Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 30, 1896, Sonntags-Blatt., Image 13

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    s
H
spitrten beide nicht die Lust, sie wieder
anzuziinden. Er zog michsu sich CJW
Sopha, hielt meine Hand in der seinen
und erzählte:
»Ist es mir ungeboren oder hat es
seinen Ursprung in den Eindrücken,
die ich in früher Jugend empfangen:
ich habe von jeher eine große Angst vor
Mangel und Elend in mir verspürt,
und diese Angst ist mein Verhängnis
geworden. Hätte sie mich nicht ver-’
folgt, hätte sie mich nicht gepaclt gerade
in den entscheidendsien Augen-blicken
meines Lebens, es hätte sich vielleicht
ganz, ganz anders gestaltet. Hätte
ich mich entschließen können, mein klei
nes Kapital zu opfern, und mich ganz
der Kunst zu widmen, um zu reisen,
und schauend zu lernen, ich wäre viel
leicht ein guter Maler geworden, wäh
rend ich jetzt ein mittelmäßiger Zeich
ner bin. Aber ich klebte an derScholle
und arbeitete fiir das tägliche Brod
Man bot mir an, mich an einem indu
striellen Unternehmen, wo ich meine
Fertigkeit im Zeichnen hätte verwenden
können, zu betheiligen, aber ich ver
mochte es nicht über mich, mein Kapi
tal auf’s Spiel zu setzen; der, welcher
es gewagt hat, ist heute Millionär.
Ich bin einsam durch’s Leben gegan
gen, weil ich nicht den Muth besaß,
das Loos einer Frau an das meine zu
knüpfen, Kindern das Dasein zu ge
ben, denn ich fürchtete, nicht ausrei
chend fijr sie sorgen zu können! O,
diese Angst ist mein Dämon gewor
den «
»Las3 mich weiter reden,« bat er
mich, als ich ihn unterbrechen wollte,
ich habe Dir ihre Wirkungen bisher an
awfiem entscheidenden Dinaen aeschil
deri, sie hat mich aber begleitet, als
treue Gefährtin, die sich nie abfchüt
teln läßt«
»Du hast es nur nicht ernstlich ver
fucht,« wandte ich ein.
»Doch, doch«, versicherte er, »und
auf längere oder kürzere Zeit gelingt
es mir auch. Habe ich zum Beispiel
eine größere Einnahme gehabt, dann
athine ich auf. Wieder und wieder
stelle ich mit dem Bleiftift in der Hand
die Berechnung an, wie lange die
Summe, die ich liegen habe. für meine
Bedürfnisse ausreicht. Stimmt alles
und werde ich der Angst gar durch an
dere Vernunftgründe Herr, dann ist
es, als werden mir Fesseln abgenom
men. Mit wahrer Lust genieße ich
dann die Freiheit, lasse es mir wohl
fein an der reichbesetzten Tafel des Le
bens, nach der ich lechze, und von der
ich meistens entbeher die Blicke ad
wenden muß, um plötzlich wieder hin
terrücks gepackt zu werden von dem al
ten Plagegeistt Wollte ich unter sei
fner Herrschaft die Hand nach den er
sehnten Genüssen ausstreckem ich hätte
doch nichts davon, die« Angst würde sie
mir in Gift verkehren. Je älter ich
werde, desto seltener und kürzer wer
den die Zwischenräume, in denen der
Dämon mich losläßtx es giebt Tage,
wo ich nicht wage, mir Butter auf die
Frühstückssemmeln zu ftreichen.«
Jch wars hier unwillkürlich einen
Blich auf den noch gedeckt stehenden
Tisch. Er folgte mir mit den Augen
und sagte nicht ohne Befchämung:
«Du argwohnst doch nicht etwa, ich
hätte Dich nicht gern bewirthet? Jm
Gegentheil, es ist mir eine große Freu
de, eine wahre Genugthuung gewesen,
es würde mich glücklich machen, voll
test Du recht oft mein Gast sein-· Jch
bin ja nicht geizig und wenn»die Angst
Mich Nklllsl —
-»So lade Dir ost Freunde, sie wer
den sie Dir verscheuchen«, unterbrach
ich ihn. Er zuckte die Achseln und
schaute sehr zweifeln-d darein, ich aber
sügte hinzu: »Uebrigens scheinen Küche
und Keller ganz leiblich bei Dir be
stellt zu sein; was man mir da heute
vorgesetzt hat, ist nicht so im Hand
surndrehen herbeizufchassen.«
»Ja, anders thut es bie Psau nicht!«
Er seufzte ties.
