiten-blicken und war entzückt von
der fein geschwungen-en Linie, die ihre
Schultern und Arme dildeten. Von
ihrem Gesicht konnte er leider nicht-s
;sehen. Sie hielt es unausaesetzt dem
Fenster und der variibersliegenden
zLandschast zugewetvndet und er konnte
Fnur tonstatiren, das-, ihr gotdblondes
YHaar in ein-ein dichten Knoten am Hin
zteriopf aufgesteckt war.
i Eben schan er das Buch auf, das er
ssich alS Reiselectiire mitgebracht hatte,
da ließ ihn eine Bewegung der Dame
Ein der anderen Ecke aufblicken. Sie
imithte sich mit ihren kleinen Händchen
Ioergebeng ab, das Fenster in die Hoh
Zu ziehen, und Rozan legte natiirlick
isofort sein Buch bei Seite und eilte ihi
Izu Hilfe. ,,Ver,zeilnmg, meine Gnä
Hdiae, gestatten Sie mir, das-, ich Jshncn
behilflich bin.«
» Und als er ihr jetzt voll in’s Gesicht
ssah ertannte er sie sofort. Es was
seine geschiedense Frau. Sie waren
schon seit drei Jahren getrennt. Ei
hatte damals den Nroiefe verloren »v«
er wußte, daß sie sich bald darauf wie
der verlobt hatte, mitAnatole de Pras
sac, einem seiner Freunde.
»Wie, Sie sind es?« sagte er.
Auch sie hatte ihn- sofori wiederer
kannt, aber sie verlor ihre Fassung
nicht misd erwiderte mit leichtem, net
vösem Lächeln: »Es scheint so.«
»Sie fahren nach Luchon?«
»Sie wissen ja, ich gehe jedes Jahr
auf vier Wochen dorthin, nachdem ich
bei meiner Mutter war.«
»Ganz recht. Sie kommen also von
Samt-Martiak. . . Besindet sich Ihre
Frau Mutter wohlt«
»We, vortrefflich«
Eine kurze Pause entstand und sie
atshmeten voll Behagen die weiche, mil
de Abendsluft ein.
»Ich war auf das Vergnügen, le
nen zu begegnen, nicht vorbereitet
Wissen Sie auch, daß wir uns eine
ganze Ewigkeit nicht gesehen haben?"
sprach er dann weiter.
»Freilich. Jch glaube, wir trafen
uns zum letzten Mal in dem Bureau
des Präsidenten Tetard de BlainvaU
»Als er den üblichen Versöhnungs
versusch bei usns machte . . .. Dei
Aermste!«
»Man sieht Sie aber wahrhaftig
nirgends. Besuchen Sie keine Gesell
schaften mehr?«
»Ich lebe jetzt mehr für mich, das
hat auch seinen Reiz. Aber Sie smk
natürlich überall, in keinem Ballberich1
fehlt Jhr Name. Der arme Brassat
muß ein schweres Leben haben! Dei
gute Anatole. Jch habe mich noch nich«
nach ihm ertundigt.« "
»Es geht ihm ausgezeichnet und ei
fühlt sich als mein Verlobtber durch
aus nicht so ungliicklich, wie Sie anzu
nehmen scheinen.«
»Bitte, ich sprach nur vom sanitären
Standtpunit aus. Der arme Junge
war nie der Kräftigste.«
»Allerdings,« seufzte sie·
Jch kannte ihn ja Vor Ihnen, ick
selbst habe ihn Jshnen erst vorgestellt.
zWir sind mit einander groß geworden
xEr gehört zu den Vielen, die als Lieb
sbaber reizend und als Ebemiinner un
serträglich sind. Aber ich will ihm
nichts Böses nachsagen, namentlich da
,er ja noch gar nicht Ihr Ehemann ist.'«
»Nein, Sie äußern natürlich nur
»Ihr-e Ansicht als Freund.«
,,Woltte ich ihn loben, müßte ich Be
.leidigungen wahrhaftig zu rasch ver
gessen.«
; »Sie zürnen ihm mit Unrecht An
5)lllem was geschehen ist, sind Sie ganz
t allein schuld «
»Wirklich!«
»Gewiß. Jch hatte Jhnen Vorher
gesagt daß es, sobald Sie mich betrü
gen, absolut aus sein würde zwischen
-;uns Sie hielten das fiir eine leere
JDrohung und Sie hintergingen mich
Einit meiner besten Freundin. Da lief;
-ich mich scheiden irnd verlobte mich mit
IAnatole... und ich bedauere es nicht
iiin Geringsten.«
»Es ist wahr, ich habe Sie mit Ger
manie hintergangen, aber ich habe
»die Sache nicht so weit getrieben, wir
Sie.
verlobt «
»Was?«
»Ich habe mich mit Germaine nicht
Sie lacht-e. Aus den Thalern drau
ßen stiegen bläuliche Nebel und häng
ten sich an die seingegliederten Wipse
der Tannen und schwarze Wolken jag
ten vor dem bleichen Mond vorüber
Rozan fühlte, wie ihm neben seiner
schweigenden Reisegefährtin das Blu
zu Kopf stieg, und er sagte:
»Erinnern Sie sich noch einer ähn
lichen Nacht, Diana, die wir in Samt-.