»Die Psau? Wer ist bas?«
»Meine Wirthin. Sie besteht dar
aus, daß ich gut esse, meinen Wein
trinke und meine Cigarren rauche, und
»wenn ich zuweilen sage, ich möchte die
ses oder jenes sehr einfache, billige Ge
richt zu Mittag haben, dann erklärt sie
sehr bestimmt: Das iocheich sür Herrn
Kluge nicht, das braucht Herr Kluge
nicht zu Mittag zu essen!«
»Paul, die Frau ist eine Perle, mit
der muß ich ein Glas Wein trinken
und aus ihre Gesundheit anstoßen!«
tief ich begeistert.
»Das ist sie!« stimmte er zu, ,,sie
sorgt auch, daß in der Wohnung im
mer alles gut bestellt ist« und bas; an
meiner Kleidung nichts fehlt, und ich
lasse sie gewähren, wohl fühlend, wie
nothwendig diese Bevormundung mir
ist« Weiter reicht ihre Macht aller
dings nicht, in allen anderen Lebens
beziehungen —'«
«Werbe ich jetzt eian die Füh
rung übemehmen!« siel ich ihm ins
Wort. »Paul, Paul, ich glaube, Dein
guter Genius hat mich noch in elster
Stunde hergeführt Du darfst dem
L
Diimon nicht erliegen, ich werde Dich
ihm entreißen.«
»Möchtest Du es können, ich wünsch
te mir nichts Besseres!« antwortete er,
aber es klang sehr wenig hoffnungs
reich.
»Ich muß Dich vor allen Dingen in
lustige Gesellschaft bringen!« citirte
ich und entwarf ein Tagesprogramm
Paul ging auf alles ein, machte sich
zum Ausgehen fertig und rief Frau
Pfau herbei, der er sagte, er werde
heute nicht zu Hause speisen und den
Tag über mit seinem Freunde zusam
men fein.
Nie vergesse ich den Blick, den mir
die ehrliche Seele zuwarf; ich mochte
ihr wie ein Erldser erscheinen.
Bierzehn Tage war Kluge mein be
ständiger Begleiter und schien der hei
terste, sorglose Gesell, der keinen Spaß
verdarb, dem leine Ausgabe zu hoch
erschien. Allgemein nahm man das
über ihn gefüllte Urtheil zurück und
lobte seine Gentilität. Als wir uns
trennten, verabredeien wir, im Som
mer zusammen eine Reife in’s Salz
iammergut zu machen. Er war ganz
Feuer und Flamme dafür, hatte schon
den vollständigen Reiseplan ausgear
beitet und schwärmte auch in den näch
sten Briefen davon. Dann wurden sie
seltener und einsilbiger, endlich schrieb
er, daß er die Reise aufgeben müsse.
Er mühte sich, triftige Gründe dafür
anzugeben-— ich wußte sehr wohl, daß
ihn nur einer bestimmte den er nicht zu
nennen wagte —- der Dämon hatte ihn
wieder gepackt.
Und er hat ihn nicht mehr losgelas
sen. Bereinsammt ist er schon nach
wenigen Jahren gestorben, zu seinem
cis-—
Wiss-h »Hu-u Unter ltkssuwk Uruu psuu
war schwach und krank geworden und
hatte ihn verlassen müssen.
Sein Vermögen, vor dessen Verlust
er sein ganzes Leben gebangt hatte,
fiel an entfernte Vzrwandte
Jch habe nie mehr eingestimmt,
wenn über einen Geizigen gefcholten
oder gespottet wurde, sondern immer
meines armen Freundes Paul Kluge
gedacht, der so gern gelebt und leben
gelassen hätte, wenn die Angst nicht ge
wesen wäre —- die Angst vor dem, was
kommen konnte und niemals gekom
men ist. Jch fürchte, sein Fall ist nicht
vereinzelt.
-.. »O - .».
Vermi, Nine und ich.
Ein Kinder-, Bade- und VerlobungssGes
schichte von L.!Jacobow5ki.
Kinder habe ich nie ausstehen tön
nen, so lange sre nicht selbstständig re
den, laufen und halbwegs denken ge
lernt hatten. Meine einzige Schwester
kann es mir noch heute nicht verzeihen,
daß ich ihren Erstling, einen Jungen,
acht Tage nach der Geburt nicht für ein
Meisterstück und Mustergcschdpf er
klärte, sondern sn meiner aus der-Stu-v
dentenzeit herrührendenWahrheitSliebe
ihn für einen puterroth aussehenden
zappelnden Affen gehalten habe.
Dreiviertel Jahr sind seitdem ver
gangen, und heute habe ich ein fast va
terhaftes Gefühl, wenn mir meine
schöne Schwester » Schwestern, die
einen anpumpfähigen Mann heirathen,
gelten nach Swdenstenstomment immer
.--Lt l'-1
lW —- lcql u Magre tun Its-aus
weißen Stechtissen in die Arme legt. s
Und daß ich dem kleinen Kerl-s
chen, der an meinem Schnmrrdart dielz
mehr zerrt, als ich es je gethan, jetztl
lieb und brav zunicke daran ist Nie
mantd schuld als Hermi unsd Nim,
denn ihnen verdanke ich meine Braut.
Er, sie und ich, wir drei waren zu-s
samtnen dreißig Jahre alt, als wir
am Qstseestrand von Miiritz spazieren
gingen. Nine -—-- eigentlich heißt sie
Anmmarie — hatte ganze zweieinhalb
Jahre gesehen; ihr Bruder Hermi. ei
gentlich Hermanm war ein Jahr älter,
und ich, Richard Hinrichsen, hatte«
den gesammten Rest von vierrmdzwan
zig Jahren aus meinem Rücken zu tra
gen. Daß ich meine Schulserien in
Müritz verbrachte, das hatte mein
schmaler Gelsdbeutel verursacht, der mir
den Rath gab, ein entlegenes Ostsee-1
bad auszusuchen, wo jedes Bad nur
zwanzig Pfennigetostete Und Niemand
prüde wogsash- Wenn man mit nackten
Füßen durch den kühlen Sand strich.
Daß ich dort meinen alten Studien
sreund Dr. Meister vorgefunden, dasI
verdanke ich den Göttern des Zufalls
und diese Götter sinsd die liebenswür
digsten von allen.
Die Liste der Badegäste, die ich arn
ersten Tag-e meiner Anwesenheit in
Miit-iß langsam durchlas, unterrichtete
mich von seiner Anwesenheit. »Dr.
med. Agathon Meister aus Berlin
nebst Frau zwei Kindern und Dienst
mädchen.« Ja, das konnte er nur sein.
Wstet s gab es viel, aber diesen ver
rückten Bomamen konnte er nur ha
f——s
I—
ben. Und zwei Kinder besaß er auch.
Das hatte er mir pflichtschuldigst nach
meinem Heimathsort Gleiwitz mitge
theilt. Aber wie heißen sie doch? Ich
dachte den ganzen Nachmittag nach,
sfand aber ihre Namen nicht. Und so
horchte ich im Garten meines Häus
cheus herum, um allerhand Kosensamen
aufzuschnappen, und richtig: Jch wer
de ihn- »Kleiner« und ,,Kleinchen« nen
nen-! Damit war die Namensrage
zwar nicht geistreich aber austömmlich
umgangen.
Am nächsten Vormittag um 11 Uhr
klopfte ich an Dr. Meiste-As Thür. Ein
junges Mädchen öffnete und ließ mich
eintreten. Als ich die Thür hinter mir
schloß, schossen ein paar blonde Köpfe
vom Teppich aus, und vier große ver
wunderte Augen starrten mich an. s
Ah ,da waren sie.
,,N’ Morgen, Kleine-it« grüßte ich
und gab dem Jungen die Hand. Wort
los hob er die seine.
»Na, und Du?« fragte ich die
Kleine. ;
»Nein-t« zischt-e sie und hielt die
Hänidchen hinter dem Rücken-.