Martial bei Ihrer Mutter verlebtent
Der Himmel sah gerade so aus wis
jetzt, wir waren verlobt und man hatt
uns allein auf der Terrasse gelassen
Da ergrifse ich Ihre Hand und um
armte Sie... O, wie entriistet Si
damals waren!«
»Wer uns in jener Nacht gesagt hät
te, daß wir uns eines Tages so wiede
begegnen würden!«
»Wenn man heirathet, muß man au
Alles vorbereitet sein.«
Jn der Unterhaltung waren sie im
mer vertraulicher miteinander gewor
den. Zuweilen blickten sie sich an unt
suchten die altbekannten Züge wiede«
zu finden, und Gefühle, die sie längs
erstorben glaubten, keimten wieder ii
ihnen empor.
,,Worarr denken Sie?« fragt-e sie jetz
etwa-s verwirrt.
k »An dasselbe, woran auch Sie den
en-.«
»Und dass ists«
»Wie glücklich wir Zwei noch int
einander hätten sein können unsd tot
wiel wir ver-scheint haben
rischBklleichtf tummelte sie träume
,,Denken Sie sich, wir hätten diese
Reise vor süinf Jahren zusammenge
macht! Wie nett unsd lustig wäre das
gewesen! Denn ich kin ein sehst ange
nehm-er Reisebamevad.«
»Das ist wahrl« sagte sie lachend.
»Und praktisch bin ich auch. Jch
hätte Sie die Fahrt nicht in einer
Tour machen lassen. Wir hätten in
Toulouse oder noch besser in Cahors
Station gemacht. Es ist so hübsch,
wenn man in einer fremden Stadt
durch dunkle, unbekannte Straßen
dem ersehnten Hotel zufährt. Man
fühlt sich so zusammengehörig und
freut sich, daß Niemand weiß, wo man
eigentlich steckt. Die Koffer läßt man
ruhig vorausfahren, wir haben ja in
unserer Handtasche und im Necessaire
Alles-, was wir brauchen . . .. Richtig,
Sie haben noch dasselbe Necessaire,
. wie früher. . . . Wenn wir ankommen,
, lasse ich ein kleines, hübsches Diner
serviren, wie ich es so gut zusammen
zustellen weiß ..... Sind Sie immer
noch solch’ kleine Feinschmeckerin?« —
»Nicht mehr.«
»Weil Brassac es auch nicht ist . . . .
Und am nächsten Morgen macht man
aufs Gerathewoshl Entdeckungsreisen
durch die Stadt . . .. und kommt dansn
ganz frisch nach Luchon.«
»Ihr Programm ist allerliebst.«
Er nahm ihre Hand, beugte sich zu
ishr und sagt-e ganz leise:
Können wir es denn nicht durch
fül)ren?«
»Sie sind toll.«
»Aber ganz gewiß. Jn Luchon er
wartet Sie Niemand,nicht wahr? Nie
mand weiß, wann Sie »von Jhrer
Mutter fortgereist find, Niemand,
innnn cis trinke-offen mai-seyn t-:;- »Es-.
» ·»s-s--s »u
Enen so leicht einen Tag unterfchlngenR
Er wollte sie näher an sich ziehen, da
gselltse die Lokomotiveschrill dazwischen
Diana machte sich heftig los.
»Sie sinid wahnsinnig! Was fällt
Ihnen denn ein?«
j ,,Dian-c1, wir sind gleich in Cahors!
iJch reiche Ihren Handkoffer mit mei
nem zusammen hin-aus und wir kön
nen eine Stunde träumen von vergan
genem Glück. «
»Lassen Sie mich los! Ihr Beneh
men ist unpassend!«
»Unpassend? Wir waren doch ver
heirathet?«
,,Unglaublich!«
Gaslaternien leuchteten auf und der
Zug fuhr langsamen Plötzlich hiselst er
mit jähem Ruck, Rozan öffnete die
Thür und rief einen Gepäckträger her
thei.
« »Hier, lieber Freund, diese beiden
Handkofferi Diana, vergiß nicht Dei
nen Sonnenschirint«
Diana sah starr vor Staunen, wie
der Gepäckträger sich ihre Handtasche
auflud nnd wie Rozan ihr die Hand
entgegenstreckte, um ihr beim Aus-stei
gen behilflich zu sein.
» »Hu-Inm, mein Lieb!« sagte er laut
v nnd rief dann dein Dienstinann zu:
»Traan Sie die Sachen zum Haid
« Oiniiibris.«
. Ganz leise aber fliisterte er: »Sie
f werden doch kein Aussehen erregen
« wollen! Kommen Sie, kommen Sie!
. Wenn Sie zögern, erkläre ich öffent
lich, das; Sie nieineFrausinb, mir aber
. nicht folgen wollen. Es gäbe einen
. furchtbar-en Skandal, aber das wäre
" mir ganz gleichgiltig.«
- Diana hatte sich von ihrem Stau
nen noch immer nicht erholt. Sie sah
- den Gepiickträger mit ihren Sachen da
- vontraben und auf dem Perron stansd
Charles uind streckte ihr lächelnd bei-de
; Hände entgegen. Sie lachte laut auf
unto sprang in seine Arme. Und als
er sie nun allzu zärtlich an seine Brust
drückte, flüsterte sie leise:
»Nehmen Sie sich in Acht, sonst den
ken die Leute womöglich, wir wären
- gar nicht verheirathet....«
Aus Diana und Anatole de Brassac
ist nie ein Paar geworden, aber ganiz
t Paris war aufs höchste überrascht
. als man ein halbes Jahr später et
suhr, daß Diana und Charles Rosan —
- in aller Stille einen neuen Ehebtmtd ;
stichka Wen »