Das war kurz und deutlich. Jch
wiederholte: ,,Na?« und setzte das hei
terste Gesicht von der Welt aus.
»Nein!« klang es wieder aus dem
kleinen Munde wie geärgert hervor,
und das Mädchen wich weit zurück.
»Hm, großen Eindruck scheinst Du
auf die kleine Dame nicht gemacht zu
habem!« sagte ich mir resignirt. Da
kam mir ein Gedanke. »Du, Kleiner,
wie heißt Du?« «
»Hermi Meister, Lüßowstraße Za.«
Jch lachte über die vollständige Adres
se. war aber beim-lich erfreut. endlich
sein-en Namen zu erfahren.
»Also Hermi! Hol mie doch mal
hm, Dein Schwesterchen her.«
Mit einem Satz sprang er auf das
erschrockene Ding zu, packte es beim
rechten Arm und schleifte es zu mir’
heran. Noch ehe ich gegen diese gewalt
same Art Protestiren konnte, erscholl
das markerschütternde Geschrei des
kleinen Mädchens. Von allen Seiten
öffneten sich die Thüren unsd rathlos,s
fassungslos stand ich wie ein armer
Sünder mitten in der verblüfften
Gruppe.
Zum Glück erschien jetzt auch mein
Freund Agathon und ich konnte mir
beruhigt den Schweiß von der Stirn
mischen
Das war meine Bekanntschaft mit
Hermi und Nine.
Die junge Frau Doktorin fühlte
bald Mitleid mit meiner —-—- sie nannte
es «stupiden,, —-—— Junggesellen - Exi
stenz unsd bemutterte mich ein wenig.
Sie koinmandirte daß ich mit Hermi
und Nine spazieren gehen sollte und
öfters noch veränderte sie die Reihen
folge und Rangordnuwg, indem sie
rief: Hermi. Ni.ne! Faßt den Doktorv
bei der Hand und geht mit ihm spazi-;
ren!« Jch habe nie opponirt, denn
wenn ich dem Jungen in die treuen
blauen Augen sah, in denen eine un
endliche Schallheit schlummerte, oder
das kleine Mädchen anguckte, das mit
seinem drolligien Eigensinn schon ganz«
weibliche Eigenart zeigte, hatte ich mei
ne helle Freude daran. Und wenn ich
mich lang auf den Sand hingestreckt
hatte und träumerisch auf die stille,
tUcUc W Unsqu ILWULI, IUU nur« us
und zu ein weißesSegel auftauchte unsd
sich bald im blauen Dunst des Hort-«
zonts verlor, machte ich gute Miene
zum bösen Spiel, wenns Herini und»
Nin-e mich für ein gutes Reitpferd ans «
sahen und auf mir herum rast-en, als«
wäre ich eine Reiibahn. Nur wenn sie
beide das Auf und Nieder ihrer Reit
versuche in« gleichem Tempo versuch-«
ten, so daß es mir den Athem benahm, "
drehte ich mich plötzlich um und sie tol
lerten jauchzend in den Sand. Dann
lam das schlimmste ihrer Spiele. Sie
betrachteten mich als leblosen Kdrper
und gruben mich ein. Mit ihren klei
nen Holzschippen häuften sie unermüd
lich Sand über meinen Leichnam, bis«
nsur noch mein Kopf lachend hervor-J
guckte. Wenn ich dann aufstund nnd
den Sand Von mir abschüttelte, riesel-«
te er mir sanft durch den Kragen über;
den Rücken und Hermi und Nine sind
schuld, wenn ich damals im Verbrauchs
meiner Krügen verschwenderifch wurde. J
Sehr drollig war es wenn sich beide
Kinder Unterbielten -Hermi hatte völ
lig das Bewußtsein, als »Großer« sei-»
ner Schwester gegenüber zu stehen, und»
er bückte sich, obwohl er kaum längerj
war als sie, immer ein wenig herunter,
wenn er zu ihr s prach. i
Schlimm war es, wenn ich mich mitl
Nine verständigen wollte. Von ihrer
Sprache verstand ich kein Wort. Sie
guckte immer nach unten, wenn sies
sprach, als redete sie mit einemGnom.;
der im Grase hockte; und ich war oft in »
heller Verzweiflung,. weil ich so gar;
kein Berstänsdiausngsmittel besaß, um
auf ihre Wünsche einzugehen.
»—
Eines Morgens als ich in meinem
Stiibchen noch beim Kasse faß, stürmte
Hermi zu mir hinterdrein und Nine
wackelte ebenso aufgeregt hinterdrein.
Beide hatten sie eine Menge Chotolade
in der Hand unsd ihre brawngeschmier
ten Gesichter sprachen von groben uind
unästhetischen Excsessen.
»He, was habt Jhr denn?«
»Tante Lotte ist da!« jubelte Hermi.
,,Lotte« schien Nin-e hinterher zu mur
meln
Jch sah erstaunt auf. Lotte? Rich
tig. Die junge Frau hatte noch eine
jüngere Schwester mit Namen Char
lotte. Jch machte mich fertig und ging
zu Meister herüber. Aber ich sträubte
mich, die beiden Kinder bei den Hän
den zu nehmen, da sie schmutzig und
Voller Chokolade waren, unid ich ein-er
jungen Dame mit dem ganzen Anstand
und der Reinlichkeit eines Doktors der
Philosophie und künftigen Oberlelp
rers entgegentreten wollte· Uncd so
trieb ich denn die beiden Kinder vor
mir her. Als uns die Laube winkte,
in der die Familie Meister ihren Mor
aenskafsee einzunehmen pflegte, riß sich
Hermi von Nine los untd stürmte wie
ein Pfeil voraus. Nine, die sich an
ihm festhalten wollte, schoß in den
Sand und erhob das ihr eigenthiim
liche markerschiitternde Geschrei Da
regte sich meins Mitleid wieder. Jch hob
sie auf, nahm sie in meine Arme und
preßte ihr thriinensüberströmtes Ge
sichtchen an meine Wange. So brachte
ich sie in die aube, vollgefiillt mit dem
erhebenden Bewußtsein, mich der jun
gen Dame gleich als Kinderfreund
unsd Samariter gezeigt zu haben.
Kaum war ich in die Laube getreten,
da packte mich Hermi beim Jaquet und
zerrte mich zu einem schlanken Mäd
chen hin mit den« Worten: »Das ist
Tante Lotte!«
Ein helles Lachen scholl um mich
her. War es die lustige Art, wie der
Bengel die Vorstellung übernommen?
Anfangs glaubte ich es, aber der näch
ste Augenblick machte mich bestürzt.
»Erlausbe, Lotte. Mein Freund
Dr. Hinriichsem meine Schwägerin
Lotte! Jch habe nämlich meiner Frau
eine Ueberraschung bereiten wollen.
Und sie mir ja auch gelungen Jetzt
aber geh’ mal in mein Zimmer,
Richard, und wasch’ Dir erst das Ge
sicht. Nine’s Chololade hat Dich ge
hörig vollgeschmiert!« Er lachte laut
auf, Und ich sah noch, wie das schöne
Gesicht des Mädchens sich ebenfalls
halb zum Lachen verzog. Als ich vor
dem Spiegel stand wurde ich blaß
Kein Mensch kann verlangen, daß ich
beschreibe, wie ich ausgesepen Nur
das weiß ich, unter unglückseligeren
Umständen ist nie ein heirathsfähiger
junger Mann seinem Mädchen vorge
stellt worden.
O Nine!
Und doch siegne ich beide Kinder.
Denn in den nächsten drei Wochen ging
ich nicht allein mit ihnen an den
Strand oder in den Wald, sondern
Lotte gehörte jetzt auch zu uns. Und
als die lustige Frau Dokvorin ein-mal
bei einem Spaziergang scherzhaft
äußerte, die junge Generation solle
voraus-gehen, womit sie Hermi. Nim,
Lotte unxd mich meinte, lachte ich das
iunae Mädchen herzbaft an vor Freu
de, daß wir als zusammen-gehörig be
trachtet wurden. Zwar hatt-e ich jetzt
weniger Vergnügen an Hermi’s Toll
tyeiten als zuvor, denn er hatt-e so gar
keinen Sinn für Lotte’s schönes
schwarzes Haar ——- er bestreute es eben
falls mit Sand wie das meinige —,
der Unverschämte versuchte auch, ihre
schlanke, zarte Figur zu überklettern,
wenn sie am Strand lag unid in den
blauen Himmel starrt-e. Nine war nach
meine heiligsten Ueberzeugung enrüstet
über mich, den-n ich schien mich meer
um die größere jung-e Dame zu küm
mern, als um sie, und es war beiden
Kindern ungewohnt, daß sie jetzt
manchmal zusammen vor uns hergehen
und uns nicht stören sollten. Dabei
kam es einmal vor, daß Ninse wieder
einen unverständlichen Wunsch aus
drückte, den nach vielem, ach so ent
zückendem Hemmrathen Lotte dahin
verstand, daß ich sie auf meinen Schul
tern reiten lassen sollte.
»Aber, Nin-e, das thut ein kleines
Mädchen nicht!« belehrte Lotte sie.
Nine verzog das Mäulchen und mur-!
melte eitan in den Erdboden hinein.
,,.Haben Sie denn das sonst mit ihr ge
than?« lachte mich das feine blasse Ge
sicht des Mädchens ans.
iJch gestand meine ganze Schuld ein.
Jch müßte Alles thun was die beiden
Kinder wünschten. Jch sei willenlos
gegen sie und erzöge lieber große Ran
gen, als solche kleinen Dinger die mein
Herz in ihren kleinen Fäustchen trü-!
gen.
Sie sah mich einen Augenblick groß
an. Dann erröthete sie und s prach, in
dem sie in den« Wald hineinfah, der
- jetzt sein Rauschen eingestellt zu haben
schien-: »Dann ist es doch gut, daß
ich gekommen bin-. Zu viel Liebe scha
bet!«
»Bei Kindern wohl! Aber bei Er
wachsenen?« wagte ich zu frag-en.
Sie blickte jetzt ganz von mir fort,
und meine Augen ruhten auf ihren lo
sen Haarlöckchen am Halse. Dann ere
röthete sie stark, hob Nine empor und
rief plötzlich mit leucht-enden Augen:
»Nehmen Sie nur! Unid lassen Sie sie
ruhig austollsen!«
Jch hätte das junge Mädchen am
liebsten- beim Kopf genommen, um eine
heimliche Frage an sie zu richten, die
ich eine ganze Woche schon mit mir her
umgetragen. Aber meine Häwde wa
ren mit dem kleinen Mädchen beschäf
tigt, so daß für das große nur meine -
Aug-en übrig blieben. Wir sprachen
dann nur halbe Worte mit einander,
aber unsfer Gefühl brach sich in tau
send Zärtlichkeiten Bahn, die wir den
beiden Kleinen erwiesen und immer :
trafen sich unsere heimlichen Blicke auf
ihren reinen Kinderstirnen »Bist Du
nicht ein greuliches Mädchen; Nine?«
fragte ich das verwunderte Kind.
»Nein,« klang danrn eine liebe sanfte
Antwort zurück, »kleine Mädchen sind
nie greulich!« s
Am nächsten Vormittag lag das
Quartett im Sande. Hermi und Nine ;
saßen ganz nahe dem Wasser und :
höhlten eine tiefe Grube auss, indeß
wir Beide ein wenig von ihnen entfernt »
im Sande lagen. Jch war einsilbig
und betrachtete meine Nachbarin von «
der Seite, während sie einen Roman
las. Gestern Abend hatte sie allein in
ihrem Zimmer das Abendbrod zu sich ;
genommen und auch heute früh meine »
Gesellschaft gemieden. Erst gegen 11 «
Uhr war sie erschienen, und mein Hirn (
zermartete sich jetzt bei dem Gedanken, (
daß sie sich schäme, eine Neigung ver- ·
rathen zushaben, die ihr Verstand nicht
billigen konnt-e. Jch ein unbemittelter
Lehrer mit achthundert Thalern Ge
halt, sie seine reiche vornehme Fabrikan
tentocht-er. Ich athmete tief auf, wie
um eine Last los zu werden. Wie gut,
daß in vier Tag-en meine Ferien zu
Ende gingen!
Und ich schaue auf das weite Meer
hinaus-. Wie still es ruht! Kein
Windhauch weht, und kein-e Welle
schwatzt zur anderen fort. Gott-es Se
gen wandelt darüber, und wo er wan
delt, schweigt der Lärm der Welt.
Ich werde immer trauriger.
So viel Glang und Glück auf dieser
Erde, und für Dich kaum ein Hauch
davon! Könnte nicht das Mädchen an
Deiner Seite selber ihre Hand in die
Deine legen und sagen: »Komm, nimm
mich; ich will Dir ein guter Kamserad
sein für Dein Leben?« Bah, die
Tochter eines reichen Vaterst«
Jch sehe auf—
Ein kleiner Kerl steht vor mir.
»Ah. . .. Hermi. Du?«
,,Onkel,« sagt er seelenvergniigt und
lacht mich an. Jch sehe, wise auch Lotte
den Kopf erhebt. »Da ist ein Loch!«
Und er kniet nieder und weist mit
dem Zeigefinger auf ein Loch, das sich
in meinem rechten Strumpf gerade
über dem gelben Strandschuh befindet.
»Ja, wirklich ein Loch!« Jch sage
es wie acissesabwesend An meine-r
jetzigen Stimmung rührt es mich we- «
nig. Was ist mir das? Vielleicht ist s
ein Dorn heute an meinem Fuß hän- .
geni geblieben. Pah, mag ich auch da- «
durch lächerlich erscheinen! Was thut
das? Jch reise eben morgen schon ab. «
»Ja- ja- Hermisn Mühe ich mich ’
langsam und resignirt zu sprechen,
»zum Erzieber tauge ich nicht viel. Na,
ich lege Deine Erziehung bald ganz in
andere Händel«
Da spricht ihre Stimme:
»Sie wollen reis-en?«
»Morgen!«
»Sinsd Jhre Ferien zu End-e?«
«an vier Tagen, meine Gnädigste!«
Wir schwiegen beide. Mir ist, als
höre ich unsere Herzen schlagen.
Da ruft sie laut:
,,Nine! Komm doch auch mal her!«
Das Mädchen kommt herangetrip
pelt. Lotte erhebt sich rasch und kniet
dann nieder, so daß sie bei-de Kinder
rechts unsd links in den Armen hält,
und flüstert: »Jetzt sagt mal Beide:
,,Lteber Onkel, bleib noch hier, sonst
thust Du uns Allen sehr weht«
Jch weiß nicht, was unsd wie viel sie
nachgeplappert haben; ich weiß nur,
daß ich zwei weiße Hände an mich ge
rissen und ein blasses Gesichtchens einen
Augenblick an mich gedrückt habe.
Dabei kollertse was zur Erde.
Das müssen wohl Hermi und Nine
gewesen sein.
— Der französische Staatsrath hat
beschlossen, den angeblichen Dynamiter
Tynan nicht an England auszuliefern.
Herzwafchungen
Der Herzbeutel mit Salzwassek gewaschen
Operationen, von denen der
Laie nichts weiß.
Jst es möglich-, daß jemand sein ei
genes Herz auswaschen kann?
Ja, es ist möglich. Die großen Fort
schritte, welche die medizinische Wis
senschaft und namentlich die Chirurgie
gemacht hat, setzen ihn in Stand dazu.
Es geschieht zwar nicht alle Tage, daß
eine Was chunig des Herzens vorgenom
men wird, aber immerhin ist die Ope
ration schosn mehrere Mal-e in New
York ausgeführt worden, u. A. von
Dr. Abraham Jacobi.
Die Krankheit, die eine Reinigung
des Herzens nothwendig macht, ist im
Zlllgemseinen Herzbeutelentziiwdung, ei
re Entzündunig des Pericasrdiums die
Durch Verletzungen, Erkältungen, häu
fig-er durch Bakterien, durch Gelenk
rheumatismus, Herz- unsd Lungen
?raniheitiens, Pyämie, schweren Schar
Iach u. s. w. entsteht. Das Pericar
Iium soll aber gegen Fremtdkörper
7chiitzen. Zwischen der unteren Herz
spitze und dem Psericardium befindet
äch ein kleiner Hohlraum, der sich in
Folge der Entzündung mit eitriger
Flüssigkeit füllt. Diese Flüssigkeit be
hindert die Aktion des Herzens ungd
dringt dadurch das Leben des Kranken
n Gefahr. «
Früher standen die Aerzte der Peri
carditis so gut wie machtlos gegen
iber, und in den meisten Fällen starb
der Patient. Damals galt es eben als
ücherer Tod, den Herzbeutel zu Punk
:iren, eine Operation, zu der man
Heutzutage unbedenklich schreitet. Denn
ierade die Punktion rettet dem Kran
k-- L-- 0.v:.» A » -.
Mk »u- Ocucrk Otucsuyru Uec sullslcll
msd sechsten, oder der sechsten und sie
zentsen Rippe wird ein Einschnitt ge
niacht, unsd in diesem Einschnitt wird
sine silberne Kansiile behufs Entke
Iung der Eiteransammlung einge
"ii-hrt.
Aber mit dem bloßen Abzapfen ist
s nicht gethan. Das Herz muß, da
nit auch nicht das kleinste Partikelchen
ion dem fressen-den Eiter zurückbleibt,
kehörig gereinigt werden, und zu die
"em Zwecke benutzt man eine Salzlö
una. Nach erstmalig-er Anwendung
)erselben ist kein Grund vorhanden,
veshalb nicht der Kranke die Reini
iungsprozedur höchsteigenhändig an
ich vornehmen sollte, daß sheißt, er
väscht sein eigenes Herz. Die Kaniile
zefördert die Salzlösung an Ort und
Stelle.
Dr. Jacobi sagt in ein-er Abhand
ung ijber den Gegenstand:
»Die innere Behandlung der Peri
rarditis hängt von den Komplikatio
ten ab. Die Ausleerung in’s Peri
arsdium ist selten quantitativ so be
wutend, daß Erstickung zu befürchten
oäre, aber ich glaube, man greift nicht
o häufig zur Pun«ktion, wie man s oll
e. Jm Allgemeinen irren sich die
Uerzte nicht leicht in der Diagnose.
Immerhin laufen Jrrthiimer mit un
ser, densn ich bin zum Beispiel schon
cufgefordert worden, Paracentese vor
zunehmen, wo Pericarditis, Hypertro
)hie und Brustsellentzijndung vorla
ren. Die Operation ist nicht gerade
·chwierig. Das Herz ist während der
llspiration punktirt worden, ohne daß
-(-.«— --:,.1-« s.«·!. ZU Im
sp» w» U UW z, g. »W,
nerhin einige Gefahr vorhandenjz
Die medizinifche Statistik der Stad·
New York weiß von keinem Fall, das
ine Person, deren Herz ausgewascheig
vordem gestorben wäre.
Gesprächsweise äußerte der großx
!hirurge:
»Ich betrachte die Operation als kei
Ie fo wunderbare. Sie gehört zu de
Dingen, welche jedem Medizinerbt
kannt sind, während der Laie keine Alz
nung von ihnen hat. «
Wenn es darauf ankommt, das JIY
nere des Körpers zu reinigen, mach«
Iie Herr-en Aerzte überhaupt die schwi
rigsten Sachen. Sie waschen nicht c
iein das Herz, sie waschen auch de
Blut, die Brust, die Lungen, die Kne
Und den Magen Beim AuswascF
der Brust wird dieselbe Methode F«
obachiet, wie bei der Reinigung i
Herzens. Zwischen zwei Rippen w
ein Einschniit gemacht, oder es w
aus einer Rippe ein Stück von s
Knochen herausgesiigt, worauf F
Kaniile eingeführt wird. Die gewöf
liche Ursache für Auswaschun97
Brust ift Brustfellentzjinsdung ·
Auch die Lungen können ver-miti
Einführung einer Röhre und aniek
gereinigt werden Die Operation
im Allgemeinen vom besten Erfolg
gleitet.
Bis-weilen wird es nöthig, das ;
nere des Kniegelenks zu reinigen-.
kommt nämlich vor, daß sich Ins
einer Entzündung dort Wasser bi
das entfernt werden muß.